Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190307124
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 4952-4955 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-12
- Monat1903-07
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1903
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Reklamen unter dem Redakttousstrich (4gespallen) 78 vor den Famtliennach- richten (ü gespalten) 80 Dabellartscher und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Stachweisungeu und Offrrtenannahme 88 L, (excl. Portos Extra-Vellage« (gesalzt), mit der Woraeu-AuSaab«, ohu« Postbesördernug 60.—, mit Postbesördernug 70^-. Annahmeschluß für Anzeigen: Abead-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abeudS 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Bolz in Leipzig. Nr. 349. Sonntaft den 12. Juli 1903. 97. Jahrgang. Aus der Woche. Die schwere Erkrankung beS Pap st eß hat im Deutschen Reiche eine Stimmung her vorgerufen, die der Berliner „Times" - Korre- sponbent in folgenden Sätzen schildert: „Die deutsche Politik wird seit einer Reihe von Jahren darauf gerichtet, die Fehler des Kulturkampfes wieder gut zu machen. Dabei hat man, wie gewöhnlich, die Rolle, zu der man sich entschlossen hatte, einigermaßen übertrieben. TaS Ergebnis ist, daß niemand mehr in Deutschland eine große protestantische Macht steht. Die Gedanken konzen trieren sich vielmehr auf die Frage, biö zu welchem Grade die Abhängigkeit von Vatikan und Zentrum die all gemeine Politik beeinflußt. Die heutige Stellung deö Reiches zum Vatikan erfolgte ursprünglich unter dem Gesichtspunkte deS vo ut <ies. Biele Deutsche sind aber der Ueberzeugung, daß auf diesem Gebiete, wo man eö mit -er zähen und schlauen Diplomatie eines Rampolla z« tun hat, Deutschland nicht -um besten abgeschnitten habe, vermutlich ist man fetzt zu weit gegangen, um zurück zu können. Die letzten Wahlen haben den Grafen Bülow abhängiger denn je vom Zentrum gemacht." Mit der Schärfe, die dem Auge des Gegners eigentümlich zu sein Pflegt, ist hier das Wesen des klerikalen Einflusses erkannt worden. Dabei wollen wir aber auf die be hauptete Fehlerhaftigkeit deö Kulturkampfes nicht den Schwerpunkt legen. Das wäre eine Ungerechtigkeit gegen den Fürsten BiSmarck schon deshalb, weil, wenn überhaupt einer, ihm dieser Kampf anfgedrängt worben ist durch den KlerikaliSmuS. UnfehlbarkeitSbogma und Begründung -e» Gleiches, — i» orr Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse haben wir den Schlüssel zu der unglückseligen Verknüpfung unserer nationalen Wiedergeburt mit dem nie aufhvrenden Hineinspielen des Kampfes von Staat und Kirche. Daß dabei unser großer Kanzler falsche Kampfmittel angewandt habe, auch diese Behauptung ist nicht richtig. Die Erfolglosigkeit führen wir — abgesehen von der Ungeschicklichkeit mancher Behörden — lediglich darauf zurück, daß infolge der alten Zerrissenheit des deutschen Volkes die in Rom mächtig konzentrierte Kirche in diesem Kulturkämpfe der Stärkere bleiben mußte. Eine Niederlage des Reiches hat es trotzdem nicht ge geben. Aber Bismarck verstand sich zur purtio remiso, die ohne zu große Opfer zu halten sein Genie und die Fein heit seines staatsmänntschenDcnkenS sehr wohl ausreichten. AlS aber der Vatikan das Spiel wieder aufnahm, saßen auf der deutschen Seite die Epigonen, deren Hand weder so kühnen noch so feinen Zügen gewachsen war, wie jene, „die einst der Welt geboten". Wir gehören nicht zu denen, die am Hader -wischen König und Oberpriestcr Freude empfinden würben. Wir können uns aber auch nicht zu einem be sonderen Glücksgefühl aufschwingen, wenn uns ver kündet wird, daß der Papst den Kaiser rühmt, oder, wie die klerikalen Blätter, bet der glücklicherweise falschen Nachricht