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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020802021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
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Wört lich sagt darüber (wie hier wiederholt sei) der „Vorwärts": „Die Frage aber scheint uns nicht mehr aufschicbbar und zur Competenz des deutschen Parteitages zu gehören. Was müssen wir thun, um endlich in den Einzel staaten vorwärts zu kommen? Wir können Sachsen und Preußen nicht länger der unum schränkten Macht der Reaction überlassen. Wir müssen die Erfahrungen der Wahlreformbcwegung in Bayern, Baden, Württemberg und Hessen kennen lernen und ihre Lehren uns aneignen. Wir müssen nach Mitteln suchen — so verzweifelt auch in den Hauptstaaten die Situation erscheint —, wie eine erfolgreiche Agitation für die Ge winnung eines besseren Wahlrechts einzuleiten ist. Es geht nicht an, darauf zu warten, bis das Heil vom Reiche kommt. Wir müssen versuchen, ein demokratisches Wahlrecht aus eigener Kraft zuerobernl Es würde sich rächen und die nie rastende Thätigkcit der reaktionären Staatsstreichlcr und Ge waltpolitiker ermuntern, wenn wir den Schein erweckten, als lvärcn wir ohnmächtig, das Wahlrecht zu erkämpfen! Tie Reichspolitik wurzelt in der Reaction der Einzclstaatcn, wenn wir diese nicht zertrümmern, kann jene sich nicht zum Besseren wenden." Diese Begründung wird nun in Nr. 75 der „Leipziger Volkszeitung" mit aller Entschiedenheit zurüctgewiesen, weil die Meinungen innerhalb der Partei über die Wahl rechtsvorgänge in den Einzclstaatcn noch nicht hinreichend geklärt seien, um ein abschließendes Wort in dieser Sache zu sprechen: die Wahlrcchtsbewcgnng in den Einzelstaaten sei noch gar nicht genügend abgeschlossen, um darüber theoretisirenzu können, und für eine praktische Entscheidung sei der gegenwärtige Augenblick so unglück lich gewählt wie nur möglich. Der entscheidende Gesichts- punct für die Ablehnung ist die Furcht, das; die bayerische Wahlrechtsfragc, nm deren willen der Vor schlag des „Vorwärts" hauptsächlich gemacht worden ist, die Solidarität und Einigkeit der Genossen stören werde auf einem Parteitage, der sein soll „zunächst und haupt sächlich einKampftag, der die unmittelbare Taktik Ver einheitlich geschlossenen Soctaldcmokratie gegen die Feinde ringsum bestimmen soll." Da hier aber die Kugel im Nollen sei, so werde für die parlamentarische Haltung der bayerischen Fractivn Alles, was auf dem Parteitage ge redet werde, keine praktischen Folgen haben können. — Das ist gewiß ein schlagendes Argument gegen den Wunsch des „Vorwärts", der sich immer noch nicht überzeugen lassen will, daß die bayerischen Genossen unter der Führung von Vvllmar's entschlossen sind, ihre eigenen Wege zu gehen, so viel auch Herr Bebel dagegen reden und schreiben mag. Was die specifisch sächsischen Ver hältnisse anbctrifft, so laufen die Ausführungen der „L. Volksztg." am letzten Ende auf eine Bankcrotter- klärung der sächsischen Socialdcmokratie hinaus. Ausdrücklich betont die „L. Volksztg": „Bei all der Verschiedenartigkeit der Vorgänge in Württemberg, in Vaden, in Hessen und nicht zuletzt in Sachsen ist ein gemeinsames Resultat unverkennbar: „Die Aussichts- losigkeitjederWahlrechtsreform indem o- kra tisch cm Sinne, wenigstens mit rein parlamentarischen Mittel n." Denn die herrschenden Classen würden nie zugcben, daß die Social demokratie sich durch parlamentarische Diplomatie eine wesentliche Machtverschiebung in den gesetzgebenden Körperschaften „erschleichen" werde." DiesesZ ugeständ- nißdcrOhnmacht erscheint uns immerhin bcachtens- werth, wenn wir auch Beweise dafür in der Hand haben, daß