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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030717014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903071701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903071701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-17
- Monat1903-07
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SS hat lange gebauert, ehe die Negierung diese, wie sie erwarten durfte, regierungstreuen Personen zusammen gefunden hatte. Es ist die» eben jenes Amt, welche die Boerengenerale vor längerer Zeit anzunehmen sich ge- weigert haben. Die Regierung hat gegenüber diesen nichtamtlichen Stimmen gerade eine Stimme Mehrheit. So zahm, als die Regierung gedacht haben mag, sind die Nichtamtlichen nun doch nicht. Für die größeren Ortschaften sollen in absehbarer Zeit Dtabtverordnetenwahlen stattfinden; es han delte sich nun darum, sür alle Orte gleichmäßig das Wahlrecht hierfür gesetzlich festzustellen. Eines stand von vornherein fest: Ausländer sind unter keinen Umständen wahlberechtigt, wie groß auch ihr Grundbesitz und ihre anderen Interessen sein mögen. Alle britischen Unter tanen sind dagegen wahlberechtigt, einschließlich der neuesten britischen Untertanen, der Kaffern. Diesen das Wahlrecht zu geben, schlug die Regierung vor, vor ausgesetzt, daß sie 25 Worte, einer täglichen Zeitung ent nommen, nach Diktat niederschreiben können. Nach vielen für die Regierung nicht erfreulichen Reden kommt es zur Abstimmung, und siehe dar sämtliche nichtamtliche Mitglieder, mit einer Ausnahme, stimmen gegen den Vorschlag, die Negierung hat trotzdem gesiegt, zieht aber dann den eben angenommenen Antrag feierlich zurück. Was wohl Delarey gesagt haben würbe, als man 8 9 des Kriedensvertrages dadurch zu umgehen suchte, daß man sagte, das Recht, Stadtverordnete zu wählen, sei kein politisches Recht? Der Vorgang hat aber vielen die Augen geöffnet über di« Vorsicht der Boeren beim Friebensschluß zu Vereeniging. Genau ein Jahr später wird der erste Angriff auf diesen Vertrag gemacht, doch die Boeren sind aufgerüttelt durch dieses Verhalten der neuen Regierung und rüsten sich zu politischen Ver sammlungen. Louis Botha erläßt gerade jetzt die erste Einladung zu einer solchen Versammlung. lHat in zwischen stattgefunden. A. d. R.) Dann ist in den letzten Tagen berneueZolltarif veröffentlicht worden gemäß den Beschlüßen der Zoll konferenz von Bloemfontein. Der Tarif ist ein sehr um fangreiches Dokument, -eßen Einfluß auf den Handel nicht so leicht zu übersehen ist. Eines steht schon jetzt fest, baß die neuen Zollsätze die Ko st en des Lebens unterhaltes steigern werben; und dies zu einer Zeit, wo alles nach Verbilligung ruft und rufen muß. Wiederum neue Nahrung für die stetig wachsende Unzufriedenheit der Volksmenge. Man muß er der Re gierung nachsagen, daß sie dem Volke treffliche Waffen zur Agitation an die Hand gegeben hat: den Kampf gegen Chinesen und Japaner, den Zolltarif und das Stimm recht für die Kaffern. DLsrs vill b« a rovl Es wird zum Krach kommen, kann man an jeder Straßenecke hören. Boeren und Ausländer werden sich, wenn es so wett kommt, herzlich freuen und im Stillen mit frommen Wünschen den Ausgang abwarten. Milner tritt bald einen längeren Urlaub an; er selbst hat sich berufen ge- fühlt, zu