01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020805010
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-05
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Karl Petcrsin der Londoner „Finanz-Chronik" die folgende Ausführung, die nm so mehr Beachtung verdient, je mehr sie in wesentlichen Punkten mit dem übereinstimmt, was andere Kenner der Verhältnisse in Südafrika äußern: Hochinteressante Nachrichten treffen aus Südafrika ein, welche uns ermöglichen, über die Gestaltung der dortigen Berhältnisse in der nächsten Zeit eine deutlichere Au« schauung zu gewinnen. In der Capcolonie setzt sich die Bewegung für Aufhebung der Berfassung unter den An« Hangern des verstorbenen Mr. Rhodes, trotz des negativen Entscheides der britischen Regierung, fort. Dies ist ein Zeichen dafür, wie wenig sicher die eigentlich englische Partei in Südafrika sich gegenüber den oppositionellen Elementen fühlt. Denn, wenn die Loyalisten es für nöthig halten, die Capcolonie von der Stellung eines sich selbst regierenden Gemeinwesens in die einer einfachen K-on« depcndenz zurückzuschrauben, so giebt dies kein gerade rosiges Bild von dem Selbstvertrauen dieser Partei in ihre eigene Vorherrschaft. Dazu kommt, daß über der Frage der Suöpendirung der Verfassung eine Spaltung in ihren eigenen Nethen cingerissen ist. Sir Gordon Sprigg, der Premierminister, mit seiner Gefolgschaft ist bekanntlich ein Gegner der Verfassungsaufhcbung und setzt sich damit in Gegensatz zur Mehrheit derjenigen Partei, welche ihm die Führung der Geschäfte übertragen hat. Alles dies läßt darauf schließen, daß der Asrikandcr-Bvnd zum ausschlag gebenden Factor in den Angelegenheiten der Capcolonie ^ür die nächste Zeit werden wird. Noch interessanter ist, was wir aus den neuen Colonien hören. Dorthin strömen die Bocren von St. Helena, Ceylon und Bermudas, wie aus Lissabon und anderen Theilen der Erde jetzt zurück, und überall wird mit dem Wiederaufbau von Farmen und der Neubcackcrung -er Ländereien begonnen. Es wird gemeldet, daß diese Ele« mente einen Theil ihres früheren NassenstolzeS verloren haben und nur begierig seien, Haus und Hof wieder zn beschaffen. Einzelne von ihnen haben in der Kriegs gefangenschaft ihre alten.Farmen unter dem Eindrücke (falscher Vorspiegelungen durch gewissenlose Specnlanten Air Spottpreise verkauft. Andere lnipothckisiren ihren Besitz, nm mit dem Bqargeld.au den Börsen von Jo- Imnncsbnrg und Kimberley zu spcculiren. Die große Mehrheit aber benutzt die gebotenen Erleichterungen zn Anleihen von der britischen Regierung, für Weib und Kind ein neues Heim zn schaffen. Die erstere Kategorie blickt über den Atlantischen Occan, um in Argentinien oder Nordamerika eine neue Heimath zu gründen. Die Anderen haben zur Zeit viel zn viel mit den Sorgen des Tages (zu thun, um sich mit den Fragen der großen Politik be fassen zu können. Wo Häuser gegen die Unbill des süd- afrikanischen Winters zn errichten oder Felder für den Bau von Getreide und Gemüse zu beackern sind, hat der Geist nicht viel Muße, sich mit -er Politik zu befassen. Interessant im Zusammenhang dieser Arbeiten ist die Nachricht, daß Lord Kitchener, d. h. der Militärfiscus, seine sämmtlichcn Blockhäuser an Lord Milncr, d. h. den Civilfiscus, für 10 Pfd. Sterl. das Stück verkauft hat. Die Balkcu, das Wellblech, der Stacheldraht, so meint man mit Recht, werden gute Dienste für die Neubcbauuug des Landes leisten. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir die interessante Thatsache, daß im Ganzen etwa 6000 Block« Häuser errichtet waren. Wenn die deutschen Leser sich eine Vorstellung von dem socialen Zustande in diesen Ländern machen wollen, darf ich an die Schilderung des Auswandc- rungsznges in Goethe's „Hermann und Dorothea" ver weisen. Einmal wieder haben wir das pittoreske Bild einer wandernden und sich häuslich cinrichtcnden Ge meinde vor unseren Augen. Nur müssen wir nicht annehmen, daß in diesen Massen die politischen Jnstinctc der niederdeutschen Rasse erloschen feien. Die Bocrenführer fühlen sich nicht als cndgiltig Besiegte. „Wir haben unsere Waffen und unsere Flagge begraben", sagte De Wet in Capstadt, „aber unsere Ucberlicfcrungen haben wir nicht begraben." LouiS Botha erklärte vor wenigen Tagen in Pgarl: „Süd, afrika ist jetzt unter einer Flagge. Was sollen wir jetzt thun? Sollen wir sagen, wir sind besiegt? Nein. Dunkel heit ist vor «nS, aber Hoffnung und Vertrauen werben uns htnburchleiten." Solche Stimmungen und Ueber- zengungen sind nur verständlich und wir dürtfen ihnen nicht allzugroße politische Bedeutung beilegen. In gleichem Sinne äußerten sich Gambe tta und sein Anhang nach dem Frankfurter Frieden. Aber Eines können wir doch daraus entnehmen, daß die Rassenfrage in Südafrika durch den dreijährigen Krieg keineswegs entschieden ist — was übrigens an dieser Stelle von Anfang an voraus gesagt wurde — und daß es eines staatsmännischen Tactes ersten NangeS bedürfen wird, um die Flamme nicht von Neuem aus der Asche emporlohen -n lassen. Bor dem Kriege lehnten die Bocren es ab, sich dem Afrikander, Bond der Capcolonie anzuschließen. Heute ist es klar, daß sie sich ebenfalls auf dieser Grundlage organtstren werden. Damit ist die Einheit des holländischen Ele mentes in Südafrika hergcstellt und es steht heute ge schlossener da, als vor drei Jahren. Die Forderung kurz- sichtiger südafrikanischer Jingos, man solle das Englische tzn Südafrika obligatorisch machen, verweht vor dieser neuen Wendung der Dinge. Davon ist auch bet den Chau vinisten in London nicht mehr die Rede. Die höfliche Art, wie General Lucas Meyer am vorigen Sonnabend durch einen Vertreter Lord Kttchener's und einen Ver treter Mr. Chamberlain'« bet seinem Eintreffen in South- ampton begrüßt ward, läßt darauf schließen, daß in den leitenden englischen Köpfen die politischen Erfordernisse der Situation ziemlich klar erfaßt werden. Aber mit bloßen Höflichkeiten läßt sich keine Politik treiben. England wird Südafrika in ganz eigener Art zu behandeln haben, wenn es nicht einen neuen südafrika nischen Krieg Hervorrufen will. In der Sprachenfrage steht der Dualismus ein- für allemal fest; und das wird für eine friedliche Entwickelung in den neuen Gebieten, so. wett die ideellen Interessen in Frage kommen, genügen. Aber wie steht eS mit der Arbeiterfrage? So lange der Holländer im Transvaal und im Freistaate herrschte, bestand ein gesunder Arbeitszwang für die Schwarzen, und die Minen bezahlten. Jetzt kommen die Engländer, und damit Exeter Hall, und jeder Tag bringt uns neue Nachrichten über „tstc lakour äikki- änltz-". „Zwang für die armen schwarzen Brüder?" Nein: das ist nicht britische Art. Schon geht es so weit, daß die „schwarzen