wir von der allgemeinen Anerkennung dieses Er- fahrnngSsatzes praktisch noch recht weit entfernt sind. Vor aus liegt imAugcnblick ein Flugblatt, welches jetzt überall im Lande verbreitet wird, und das lediglich auf die säch sischen Landcsverhältnisse Bezug nimmt, um die Noth- wcndigkeit socialdemokratischer Ncichstagsabgeordncter 5» beweisen. Der wichtigste Passus in diesem Flugblatts lautet: „Volk von Sachsen! Einen Einfluß auf diesen Landtag kannst Du nicht gewinnen, weil Du rechtlos bist. Aber auf die Beseitigung dieses Unrechts, des Classenwahlrcchts, kannst und mußt Du unablässig hinarbeiten, bis die schmähliche, drückende Plutolratie gestürzt ist! Eine willkommene Gelegen heit hierzu bieten die kommenden Reichstags wahlen im nächsten Jahre, bei denen mit den Volksem- rechtern und Volksausbeutcrn abgerechnet werden muß und die Stimmung des Volkes ihren Ausdruck finden soll. Nur Social demokraten dürfen aus Sachsen in den Reichstag ziehen — das würde den gewünschten Eindruck nicht verfehlen! Dem eisernen Willen des Volkes kann man nicht dauernd widerstehen." Dieser Gcdankengaug steht also in direktem Wider spruche mit der Anschauung der „Volksztg." und auch des „Vorwärts", der mit seinen Ervbcrungsversuchen nur den Schein vermeiden will, als wären die Socialdcmotraten ohnmächtig, ein demokratisches Wahlrecht zu erobern. Mit Recht weist deshalb seine Leipziger Kollegin darauf hin, daß, wenn die Socialdcmokraten in den Einzelstaaten vorwärts kommen sollen, die Beantwortung dieser Frage auf „ein ganz neues Gebiet der prole tarischen Action" führe: das soll heißen, auf eine Gewaltpolitik, für weiche die Zeit allerdings noch nicht gekommen sei. Auch dieser Hinweis auf die ultima rutio der socialdemokrutischen Agitation verdient dieselbe Beachtung, wie alle die übrigen Gcsichtspunete, die in diesem häuslichen Streite der socialdemokratischen Presse schon zu Tage getreten sind oder noch treten werden. Man gewinnt hierbei von Neuem die Ueberzeugung, daß der Socialdcmokratie zur Erreichung eines anderen Wahl rechts jedes, auch das schlechteste Mittel gut genug ist. Nach einer Mittheilung des officiösen „Dagblad" haben die gegenseitigen Bemühungen der norwegi schen und schwedischen Telegirtcn des zur Zeit tagenden U n i o n s a n s s ch n s s c s thatsächlich den Er folg gehabt, die verfassungsmäßige Grundlage für eine Verständigung in Sachen der E o n s u l a t ö r e f o r m zu Stande zu bringen. Stach Angabe des genannten Blattes sind im Laufe der letzten Wochen mehrere Plcnarvcrhand- lnngen von entscheidender Bedeutung abgehalten worden, ans denen man sich beiderseitig über die Möglichkeit ver ständigte, eine Trennung des bisher gemeinsam verwal teten Evnsulardienstes für beide Länder durchzuführen, ohne hiermit die grundsätzlichen Voraussetzungen für den Fortbestand der unioncllcn Zusammengehörigkeit zu erschüttern. Der Abschluß der Ausschußberathungen sollte bereits am Sonnabend erfolgen, bei welcher Ge legenheit man sich auch über die Frage schlüssig zu machen gedachte, inwiefern der weiteren Ocsfcntlichkcit von dem gewonnenen Verhandlungscrgebnitz Kenntnis; zu geben sei. Sollte sich die ein wenig sensationell auf geputzte Nachricht des radicalcnMinisterialorgans bestäti gen, so würde allerdings begründete Veranlassung vor- licgcn, das fernere Schicksal der ganzen Unionssragc in einem wesentlich ruhigeren Lichte anzusehen, als cs An gesichts der unaufhörlichen Hetzereien der unionsfcind- lichen Storthingslinken bisher angczeigt erschien. Wie aus einer für gewöhnlich zuverlässigen Quelle verlautet, haben sich sowohl die norwegischen wie die schwedischen Bevollmächtigten bei der Wahrnehmung ihres