Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030713016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903071301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903071301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-13
- Monat1903-07
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis Morgen-Ausgabe eipMcr.TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Llömgttchen Land- nnd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiaintes der Ltadt Leipzig. Nr. 35«. Montag den 13. Juli 1903» Haupt-Filiale Dresden: Marieustraß« S4. Fernsprecher Amt 1 Nr. 171L. Haupt-Filiale Lerliu: Earl Duncker, Herzgl. Bayr. Hvfbuchhandlg« Lützowstraße 10. Fernsprecher Air^ VI Nr. 4S0L Ne-aktton und Lrpeditio«; JohanniSgaffe 8. Fernsprecher ISS und SSL FUtalevpedMaire« r Alfred Hahn, Buchhandlg„ UntverfwUSpr.^ L. Lösche, Kathariuenstr. 14, ». KäuigSpl. 7. M der Hanptrxpedition oder deren Ausgabe stellen abgebolt: vterteltührltch bet zweimaliger täglicher Zustellung tu« paus 8.7K. Durch di« Post bezogen sür Deutsch land «. Oesterreich vierteljährlich 4.K0, für die übrigen Länder laut Zeituug«pret»ltst«. Anzeigea-PreiS die 6gespalten« Petüzeile SS NeNameu unter de« Nedaltion-strich stgespaUen) 7K vor den Familienuach richte» (6 gespalten) KO Labellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenanuahme Lk H (excl. Port»). Srtra-Beilagen (gesalzt), au? mit o« Morgeu-AuSgab«, oh», Postbesärderua, SO.—» mit Postdefvrderuug 70.—» Dmahmeschluß für Äuzeigeu: Lbend-Ansgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige» sind stet» an die Expedition -u richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von srsth 8 bi« abend« 7 ULr. Druck und Verlag voa S. Polz tu Leipzig. 87. Jahrgang. Amtlicher Teil. Versteigerung. Den 14. Juli 1903, vorm. 10 Uhr gelangen im Versteigerungslokale de» König!. Amtsgericht» hier 6L Paar Tuchschuhe, verschiedene Rauchwaren, 1 gross« Plüschportiere «. v. a. G. gegen Barzahlung zur Versteigerung. Leipzig, den 11. Juli 1V08. Der Gerichtsvollzieher des Königl. Amtsgerichts. Versteigerung. Den 15. Juli 1903, vorm. 10 Uhr sollen hier im Grundstücke Petersstratze 29 1 Plüschgarnitur» 1 Piantno, 1 Bertikow. 1 Büffet, 1 Pfeilerspiegel, 2 Tische, 1 Plüschsofa, 1 Regulator, 1 Gaskronleuchter (5armig), 3 Dtoffportieren, 2 große WarenauSstellungSschränke, 4 Ladentafeln, braun mit Gold, 1 Schreibpult mit eiserner Kassette u. v. a. G. meistbietend gegen sofortige Barzahlung versteigert werden. Leipzig, den 11. Juli 1903. Der Gerichtsvollzieher des Königl. Amtsgerichts. Loukur8-Lu8VsrkLlll. Dir Konkursmasse Lloiiarä 'laute. RetchSstr. 6,1., bestehend au« «alanlerie-, Spiel- u. Lraerwaarrn, gelaugt nur noch kurze Zett zu bedeutend ermäßigten Preisen zum Ausverkauf. Händler und Private werden hierauf besonder« aufmerksam gemacht. Verkauf-lokal: NeichSstrahe 6, I., gegenüber dem Burgkeller. Der Konkursverwalter Rechtsanwalt 0r. jur. H. Groß«. Leo MI. * Rom, 11. Juli. (Telegramm.) Rossoni, Maz - oni und Lapponl begaben sich um 5 Uhr nach dem Vatikan. Auf dem PeterSplatze war, da man nicht wußte, baß der Besuch früher als sonst stattfinbe, fast nie mand anwesend. (Wdrhtt.) * Rom, 12. Juli. Die „Agenzta Stefant" gibt gestern bekannt: Infolge des ernsten Gesundheitszustandes des PapsteS haben auf gleichförmige Mitteilungen die -wischen den Kabinetten von Rom und Parts auS- getauscht wurden, König Viktor Emanuel und Präsident Loubet in vollkommener Ueberetnstim- mung