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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030716012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903071601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903071601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
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Noch an demselben Tage richtete dieser an den deutschen Kaiser Wilhelm I. ein Schreiben, in welchem es unter anderem hieß: „Da wir zu unserem Bebauern die Beziehungen, welche in früherer Zeit so glücklich zwischen dem heiligen Stuhl un- Ew. Majestät bestanden, nicht mehr vvrfinden, so wenden wir uns an Ihre Hochherzigkeit, um zu er» langen, daß der Friede und die Ruhe des Gewissens einem beträchtlichen Teile Ihrer Untertanen wiedergcgeben werdet Das mußte natürlich wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel wirken. Auf den unversöhnlichen Pius IX. war also tatsächlich ein Papst gefolgt, der seine Ziele mit friedlicher Miene zu erreichen suchte. Sehr freundlich war deshalb auch das Antwort schreiben gehalten, welches der deutsche Kaiser an den Papst sandte. Durch die Gegenzeichnung Bismarcks sollte dasselbe zu einem Regierungsakt gestempelt wer» den. Es schloß mit den Worten: „Gern entnehme ich den freundlichen Worten Ew. Heiligkeit die Hoffnung, daß Sie geneigt sein werden, mit dem mächtigen Einfluß, welchen die Verfassung Ihrer Kirche Ew. Heiligkeit auf alle Diener derselben gewährt, dahin zu wirken, daß auch diejenigen unter den Letzteren, welche es bisher unter ließen, nunmehr dem Beispiel der ihrer geistlichen Pflege befohlenen Bevölkerung folgend, den Gesetzen des Lan des, in dem sie wohnen, sich fügen werden." Dieser Aus druck „den Gesetzen sich fügen" scheint aber in Rom nicht besonders gefallen zu haben: denn wider Erwarten lautete die Rückantwort des Papstes am 17. April 1878 nicht mehr so freundlich wie sein erstes Schreiben. Der Papst ging so weit, daß er direkt eine Abänderung der preußischen kirchenpolitischen Gesetze verlangte. Da der Kaiser hicranf gar keine Antwort gab, so schien die Sache vorläufig im Lande verlaufen zu sollen. Als aber am 2. Juni 1878 Nobiling einen Mordversuch auf den deut» schen Kaiser machte, nahm der Papst die Gelegenheit wahr, um Wilhelm I. zu seiner Rettung zu beglück wünschen, und der Kronprinz richtete dann im Namen seines schwerverwundeten Vaters am 10. Juni an den Papst ein Dankschreiben, welches von dem Fürsten Bis marck nicht bloß gegengezeichnet, sondern auch verfaßt war. Was die Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze anlangtc, so war darin rund heraus erklärt: „Dem in Ihrem Schreiben vom 17. April ausgesprochenen Ver langen, die Verfassung und die Gesetze Preußens nach den Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzu ändern, wird kein preußischer Monarch entsprechen können, weil die Unabhängigkeit der Monarchie, deren Wahrung mir gegenwärtig als ein Erbe meiner Väter und als eine Pflicht gegen mein Land obliegt, eine Min derung erleiden würde, wenn die freie Bewegung ihrer Gesetzgebung einer außerhalb derselben stehenden Macht untergeordnet werben sollte." Nachdem so ein greifbares Resultat auf schriftlichem Wege nicht erreicht worden war, trat man in mündliche Verhandlungen ein. Die Gelegenheit dazu ergab sich, als Fürst Bismarck im Juli nach Kissingen zum Kurgebrauch reiste. Hier traf am 29. Juli auch der Münchener Nuntius Masella ein, der den Reichskanzler in seiner Wohnung besuchte und am 30. Juli seinen Gegenbesuch erhielt. Da von den Ver handlungen nichts in die Oeffentlichkeit drang, so be fürchtete