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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030722016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903072201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903072201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-22
- Monat1903-07
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Bor dem Schicksal, zum Gaudium beS verehrlichen Publikums zu spät zum Esten zu kommen, möchten wir den Nationalliberalismus in Sachsen bewahren. Man soll uns nicht auch den Bor wurf machen können, die Sache der Wahlrechtsre form, bei der über die ganze politische Zukunft eines Königreiches mit all seinen großen Interessensphären und seinen Bevölkerungsmasten entschieden werden soll, serienmäßig Vehanbelt zu haben. Wie ist die Lage? Die zum Mindesten in der Form Übereilte Aenderung des sächsischen Wahlrechts vor sieben Jahren hatte wieder einmal dem gemäßigten Liberalismus in Sachsen nicht das gebracht, was er auf Grund seiner wirtschaftlichen Machtverhältnisse fordern durfte und darf, und zwar in der Hauptsache deshalb nicht gebracht, weil er bas Fordern überhaupt verlernt hatte. Sogar bet dem geltenden Wahlrechte wäre eine weit stärkere Vertretung in der Zweiten Kammer möglich gewesen, wenn eine straff organi sierte und ihrer Anhängerschaft sichere Partei sich d en Be sitzstand durch festes Zugreifen gesichert hätte, der ihr mit Notwendigkeit zufallen mutzte. ES ist natur- und sinn- widrig, wenn die bedeutendsten Industrie- und Handels zentren konservative Abgeordnete in die Kammer schicken. Die Leute können gar nicht konservativ sein, eben sowenig, wie unsere Landbevölkerung etwa freisinnig und -händlerisch sein kann. Diese unsere eigentlichen Domänen sind uns verloren gegangen, weil die festere und ge schicktere Hand bei den anderen Politikern war, die im Innern ja herzlich lachen müssen über die merkwürdige Stiege zu ihren Kammersesseln und damit zum Regiment. Mer daS Geschick wollte unS noch einmal wohl. WaS wir aus eigener Macht nur nach totaler innerer Wandlung und vollständig neuer Fundamentierung im Volke uns kaum in jahrelangem Ringen hätten erwerben und erzwingen können, -aswirunSheutevondemmächtigen Arme der Regierung auf dem Präsentier teller geboten. Weshalb sie den Reformvorschlag gemacht hat, hat machen müssen, das ist lang und breit er örtert — genug, sie hat ihn gemacht. Und zu wessen Gunsten? Daß man in Dresden an eine sozialdemokratische Bersöhnungspolitik denkt, etwa der Art, durch Konzessionen ein Paktieren mit absolut untraitablen Leuten zu ermöglichen, ist ausgeschlossen. Nur soll durcb die Ermöglichung einer parlamen tarischen Vertretung der Arbeiterschaft ein nütz liches Sicherheitsventil geschaffen werden, und das nicht der Sozialdemokratie, sondern der Bevölkerung, der Gerechtigkeit zu Liebe. Immerhin nicht mehr als ein Ventil! Erst hat dieser Stand den Beweis seines guten Willens zur ehr lichen Mitarbeit am Ausbau deS Bestehenden zu er bringen, ehe ihm mehr anvertraut werden kann. Bis da- hin muß die Regierung, da sie nicht mehr mit einer kon- servativen Majorität zu arbeiten gewillt und im stände ist, eine Gewichtsverschtebung nach links bis in die linken Reihen deS gemäßigten Liberalismus wünschen. Und diesen Wunsch hat die Negierung wahrlich klar genug durch ihre Ankündigung der Wahlrechtsreform ausgebrückt. Also die Gelegenheit ist da! Schon kommen auch Menschen, die sie sehen. Aber diese Menschen stehen um- her und unterhalten sich und reden also: „Das hätte die Regierung nicht tun sollen, das hätte die Regierung wenigstens anders machen sollen. WaS soll denn die Ein- verufung einer