von dem kaiser lichen Gebete für den Papst. Ist es ohnehin eigentümlich, den Monarchen gottesdienstliche Hand lungen vornehmen zu sehen, die wir uns sonst nicht ohne das Gewand des Geistlichen denken können, so wäre die Fürbitte für den Urheber der CanistuS-Lncyklika eine Konzession gewesen, zu der nicht jeder Protestant sich bereit finden wird. Mit solchen Geschenken wird das Wohlwollen der Kurie denn doch zu teuer erkauft. Es ist ja ganz gut und schön, wie dem Kardinal-Erzbischof von Köln die Augen übergehen bet der Schilderung von der dem Laienauge nicht wahrnehmbaren Kon genialität LeoS mit der Wilhelms II. Wo aber bleibt die vatikanische Deutschenliebe, sobald sich im Vatikan ein Franzose zeigt? Auf die ehrwürdige Gestalt des alten Kaisers wollte ein Pio Nono den Fuß setzen, als das Deutsche Reich seine Rechte gegen den antinationalen Klerus und seine parlamentarische Verkörperung be tonte. Frankreich führt gegen die Kirche geradezu einen Vernichtungsfeldzug. Aber dem sterbenden Papste weiß man dennoch einen besonderen Gruß für seine geliebte Tochter, die französische Republik, abzupressen. Kardinal Rampolla, den Leo XIII. nicht nur zum Staats sekretär erwählt, sondern auch trotz seiner anti deutschen Machenschaften immer gehalten hat, tuschelt mit dem Kardinal Mathieu und dem französi- schen Botschafter Nisard überKonklave-Nngelegenhetten, ehe noch derPapst dicAugen geschlossen hat. Nein, für Gesin nungen und Handlungen, die einem deutschen Protestanten über den Respekt vor der Person Leos XIII. hinaus- gehende Gefühle erwecken könnten, ist im Vatikan kein Raum. Soweit sie nicht international und klerikal sich geben, sind der Papst und seine Umgebung schon lange nichts, als nationalistische Italiener, aber nicht von demGchlage berU mberto undC rts p t, die bcnDreibund schlossen, sondern von -der panromanistischen Art, die in dem Hasse gegen -aS Germanentum wesentliche Trieb federn des Handelns finden. Es verschlägt darum auch nichts, wenn jetzt auf BiSmarcksche Aeußerungen über die Notwendig keit, auf die Gestaltung der Papstwahl Einfluß zu suchen, zurückgegriffen wird. Gewiß ist eS nicht einerlei für unS, wer den Stuhl Petri besteigt. Zumal nach dem Vatikanischen Konzil und zu einer Zeit, La der Anspruch auf den Kirchenstaat noch weit heftiger geltend gemacht wurde, als heute, wäre ein laigssr kaii-s unverantwortlich gewesen bei einem Kanzler, -er sich Gehorsam auch außer halb seiner Kompetenz zu erzwingen wußte. Es war ge wiß nicht ohne Belang, daß 1878 ein Papst gewählt wurde, dessen erstes Wort an den deutschen Kaiser lautete: „Da wir zu unserem Bebauern die Beziehungen, welche in früherer Zeit so glücklich zwischen dem hl. Stuhl und Ew. Majestät bestanden, nicht mehr vorfinden, so wenden wir uns an Ihre Hochherzigkeit, um zu erlangen, daß der Friede und die Ruhe deS Gewissens diesem beträchtlichen (katholischen) Teile Ihrer Untertanen wiebergegeben werbe." Inzwischen sind fünfundzwanzig Jahre dahin- gegangen und wir haben jetzt auch in -en Friedens geschenken des Vatikan- so manches Haar gefunden, das unS die Freundschaft von Kaiser und Papst einigermaßen verleidet hat. Deutsche Einmischung oder Einwirkung auf ein Konklave, etwa im Sinne einer Stützung der ge mäßigten Richtung, wäre, wenn sie überhaupt denkbar wäre, ein höchst unglückliches Experiment. Auch ein leicht gesinnter deutscher Staatsmann könnte die Verantwor- tung, die früher oder später ohne alle Frage als Kon sequenz der Einmischung auf ihn gelegt würbe, nicht ris kieren. Wie aber mögen im Vatikan die Auguren gelacht haben, als sie erfuhren, daß zu einem amerikanischen Jour- naltsten der große Bachem gesagt hat, eine besondere Stellung zur Papstwahl würben die deutschen Katholiken