erklären, daß er wieder kommt, dies sei ab gemacht; es muß demnach in Frage gekommen sein, daß er für immer das Land verlaßen solle. Am Ende kommt'S doch noch so. Der neue Zolltarif trifft auch eingehende Bestimmungen für den Erlaß eines Teiles des Zolles für solche Güter, welche aus England oder englischen Kolonien eingeführt werden. Dieser Erlaß von Zoll, welcher 25 Prozent von den festgesetzten Zolltaxen betragen soll, ist schon an und für sich nicht hoch und wirb kaum von großem Einfluß sein auf den Import aus nicht englischen Staaten; außerdem werden diese Begünstigungen nur nach dem Grundsatz der Reziprozität gewährt; ist also wesentlich eingeschränkt in seinem Umfang und damit seiner Wir kung. Wenn alle Umstände dem Zollerlaß günstig sind, beträgt der Borsprung, den Artikel britischen Ursprungs haben, im Nichterheben eines Zolles von 2*/? Prozent vom Werte oder dem Nachlaß beS Zolles bis zu dieser Höhe (von durchschnittlich 10 Prozent). Mit Rücksicht auf die niedrigeren Frachten und Produktionskosten kann man sich trösten über die neue Gesetzgebung mit einem „Lieb' Vaterland, kannst ruhig sein." Vor einigen Tagen sind eine Reihe — man sagt fast alle — Gefangener, welche durch Kriegsgerichte auS Kriegsanlässen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt waren, begnadigt worben; es befanden sich darunter Personen, die erst zum Tode, bann zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt waren. Diese Begnadigungen wurden schon zur Zeit König Eduards Krönung erwartet. Die Liste der Personen, die sich unter dem Drucke der schlechten Geschäftslage das Leben nehmen, ist in vergangener Woche durch die Tat eines englischen Lords vornehmer geworben; man hat in der üblichen ge richtlichen Untersuchung unerträgliche Schmerzen aus An laß erlittener Kriegswunden als Grund angegeben, die Schmerzen hielten den Lord aber nicht ab, sich sehr für sportliche Veranstaltungen, weitgehende Börsenspekula tionen und andere Vergnügungen zu begeistern. Die Tat beging der aus seiner Tätigkeit als Chefzensor be kannte Lord kurz nach der Rückkehr von einem Ball. Deutsches Reich. Berlin, 16. Juli. (Die KoalttionSbestim- mungen der 88 152 und 153 der Gewerbeord nung.) 32 Arbeitnehmerbetsitzer des Berliner Gewerbe gerichts haben jüngst den Antrag gestellt, daß das Gewerbe gericht bei den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches wegen Abänderung der Koalttionsbestim- mungen vorstellig werden solle; gewünscht wird die Aushebung der 88 152 und 153 der G.-O. und Gewährung der Korporationsrechte an die Berufsvereine unter Ver pflichtung der letzteren, Las Einigungsamt vor Ein stellung der Arbeit oder Entlastung der Arbeiter anzu rufen. Inwieweit diese Vorschläge angemessen seien, untersucht der Vorsitzende des Gewerbegericht- Berlin vr. Dchalhorn in der „Sozialen Praxis", Die Be - seitigungdes 1. AbsatzeSvon 8 152 G.-O. (Auf- Hebung der Strasbcsttnmmngen wegen Verabredungen zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen) em pfiehlt Dr. Schalhorn nicht; denn die Beseitigung jener Bestimmung könne zu Versuchen Anlaß geben, landes gesetzlich neue OrganisationSbeschränkungen einzuführen und damit einer friedlicheren Erledigung von Lohn bewegungen entgegen »u wirken. Dagegen spricht sich vr. Schalhorn für die Einfügung einer Bestimmung aus, die gemäß einer Reichsgerichtsentscheidung vom 26. März 1003 festgesetzt, daß es keinen Unterschieb mache, ob die Ge 87. Jahrgang. werbetreibenden usw. ihre Verabredung im eigenen Inter» eße oder in dem anderer usw. eingehen. Die Beseit ttgung des zweiten Absatzes von 8 152 G.