beschlossen, ihre Begegnung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, der festgestellt werden wird, sobald die Um stände eS zulassen. * Rom, 12. Juli. Um 7 Uhr abends erschien gestern folgendes Bulletin über bas Befinden des Papstes: Der Tag verging ruhig; das erleichterte Allgemein befinden erhält sich. Die ärztlich« Untersuchung der Brust konnte wiederholt werden. Das Niveau der kleinen Menge Flüssigkeit, die nach dem gestern aus geführten Brusthöhlenstich geblieben ist, ist stationär. In der oberen Gegend an diesem Niveau hört man leichte Brustfell-Reibungen mit nicht reichlichem feuchten Rasseln. Der Puls ist weniger klein und wenigerschwach. Puls 86, Aturung 28, Temperatur 36,9. Die Stimmung des erlauchten Kranken ist mehr ge hoben. gez. Rossoni. Mazzoni. Lapponi. (Wdrhlt.) * Rom, 12. Juli. Die „Tribuna" meldet von gestern: Während deö heutigen Tages verlangte der Papst öfter zu trinken. Die Nierentätigkeit ist besser, die Diarrhöe verschwunden. Die tonischen und herzanregen den Mittel hat der Papst gut vertragen. Die Empfänge sind sehr beschränkt und kurz. Heute morgen empfing der Papst seine drei Nichten, die sich darauf beschränkten, seine Hand zu küssen. Zu einem Kardinal sagte der Papst, er sei in großer Gefahr gewesen und fühle, daß sie noch nicht vorüber; er sei resigniert. Täglich wünscht der Papst den Dakristan Pifferi zu sehen. — Dem „Giornale d'Jtalta" zufolge ist das Befinden des Papstes während des heutigen Tages sich gleich ge blieben. Die Beunruhigung im Vatikan sei geringer ge worden, doch gebe sich niemand Illusionen hin. Die Aerzte Hütten erklärt, daß, wenn nicht Komplikationen eintreten, der jetzige Zustand des Papstes vielleicht noch Wochen bauern könne. * Rom, 12. Juli. Als die drei Aerzte deS Papstes gestern abend erschienen, mußten sie, da der Papst schlief, etwa eine Stunde warten, ehe sie zur Untersuchung schreiten konnten. Die fanden den Papst, der gestern das Bett nicht verließ, lebhafter, ersuchten ihn jedoch, wenig zu sprechen, um Ermüdung zu vermeiden. Das Befinden deS Papstes hat sich nicht verschlechtert; er hatte natürlichen Schlaf, setzte der Nahrungsaufnahme keinen Widerstand entgegen und ließ die ärztlichen Unter suchungen willig und mit Interesse geschehen. Nach dem ärztlichen Besuch von gestern abend empfing der Papst die Kardinäle Mocenni, Ferra ta, Cretont und Segna, mit denen er sich einige Minuten unterhielt. Die Kardinäle küßten dem Papst, ehe sie das Gemach verließen, die Hand und empfingen von ihm den Segen. Professor Mazzonihat seine an fängliche Absicht, den Papst am späten Abend noch einmal zu besuchen, aufgegeben. Der Papst ruhte, auch Lap poni hatte sich auf sein Verlangen zur Ruhe begeben. * Rom, 12. Juli. Nach der »„Italic" leidet der Kar- dinal-Gtaatssekretär Ram polla infolge der über mäßigen Arbeit während der letzten Zeit an Schlaflosig keit und fiebrigen Zuständen, vr. Lapponi verordnete ihm Ruhe, aber der Kardinal setzt sein angestrengtes Ar beiten den ganzen Tag über fort. — Dem „Giornale d'Jtalia" zufolge verlautet, der Architekt deS Vatikans habe für den Zusammentritt des Konklaves schon den Plan aufgestellt. Mehrere im Vatikan wohnende Fami lien hätten die Aufforderung erhalten, ihre Wohnungen, die für Zwecke deS Konklaves bienen sollen, zu verlassen. — Nach dem „Messaggero" hat der Papst angeordnet, die Depeschen der Souveräne zu beantworten und „Papst Leo LIII." zu unterzeichnen. * München, 12. Juli. Nach