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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020814019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-14
- Monat1902-08
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BezugS »Preis tu der Hauptexpeditioo oder den tm Stadt bezirk und den Borortru errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^4 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS ^l 5.50. Durch die Post bezogen jur Deutschland n. Oesterreich vierteljährlich 6, für di« übrigen Länder laut ZeituugSpret-Uste. Redaktion und Erprditio«: Johannt-gaffe 8. Fernsprecher 153 und L2L FUtnlvvpeditionv«, Alfred Hahn, Bochhaudlg^ UutversttätSstr.S, L. Lösche, Kathariueustr. IS, u. LänigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraß« 5. Fernsprecher Amt I Nr. I71S. Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 115. Fernsprecher Amt VI Nr. 83SS. Morgen-Ausgabe. UpMrr TaMaü Anzeiger. Amtsölatt -es königliche« Land- ««- Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Polizei-Amtes -er Ltn-t Leipzig. Anzeigen »Preis die ügespaltene Petitzeile 25 H. Reelame» unter dem RedaettonSstrich (4 gespalten) 75 vor den Famllieunach- richten («gespalten) 50 L». Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 (excl. Porto). Extra-Vellage« (gefalzt), «ar mit der Morgeu-AuSgabe, oha« Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Äuuahmrschluß für Anzeigen: Abend-An-gaSer vormittag» 10 Uhr. Mvrgen-Au-gaber Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen Pad stet» an du Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag» mnmterbrochea geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» ta Leipzig. Nr. 41V. Donnerstag den 14. August 1902. SV. Jahrgang. Bennigsen nach Sismarck's Zeit. '/V Aus manchen Betrachtungen der Presse beim Hin scheiden unseres unvergeßlichen Bennigsen ist gefolgert worden, daß der Verstorbene eine parlamentarisch-poli tische Rolle eigentlich nur bis in den Anfang der achtziger Jahre gespielt habe. Das ist ein nicht geringfügiger Irr- thum, Bennigsen kehrte, nachdem er 1883 seine parla mentarischen Mandate ntedergelegt hatte, im Jahre 1887 in Len Reichstag zurück und hat in diesem nicht nur bis zum Ausscheiden Bismarck's aus dem activen Dienste, sondern auch zur Zeit Caprivi s Kaiser und Reich die be deutsamsten Dienste geleistet. An den unterm neuen Curs unternommenen Reform arbeiten nahm er, soweit sie den Reichstag angingen, den thätigsten Antheil. Es sei ein Beweis großer Lcistungs- sähigkeit und noch größerer Opferwilligkeit, sagte er ge legentlich eines Zusammenseins der nationalliberalen Reichtags- und Landtagsfracttvn am 6. März 1801, daß in Deutschland und Preußen so umfangreiche Reformen gleichzeitig behandelt werden könnten. Eine gewisse Un klarheit lagere allerdings über den Parteien. Da suche man durch einseitige Classcn- und Jnteressen-Bertretung den mangelnden Halt zu gewinnen. Die Socialdcmo- kraten gäben vor, nur sic erstrebten die Verbcssorung des Looses der arbeitenden Elasten, das Eentrmn suche seinen Vortheil in der vorwiegenden Betonung der kirchlich-reli giösen Interessen, die freisinnige Partei schreibe auf ihre Fahne die Lebensmittelverbillignng für die großen Masten der Bevölkerung, die Eonservativen betonten um gekehrt als Schwerpunkt ihres Strebens die Förderung landwirthschaftlicher Productions-Jntercssen. Von allen diesen Gegensätzen werde die uationalliberale mehr als jede andere bürgerliche Partei berührt, da sie von jeher alle Berufsarten und alle landschaftlichen Verschieden heiten des Reiches in sich vereinigt habe. Aber sie fei auch stets bemüht gewesen, die Interessengegensätze im Tchooße der Partei auSzugleichc-n. Solche Vermittelung sei allezeit nothwendig gewesen und werde cs auch immer sein. Darin lägen die Aufgaben und die Bedeutung der Partei auch für die Zukunft. Nur so seien die grund legenden Gesetze für das Reich geschaffen worden. Die nationalliberale Partei dürfe es für sich als ein bleiben des Verdienst in Anspruch nehmen, das Zustandekommen der Verfassung ermöglicht zu haben. Als ein Kunststück geschaffen, könne dieselbe jetzt als ein Kunstwerk gelten, so vortrefflich habe sie sich eingebürgert, der Gegensatz zwischen Eentralisativn nnd Particularismns bedrohe die innere Entwickelung so gut wie gar nicht mehr. Daß diese Gefahr beschworen wurde, sei in erster Linie der national liberalen Partei zu danken. Nord und Süd seien thai sächlich in bester Weise vereint. Jetzt lügen die Schwierig keiten vornehmlich auf dem Gebiete der Wirthschafts- nnd Socialpolitik. Die socialpolitischen Aufgaben in jeder Weise gefördert zu haben, sei ein weiterer Ruhmestitel der nationalliberalen Partei. Auch hier seien mancherlei Schwierigkeiten innerhalb der Partei zu überwinden ge wesen, aber darin liege eben die Bedeutung der national liberalen Partei, daß sie durch ihr vereinigendes, aus gleichendes Bestreben es ermögliche, tiefgreifende Inter- efsenfragen mit verhältnißmäßig so sachlichem Ernste zu behandeln. Und nur so könnten die Aufgaben der Zu kunft friedlich sich entwickeln und friedlich zur Reife be fördert werden. Volle Unbefangenheit und festgewurzelter Patriotismus müßten alle Zeit die Pfeiler eines innerlich starkgefügten Reiches sein. Diese Unbefangenheit und ihren Patriotismus müsse die Partei sich wahren, um in entscheidender Weise an der Gestaltung -er Schicksale des Reiches nritzuwirkcn. Von bleibender Bedeutung war der Einfluß, den Bennigsen auf die Entwickelung Les Kampfes um die Schule auszuüben berufen sein sollte. Am 14. Januar 1892 brachte der damalige Cultusminister Graf Zedlitz ein Volksschulgesetz tm Landtage ein, Las die weitestgehenden Wünsche des Centrums zu befriedigen und die Volksschule in Abhängigkeit -er Kirche zu bringen versprach. Damals sagte unser Führer: Es könnten Verhältnisse cintrctcn in unserer inneren Entwickelung, die es wünschcnswerth, ja vielleicht nothwendig machen würden, daß sich jetzt be kämpfende liberale Gruppen und Männer einander wieder näher träten aus Gründen gemeinsamer Kämpfe, welche nicht auf materiellem Boden liegen, sondern ans anderen Gebieten, wo cs sich um ideale Güter, nicht um materielle Interessen handele. „Es würde das", so waren seine Worte, „nach meiner Meinung, der ich selbst liberal stets gewesen bin und bleiben will, für die weitere Entwicke lung nur förderlich sein. Das liberale Vürgcrthum in Stadt und Land, die liberalen Anschauungen haben einen Anspruch auf größere Geltung." Es war am 1. Februar 1892, daß in einer Abendgesellschaft beim Reichskanzler der Kaiser Bennigsen in eine längere Unterhaltung zog, die dem Volksschulgesetze galt. — Das Schicksal des Letzteren war bald darauf besiegelt. Als dann zu Ende dos Jahres eine neue große Mili- türvvrlage, die eine Heeresreform auf der Grund lage der zweijährigen Dienstzeit ins Auge faßte, im Reichstage zu lebhaften Debatten führte, verstand cs Bennigsen in seiner großen Rede vom >3. Dcecmbcr aie Frage aus dem Widerstreit leidenschaftlicher Partei meinungen auf die Höhe großer nationaler Gesichtspunkte zu heben. Er- beleuchtete die Vorzüge der Vorlage, indem er herrorbob, die Herabsetzung der Dienstzeit von drei auf zwei Jahre sei eine große Erleichterung kür die Be völkerung. Es werde allgemein anerkannt, daß die Ver jüngung der Armee ein außerordentlicher Votzzug sei, die Ungerechtigkeit werde ans der Welt geschasst, daß die ersten entscheidenden Schlachten von alleren, ver- hcirathcten Männern geschlagen würden, während Hun- dcrte von jungen Männern mangelha't ausgebildet in der Hcimuth blieben. Es kam dieser Vorlage wegen zu Neu- wablen,' — die Vorlage wurde dann im Wesentlichen nach den Wünschen, die auch Bennigsen geltend gemacht hatte, angenommen. Auch zum russischen Handelsverträge nahm der nationalliberalc Parteiführer das Wort in bedeutsamer Rede. Er constatirte die Nothlage der Landivirths.haft in ganz Europa gegenüber der un^gc heueren Körneipcoduc- tton und Fleischprvduetion in Ländern, die billiger pro- dueirrn, als wir, nnd denen die Verkehrswege und Prv- ductionsmittcl der Gegenwart überaus zu Statten kämen: er trat aber für den Handelsvertrag ein. Kurz und gut, die Bedeutung der Mitarbeit und des parlamentarischen Auftretens Bennigsen's auch nach der Bismarck'schen Zeit ist eine so große, daß man nur wünschen kann, sic möchte von Freund und Feind so nach haltig gewürdigt werden, als nur denkbar erscheint. Deutsches Reich. ** Berlin, 13. August. lEin Strick für Herrn von Podbiclski.) Das conservative enkani: terrible, dem von der ehrwürdigen Hüterin conservariver Wohlanständigkeit, der ,Hrcuzzcitnng", schon einmal die politische Familienzugehörigkeit abgcstritten werden mußte, hat wieder etwas ans- geheckt. Diesmal ist es Herr v. Podbiclski, der die Kosten des von der „Elbing er Zeitung" vielleicht nicht erdachten, aber jedenfalls ausgeübtcn Streiches zn tragen hat. Nachdem er ob seines Jnspecttonscifers und seiner Sachkenntniß zu Anfang eines eigenen Artikels, der des Ministers Namen als Ueberschrift trägt, recht bieder und warm gelobt worden, nachdem auch noch auf feinen Einfluß als den des angeblich einzigen beamteten Vertrauensmannes des Kaisers hingewiesen ist, bringt der Schluß den einen Satz, wegen dessen der ganze Artikel geschrieben wurde und Herr v. Podbielski dem Blatte nicht hold sein wird. Dieser Schluß, um den herum kein Jour nalistenweg führt, lautet: „Man hat viel davon gefabelt, daß Herrn v. Podbiclski die schwierige Aufgabe übertragen worden sei, anläßlich seiner In formationsreise Bündlcr und Conservative für den Re- gierungsstandpunct in der Zollvorlagc und für den Canal zu gewinnen. Ob Herr v. Podbielski für den Zolltarifcntwurf Stimmung gemacht hat, wissen wir nicht; das ist jedoch That- sache, daß der Canal mit keinem Worte er wähnt worden ist. Herr v. Podbiclski hat sogar einen wahren Horror vor Allem, was mit der wasserwirthschaftlichen Vor lage zusammcnhängt, und äußerte jüngst, als man fragte, warum er das ihm angetragene Eiscnbahnminislerium nicht übernommen habe: „Ick werde mir doch nich mit dem Lauseeanal vorn Bauch stoßen lasse n." Seiner Majestät erklärte er, daß er eine komische Figur abgeben würde, wenn er als ehemaliger Soldat und späterer Post- und Landwirthschaftsministcr nun auch noch die öffentlichen Ar beiten übernehmen würde. Ten „Lausecanal" durchzusetzen, ist lediglich Aufgabe des Herrn Budde, den es angesichts der hierzu nothwcndigen Sisyphusarbeit wohl noch manchmal ge reuen wird, seine schöne, lebenslängliche, mit 200 000 pro Anno dotirte Stellung bei den Löwe'schen Gewehrfabriken gegen einen karg dotirten preußischen Ministerpoftcn cingelauscht zu haben." Gäbe cs im heutigen Preußen Leute, die dem Landwirth- schaftsminister nicht grün wären und ihn stürzen möchten durch Discrcditirnng bet Dem, der die Minister kommen und gehen heißt, gäbe es solche Leute — so hätten sie auch nichts Anderes zu thun brauchen, als diesen einen, fast erschreckend uncrfnnden klingenden Satz zu lancircn. Berlin, 13. August. «Keine Politik des Scheines in dcr Ostmark!) In einem national ge sinnten Blatte wird ausgeführt, welche starke Wirkung auf die Erhaltung des nationalpolnischen Sinnes der Dom in Gnescn mit seiner machtvollen Wirkung von Außen und Heiner glänzenden Ausschmückung des Innern ausübe. Gegen dieses national-polnische Schcnrstück müsse durch ein Beispiel deutschen Glanzes ein Gegengewicht gebildet werden. Es genüge nicht, daß der Kaiser in diesem Jahre nach Posen komme und dort ein glänzendes Hvflager für einige Tage abhalte, sondern einer der kaiserlichen Prinzen sollte als S t a t t h a l t e r nach Posen gesendet werden, nm dort für ein Jahrzehnt und noch länger Glanz zu entfalten. Zunächst wird kein Kenner der Verhältnisse in der Provinz Posen zugebcn, daß der Dom in Gnesen irgend welchen nenncnswerthen Einfluß ans die Cr- haltnngpolnijch-nativnalcrGcünnung ausübe. Dazu liegt Gnesen viel zn crcentrisch. Neun Zehntel der im Süden und im Westen der Provinz wohnenden polnischen Be völkerung bekommen den Gncsener Dom in ihrem Leben überhaupt gar nicht zu sehen. Die national-polnische Ge sinnung wird allerdings durch die Kirche erhalten, aber nicht durch eine Kirche aus Stein und Eisen, sondern durch die Kirche ans Fleisch und Blut, d. h. die polnische Geist lichkeit. Der schlecht besoldcrc und gekleidete Geistliche, dem auch nnr ein einziges Kirchlein zur Verfügung steht, weiß seine polnische Heerde in national-polnischer Ge sinnung zusammen zu halten. So lebhaft bet den Polen auch sonst der Sinn für die Acußerlichkcit entwickelt ist, so bedarf er doch keiner Aeußcrlichkeiten, um National-Pole zn bleiben. Deshalb sollte man auch auf deutscher Seite darauf verzichten, durch Aeußcrlichkeiten germanisiren zu wollen. Was soll denn ein Prinz als Statthalter in Posen machen? Tie eigentliche Leitung der Verwaltung würde doch immer bei dem Obcrpräsidentcn und den ihm unter stellten Regierungspräsidenten und Landräthen liegen müssen, nnd der Prinz würde zur Rolle eines vornehmen Müßiggängers verurthcilt sein, der den Spitzen der Be hörden und dem deutschen Adel der Provinz gelegentlich glänzende Festlichkeiten gäbe. Wir glauben kaum, daß dem Polen besonders imponirt werden würde, wenn man das Beispiel, das ihre königlichen und hochadligen Hofhaltungen zur Zeit des Bestehens -cs Königreichs Polen gegeben haben, nachahmte. --- Berlin, 13. August. (DerKrach zwischen der deutschen und polnischen Tocialdemokratic O b e r s ch l e si e n s.) Unsere Auffassung, daß die deutschen Socialdemvkraten unmöglich die ihnen von den polnischen „Genossen" Lbcrschlesienö zugcmuthete Sta tistenrolle würden spielen wollen und können, hat sich schnell genug bestätigt. Tie deutschen Toeialdemvkrateu haben in allen 12 vberschlesischen Wahlkreisen eigene Can- didaten aufgestellt, und da die polnischen Genossen die vor 14 Tagen von ihnen aufgestellten Eandidaturen nicht zurückgezogen haben und auch nicht znrllckztchen werden — Nachgiebigkeit hat nie zu den spcciellcn Eigenschaften des Polenthums gehört —, so wird man das Schauspiel er leben, daß in dem gesammten vberschlesischen Bezirke fo- cialdcmokratische Bewerber sich bekämpfen werden, wäh rend bisher derartige Ticiplinlvsigkeiten nur ge legentlich einmal in einzelnen Wahlkreisen vorkamen. Die deutschen Socialdemokraten haben, um ihre Aussichten zu verbessern, in einer Reihe von vberschlesischen Wahl kreisen Eandidaten mit polnisch klingenden Namen aus gestellt, wie Baduschick, Klimanskt, Pokorny, Scholtyssck und Bajok. Wir glauben aber kaum, ob dies Mittel bei einem erheblichen Thcile der polnischen Arbeiterschaft ver fangen wird, da die polnischen Eandidatcn nicht ver fehlen werden, darauf hinzuweisen, Laß in der für dieAnf- stellung der Eandidaturen entscheidenden Versammlung die deutschen Socialdemvkraten den nationalen Standpunkt abgelehnt haben, während die polnischen Genossen ihn ausdrücklich hcrvorgckehrt haben. Und dieser Hinweis dürfte seinen Zweck kaum verfehlen. Der Führer der deutschen Socialdcmokratie Oberschlesiens dürfte sich täuschen, wenn er annimmt, daß, weil er die dortigen Ge werkschaften in der Hand hat, die Arbeiterschaft nach seiner Pfeife tanzen wird. Die vberschlesischen Arbeiter ge hören überwiegend der polnischen Nationalität an und die deutsche Socialdcmokratie dürfte die für sic rrchr beschämende Erfahrung machen, daß nur s i e allem natio nalen Empfinden ins Gesicht schlägt, während die pol nischen Socialdemokratcn sich ebenso als Polen fühlen, wie die französischen als Franzosen und die englischen als Engländer. Wenn zu dem, wie es den Anschein hat, auch die bürgerlichen Polen Oberschlesiens eigne Candi- datcn aufstellten, — diese würden sich gegen das Ecntrum richten —, so kann man gewiß sein, daß bei etwaigen Stich wahlen die polnischen Genossen lieber für einen bürger lich-radikalen Polen stimmen würden, als für einen deutschen Parteigenossen. Wir haben für die polnischen Socialdemvkraten gewiß gar nichts übrig, da mir sie als Polen wie als Sveialdemokraten für staatsfeindlich halten, aber wir bekennen, daß wir für einen Socialdcmv- kratcn, der sich als Pole fühlt, immer noch mehr Sym pathien besitzen, als für einen „deutschen" Socialisten, der es für eine seiner Hauptaufgaben erachtet, bei jeder Ge legenheit seinem Vaterlandc gegenüber die Sache des Auslandes zu vertreten. Bestünde ein Königreich Polen und hätte dieses als europäische Macht an der China expedition theilgenommen, so würde sich die Socialdcmo- kratic dieses Staates sicherlich nicht so angenommen haben, wie die „deutsche" Socialdcmokratie während des China- feldzuges. Sollten also die vberschlesischen Wahlen ver deutschen Socialdcmokratie eine Lektion erthcilen, so wäre ihr diese von Herzen zu gönnen. (D Berlin, 13. August. (Telegramm.) Wie Wolff'ö Bureau aus München erfährt, sind zwischen dem Kaiser und dem Prinz-Regenten von Bayern nachstehende Telegramme ausgetauscht worden: Swinemünde, 10. August. An denPrinz-Regenten von Bayern, München. Von Meiner Reise eben heimgekehrt, lese Ich mit tiefster Eutrüstun g'von derAblehnung der von Dir geforderten Summe für Kunstzwecke. Ich eile, Meiner Empörung Ausdruck zn verleihen über die schnöde Undankbarkeit, welche sich durch Feuilleton. Srombeeren. Novelette pon Max Thielert (Berlin). Nachdru» vervvten. Der Schriftsteller, Doctor und Redacteur Fritz Haffe streifte an einem der letzten Sommerfonntage früh wenig erfreut durch die Wuhlheide bei Berlin. „Der Plißmuth dreier Jahre bricht aus", dachte er bet sich. „Ich will mir selber aus dem Wege gehen und nicht denken, denn ich bin heute ein gefährlicher Tiger." Und so ließ er sich die goldene, warme Sonne auf das dichte, dunkelblonde Haar und die gedankenbcwcgten Züge scheinen, wanderte, legte sich wieder hin und sah ungeheuer ernsthaft in die Zweige der Fichten und in den blauen Himmel, sammelte Eicheln und warf sie nach den Bäumen, wobei er die Zahl der Treffer neben sich tm Sande vermerkte. „Lächerlich, zu denken", sagte er dabei. Aber seinem Schicksal entg-ht Niemand. Wie er so durch die Heide wetterschlendcrtc, bemerkte er, weit über eine freie Fläche hingestreut, Brombeer sträucher. Eilfertig schritt er über die Lichtung, wie von etwas plötzlich angeregt. Und wie er das Gebüsch dnrchspähtc und nur cm paar Beerenreste fand, aus zwei und vier Perlen bestehend, und die Sträucher, die schon so oft durchsucht und zer treten waren, überschaute, sagte er laut: „Kümmerlich." Und da überfiel ihn mit aller Gewalt die Sehnsucht, der er doch aus dem Wege hatte gehen wollen. Er sah den blauen, klaren Hcrbsthimmel der Heimath und meinte den frischen Hauch, der über die Heide vom Fluß mit seinen klaren Jluthcn herstrtch, zu spüren. Und er sah den weißen, feinen Sand am Ufer, und dir lautlofe. Ein» samkeit und meinte zu fühlen, wie wohlig die reinen Wellen seine Haut liebkosten. Und am Rand der Heide, etwas am Ufer hinauf, die dichten Sträucher, wo die Brombeeren wie Kirschen so groß, und dicht neben einander aus den Blättern schwarz und funkelnd hervor leuchteten. „Noch einmal will ich das Alles spüren", sagte sich Doctor Fritz Haffe, „noch einmal — und dann zurück." Noch während er das dachte, schritt er schon mit rascher werdenden Schritten dem Vorortbahnhofe zu, der in der Nähe lag. In Berlin schrieb er eine Karte an die Re daction, daß er in dringenden Angelegenheiten zwei oder drei Tage verreisen müsse, und in dem Augenblick, als der Doctor sich etwas athemlos in die Polster des Coupes zurücklchnte, zog die Maschine an und trieb die Räder der Heimath zu. — An Ort und Stelle angelangt, eilte Doctor Haffe, ohne eine Minute zu verlieren, mit langen Schritten dem Flusse zu. Da lagen die weißen Buhnen mit den Stctnköpfcn, an denen sich der Strom brach und der Mitte zuschost. Tie langen Weiden schwankten im Winde an den Ufern hin und her, und über die Wiesen kam der würzige Geruch des Heues, vermischt mit dem des Hcrbstwaldcs, wenn die Blätter zu fallen beginnen. Ueber Aeste und Wurzeln nnd Rinnsale hinweg- steigend, strebte der Doctor am Rand des Forstes den Fluß hinauf, als fürchtete er, zu spät zu kommen. Und dann hielt er auf der Lichtung vor dem Damme und lehnte sich still an eine der einzelstehcnden Fichten. Er starrte hinüber zum anderen Ufer und sah die Lichter der klaren, grünlichen Fluth heraufspiclcn. Und eS überkam ihn das Verlangen, sich in das Wasser hinein- zustürzen und all' Len Staub der großen Stadt abzu spülen und tief die reine, hcimathltche Luft in die Brust hineinzusaugen. Mit einer jähen Bewegung warf er den Hut zur Erde. Dann.ließ ein leichtes Geräusch ihn sich unnvendeu. Aus den Büschen zur Seite trat ein brauner, langhaariger Vorstehhund mit einem weißen, runden Körbchen im Fang. Und hinter ihm eine hellgeklcidetc Gestalt, die langsam auf ihn zukam und dicht vor ihm stehen blieb. Der Doctor starrte auf sie, wie auf eine unirdische Er scheinung. „Fritz", sagte die junge Dame mit leiser, klangvoller Stimme, „Du hier?" Der Doctor Fritz Hasse sah ohne ein Wort in das frische, feine Mädchcnantlitz und überflog unsicheren Blickes die stolze, blühende Gestalt. „Die Brombeeren", erwiderte er mit leicht schwanken dem Tonfall, „die hatten mir's angethan. Ich meinte, die Sommcrfädcn wieder über die Heide ziehen zu sehen. Und die spannen sich um mein Herz und zogen mich geradenwegs hierher." Er sprach wie geistesabwesend und blickte unverwandt tief und erstaunt dem Mädchen in die dunkelblauen Augen, die nun doch niedergeschlagen wurden, um ganz verstohlen über die Hände des jungen Mannes zu gleiten. Mit tiefem Aihcmzug sah das junge Mädchen wieder auf, aber auch mit der Sicherheit einer Weltdame. „Die Brombeeren? — Aber bitte!" Und sie raffte leicht das fließende, weiße Kleid zu sammen und schickte sich an, voranzugchen. „Else!" sagte der Doctor mit bittender Stimme. Das Mädchen wandte sich wieder. „Nun? Ist die Lust zu essen schon vorbei?" lächelte sic muthwillig und den Doctor etwas von unten hcranf anschend. „Nicht möglich!" dachte der Doctor. „Ans diesem scheuen, verschlossenen Mädchen, das mir kaum die Fingerspitzen gab, aus Furcht, ich könnte die Hand küssen, oder gar den Mund, das mich liebte und cS Keinen merken lassen wollte, selbst mich nicht, ans diesem Trotzkopf, der nur fliehen konnte und aus der Ferne traurig zusah, wie ich mit Anderen lachte, ist dies entzückende Weib ge worden?" Noch immer blickte Else Karlow den Doctor wartend an. Aber in ihre Augen kam etwas wie Mitleid. Immer noch war die Gestalt des einst geliebten Mannes hoch un schlank in dem eleganten grauen Sommcranzugc, aber das einst so übermüthige braune Ltndentengesicht mit den rvthen Narben war blaß nnd schmal geworden, und die Stirn leuchtete hoch und weiß unter den dunkler gc- wvrdcnen Haaren hervor. So hatte sic ihn immer vor all' den Anderen geliebt: fein, schlank und vornehm und mit den Augen, die schwcrmüthig blieben, auch wenn der Mund lachte. Sie sah eine heiße Angst in seinen Zügen, und un willkürlich trat sie näher an ihn heran. „Noch nicht!" sagte sie leise, als crriethe sie seine Frage, während sie mit einer allerliebsten ungezwungenen Bewegung die Hände hob, sie hcrumdrebte und die schlanken Finger spreizte. Und dann lachte sie ibn wieder an. „Du kommst doch mit zu uns nach Hause?" Unmuthig und unzufrieden mit sich nahm er den Hut auf. Unmöglich könnte sie so unbefangen sein, dachte er, wenn sic ihn noch liebte, wie er sie diese drei langen Jahre hindurch. Wie leicht ließen sic ihn damals ziehen, den alten Studenten, der kein Examen machen wollte. Sv gingen Beide der Oberförstcrci zn; unterwegs pflückten sic Brombeeren, die Hulda, der Jagdhund, in seinem Körbchen tragen mußte. Es überkam den Doctor doch eine weiche Stimmung, als sic jetzt durch -aS weinuinrankte Gartentbor traten. Ein alter Schäferhund erhob sic» nnd gab würdevoll nnd still als Waldbewobucr seiner Freude durch unmäßiges Wedeln mit der Fahne Ausdruck, und ein schwarzer Teckel sprang, immer wieder Laut gebend, an dem guten Freunde von einst empor. Die alte Magd reichte ihm mit einigen hastigen Worten: „All, Gott, der Herr Fritz! und wie groß und blaß!" die schwielige Hand, und auf
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