Mandates auf die reiu administrative Seite des konsulatsprvblems beschränkt, von eingehenderen Erörterungen über die inneren politischen Zusammenhänge zwischen cvnsulareu und diplomatischen Dienstfunctioncn jedoch von vorn herein Abstand genommen. Daß man von einem so ge nau umgrenzten Standpuncte aus bei einigermaßen gutem Willen zu einem ersprießlichen Ausgleichsvorschlage gelangen würde, ließe sich allerdings verständlich finden. Immerhin mich cs einige Ueberraschung erwecken, daß gerade der extreme Radikalismus die politische Seite der konsulatsfrage von den vfficiellen Unterhandlungen climinirt und dadurch einen seiner dankbarsten Agita- tivnsstoffe, dessen geschickter Ausnutzung man über die Hälfte aller radikalen Storthingsmandate während der drei letzten Wahlperioden zu verdauten hatte, preisge geben hat. Der Wiederaufbau der spanischen Flotte soll nunmehr ernsthaft ins Auge gefaßt werden. Vor Allem soll ein Geschwader von 16 neuen Schiffen geschaffen werden. Alle Linienschiffe sollen in England gebaut werden, vier davon nach dem Typ des alten Schlachtschiffs II. Classe „Pelayo", der im Jahre 1886 zu Wasser gelaßen wurde und ein Deplacement von 0018 Tonen» hat. Die übrigen Schiffe sollen von der inländischen Privatindustrie nach Plänen hergestcllt werden, die die Admiralität in ihren Burcanx anfertigen lassen will. Die Kosten für die sämmtlichcn Neubauten werden auf 400 Millionen Francs berechnet, von denen als erste Nate 40 Millionen ins dies jährige Marincbudget ausgenommen werden sollen. So wünschcnswcrth auch die Beschaffung einer modernen Flotte im Interesse der spanischen Landcsvertheidignng sein mag, so wenig wahrscheinlich erscheint jedoch die Mög lichkeit dazu bei der gegenwärtigen Finanzlage des Lan des. Freilich heißt cs, daß man zur Beschaffung der erfor derlichen Mittel keine neuen Verbindlichkeiten ciugchen nnd deshalb auch keine Anleihe aufnehmen werde, son dern daß man zunächst an den Patriotismus reicher Mit bürger appelliren wolle und hoffe, durch sie etwa 30 Mil lionen Francs für die ersten Baurathen aufzubringen, aber dieser Anöwcg erscheint doch so wenig zuverlässig, daß wir nicht daran glauben können, ein ernsthaftes Mini sterium werde ihn zur Basis seines Flottcnprogramms wählen. - - > ' Deutsches Reich. S Berlin, 1. August. (Naive I n tr i g u a n t e n.) Die klerikale Presse möchte den Fall Löhning be nutzen, um die „Hakatisten" bei der Negierung anzuschwärzen, indem sie die ersteren beschuldig;, gegen hochstehende Beamte zu intriguircn. So sollen die „Hakatisten" die Absicht haben, den gegenwärtigen Ober präsidenten von Posen, Herrn v. Bitter, aus dem Sattel zu heben, weil er die von ihnen ans ihn gesetzten Hoff nungen nicht erfüllt habe, und weil ihm insbesondere die Beseitig nngdesErzbischofsv. Stablewski nicht gelungen sei. Die „Köln. Volksztg." sollte die „Hakatisten" doch nicht für so dumm halten. Es war wohl politischer Naivität möglich, den vr. v. Stablewski auf den Posener Erzbischofsstuhl zu bringen, aber eS wird auch dem klügsten und geschicktesten Oberpräsidentcn unmöglich sein, ihn von dort zu entfernen. Und von einem Menschen, ohne Hintergedanken, etwas Un mögliches zu begehren, ist immer eine Dummheit. Also ans diesem Grunde grollen die „Hakatisten" Herrn v Bitter gar nicht. Wenn sie aber sein Verhalten in der Löhning-Affäre nicht loben können, so haben sie damit schon darum Recht, weil man ja sicht, wie Polen nnd Polenfrcunde den Fall ausnutzen. Wir wußten aber bis her noch nicht, daß der offen gegen einen Beamten er hobene Tadel eine Jntrigue gegen denselben wäre, denn das charakteristische Merkmal der Jntrigue ist doch wohl die Heimlichkeit: die „Köln. Volksztg." könnte sich m über dies Kapitel einige Privatlectioncn von ihren jesuitischen Freunden geben laßen. * Berlin, 1. August. (Die Militärtauglichkeit der Berliner Bevölkerung.) Der Bericht über die Be deutung der landwirthschafttichen Bevölkerung für die Webr- krast deS deutschen Reiches, den der Deutsche Landwirth- schaftsrath kürzlich herauSgegeben hat, enthält in seinen Anlagen u. A. auch eine Untersuchung von vr. Dade über die Militärtauglichkeit der Berliner Bevölkerung. Danach konnten in Berlin unter 100 abgeferttgten Militär- Pflichtige!, im Durchschnitt der fünf Jahre 1896 bi» 1900 nur 32 als tauglich ausgrhoben werden, während gleichzeitig auf 100 abgrfertigte Militärpflichtige in der Provinz Brandenburg ohne Berlin 53 Taugliche, in der Provinz Ostpreußen 67 Taugliche und im Deutschen Reich 52 Tauglich« kamen. Rechnet man zu diesen Rekruten nun noch die der Er- satzresrrve überwiesenen Gestellungspflichtigen hinzu, so sind von 100 abgefertigten Militärpflichtigen, abgesehen vom Landsturm, al» dieustbrauchbar befunden: in Berlin 38, in Brandenburg ohne Berlin 68, in Ostpreußen 80 und im Deutschen Reich 69, die Militärtauglichkeit der Berliner Bevölkerung würde sich also zu der von Brandenburg ohne Berlin und zu der von Ostpreußen wie 1:1,8:2,1 verhalten, oder mit anderen Worten, di« Provinz Ostpreußen, deren Bevölkerung noch zu drei Vierteln auf dem Lande wohnt, würde relativ doppelt soviel Rekruten liefern wie Berlin. Auch würde die Militärtauglich, kett der Berliner Bevölkerung weit unter der durchschnittlichen Taug lichkeit der Gejonimtbevölkerong de» Deutschen Reiche» stehen. 53 Proc. oder über die Hälfte aller abgeferttgten Gestellungspflichtigen in Berlin mußten 1900 dem Landsturm überwiesen werden. Tie Corre spondenz des Deutschen Lanbwirthschaftsrath» fügt diesen Betrach tungen hinzu: „Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß unter den Grstellungspflichtigeu iu Berlin auch Personen länd licher Herkunft sich befinden, welche nach den Untersuchungen von vr. Bindewald in den Städten Halle, Hannover und Linden 38 Proc. aller Gemusterten betragen. Bon der Gesammt- bevölkcrung Berlins sind fast 60 Proc. außerhalb Berlins geboren, und von diesen stammen fast vier Fünftel oder die Hälfte der Berliner Bevölkerung au» den östlichen Provinzen. Würde man die Militärtauglichkeit der iu Berlin geborenen Ge- stellungspflichtigen sür sich untersuchen, so würde die Döcadence(l) oder physische Entartung (!) der Berliner Bevölkerung mit Rücksicht auf ihre Wehrkraft zweifellos noch schärfer al» iu den obigen Zahlen hervortreten." DaS reizt die „Berk. N. N." zu folgenden Bemerkungen: Bekanntlich muß sich die Statistik viel gefallen lassen; ein bekannter englischer VolkSwirlh hat einmal boshaft die Stei gerung gemacht: lie, llumnecl Iw, statiLtio (Lüge, verdammte Lüge, Statistik). Selbstverständlich wollen wir einen so groben Vorwurf nicht im vorliegenden Falle erheben. Aber iu der selben Sache werden oft total verschiedene Zahlen heraus- gerechnet, wie ja auch Professor Brentano nachzuweisen ge- gesucht hat, daß die Städte und die Industrie mehr Militär- taugliche stellen al» daS Land nnd die Landwirthschaft. Wir halten cS jedenfalls sür sehr bedenklich, wenn auf Grund be streitbarer Zahlen agrarisch-tendenziös die Berliner Be völkerung verächtlich mit „Decadence" und „physischer Ent artung" gebraubmarkt werden soll. — Im nächsten NeichSetat wird, so hofft man, der Betrag für Unterstützung deutscher Schulen im AuS- lande eine nicht unbeträchtliche Erhöhung erfahren. Unter Anderem ist dies wichtig auch für die Donauländer. Dort sind namentlich auch auf den Werften deutsche