Brüder" an das englische Colonialawj appellirt haben, um auch das Wahlrecht (sic!) in den neuen Colonien zu erhalten. Sehr verständig von ihrem Stand- puncte aus. Die Flaschen Schnaps, welche sie sich unter den Holländern erarbeiten mußten, würden sie sich durch Ausnutzung ihres Wahlrechtes erkaufen können. Die englische Regierung hat ablehnend geantwortet. Aber mit dem Arbcitszwange ist es vorläufig zu Ende im Transvaal, und wir wollen abwarten, wie die Randminen und die Farmer fahren werden unter dem neuen Systeme. In dieser Frage liegt der Zündstoff für die zukünftige Auflehnung Südafrika- gegen Großbritannien, und diese Auflehnung wird sich nicht mehr auf die Holländer be schränken, sondern alle Nationalitäten im Süden de» Zambcst werden sich daran betheiligen. Denn kein Mensch läßt sich den wirthschaftlichen Ruin durch eine kurzsichtige überseeische Controle gefallen. In einem Lande, wo der Neger die große Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, wo die Stellung des Weißen völlig von der Machtfrage ab- hängt, von Gleichberechtigung der Raffen zu faseln, heißt einfach das Aufgcbcn der Herrschaftsstellung in absehbarer Zeit und für jeden Einzel.ncn wirthschaftlicher Ruin. Bevor cs so weit kommt, werden diese Betheiligten jeden falls versuchen, sich solcher lebensgefährlichen Controle zu entziehen. Hier liegt also die Cardinalfrage für die eng lische Staatsmannschaft. Hi« Rhcxiu«, bio salta! Wenn man dieses Problem in London nicht im Sinne der weißen Besiedelung lösen kann, dann wird eS für Südafrika das werden, was die Zollfrage für Nordamerika gewesen ist. Wir sehen also, die südafrikanische Frage ist durch den Frieden von Pretoria nicht etwa beendigt, sondern nur in eine neue Phase geleitet worden. Es liegen dort so viele Zündstoffe neben einander gehäuft, daß das „tzuick novi KX ^krioa?" der Geschichte dieses Erdtheiles voraus sichtlich auch für unser Zeitalter eigenthümlich bleiben wird. Deutsches Reich. I-. Berlin, 4. August. (Reval.) Kaiser Wilhelm trifft in den nächsten Tagen zum Besuch des Kaisers Nikolaus' II. in Reval am finnischen Meerbusen ein. Reval war Jahrhunderte hindurch eine niedersächsische Stadt. Große geschichtliche Erinnerungen knüpfen sich an diese alte Stadt der Hansa, die ursprünglich dänisch war, dann an den deutschen Ritterorden überging, später an Schweden fiel und schließlich an Rußland. Ums Jahr 1200 landete der ans bremischem Adclsgeschlecht stammende Bischof Albert mit einem großen Pilgerheere in der Düna mündung, gründete Riga und stiftete einen Ritterorden, den Schwerterorden, der tief in das Land cindrang, Liv land und Esthland dem Christenthumc und der oeutfchen Arbeit gewann. Etwas später unternahm der dänische König Waldemar II., der Lieger, einen Kreuzzug gegen Esthland, eroberte dieses und gründete im Jahre 1210 Reval. Bcmerkenswcrth ist die Schlacht bei Reval am 15. Juni 1210 dadurch geworden, daß der Sage nach hier in höchster Noth als Gnadcnzeichen ein rothes Banner mit dem weißen Kreuz, der Dane- brog, „vom Himmel fiel". Nach dem Kriege wurde das Bisthum Reval gegründet. Handel und Wandel blühten auf und in dem bisher heidnischen Lande vereinigten sich christlicher Eifer mit kaufmännischer Erwerbslust. Im Jahre 1248 wnrde das Lübische Recht eingeführt, der beste Beweis für einen ausgedehnten Verkehr mit Lübeck, das