Notabelnversammluug, die nichts zu be schließen hat? Ich gehe nicht hinein! Ich auch nicht! Und wenn ich hineingehe, so weiß ich nicht, waS ich in ihr soll. Wie kann man das überhaupt wissen, da doch jetztFerien sind und doch keine Bersammlung zustande kommt!" So reden diese Leute, und während dieser Zett ist ein Ge schrei im Lande ringsumher, daß einem die Ohren gellen. Alles rafft seine letzten Kräfte zusammen, da» in -er So- ztaldcmokrati« tyrannisch organisierte Wählerheer ruft nach dem gleichen Stimmrecht, um alle andern an die Wand drücken zu können, die kleinen Parteien in Sachsen, die im ganzen Reiche noch keine Fraktion haben zusammenwählen können, fordern laut und präzis ihren Anteil, und die Konservativen, die eigentlichen tragischen Helden dieses politischen Dramas, benehmen sich so klug (wie sie das übrigens bet uns in Sachsen immer getan haben), daß man seine Freude daran haben könnte, wenn man sich nämlich zu ihnen zählen möchte. Sie haben hier nie di« ExaltadoS gespielt und tun das auch jetzt nicht; im Gegenteil — sie sind liebreich und freundlich und antworten auf den Ruf aus Dresden zur Konzentrierung gegen ihr Uebergewicht: „Du riefest, hier sind wir; bereit zu opfern und mtt-u- arbeiten ? Sie wollen wenigsten» dabei fein, wenn au» ihrer Haut Riemen geschnitten werden sollen, und werben zu retten wissen, was zu retten ist. Es mag ja sein, man hätte die Reform auch anders inscenieren können, aber das eine ist doch unbestreitbar, daß sich die Regierung auf etwas stützen muß, wenn sie mit dem immerhin großen Verlangen vor eine parla mentarische Mehrheit tritt, sich selbst umzubrtngen. Wer einen Retter ohne Gewalt von seinem Pferde bringen möchte, der mutz ihm -och wenigstens reale Hindernisse zeigen können, sonst steigt der Mann einfach nicht ab und alles bleibt beim alten. Kann man denn überhaupt, ohne sich gerade wegzuwerfen, deutlicher jemandem seine Zu neigung entgegenbringen, als es hier in dem Vorschläge geschehen? Nicht wer daS Glück hat, führt die Braut heim, sondern wer die Courage hat. Aber wie man auch über den Vorschlag einer Bor- beratumgskommtssion denke — auch er ist gemacht, undaus kein Boden dieser Tatsache, wie des Reformplanes über haupt, hat sich jeder zu stellen, der Mitarbeiten und nicht etwa blotz mitspintisieren will. Unsere Aufgabe ist deutlich genug vorgezeichnet: Zusammen fassen aller Kraft, Aufbieten alles Einflusses in allen wirt schaftlichen, gewerblichen Verbänden, in Stadt und Land, bei hoch und niedrig, jung und alt, um etwas in die Wag schale zu legen, um zu beweisen, datzwirauchregie- rungsfähigsind. Wir haben ja die Mittel: in allen Kammern, in allen Kommunen, in allen Aemtern, in allen Ständen sitzen unsere Leute — nur mobil müssen sie ge macht werden. Wenn wir diesmal die Gelegenheit ver paffen, so ist das nie wieder gut zu machen, so haben wir nur noch «die Berechtigung, von einem mächtigen nationalen Liberalismus in Sachsen zuträumen, aber nicht einmal mehr, von ihm zu reden. Allzu viel ist schon versäumt worden; im Herbst entscheiden sich die Geschicke, der Herbst steht vor der Tür — und wir warten, warten noch immer. Sogar dieINngen, der Stolz und die Hoffnung -er Partei, tun nichts als warten — worauf? Schon werden im Reiche die Leute auf daS merkwürdige Schauspiel aufmerksam; auch sie warten, aber mit spöttischer Miene. Wir verlangen jetzt endlich, daß man -iese-Zaudernaufgibt, daß man uns mit klaren Worten sagt, ob die ausgestreckte Hand ergriffen oder ausgeschlagen werden soll. Wir verlange« ei« Partei programm, nicht nur eins für die Wahlrechts- konferenz und -en Wahlrechtslandtag, son dern auch eins für die Agitation im Lande. In