-O. („Jedem Teilnehmer stellt der Rücktritt von solchen Ver einigungen und Verabredungen frei") hält l>. Tchalborn für dem Interesse der Arbeitgeber wie der Arbeitneymer entsprechend. Die Rechtlosigkeit der Vereinigung«» gegenüber ihren Mitgliedern schade besonders den Arbeit gebern, La schon wenige Großunternehmer in der Lage seien, die Vereinigung zu sprengen, ohne auf Schadenersatz belangt werden zu können. Die Beseitigung deS ß 158 G.-O. (Strafbestimmungen über den Zwang zur Teilnahme an Verabredungen, durch Ehrverletzung, Ver rufserklärung usw.) erklärt vr. Schalhorn fürunzweck mäßig. Allerdings find« der 8 153 in erster Linie gegen die Arbeitnehmer Anwendung. DaS ergebe sich aber an der erheblich gröberen Zahl der Arbeitnehmer lmehr al- 80 auf einen Arbeitgeber), sowie daraus, daß die Arbeit nehmer meist die Angretfenden gewesen seien, mithin naturgemäß auch gewiße Ausschreitungen in erster Linie unter ihnen vorkommen mußten. Was ferner die Klage über harte Strafen angehe, so seh« 8 153 nur eine Höchst strafe von drei Monaten vor, und die schwersten Be strafungen seien auf Grund der allgemeinen Strafgesetze verhängt. Die Aufhebung von 8 153 würde also hierin nichts ändern, während anderseits die Arbettnehm«r ohne jede Schädigung ihrer Interessen durch vorsichtige- Ber- halten alle Uebertretungen des 8 153 vermeiden könnten. Endlich müße die Beseitigung von 8 158 die Gegner deS Ausbaues der Koalitionsfreiheit aufstacheln, die überdies darin recht hätten, daß bei manchen Ausständen und Sperren noch immer viele Belästigungen mehrfacher Art vorkämen. Die gedachten Vereinigungen vor der Er klärung des Streiks usw. zur Anrufung des EtnigungsamteS des G e w < r b e g e r r ch t e S zu verpflichten, erscheint Dr. Schalhorn nach den Berliner Erfahrungen für durchaus zweckmäßig. In Bezug auf die Gewährung der Korporations rechte an die Berufsvereine betont vr. Schal» Horn, Laß die Befugnis, die Eintragung in das Verein»- register zu beantragen, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch« auch Len Berufsvereinigungen ohne weiteres zukomme. Die Ablehnung solcher Anträge fließe nur aus dem Rechte der Polizeibehörde, die Eintragung eines jeden politischen ober sozialpolitischen Vereins zu untersagen. Betreffs dieses Verhältnisses wünscht vr. Schalhorn die Be stimmung, daß Bereinigungen von -er Art Les 8 152 G.-O., so lange sie sich einer Einwirkung auf staatliche Organe und deren Befugnisse in öffentlichen Angelegenheiten ent halten, dem Einspruchsrechte nicht unterliegen, vr. Schal horn verspricht sich angesichts der englischen Erfahrungen von Organisationen mit Korporationsrechten eine vor zügliche KrtedenSwirkung. Indessen besteht zwischen Len deutschen und Len englischen Organisationen der Unter- Feuilleton. Der liebe Niemand. Kulturgeschichtliche Skizze von Ernst Flösse!. Es ist die nebelgraue Vorzeit der Homerischen Sage, aus welcher uns Kunde wird von dem erstmaligen Auf treten des „Niemand". Als der „erfindungsreiche ObysfeuS" in