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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020804024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
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Abend-Ausgabe NWM TlMbllck Anzeiger Nr. 382 Montag den 4. August 1902. Haupt-Filiale Serlin: Königgräberstraße 118. Fernsprecher Amt VI Nr. 3393. Amtsblatt -es Königlichen Land- nn- Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nn- Notizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus.H 5.30. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährliche?8, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. -s-»- > Re-action und Expedition: Iohannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 822. Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. —— Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. 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Es ist ein langathmigeS Schriftstück, das mit dem derzeit eifrigst ausgenutzten Agi tationsmittel, dem Zolltarif, und mit den üblichen Dresch phrasen beginnt: „Einfluß des skrupellosesten AuSbeuterthumS, ein Hohn auf alle sociale Politik, ein Wuchergesetz im buch stäblichen Sinne des Wortes" u. s. w. lieber die social demokratischen Initiativanträge wird gesagt: „Entgegen den Behauptungen unserer Gegner, daß unsere parla mentarische Thätigkeit sich in einer angeblich unfruchtbaren Kritik erschöpfe, während wir praktisch nichts zu schaffen vermöchten, hat die Fraction bei passender Gelegenheit inimer aufs Neue die Initiative ergriffen, bestehende Mißstände durch ausgearbeitete Gesetzentwürfe zu beseitigen und unsere Gesetzgebung im Geiste der Zeit zu refor- miren. Zwar berührt uns das Gebelfer über die angeblich „unfruchtbare Kritik" in keiner Weise .... Unsere Initiativanträge find der Ausdruck der vielen dringenden, aber bisher unerfüllt gebliebenen Forderungen des Volkes, speciell der Arbeiterklasse, und wenn wir, unter allen Fraktionen, die meisten Anträge gestellt haben, erscheint dies nur als ein neuer Beweis für den Stillstand der Gesetzgebung auf den wichtigsten Gebieten." Zum Schluffe wird angekündizt, das Streben der Regie rung, den Zolltarif noch vor Ablauf des Mandats des jetzigen Reichstags — 20. Juni 1903 — fertigzustellen, müsse „mit allen Mitteln zu Schanden gemacht werden". Ueber den „Wuchertarif" müsse die Wählermasse selbst ihr Unheil sprechen. Man fleht hieraus, daß Herr Bebel über die schutzzöllnerischen Anwandlungen der Genossen Hoch, Schippel, Kautöky, Bernstein und ihrer Anhänger seelenruhig zur Tagesordnung übergeht und der Meinung ist, der Parteitag werde diesen Herren die Gelüste nach Schutz rer nationalen Ausbeuter so gründlich auStreiben, daß sie nicht wagen würden, bei Neuwahlen zu Gunsten des „Wuchertarifs" einzutreten. Ob die Thatsachen den Erwartungen des Herrn Bebel vollständig entsprechen würden, ist allerdings fraglich, denn allmählich haben doch recht weite socialdemokratische Kreise einsehen gelernt, daß Handelsverträge gerade für die deutschen Arbeiter eine Nothwendigkeit sind und daß der Zolltarif ein unerläß liches Instrument zur Erreichung von Handelsverträgen ist. Andererseits ist aber die socialdemokratische DiSciplin noch eine so stramme und haben widerspenstige Genossen bei wichtigen Fragen sich schon so oft dem FractionS- zwange unterworfen, daß es immerhin