man auf protestantischer Seite, Fürst Bismarck möchte zu nachgiebig sein. Indessen führten auch diese mündlichen Unterhandlungen zu keinem Resultat, da in Nom nach dem plötzlichen Tod des Kardinalstaatssekretärs Franchi die unversöhnlicheren Elemente wieder die Ober hand gewonnen hatten. Auch die Zentrumspartei in Deutschland schlug einen sehr unversöhnlichen Ton an und erklärte rund heraus, daß „auf dem Boden der Tat sachen" eine Aussöhnung überhaupt nicht möglich sei. Ganz im Gegensätze zu der kampflustigen Haltung der deutschen Ultramontanen, die noch päpstlicher sein wollten als der Papst, gab Leo XIII. selbst eine viel friedfertigere Gesinnung zu erkennen. Im Jahre 1883sollte die Beilegung des kirchlichen Streites einen weiteren Schritt nach vorwärts machen. Leo XIH. wandte sich am 30. Januar dieses Jahres an den deutschen Kaiser mit einem Schreiben, in welchem er seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß Wilhelm I. den Frieden zwischen Staat und Kirche herzustellen bestrebt sei: „Das erhabene Wort Ew. Majestät, welche sich geneigt zeigt, die Hand zu einer Abänderung der gegenwärtigen Kirchengesetzgebung zu bieten, läßt uns den Friedens schluß nicht mehr ferne erblicken." Tatsächlich gab auch die preußische Regierung der Kurie gegenüber immer mehr nach un- war nicht nur zu einer Revision der ge samten Maigesetzgebung bereit, sondern stellte es der Kurie anheim, spezielle Wünsche für diese Revision vor- zubringen. Aber je mehr die preußische Regierung sich bereitwillig zeigte, alle gerechten Wünsche der katholischen Bevölkerung zu erfüllen, um so mehr drängte das Zen trum zu weiterer Nachgiebigkeit, sttachdem man ihm den kleinen Finger gegeben hatte, wollte es die ganze Hand. Fürst Bismarck konnte deshalb am 12. April 1880 im preußischen Landtag mit Recht sagen: „Ich habe den Ein druck, daß ich bei dem Papste Leo XIII. mehr Wohlwollen und mehr Interesse für die Befestigung des deutschen Reiches und für das Wohlergehen des preußischen Staates finde, als ich zu Zeiten in der Majorität des deutschen Reichstages gefunden habe. Ich halte den Papst für deutschfreundlicher, als das Zentrum. Der Papst ist eben ein weiser, gemäßigter und friedliebender Herr. Ob man das von allen Mitgliedern der Reichs tagsmajorität sagen kann, lasse ich dahingestellt sein. Ich erwarte von der Weisheit und Friedensliebe Leos XIII. mehr Erfolg für den inneren Frieden Deutschlands, als von den Verhandlungen im Reichstage." Im Jahre 1880 tat die preußische Regie rung einen weiteren Schritt zur Beilegung des Kulturkampfes: sie erklärte sich bereit, eine wettere Revision der kirchenpolittschen Gesetze vornehmen zu wollen. Natürlich empfand Leo XIII. darüber eine große Freude: nicht so groß war die Freude der National- liberalen in Deutschland. Der nationalliberale Ab geordnete vr. v. Cuny hob im preußischen Landtag her vor, daß man der Kurie gegenüber mißtrauisch sein müsse; Bismarck aber trat dem Abgeordneten Cuny entgegen und betonte, daß er wenigstens gegen den regierenden Papst Leo XIII. kein Mißtrauen hege: „Im Gegenteil, ich habe Vertrauen zu thm, ohne daß ich deshalb von dem Herrn Vorredner so wett divergierte, daß ich zu -en Bestrebungen der römischen Hierarchie immer und unter allen Umständen und in Bezug auf alle Personen Vertrauen gehabt hätte. Zu dem jetzt regierenden Papst aber habe ich Vertrauen." Dieses Vertrauen, welches Bismarck in den Papst setzte, rechtfertigte dieser wenigstens einmal, und zwar im Jahre 1887. Dabei war der Papst ehrlich genug, die geschäftlichen Gründe seines Eingreifens in die deutsche Politik offen ein