01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020813017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-13
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Dabellarischer und Ztffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanaahme LS (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbrsärderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: vormittag« IS Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an dw Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet voa früh S bis Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. Mittwoch den 13. August 1902. Nr. M. Sk. Jahrgang. FrimMsch-englische Absichten auf Aiarn und die deutschen Interessen. ^2 Wenn auch die Nachricht, -aß der in Abwesenheit des französischen Gesandten sie Interessen Frankreichs in Liam wahrnehmende Geschäftsträger wegen der Schwierigkeit, mit der siamesischen Negierung zu einem Verständnisse zu gelangen, um seine Abberufung uachge- 1'ucht hjhbc, sich nicht bewahrheitet hat, sv steht doch die Thatsache fest, daß die Beziehungen Frankreichs zu Siam sich in letzter Zeit verschlechtert haben. Französische Blätter, und zwar nicht nur solche chauvinistischer Rich tung, bestreiten denn auch die Absicht, gewaltsam in die siamesischen Zustände cinzugreifen. England möchte na türlich auch nicht gern zu kurz konunen und so schlägt der englische Aorschungsreisende Colquhon vor, den nach den Beiträgen des vorigen Jahrzehnts noch selbstständig verbliebenenNestLiamsvertragsmäßtg unter den gemein samen Einfluß Frankreichs und Englands zu bringen. Die moralische Berechtigung für die Beseitigung der Lelbst- ständigteit Siams soll darin liegen, daß die siamesische Ne gierung nicht im Stande zur Herstellung ordnungsmäßiger Zustände in ihrem Lande sei. Warum ist sic cs nicht? Der gegenwärtige König von Siam ist intelligent, willenskräfttg und Reformen durch aus geneigt. Die innerliche Kräftigung des Landes aber wird durch diejenigen Mächte verhindert, die der Selbst ständigkeit Siams ein Ziel setzen möchten. So schrieb der 'Mitarbeiter der „Welt-Correspondenz" schon vor mehr als Jahresfrist: „Die Franzosen gehen darauf aus, den Siamesen in inneren Angelegenheiten möglichst viele Schwierigkeiten zu machen. Die massenhaft angesessenen französischen Priester benehmen sich, wie unterschiedliche Processe im Laufe des Jahres dargethan haben, thetlwcisc mit einer bodenlosen« Frechheit. Die Pfandleihhaus- tnhaber, dieser Fluch Siams, sind ausschließlich französische und portugiesische Unterthancn . . . Frankreich will eben die Zustände hier unhaltbar machen, um mit Waffengewalt in Siam einfaüen zu können." Um dies mit leichter Mühe zu ermöglichen, hat Frankreich in dem siamesischen Hafen orte Chantabun ständig eine Truppenabtheilung von unge fähr 3000 Mann auf den Beinen. In letzter Zeit ist diese Truppcnmacht noch um 200 Mann und 5 Geschütze ver mehrt worden, wobei die Franzosen einen Streit zwischen der franzbüsch-katholischcu Mission und den siamesischen Behörden in Ehantabun zum Borwaud nahmen. Als im Frühjahr dieses Jahres Unruhen in Siam, und zwar nicht weit von dem französischen Interessengebiete ausbrachcn, herrschte in Bangkok die Meinung vor, daß die Franzosen diese Unruhen, bei deren Entstehung sic möglicherweise auch die Hand im Spiele hatten, benutzen wollten, um sich von Neuem in die siamesischen Angelegenheiten cinzumtschen. Mag nun schließlich Siam, soweit cs überhaupt gegen- wärtig noch selbstständig ist, den Franzosen allein oder ihnen und den Engländern gemeinsam verfallen, so wäre beides vom Standpunct der deutschen Interessen aus bedauerlich. Diese Interessen sind nicht politischer, sondern wirthschaftlicher Natur. Deutschland hat sich, und