die Höhle des einäugigen Cyklopen sich verirrt, gewährt er, wie ber Sänger uns erzählt, dem „gräßlichen Scheusal" reichlichen Labetrunk von dem Vor rat seines Weins, und gab, nachdem das Ungeheuer drei mal in Dummheit den mächtigen Becher geleert, von dem bereits Trunkenen nach dem Namen gefragt, dis Antwort: „Niemand ist mein Name, denn Niemand nennen mich alle, Mutter zugleich und Vater und andere meiner Genoßen." DaS war freilich kein lieber Niemand, ber alsbald dem in festen Schlaf Dahingesunkenen den glühenden Oelbrand ins Auge stieß, daß brennend die Wurzeln -rinn prasselten. Aber doch rettete der Name den Odysseus vor der Rache der zu Hülfe gerufenen Genossen deS Geblendeten. Mit diiesem Vorgang, gleichviel ob Wahrheit, ob Dichtung, ist der Niemand eingeführt in bas Kulturleben, in dem er meisten« in freundlicher Gestalt als lieber Niemand noch immer eine gar wichtige Rolle spielt, wobei allerdings nicht unbeachtet bleiben darf, daß fast stets irgend ein Unheil an seine Erscheinung geknüpft ist. Wirb doch ber liebe Niemand in zahlreichen Fällen geradezu zur Person angertchteten Schabens und von Unfällen verschiedenster Art erhoben. Sein Teil vom Niemand trägt wohl jeder Mensch an sich, eine Tatsache, die kaum bestritten werben kann, auch wenn wir nicht bis zu der Weltanschauung eines Goethe emporsteigen, wenn er sagt: „Wie'S aber in der Welt zugeht, Eigentlich niemand recht versteht, Uno auch bi» auf den heutigen Tag Niemand recht verstehen mag." Dagegen werben wir aufrichtiges Mitleid demjenigen kicht versagen, welcher mit Don Carlo- in die Klage auSbrtcht: „Ich hab« niemand, niemand, Auf dieser großen, wetten Erd« niemand." Dies aber gilt vom niemand in seiner ernsten Gestalt. Der liebe Niemand jedoch erscheint meistenteils in heitere- Gewand gekleidet, und tritt un- schon näher in dem Aus spruch de- Leipziger VolksmunbeS: „ich bin bei „Nie mande" gewesen". Völlig zur Person erhoben, tritt er vor un- in dem eigenen vekenntnt»; .Ich heiße Nieman, Ander» ich dir nicht sagen kann." Dieser Niemand ist einer der ältesten lustigen Figuren unserer Vorzeit, und entstammt jedenfalls dem vorchrist lichen Altertum. Es ist diejenige Person, der man alles in die Schuh« schiebt, die alle häuslichen Unannehmlich keiten angerichtet hat, an jedem persönlichen Mißgeschick schuld sein soll. „Etliche Schweine fraß der Wolf, etliche wurden gestohlen, etliche trug sonst der Niemand weg." Der deutsche Hans Niemand ist an allem schuld. Wenn im Hause ein Küchengerät zerbrochen wurde, will es niemand zerbrochen haben, der liebe Niemand ist es gewesen. Der „Meister Niemand" kommt überall ins Spiel und hat im Volke stets eine bedeutende Rolle gespielt. Wirb etwas ausgeplaudert, so hat es der Niemand mit dem Watschelmaul getan. „Ist «ttvas Zuschlägen oder zubrochen In der Stuben oder in der Kochen, Der Ofen etwa eingestoßen, Kannen zerworfen, Bier vergossen, Niemand allweg die Schuld muß haben, Wiewohl niemand kein Sünd getan." „Niemand, der gute, alte Mann, muß alle Bosheit Han getan." Diesem armen Helden widerfuhr von jeher die Ehre, meist in Reim und Versen, selten in Prosa, verherrlicht zu werden, und seine Großtaten wurden nicht bloß dem größeren Publikum, sondern auch der Kinberwelt in Holz- schnitt und Kupferstich vorgezeichnet. Um Las Jahr 1510 dichtete ein Jürg Schau in Straßburg: „Niemani- Hai» ich, wa» jedermann tut, da» zücht man mich." Dazu fertigte er ein großes Foltoblatt mit koloriertem Holzschnitt. Der Anfang der dazu gehörigen ISO Vers- zeilen lautetr „Manger redt vonn mir, Und gesach mich doch nie, Er besah mich recht getz stand ich hie, Ich bin der, ven man Niemant» nennet, DaS Hußgesind mich wol erkennet. Wann mit mir beschierment sy sich." Ein Bilderbogen auS ber Zett von 1577 bi- 1506 zeigt di« Überschrift: „Der Niemant», so bin ich genandt, Mägdten und Knechten wol bekandt." und weiterhint „Und auch den mutwilligen Kinder», Die mich allzeit wissen zu finden, Wa» für unrat von je geschicht, Wa» man verwarlost und zerbricht, DaS muß ich alle» haben getan." AuS der ersten Hälft« des 17. Jahrhundert- stammt ein Kupferblatt, welches einen Mann mit einer Laterne und mit Vorlegeschloß am Munde darstellt. Darunter steht: „Wo ist doch der Niemand nicht, Ueberall ist er anzutreffen, Jedermann der will Ihm Neffen, Und man weiß nicht, wa» geschicht/ Lut e» doch der Niemand nicht." Aber auch die neuere Zett hat ihren Niemand, und zwar einen politischen, welcher der Urheber des fran zösischen Krieges ist. Ein Quart-Blatt vom Jahre L7S4 schließt also: „Auf den Niemand will man schieben. Was geschieht in dieser Welt. Was nur böse Leute ausüben. Hat der Niemand angejtellt. Alles will man mir zuschreiben. Der ich keinen je betrübt; Jeder will an mir sich reiben, Da man alle Schuld mir gibt. Ich muh unterdes allein Der unschuldig Niemand sein." Was das Ansehen des lieben Niemand in unseren Augen erhöhen muß, ist die Selbstachtung, mit ber er frei mütig sein eigenes Wesen schildert. Er sagt von sich: „Nimb doch für gut, was Niemand spricht, weil er von Memanb saget nicht. Ich heiß Niemand und bin der Niemand von altersher, Niemand lebt von, ihm selber, Niemand ist allweg gewesen, Niemand seynb möglich alle Dinge, Niemand vermag ewig zu sein. Niemand ist aller Sünden rein, Niemand dem Tod entlaufen kann; Nie mand sein Ziel kann übergahn. Niemand weiß seines Lebens Ende, Niemand, wohin sich sein Glück htnwende. Niemand weiß GotteS Heimlichkeit, Niemand weiß alles alle Zett. Niemand ist klug in allen Sacken, Niemand will sich genügen lan, Niemand sein Glück wohl tragen kann. . . . Niemand tut alles, was geschieht, ob Niemand schon unschuldig ist. Ist was verloren in dem HauS, Niemand hat'S getragen aus; ist wa- gestohlen groß und klein, Niemand -er Dieb allzeit muß sei». Ist waS zerschlagen o-er zerbrochen, in der Stuben oder in ber Kochen, der Ofen etwa eingebrochen, Kannen ver worfen, das Vier umbgestoßen, Fenster zerschlagen, Türen zerhauen, alle- zerrissen, wa» man erst gehauen, zerbrochen Stühl, Sessel und Bank, vorm Bett zerrissen der Umbhang . . . DaS hat ber arme Niemand getan und muß di« Schuld allerwegen tragen. Wie oft der Haus mann selber spricht: Niemand tut alles, Niemand tut nicht; arbeit ich nicht, arbeit Niemand; Niemand, ber leihet mir ein Hemd, Niemand, ber schaut auf da» meine, Niemand will treu mir immer sein. Die Pferde tut mir Niemand warten, Niemand verstehet mir meinen Garten, Niemand, der bauet das Land, Niemand bient treulich mit der Hand." ES könnt« nicht fehl««, daß d«r liebe Niemand auch bildlich dargestellt wurd«. DaS Urteil darüber, ob Lies« Abbildung durch besondere Anmut sich auszetchne, möge dem Leser überlassen bleiben, wenn ick das Aussehen dieser Abbildung im nachstehenden mitteile. Der Nie mand findet sich bargestellt als ein jugendlicher Engel, jedoch ohne Hände, ohne Küße, mit verbundenen Augen, rin Schloß vor dem Mund«, ohne Ohren, kurz, ohne jede- Sinn«Swerkzeug, ohn« jede- Wahrnehmung-- und Mit teilung-vermögend und erscheint somit als ein Kerlchen, welche- gar nicht» kann und Loch alle- gemacht haben soll, und darum mit seinen Beinen LaS Weltall umspannt. Unter diesem gewiß recht anziehenden Bildnis sind die Verse zu lesen: „Niemand auf Teutsch werd ich genennt, Komm von nirgend, memand muh kennt" ferner: „Der Niemand kann weder hören noch sehn, Darzu nicht greifen oder gehn" un- an dritter Stelle: „Obwohl Niemand ein Erdisch Gott, Beweiset man ihm doch großen Spott. Dieweil ihn für einen Hümpelmann Halten tun Alt, Jung, Frau und Mann." Der Niemand weiß also, was er von sich zu halten hat, und ist sich, trotzdem er vieles zu leisten hat, seiner Un bedeutendheit wohl bewußt. Selbstüberhebung ist ihm fremd, Bescheidenheit seine Tugend. Dies ist um so höherer Anerkennung wert, weil seine jeweiligen Zeitgenossen nicht unterlassen haben, ihn in bevorzugter Weise auSzuzeichnen. Es gab Zetten, wo er ihnen erschien als ein vollkommener Mann. Ün al» „vollkommener Mann" ist ber Niemand tatsächlich gefeiert und verehrt worden. Es gibt eine Anzahl Legenden vom „heiligen Niemand", in denen dieser in etwas anderer Gestalt, als in der geschilderten erscheint. Die Kirche hat allerdings diesen Heiligen niemals an erkannt. Gleichwohl findet sich in einer vatikanischen Handschrift die Bezeichnung „vita sanotissimi st sioriosissiml Lleininis" vor. Der mittelalterliche Witz leuchtet aber schon auS der Mitteilung hervor, daß der Niemand ein ,Leitgenosse GotteS beS Vaters" genannt wird. Ein Klosterbruder hat die Legende des heiligen Niemand in einer an Witzen reichen Predigt verherrlicht. AuS ber Geschichte deS heiligen Niemand führe ich zum Schlüsse noch die deutsch« Uebertragung des Anfanges ber Legende von ihm an, welcher also lautet: ,Hm Orient war ein Mann mit Namen Niemand. Jener Mann war wie ein zweiter Hiob unter allen Orientalen. Denn groß und heilig war dieser Niemand von Stamm und Geschlecht, groß an Macht, groß im Wissen, groß an Erbarmen und Mitleid, groß an Ehre und Achtung, groß an Kühnheit, und dies alles an erkannt Lurch heilige Schriften." Die einzelnen zu« fammengereihten Gesichtspunkte werben bann weiter iy ausführlicher Behandlung besprochen. Man hat also tm Mittelalter den lieben Niemand zur Würde «in«r hochangesehenen und hochmächtigen Person erhoben. Solchen Ansehens genießt er heute wohl nicht mehr, aber seine Betetligung an allem, wa» nicht gerade gut ist, hat «r behalten. Hierin aber liegt der Grund, weshalb man ihm, der so viele- tut und an so vielem die Schuld trägt, wett mehr mit Geringschätzung als mit Achtung zu begegnen pflegt. Denn sicherlich wird man e» al» ein Zeichen von Geringschätzung anzusehen haben, w«nn bei Vorkommnissen de» täglichen Leben», die keine». w«gS angenehm berühr««, di« gar nicht selten laut werbende Redensart an n»ser Ohr klingt: „Der lieb« Niemand ist e» gewesen."
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