fraglich bleibt, ob Herr Bebel einen starken Abfall zu erwarten haben würde, wenn er bei ReichStagswahlen die Parole der Lebensmittel- vertheuerung auSgeben könnte. Es wäre daher ein recht gewagtes Spiel, wenn die bürgerlichen Parteien, die mit dem RegierungSentwurfe nicht ganz zufrieden sind, statt sich in vernünftiger Bescheidung über den Tarif zu einigen und ihn bis zum Frühjahr 1903 durchzusetzen, was sehr wohl möglich ist, in der Hoffnung auf socialdemokratische Unter stützung bei Neuwahlen Herrn Bebel's Absicht, die Ent scheidung in die Hände der Wählerinassen zu legen, unter stützten. — Der socialdemokratische Bericht schließt mit den „ehernen Sätzen aus dem Kommunistischen Manifest": „Seit der Auflösung des uralten Gemeinbesitzes an Grund und Boden ist die ganz« Geschichte eine Geschichte von Llasfrukämpfen gewesen, Kämpfen zwischen auSgebeuteten und onSbeutenden, be- herrschten und herrschenden Classen auf verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung; dieser Kampf hat aber jetzt eine Stufe erreicht, wo die auSgebeutete und unterdrückte Classe, daS Prole tariat, sich nicht mehr von der sie ausbeutenden und unterdrückenden Classe, der Bourgeoisie, befreien kann, ohne zugleich die ganze Gesellschaft für immer von Ausbeutung, Unterdrückung und Classenkämpfen zu befreien!" Nach „Mauserung" der Socialdemokratie, wovon in der freisinnigen Presse jetzt so viel die Rede ist, klingen diese „ehernen Sätze" jedenfalls nicht. Der Mannheimer Katholikentag, der Ende August ab gehalten werden soll, hat bereits ein dem Centrum recht unangenehmes Vorspiel gehabt. Der Mannheimer Stadtdecan hatte nämlich einige katholischeLehrer für eine offictellc Begrüßung der zum Katho likentag erscheinenden Vertreter der katholischen Lehrer vereine zu gewinnen gesucht, zunächst nicht ohne Erfolg. Die Sache war so fein eingefädelt, daß die hinzu gezogenen Lehrer sich bei -em ihnen «»gesonnenen Schritte, den sie als einen reinen Höflichkeitsact dar gestellt erhielten, in der That gar nichts Böses dachten. Bei näherem Zusehen fanden aber doch die Lehrer, denen von anderer Sette der Staar gestochen wurde, daß jeucr „Höflichkeitsact" nicht mehr und nicht weniger als der erste Schritt zur konfessionellen Trennung der badischen Lehrerschaft be deuten könnte und nach der Absicht der geistlichen Regisseure auch bedeuten sollte. Bislang vereint nämlich alle badischen Lehrer ohne Unterschied der Eonfession ein einziger und einiger simultaner Lehrcrverein, und die Herren befinden sich dabei außerordentlich wohl. Nur die katholische Geistlichkeit kam, da sie auf diesen Verein natürlich nicht den geringsten Einfluß ausübtc, nicht auf ihre Rechnung, und daher der schlau verhüllte Sprengversuch. Sobald aber die eigentliche Absicht klar wurde, beriefen einige katholische Lehrer eine Versammlung sämmtlicher katholischer College», zu der auch die vom Stadtdecan bereits gewonnenen Herren in der Mehrzahl erschienen. Nach ebenso ruhiger wie energischer Aussprache einigte man sich mit 96 gegen 2 Stimmen über die Erklärung, daß die Begrüßung von Lehrern katholischer Vereine durch Mitglieder des simultauen badischen Lchrervercins als dessen Grundsätzen zuwiderlaufcnd zu unterbleiben habe. Dieser Beschluß, der sich als eine entschiedene Zu rückweisung der ultramontancn Asvirationen kennzeichnet, ist im Interesse -cs badischen