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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030703022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903070302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903070302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-03
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Anzeigen-Prei- die Sgespaltene Petitzeile LS Reklame« unter dem Redaktioa-strtch sägespalten) 7K vor de« Famtliennach> richten (Sgeipalte«) KO Tabellarischer uud Ziffernsatz entsprech«»- höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenauuahme 2K Lj (excl. Porto). Extra-Beilage« (gesalzt), «ar mit der Marge«.Ausgabe, ohne Postbesörderuag 60.—, mit Postbesörderuag ^8 70.—» Annahmeschluß für Anzeige«: Lb«»d-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag« « Uhr. Anzeige« find stet« au di» Expedition zu richte«. Die Trpeditto« ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet voa früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck uud Besag von ich Pol» i« Leipzig- S7. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Juli. Das Zentrum im neuen Reichstage. Vielfach begegnet man jetzt in der Presse der Behauptung, daß, so bedauerlich auch der starke MandatSgewinn der Sozialdemokratie sei, doch au« diesem Gewinne eine Ver änderung der Möglichkeiten zur Bildung von Majoritäten sich nicht ergebe. Wie schon seit langer Zeit, so sei da« Zentrum auch jetzt wieder in der angenehmen Lage, L äeux muins zu spielen und nach seinem Belieben entweder mit den Nationalliberalen und den Konservativen eine regie rungsfreundliche, oder mit den Parteien der Linken eine oppo sitionelle Mehrheit zu bilden. Bei genauerer Prüfung der Zusammensetzung des neuen Reichstags erkennt man leicht, daß diese Auffassung irrig ist und daß das Zentrum, obwohl e« selbst keine Mandate gewonnen, sondern einige verloren hat, sich künftig in noch günstigererLage als Zither befindet, und zwar infolge des WahlerfolgeS der Sozialdemokratie. Früher bedurfte da« Zentrum, wenn es Opposition machen wollte, der Unterstützung der gesamten Linken, also auch der bürger lichen Radikalen: so 1884 bei der Verweigerung deS dritten Direktors, 1887 bei der Ablehnung des Septennats, >893 bei der Ablehnung der großen HeereSvermehrung, 1895 bei der Verweigerung der Bismarck-Ehrung, 1897 bei der Ablehnung veS größten Teiles der Flottensorderungen. Jetzt aber brauchen zum Zentrum und seinen Annexen (Polen und Elsässer) nur noch die Sozialdemokraten zu stoßen, und die oppositionelle Mehrheit ist fertig. Denn vaS Zentrum zählt mit seinen Hospitanten, den Polen und den Elsässern zu sammen 127 Stimmen, die Sozialdemokratie 81 Stimmen, sodaß die insgesamt 208 Stimmen beider Gruppen 9 Stimmen über die Mehrheit auSmachen. Früher mußte sich da« Zentrum immer darum bemühen, die bürgerliche Linke auf die Seite der Opposition zu bringen, jetzt kann es in jedem Augenblick erfolgreiche Opposition machen, denn die Sozialdemokratie ist dazu immer zu haben. DaS Zentrum kann also jetzt der Regierung viel nachdrücklicher al« früher drohen, die Maschine zum Stillstände zu bringen. ES braucht kaum gesagt zu werden, daß diese Machtstärkung de« Zentrums zugleich eine be deutende Schwächung de« Einflusses oer bürgerlichen Linken bedeutet. Nachdem die Wahlen von 1890 der Linken zum letzten Mal einen erheblichen Aufschwung gebracht hatten, haben die drei Parteien der Linken nunmehr bei drei Wahlen hintereinander immer Mißerfolge zu verzeichnen gehabt. Schon dieser konstante Niedergang schwächt naturgemäß den Nimbus von Parteien. Jetzt aber ist, wie obea auSgeführt, vaS Wachstum der Sozialdemokratie und die damit dieser Partei uud dem Zentrum gegebene Möglich keit, sich über di; Köpfe der freisinnizeu Parteien hinweg zu verständigen, für den Einfluß dieser Partei viel verhängnis voller, al« selbst der Verlust von fünfzehn Mandaten. Früher wurde bei HeereSforderungen und dergleichen den frei- sinnigen Gruppen von beiden Seiten gut zugeredet. Will jetzt da« Zentrum derartigen Forderungen zustimmen, so ist auch ohne die freisinnigen Parteien jederzeit eine stattliche Mehr heit vorhanden; will es aber solchen Forderungen nicht zu stimmen, so nützt es der Regierung nichts, wenn die frei sinnigen Gruppen sich auf ihre Seite schlagen. Eine Be deutung für die Bildung einer Mehrheit werden die frei-1 sinnigen Parteien möglicherweise nur bei den neuen I Handelsverträgen haben, wenn sich nämlich vom Zentrum und von den Konservativen radikal-agrarische Elemente absplittern und eine bandelsvertragsfreund- liche Mehrheit in Fräste stellen würden; dann könnten die 36 Stimmen der drer freisinnigen Gruppen wohl von Wert für die Erreichung eines positiven Ergebnisses lein. Wenn aber das Zentrum, ebenso wie eS geschlossen für den Zolltarif gestimmt bat, auch geschlossen für auf der Basis des Tarifs aufgebaute Handelsverträge ein tritt, so ist die freisinnige Hülfe nicht von Nölen, denn dann braucht zum Zentrum, der Reichspartei und den National!,beraten nur noch die Hälfte der Konservativen hinzu,»treten. Angesichts deS Verhaltens der Konservativen bei der Abstimmung über den Zolltarif ist es aber höchst wahrscheinlich, daß sogar der größere Teil von ihnen für Handelsverträge auf der Basis dieses Tarifs eintreten wird. War Zentrum also schon in den früheren Reichstagen Trumpf, so wird eS dies künftig noch viel mehr sein — dank besonders der Wahlpolitik deS Herrn vr. Barth und der Herren Nationalsozialen. Polnische Agitation. Der Erfolg bei den Reichstagswahlen bat das Polentum zu einer verschärften Agitation angeregt. In einem der ver breitetsten Pvlenblätter, dem Posener „Orendownik", wird ein neues polnisches Aktionsprogramm veröffentlicht, das zunächst die wachsende Begeisterung der Polen für ihre Ideale schildert, dann aber betont, daß die Gesamtheit der Polen der nationalen Politik der polnischenVolkSpartei sich anschließen werde. Der Kampf gegen das Deutschtum wird zum Rassenkainpf erklärt und gleichzeitig die Lossagung deS Volks von der katholischen Geistlichkeit angekündigt. Wenn die Polen dabei auf den endgültigen Sieg hoffen, so zeigt dies, daß der Fanatismus sie jeder kühlen Ueberlegung beraubt bat. Neber- raschend ist das Hrrvordringen der polnischen Volkspartei für niemanden gewesen, der die Vorgänge in den Ostmarken wäbrend der letzten Jabre verfolgt hat; die Wahl des Abg. v. Chrzanowski zum Reichstagsabgeordneten für Posen war das erste Ereignis, durch daSditZurückdränguug deS gemäßigten Teils der Polen durch den Radikalismus offenbar wurde, und bei den letzten Reichstagswahlen ist der Sieg deS letzteren ver vollständigt worden, da nur verhältnismäßig wenige der alten Vertreter,wie Fürst Radziwili undPropst v. Jazdzew S ki, wiederum als Reichstagskandidaten aufgestellt wurden. Es kann beute kaum noch ein Zweifel darüber bestehen, daß die radikale Bewegung unter den Polen, die mit ihren gefahr drohenden Wirkungen zuerst in Oberschlesien zutage trat, auch über Posen und Weßpreußen sich auSbreitet, und selbst von den Stammesgenossen in Berlin und in den Industrie bezirken des Westens liegen Proben genug davon vor, daß die Bekämpfung der Polenpolilik der Regierung und die Agitation für vaS Endziel deS Polentunis in jeder Fo,m ausgenommen werden soll. Die Zeiten sind vorüber, wo die Geistlichen noch einen Einfluß auf ihre polnischen Ge- meiudeglieder hatten; man erhebt sich gegen sie, indem man sie beschuldigt, sie trieben GermanisierungSoersuche. Der allgemeine Protest gegen den Hirtenbrief deS Kardinals Kopp zeigte mit aller Deutlichkeit, wohin die Reise der Polen gehen soll. Der engste Zusammen schluß deö gesamten PolentumS oder vielmehr daS Aufgehen der ganzen Bewegung in den Bestrebungen der radikalen Volkspartei ist zur Tatsache geworden. DaS werden sich die Regierung und die Parteien, die sie in der Ostmarkenpolitik unterstützen, merken müssen. Ein Teil des Zentrums freilich scheint immer noch mit Blindheit geschlagen zu sein, obwohl die Ereignisse in Laurahütte doch gewiß eine beredte Sprache geführt haben. Die „Köln. Volksztg.* kann es sich sogar nicht versagen, den Geistlichen wegen ihrer Germani- sierungSbestrebungen einen gelinden Rüffel zu erteilen; daS rbeinische Blatt bleibt dabei, daß das Zentrum seine Unter stützung den „gemäßigten" Polen nach wie vor zu leihen habe; eS fragt sich nur, wo diese Gemäßigten zu finden sind. Ter Wirrwarr in Ungarn. Schon auS dem Empfang, welcher dem neuen ungari schen Ministerium bereitet wurde, konnte man böse Schlußfolgerungen ziehen. Die vorgestern Abend statt gefundene, von 57 Abgeordneten besuchte Konferenz der Kossutbpartei hat die Lage noch viel wirrer gestaltet. Die aufgestachelten jüngeren Elemente haben die Führung an sich gerissen und sich gegen die Einstellung der Obstruktion erklärt. Sie haben neue Bedingungen formuliert, die man dem Ministerium Khuen - Hedervary stellen solle, ehe man daS regelmäßige Nekrutenkontingent und die JnoemnitätSvorlage bewillige. Vergebens beriefen sich Franz Kossuth, Justh und Komjathy auf ihr gegebenes Wort. Die Mehrheit will den Kampf sortsetzen. Kossuth erklärte, daß er daS Präsidium der Partei niederlegt und verließ mit seinen persönlich Getreuen — eS waren 4 Mann — den Klub. Die Versammlung leitete dann Bela BarabaS, der Wort führer des Widerstandes bis zum äußersten, wenn man nicht nationale Konzessionen erpressen könne. Diese Leute, welche noch vor 48 Stunden von einem großen Sieg der Achtundvierziger Partei sprachen, behaupten bereits heute, man habe sie betrogen; denn der Ministerpräsident habe nur von einer zeitweiligen Absetzung der Wehr vorlage gesprochen. Als ob er je in der Latze gewesen wäre, ihnen mehr zu versprechen. Also auch die Demüti gung vor Kossuth, mit dem man den Frieden «-schließen wollte, hat nichts geholfen. Di« Lage ist verwirrter denn je. Auch die liberale Partei ist gründlich erschüttert. Josef VeSzi^ (früher Weiß), Leiter deS „Budapests Hirlap", der unter Szell als Regierungsblatt galt, ist bereits aus der liberalen Partei ausgetreten; weitere Austritte dürften nach folgen. — Die in Wien erscheinende „Ostdeutsche Rund schau" schreibt: Die unsinnige Aktion des Grafen Khuen- Hedervary hat also bisher nur den Erfolg, daß die „Kossutbpartei" ihre gemäßigten, bremsenden Elemente abgesloßen bat, also fortab den Staat mit ver doppelter Wucht aus der schiefen Ebene abwärts treiben kann und eS vermutlich auch tun wird. Die Staatsgewalt bat sich der Riesenblamage einer „Kapitulation" unterzogen und allen Glauben an ihre Autorität vom Grunde auf erschüttert, um einzelne Männer, die ihr bloß im Parteiverbande nützlich sein konnten, aus der Partei binauS- zudrängeu, bestenfalls aber deren bisherigen Einfluß voll- ständig zu erschüttern. DaS soll man „Politik" nennen?! Es ist das Dümmste, was in Oesterreich-Ungarn jemals getan worden ist . . . Ter „Heilige Synod" hat soeben an das ökumenische Patriarchat ein bemerkens wertes Schreiben gerichtet, welches die Antwort auf einen früheren Vorschlag deS Patriarchat« enthält und wegen seiner überaus scharfen Urteile über den Katholizismus und Protestantismus größere Beachtung verdient. DaS Patriarchat war für die B e r e i n i g u n g aller christlichen Kirchen eingetrete». Der Synod ist grundsätzlich damit einverstanden, meint indes, daß die orthodoxe Kirche sich vorläufig auf die Abwehr beschränken müsse. Auf Rußland richteten sich, so wird auSgeführt, die Blicke Roms, und die „Bekehrung" der Russen sei eine der vornehmsten Aufgaben deS gegenwärtigen Papsttums. Man dürfe sich durch die gleißenden Reden deS römischen Klerus nicht beirren lassen. Dem Protestantismus wird Einseitigkeit und Fanatismus vorgeworfen; auch er soll alles daran setzen, seinen Lehren unter den Gliedern der orthodoxen Kirche Eingang zu verschaffen. Er wird als ein „yefährlicher Feind der apostolischen Kirche" hintzrstellt. Freundlicher lautet daS Urteil über die Anglikaner, be, denen daS Verlangen nach Einigung auch bestehen soll. Ebenso wünscht man, die Alt katholiken zu sich berüberzuziehen; aber auch hier sollen die Protestanten dagegen wirken. Der Kalenderreform steht der Synov nicht sonderlich freundlich gegenüber. PobjedonoSzew ist offenbar der Verfasser de« Schreiben«. Darau« erklärt sich manche«. Deutsches Reich. /S. Berlin, 2. Juli. (Zu -««Wahlfälschungen.) Welchen Umfang die Wahlfälschungen angenommen haben können, geht aus der Tatsache hervor, -atz in einer Stadt wie Straßburg i. E., wo die Wählerlisten 38 390 Wahlberechtigte aufführen, den Wahlbureaux der Parteien mehr als 2000 mit der Post verschickte Wahldrucksachen zu rückbestellt wurden mit dem Vermerk „Adressat unauffind bar", „gestorben", „verzogen". Es ist ein ganz unhaltbarer Zustand, wenn auf Grund solcher falscher Listen gewählt werden muß. Ein kleiner Teil fälschlich Wahlberechtigter wird in den Listen ja immer vorhanden sein, da letztere so frühzeitig abgeschlossen werden, daß bis z-qjn Wahltage einige Todesfälle Wahlberechtigter eintreten. Aber ab gesehen hiervon, sind unter allen Umstünden von den be teiligten Behörden Vorkehrungen zu treffen, die im übrigen die Zuverlässigkeit der Wählerlisten verbürgen. U Vertin, 2. Juli. Die gewerberechtliche Beur teilung der Wanderlager, die al« Erscheinungen de« modernen Wirtschaftsleben« immer mehr in den Vorder grund treten, kann, worauf der SenatSpräsivent de« Ober- Verwaltungsgerichts in Dresden, vr. Wächter, au« Anlaß eine« neuerdings zur Entscheidung gelangten Falle« verweist, insofern Zweifeln unterliegen, al« eS an einem weseatlichen Be- griffSerforderniffedeS Gewerbebetriebe« im Umherziehen mangelt, wenn der Inhaber eine« Lager« einen Dritten mit der Feilbietung beauftragt hat und der Dritte am Orte der Feilbietung wohnt. Die Folgewirkung der dadurch geschaffenen Rechts lage ist bedeutsam genug, denn besteht diese Auffassung der in der Gewerbe-Ordnung ausgestellten allgemeinen Grundsätze über Wanderlagerdetrieb zu Recht, so ist damit eine bequeme Handhabe gewahrt, das Ver bot der Wanderversteigeruugen im § 56« der Gewerbe-Ordnung zu umgehen. Wer sich der Bestimmung, daß Feilbieten von Waren im Umher- > ziehen im Wege der Versteigerung nicht gestattet ist, I entziehen wollte, brauchte dann nur einen am Orte der Ver- I sieigerung wohnhaften Auktionator mit der Durchführung Feuilleton. Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. ».Umdruck verboten. vr. Klutbenschädel wußte nicht, sollte er lachen oder sich ärgern; aber auch mit den Händen wußte er nicht, was damit anzufangen. In den Fingern kribbelte es, ein Flimmern vor den Augen, stechender Schmerz in der Gegend des kleinen Gehirns, im ganzen Körper ein un nennbares Gefühl des Unbehagens. Auf und zu klappte der Hut, die Krawatte wanderte zur Kragenhöhe infolge des ständigen Richtens, weißliche Flecken zeigten die Ell bogen des Frackes, da der ungeduldige Mann mehrmals mit der Mauer in Berührung gekommen war. Ein Blick zu Boden ließ erkennen, daß die Lackschuhe verstaubt sind; hastig holte der nervöse, junge Mann das Taschentuch hervor und wollte den Staub wegklopfen, da ward die Tür aufgerissen, eine stattliche Dame im Alter von etwa dreißig Jahren erschien und bat in gewinnender Liebens würdigkeit um Entschuldigung für die ungebührliche Art einer verunglückten Anmeldung seitens des mit städtischen Gepflogenheiten nicht vertrauten Dienstmädchens. vr. Kluibenschädel war ob des innerlichen sym pathischen Tones augenblicklich versöhnt, auch schmeichelte die Erscheinung der zwar nicht mehr jungen, doch körper, lich reizenden Dame und die Anmut ihrer Gesichtszüge seinem Ange, wie dem Ohre ein gewisser Ton der Demut und Bescheidenheit dem Besucher aus der Großstadt gegen über. Dafür ist der junge Advokat sehr emvfänglich, es berührt ihm angenehm, einer freiwilligen Unterwürfig, kett zu begegnen, und so kehrte vr. Kluibenschädel die galante Seite seines sonst nicht gerade chevalereskcn Charakters heraus, wehrte jeder Entschuldigung, küßte der Dame die Hand und bat um Entschuldigung für die Störung, alles in einer sinnverwirrenden Schnelligkeit und mit einem unheimlichen Starrblick. Fräulein Laura Guggemoos, die Schwester des Be- -irkSarztes, vermochte der hastigen Rede nicht völlig zu folgen, hatte für den starren Blick kein Verständnis, aber das weibliche Zartgefühl veranlaßte die herzlich vorge- brachte Bitte, es möge sich der verehrte Herr Doktor doch gütigst in das Gutzimmer bemühen. „Einen städtischen Salon haben wir nämlich nicht!" fügte Laura unter einem liebreizenden Lächeln bei, und wollte dem Besucher den Ehrenplatz auf dem verschossenen Sofa im Gutzimmer an- weisen. „Pardon, Gnädigste! Gestatten gütigst, daß ich auf einem Fauteuil Platz nehme, es blendet mich nämlich das einfallende Licht!" „Aber bitte, Herr Doktor, ganz nach Belieben! Mein Bruder wird wohl jeden Augenblick Heimkommen, er ist in die Nachbarschaft gerufen worden, ein unbedeutender Fall von Erysipelas, keine Spur von Meningitis!" „Ah, gnädiges Fräulein lassen die nahe Beziehung zum Arzt erkennen. Als Jurist stehe ich tatsächlich tief unter ihren medizinischen Spezialkenntnissen, und habe kaum eine Ahnung, was gnädiges Fräulein eigentlich mit den Fachausdrücken sagen wollten!" „Gan- einfach: Eine ungefährliche Art von Gesichts rose, ohne Gefahr einer Gehirnhautentzündung. Als Sekretärin meines Binders sind mir gewisse, keineswegs eine größere Anzahl lermini ttzostnioi geläufig geworden, hat aber absolut keinen Wert. Das Weib hat in der Kirche zu schweigen! Mein Bruder sagt das stets auf lateinisch, doch ich habe den Satz im klassischen Idiom nicht behalten können. Es wird ja wohl auf Deutsch auch stimmen." vr. Christian Kluibenschädel hatte den Ehrenplatz am Sofa allerdings wegen Blendung abgelehnt, in der Haupt sache war es ihm jedoch darum zu tun, die Dame deS Hauses ins Licht zu bringen und auf diese Weise besser betrachten zu können. Fräulein Laura saß denn auch auf einem Fauteuil, von den schräg einfallenden Sonnenstrahlen beleuchtet, und ihre- gesunde Erscheinung hielt im verräterischen Lichte vollauf Stand. Echt die Gesichtsfarbe, wie die Zähne und das Haar, letzteres allerdings durchaus nicht auf hyper moderne Art in Wulsten auseinandergezerrt, vielmehr schlicht und bescheiden gehalten. Daß die Blütezeit vorüber ist, beweisen leichte Fältchen um den rosigen Mund, dafür ergötzt eine hübsche Büste das Ange, volle Schultern, tadellose Taille, schmale, gutgepflegte Hände. Alles in allem, ein nicht mehr junges, doch frisches Fräulein, von schlichter, reiner Natürlichkeit und mit einem sehr sympa thischen Organ, einem Mezzosopran von wohligem Klang. Da der Beschauer schwieg, bemühte sich Fräulein Laura, die drohende peinliche Pause durch eine Frage nach dem Befund der hiesigen Gegend zu beenden. vr. Kluibenschädel mochte die Frage nicht verstanden haben, oder er war zerstreut, bezog die Frage vielleicht auf sich selbst, er erwiderte, den Blick auf einen vergilbten Stahlstich gerichtet: „Danke verbindlichst! Es geht mir erträglich, die Gfadtour war zu viel für mich, aber der Eindruck ist entschieden sehr gut, die volle Harmonie, welche die Altersdifferenz ausgleicht!" Ueberrascht blickte Fräulein Laura auf. „Wie beliebt, Herr Doktor?" Der junge Anwalt fuhr mit der Hand über das Haupt haar und strich besonders häufig über das kleine Gehirn hin, als wollte er dadurch etwas Schmerzhaftes weg wischen. „Gnädiges Fräulein wünschen?" „Verzeihen, Herr Doktor! Es wird meine ländliche Einfalt Ursache sein, daß ich den Zusammenhang Ihrer Aenßerung nicht zu erfassen vermochte. Mutmaßlich haben sich Herr Doktor mit der Ersteigung des Gfadgletschers doch zuviel zugemutct, nicht?" „Ersteigung? Nein, das ging über meine Kräfte, ich bin nur bis zur Gletscherzunge gekommen und hatte damit mehr als genug. Habe nie renommiert! Ist ein tüchtiger Praktiker, der Herr Bczirksarzt, habe volles Vertrauen zu ihm. Werde mich sicher an ihn wenden, so es nötig werden sollte. Alles sehr sympathisch! Sind gnädiges Fräulein musikalisch?" „Nein, Herr Doktor! Meine Kenntnisse sind zu mini maler Natur, als daß ich behaupten könnte, musikalisch ge bildet zu fein." „Aeußerst angenehm!" „Wie beliebt?" „Ich bin glücklich, in gnädigem Fräulein die selten ge wordene liebliche Einfachheit des Wesens zu finden!" „Sehr gütig, Herr Doktor! Eine städtische Modepuppe bin ich allerdings nicht, habe tatsächlich keine Anlage dazu, und