einem hier eingetroffenen Telegramm aus Rom erklärte vr. Lapponi gestern abend den im Vatikan versammelten Kardinälen, daß wider sein Erwarten im Befinden des Papstes eine wirk liche, wenn auch nur leichte Besserung eingetreten sei. Zwei warme Bäder hätten eine vermehrte Nieren tätigkeit herbeigeführt. In Lunge und Brustfell habe sich keine Flüssigkeit wieder angesammelt. * Rom, 12. Juli. Heute wurde um 5^ Uhr ein Fenster des Zimmers deS Papstes geöffnet. „Messag gero" meldet: Während der Nacht herrschte im Vatikan verhältnismäßig Ruhe. Der Befehlshaber der Nobel- und der Schweizergarde durfte sich zur Ruhe begeben. Der Papst schlief nach Mitternacht ein. Der „Messaggero" eicklärt die Nachricht, Rampolla sei erkrankt, für unrichtig. „Capita» Fracassa" meldet im Gegensatz zu dem heute morgen veröffentlichten amtlichen KrankheitSberichte, daSBefinden deS Papstes habe sich verschlimmert. Der P a pst hat heute morgen dasBett nicht ver lassen. Die Aerzte fanden ihn bet ziemlich guten Kräften und in gehobener Stimmung. Mazzoni sagte beim Verlassen des Vatikans, bei diesem Stande der Krank heit könne man zufrieden sein; eine neue un mittelbare Gefahr bestehe nicht. DaS heute vormittags 9 Uhr ausgegebene Bulletin lautet: „Der Papst verbrachte eine ruhige Nacht. Ein Schlaf von einigen Stunden trug sichtlich zur Besserung des Allgemeinbefindens deS Papstes sei. Puls weniger klein und etwas kräftiger, 82 Schläge in der Minute. Atmung 80. Temperatur 86,4. Harnabfonderung gering. Mazzoni. Lapponi." * Rom, 12. Juli. In einer Sonderausgabe der „Tribun a" wird gemeldet, Professor Mazzoni sei eine Stunde beim Papst gewesen und habe festge- stellt, daß sein Zustand sich nicht verschlim mert habe. Der Papst habe größere Lebhaftigkeit in seinen Bewegungen gezeigt; er habe Mazzoni mit der Hand begrüßt und gesagt, baß er sich ziemlich gut befinde. Mazzoni habe dem Kranken eine Einspritzung unter die Hand mit künstlichem Serum gemacht; er habe festgestellt, daß die Krankheit einen vollkommen normalen Verlauf nehme. Der Papst habe das Bett verlassen wollen, Mazzoni habe aber geraten, noch einige Stunden zu warten. Auf die Frage eines Berichterstatters, ob denn noch Hoffnung bestehe, habe Mazzoni geantwortet: „Warum nicht?" Rossoni leibe an einem leichten Fieberanfall. * Nom, 12. Juli, 7Z4 Uhr aben ds. Der Papst empfing heute die Kardinäle Mathieu, Steinhuder, Agliardt und C asa li. Dabei sagte er zum Kardinal Mathieu, er bete zu Gott, daß die gegenwärtige Verfolgung der katholischen Kirche in Frankreich bald aufhöre. — Die hier lebenden deutschen Katholiken beteten heute in der Peterskirche für die Ge nesung des PapsteS. * Köln, 12. Juli. Der römische Gewährsmann -er Kölnischen Bolkszeitung"erfährt aus der nächsten Um gebung des Papstes, der Papst habe in der Nacht einige Stunden geschlafen, fein Allgemeinbefinden habe sich auffallend gebessert. * München, 12. Juli. Der päpstliche Nuntius er- hielt folgendes Telegramm: ,Liorn, vormittags 11 Uhr. Die gestern etngetretene leichte Besserung hält an. Rampolla." * Rom, 12. Juli. lTelegramm.) Ein Bulletin von 8 Uhr abends besagt: „In dem Befinden des Papstes ist während des heutigen Tages keinebemer- kenSwerte Veränderung etngetreten. Der all gemeine Zustand zeigt auch weiter, wie heute früh, eine Erleichterung. Puls 86, Atmung 30, Temperatur S6L. Mazzoni, Lavvont." 