erst dann einzunehmen haben, wenn von irgend einer Seite versucht werden sollte, die Papstwahl zu stören ober ihre Freiheit zu beeinträchtigen. AlSbann würden sie so- fort mit allen ihnen zu Gebot« stehenden zulässigen Mit teln für die unbedingte Freiheit der Papstwahl eintreten. Will etwa Bachem mit seinem Freunde Spahn als Ver treter der deutschen Katholiken Ehrenwache beim Kon klave beziehen, ähnlich, wie sie vor fünf Jahren namens des deutschen Reichstags nach FriedrtchSruh die Toten spende getragen haben? Dort hat man sie geduldet. Aber im Vatikan werden die Herren Kardinäle über jedes deutsche Lebenszeichen, selbst wenn es von Bachem her rührt, voller Hohn zur TageSordmrng übergehen. Und darum können wir uns auch von einer diplomatischen Einmischung des Deutschen Reiches bei der Papstwahl gar nichts versprechen, wie uns die päpstlichen Grüße an den Kaiser nnd das Wohlwollen deSKaiserS für deuPapst nichts Förderliches bedeuten. In dem Zusammenwirken der beiden größten Herrscher der Jetztzeit", von den: Erz bischof Fischer spricht, können wir kein Bollwerk gegen den „Geist der Verneinung, der Zerstörung und des Umstttrzes" erblicken. Sofern bei einem deutschen Bischof wahrhaft nationale Gesinnung sich zeigt, haben wir es eben doch nur mit einer persönlichen Eigenschaft zu tun. Sie ist nicht dem inneren Wesen nach mit der Stellung verbunden. Sonst könnte es nicht vorkommen, daß Bischof Rosentreter von Kulm, ein Mann deutschen Ur sprungs, seinen Stolz darin findet, eine Rebe zu halten, in der kein deutsches Wort vorkommt. Die aggressive Stellung eines Kopp gegen den polnischen Radikalismus, die klerikale Aussperrung Kor- fantyS von den Weihen der kirchlichen Trauung sind keine AuSbrüche eines sich wenn auch ver spätet einstcllendcn Patriotismus. Lediglich der Ungehor- sam gegen die Zentrumspartet hat solche Feindschaft über die radikalen Polen gebracht. Der deutsche Bischof, der seine Vaterlandsliebe bei deutschen Festen betont, sielst stets in Rom, wie es dort eben erst Erzbischof Fischer aus- gesprochen hatte, seine zweite Heimat. Sein Herz ist jcn- seits der Berge, ultra Montes. Die Erkenntnis von der Gefährlichkeit dieses Ultramon- tanismuS, der in jedem echtenZentrumsmanne schlummert, wenn die Zeiten ruhig, der gegen den nationalen Staat wütet, wenn sie stürmisch sind, hat sich seit den letzten NeichStagswahlen erheblich gesteigert. Man bleibt nicht bet dcrBetrübniS über dieMederlagen derBa ss erma n n und Büsing stehen, sondern befreit sich von der Illusion, als gebe es auch nur gegen die Sozialdemokratie eine Solidarität des Liberalismus mit dem Ul- tramontanismuS. Die tastenden, aussichtslosen Versuche, eine große liberale Partei zu schaffen, sind aus dieser Er- kenntntS hervorgegangen. Der Abstand zwischen den Anschauungen von Nationalliberalen und Freisinnigen ist nicht zu überbrücken. Wohin vr. Barth geht, wird etwa vr. Paascheden Fuß nicht setzen. Und doch ist dicGegner. schäft gegen den UltramontantsmuS beiden Parteien und ihren Abarten gemeinsam. Sollte es da unmöglich sein, in den Parlamenten jenen oft empfohlenen liberalen Aus- schuß, an dem aber die Sozialdemokratie nicht zu beteiligen wäre, zu schaffen, mit der Aufgabe, alle an die Gesetzgeber herantretenden Fragen unter dem Gesichtspunkte zu prüfen, ob sie dem Liberalismus oder der Reaktion schaben? Innerhalb der deutsch-österreichischen Parteien sind die Gegensätze doch wohl so scharf, wir nur irgend denkbar. Welcher Abgrund -wischen einem FortschrittS- mann und einem Alldeutschen von der Wolfschen Richtung! DaS Zustandekommen deS deutschen „Blocks" zur Abwehr der slawischen Gefahr beweist aber, daß selbst feindliche Brüder einander die Han- reichen können, wenn der ge meinsame Feind zu