Lchrcrstandss wie auch der Schule zu begrüßen und findet überall freudige Zu stimmung, wo man von konfessioneller Gegensätzlichkeit in Dingen, die mit der Kirche und deren Lehren gar nichts zu schaffen haben, nichts wissen will. Das Centrum frei lich ist sehr euttäuscht und niedergeschlagen. Sein Organ, der „Bad. Beobachter", meint rcsignirt dazu: „Das wird zu ertragen sein." Gewiß, denn es bleibt ja nichts Anderes übrig. Aber — es wäre doch zu schön ge wesen! Das energische Vorgehen des französischen Cabinets gegen die Mönche und Nonnen, die sich den Bestimmungen des Waldeck-Rousscau'schcn Vereinsgesetzes nicht fügen wollen, hat einen neuen Auszug von Ordens genossenschaften nach Belgien zur Folge. Viele von ihnen haben schon wieder prächtige Besitzungen er worben, andere stehen wegen des Erwerbes von solchen in Unterhandlungen. Tie Aufzählung der Liegenschaften und Schlösser würde eine lange Liste ergeben. Dieser er neuten Einwanderung sieht man aber im Allgemeinen rn Belgien durchaus nicht freudig entgegen. Sogar die zahl reichen französischen Gesellschaften, die sich gleich nach dem Erlasse des Gesetzes dort niedergelassen haben, zeigen eine gewisse Beunrnhigung» da ihre Lage in den kleinen Ort schaften von Tag zu Tag schwieriger wird und sich durch weiteren Nachschub noch zu verschlimmern droht. Die kleinen Städte, in denen persönliche und materielle Inter- essen vorwiegen, nahmen zuerst die Einwanderung freudig auf, da man sich von dem erhöhten Verbrauch durch die reichen Klostcrleute goldene Berge versprach. Tie meist überstürzten und kostspieligen Erwerbungen von Grund- eigenthum hatten einen vortrefflichen Eindruck gemacht und lieben auf eine freigebige Hand schließen. Tiefer Irr- thum dauerte jedoch nicht lange. Man entdeckte, daß an den nunmehr eingenisteten Gästen nicht viel zu verdienen war, und das Mißvergnügen wurde ziemlich allgemein. Es zeigte sich nicht zuletzt bei dem einheimischen Klerus. Tie fremden Ordcnslcute, die sich zuerst ziemlich still verhalten hatten, eröffneten bald Capellen, die fromme Seelen und vor Allem freigebige Spenderinnen anzogen. Binnen kurzer Zeit war ein Viertel der „Kundschaft" zu ihnen übergegangcn, und da letztere immer weiter anwuchs, war ein ernster Verlust für die älteren kirchlichen Stellen vvrauszusehen. Auch -er Handelsstand wurde enttäuscht. Die großen Bestellungen von Lebensmitteln und anderen Dingen blieben geflissentlich den alten französischen Liefe ranten -er frommen Väter und Schwestern Vorbehalten, die damit die politische Gesinnung ihrer Beichtkinder im Nachbarlande warm halten wollten. Kam cs einmal dazu, daß kleine Einkäufe bei einem belgischen Kaufmann ge macht werden mußten, so wurden für die Wahl dieses Glücklichen die frommen Seelen -cs Ortes zu Nathe ge zogen, die den Gesinnuttgstüchtigstcu bezeichneten, In gleicher Weise wurde bei der Auswahl von Handiverkern verfahren, denen die Ordensleute irgend eine Arbeit an- zuvertraucn gezwungen waren. Die Unzufriedenheit hat sich bis auf die Landlcute erstreckt, die vergebens erhofft hatten, die sämmtlicheu religiösen Genossenschaften mit Ge treide zu versehen. Tie kleinen Ortschaften und die Pro vinz sind jetzt aus den angegebenen Gründen zu einer an deren Auffassung über die Folgen der Einwanderung von Ordensleutcn gelangt. Nicht politische Einsicht hat diesen Wandel hcrvorgcbracht, sondern