zugestehen. Es handelte sich um das Zustande kommen des Septennats, welches an dem hartnäckigen Widerstande des Zentrums scheiterte. Da ging am 8. Januar 1887 durch den Kardtnalstaatssekretär Jacobini an den Münchener Nuntius di Pietro eine Note, in welcher die Stelle vorkam: „Im Hinblick auf die nahe bevorstehende Revision der Kirchengesetze, welche — wie Grund ist anzunehmen — befriedigend ausfallen wird, wünscht der heilige Vater, baß das Zentrum die Vorlage des militärischen DeptennatS in jeder demselben mög lichen Weise begünstige." Auch in einer rein weltlichen Angelegenheit hatten Bismarck und Leo XU einmal Gelegen heit, in nähere diplomatische Beziehungen zu ein ander zu treten. Es handelte sich um den bekannten Karolinenstrett. Auf einer zur Karolinengruppe ge hörigen Insel hatten die Deutschen die Flagge gehißt; darob erhoben die Spanier ein solches Geschrei, -aß in Madrid sogar das deutsche Gesandtschaftsgebäude vom Pöbel angegriffen wurde. Um dem Streite ein Ende zu machen, bat Bismarck den Papst um seine Vermittelung. Durch des Papstes Intervention wurde der Streit ge schlichtet, der an sich wegen des geringfügigen Streit objektes das viele Geschrei nicht wert war; denn Bismarck hat selbst später einmal von der ganzen Sache als von einer Lumperei gesprochen. «I. 21. Deutsches Reich. * Berlin, 15. Juli. (Die Volkskraft -er Mächte.) Nicht ohne politische Bedeutung ist die Be völkerungsbewegung, wie sie sich in den Kulturstaaten während der letzten Jahrzehnte gestaltet hat. In allen Staaten hat die Bevölkerung zugenommen, aber in so ver schiedenem Grade, -aß dadurch eine erhebliche Ver schiebung der Volkskräfte bewirkt worden ist; denu schließ lich gibt für die Machtstellung eines Staates bei sonst gleichem Kulturstande doch die Zahl der Bevölkerung den Ausschlag. Staaten von annähernd gleicher Be- völterungszahl werden auch annähernd die gleiche Kraft entwickeln, während ein Staat mit 56 Millionen' Ein wohnern von vornherein gegenüber einem Staate von 30 Millionen Einwohnern eine sichtbare Ueberlegenheit bekundet. In diesem Verhältnis stehen gegenwärtig Deutschland und Frankreich zueinander. Das war durch aus nicht immer so. Noch vor einem halben Jahrhundert nahm Frankreich unter den europäischen Staaten in Bezug auf die Zahl seiner Bevölkerung nächst Rußland die erste Stelle ein, Deutschland folgte ihm freilich unmittelbar, daran reihten sich Ocsterreich-Ungarn, England und Italien, und zuletzt die nordamerikauische Union. Heute hat sich diese Reihenfolge vollständig verschoben. Rußland ist wie vor fünfzig Jahren der volkreichste Staat geblieben. An die zweite Stelle ist aber die nordamerikauische Union gerückt. Die dritte Stelle nimmt Deutschland ein. Da nach kommen Oesterreich-Ungarn und England und erst an vorletzter Stelle erscheint Fraukreich, das voraussicht lich schon in absehbarer Zeit von Italien überflügelt wer ben dürfte. Frankreich wäre dann die kleinste unter den sieben Großmächten der Erde. Als Weltmächte sehen die Nordamerikaner weder Frankreich, noch Italien, noch Oesterreich-Ungarn an, sie rechnen, so weit das europäische Festland in Betracht kommt, nur mit dem Deutschen Reiche. Nachstehend einige Angaben über das Anwachsen der Be völkerung und somit der Bvlkskraft in den sieben Groß staaten der Erde: 1850 1870 1900 Bevölkerung in Millionen Seelen Rußland (europäisches) 59 78 107 Bereinigte Staaten von Nordamerika 23,2 88,6 76,3 Deutschland . . . » . . 35,2 41,0 56,4 Oesterreich-Ungarn 80,8 85,5 45F England . » . - i - i 27^8 81,5 41,4 Frankreich 85,8 86,1 89,0 Italien . - . . r 28,6 26,8 32,4 Diese Uebcrsicht ist dem großen Werke des Kaiser!. Sta tistischen Amtes „Die Volkszählung am 1. Dezember 1900" l2 Bünde von 1000 Seiten in Großquartformat) ent nommen, daS einen kurzen, interessanten Vergleich über die Volkszunahmc der wichtigsten Staaten im Laufe des 19. Jahrhunderts enthält. Frankreichs Bevölkerung hat am wenigsten zugenommen, ja, die Zunahme ist in den letz ten Jahrzehnten immer noch geringer geworden. Vor 50 Jahren war Frankreich an Volkszahl Italien noch be deutend überlegen und in der Lage, diese Ueberlegenheit geltend zu machen, während es jetzt nicht mehr verhindern kann, daß Italien der eigenen Kraft vertraut und in Frankreich keinen unentbehrlichen Rückhalt erblickt. Weit aus die stärkste Bcvölkerungszunahme hatten die drei volkreichsten Staaten, Deutschland, Rußland und die nord amerikanische Union, aufzuweisen. Die Bevölkerungs zunahme Deutschlands belief sich in den neunziger Jahren auf 1,10 Prozent und war im Jahre 1900 auf 1,50 Prozent gestiegen. Die Bevölkcrungszunahmc der nordamerika- nischcn Union hatte im Jahre 1850 mit 3^> Prozent ihren Höhepunkt erreicht, also zur Zeit einer zahlreichen Ein wanderung bei verhältnismäßig nicht sehr großer eigener Bevölkerung. In den letzten Jahren war die Bevölke rungszunahme der Union trotz einer Einwanderung von mehr als einer Million Köpfe jährlich auf 2 Prozent zu- rückgegangen, hauptsächlich infolge der abnehmenden Ge burtsziffern bei der eigentlichen Stammbcvölkerung. Die Feuilleton. Hochgewitter. Nachdruck verboten. „Der Himmel donnert seinen Hader, Auf seiner dunklen Stirne glüht Der Blitz hervor, die Zornesader, Die Schrecken auf die Erde sprüht." Lenau. Bor wenigen Tagen berichteten die Blätter von sieben deutschen Studenten, die am Montblanc mehr oder weniger vom Blitz verletzt wnrden, während fast gleich zeitig ein bewährter Tourist, Dr. Pavel, am Gantkvgel bet Eppan in den Schrecken eines Hochgewitters seinen Tod fand. Die erstgenannte Katastrophe am D<">me de Gouter ist verhältnismäßig glücklich abgelanfen; sie hätte ebenso traurig enden können, wie das Lawincnunglück in der Gotthard-Gruppe, dem zwei tüchtige Lehrer und drei hoff, nungsvolle Schüler zum Opfer fielen. Unter den eleincn- taren Gefahren der Alpen spielen die Gewitter im Sommer die gleiche Rolle, wie bic Lawinen im Winter. Da ihre Hanptperiodc aber gerade in die allgemeine Ferienzeit fällt, so gefährden sie weit mehr Leben, als die weißen, sich von den Bergen stürzenden Schneenngcheuer. Seit der gewaltigen Zunahme des Alpensports im letzten Jahr- zehnt hat sich denn in der Tat auch die Zahl der Hoch, gewittern zum Opfer gefallenen Touristen bedeutend ver mehrt, und es dürfte von Interesse sein, diese furchtbaren Naturerscheinungen im folgenden etwas näher zu be trachten. Gewitter, die ja jedermann zur Genüge aus eigener Anschauung kennt, im allgemeinen zu beschreiben, hieße Eulen nach Atlnm tragen. Aber cs besteht ckü großer Unterschied zwischen Gewittern in der Ebene und denen im Hochgebirge. Die ersteren ähneln mehr dem lange sich austobenden Mollen einer schwer hinmogcnden Völker schlacht, während die Hochgewitter sich mit einem jähen, grausig - wilden, zerstörenden Sturmangriff vergleichen lassen. Sie lind meisten» nur von kurzer Dauer, denn die hohen Gebirgsketten schieben trennende Keile in die aus gedehnten, elektrisch geladenen Dunstmassen, und heftige Winoe treiben bi« Wetterwolke« rasch weiter. Möge« die Gewitter im Flachlande und auf dem Meere ost furcht barer und gefährlicher sein, so ist doch der Aufruhr der Elemente hier weit großartiger und imposanter, von indi viduellerer Gestaltung, und