großen Zügen soll bet dieser Gelegenheit dem Volke gesagt werden, daß in unserer Partei Platz ist für jedes ehrliche, freie Wort, daS das Wohl des Vaterlandes zum Ziel hat, für jede Idee, die unS vorwärts bringt und dem Ganzen dient. In unserem Programm hat der so ziale Fortschritt so gut seinen Platz, wie in irgend einem andern, aber wir müssen daS auch sagen und danach handeln. Das Volk will wissen, was mit seinen Stimmen und Steuern geschehen soll, deshalb mutz ihm ein festes Programm gezeigt werben. Seit dem denkwürdigen 14. Juli rufen und warten wir vergebens. Die Politik kennt keine Ferien! Müssen wir noch deutltch«r werden? 8. Soldatenmißhandlungen. Das überaus milde Urteil des Kriegsgerichts in Rendsburg, das einen Arttlleriehanptmann wegen Ver leitung zur Mißhandlung Untergebener und wegen Unter lassung einer Anzeige von Mißhandlungen zu 7 Monaten ehrenvoller Festungshaft verurteilte, hat die allgemeine Aufmerksamkeit »nieder einmal auf das traurige Kapitel der Soldatenmitzhanblungen gelenkt. So lange das öffent- liche Militärstrafvcrfahren noch nicht bestand, hat man die Hoffnung gehegt, die Einführung der Öffentlichkeit werde sehr bald eine Abnahme der Doldatenmitzhandlungen zur Folge haben. Nun ist in Anbetracht der kurzen Zett, während welcher die neue Milttärstrafprozetzordnung in Geltung steht, in der gedachten Richtung ohne Zweifel ein gewisser Fortschritt gemacht worden. Aber leider ist immer noch eine grotze Zahl arger Verstöße in der Behandlung der Soldaten gerichtlich festzustellen gewesen. In mehr als einem solcher Fälle jedoch mußte die Milde der wegen Soldatenmtßhandlung verhängten Strafen um so größere- Befremden erregen, je mehr in Sachen der Soldatenmiß- Handlungen aus dem Spiele steht. An der Beseitigung der vorschriftswidrigen Behänd- lung von Untergebenen hat zunächst die Gesamtheit deS Volkes das größte Interesse. Sie, welche die wahrlich nicht geringen Opfer für die Bestreitung der HeereSauSgabcn aufbrtngt, hat ein Recht darauf, nicht durch den Ge danken an die Möglichkeit von Soldatenschindereien beun- ruhtgt und in ihrem sittlichen Empfinden beleidigt zu werben. An der Beseitigung der Soldatenmitzhanblungen hat sodann das Heer selbst daS größte Interesse. Der preußische KriegSmtntster v. Goßler sprach in der Sitzung der Budgetkommission beS Reichstage» vom ö. Februar 18Ü2 in Bezug auf die Soldatemnißhandlungen von einem „Abgründe, der unbedingt geschlossen werden muß". Und derErlaß de» Prinzen Georg von Sachsen, unseres jetzigen König», vom 8. Juni 1891 führte au», baß dl« »oldatenmißhandlungen ^auf d«n »«teu Geist »nd die Disziplin -er Truppen etnwtrken, jede Kameradschaft untergraben müßten". Die Beseitigung der Soldatenmitzhanblungen „unter allen Umständen" fordernd, hat Prtnz Georg danrals die „rücksichtslose" Entfernung schlechter Unteroffiziere be fohlen, und verboten, mit Elementen, die sich in nennens werter Weise einer Mißhandlung Untergebener schuldig gemacht, Kapitulationen abzuschließen. Hieran schloß Prinz Georg eine genaue Anweisung über die Beaufsich tigung der Untergebenen: sie sollte sich besonders während der RekrntenauS-btldung nicht nur auf die Dienststunden, sondern auch auf die übrigen Tages, und Abendstunden erstrecken, und namentlich sollte das Nachexerzieren stets von Offizieren beaufsichtigt werden. Vor allem aber empfahl Prinz Georg den Appell an das Ehr- und StandeSgefühl der Unteroffiziere. Belehrung und an ständige Behandlung deS Unteroffizierkorps werbe nicht verfehlen, den besseren Teil desselben vor Ausschreitungen zu bewahren. Sind schon in den hier erwähnten Anordnungen die Offiziere zur Beseitigung der Soldatemnißhandlungen herangezogen, so geschieht das noch mehr in den Bestim mungen des Erlasses, die das Verhalten der Offiziere gegenüber Anzeigen von Mißhandlungen behandeln. „Es will zuweilen scheinen", führte Prtnz Georg in dieser Hin sicht aus, „als ob seitens der Vorgesetzten von Haus aus für den Angeklagten und gegen den, welcher mMrandelt worden zu sein angibt, Partei genommen werde. Wie bei allen Vergehen und Verbrechen, muß auch bei Mißhaud- lungsfällen, so lange durch die Untersuchung nicht Klarheit geschaffen ist, volle Objektivität walten. Der Unteroffizier, welcher angeklagt ist, darf dem Vorgesetzten in diesem Falle nicht näher stehen, wie der Soldat, welcher eine ihm widerfahrene vorschriftswidrige Behandlung zur Meldung bringt." — Prtnz Georg knüpfte hieran den Ausdruck des Vertrauens, daß die Regimentskommandeure „mit ihrem ganzen Können und ihrer ganzen Energie" bestrebt sein würden, die gerügten Uebelstände auszurotten. „Sollten indessen", schloß Prinz Georg, Vorgesetzte, gleich viel, welchen Grabes, wider Erwarten es sich nicht ange legen sein lassen, für die Erreichung des angedeuteten Zieles mit ganzer Kraft einzutreten, vielleicht vorge kommene Mißhandlungen unter irgendwelchem Vorwande zu verbergen suchen, so will ich keinen Zweifel darüber lassen, daß solche Vorgesetzte unnachs 1 chtlich zur strengsten Verantwortung gezogen wer. den würben." Im Rendsburger Falle hat ein Batteriechef nicht blotz Mißhandlungen zu verbergen gesucht, sondern sogar zur Mißhandlung Untergebener verleitet. Trotzdem hat das Kriegsgericht ihn nicht zur „strengsten" Verantwortung gezogen, vielmehr eine überaus gelinde und nicht ent ehrende Strafe über ihn verhängt. ES kann nicht aus bleiben, daß in den künftigen Verhandlungen des Reichs tages netzen dem Prozeß Hüßener bas Rendsburger Urteil eine Nolle spielen wird. Der Reichstag wird hoffentlich die Kritik beider Prozesse nicht der Sozialdemo kratie überlassen, und auch die Frage zu prüfen haben, wie die Bestimmungen über daS Beschwerderecht der Soldaten sich bewähren. Der Reichstag hat beim Kampfe gegen die Soldatenmitzhanblungen militärische Autori täten, wie die Könige Georg und Albert von Sachsen, hinter sich, von denen der letztere seinerzeit dem Generalkommando seines Korps befahl, in Sachen der Soldatenmtßhandlungen „völligen Wandel" zu schaffen. Und von dem Erlasse des Prinzen Georg sagte Kriegs minister v. Goßler, er gründe sich auf eine Ordre des Kaisers vom Februar 1890. Der Reichstag handelt dem gemäß im Sinne der höchsten militärischen Stellen im Reiche, wenn er mit der größten Entschiedenheit für die Beseitigung der Soldatenmißhandlungen eintritt. Deutsches Reich. O Berli«, 21. Juli. (Die berufsgenossen- schaftlichen Reservefonds.) Anscheinend offi ziös wird geschrieben: Noch immer werden von wirtschaftlichen Bereinigungen, Berufs,enossen- schaftcn, Innungen und anderen Korporationen Beschlüsse gefaßt, die auf die Abschaffung der Be stimmungen beS gewerblichen UnfallversicherungsgcsetzcS über die Auffüllung der berufSgenosscnschaftlichen Reservefonds abzielen. Auch in Versammlungen solcher Verbände, die in der nächsten Zeit abgehalten werden sollen, dürften Beschlüsse ähnlicher Art gefaßt werden. Aussichten auf Verwirklichung dürften sie aber kaum haben. Die verbündeten Regierungen hatten gewiß in dem Entwürfe zu der Unfallversicherungsgesetznovelle, die sie dem Reichstage vorlegten, Neuerungen wegen der berufsgenossenschaftlichen Reservefonds nicht in Vorschlag gebracht, sie wollten cS dabei bewenden lassen, dah nach dem alten Gesetze diese Fonds bis auf den doppelten Be- trag der JahresauSgabe gebracht waren. Ebenso gewiß hatte erst der Reichstag, nachdem ein Versuch auf Ein- führung de» bet der Invalidenversicherung schon be- stehenden Kapitaldeck,rngSverfahrens in die Unfallver- sicherung zurllckgewiesen war, die Vorschrift über die Auffüllung der Reservefonds während der nächsten 20 Jahre in die Novelle gebracht. Aber während man früher noch annehmen konnte, daß die Regierung, von der die Neuerung nicht ausgegangen war, sich gegebenen- falls bereit finden lassen würde, die Initiative zur Auf- Hebung der letzteren zu ergreifen und wenigstens den versuch zu machen, daß -er Reichstag seinen früheren Beschluh umstieh oder umgestaltete, ist die Hoffnung darauf geschwunden, seitdem die Regierung -em Reichs- tage noch kurz vor seinem AuSeinandergehen eine Denk schrift hat vorlegen lassen, in der die nunmehr schon für zwei Jahre bet -en gewerblichen Bernssgenoffenschakten in Anwendung gebrachte Bestimmung über die Ausfüllung der Reservefonds eine eingehende Verteidigung erfuhr. Früher konnte man sich in den gewerblichen Kreisen der Ansicht hingeben, daß die verbündeten Regierungen dem betreffenden Beschlüsse des Reichstages zugestimmt hätten, um nicht das große Werk der Revision der Un- falloersicherung zum Scheitern zu bringen, jetzt ist eS klar, daß auch die Regierung zu einer Inangriffnahme des Versuches zur Aufhebung der betreffenden gesetzlichen Bestimmungen nicht zu bewegen sein wird. Man wird deshalb in den b '.ufSgenossenschaftltchen Kreisen aut tun, ich damit abzufinden, daß die Auffüllung der Reserve- onds, wie sie bereits zwei Jahre gehandhabt ist, auch erncrhin vor sich gehen wird und daß sich um die hierfür an die Genossenschaften zu zahlenden Beträge die Ge stehungskosten der einzelnen Betriebe für die nächsten 20 Jahre bauernd erhöhen werden. * Berlin, 20. Juli. Eine erhebliche Herab setzung der Fernsprechgebühren für einen großen Teil der Teilnehmer bedeutet eine Ergänzung der ÄuSfüh- rungSbestimmungen zur Fernsprechgebührrnordnung, die Staatssekretär Kraetke soeben in Vertretung deS Reichs- kanzlers erlassen hat. Sie ist die Anwendung der OrtS- brieftaxe auf den Fernsprechverkehr. Die Ergänzung selbst lautet: „Im Nachbarort-Verkehr dürfen die Teilnehmer, die Grund gebühr und Gesprächsgebühren entrichten, gegen die Gebühr von 5 für jede Verbindung von nicht mehr al» drei Minuten Dauer sprechen; wollen sie von dieser Befugnis Gebrauch machen, so haben sie, falls die Grundgebühr in einem der Nachbarorte höher ist, al» die in ihrem eigenen Netze, au Stelle der letzteren jene höher« Grundgebühr zu zahlen. Die gegen bie Gebühr von 5 ge- führten Nachbarortsgespräche werden auf die nach 8 5 der Fern- sprechgebühren-Ordnung vou den Teilnehmern jährlich zu be zahlenden 400 Ortsgespräche angrrechnet." Unter Nachbarortsverkehr im Fernsprechwesen versteht die Reichspostverwaltung den Verkehr zwischen Postortrn mit ge meinsamer Ortsbrieftare. Hier müssen bisher Teilnehmer, die Grund- und Einzelgebühren bezahlen, füriedeS Gespräch mit einem Nachbarort bis zur Dauer von 3 Minuten 20 ent richten. Diese Gebühr kam außerdem nicht auf jene 400 Ge spräche zur Anrechnung, die jeder Teilnehmer mindestens be zahlen muß, ob er davon Gebrauch macht oder nicht. Die Verfügung stellt nun hier den Ort»- und Nachbarorts verkehr gleich. Ein Gespräch zwischen Nachbarorten kostet 5 ^s, die außerdem auf jeue 400 Gespräche angerechnet werden. Teilnehmer, die Grund- und Einzelgebühreu be zahlen, können also mit den Nachbarorten für je 5 „s sprechen, während sie bisher 20 bezahlen mußten. Die Verfügung tritt vom 1. Oktober ab in Kraft. Wohl zu unterscheiden ist der Vorortsverkehr, in dem nach wie vor 20 für daS Gespräch von Stellen mit Grundgebühren entrichtet werden müssen. — Eine zweite Verfügung deS Staatssekretärs des ReiLspostamlS in Vertretung deS Reichskanzlers betrifft Bestimmungen über die Berechnung der Gebühren bei Fernsprechnebenanschlüssra. Sie lautet: „Die Einzelgebühren für Gespräche von oder nach Nebenstellen werden fällig, sobald die Verbindung mit den zugehörigen Haupt stellen vou der Vermittlungsanstalt ausgeführt worden ist." (-) Berlin, 21. Juli. (Telegramm.) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Ein friedliebender Kirchenfürst, ein warmherziger Freund der Armen und Unterdrückten und ein feinsinniger Gelehrter ist mit Leo XIII. dahiogegangen, dessen Name weit über den Kreis der katholischen Kirche mit dem Gefühl aufrichtiger Hochschätzung genannt wird. Unser Kaiser verehrte in dem Entschlafenen einen persönlichen Freund. Die wiederholten Besuche des Kaisers tegten für daS gute Verhältnis zwischen den beiden ein beredtes Zeugnis ab. Bei dem Antritt deS Pontifikats ging Leo der Ruf voran, daß er bestrebt sein werde, ein Friedenspapst zu sein. Diesen Ruf hat er dem Deutschen Reiche gegenüber in der richtigen Erkenntnis der wahren Interessen sowohl der Kirche, als der Staatsgewalt gerechtfertigt. Unter seiner tätigen Mitwirkung gelang e«, den Kulturkampf beizulegen und einen wockus vivsaäi mit der katho lischen Kirche zu finden, der sich b>s heute bewährt hat. Schon vor 18 Jahren übertrug ihm daS Vertrauen der deutschen Regierung daS Amt eines Schiedsrichters in dem Karolinenstreit mit Spanien. Wenn beute unter dem regen Anteil der katholischen Bevölkerung am Aufbau des Deutschen Reiches Weiler gearbeitet werden kann, so ist dies nicht zum wenigsten der staatsmännischen Einsicht LeoS zu danken, der auch nach der Beilegung des Kulturkampfes wiederholt und noch in seinem letzten Lebens jahre eiu offenes Verständnis für die staatlichen Bedürfnisse Deutschlands zeigte. Unter den vielen Päpsten, die in der deutsche» Geschichte eiu« Nolle spielte», wird Leo XIII. eine der sympathischsten Erscheinungen bleibe«. (-) Berlin, 21. Juli. (Telegramm.) Die „Berliner Korrespondenz" schreibt: In dem vom Minister deS Innern bereisten Hochwaflcr-ebtete wird sich die vom Minister mit den örtlichen Instanzen besprochene Hnlfsaktton in dreifacher Richtung zu bewegen haben. Zunächst handelt eS sich um die Linderung der augenblicklichen No». Dazu wird hoffentlich daS Ergebnis der Sammlungen, die einer großen Opserfreudigkeit begegnen, ebenso genügen, wie zur Bestreitung der unmittelbaren Kosten für Aufräumung und Desinfektion. Letztere namentlich ist von weittragender Bedeutung, da erfahrungsgemäß die Epidemien häufig als Folgeerscheinung derartiger Wafserkatastrophen auf- treten. Sodann bandelt eS sich um die Feststellung des Schadens nach Umfang und Wert, namentlich soweit wenig Bemittelte von Verlusten betroffen wurden oder die Ernährungsquelle Einzelner zerstört ist. Die Art der Feststellung durch die zuständigen Verwaltungsorgane ist für alle Teile der Provinz nach den gleichen Grundsätzen vereinbart. Erst nach dem Eingänge dieser Berichte wird eS der Regierung möglich sein, zu der Frage der Staats- und Kommunal« hülfe endgiltiz Stellung zu nehmen. Endlich werde« umfassende Maßregeln erwogen werden müssen zur Vorbeugung ähnlicher Katastrophen. Naturgemäß kann augenblick- sich nicht rin lückenlose» Programm dafür ausgestellt werden. Es versteht sich von selbst, daß hier möglichst ausgedehnte und gründliche Flußregusierungeu, sowie d,e Schaffung eines dea Fortschritten der modernen Wafserbautechuik eutsprecheo- dra Eindeichungssystem» ia Frag« kommen.
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