stark geworben ist, um von einzelnen bewältigt zu werden. Die große protestantische Partei, von der man in Kreisen des Evangelischen Bundes Schwächung deS UltramontantsmuS erhofft, ist in unseren Zeiten eine Utopie. Wir können im Kampfe gegen diese Gefahr niemanden weniger entbehren, als den kernhaften süddeutschen Liberalen katholischer Konfession. Nicht der orthodoxe Protestant, der an den Salbadereien der „Kreuz zeitung" sein rührseliges Herz entzündet, kann mit der schwarzen Gefahr fertig werden, wohl aber der katholische Bauer im badischen Seekreise, der am Sonntag mit Mer Andacht seine Messe hört, dem Herrn Pfarrer aber, wenn er den Stimmzettel ins Hauö tragen will, die Türe weist. Deutsches Reich. -jj- Berlin, -II. Juli. (Die Folgen der Ver minderung der Arbeitsleistung.) Infolge der in Großbritannien immer mehr steigenden Besorgnisse wegen des erfolgreichen Wettbewerbes Deutschlands auf dem Weltmärkte beginnt man auch dort über die wirklichen Ursachen des wirtschaft- lichen Fortschrittes Deutschlands Klarheit zu gewinnen. Man sängt auch jenseits des Kanals an, einzusehen, -atz, wenn die deutsche Industrie trotz vielfach ungünstigerer ProdukttonSbedinaungen gegenüber -er englischen Fort schritte auf dem Weltmärkte macht, die Ursache dafür vor nehmlich in der überlegenen Arbeitsleistung der Deutschen zu suchen ist, und zwar auf der ganzen Linie. Wie die Bestrebungen zur Vervollkommnung deS tech nischen Unterrichtswesens in Großbritannien beweisen, fühlt man dort, daß die deutsche Industrie in Bezug auf wissenschaftliche Arbeitsleistung der britischen überlegen ist. Daß die Erweiterung des deutschen Ab satzes im Auslande zu einem großen Teile auf die starken und guten Arbeitsleistungen der deutschen Kaufleute zurückzuführen ist, hat man in England gleichfalls er kannt. Endlich bricht sich dort auch die Auffassung Bahn, daß die mit der Preispolitik der Trabe-Untons zu sammenhängende Verminderung der Arbeits leistung der britischen Arbeiter auf die Leistungsfähigkeit und damit auf die Kon kurrenzfähigkeit der britischen Industrie auf dem Weltmärkte empfindlich drückt. In Deutschland besteht darüber längst kein Zweifel. Ein so genauer Kenner der Industrie- und Handelsverhältnisse, wie der frühere deutsche Gesandte v. Brandt, erblickt, wie er wieder holt in Aufsätzen dargelcgt hat, sogar in dieser von den Tradc-Untons planmäßig herbcigeführten Verminderung der Arbeitsleistung des britischen Arbeiters die Haupr- ursache der Ucberflügelung der britischen Industrie durch die amerikanische und die deutsche. Das mag nun zwar übertrieben sein; aber auf der anderen Seite unterliegt es keinem Zweifel, daß in der überlegenen Arbeitsleistung der deutschen Arbeiter wenigstens eine der Ursachen der Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie auf dem Welt märkte liegt und daß, wenn in ähnlicher Weise, wie dies in England der Fall ist, die organisierten Arbeiterschaften diese Arbeitsleistungen verminderten, die deutsche In dustrie ihre Stellung auf dem Weltmärkte noch weniger behaupten könnte, als die unter günstigeren Verhältnissen arbeitende britische. Eine solche Verdrängung der In dustrie wäre natürlich gleichbedeutend mit einer Ver minderung der Arbeitsgelegenheit und einer nicht minder empfindlichen Herabdrückung-der Arbeitslöhne. Wie in England geht aber auch bet uns das Bestreben wenigstens der sozialdemokratisch beeinflußten Arbeiterorgani sationen auf das Ziel einer Verminderung der Arbcfts- leistung aus. Diese hängt bekanntlich nicht bloß von der Dauer der Arbeitszeit, sondern auch von der zweck- mäßigen Disposition deS Geschäftsleiters ab, durch die die volle Verwertung der Arbeitskraft und der Arbeits zeit gesichert wird. Die Bestrebungen der sozialdemo