damals im Anfang seiner Macht stand. Stetige Streitig keiten, insbesondere auch mit dem Schwerterorden, der An sprüche erhob, veranlaßten Waldemar IV., Atterdag, Esih- land mit Reval 1846 um 10000 Silber an den deutschen Orden zu verkaufen. Waldemar sah ein, daß er dieses Gebiet nicht halten konnte, und darum gab er es, zumal er Geld brauchte, im Kauf dahin. Im 14. und 15. Jahrhundert spielte Reval als Hansestadt eine be deutende Rolle. Mit Riga, Dorpat und Pernau gehörte es im Osten zu den hervorragendsten Städten des großen und mächtigen Bundes, der Jahrhunderte lang die Herr schaft auf den Meeren ausübtc. Als 1525 -er Hochmeister Albrecht von Brandenburg die Ordensherrschaft in Preußen in eine weltliche Herrschaft verwandelte, brach auch in Esthland der deutsche Orden langsam zusammen. Nach dem schrecklichen Vernichtungstampse, der den Unter gang der livländischen Selbstständigkeit nach sich zog, ging Reval 1561 freiwillig an Schweden über. Nach 150 Jahren brach mit der Niederlage Karl's XII. das Ende der schwe dischen Herrschaft herein. Peter der Große führte das russische Volk an die Ostsee und 1710 nahm er Reval und Esthland für sein Reich. Das Deutschthum hat, obwohl seitdem weitere zweihundert Jahre verflossen sind, Reval unverwischbar seinen Stempel aufgedrückt. Drei Viertel seiner Bewohner sind noch heute Anhänger von Luther s Lehre und der vierte Theil der Einwohnerschaft spricht deutsch. Danzig, Stettin, Lübeck nnd Hamburg unter halten noch jetzt rege Handelsbeziehungen mit Reval. Und wenn die Verkehrsmittel auch andere geworden sind, die Verkehrswege sind in all' jenen Jahrhunderten bestehen geblieben. Berlin, 4. August. („M auscrnng" der So- c i a l d e m o k r a t i e.) In einem Theile der Presse, welche die Theorie von der Mauserung der Socialdemo- kratic zn einer radikalen Reformpartei zu propagiren liebt, wird viel Aufhebens davon gemacht, daß der „Ge nosse" Bernstein dem „Genossen" Koutsky, der in einer kürzlich erschienenen Schrift wieder einmal der Wahr heit entsprechend den revolutionären Charakter seiner Partei betont hatte, entgcgengetreten sei und die Möglich, keit des Abfindens mit den bestehenden Verhältnissen be tont habe. Man verkündet sogar, daß die Aenßerung Bernstcin's der Anschauung der Mehrheit der socialdcmo- kratischen Führer entspreche. Ob dies zntrifft, läßt sich schwer beweisen, es wäre aber auch für die Beurtheilung der in Rede stehenden politischen Frage höchst gleichgiltig. Bernstein sowohl als seine angebliche Anhängerschaft unter den „Führern" bekennen sich unzweifelhaft zum Programm der Svcialdcmokratie. Thätcn sie cs nicht, so mären sie eben keine Socialdcmokraten mehr. In dem Programm aber befindet sich doch unbestreitbar der Satz, daß alle Pro duktionsmittel Collectiveigenthum werden sollen. Nnr politische Kinder werden glauben, daß eine solche For derung anders als auf den: Wege der Gewalt zur Er füllung gebracht werden könne. Folglich ist das Wesen der Svcialdcmokratie revolutionär, und es ist unbegreif lich, wie politisch ernst sein wollende Männer Leuten, die sich zu diesem revolutionären Programm bekennen, den revolutionären Charakter absprechen wollen, blos weil sie — aus welchen Gründen bleibe dahingestellt — in theoretischen Abhandlungen eine Versöhnung mit der heutigen Staats-, Gesellschaft-- und Wirthschaftsordnung für möglich erklären. Entweder sind Bernstein und Ge nossen Lvcialdemvkraten, dann sind sie auch revolutionär, oder sic sind nicht revolutionär, dann sind sie auch keine Socialdemokraten. Ein Drittes giebt es nicht. Nach ihren innersten Ueberzeugungen, die doch mit dem Pro gramm identisch sind, und nicht nach flüchtigen Acutze- rungen soll man die Socialdemokraten beurtheilen. — Im Gewerbebetrieb einer Herrschaft be schäftigte Dienstboten zur Ortskranken- casse anzmnelden, ist als gesetzlich begründet anzu sehen. Dabei kann es nicht wohl darauf ankommen, welchen Umfang die Beschäftigung im Gewerbebetriebe annimmt, und ob sie nur als Nebenbeschäftigung gegenüber den Ge- chäften in der Hauswirthschaft des Dienstherren anzu- ehen ist, sofern sie nur als eine regelmäßige Dienstleistung ich darstcllt; denn das Gesetz erklärt ganz allgemein in 8 1 als versichcrungspflichtig Personen, welche gegen Gehalt oder Lohn beschäftigt sind im Handwerke oder in sonstigen stehenden Gewerbebetrieben, ohne hinsichtlich des Um fanges der Beschäftigung irgend welchen Vorbehalt zu machen. UebrigenS kann auch in den weitaus meisten der in Frage kommenden Fälle die Untersuchung nach dem Verhältnisse des UmfangeS -er gewerblichen Beschäftigung zu demjenigen der häuslichen Verrichtungen der fraglichen Dienstboten nm deswillen ungelöst bleiben, weil als zweifellos angenommen werden darf, -aß die betreffenden Dienstherren für ihre Hauswirthschaft allein ein Dienst mädchen nicht annehmen würden. v. Pose», 4. August. (Privattelegramm.) Einer heute bier eingegangenen Benachrichtigung vom Oberhof marschallamte wfolge wird der Kaiser am 2. September gegen 6 Uhr Abends in Posen eintreffen, vom Babnhofe aus seinen Einzug in die Stadt halten und am Berliner Thor die Begrüßung der städtischen Behörden entgegennehmen. * Aus Westfalen. Von;ein>.m Streite im herzoglichen Hause von Croy wird in weslsäliichen Blättern berichtet. Ter durch den Tod seines Vaters am 8. Februar d. I. zum Ches des Hauses berufene Herzog Karl von Croy.Dülmen, Besitzer der Standesherrschast Dülmen im Regierungsbezirke Münster, hat bei dem Landgerichte in Münster Klage gegen zwei Söhne eines 1888 verstorbenen Vetter«, des Prinzen Alfred Emanuel von Croy, erhoben mit dem Anträge, daß sie, als nicht nachfolgeberechtigt in der Standesherrschast Dülmen, nicht befugt seien, sich als Prinzen von Croy und als Agnaten des früher reichsunmütelbaren, jetzt standesherrlichen herzoglichen Hauses zu be- zeichnen. Prinz Alfred Emanuel von Croy war zur Zeit feines Todes belgischer Legationssekretär in Paris. Ter Gothaische Hofkalender enthielt bei seinen Lebzeiten keine Notiz über seine Berheirathung und verzeichnet auch nach seinem Tode keine Kinder. Es ist daher nicht ersichtlich, was der Klage zu Grunde liegt; vielleicht ist der Prinz nicht „ebenbürtig" vermählt gewesen, oder es handelt sich nm illegitime, aber anerkannte Kinder. Ter Herzogstitel stammt nicht aus Deutschland, sondern aus Frankreich: er wurde 1598 von König Heinrich IV, einem Vorfahren Les jetzigen Herzogs, verliehen. * Eisenach, 3. August. Minister v. Wurmb hat bei der gestern erfolgten Einführung des neuen BezirkSdirectorS Trautvetter an diesen u. a. auch die bemerkenSwertben Worte gerichtet: „Sehen Sie zu, daß man hier wieder dahin zurückkommt, die Wahlen nicht nach polititschen, sondern nach praktischen Gesichtspuncten vorzu nehmen. (Mazdeb. Ztg.) * AuS München, 3. August, läßt sich die „Frkf. Ztg." melden: „Tie C en t ru msfraction der Abgeordnetenkammer will die gestrichenen Kunstpositionen des EultuSetats genehmigen, kein Gewicht darauf legen, wer CultuSminister wird, und die übrigen Minister in Ruhe lassen, wenn die Würzburger Professoren ihren Theil wegbekommen. Die Fraclion will sich aber nicht mit unverbindlichen Er klärungen zufrieden geben, sondern sofortige positive Maß regeln sehen." Woher dem Blatte diese Wissenschaft kommt, wird nicht gesagt. Feurlletsir. Mückenstiche. Ein Scebadgeschichtchen von Oskar Elsner (Posen). Nachdruck verboten. I. Im Curhausc des Seebades Dcnzin herrschte große Aufregung. Curhaus hieß es freilich mit Unrecht, denn cs war nichts weiter als ein Hotel. In diesem Hotel hatte sich vor etwa sechs Wochen eine Russin niedergelassen, die zwar nur wenig Gepäck, aber um so größeres Selbst- bcwußtscin besaß und durch dieses dem Wirth und den Kellnern so imponirtc, daß sic nicht nur das beste Zimmer mit Balcon und Aussicht auf die See erhielt, sondern auch vor jedem Ersuchen um Begleichung der Wochenrech- nnngen bewahrt blieb. Diese Russin war nun bei Nacht und Nebel verschwunden — mit Hinwegnahme ihrer Hand- reisctaschc und mit Vcrzichtleistung auf jedwede Schulden bezahlung. Auf ihrem Zimmer fand man einen Zettel dcS Inhalts: „Die Russen zahlen gut, wenn sie Geld haben. Ich habe z. Z. keins, und deshalb bezahle ich nichts. Viel leicht komme ich aber nächstes Jahr wieder.. Die Badegcscllschast saß auf der Terrasse des Curhauses beim Nachmittagskaffee und Concert und discutirtc eifrig über den Vorfall. In der Langweiligkeit eines kleinen Seebades war das ein willkommener Urfterhaltungsstosf. Die Damen brachen den Stab über die Frechheit der Russin, die Herren fanden nachsichtig, daß di« Dame doch mindestens Muth, Intelligenz und Humor besitze, und daraus entwickelte sich ein lebhafter Meinungsstreit. Auf -em Steg, der ziemlich weit in die See gebaut war und zur Promenade in das Meer benutzt wurde, stand am äußersten Ende ein junges Paar und blickte über die Brüstung auf das leicht bewegte Wasser, dessen murmelnde Wellen sich am sandigen Strande brachen. Ein Dampfer fuhr quer über die Bucht, von aufgewühltem Schaum um wogt, über sich eine lang dahinwallende graue Fahne aus Rauch, der dem Schiffsschornstein entstieg. Plötzlich sagte die Dame, eine anmuthige schlanke Gestalt im Alrcr von etwa 26 Jahren: „Wie grandios ist doch das Meer auch so im Zustand der Ruhe, und wie klein sind doch die Menschen, die zur Sommerzeit an diesen Strand kommen! Da sitzen sie nun dort hinten auf der Terrasse, schlucken dünnen Kaffee und dicke Musik und schwatzen immer nnd immer wieder von der verschwundenen Russin, anstatt sich an diesem ewig schönen Anblick zu erfreuen und sich von ihm emportragcn zu lassen über den Alltag und all seine Jämmerlichkeiten!" „Aber liebe, gnädige Frau", erwiderte ihr Begleiter, der einige Jahre älter sein mochte, mit leichtem Lächeln, „das ist doch recht menschlich und speciell echt weiblich. Bisher pflegten nur die Cassirer durchzngehcn — nun er halten sie weibliche Concurrcnz. Da- ist doch ein Er- eigniß .. „Kür mich nicht", sagte die Dame kurz. „Wer das Leben erträglich finden will, muß es verachten können — in all seinen Erscheinungen, muß kaltes Blut haben in allen Lagen." „Aha, Lesefrucht aus Schopenhauer!" „Nein, Resultat au» Lebenserfahrung ... Sehen Sie, ich bin jung an einen alten Mann verhcirathet worden, habe an seiner Seite des Lebens Bitternisse dnrch nnd durch gekostet und war oft nahe daran, den ganzen Ballast von mir zu werfen. Allmählich aber hat die ruhige Ver nunft die Oberhand behalten — noch ehe mein Mann starb, hatte ich mich dazu durchgerungcn, dem Leben und seiner Erbärmlichkeit Trotz und Gleichgiltigkeit cntgegen- zusetzen. Deshalb berühren mich große Ereignisse ebenso wenig als kleine; — seitdem trage ich auch" — dabei streifte ein verstohlener Blick der Sprecherin den Zuhörer an ihrer Seite — „einen Panzer um mein Herz." „Den habe ich in seinem ehernen Glanze schon seit dem Tage bewundert, an dem ich die Ehre hatte. Sie hier ken nen zu lernen", erwiderte Assessor Berthold mit humo ristisch bedauerndem Ausdruck, „aber sind Sie, gnädige Arau, Ihrer selbst wirklich so sicher? Denn das werden «ie ja wohl wissen: nicht die großen Katastrophen, son dern die kleinen Ereignisse des täglichen Lebens bringen uns am ehesten aus dem Gleichgewicht. Nicht die Schick- salsschlägc — die Mückenstiche machen uns nervös." „Mich nicht", erwiderte Frau Melanie bestimmt, „mir kann nichts mehr den Gleichmuts, meiner Seele rauben." „Dann beneide ich Sic aufrichtig — ich kann etwas Aebnliches von mir nicht behaupten. Mich ärgert es zum Beispiel schon, wenn an meinem Rock ein Knopf abreißt, denn es erinnert mich zunächst daran, daß ich allein stehe in der Welt und Niemand habe, der den vermaledeiten Knopf annäht." Fran Melanie zuckte nur die Achseln und sah den Assessor von der Sette unwillig an. Dieser ließ das Thema fallen. Man kam auf andere Dinge zu sprechen, bis eine sich erhebende frische Brise das Paar veranlaßte, zur Curgesellschaft zurückzukehren. H. Der Assessor und Frau Melanie wohnten auf einem und demselben Corridor. Tic Zimmer lagen einander gegenüber, und so hatte sich auf ganz natürliche Weise die Gepflogenheit entwickelt, daß der Assessor, nach Erledigung der beiderseitigen Badepflichtcn, eine Stunde vor dem Diner die junge Wittwc zum Spaziergang abholte. Als er nach ein paar Tagen wieder an Frau Mclanic's Thür erschien, fand er die Dame in eifriger Suchthätigkcit; sie kramte im Koffer, in den Schubladen, in den Schränken, deren Thüren weit offen standen. Entschuldigen Sie nur", rief ne dem Eintrctcnden zn, „ich suche meine Handschuhe. Ich weiß genau, ich habe sic liier auf dem Tisch liegen lassen, und nun sind sie fort. Zu dumm!" „Aber meine Gnädigste, wenn sie auf dem Tisch lagen, weshalb suchen Sie da in den Schränken?" fragte der Assessor launig. „Nun, cs wäre doch möglich, daß die Anfwärtcrin die Handschuhe beim Aufräumen sortgclcgt hätte. Noch einen Moment, bitte!" Und Frau Melanie suchte wieder eifrig in den Schubladen; dabei wurde sic allmählich erregt. Nach einer Weile bemerkte der Assessor: „Gnädige Fran, Sic haben doch sicher noch einen ganzen Kasten mit Handschuhen — weshalb bemühen Sic sich da? Tas ver lorene ^Paar wird sich sicher wicdcrfindcn. Auch ist die ganze Sache doch nur eine Kleinigkeit — auch so einer von den Mückenstichen des Lebens . . ." „Sie haben Recht, antwortete Krau Melanie und biß
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