die Interessen des Geld beutels, die für den Provinzbewvhncr maßgebend sind. Ter Madrider „Imparcial" berichtete dieser Tage über eine Unterredung, die einer seiner Mitarbeiter mit dem Ministerpräsidenten Lagasta gehabt hat. Danach äußerte sich Herr Sagasta über die kirchenpolitische Frage in Spanien in ziemlich skeptischer Weise und mit un verkennbarer Verstimmung. Er erklärte, schlechterdings nicht zu wissen, ob die Verhandlungen zwischen der spa nischen Regierung und dem Vatikan über die gesetzliche Regelung des Congrcgationswescns in Spanien bis zum Wiederzusammentritt der Cortes, der für Ende Oktober zu erwarten sei, zum Abschlüsse gelangt sein werden, da der heilige Stuhl die Angelegenheit mit außerordentlicher Langsamkeit behandle. Auf deu Hinweis, daß cs den Ver einigten Staaten doch gelungen sei, die Frage, betreffend die Mönchsorden aus den Philippinen, mit dem Vatikan in kurzer Zeit zu erledigen, erwiderte der Ministerpräsident, daß auch diese Angelegenheit keineswegs schon der vollen Regelung zugeführt sei und daß man, selbst wenn ein solch' rascher Erfolg erzielt worden wäre, doch den Unter schied zwischen dem protestantischen Amerika und Spa nien, wo derartige Fragen immer mit besonderen Schwie rigkeiten, ja selbst Gefahren verknüpft seien, nicht über sehen dürfe. Sagasta machte dabei eine kurze Anspielung auf die Vorgänge in Frankreich. Aus dem weiteren Ver laufe der Unterredung wären die. allerdings knappen Be merkungen Sagasta's über die internationale Stellung Spaniens hervorzuheben. Auf die Frage, ob die Negierung irgend welche Bündnisse, beziehungsweise den Anschluß an bestehende Allianzen ins Auge fasse, ant wortete der Ministerpräsident entschieden verneinend. Spanien, so fügte er erklärend hinzu, befinde sich gegen wärtig nicht in der Lage, Verbindungen anzuknüpfen, aus denen ihm schwere Lasten erwachsen könnten. Die Aus legung, daß Spanien somit immer isolirt bleiben werde, wollte er aber nicht gelten lassen, indem er immerhin die Möglichkeit einer freundschaftlichen Anlehnung an andere Mächte cinräumte. Es werde, wie er betonte, von der Haltung der anderen Staaten abhängen, nach welcher Richtung Spanien ein solches freundschaftliches Verhältnis) für seinen Interessen entsprechend ansehen werde. Deutsches Reich. Berlin, 3. August. lZurVorgeschichte des neuen deutschen K a i s e r t i t e l s.) Professor Max Lenz erzählt in seiner jüngst hcrausgekommenen „Ge schichte Bismarck s" tDnnckcr <L Humblot, Leipzig) davon, wie B i s in arck sich Anfangs zur Kaiserfrage ver hielt. Gleich zu Beginn des Krieges, so lesen wir da, nach dem ersten Schlachttage, an dem die Bayern ihr Blut au -er Seite der norddeutschen Bundesfreunde vergossen hatten, ließ er es sich angelegen sein, die Münchener Re gierung, die schon in schweren Sorgen vor dieser Richtung des nationalen Geistes und voll Mißtrauens in Preußens Absichten Ivar, zn beruhigen. Die preußische Presse hatte bereits begonnen, von -cm Kaisertitcl für König Wilhelm zu sprechen; Gras Bismarck aber, so erklärte Herr von Thilc dem bayerischen Gesandten, Baron v. Pcrglas, habe mit Entrüstung davon gehört und Auftrag gegeben, solche Aeußerungeu zu unterdrücken. — In derselben Richtung bewegten sich in diesen Tagen die Gedanken der preußischen Cvnscrvativcn. „Daß die Bayern", schrieb Blanckenburg an Roon, „unter unseres Kronprinzen