9 Uhr 50 Min. abends. Auf dem PeterSplatz und in der Umgebung deö Vatikans sammelten sich heute größere Menschenmengen an. Die Wachen im Vatikan, die verstärkt worden waren, als das Befinden des Papste» sich verschlimmerte, sind fett heute wieder auf ihren ge- F-ttilleton. Großmutters Reisetasche. Bon L. R. Nachdruck verboten. Großmutter packt ein, in acht Tagen fährt sie zu ihrer Hede, ihrer einzigen, an einen Pvstdirektor verheirateten Tochter. Einen ganzen Tag mutz sie auf der Eisenbahn sitzen, bis sie in das kleine norddeutsche Städtchen kommt, wo ihre Tochter lebt. Großmutter braucht Zeit, bis sie reisefertig ist. Das geht nicht per Darnpf, wie'S heutzutage Sitte ist. Lieber Gott, ist das eine Welt! Etwas Behagliches kennt man ja gar nicht mehr! Oh, wie war das früher schön! Da rasten keine Automobilen durch die Straßen! Da fuhr die liebe, kräftige Jugend nicht mit der Elektrischen, sondern man ging hübsch zu Fuße. Und man wurde auch fertig! Jener alte Professor wir- schon Recht behalten, der gesagt hat, daß die Menschen in hundert Jahren schwach auf den Füßen werden, weil sie zu viel fahren. Alles per Dampf! Großmutters Enkel sind ja auch so moderne Kinder! Die telephonieren wie die Großen, die schnippsen die elektrischen Lampen auf, baß man al» alte Frau nur so erschreckt. Puppen haben die kleinen Mädchen, na, die sind wie die Prinzessinnen ausgestattet. Wie viele arme Kinder gibt's, die lange nicht das haben, was die Puppen der Enkelkinder besitzen! Ist das ein Luxus heutzutage! Und sind denn die Menschen besser geworden dadurch, daß sie sich'S jetzt so schön und fein machen? . Sie liest in der Zeitung. Die Frau schüttelt den Kopf. Besser gewiß nicht! Früher hat man nicht von solchen Greueltaten gehört, wie man sie heutzutage liest! Sie legt die Zeitung weg und packt weiter ein. Hede hat so oft schon gescholten, sie soll die alte Reise tasche nicht mehr benutzen, man schämte sich wirklich, wenn die sonst so stattliche und auf HedeS Wunsch geputzte Groß, mama ankam. Nein, das sollte geändert werben! Und letzte Weihnacht packte die Frau Rätin eine pik- feine, selbstgearbeitete Reisetasche a,lS. „Die benutzest du nun, mein Mütterchen, schrieb Krau Direktor, „das alte Ding verschenke!" Ja, da sitzt nun Großmama und bat das elegante Ding vor sich liegen. Alle die rotumstickten Taschen und Täschchen! Alle die Bänder und Knöpfchen! WaS soll man denn nur in die winzigen Dinger stecken? Seufzend blickt Großmutter in stiller Verzweiflung aus daS kunstvolle Werk Krau Hebe». Und da liegt noch etwas! „Mama, du bindest nicht wieder dein karrierteS Shawltuch mnl Ich bitte -ich! Hier ist ein langer merkte daS Kind, fragte aber nicht, sondern spielte noch stiller. Man durfte die Mutter auch in ihrem Weinen nicht stören! — Erst viel später hatte das Kind die Er klärung für all die heißen Tränen gefunden: sie hatten dem Sohne gegolten, der stolz und mutig in seiner jungen Kraft und Schönheit in die Welt gegangen und nie wtedergekehrt war! Sein unfreiwilliges Verstummen hatte der Mutter daS Herz gebrochen «... Und in ihrem Schmerz, in der schwankenden Hoffnung hatte sie diese Tasche bestickt! Und nun sollte man diese nicht lieben, ehren? War nicht noch ein Hauch von den Mutterhänden daran, die längst in Staub zerfallen waren? Tief und tiefer senkt sich das weiße Haupt. Und welke Lippen berühren die kalten Perlen! Und Träne um Träne fällt auf die Stickerei. Sie sickern ein. Ja, Perlen be deuten Tränen Droben in dem Städtchen an der Grenze deS lieben, deutschen Vaterlandes ist im Postgebäude, in der