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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030724025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903072402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903072402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-24
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Das Versassungsgesetz von 1879 ver dankt seine Entstehung und Ausgestaltung, wie die Putt- kamers betonen, einzig und allein der Initiative des Fürsten Bismarck, der dabei nicht dem Drängen der reichsländischen Autonomisten nachgab. Der entsprechende Antrag des Abg. Schneeaans wurde vielmehr im Reichs tage erst gestellt, als man sich vergewisser: hatte, daß der Anträge dem Wunsche des Reichskanzlers entspreche. Manteuffel griff in seiner neuen Stellung die Dinge frei von jeder schematischen oder hergebrachten Art an. Er liest vor allem dem eroberten Lande gegenüber die volle Wärme seiner Humanität wirken. Daß er sich in schöner Grvß- mut manchmal über die Grenzen ruhiger Staatsweishcit hinwegreisten lieb, dafür kann der Verlauf seines ersten Besuches in Metz als Beweis dienen. Manteuffel hat da mals nicht nur die höheren Offiziere und Beamten, sondern auch den Bischof und den Gemeinderat zu einem Festmahle geladen. Der Bischof lehnte ab, da er alt sei und nie Einladungen annehme; aber es sagten auch sämt liche Herren des Gemeinderates mit einer einzigen Aus nahme ab! Die Antwort Manteuffels auf diese Kränkung bestand darin, dast er in einer Tischrede versicherte: jener Mangel an Entgegenkommen werde ihn in seinen freund lichen Gesinnungen für Metz nicht irre machen, nun erst recht möge sich Metz seines Wohlwollens versichert halten. Die Puttkamers erachten es für richtiger, Demon strationen, wie die des Metzer Gemeinderates, mit einer politischen Mahregel zu beantworten, etwa mit einer Suspenston oder Auflösung des Gcmeinderates. Der gleichen jedoch hatte sich Manteuffel durch seine Tischrede selbst unmöglich gemacht. Stark verstimmt durch das Metzer Vorkommnis, mälzte Manteuffel, aus militärischer Anschauung heraus, die Verantwortung auf den Metzer Bürgermcistereiverwalter, Freiherrn v. Frcyberg, ab, der betreffs der Einladung gar nicht um Rat gefragt worden war, und sich trotzdem nnumehr eine Versetzung gefallen lassen muhte. Von der näheren Umgebung Man teuffels entwerfen die Puttkamers interessante Skizzen. Es gehörte zu ihr namentlich Graf Wilhelm Bismarck. „Sorglose, leichtherzige Studentenfröhlich keit, vereint mit edelmännischen Allüren", so schreiben über ihn die Puttkamers, „machten ihn für jeden Salon zu einer sumpathischen Gestalt.. . . Von liebenswürdigem, oft hinreibendem Humor, war er ein sehr gescheiter und lebhafter Mann, aber es fehlte ihm damals doch an der nötigen geschlossenen Konzentration, um feine Intelligenz in bedeutender Weise wirksam zu mache«." — Dab der Graf vom Reichskanzler zur Ucberwachnng Manteuffels nach Strastburg dirigiert worden sei, stellen die Puttkamers in Abrede; der wahre Grund sei die Absicht gewesen, dem für die Vcrwaltungslaufbahn bestimmten Sohne des Reichskanzlers direkten Einblick in das interessanteste Ge biet des deutschen Verwaltungsdienstes zu verschaffen. Ein Adjutant Manteuffels, GrafHutten-Czapski, jetzt Mitglied des Herrenhauses, ist vielfach als weltliches Mitglied des Jesuitenordens angesehen worden. Die Puttkamers verweisen diese Annahme in das Reich der Fabel und führen zum