Führung den ersten entscheidenden Schlag mit gethan haben, ist die Losung der deutschen Frage. Die Einheit ist die beste." Und nicht anders dachte man in der militärischen Um gebung des Königs. Rian wünschte auch dort wohl eine größere militärische Einigung unter den deutschen Staaten, aber auf die politische Annäherung legte man, so ver sicherte der bei König Wilhelm sehr einflußreiche General v. Trcsckow dem Grasen Berchcm, der mit Prinz Luitpold dem Hauptquartiere folgte, nm so weniger Werth, als man nicht hoffen könne, dieselbe aus den conservativen Kreisen angeboren zu erhalten. . . Bismarck stellte auch diese Frage in erster Linie unter den Gesichtspunkt der europäischen Politik. Die Eröffnungen Thile's gegen den Baron v. Pcrglas waren durch eine Unterredung mit Fürst Gortschakow veranlaßt worden, der damals in Berlin weilte. Dieser hatte sich für die süddeutschen Höfe verwandt. Und so waren auch alle weiteren Verstand lungen Bismarck s über die Reichsgründung mit durch die Rücksichten auf die Neutralen bestimmt.... Der Sieg bei Feuilleton. Vas Fraulein von Saint-Sauveur. 1j Roman von Groville. t'UaLdruS verboten.! Er st es Capttel. Fräulein Antoinette und ihre bejahrte Tante blieben in der mit künstlerischen Schnitzereien verschwenderisch geschmückten Kirchenhalle der unvergleichlich schönen Kathedrale zu Bourges stehen. „Tu kennst unsere Plätze, liebste Tante", sprach sie zu ihr, „und wirst sie wohl auch allein finden, denn ich würde die Kirckic nicht mehr zu verlassen wagen, sobald der Gottesdienst begonnen l>at.". Damit ließ sic den Arm der Tante los, den sie bisher in dem ihrigen gehalten, und blieb noch eine Weile vor der Schwester ihres Vaters stehen, die sozusagen Mutterstelle bei ihr vertreten. > „Und was ist's mit der Vesper, Antoinette?" „Ach, Tantchen, der Vesper muß m-an ja nicht bei wohnen, und ich möchte mich um keinen Preis an einem so herrlichen Tage ivic dem heutigen in den Mauern dieser alten Kirche einschlicßcn. Zudem habe ich ja mein An» dachtsbuch bei mir, und ich werde mich auf der -unächst- stchendcn Bank im Garten längs der Mauer ntcdcrlassen. Von dort aus werde ich auch dem Gottesdienste folgen rönnen — wenn cs mir nämlich paßt", fügte sic im Stillen hinzu. Tas alte Fräulein von Saint-Sauveur stieß einen Seufzer aus. Ihre Nichte hatte sie schon in manch anderer Beziehung enttäuscht, und sie war immer oder fast immer gezwungen gewesen, sich dem Willen der jungen Dame zu fügen, ohne daß man ihr aber einen ernstlichen Vorwurf hätte machen können. In der Kirche begann die Orgel zu brausen, die Gläubigen strömten in das Gotteshaus, und Antoinette drängte ihre Tante mit sanfter Gewalt vor sich hin, die mit den Worten nachgab: , „Auf Wiedersehen!" Tas junge Mädchen stieg die Stufen im Vorhofe wieder hinab, schritt durch das hochgcwölbtc Eingangsthor und ließ sich, wie sie gesagt hatte, auf der ersten Bank des Gartens nieder, der sich im Schatten der alten Kathedrale friedlich und still ausdchntc. Antoinette empfand das Bedürfniß, allein zu sein und ungestört nachzudcnken. In dem Hause ihres Vaters, in dem sie förmlich vergöttert wurde, hatte sie nur wenig freie Zeit; denn stets mußte sie den Hausgenossen zur Ver fügung stehen, da sie Niemand entbehren zu können schien. Ihre Tante, die bedeutend älter war als sie, überließ ihr allmählich die ganze Leitung eines großen Hauswesens, !