Wohnung deS Direktors, große Freude. Drei kleine Mädchen schieben ihre schneeweißen Puppen-Sportwagen den breiten Korridor entlang. Tilde hat die Balldame in ihrem Wagen, Paula den Jungen im schwarzen Samtanzug. Sie hält es mehr mit dem anderen Geschlecht. Trudel aber, ganz angemessen ihrer fünfjährigen Würde, hat ihr kleines Wickelkind im Wagen. Zugedeckt ist'ö bis zur Nasenspitze. Das Saugfläschchen liegt daneben. Nun kommt auch Mama, angetan mit dem neuen, mo dernen KrühjahrSkleid. Frisch und duftig, jung und heiter, so schiebt Frau Hebe ihre drei Töchter samt den Sport- wagen zur Tür hinaus. Hier im Städtchen beobachtet man sie, da» weiß die Frau Direktor. Deshalb zieht sie unten im Posthofe noch an alle sechs Händchen weiße Handschuhe. Sie mustert aufatmend die drei. Gott Lob, sie sehen noch unzerknüllt aus und sauber. Großmama wirb sich freuen! Na, und über Mutter selbst kann man auch beruhigt sein! Sie wirb dteSinal nicht mit der schrecklichen Schwanentaschc und dem Karrierten ankommen! Sie hat ja geschrieben, daß sie sicherlich nicht ohne die ^«ue Reise tasche und die 500 Gramm käme! Krau Hede rafft die Schleppe ihres Silbergrauen auf, schiebt mit dem Sonnenschirme eine nach der anderen ihrer drei Töchter vorwärts und tritt mit ihnen den Weg nach dem Bahnhose an. Gr führt über die Promenade. Viele Bekannte begegnen der jungen Frau. Die drei kleinen Mädchen knicksen. Im Geiste sieht sich Frau Hede denselben Weg wieder heimgehen; da ist dann ihre Mama dabei! Eine heiße Freude steigt in ihr auf. Und fein wird die Mama auS- sehen in dem langen, modernen Mantel! lind Anna, das Dienstmädchen, da» gleich nachkommt, um Mama- Reffe Reffemantel! Der kleidet dich gut und wiegt bloß 600 Gramm!" Großmutter hatte gelacht. 600 Gramm! Vielleicht kauft man jetzt die Kleider nach Gewicht! „Ich möchte einen Zwei-Pfunü-Rockl" Ja, die Wett schreitet fort! Aber Liesen 500 - Gramm - Mantel zieht sie nicht an! Der umflattert einen ja wie Wolken! Nein, da huschelt man sich doch viel netter in das Shawltuch. Mit den Fingerspitzen faßt sie den langen, seiden raschelnden Flattrigen an und legt ihn auf daS Bett. Die alte Reisetasche! Großmama hebt sie an das Licht. Sie ist alt, beinahe so alt, als Großmama selber. Aber gerade deshalb hat man sie lieb! Mit der hat Vater einst seine kleinen Reisen angctretenl Hier, den Leder griff, den haben seine Hände umfaßt! Oh, sie sieht ihn noch vor sich, den Vater, wenn er Frau und Kinder küßte, dann in die mächtige Postkutsche stieg und nun Mutter ihm feierlich die gefüllte Reisetasche reichte! Das ist noch derselbe weiße Schwan, in Perlen auf die Vorderseite der Tasche gestickt! Ganz bestickt ist die Tasche! Auf der anderen Sette ist ein Baum, grasgrüne Nestel — Hedcs Entsetzen! Ach, was weiß die junge Frau davon, wie eS ist, wenn man alt ist und sich so gern mit Dingen umgibt, die mit einem alt geworben sind! Die reden ihre eigene Sprache! Und der lauscht man so g«rn, träumt sich in ferne Zeiten zurück, über denen der Goldglanz der Erinnerung liegt! Großmama sitzt im Lehnstuhl und hat die Reisetasche auf den Knien. Einiges hat sie schon hinctngesteckt, selbst- gebackene Ringel für die Leckermäulchen. Was man alles in solch eine Reisetasche packen kann! Biel mehr als in solch ein mvberneS Ding, wie Hebe eS gearbeitet hat und an dem man immer nur auf- und zuknöpfen muß! Tildchen, die älteste Enkelin, behauptet, der Schwan hier auf der Tasche hätte drei Füße! Aber da irrt