Arbeiter und deutsche Beamte jahrein jahraus thätig, durch auskömmliche Unterstützung der deutschen Schulen wird am besten dafür gesorgt, daß der Zusammenhang mit dem Vaterlande und das Interesse für dasselbe lebendig erhalten wird. Die Italiener — obgleich finanziell in nicht besonders günstiger, jedenfalls nicht in besserer Lage als wir Deutsche — lassen die Unterstützung ihrer Schulen im Auslande sich sehr am Herzen liegen. — Von einem Besuche Kitchener'S in Deutschland, den angeblich Kaiser Wilhelm wünsche, fabelt die „Liver pool Post". Dem Blatt zufolge „hofft" Kaiser Wilhelm, Kltchener werde, ehe er nach Indien abreist, Deutschland besuchen. Der Kaiser habe Kitcbener persönlich versichern lassen, die deutsche Armee würde sich freuen, Gelegenheit Fenilletsn. i3j Zwei Welten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck Verbote». Dvctor Baumann zündet sich mit einer gewissen Um ständlichkeit eine Cigarre an und bläst den Rauch in dichten Wolken vor sich hin. „Das muß in der That ein wunderlicher Abend heute gewesen sein", sagte er dann nach einer längeren Pause, „auch mir hat er die Augen geöffnet, und ich muß mit Dir sagen, wenn auch mit schwerem Herzen: Gott sei Dank." „Auch Dir?" „Ja, Mollinar, ich war nahe daran, eine große Dumm heit zu begehen." Er scheint zu wetteren Mittheilungcn nicht geneigt, aber die ehrlichen Augen können einen trüben -kusdruck nicht verbergen, und Fritz fragt nicht mehr. Eine größere Gesellschaft betritt lachend und schwatzend das Neben zimmer. Fritz erkennt sofort Herrn Koralli's aufdring liche Sprache. Durch die Thür, die jetzt weit gcöffuct steht nnd der gegenüber man Platz nimmt, erblickt er einen großen Hut mit rvther Feder, darunter ein jäh crröthcndcs Gesicht. Anch Doctor Zeltler, der Assistenzarzt, der Ellida behandelt hat, ist unter der Gesellschaft, nnd der Direktor, diesmal ausnahmsweise ohne die Fran Mutter, die gewiß von dem anstrengenden Villctvcrkauf der letzten Tage noch zu ermüdet ist. Ein älterer Gönner bestellt einige saftige Beefsteaks für die Kunstrcitcrfamilie, die nach der Arbeit stets großen Hunger spürt, und Wein. Die beiden Freunde haben das Local verlassen und trennen sich draußen mit einem kurzen Händedruck. Circus Brotti-Wellhoff hat die Stadt verlassen. Gleich mäßig sind die Tage und Wochen dahingeslosscnc Frau Mollinar hat an einer schweren Erkältung darnieder- gelcgcn. Gabriele ist wieder einmal Krankenpflegerin ge wesen. Fritz hat die Mutter im Hause nicht vermißt. Gabriele besorgt ihm Alles, wie er es liebt und gewohnt ist. Ueberall spürt er das Wirken ihres Geistes, eines stillen, unsichtbaren Geistes. Nur an der Behaglichkeit, die er über die ganze Wohnung verbreitet, merkt man, daß er da ist. Ihm allein steht Gabriele noch immer in derselben kühlen Weise gegenüber, bei der jede Annäherung unmög lich ist. Und er macht ihr das nicht schwer. Alle häusliche Arbeit und Plage aber hat sie nicht abgehalten, dem vor gesteckten Ziele nachzustrebcn. Sie hat ihre Vorbercitungs- curse beendet. Sie würde jetzt gern abreisen, aber Frau Mollinar erholt sich so langsam und schwer, sie darf nicht daran denken, sic zu verlassen. So sind Monate vergangen. Es ist ein Tag im Anfang des Aprils. Ein weicher, warmer Windzug spielt durch die kahlen Bäume. Dann nnd wann ein kurzer Regen schauer hinein in das erste Athmen und die erste Regung des erwachenden Lenzes. In dem Ziimner des DoctvrS steht den ganzen Tag das Fenster auf. Es thut ihm wohl, wenn er bei der Heimkehr ans der Schule den Mittags schein ans seinem Schreibtische über den bestaubten Büchern blinken sicht. Er träumt dann von einem sonnigen Glücke, das sich auch noch einmal über sein