>i dem viel und oft Gäste gesehen wurden. Herr von Saint- Sauvenr widmete fast seine ganze Zeit ausschließlich der Bewirthschaftung seiner ausgedehnten Besitzungen in der unmittelbaren Nähe der Stadt Bourges, und es herrschte daher auch nur an den Sonntagen während der Sommer monate, sowie während der rauhen Jahreszeit reges Leben in dem alten, bequemen Hause, das die Familie in der Stadt besaß. Wie hätte Antoinette unter solchen Um ständen Gelegenheit gehabt, sich mit den eigenen Ange legenheiten zu beschäftigen? Sie empfand eine kindische Freude darob, daß ihre kleine Kriegslist so trefflich gelungen war; der Schatten der alten, großen Bäume, das Zwitschern der über ihr dahinschießendcn Schwalben gaben ihr ein Gefühl der Sammlung und der Freiheit zugleich. Der freie Platz vor der Kathedrale war fast menschenleer; denn die ganze Be völkerung der Stadt drängte sich dem großen Jahrmärkte zu, der heute abgcstaltcn wurde, und dessen Lärm in ge dämpften Lauten bis hierher drang. Antoinette lehnte sich bequem zurück, öffnete ihr Buch und blickte durch die Lücken der Baumblätter zu dem blauen Himmel empor. Wie köst lich, an diesem schönen Orte so allein zn sein. Schloß Saint-Sauveur wog das zwar nicht auf; aber immerhin war sie allein! Die Orgcltönc setzten mächtig ein, und die Sänger stimmten den Psalm „Israels Auszug aus Egypten" an. Durch eine merkwürdige Verkettung der Ideen er schienen all' die von Pierre Lott so herrlich beschriebenen Oric: der Berg Sinai, das Rothe Meer, sodann Jerusa lem und die fruchtbaren Ebenen von Judäa, mit einem Male vor ihrem geistigen Auge. . . . Wie gern wäre sie gereist, hätte sie unter sachkundiger Leitung all' die Stellen aufgesucht, die der große Schriftsteller so anschaulich und herzergreifend zu schildern verstand! Jetzt ließ sich in ihrer unmittelbaren Nähe eine männ liche Stimme vernehmen. Antoinette schloß mit rascher Bewegung ihr Buch und blickte den Ankömmling an. Es war daS «in schöner, großer, junger Mann von etwa dreißig Jahren; seine Gesichtsfarbe war von Wind und Wetter etwas gebräunt, doch die kurzgeschnittencn Haare setzten bei einer untadclhaft weißen Stirn an. Seine blauen Augen und der ganze Ausdruck seines vor nehm geschnittenen Gesichtes verriethen Offenheit und Rechtschaffenheit. Antoinette konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als sie seiner ansichtig wurde. Er kam nicht gerade linkisch, aber etwas unsicher näher, da er ja nicht wußte, ob seine Anwesenheit erwünscht sein würde. „Base Antoinette", begann er zögernden Tones, der mit seiner ganzen männlichen Erscheinung in auffallendem Widerspruche stand. „Guten Tag, Vetter Landry!" erwiderte sie. , „Ich kam an der Kirche vorüber, als Ihre Tante hineinging .. . und da dachte ich mir. daß ich vielleicht. . . Doch gehe ich gern meiner Wege, wenn ich Ihnen lästig bin . . ." „Nein, lästig sind Sie mir nicht", gab sie nachlässig zur Antwort. Und nach kurzem Besinnen fügte sic mit einem Male hinzu: „Sind Sic dessen ganz sicher, daß wir Vetter und Base sind ?" „Allerdings, im fünfzehnten oder siebzehnten Grad", gab Landry von Villorv ohne jede Verwirrung zur Ant wort. „Unsere Mütter hingen mit großer Liebe an einander", setzte er nach kurzer Pause hinzu. Die Orgel erklang gewaltig in der Kirche, allein An toinette achtete dessen nicht mehr. Vor ihrem geistigen Auge waren