Beweise des Gegenteils die Tatsachen an, daß der spätere Reichskanzler Fürst Hohenlohe, „der ein Katholik, aber Gegner der Jesuiten war, dem Grafen auch in kirchlichen Ange legenheiten Vertrauen bewies." Was lehren die amtlichen Wahlzahlen? Nach der neuen amtlichen statistischen Zusammen stellung, die nur die ersten ordentlichen Wahlen, nicht aber auch die Stichwahlen berücksichtigt, ist seit fünf Jahren die Zahl der Wahlberechtigten nm 1089 845, die der abge gebenen Stimmen aber um 1 720 797 gestiegen. Die Wahl beteiligung war also nicht unwesentlich stärker als vor fünf Jahren. Von den einzelnen Parteien hatte die sozial demokratische die meisten Stimmen und auch die stärkste Znuahme. Es entfielen auf sic 3 011114 Stimmen, gegen 2 107 076 in 1898, mithin jetzt 904 038 oder 42,9 Prozent mehr. Die zweitgrößte Zahl der Stimmen vereinigte das Zentrum ans sich mit 1 873 415, gegen 1 455 139 in 1898 t-s- 28,3 Prozents. Die drittstärkste, die nationalliberale Partei, zu der die gemäßigt Liberalen und die Deutsche Partei gezählt sind, hat einen Zuwachs von 297 760 Stimmen oder 30,7 Prozent. Die deutsch-konservative Partei hat nur eine ganz unerhebliche Zunahme, die deutsche Reichspartci einen wesentlichen Rückgang von Stimmen erfahren. Für den Bund der Landwirte zählt die amtliche Statistik 122195, d. h. 11806 Stimmen mehr als 1898. Man darf abwarten, ob diese Zahl bei einer Nachprüfung keine Beanstandung erfährt. Von den beiden freisinnigen Parteien erfuhr die Volkspartei einen Rück gang der Stimmen von 558 314 auf 527 741, also um 5,6 Prozent, während bei der freisinnigen Vereinigung die Stimmenzahl von 195 682 aus 230 796, also um 18 Prozent gestiegen ist. Die süddeutsche Volkspartei büßte nur wenig Stimmen ein. Die deutsch-soziale Reformpartei erfuhr einen Rückgang um fast 40 000 Stimmen; ebenso gingen zurück der Bauernbund, die Litauer, die Welfxn, di« Dänen nnd die Elsässer, während die Nationalsoztalcn eine Zunahme von 27 208 auf 30 204 Stimmen zeigen. Groß war die Steigerung der Stimmenzahl, und zwar beinahe so groß wie bei der sozialdemokratischen Partei, bei den Polen. — Ohne diesen vorläufigen Zahlen einen über triebenen Wert beizumcssen, wird man aus ihnen zu ent nehmen berechtigt sein, wie die nationalliberale Partei alle Ursache hat, ihre Aufklärungs- und Werbearbeit fvrtztz- sctzcn. Dazu fehlt cs aber namentlich auch im Süden des Vaterlandes nicht an stichhaltigen Gründen und wertvollen Anhaltspunkten. Die Lösung der Kronprinzcn-Krisiö in Griechenland. Die Annahme des vom Ministerpräsidenten Nalli vor gelegten Gesetzentwurfes, betreffend die Stellung des Kronprinzen als Oberbefehlshaber der Armee hat die seit drei Jahren bestehende innere Krisis beseitigt, vorausgesetzt, daß die jetzt gefundene Lösung nicht bald zu neuen Schwierigkeiten führt. In der Begründung des Entwurfes erklärte Nalli folgendes: Die seit drei Jahren geschaffene Stellung des Kronprinzen Konstantin als Oberbefehlshaber der Armee widersprach der Verfassung. Der Kronprinz ist als Mitglied der königlichen Familie den Gesetzen gegenüber unverant wortlich; deshalb kann er nicht die Stellung eines mili tärischen Verwaltungsbeamten cinnehmen, welche eine verantwortungsvolle ist und den Machtbefugnissen des Kriegsministers untersteht. Der letztere ist dem Lande und der Abgeordnetenkammer gegenüber verantwortlich für alle Fragen der finanziellen Verwaltung des Heeres, für die Militärgerichte, das Lazarettwesen, die