kratisch beherrschten Gewerkschaften richten sich aber nicht bloß auf eine Verkürzung der Arbeitszeit mit dem End ziele des achtstündigen Normalarbeitstages, sondern sie bezwecken auch, den Unternehmer, ähnlich, wie dies die englischen Arbeiterorganisationen längst getan haben, in der freien Disposition über die Einrichtung seines Be triebes und demzufolge über die Verwendung und Ver wertung der Arbeitskraft zu beschränken. Die großen wirtschaftlichen Kämpfe der letzten Jahre sind viel weniger Lohnkämpfe, als Kämpfe um die Macht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewesen und von den letzteren wesentlich zu dem Zwecke geführt worden, den Arbeitgebern die volle Disposition über ihre Betriebe zu entziehen und zunächst das Mitbestimmungsrecht, dem- nächst das Alleinbestimmungsrecht der Arbeiterorgani sationen an deren Stelle zu setzen. Sollten diese Be strebungen, die bisher überwiegend an der Entschlossen heit und dem festen Zusammenhalten der Arbeitgeber organisationen gescheitert sind, in Zukunft Erfolg haben, so würde die Wirkung der dadurch verminderten Kon kurrenzfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Welt märkte sich sehr bald in der Verminderung der Zahl der Arbeiter und in der Herabsetzung der Löhne geltend machen. Gerade die englischen Erfahrungen weisen darauf hin, wie eng die wirklichen Interessen der Arbeiter mit dem Gedeihen der industriellen Unter nehmungen verknüpft sind und wie bedenklich gerade vom Standpunkte der wirklichen Arbetterinteressen die Bestrebungen der sozialdemokratisch beeinflußten Arbeiterorganisationen auf Verminderung der ArbeitS- leistung der Arbeiter sind. * Berlin, 11. Juli. (Der Zweck heiligt die Mittel.) Aus dem vom Grafen Hoensbroecb in seiner Zeitschrift „Deutschland" auS jesuitischen Schriften zusammengetragenen Material sei folgendes hervor gehoben: Das Kapitel, in dem die jesuitischen Moralisten die Lehre von dem das Mittel heiligenden Zweck abhan deln, ist das vom AergerniSgeben. Daß ein Vater seinen Sohn indirekt zum Stehlen veranlaßt (ein beliebtes Beispiel), indem er den Schlüssel im Geldspind stecken läßt, kann sittlich erlaubt sein — wenn der Sohn nämlich, beim Stehlen ertappt, gebessert werden soll (Sanchez und Tamburins). Vor allem ist es sittlich erlaubt, jemand zu einer kleineren Sünde (etwa Unzucht) zu ver anlassen, sei's durch bloßen Rat, set'S durch Gelegenheit bieten, um ihn so von einer gröberen (etwa Ehebruch, Gattenmord) abzubringen (Escobar, 's 1669). Wundervoll jesuitisch ist dann die Auskunft: Obwohl jener Weg sittlich schlecht ist, so bestimmst du den Betreffenden nicht, daß er auf ihm voranschreite, sondern du sagst nur, baS sei der Weg zur Vermeidung der größeren Sünde, was wahr ist. Denn dann rät man nicht -aS kleinere sittliche Böse, son dern das Fehlen deS größeren an; auch bestimmt man den Willen des Sünders nicht zum kleinen Bösen, sondern man hält ihn vielmehr ab von der Begehung der gröberen Tünde (Castropalao),- und die Wahl des geringeren Bösen ist gut (Sanchez). — Wie wenig von moralischen Skrupeln berührt ist doch folgendes Exempel: Peter ist entschlossen, den Franz zu töten, um ihn zu bestehlen. Du überredest ihn, daß er sich mit -em Diebstahl begnüge. Bet diesem Rat fügst du nämlich niemand Schaden zu: nicht dem Peter; denn du sorgst ja dafür, daß seine Seele nicht mit so vielen Verbrechen befleckt werbe, nicht dem Franz, da du ja seine Sache vorteilhaft führst. Daraus folgt: Es ist -dir erlaubt, nicht nur dem Peter in diesem Fall den Dieb stahl anzuraten, sondern auch bei der Tat materiell zu helfen; denn du hilfst nicht bei der Tat, die in sich ün- erlaubt und schlecht ist. sondern die vielmehr, soweit sie von dir auSgeht, gut und ehrbar ist (Sanchez). Um nur im Vorbeigehen die edlen Zwecke zu beleuchten, die jenen freundlichen Ratschlägen eine gewisse sittliche Gutheit ver leihen ,wie es in der jesuitischen Kunstsprache heißt, so wird außer dem schon genannten moralischen der religiöse genannt: die Beleidigung Gottes herabzumindern, der Ehre -er Kirche zu dienen (etwa durch den frommen Wunsch der Beseitigung eines Kctzcrhäuptlings) oder aber Wahrung der Gerechtigkeit (durch Bestechung der Konku bine eines Richters, die auf einen bestimmten Urteils spruch hinwirken soll). Den wahren Motiven dieser Lehre, die durch solch hohe Titel nur verschleiert werden, kommen wir eher auf die Spur, wenn bei Sanchez u. a. mit wohl tuender Ehrlichkeit durch die „Tich-crstellung" des Ehe manns, der einen ScheidungSgrlmd braucht, das Gelegen- heitbieten zu offenem Ehebrüche sanktioniert erscheint. Der Jesuitismus erscheint vielfach nur ein potenzierter Katholizismus mit weitgehenden Konzessionen an den natürlichen Menschen. Es ist deshalb auch kein Wunder, daß die „Moraltheologie" von Jesuiten — in der Gegen wart die des Westfalen Augustin Lehmkul — dem Unter richt in den katholischen Priesterseminaren zu Grunde ge legt wird. Unter diesem System fügt sich gar trefflich ein eine so famose Geschichte wie die von der Lüge der ehe brecherischen Anna, die — die Absolution in der Tasche! — mit Anwendung der unerhörtesten jesuitischen Sophisttk ihren Gatten anlttgt und ihre Unschuld eidlich bekräftigt (bei Gury). Wenn Tamburini und andere jesuitische Klassiker ausdrücklich versichern, daß eine bestimmte Sünde, wenn sie einem guten Zwecke dient, erlaubt und sittlich gut werden könne, so erledigt sich von selbst ein Ein wand, zu dem auch DaSbach seine Zuflucht zu nehmen scheint: nicht eine Sunde werde gut, sondern eine an sich indifferente Handlung. In diesem Sinn wollen auch manche Jesuiten -as Musterbeispiel von dem im Geldsptnd stecken gelassenen Schlüssel verstanden wissen. Aber da mit würde dem moralischen Urteil jede objektive Grund lag entzogen. Und nnt wünschenswerter Deutlichkeit schreibt im eigenen Lager der Jesuiten der schon genannte Lehmkul, die größte icvt lebende Autorität: „Unmöglich scheint eS zu sein, daß eine konkrete menschliche Handlung weder sittlich schlecht noch sittlich gut sein kann." Natürlich; denn ihren Stempel, ihre Qualität erhält die Tat durch die Absicht, in der sie geschieht; davon losgelöst, hat sie gar keinen Sinn. Nur ein Wortklauber, der sich gegen die Wahrheit sperrt, kann leugnen, daß der Grundsatz: „Der Zweck heiligt die Mittel", nicht bloß dem Sinne nach, son dern ausdrücklich in den jesuitischen Schriften siebt. Es ist doch sehr deutlich, wenn Escobar erlaubt. ..BöseS zu tun, damit Gutes daraus entstehe", und noch deutlicher, wenn Eastrovalao schreibt, daß die stchcre Besserung ldcr „gute Zweck") deS SünderS die Zulassung der Sünde veredle. D Vertin, l l. Juli. (Telegramm.) Ein heute früh auö Swinemünde eingegangenes Telegramm meldet: Die Kaiserin ging beute früh 7 Uhr in der Richtung nach Warnemünde in See. Der Kaiser trat die Reise nach Bergen um 8 Uhr an. An Bord alle- wohl. (D Berlin, 1l. Juli. (Telegramm.) Die „Nordd. Allgcm. Zeitung' schreibt: „Die „Posener Zeitung' brachte dieser Tage eine auch von anderen Blattern übernommene Mitteilung über rin angebliches Gespräch deS Kaisers mit dem Amerikaner Banderbilt, in dem der Kaiser sich über die sirag« der ReichstagSauflSsung, über das An- wachsen der sozialdemokratischen Stimmen und sonstige innerdeutsche Verhältnisse geäußert haben soll. Diese Mitteilung beruht auf Erfindung. G Berlin, 11. Juli. (Telegramm.) Durch ein päpst- lichrs Breve vom 3. Juli ist der Kurator W. E. Schwarz
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