zwei fchöue, junge Frauen aufgetaucht, die, sich vertraulich zueinander neigend, sich in dem beginnen den Dämmerlicht allerlei kleine Geheimnisse anvcrtrautcn, die man nur einer guten Freundin sagt. Zuweilen kam Landry dazu, der sich an den Stuhl seiner Mutter lehnte, die ihm mit liebkosender Hand über das lockige Haar strich, ohne sich in ihren Mittheilungcn zu unterbrechen. Er war damals ein schöner, schlanker Junge, den die Mutter mit einem Kuß aus dem Zimmer schickte, während Antoinette, die noch ganz klein war, weiter zn den Füßen der ihrigen kauern durfte. Ja, ihre beiden Mütter hingen mit großer Liebe an einander. Sic liebten sich ja schließlich auch, wie es sich unter guten Freunden geziemt, und dennoch war das junge Mädchen nicht ganz ohne Sorgen über das Ende dieser Freundschaft, die es von Seiten des jungen Mannes weniger stürmisch gewünscht hätte. „Ich habe Sie gesucht, Base Antoinette", sagte Landry, indem er sich neben sie setzte. „Ich weiß nicht, wie das in der Welt zugcht; doch kann man keine zwei Worte un gestört mit einander wechseln. Vielleicht müßte die Ge legenheit zu einer ungestörten Aussprache wechselseitig ge sucht werden, und ich bin der alleinige der beiden Theilc, der eine Zusammenkunft herbeiwünscht." „O nein, Vetter Landry; ich freue mich ja immer, wenn ich Sic sehe." Das Gesicht des jungen Mannes verklärte sich förmlich. „Wirklich?" sagte er. „Nun, dann will ich ganz offen und rückhaltlos mit Ihnen sprechen." Tas Gesicht des jungen Mädchens hatte sich verdüstert, ohne daß er darauf geachtet hatte, und unbefangen fuhr er zu sprechen fort: „Wir sind keine Kinder mehr. Obschon wir seit unserer frühesten Jugend neben- und miteinander gelebt haben, könnte ich nicht mehr ohne Sie leben. Und wenn Sie ge neigt wären, Ihren Namen gegen den meinigen zu ver tauschen, so wird Ihr Vater — glaube ich — keine Schmie rigkeiten machen. Ich darf wohl ohne Selbstüberhebung behaupten, daß er mich liebt, unsere Besitzungen stoßen hart aneinander, und ich glaube, daß cs am besten wäre, diese mit einander zu vereinigen. Denn heirathcn werden Sic ja schließlich, Base, nicht wahr?" „Gewiß", gab sie langsam zur Antwort. „Heirathcn werde ich, das ist einmal sicher. Aber nicht Sie", setzte sic nach einer kleinen Pause hinzu. Landry war erblaßt, dann crrüthet und wieder erblaßt; allein, er mar ein richtiger Franzose, einer von denen, die selbst nach der erlittenen Niederlage weiterkämpfen. „Weshalb wollten Sie gerade mich nicht heirathcn?" fragte er, nicht ohne jeden Verdruß. Antoinette wendete ihm das feine, vornehme Oval ihres reizenden, von herrlichem, kastanienbraunem Haar um rahmten Gesichtes zu, und ihre schönen, braunen Augen hefteten sich einen Moment mit rechtschaffenem Ausdruck auf den jungen Mann. „Lieber Vetter", erwiderte sic, „ich habe mir in meinen Träumen ein ganz anderes Leben zurecht gelegt. Da Sie rückhaltlose Offenheit fordern, so soll sie Ihnen werden. Ich will in Paris leben, will an dem regen, geistigen Treiben daselbst theilnehmen, denn ich fühle mich sehr wohl fähig, einen Thcil des sogenannten Tont-Paris auszu machen. . . ." „Tont-Paris?" fragte Landry. „Tas verbringt ja acht Monate vom Jahre auf dem Lande oder im Süden, und das können mir ebenso gut besorgen." „Nein, nein", wehrte Antoinette sanft ab. „Sie sind
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