militäri schen Lehranstalten usw. Deshalb konnte dieser Teil der Verwaltung mit dem Oberkommando des Kronprinzen nicht vereinigt bleiben. Der Kronprinz soll demnach als Oberkommandeur im Frieden und im Kriege der oberste Offizier aller zum Landheere gehörenden Truppen zu Fuß und zu Pferde, sowie der Artillerie sein. Alle Verwal tungsfragen dagegen nebst der Militärgerichtsbarkeit und der Bildungsanstalten werden dem Kriegsminister über wiesen. — Dieser Antrag gelangte mit großer Mehrheit zur Annahme, nachdem sich auch Delyannis und General Smolenski dafür erklärt hatten. Trotzdem kann sich nie mand verhehlen, dab auch in dieser Stellung die Lage des Kronprinzen schmierig bleiben wird, da ja die theoretische Abgrenzung der Befugnisse des Oberkvmmaudeurs und des Kriegsministers in der Praxis kaum überall durchzu führen sein wird. In der N o s i n e nf r a ge ist es Ralli gelungen, die Entscheidung so lange zu vertagen, bis sich alle beteiligten Mächte i hauptsächlich Deutschland, Eng land und Frankreich) endgültig über die Zulässigkeit des Monopolplanes geäußert hätten. Deutsches Reich. Leipzig, 24. Juli. Neber einen angeblichen Wider spruch zwischen vem Bürgerlichen Gesetzbuche und dem Handelsgesetzbncke wird uns geschrieben: Die Handelskammer zu Metz ist bestrebt, durch den deut schen Handelstag die Beteiligung eine» Widerspruches berbei ziisübrcn, der angeblich »wischen tz 616 B G.-B. und 8 63 Absatz 2 des Handelsgesetzbuches besteht. Nach tz 616 B G.-B. muß sich der zur Dienstleistung Verpflichte,« für diä Zeit, während welcher er durch unverschuldetes Unglück arv ver Leistung der Dienste verhindert ist, den Betrag anrechnen lassen, den er au» einer Kiauken- oder Unfall versicherung erhält. Nach Z 63 Absatz 2 des HandelSgesetz- brickeS ist der Handlungsgehülse dazu nicht verpflichtet. Dem nach ist klar, daß die von der Metzer Handelskammer betriebene Aushebung von Z 63 Absatz 2 des Handelsgesetzbuches den Interessen der HanvlungSgehülfen zuwiverläuft. Infolge dessen hat ter Verband deutscher Handlungsgehülfen zu Leipzig als die Vertretung von 58 000 HanvlungSgehülfen dem HandelStag eine gegen die Metzer Bestrebungen ge richtete Eingabe unterbreitet. Diese Eingabe weist vor allem nach, daß ein Widerspruch zwischen Z 6l6 B. G-B. und ß 63 Abs. 2 H.-G -B. in Wirklichkeit nicht besteht. DaS gehe aus der Entstehungsgeschichte des Handelsgesetzbuchs her vor. Nach dem Entwürfe des Bundesrates war ter Hanr- lungSgehülfe den übrigen Dienstverpflichteten im Gegensätze zu dein damals geltenden Handelsrechte gleichgestellt, und die Motive zu dem Entwürfe suchten eine solche Ver schlechterung ter Rechtsstellung des Handlungsgehülfen zu begründen; im bewußten Gegensätze hierzu bat der Reichstag beschlossen, dem Haiidlung^gchülsen die Ausnahme stellung zu lassen, und diese Anschauung ist dann Gesetz ge worden. Tie E ngabe des VeibandeS deutscher Hanv- lunasgehülfen rechtfertigt des weiteren die verschiedene Be handlung deS Handlungsgehülfen gegenüber anderen Dienst verpflichteten damit, daß die gesetzlichen Forderungen betreffs ver Pflichten ter HanvlungSgehülsen härter seien, als die für den Arbeitcrstand. Tie Eingabe erinnert zum Beispiel daran, raß der Handlungsgehülse feine ganze ArbeitS- kiast in den Dienst seines Prinzipals stellen müsse und sie auch außerhalb der Geschäftszeit nicht zum eigenen Nutzen verwerten dürfe: für solche AuSnahmeleistung sei die Fort- gewäbrung des Gehalts für 6 Wochen eine Gegenleistung. Die Eingabe schließt mit der Bitte an ven HandelStag, im Interesse der Aufrechterhaltung und Festigung guter Be ziehungen zwischen Prinzipalität und Handlungsgehülfen der Schmälerung der Rechte der HanvlungSgehülfen, wie sie von der Metzer Handelskammer angestrebt werde, entgegenzutreten. Berlin, 23. Juli. (Sonn- und Feiertag als Ar beitstag.) Es ist anerkannt Rechtens, daß für Personen, die nach der Natur ihrer Dienstverrichtungen auch an Sonn tagen und Feiertagen zu beschäftigen sind oder doch wenig stens zu Dienstleistungen sich bereit halten müssen, auch der Sonn- und Feieriag ein „Arbeitstag" im Sinne des § 6 Abs. 1 Ziff. 2 des Kranken - VersicherungS - Gesetzes ist und daß ihnen mithin in Krankheitsfällen daS Krankengeld — selbst ohne eine entsprechende Bestimmung gemäß §6» oder tz 2l — auch für Sonn- und Feiertage zu zahlen ist. In vielem Sinne hat insbesondere auch das Preußische Ober» verwaltungsgerichl das Wort „Arbeitstag" ausgelegt. In einem Endurteil wurde ausgeführt, daß unter dem „Arbeits tag" nur ein solcher Tag verstanden werden könne, an dem ver Ei krankte nach ver allgemeinen Regel des Gewerbes, ves Betriebes, überhaupt der Art seiner versicherungspflich tigen Beschäftigung gearbeitet baden würde, und daß unter dieser Voraussetzung auch der Sonn- und Feiertag, wie bei den Kellnern uno Dienstboten unter den Begriff des Arbeits tages falle. Kassenüaluten fetzen sich mit dem Gesetz in Widerspruch und genügen dessen Anforderungen nicht, weon sie durch den Zusatz „also ausschließlich der Sonn- und ge setzlichen Feiertage" diesen Tagen ganz allgemein die Eigen schaft von Arbeitstagen absprechen uud dadurch den betr. Personen ein geringeres Kraukengelv zubilligen, als sie nach dem Gesetz zu beanipruchen haben. Berliu, 23. Juli. (DaS Nationalbewutzt- sein -er Sozialdemokratie.) Eine bei Rudolf Dülfer in Görlitz erschienene, „Marx oder Lassalle" über schriebene Broschüre schließt mit -er Prophezeiung: „Der nationale Sozialismus hält seinen Einzug zum Wohle des deutschen Volkes und nicht zum mindesten zum Wohle des deurschen Arbeiters, in dessen Hand in Wirklichkeit die Zukunft des gesamten deutschen Volkes ruht." Der nationale Sozialismus ist tot, es lebe der nationale Sozialismus! Kaum ist er so gründlich aufs Haupt ge schlagen morden, daß sein eigener Führer, Naumann, verständigerweisc seinen politischen Bankrott annreldete, — da wagt er sich flugs von neuem aus dem Reiche der Träume hervor und verkündet seinen „Einzug". Und wenn wir nachforschen, was denn den Verfasser von „Marx und Lassalle" ermutigt hat, das auf Untiefen fest sitzende Schiff wieder flott machen zu wollen, so sehen wir, daß er in den alten Akten der Sozialdemokratie nach blätterte und dabei die überraschende Entdeckung einstiger nationaler Regungen unter den „Genossen" gemacht hat. Es stört ihn anscheinend wenig, daß das etwa drei bis vier Jahrzehnte her ist und daß dazu die gewaltigen, ge schichtlichen Krisen der Jahre 1866 und 1870 nötig waren. Er rechnet unverdrossen mit der nationalen Mauserung der Sozialdemokratie, obschon in der langen Zwischenzeit Ferrilletsn. Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. «t>ic!>druck verboten. Diese Idee deuchte dem Alten famos; sie zu verwirk lichen, eilte er sofort zum Notar und gab seinen Willen zu Protokoll, das er breitspurig unterzeichnete. „Zu den weiteren Formalitäten werde ich den Sohn nächster Tage mitbringen." Das genügte für's erste. Erleichtert und froh, der Behörde nach seiner Meinung ein Schnippchen geschlagen zu haben, ging der Privatier Hungerte in das «chanklokal der „Alpenrose", das er bislang gemieden, und erzählte brühwarm, daß er sein Geschäft dem Sohn übergeben habe. Als „Privatier" spendierte Hungerte etliche Liter Rötel, und so ward dafür gesorgt, daß die Kunde von der Ge schäftsübergabe und Wiederaufnahme des Metzgereibe- tricbes rasch unter die Leute kam. Zum Abend konnten die Dörfler einen Biehtricb sehen, wie er nicht alle Tage zu schauen ist: Schorsch und Pelagia tauschten Küsse aus und trieben dabei einige Stück Kalbinen den Hang herunter. Zu viel Schläge bekam die kleine Herde nicht. Und wenn das Vieh gelegentlich seit lich ausbrach und in tollen Sprüngen davonsprang, holte sich Schorsch immer erst ein Küßchen, dann hüpfte er den Ausbrechern nach und trieb sie auf das Sträßlein. Pelagia half getreulich mit. Als das Paar die ersten Häuser des Oberdorfes er reichte, wollte Pelagia auskneifen und Heimlaufen, doch Schorsch griff fest zu und bestand darauf, daß Füchsl mit treiben helfe, wasmaßen Pelagia cingewilligt habe, eine richtige Fleischcrsfrau zu werden. Am roten Haus traf alles zusammen: der Vater, das Paar und das eingehandelte Vieh. Füchsl zitterte vor Angst, und Hungerle rief ein „Oha" nach dem andern vor Uebcrraschung. „Zuerst die Kalbinen in den Stall!" meinte resolut Schorsch «nd versorgte flink das Vieh. „Füchsle, ich mein', da ist was los!" schmunzelte Hungerle^ und schob das Mädchen ins Haus. Als Schorsch dazu kam und reden wollte, polterte der Alte gutmütig los, daß der Privatier Hungerle nichts mehr -u sagen habe, es sei bereits protokolliert. „Ja, aber den Vater muß ich doch wegen Füchsl um Erlaubnis bitten?" stotterte überrascht Schorsch. „Das darfst du, und ich sage ja! Nun hent Ihr Oich!" Jubelnd umarmte Schorsch den Vater, der seinerseits Füchsl heranrief und als Schwiegertochter herzhaft ab küßte. Schorsch wollte dann wissen, wie es nur möglich sei, daß der Vater so lieb, gut und rasch eingewilligt hätte. Doch der Alte sagte nur: „Die Malefiz-Konkurrenz!" „Hoch die Konkurrenz!" jubelte Schorsch und küßte Füchsl. Zwanzigstes Kapitel. Was aus einem allzeit höflichen, liebenswürdigen Menschen werden kann, wenn Eifersucht sein Herz bewegt und die Angst vor Verlust der geliebten Braut das Gehirn martert, das zeigte sich bei Ambros Tschnrtschberger, als der junge Hotelier zum Aufzug sprang und den Liftsungen in der Kabine halb duselnd antraf. Klatsch, klatsch, ein paar Hiebe um die Ohren, und der Junge war wach. In sausender Eile sank die Kabine tiefer, viel zu langsam für Ambros, der dann, im Parterre angekommen, dem Garten zustürmte, um dort Aennchen zu suchen. Auf dieser Jagd nach dem Glück hatte der Hotelier aber mancherlei Mal heur; einer dicken Russin, die stolz, erhaben, nicht aus wich, trat der hitzige Bräutigam die Seidcnschleppe weg, stolperte und drückte einem Engländer schier die Einge weide aus dem Leibe, ohne sich auch nur mit einem Worte zu entschuldigen. Dafür schnanzte der von Eifersucht ge marterte Hotelier einen Münchener, der ihn behufs Aus- kunftscrteilung am Rockzipfel fassen wollte, mit Kraft worten aus dem „Glasscherbenviertel" Münchens so grimmig an, daß der Jsarathener bei aller Vertrautheit mit Kernwortcn den Rockzipfel recht gern lvsließ nnd staunend, ja bewundernd den Mund ansriß, so weit, daß ein Hosbränkrng hätte darin Platz gclmbt. Unglücklicherweise kam auch nach eine Kellnerin A.nbroS in den Weg, als er am Eingänge des Speisesaales vorüber lmstcn wollte, ein Bums, das Porzellan-Kaffee service lag in Scherben auf dem Mosaikbvden. „Dumme Gans! Mackst nichts! Auf meine Rechnung!