gleichsam zu theatralisch pomp haften Effekten konzentriert. Berg und Wald begünstigen die Wolkenbildung, aber sie verdecken sie auch lange dem Auge des Menschen. Am weiten Horizont des Flachlandes braut sich ein Unwetter, jedem sichtbar, schwer und langsam zusammen; in der ver schachtelten Kulissenwelt des Hochgebirges taucht es zumeist jäh und erschreckend auf und schreitet sturmartig vorwärts. Gigantisch sich auftürmcnde Haufenwolkcn, die sich immer dichter zusammenballen, sind gewöhnlich seine drohenden Vorboten. Oft aber nimmt, zumal der im Nebel schrei tende, Wanderer das nahende Unheil gar nicht wahr, und cs sind schon Leute vom Blitze getroffen worden, ohne daß sie etwas von einem Gewitter ahnten. Fängt der Pickel des Bergsteigers plötzlich zu sausen an, so kann er sicher sein, daß er sich in elektrizitätsschwangerer Atmosphäre befindet, die sich auch durch ein eigentümliches Knistern, selbst im dichten Schneegestöber, verckündet. Im Dunkeln treten dabei sehr häufig die geheimnisvollen Er. scheinungcn deS sogenannten St Elmsfeuers auf, das die Entladung elektrischer Ströme in Büschelsorm oder als Glimmlicht zeigt und hervorragende Felsecken, Bergstöcke, Hüte, erhobene Hände dämonisch umleuchtet. Selbst die Haare auf dem Kopfe des Wanderers richten sich unter dieser Einwirkung empor. Liegt die Bergwelt frei vor den Blicken des Beschauer», so gehört das Heraufziehen eines Hochgewitters zu den ge waltigsten Natnrschauspielen. Meistens geht eine unheim lich«, überirdisch« Klarbeit der Entwickelung voran, so daß man vor Gewittern di« schönsten Kernsichten genießt. Bald aber sehen die Riesenbänpter deS Gebirges graue Nebelkappen aus, und immer tiefer sinken die düsteren Wolken ballen. Während die Gipfel nacheinander verschwinden, färben sich die Nadelwälder ttefschmarz, die Felsen wandeln sich zu in gespenstigem Grau ver- schwimmenden Massen, stumm und finster, mit toter Flüche, brütet der einsame Bcrgsee, die Vögel verstummen, nur hier und da flattern noch kreischende Bergdohlen um die schroffen Wände. An manchen Stellen aber herrscht noch eine grelle Beleuchtung, die Matten und Wiesen in brennendem Grün aufleuchten, die Firnen in blendendem Wei- auslobern läßt. Di« natürliche Harmonie ist au» »er Landschaft verschwunden, an ihrer Stelle feiert eine ent fesselte Phantasie die tollsten Farbenorgien. Dann schüttelt der erste Wind die Wälder, die unter seinem Drucke ächze» und knarren, aufschauernd erwacht der See, abgerissenes Laub durchflattert die Luft, eine schweres Rauschen, in das sich das dumpfe Grollen des Donners mischt, erfüllt ringsum die Natur. Die grellen Farben sind ausgelöscht, alles ist schivarz geworden und von dem nächtigen Unter gründe heben sich schauerlich schön in rascher Folge die blauen, weit häufiger als im Flachlande auftrctenden Zick zackblitze ab. Wie ein Fackeltanz von Furien der Hölle fahren die zischenden Feuerstrahlen um die in ein Flammenmeer getauchten Spitzen, während die finstere Nacht der schwarzen, grauenvollen Wetterwolken in den Hochtälern brodelt und kocht. Und über allem fliegt, um Lenaus hochpoetisches Bild zu gebrauchen, „brausend des Todes Jagdhund", der Sturm, daher. Der häßliche Be gleiter des Gewitters in der Ebene, der Staub, fehlt im Gebirge, dafür aber brüllt, vom Echo hundertstimmig zu rückgeworfen, der Donner um so fürchterlicher. Die meisten Gewitter streichen in den Alpen tiefer als im Flachlande, in einer ungefähren Höhe von 700 bis 1000 Metern über der Talsohle, oft aber erheben sie sich kaum 30 Meter über dem Boden. So sieht man oft ein Wetter, das sich wie eine Brücke von Berg zu Berg hinüberbaut, unter seinen Füßen sich austvben, und darüber stehen die mächtigen Gebirgszüge frei im Hellen Lichte. Blauer Himmel und Sonnenschein lachen zu Häupten, wo drunten das schwarzgraue Ungeheuer wie ein« Blitze speiende Riesenschlange durch die Täler kriecht. Aber selbst auf unserm erhöhten Standpunkte sind wir darum keineswegs sicher vor ihm. Das Untier leckt mit seinen Feuer-ungen zu un» herauf, und die häufigen Blitzglasuren an den Felsen beweisen zur Genüge, daß die elektrischen Funken auch von unten nach oben schlagen. Ein klassisches Beispiel dafür bildet das Bergktrchlein St. Ursula in Steiermark, das am 1. Mat 1700 in Heller Sonne lag, während ein unter ihm in halber Bergeshöhe lvsgebrochenes Gewitter sieben Beter in demselben erschlug. In den Gewitterwolken selbst, in denen man den Donner weniger, nur als ein rasselndes Geräusch von kurzen, Hellen, kanonenschuß artigen Schlägen hört, ist die Gefahr nicht größer als in ihrer Nähe. Dagegen schlagen die Blitze auf de» Gipfeln häufiger ein als in der Ebene, sie wählen sich lieber Fels- kuppen als Gletscher und zerstören besonders gern die von Doirristenhand erbauten Stetnmänner, trigonometrisch« Signale, Blechbüchsen und ähnliches Gerät, das sich auf manchen Bergen niemals lange zu halten vermag. Als blitzgefährlich geradezu verrufen gelten der An kogl, Hochgolltng, Schiern, Scekogl, wie in der Mont- blancgrnppe der Dome de Gouter, während Großglockner, Venediger, Hochwildivive, Marmolata umd Schwarzen stein verhältnismäßig selten getroffen werden. Der sehr exponierte Schafberg bei Salzburg ist elektrisckxn Ent ladungen so ausgesetzt, daß sich der Pächter schon oft in eine Grube flüchten umßte, da er im Hause seines Lebens nicht sicher war. Im allgemeinen kann man sagen, daß auf allen Bergen die Hochgewitter eine nicht zu unterschätzende alpine Ge fahr bilden. Ist man in ein solches geraten, so flüchte man in der Vegetationszone vor allem nicht unter Tannen oder andere durch ihre Höhe den Blitz anziehende Mgcnstände. Auch überhängende Felsen schützen nicht unbedingt sicher vor dem Getroffcnwcrden. Eine direkte Gefahr bilden alle metallischen Gegenstände, weshalb man Pickel, Bergstöcke und sonstiges Gerät so schnell als möglich ablegen und sich weit davon entfernen soll. Selbst die höchste Höhe bildet keinen durchaus verlässigen Schutz; denn ausnahmsweise erhebe« sich die Wetterwolken bis über 4000 Meter, und auch Gipfel wie die Spitze des Matterhorns bleiben nicht frei von ihnen. Der direkte Blitzschlag bildet überdies nicht die einzige Gefahr, er kann auch indirekt Unheil stiften, indem er Felsen lockert und einen verderblichen Steinfall verursacht. Auch andere Folgen des Hoch gewitters können den Touristen in schlttnme Lagen bringen, besonders die in der Schweiz so gefürchteten Rüsen, alles verbcrendc Slblammströme, die von Wolken brüchen losgelöst, schwere Steine mit sich wälzend, durch enge Schluchten vernichtend niederwuchten und gleichsam die Lawinen der Sommerszeit bilden. Der oft durch ein Gewitter entfesselten Wasicrmassen wegen ist cs auch be- denklich, sich in Felshöblcn zu flüchten, in die die tolle Flut heretnschicßcn kann, um alles Lebende darin zu er tränken. Nach allem hier Angeführten sollte <s sich jeder Berg- wunderer zur Pflicht machen, den Hochgewittern so viel als möglich auszuweichen, bei ihrem Nahen vor allem die er- stiegene Spitze eiligst zu verlassen und, wenn er dem Wetter wegen der angehäuften Elektrizität nicht traut, lieber auf eine geplante Tour zu verzichten. FranzWtchmann.
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