zwar nicht durch Jntrtgnen irgend welcher Art, sondern durch ehrliche deutsche Arbeit, großen wirtschaftlichen Einfluß in Siam verschafft. Die Dampferlinie Bangkok-Singa- porc ist schon vor 3 Jahren in deutsche Hände überge- gangen, die Postverwaltnng Siams steht seit längerer Zeit unter deutscher Verwaltung, am Eisenbahnbau und Canal bau sind Reichsdeutsche und Deutsch-Ocsterrcichcr hervor ragend beteiligt gewesen. „Mit Stolz muß es uns Deutsche erfüllen", so konnte schon im Deccmber 1900 der Mitarbeiter der „Welt-Correspondenz" in Bangkok >»chreiben, „auf den: Menamfa st ausschließlich die deutsche Flagge wehen zu sehen, und mit mitleidi gem Achselzucken liest man die Wuthartikel der deutsch feindlichen Presse." Es bedarf kaum der Erwähnung, daß, wenn Siam den Franzosen und Engländern ganz anheimfiele, die Aus sichten der Fortentwickelung der deutschen wirtschaftlichen Interessen sich erheblich verschlechtern würden, nicht nur wegen der Abneigung der englischen und der französischen Machthaber gegen Deutschland, sondern auch wegen der Plackereien, durch die speciell Frankreich in seinen Colonien den Handel erschwert. Ter Mitarbeiter der „Welt-Correspondenz" schrieb hierüber: „Glaubt man vielleicht, daß Siam unter besagter Herrschaft den großen Aufschwung, den dieses gottgesegnete Land nehmen könnte, auch nehmen würde? Wer das benachbarte Cochinchina mit seinen zahllosen Beamten und noch zahlloseren Priestern gesehen, wer die französischen Zollplackereien, die einen blühenden Handel geradezu unmöglich machen, kennen gelernt hat, wer schließlich, und das ist jedenfalls der schlagendste Beweis, unsere hiesige Kaufmannschaft in Voraussicht des eventuell Kommenden jammern gehört bat, wird obige Frage unbedingt verneinen." Im deutschen Interesse liegt es jedenfalls, daß die Dinge bleiben, wie sie sind. Deutsches Reich. Berlin, 12. August. tWeristderBauherrim Sinne der neuen Unfall-Versicherungs- g e s e v g e bu n g?) Bet Auslegung des 8 29 tfrüher 27) des Bau-Unfall-VersicherungsgcsetzeS ist das Rcichs-Ver- sicherungsamt stets von der Ansicht ausgegangcn, oaß mit Rücksicht auf die öffentlich-rechtliche Natur der Unsall- vcrsicherung der Begriff „Bauherr" ebenso, wie der Begriff „Unternehmer" von wtrthschaftlichen, nicht von privat rechtlichen Gesichtspuncten aus zu verstehen sei. Bon diesem Standpuncte aus hat es in seiner Rechtsprechung den Eigenthümer einer Baustelle, der ihre Bebauung aus führt, nicht immer als den Bauherrn angesehen, weil der Eigenthümer oft, namentlich in Folge der eigenartigen Bauverhältnisse, die sich in den großen Städten entwickelt haben, von einem Anderen wirthschastlich so abhängig ist, daß ihm nur scheinbar die Herrschaft über den Bau ver bleibt. Das Reichsgericht war dann im Gegensatz zum preußischen Kammergericht anderer Ansicht. Es wollte, gestützt auf die Bedeutung des Wortes „Bauherr" im gewöhnlichen Sprachgebrauch, den Eigenthümer, der die Bebauung seines Grundstückes vornimmt, stets als den Bauherrn gelten lassen, obwohl cs anerkennen muß, daß der Eigenthümer durch Vertrag mit einem Anderen in eine Lage kommen kann, in der seiner Befugnis; zur Bestimmung über die Art deS Baues ein so geringer Raum bleibt, daß nicht er, sondern der Andere die Herrschaft über den Bau hat. DaS Handels-Gesetzbuch vom 30. Juni 1900 hat nun aber nicht nur die Zuständigkeit der Gerichte für Streitig keiten aus 8 29 des Bau-Unfall-BcrsicherunngSgesetzes ausgeschlossen, sondern cs ist auch in seiner Begründung die Auslegung, welche der Begriff „Bauherr" in der Recht sprechung des Reichs-Bersicherungsamtes gefunden hat, als richtig anerkannt worden. Die Motive zu dem ,etzigen 8 104 des Gewerbc-Unfall-VersichcrungogesetzeS erklären unter Hinweis auf diese Rechtsprechung ausdrücklich, daß in Berücksichtigung der wtrthschaftlichen Verhältnisse der Begriff „Bauherr" in einem weiteren Sinne zu verstehen sei, als der Sprachgebrauch gewöhnlich damit verbindet; insbesondere sei cs nicht erforderlich, daß der Bauherr der Eigenthümer oder ein Nutzungsberechtigter der Baustelle sei, oder daß seine Verfügungsgewalt über den Bau unternehmer sich in Rechtsgeschäften äußere, welche die Form von Werk- aber Dienstverträgen haben. Ent scheidend solle die wirthschastliche Gestaltung der Verhält nisse sein, nicht ihre rechtliche Form. Berlin, 12. August. lCcntrum und Bauern bund in Bayern.) Das officielle bayerische Cen- trumSorgan schüttet die Schale seines Zornes auf die bayerischen Bauernbündler aus, die zusammen mit den Liberalen und den Socialdemokraten für die 100 000 für Kunstzwccke im bayerischen Landtage gestimmt haben. Das fromme Blatt nimmt keinen Anstand, einige Führer der Bauernbündler zu verdächtigen, daß ihre der Re gierung wohlgefällige Abstimmung lediglich aus geschäft lichen Gründen erfolgt wäre, weil sie in der Regierung einen gutzahlenden Abnehmer für gewisse Artikel be säßen und gefürchtet hätten, diesen großen Kunden zu verlieren. Das Blatt schreibt: „Eine jammervolle Ge sellschaft! Die Herren Beck, Ntßler und Con- fort en brauchen jedes Jahr wenigstens zwei Stiefel sohlen, die sie sich bei Bettelgängen in den verschiedenen Ministerien ablaufen. Wir nehmen es diesen Leuten nicht übel, wenn sie sich bei jeder Gelegenheit dankbar und als „treue Knechte der Regierung" zeigen". Auch wir glauben, daß die Bauernbündler aus geschäftlichen Gründen für die Forderung gestimmt haben, aber nicht aus persönlich-geschäftlichen, sondern aus partei-ge schäftlichen Gründen, weil sie nämlich als gute Kenner der Vvlksstimmuug herausgefnhlt haben, daß sie sich durch die Ablehnung der Forderung alles eher als populär machen würden. Das Centrum war nicht so klug und brüstete sich sogar im ersten Siegesjubcl, sich gerade durch die Ablehnung als wahre Vvlkspartei be währt zu haben. Dem Rausche ist der Katzenjammer auf dem Fuße gefolgt, und nun möchte man dem Bauern bunde den Vorsprung in der Volksgunst dadurch rvicder abjagen, daß man vor den breiten Bolksmassen die Führer des Bundes als Männer anklagt, die sich bei Ab stimmungen lediglich durch ihre persönlichen Vortheile leiten laßen. Wir glauben ja gewiß nicht, daß die Herren vom bayerischen Bauernbünde große Jdcalpvlitiker seien, aber einen politischen Gegner in dieser Weise zu verdäch tigen, ist unter allen Umstünden ein höchst erbärmliches Mittel, das obendrein wenig verfangen dürfte, denn an Rücksichtslosigkeit und Grobheit nimmt es der Bauern bund mit dem Centrum noch immer auf, und die „Ent hüllungen" des officielle« CcntrumSorgano über die Führer des Bundes werden in den bündlerischen Kreisen die Erbitterung gegen das Ccntrum natürlich noch steigern. Das Centrum wird bei den nächstjährigen Reichstagswahlen seine Sitze in Oberbayern, Nieder bayern, der Oberpfalz und Unterfrankcn unter dem Anstürme des bayerischen Bauernbundes erzittern fühlen. Berlin, 12. August. (Amerikanische Gesund, beterei.) Soeben geht nnS das neneste Heft der „Blätter der Heilung, Monatsblatt zur Ausbreitung des Reiches Gottes" zu. Nach den Mitthcilungen dieses Hauptorgans der amerikanischen Gesundbeterei ist der grobe Unfug des Gesundbctens in den Vereinigten Staaten in ständigem Fortschrciten begriffen. Dies könnte uns nun kalt lassen, wenn nicht leider auch in hohem Maße auf die Deutsch-Amerikaner spcculirt würde. In dem Hefte sind nicht weniger als 15 in deutscher Sprache erschienene Gesundbctcr-Tractale angeführt; es geht ferner daraus hervor, daß in mehreren Städten der Vereinigten Staaten regelmäßig Gcbetsvcrsammlungcn abgchalten werden, in Chicago sogar an zwei verschiedenen Stellen wöchentlich, in sieben verschiedenen Häusern außer dem noch an je einem Abende der Woche. Von der groben Blasphemie, deren die Gesundbeter sich schuldig machen, giebt ein Bericht über einen Gottesdienst im „Silsah Tabernakel" Kunde. In diesem Berichte wird der Führer der Gesundbeter als „Bote des Bundes, Elias der Wieder hersteller, der von Moses/vcrkündete Prophet" bezeichnet. Die Gesundbeter schweben übrigens nicht nur in den höheren Regionen, sondern geben sich auch mit profanen Dingen ab. Für Raucher wird die nachstehende Polizei Verordnung aus „Zionstadt" von Interesse sein: „Wenn Einer von euch Anhängern von Satans verzehren dem Fcuc r, dem Tabak, hier sein Rauchen forttreibcn will, so wird das ihm eine Nacht auf der Polizeiwache und 2.', Dollars Buße kosten. Die Polizcivcrwaltung Zions ßst genau instrnirt; es sei dies allen Denen gesagt, die glauben, sic könnten hier her komme», und thun, was dem Teufel gefällt." Diese Verordnung gegen den Tabak ist jedenfalls — „starker Tabak". Feuilleton. 85 000. Novellctte von Hermann Birkenfeld. Nachdruck Verbote». Zum soundsovielten Male las er das Telegramm, das -er Kellner ihm auf sein Zimmer gebracht hatte: „Kuhnert, Hotel Stadt Magdeburg, Berlin. Du hast 25 000 gc- Wonnen. Gruß und Kuß! Deine Käthe." Was für Augen die wohl gemacht hatte, als sie die Nachricht erhielt! Sie wußte ja gar nicht, daß er sich da- mals, auf einer Reise in Mecklenburg, ein Loos hatte auf- Ischwatzen lassen, ein volles Halbes der Sächsischen. Hätte sie darum gewußt, sie hätte gescholten, nun aber hatte er Recht, er! Der Er-folg lutt das ja immer. Uebrigens hatte er einen etwaigen Gewinn in Gedanken längst für sie be stimmt, an 25 000 freilich dabet nicht gedacht. Achtmal sein Jahrcsfixum als Reisender in Farbholz und Farbholz. Extracten. Ob er das nun blieb oder sich selbstständig machte? Ach so, Käthe! Ja, gewiß, die sollte ganz frei ent scheiden; er — er wollte gar nichts von dem Gelbe. In dessen — na, ein Geschenk — ein neues Kleid — sie würde ja trotz der 25 000 keinen Augenblick an Seide denken. Auszwingen mußte er sie ihr — das einzig Richtige. Ordentlich andächtig faltete er das rauhe Depeschen- papier ineinander, bis die zwei Hälften der Schlußmarke wieder genau zusammcnpaßten und steckte es in die große Glanzledertasche, die er mit wichtigeren Gcschäftspaptcren und ein paar Banknoten im Westcnfutter trug. Und dann zu Michels in der Leipziger Straße. Wie das hinter den Spiegelscheiben der Auslage von Stossen rieselte, schillerte, gleißte! 87 für den mattblauen Brokat — wahrhaftig nicht zu viel für einen Menschen, der sich in Neubrandenburg oder Dresden jeden Tag 25 000 holen konnte, dachte er, als er wieder auf der Pferdebahn stand. Allerdings — Donnerwetter ja, daß cS auch gerade die Sächsische war! Verbotenes Spiel — wenn die Post ihm Beschlag auf den Gewinn legte! Er hatte von juristischen Dingen keinen rechten Schimmer, aber et was, er würde sein Gel ¬ schön kriegen! Erst 'mal zu Arnold Müller, ein paar neue Kinder- Anzüge, aber chic; 'mal was Extra s für feinten Hans nnd die putzige kleine Liese daheim. Und dann zu Emma Bette, und — Teufel, der Schnabel will doch auch was, also zu Hildcknand! O, diese Gcbefrendc einmal so bis zum Grunde stillen können, ohne bas infame Schielen inS Portemonnaie, wie man's zu Hause immer in den Tagen vor Weihnachten mußte! Dann stand er vor einem In- wclenladcu der Friedrichstraße. Jenes Armband — 870 utl — nein, so thöricht war er den» -och nicht. Aber eine lange Uhrkette statt Käthe'- kurzer —.125 als Schieber die Eidechse mit dem Smaragdauge zu 75 machte genau 200. So viel konnte noch draufgeh'n, und dann — nein, mehr keinen Pfennig. Aber eine Flasche Mumm trank er bei Kempinsky doch. . Merkwürdig, wie die ihn aufregt! Und dann in „Schall und Rauch" — die Vorstellung vor Serenissimus da — gerade 'was Schönes! Wenigstens 'was zum Lachen. Und lachen wollte er, Stimmung, Donnerwetter! Aber sie kam Ihm nicht, trotz Allem. Auch in den folgenden Tagen nicht, während der er ein paar Provinzstädtchcn abreiste. Käthe ^schrieb einen glückseligen Brief, wie er's nicht anders er wartet hatte; er aber war nervös geworden. Froh — nein, so recht von Herzen froh gar nicht. Denn die verbotene Lotterie merkwürdig, wie oft er jetzt in der Zeitung von Bestrafungen wegen verbotenen Lotteriespieles las, - » ^tl, 5 und das immer gleich gerichtlich, schauderhaft! Aber die Gewinne, ob man die einzicben konnte ? Das war der wunde Pnnct. Und dann das Loos! Eigentlich war er ganz sicher, daß es in seiner Schrcibtischcassette lag, deren Schlüssel ihm am Bund in der Tasche klirrte, blos — nein, beschwören hätte er's nicht können. Wenn er's nur nicht verlegt hatte. Er war ja im Ganzen ein ordnungs liebender Mensch, aber es konnte doch sein, daß sich das Loos — sv 'n winziges Blättchen — irgendwo verkrümelt hatte. Wenn cs sich nun nicht fände? Wenn man ihm den Gewinn nähme? Er hätte doch lieber nicht voreilig drauf- loskaufen sollen, hätte — ach was, Unsinn! Fühlte Käthe erst bas Geld zwischen den Fingern, dann gab sie nicht 565 für Kleiber, Schmuck und Spielzeug davon auS, dafür kannte er sie- Aber so — aufzwingen würde sic sich die Sachen schon lassen, und freuen würde sie sich auch. Als er nach 8 Tagen endlich heimwärts dampfte, kamen ihm dennoch die bösen Befürchtungen wieder. Loos ver loren, LovS verloren, Loos verloren, ratterte der Zug, und dann wieder 'mal: „Der Gewinn wird etugezogen, der Gewinn wird eingezogen —" zum Närrischwerden war's. Auf der vorletzten Station hatte er sich zwar zum 150tcn Male gelobt, nie wieder in einer fremden Lotterie zu spielen. Dies war ja auch das erste Mal gewesen, das einzige seines Lebens, nur um Käthe zu beweisen, mau müsse dem Glück die Hand bieten, wie es in den An- Preisungen der Sollectenre immer hieß. Unid wie war der Beweis gelungen! Endlich — endlich fuhr der Zug langsamer. Da glühten schon die ersten Lichter der Stadt, und das kleine gelbe Häuschen da mit dem Borgarten, hart am Thor, war die Uccker'sche Billa. Eine altjüngferliche Tante seines Chefs wohnte darin und wollte gern verkaufen. Hm! 30 000 — wenn er da 20 000 anzahlte — Käthe war ja ganz verliebt tn die Wohnung, und er — ein Hans für sich allein, war immer sein Ideal gewesen. . . „Rrr—rietschl" machte die Bremse. Und da stand auch schon Gustav Steffen, der Gepäckträger, mit der Hand an der Mütze-" „Wagen da, Stessen?" Er ging sonst zu Fuß, heut hatte er es zu eilig. Er wollte doch lieber, Käthe wäre an der Bahn gewesen, aber er hatte sich das ja ein- für allemal verbeten. Der weite Weg, und die jämmerliche Beleuchtung draus , Noppeldihoppel knattcrste die Droschke über das Pflaster. „'n bischen fix!" hatte er dem Kutscher gesagt. Der grinste nachher üvcr das heile Zweimarkstück, das er ihm in die Hand warf: „Lassen Sie man! Den Koffer nach oben!" Und dann hing Käthe an seinem Halse, und er cvmman- dirtc: „Mitten ins Zimmer den Koffer, Raschke. So! Adieu!" Und er klapperte in der Tasche nach dem Schlüssel. „Wo sind die Göhren?" „Natürlich im Bett." „Raus sollen sie." „Aber Fritz! Es geht auf zehn —" „Unsinn! R ja, was hast Du denn? — Geweint? Ach so, hähä! Die Aufregung, nicht?" Eie nickte stumm und schluckte — Und er packte aus. „Da — endlich 'mal 'n anständig Kleid für uns, Muttinq, hä?" Er ließ den Brokat auseinandersließcn wie auf dem Jahrmarkt der billige Jakob seinen bunten Kattun, raffte, knutschte ihn zu krausen Falten zusammen — „das schadet ihm nämlich gar nicht — und dann hier — die Kette funkelt auf dem Stoff - " „Aber Fritz! — Fritz!" Er zog die Brauen hoch. „Zu fein natürlich, nicht? Du alte Spardosc! Ncc, Kind, wenn wir das nicht mal von den 25 000 haben könnten, das! Und dann die Sachen — Emma Bette hat sie wohl geschickt? Die Puppenmickclkommode für Liese und die Festung und das Fellpferd für den Jungen, nicht? Und den Rest — das heißt soviel wie Alles, den —" er drückte seiner kleinen Frau einen herzhaften Kuß auf die Stirn — „den sollst Dn — Du, Hausmutter, ganz selbst ständig verwalten. So ist's doch recht, hä!" „Es wär's schon, — es —"Hie machte sich zögernd von ihm los. „Laß, Fritz, ich verdiene nicht — ich — ach, ich bin ja Schuld, daß —" „Daß ich nicht eher — viel früher schon ein Loos ge nommen habe?" sagte er und lachte. „Schuld an der Enttäuschung — und an Deinen Aus gaben jetzt —" „Ent—" Ihm blieb der Mund offen. Und dann, als sic in Schluchzen ausbrach, faßte er sic an -er Schulter. „Kind! Käthe! Foltere mich nicht! Ist das Loos fort?" Sic schüttelte den Kopf. „Ich weiß ja nicht, wo Du's hast —" „Gott sei Dank'." Er klirrte mit den Schlüsseln, rannte nach seinem Sekre tär, kramte darin herum. Dabei siel ihm von oben ein Brief auf die Finger, der da auf der Kante gelegen hatte. Poststempel Neubrandenburg, von Küthe geöffnet. Na türlich, das hatte er ein- für allemal so ungeordnet, und dieses Loos war die einzige Heimlichkeit, die cs je zwischen ihnen gegeben hatte. „Der Brief, Fritz, — da stcht's ja drin. Es war ein Jrrthnm — nein, ein Mißverständnis; von mir. Da liegt ja auch daS Telegramm." Das letztere las er zuerst. „24 992 gewonnen. Joscphstcin." Und dann der Brief! „Der kam erst heute Morgen", sagte Käthe. Ein auto- graphirtes Schreibe», von dem er in der Eile nnr die Stichwvrtc las: „Vergnügen — Loos Nr. 24 992 — Ge winn von 252 Marl — halber Anlhcil 126 Mark — ein liegend neues Loos derselben Nummer zur 1. Elasse der 141. Lotterie, Differenz von 6,50 Marl nebst Gebühren für Telegramm und Porto vor Jichnng einzuscndcn" Er griff sich in's Haar, stierte aus das Blatt, und dann auf die Nummer 24 992 — „Oh, ich Esel!" Er hatte dem Bankier in Neubrandenburg damals auf getragen, ihn von einem Gewinn sofort in Kenntnis; zu setzen, und da tclegraphirtc ihm der Mensch den niedrigsten, der überhaupt hcranstommen tonnte. Telcgraphirt seine Loosnummcr, und die Ziffer hat Käthe dann für den Gc- winnbetrag gehaltert, den sie auf 25 000 abrundcte! Er sank auf den Stuhl vor dem Sekretär zusammen. Eine Weile hörte man nichts als Käthe s Schluchzen. Und dann hinter ihm ein Knistern, Rascheln — Sic faltete den Brokat wieder zusammen. Er drehte sich um. Käthe!" Sie sah ihm sn's Auge — das einzige Mal, daß sie sich vor ihm fürchtete. „Wann —" er schluckt erst mal — „wann ist die Spar kasse geöffnet?" Sic wußte nicht, was er da wollte. „Ich glaube von 9 Uhr früh an." „Gott sei Dank!" Er hatte ja an 300 Mark Gcschüstsgeldcr ausgegcben, die gedeckt werden mußten, ehe er sich morgen beim Chef meldete, und zum Glück einen Nothgrolchcu auf der Eassc. Er stützte den Kopf in die Hand. „Fritz!" „Kütlre! Mein kleines Haiismüttcrckrcu, Du kannst ja nichts dafür, daß ick, — ich hatt'S gut gemeint —" „Und heimlich daS Loos gekauft? Und nun?" Tie itipptc auf das neue, das zur 1. Elasse. Er schüttelte den Kopf. „Nie wieder? Nie?" „Niemals. Käthe." „Und nie wieder" — sic stockte — „nie eine Heimlich- kett?" Er schloß sein Wcib in die Arme. Dann packte sic die Herrlichkeiten weg — für bessere Tage!"
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