würde mich, soweit ich mich kenne, auch in der Groß, stadt nicht verändern!" „Einfach reizend! Gnädiges Fräulein sehen mich auf dem von Rousseau vorgeschriebenen Wege: Rückkehr zur Natur! Einstweilen werde wohl Takbummler und Veilchenpflückcr werden müssen, wenn eS nicht zu spät ist. Ich bin nämlich durch vieles Studieren nervös geworden, modern gesagt: Neurastheniker!" „O, bedauere sehr! Ich hoffe aber zuversichtlich, daß der Landaufenthalt, viel Bewegung im Freien und eine grobe Enthaltung eine Besserung herbeiführen werden. Es würde mich beglücken, Herrn Doktor in dieser Be ziehung hülfrcich zur Seite stehen zu können. Wollen Herr Doktor mit mir kleine Ausflüge unternehmen, immer vorsichtig, gewissermaßen auf ärztliche Anordnung und in Ueberwachung, ich werde mit Vergnügen mich Ihrer an nehmen." „Verbindlichsten Dank, gnädiges Fräulein! GS würde mich tatsächlich hochbeglücken, indes bin ich Kanzleimensch, an den Schreibtisch wie an die Amtsstunden gebunden, und könnte nur sommersüber die Abende zu Erholungs gängen benutzen, wenn nicht Abspannung und Müdigkeit solche Exkursionen überhaupt illusorisch machen." Laura wollte lebhaft antworten, da trat vr. Gugge moos, freundlich in seiner jovialen Weise grüßend, ein, drückte dem Advokaten die Hand, bat ihn, Platz zu be- halten, und ließ sich selbst in den nächsten Fauteuil nieder. Höflich meinte vr. Kluibenschädel: „Herr Bezirksarzt kommen vom Krankenbesuch, Fräulein Schwester hatte die Güte, mir zu sagen, was dem Kranken fehlt!" „So? Da muß ich Laura aufmerksam machen, daß jede Aeußerung in solchem Betreff unangebracht ist, weil sie das Berufsgeheimnis des Arztes verletzt." Laura errötete und senkte den Kopf. vr. Kluibenschädel aber erwiderte hastig: „Gehen Herr Bezirksarzt da nicht zu weit und ängstlich vor? WaS ein Berufsgeheimnis ist, weiß wenigstens zum Teil auch der Anwalt, eine Verletzung dieses Geheimnisses kann eS doch nicht sein, wenn man einem Dritten sagt, der Nachbar sei an Gesichtsrose ungefährlich erkrankt?!" Bestimmt erklärte der Arzt: „Ich bin anderer Mei nung! Jede, auch die minimalste Aeußerung Dritte« gegenüber ist Verletzung des ärztlichen Beruf-geheim- niffes. Und ein Vergleich zwischen Amtsgeheimnis de« Anwaltes und dem Berufsgeheimnis des Arztes hinkt wie jeder Vergleich. Was eine Partei dem Anwalt anver traut, wird in irgend einer juristischen Form in Klage- stellung oder Verteidigung vor Gericht zum Ausdruck kommen. Ganz anders ist es beim Arzt, der unter Um ständen nicht einmal dem Gatten sagen darf, waS die körperliche Untersuchung der Gattin dem Arzt geoffewbart hat." „Nicht möglich!" rief der Aüwalt. „Doch Herr Doktor! Nehmen wir einen interessanten Fall aus der Praxis eines Berliner Arztes: Zu ihm kommt die Gattin, sagen wir eines Rechtsanwaltes, und läßt sich wegen unbedeutender neurasthenischer Be schwerden ärztlich behandeln. Nach längerer Zeit erhält der Arzt einen Brief, in welchem der Gatte Auskunft Wer die Natur des damaligen Leidens seiner Frau aus dem Grunde erbittet, weil er jetzt im Scheidungsstadium stehe. Selbstverständlich hat der Arzt jede Auskunft verweigert!" „Pardon! Wenn eS sich doch nur um unbedeutende neurasthenische Beschwerden gehandelt hatte, liegt doch gar kein Grund zum irb-'imniSvollen Stillschweigen vor! Und der Gatte halte offenbar, weiß Gott, welchen Verdacht, de»
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