Tildchen, der dritte Fuß ist ein Blatt. — Oh, Mutter selbst hat ja die Tasche bestickt! Jede Perle ist von ihrer Hand aufgenäht! Sechzig Jahre sind darüber hin- gegangen! Frau Rätin war damals ein kleines Ding, das eben in die Schule geführt worden war. Es dämmert im Stübchen. Draußen versinkt die Matsonne hinter den Bäumen. Großmutter hält beide Arme um die Reisetasche. GS ist, alS drücke sie etwas menschlich Warmes, Liebe» an ihr altes Herz. Ja, was weiß ihre Hede von solch einer Lick«, die man einem leb- losen Gegenstände schenkt! Sie sicht sich im Pfarrhausc zu Füßen der Mutter. Gan» still und artig spielte bas kleine Mädchen. Da gab eS keine übcreleganten Puppen für die Kleine. Oh nein, ein Häufchen Sand und ein Fingerhut, das war alles! Und mit glühenden Wangen formt« die Kleine seine „Kuchen", gleich ein Dutzend, ehe man sich'» versah. Und Mütterchen nähte Perlen auf. Perlen bedeuten Tränen. Ja, Mutter hatte viel geweint dabei. Da tasche zu tragen, braucht auch nicht wieder die Nase zu rümpfen über den Schwan mit den drei Füßen! — Erwartungsvoll stehen die Bier da. Tilde ist stolz, daß man ein Perronbtllett für sie löste. Die zwei Kleinen machen erwartungsvolle Gesichter. Ob denn die Groß mama 'was mttbringt? Trudel hält es in diesem Moment für angebracht, ihrem Wickelkinde das Fläschchen zu geben Da saust der Zug heran. Frau Hede blickt aufglänzcn- den Auges die Fenster entlang. Da! Da guckt das liebe, gute Gesicht hinter -en Scheiben hervor, eine Freude! Im ersten Ansturm rennt Frau Hede weiter, die drei Puppenwagen hinterdrein. Da steht Mama! Frau Hede fühlte ihre Sinne schwinden! Angetan mit dem Karrierten, neben sich die Schwanentaschc, dasselbe Bild, wie alle Jahre! „Aber, Mutter!" ruft die junge Frau, beinahe weinend. „Laß nur gut sein!" beschwichtigt Großmama, küßt die Tochter nnd beug-sich zu den drei Lieblingen herab. Mit spöttischer Miene faßt Anna nach der Reisetasche und kehrt den Schwan nach außen! Frau Direktor ist außer sich, darf sich aber hier, wo Bekannte sic beobachten, nichts merken lassen. Und Großmama ist so glücklich! Sie hat an jeder Hand ein Enkelchen. Diese haben Mühe, ihre Sportwagen vor. wärts zu bringen. „Aber, Mama, ich begreife dich nicht!" flüstert die junge Frau immer wieder in Heller Verzweiflung. Eben kam die Frau Inspektor vorbei! Die hat die größte Schadenfreude an dem Aufzug! — Daheim empfängt der Schwiegersohn seine ganze 6ie- sellschaft. AlS seine Hede auf ihn -»kommt, hebt er die eben von Anna gebrachte Reisetasche hoch und singt: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!. .... „Oh, Ihr spöttische Jugend!" denkt Großmama. Dann sind alle, alle um sie geschart. Nm nächsten stehen die drei Kleinen. Großmama macht ja -en knarrenden -reckel ihres Reisekorbcs zurück: ein allgemeines „Ah! Da liegt obenauf, fein zusammcngelegt, Frau Hebe» gestickte Tasche! Und gleich darunter -er 500-Gramm- Mantel! Herr und Frau Direktor trocknen sich die Lachtränen; die kleinen Mädchen aber können dieses Lachen nicht ver- stehen. Ihre Gcsichterchen strahlen erst, als Großmama die Zuckertüten auSpackt. „Mütterchen, du bist einzig!" sagt Frau Hede. Groß mama aber denkt: „Vielleicht kommt auch für dich, mein junge», glückliche» Kind, noch eine Zeit, wo dein alteö Herz mit Liebe am Alten hängt, und wo du den Goldglanz und die Wärme verstehst, die von Dingen auSgchen, die mit einem alt ge worden sind!". —
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite