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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020821015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-21
- Monat1902-08
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Die Helden des unglücklichen Volkes,die gewalligenRufer im Kampfe um die Unabhängigkeit der Republiken, die granitnen Säulen, um die die Boeren-Afrikander vertrauensvoll sich geschaart, als die Fugen der beiden jungen Staaleiigebilve zu krachen begannen und inS Wanken geriethen, — umbraust von dem frenetischen Jubel des Jingothums in der Hauptstadt des Nimmersatten England, mit dem „begeisterten", freuden tollen hipp, hipp hurrah der Sieger „voll Bewunderung" begrüßt, ja aufs „Herzlichste" begrüßt, wie der ossicielle Draht zu berichten weiß, ohne in Schamröthe zu erglühen! „Der gute alte De Wet und alle die tapferen Feinde von ehemals sind unsere Freunde!" Was mag in der Seele dieser Männer von weltgeschicht licher Bedeutung bei diesem Empfang vorgegangen sein? Sichtlich bedrückt, ernst und finster dreinschauend, ließen sie sich schieben und drängen von der übergeschnappten Menge, centnerschwer gerade auf diesem Gange tragend an der ganzen Größe des katastrophalen Unglücks, daS über ihr, der Freiheit und Unabhängigkeit nun Wohl auf immer beraubtes Volk hereingebrochen. Ihnen konnte ja kein Zweifel sein, ihnen am wenigsten, daß der Jubel Eng lands nicht einzig und im letzten Grunde der spontane Ausdruck ehrlicher Bewunderung eines beispiellos heroischen Gegners war, den nicht die Waffen Albions, sondern der Jammer um Weib und Kind bezwungen, sondern höchst verdächtig gemischt war mit dem Ueberschwang der ebenso demüthigendcn wie tief verletzenden Freude darüber, die „Fürsten" der unterjochten Feinde — wie es zu den Zeiten der römischen Imperatoren Brauch gewesen — vor den Wagen des Triumphators Chamberlain gespannt zu sehen, gemischt mit der Freude darüber, daß in dem lange, sehr lange schwankenden Kriege die Würfel doch endlich noch zu Gunsten des welterobernden JnselreicheS gefallen und damit dem Ganzen und dem Einzelnen neue Quellen des Reichtbums erschlossen wurden. Seiest die „Times" sagen, „eine unwürdige und unziemliche Bewegung volkSthümlicher Neu gier habe Scenen herbeigeführt, deren sehr un williger Mittelpunkt die Generale waren. ES sei recht, einen tapferen Feind zu achten, und ver nünftig, ihren Versicherungen der Treue zu trauen, aber daS Ueber maß der Gefühle, welches inHurrab- Schreien und Umdrängen der Generale Ausdruck fände, sei der Gelegenheit nicht angemessen." Der Jubel war zu laut und zu toll, als daß er ganz aufrichtig hätte sein können. Hat man sich wirklich in London eingebildet, die Boercn- generale seien gekommen, um vor aller Welt zu documentiren, daß sie sich in'S Unvermeidliche fügen, daß sic mit dem Bruder Jingo fraternisiren wollten, daß sie wirklichaus Feinden Freunde geworden? Wenn sie die Reise nach London unternahmen und den ersten Repräsentanten des siegreichen Volkes, vorab dem erst gekrönten Könige gegenübertraten — wie unendlich schwer mag es ihnen gefallen sein! — so thaten sie es lediglich, weil der, uns allerdings unbegreifliche, Glaube an englische Ver sprechungen ihnen den Weg wies, weil sie hofften, von dem „guten" König für ihr Volk noch so viel als ihnen möglich schien, zu erringen — lauteten doch die nackten Friedens bedingungen, die sie hatten unterschreiben muffen, gleich einem Tovesurtheil, und ließ die Erfüllung der den Besiegten günstigen Stipulationen allen Zusagen hoher Stellen zum Trotz in empfindlichster Weise doch immer noch auf sich warten. „Daily News" äußern in dieser Hinsicht: „Die Boeren- sührer kommen, um von der englischen Regierung als ihr Recht, und nicht als eine Gunst, zu verlangen, daß die Friedensbedingungen wörtlich ausgeführt werden. Die meisten Leute in England werden der Ansicht sein, daß dies geschieht, und doch haben wir Briefe aus der Cap- colonie veröffentlicht, die einen sehr beunruhigenden Ein druck hinterlassen. Da- KriegSrecht lastet mit seinen hindernden Bestiinmungen noch immer schwer auf dem Volke. DaS Versprechen der Amnestie wird in weitem Maße dadurch umgangen, daß man Leute für geringe Vergehen, die sich leicht zu bürger lichen Vergehen stempeln lassen, bestraft. Die Gefangenen werden noch immer unter dem Kriegs- recht festgehalten, und die so pathetisch angekün digte Krönungsamnestie ist verschoben worden. Die 3 Millionen, zu deren Zahlung wir uns ver pflichteten, werden auf bureaukratische Weise verschleudert, während das Volk hungert . . ." Wir bedauern freilich, und mit uns alle Bosrenfreunde, daß die drei daS Boerenthum so glänzend verkörpernden Männer allzu gutgläubig die Gestade Englands betreten haben, denn sie haben offenbar nichts erreicht. Wohl be richtet ein vom Auswärtigen Amte redigirteS Telegramm, sie seien nach einem Ausspruche von Bolba's Sekretär, Brebner, außerordentlich befriedigt von dem Empfange beim König gewesen, allein daS kann sich nur auf Aeußerlichkeitcn, aus die freundliche, conciliante Form der Uuterhaltuna, auf das konventionelle Drum und Dran bezogen haben. In der Sache war ihr „Canossagang" vergeblich, denn, wie die ossicielle Meldung zum Tröste Altenglands hinzufügt: „Bon der Politik ist nicht gesprochen worden; die Zusammen kunft war sehr kurz." Ein Händedruck, ein paar höfliche Complimente, das war Alles, und das hätten die Generale sich im Voraus sagen können. Nun, gerade in diesem höchst bedrückenden Momente mag es am Platze sein, sich noch einmal daö ganze Unrecht der Politik Englands, das der „cordiale", „freundschaftlich^' Empfang der neuen „Reichkfreundr" vergeblich zu verschleiern sucht, zu vergegenwärtigen und daraus nochmals den logischen Schluß zu ziehen, daß daS Boerenthum im Engländerthum nie auf gebe», ja nur mit ihm sich aufrichtig befreunden kann. Am beredtesten schildern dies schreiende Unrecht zwei bewährte Boerensreunde, vr. Paul Liman und vr. Haller von Ziegesar, in ihrem vor wenigen Tagen erst im Leipziger Historisch- Politischen Verlag erschienenen, auf amtlichen Quellen der Boerenregierung fußenden Buche „Der Bocrenkrieg, seine Ursachen und seine Entstehung", dessen Lektüre wir dringend empfehlen. Da beißt eS u. A.: Es ist unstreitig die Aufgabe civilisirter Nationen, nicht nur deS Erworbenen sich zu erfreuen, sondern Gesittung und Cultur weiter zu tragen. Jedes Culturvolk muß propagan distisch wirken, will eS seine Sendung erfüllen Nicht der Rcichlbnnl der Natur, sondern die geistige Energie ist der Hebel des Fortschrittes. Sklaverei und Aberg ruben würden heute noch tausendfach herrschen, wenn die Civilisation nicht expansiv wirkte, wenn sie selbst, dem böberen Gesetz folgend, das formale Recht nicht mißachten wollte zu Gunsten des eigenen, höheren Rechts. Man spricht von unterdrückten Völkern und bedauert die rothen Söbne der PampaS oder die dem Untergange geweihten Söhne der beißen Zone. Mit Unrecht. Der Lebenskräftige schreitet in Natur und Geschichte über den Schwachen dahin, das ist das Herrenreckt, daS jedes Blatt deS Lebens und der Geschichte predigt. Nur dann, wenn der Gärtner die kranken Zweige tappt, kann der Baum Früchte tragen. Aber der Kampf der Engländer gegen die Boeren ist anderer Art. Hier handelte es sich nicht darum, ein Volk zu bezwingen, das, der Cultur unzugänglich, starr und wild sich sträubte gegen die Satzungen der höheren Gesittung, es waren nicht Barbaren, die dort unten in Afrika sich wehrten gegen den milden Glanz der christlichen Bildung; noch auch war eS ein sterbendes Volk, das seine geschichtliche Aufgabe erfüllte und nun, morsch geworden, wie einst die Römer, Platz schaffen mußte für die junge Kraft. Von den Schicksalsmächten in die Ferne gesandt, auf einen Boden, der unbebaut und brach dem Pflanzer nur bart und widerwillig die Ernte bot, binemgetneben in die weiten Oeden der Wildniß, in der LaS reißende Thier an wildem Blutdurst überboten wurde von den Bewohnern, hat das Boerenvolk in heißen, aufreibenden Kämpfen sich behauptet als Sieger und als ritterlicher Nachkomme der niederländischen Protestanten und der Hugenotten, dorthin mit dem Schwerte zugleich die Bibel getragen. ES war ein werdendes Volk, kein sterbendes, gegen das England zu Felde zog, es war ein Volk, daS in der kurzen Zeit, die ihm vergönnt war, sich staatlich zu gestalten, Größeres und Schwereres geleistet hat, als irgend ein anderes Volk der Geschichte. Denn ungeheuer weit sind die Strecken, die es besiedelt hat, und nur nach Tausenden zählten die waffenfähigen Männer. Darum wird dieses Volk auch dann nicht untergeben, wenn selbst die ungeheure Urbermacht der Feinde den Triumpd des Augenblickes genießt. Das Lebensfäbige fetzt sich durch in der Natur und der Geschichte. So grandios auch der Gedanke einer britischen Weltmacht erscheinen mag, so findet doch auch der gigantische Plan seine natürlichen Grenzen in dem Recht und in der Kraft der Anderen. Alexander und Napoleon erlagen und das Nömeireich fand seine Grenzen, als daö Be- dürfniß der Expansion, das jedes Weltreich betbätigt, in harten Widei streit gerieth mit dem naturgeborenen Recht innerlich kraftvoller Völker auf die Betätigung der eigenen Individualität. Die ungeheure Walze, die über die Erde fährt, mag das Grün, über das sie dahinrollt, zu Boden drücken, aber es richtet sich auf, und nutzlos bleibt alles Mühen. Englands kriegerisches Vorgehen findet seine Rechtfertigung nur in jener matten und anmaßenden Weisheit, die alles Geschehen nach geschichtsphilosvphischen Gesetzen zu zer gliedern sucht und den Schwächeren dazu verdammt, willig zu verbluten, wie es der Zweck deö Stärkeren fordert. Dieses Gesetz ist richtig, wo die höbere Cultur zur Waffe greift, um sich durchzusetzen, dieses Gesetz ist falsch, wo das Gleiche dem Gleichen gegenüber tritt. Man mag darauf Hinweisen, daß eine geordnete englische Verwaltung weit schneller und sicherer die südafrikanischen Republiken dem europäischen Culturleben erschließen, das Land den modernen Staatsgebilden angliedern würde — das Gegentheil beweist die Geschickte der englischen Colonien, die nie und nirgends staatsbildend im letzten und höchsten Sinne gewirkt hat, die ihre Früchte stets nur dann trug, wenn das geschaffene Gebilde sich loslöste vom Mutterstamme. Und wäre jene Argumentation richtig, wären Glück und Frieden die Gefolgsleute der britischen Herrschaft — was sie nicht sind — so dürfte dennoch nicht der Maßstab gelten, der an die wilden Bewohner des amerikanischen Urwaldes gelegt werden darf. Hier im Boerenkriege sind eS Söhne derselben Rasse, und nirgends enthält ein göttliches oder menschliches Recht die Satzung, daß der Angelsachse de» Niederländer verdrängen darf, nur weil ec in trotziger Entschlossenheit an der Art und Sitte der Väter festhält und nur aus der erborgten Majestät der eigenen sittlichen Ueber- legcnheit. Gewiß, eS ist nicht alles Weisheit in den Boerenlanden, was unseren Augen sich bietet. ES ist manches noch unreif gedl'rbcn, gehemmt in der ersten Entwickelung. Aber auch die Gesetzgebung Englands ist nicht an einem Tage und von einem Manne ersonnen. Jahrhunderte Hal eS gewährt, blutige Kriege, Revolutionen, in denen Könige ermordet wurden, hat cs gekostet, bis die Formen sich prägten, in denen heute das Leben des JnselreicheS sich ab- spiclt. Den südafrikanischen Republiken gab man nach ihrer Consolidirung dagegen nur anderthalb Jahrzehnte, in denen sich der Charakter des Landes entwickeln konnte, und dennoch hat dieser Zeitraum genügt, nicht nur Formen zu schaffen, die, weiter entfallet, dem kleinen Volke die gesicherte, fried liche Zukunft verhießen, sondern eS gelang zugleich, die furcht bare Gefahr zu überwinden, das drückende Problem zu lösen, das die plötzliche Erwerbung der Goldfelder, das der Zustrom einer ungeheuren Masse von Spekulanten und Abenteurern aufstellen mußte. Aber Transvaal mußte bald als Culturwüste, bald als ein Raubstaat erscheinen, als ein Land, in dem die Willkür und die Zuchtlosigkeit herrschten, damit um eingebildeter Pflichten willen der arme, tapfere Tommy Atkins sein Blut willig verspritzte für die Culiur und Englands Ruhm, wie er glaubte, in Wahrheit aber für die materiellen Interessen eines Cecil Rhodeö, der den Imperialismus emportricb, um ihn zu benutzen, der ihn benutzte, daß er dem Capitalismus den Frondienst leiste. Soweit das treffliche Buch. Wir unterschreiben jedes Wort. daS die Verfasser niedergeschrieben haben, eS ist aus der Seele aller Nichtengländer gesprochen. Deutsches Reich. 6. H. Berlin, 20. August. (Die Lebenshaltung der Berliner Arbeiter.) Der Direktor des statistischen Amts der Stadt Berlin, Böckh, hat im Auf trage des Magistrats das neue Jahrbuch yerausgegeben, das eine Fülle statistischen Materials enthält und uns n. A. einen interessanten Blick in die Lebenshaltung des Berliner Arbeiters gestattet. Wir haben in socialdemo- kratischcn Versammlungen bis zum Ucberdruß die Klagen gehört, daß angesichts der thcuercn Miethcn, der noth- wendigen Ausgaben für socialpolitischc und Bildungs zwecke u. s. w. der Lebensunterhalt des Ber F-rrillet-n. Elsbeth's Ladecur. Humoreske von Emil Verbau. Nachdruck dnHotkN. vr. weck. Franz Friedewald war mit Partikulier Barnebcrg's Elsbeth recht glücklich verheirathet, so glück lich, wie man mit 25 und 10 Fahren nur verheirathet sein kann. Aber — aber! „Es ist nichts schwerer zu ertragen, Als eine Reihe von guten Tagen!" so ober ähnlich spricht der Dichter, und die Wahrheit seines Ausspruchs sollte sich auch an dem glücklichen Pärchen erproben. Franz war nämlich ein schöner Mann, ein feiner Mann und ein sehr galanter Mann und batte als ein solcher eine ausgedehnte Patientinnen-Praxis. Und wer cs zum Arzt der Frauen erst hat gebracht, der steht ja — wie männiglich bekannt — auf der Letter zur höchsten Macht. ES bauerte daher auch gar nicht so sehr lange, da zeigte sich bet Elsbeth das erste, bedenkliche Symptvm« chen jener Leidenschaft, die mit Eiser sucht, was Leiden schasst. Die. wie eS schien, gerade zu Beginn der Bade saison wachsende Correspondenz Franzens fing an, ihr fürchterlich verdächtig zu werden. Anfangs begnügte sie sich damit, die Schriftzüge der Brtcfadressen einer graphologisch-kritischen Untersuchung zu unterziehen, deren logisches Ergebnis? natürlich das war, daß „fast" alle Adressen, namentlich die mit den derbsten, „männlichsten" Schriftzügen, von „verstellter" Damenhand herrührten. Diesen „Trick" kannte Elsbeth auS ihrer eigenen Brautzeit her sehr gut. Damals pflegte sie ihrem „Fränkel", als er noch heimlich geliebter stuck, mock. war, ab und zu ein Päckchen niedlicher, duftender LonvertS von rosa Velinpapier, mit ihrer eigenen Adresse, in feinster Damenhand geschrieben, zuzustecken, damit ber Papa Barneberg und die Mama Partikulier keinen Ber. dacht schöpften, wenn ihre Betty so viele „Briefe von früheren Schulfreundinnen" empfing! Und könnte Franz, ber aus eigener Erfahrung wußte, wie prompt ein solcher Trick arbeitet, denselben nicht auch gegen sie an- wenden, damit das Frauchen Doktor keinen Verdacht schöpfte, wenn ihr „Männcl" so viele „Briefe von früheren Eommilitonen, Tollegcn u. s. w." erhielt? Ei freilich könnte er baS! Und so war'S klar erwiesen: Franz trieb — verbotene Eorrespondcnzl Franz, -er schöne, der feine, der galante Mann Ehemann! o wehe, wehe! Und was geschah nun? Nun wurden diejenigen Briefe, welche in Franzens Abwesenheit etuliefem prompt ge- öffnet, gelesen, und ihm geöffnet auf den Schreibtisch ge legt. War Fran- zu Haus« und ber Briefträger erschien, so sing Elsbeth den Brief ober die Briefe geschickt ab, überbrachte sie dem „Männel" selbst, schlang, während er las, ihre weichen Arme um seinen Hals, „lehnte ihre Wang' an seine Wang'" und — las mit. Daß bei dem ersten halben Hundert Briefe der Inhalt auch nicht den geringsten Anlaß zum Verdacht gab, störte das eifersüchtige Frauchen nicht im Geringsten -- cs konnte ja der nächste Brief desto verfänglicher lauten! — und mit einer Geduld, wie sie nur die Tiefe der Leiden schaft erzeugt und nährt, sah Elsbeth Tag für Tag diesem „nächsten Brief" entgegen. Franz seinerseits war anfangs sehr erstaunt gewesen, als er die ersten geöffneten Briefe auf seinem Pult vor gefunden, und er hatte die Absicht seines eifersüchtigen Blondchens sehr wohl crrathen. Er hatte sein „Weibel" jedoch stillschweigend gewähren lassen, da er sich von jeder Schuld absolut frei wußte und hoffte, baß Elsbeth mit der Zeit etnsehen werbe, wie thöricht und unbegründet ihr Verdacht sei. Diese Hoffnung aber erfüllte sich nicht und bewies nur, wie unvollkommen gerade der verliebteste Gatte die tiefsten Herzensregungen des eigenen Weibes zu erfassen im Stande ist. Je inniger Elsbeth ihren schönen Gatten liebte, desto verzehrender nagte die böse, böse Angst in ihr, seine Liebe zu verlieren, und so litt, wie das Ge- müth, schließlich auch der Körper. Frauchen Doctor wurde bleicher und magerer von Tag zu Tag. „Jetzt ist'S aber die höchste Zeit!'! dachte Franz. liner Arbeiters sich von Jahr zu Jahr verschlechtere. Die statistischen nackten Zahlen des Direktors Böckh reden eine andere Sprache. Es ist nicht wahr, daß der Fleischkonsum, der nach socialdcmokratischen Agi tatoren ein Gradmesser für die Lebenshaltung sein soll, von Jahr zu Jahr zurückgegangen sei. Nach Böckh stellt sich der Fleischkonsum in Berlin sammt dem 8 Kilometer- Umkreis im Jahre 1899 auf 185 521 268 Kilogramm, das macht bei einem mitilereu. Bevölkerungsstand in Berlin von 1820 289 und im 8 Kilometer-Umkreis von etwa 600 300 Köpfen einen durchschnittlichen Consum in dem ganzen Gebiete von 76,64 Kilogramm pro Kopf gegen 75,05, 75,85, 76,77, 75,32, 70,86, 71,19, 69,88, 69,35 Kilo gramm in den Vorjahren rückwärts. Also abgesehen von dem Jahre 1896 war der Fleischkonsum 1899 pro Kopf der stärkste; in den Jahren 1890, 1891 und 1892 war er bis über 7 Kilogramm geringer. Bier consumirte die Berliner Bevölkerung pro Kopf 1895 199,50 Liter, 1896 218,87, 1897 234,26, 1898 232,20, 1899 232,88 Liter. Das sieht doch auch nicht nach einem wachsenden Nothstande aus, — 232 Liter Vier kosten mindestens 70 Der Consum von Obst, Gemüse u. s. w. hat sich ebenfalls gewaltig gehoben; er betrug 1895 43,16 Kilogramm, 1896 42,92, 1897 45,59, 1898 51,88, 1899 52,18 Mlogramm. Hand in Hand mit dieser Hebung geht das Sinken des Consums an Kartoffeln von 1895, wo er pro Kopf 79,70 Kilo gramm betrug, bis 67,77 im Jahre 1899. Das Sinken des Consums an Kartoffeln ist ein Beweis, wie sehr die Lebenslage des Berliner Arbeiters sich verbessert hat; die nur den Magen füllenden Kartoffeln verschwinden und eine theuerc, aber viel kräftigere Nahrung durch Obst und Gemüse findet statt. Der Verbrauch an Kaffee (auch Surrogaten), Thee, Cacao hebt sich ebenfalls ganz be deutend; er betrug 1895 nur 4,21 Kilogramm und ist 1899 auf 7,35 Kilogramm gestiegen. Zahlen beweisen; klipp nnd klar geht aus ihnen hervor, daß unsere Berliner Arbeiter einen bedeutend besseren Lebensunterhalt als früher haben. Berlin, 20. August. (Windfabnenpolitik.) Als das Wahlbündnis? der beiden liberalen Parteien in Forchheim- Kuliubach geschloffen wurde und als eS hieß, baß es sogar aus ganz Bayern ausgedehnt werden sollte, schrieb die „Voss. Ztg.": „Hoffentlich lehrt die Noth der Zeit die Liberalen überall, sich gegen die Conservativen und Social demokraten eng aneinander zu schließen." Als dann daS ungünstige Ergebniß der Ersatzwahl in Forckbeim bekannt wurde, schrieb dasselbe Blatt: „Will der Freisinn sich nicht selbst morden, so darf er keinem Nationalliberalen die Hand reichen, der sich zu einer Vertheuerung der Lebensmittel ent schließt." Der Freisinn ist ja sonst so stolz darauf, konsequent zu sein, und er wirft gern anderen Parteien, insonderheit den Nationalliberalen, Opportunismus vor. Nun, nachdrücklicher, als cs hier eins der führenden Organe des Freisinns gethan hat, kann Niemand nach dem Erfolge oder Nichterfolge des Augenblicks handeln. Wir wißen nun nicht recht, wie die „Voss. Ztg." sich die Situation der Freisinnigen bei den nächsten Reichs- tagSwahlen vorstellt. Die Parole „Gegen Conservative und Socialdemokratie" will sie doch Wohl nicht ausgeben. Mit dem Centrum wird sie nach den Vorgängen der letzten Zeit sicherlich auch nicht pactiren wollen. Wenn sie also nun auch ein Zusammengehen mit den Nationalliberalen ablehnt, so steht der Freisinn allein auf weiter Flur. Erinnert man sich, daß die Freisinnigen bei den Wahlen 1893 in der Haupt wahl 0, bei denen von 1898 ganze 3 Mandate errangen, so kann man sich denken, wie eS um die Partei bei den nächsten Wahlen bestellt sein wird, wenn sie den Standpunkt der sxlonäick igolatiou cinnimmt. -r- Berlin, 20. August. (Das Centrum im Elsaß, daS Bcamtenthum nnd die nächsten Reichstags wahlen.) In einer Zusckrift an die „Köln. VolkSztg." wird eine neue Seile der jetzt viel erörterten Frage des Anschlusses der katholischen Elsässer an das Centrum berührt: nämlich die Stellungnahme deS altdeutschen katholischen Bcamten- tbumS. Der Verfasser der Zuschrift zweifelt auf Grund eines 25jährigen Aufenthaltes im Elsaß stark daran, daß die alt deutschen Beamten katholischer Confession im Elsaß in irgendwie nennenöwerther Zahl an dem Anschlüsse an daö Centrum theilnebmen würden. So würde eine plötzliche Schwenkung auf politischem Gebiete für di« Katholiken des Elsaß den Verlust manches wertbvollen Freundes zur Folge haben. Die „Kölnische VolkSztg." will diese Besorgniß nicht wabr haben, sie schreibt: „Biele katholische Beamte würden den „Diesem Zustand muß ein Ende gemacht werben, so drastisch, daß ein Rückfall ein für alle Mal unmög lich ist!" Und er überlegte und machte sich einen Plan zurecht, nach welchem er sein Weibel von ihrem „Herzübel" aus dem Grund curiren wollte. Eines Abends, als Blondchen ihm den üblichen Gute nachtkuß verabreicht hatte und in die „Baba" gegangen war, setzte er sich ans Pult und verfaßte folgenden Brief: „Madame! Sie sind furchtbar eifersüchtig. Ich weiß das. Wie viel Grund Sie haben, an der Treue Ihres schönen Gatten zu zweifeln, das werden Sie am besten erfahren, wenn Sic stricte diesen Rath befolgen: Fühlen Sie sich „kränklich" und lassen Sie sich von Ihrem Gatten inS Bad schicken. Wählen Sie das Ost- feebad *** und reisen Sie sofort dahin ab. Sie werden dort leicht Anschluß an eine bekannte Familie finden. Lassen Sic Ihren Gatten bei Leibe nichts von der tieferen Absicht Ihrer Badereise merken und baden Sic rcaelmäßig. Sie werden dann bei Zeiten ein zweites Schreiben mit weiteren Verhaltungsmaß regeln erhalten, welche Sie ebenfalls genau befolgen müßen. Meinen Namen erfahren Sie späterhin. Auf Wiedersehen. -i-4--s-." Diesen Brief in zierlicher „Damenhandschrift" gab Franz am nächsten Morgen unbemerkt zur Post und wartete der Ding«, di« da — kommen sollten. —
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