Leben gießen möchte. Als er aber heute in seine stille Arbeitsstube tritt, sieht er von alledem nichts. Ein großes amtliches Schreiben, das auf dem Tische liegt, zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. Er öffnet cS mit zitternder Hand. Es enthält seine Be rufung an das königliche Gymnasium nach Mccrsbcrg. Das, wonach er sich gesehnt, was er erstrebt alle die Jahre hindurch, ist jetzt wahr und wirklich geworden! Warum hat er für diese Freudenbotschaft nur ein so müdes Lächeln'? Die Mutter ist die Erste, der er seine Ernennung über bringt. Sie ist viel glücklicher als er selber. Auch als sie merkt, das; seine Freude nicht so ganz aus dem Herzen kommt, verliert sic die ihre nicht. Gabriele sagt er es nicht persönlich. Sie hört es von der Mutter. Aber als er zu Tisch kommt, hat sie kein Wort für ihn. Auch während des Essens bleibt sie schweigsam. Er ist aufgestanden und in sein Arbeitszimmer ge gangen. Nachdenklich und ernst steht er am offenen Fenster. „Fritz", ertönt da mit einem Male eine bekannte Stimme neben ihm. Als er sich schnell umblickt, steht Gabriele vor ihm. Das Licht der Mittagssonne liegt auf der stillen Stirn und spielt über ihren goldenen Scheitel. „Gabriele." Von alledem, was in diesem Augenblick durch seine Seele wallt und wogt, merkt man seiner Stimme nichts an. „Ich wollte Dir meinen Glückwunsch bringen. Es ist ein großes Glück für Dich und Deine Mutter." „Ich danke Dir, Gabriele." „Dann wollte ich Dir sagen, daß ich eben ein Tele gramm aus Wurow erhalten habe. Der Onkel ist krank. Ich muß heute noch abreisen." Und als sic das sagt, da ist ihr Antlitz so bleich, daß es im Scheine der Sonne, die eben von ihrer Stirn herab über ihre Züge huscht, wie vergeistigt erscheint. Er sieht davon nichts. Nur diese Wvrtz hört er und diese nieder schmetternde Botschaft. „Heute noch?! tziabricle!" Es muß wohl eine cigenthümliche Empfindung durch diese Worte geklungen sein. „DaS wird Dich doch weiter nicht berühren. Du gehst ja nun auch bald an Deine neue Wirksamkeit." „Ja, gewiß, ja, ja, darin hast Du freilich Recht. Aber daß Du nun von nns willst, gerade jetzt, man gewöhnt sich doch schließlich aneinander, wenn man so Tag aus, Tag ein zusammenlcbt. Und dann, die Mutter! Die wird es am meisten bedauern. Sie ist immer noch kränklich. Und jetzt oft so hilflos, findest Du cs nicht, Gabriele?" Und nun mit einem Male all' diese Ausflüchte jäh über den Haufen werfend, mit einem Ton, in dem sein ganzes wahres Fühlen haltlos und stark sich Bahn brach: „Thu cs nicht. Bleibe bet nns, Gabriele!" Und als sie den Kopf schüttelte: „Du mußt bei uns bleiben! Nicht Deinetwegen, nicht der Mutter halber, meinetwegen mußt Du bleiben! Ich weiß nicht, wie ich ohne Dich leben soll, Gabriele. Du hast cs ja längst ge sehen, gemerkt, wie lieb ich Dich habe, wie unaussprechlich lieb." „Du — mich - lieb?!" Und Gabriele zuckt zusammen und durch die ruhigen Augen flammt cs. „Du mich?! Kannst Du so schnell vergessen?" „Vergessen, was?" „Dieses Mädchen, das zwischen uns gestanden hat, zwischen uns stehen wird unser Leben lang, diese Gauklerin aus dem Circus." Und sie will sich schnell von ihm wenden. Er aber faßt sie bet beiden Händen, nnd als fürchte er, daß sie ihm noch entrinnen könne, läßt er sie nicht mehr los, während er jetzt, trotz der Leidenschaft, die in ihm wach geworden, langsam mit verhaltener Stimme zu ihr beginnt: „Einen Augenblick, (tzabricle. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß wir Beide miteinander so sprechen. Höre mich ruhig an und dann entscheide! Es ist wahr, dieses Mädchen, dem Du nie ganz gerecht geworden, und heute
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