* schnaubte Tschurtsibberger und raste weiter, einen Pikkolo durch kraftvollen Stoß in eine Ecke befördernd, wo der Kleine entsetzt seine Knochen zusammcnsnchte. Die Glastür am Ende des zum Garten führenden Korridors vertrug die rauhe Bel-andlung von Tschnrtsch- bcrgers Hand nicht und ging klirrend in Brüche. Die Scherben flogen einer Berliner Touristin an die Brust, Gott Lob, ohne Schaden anzurichten. Auf den Schreckens ruf: „Herr Jasthof!" konnte Ambros nicht reagieren, weil er bereits davonraste, quer durch die Blumenberte, deren zarte Blüten nach Hunnenart niedergetreten wurden. Ambros sah zum Fürchten aus, wild blickten die Augen, verzerrt ist das Antliy, die Lippen sind zusammcngepreßt, die Fäuste geballt. Kein Wunder, daß die im Garten promenierenden Hotelgäste erschreckt flüchteten, und die allgemeine Meinung dahin lautete, daß der liebens würdige, höfliche Hotelier plötzlich tobsüchtig geworden sein müsse. Am Lawn-Tennisplahe erblickte Ambros die geliebte Braut, plaudernd mit dem glühend gehaßten Vetter aus Sachsen. Die Art des Herattstürmens und der Gesichtsausdruck Tschurtschbergers erschreckten Aennchen, bestürzt blickte das Fräulein auf den rabiat gewordenenHotelier, der keuchend Herangelanfen kam nnd rief: „Nicht annehmen, ich — ich! Zum Teufel mit dem Jüngling!" „Um Gottes willen, Tschurtscho, was ist geschehen?" rief Aennchen in größter Sorge. ,Dat er gesprochen?" schnaubte der gründlich ver wandelte Hotelier. „Wer?" „Der Vetter!" Aennchen wußte nicht, wie sie sich das Benehmen Am- brosens erklären, und was die stiebe bedeuten sollte. „Aennchen! Um aller Heiligen willen! Sprich, hat der Vetter etwa angehalten? Ich erwürge ihn!" Jetzt lachte das Fräulein hell auf: „Ach, die liebe Eifer sucht!" Nach Atem und Fassung ringend, stammelte AmbroS: „Ja! Entsetzliche Eifersucht! Papa lmt cingewilligt, Aennchen, um Gottes willen, bist du noch frei? Ich, ich will dich ja freien!" „Eine nette Werbung, mein Herr! Geradezu wie ein Tobsüchtiger!" „Verzeihung! Ich werde noch verrückt vor Angst!" „Gott, wie heiß er inich liebt!" flüsterte Aennchen. ,Mn ich zu — spät gekommen?" , ,, , „Aber nein! Glauben Sie denn, Tschurtscho, bau ich so wankelmütig bin!" „Aennchen, Geliebte!" rief jubelnd Ambros und zog das Mädchen überglücklich in seine Arme, trotz des Wider strebens und Hinweises auf die neugierig herankonnnen- den Hotelgäste, die sich die Augen wund guckten. „Soll alle Welt wissen! Ich bin der glücklichste Wirt unter der Sonne!" „Und ich eine glückliche Wirtin, aber angasfen laß' ich mich nicht!" Nun ließ Ambros die Braut los und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. Der Vetter hatte den rasch sich abspielcnden Vorgang völlig verblüfft beobachtet und kam nun näher. Ambros war jetzt wieder normal, ging zum Jüngling, reichte ihm liebenswürdig die Hand und sprach: „Ver zeihen Sie gütigst! Ich hatte auf Sie einen fürchterlichen Verdacht, ich leiste Abbitte! Nichts für ungut!" „Bitte sehr, aber nadirlich! Nur verstehe ich nicht recht! Wohl eine etwas gewalttätige Verlobung, was?" „Jawohl! Ganz richtig erraten! Gott sei gepriesen, daß die Sache in Ordnung ist!" rief Ambros und bor Aennchen den Ann. Gäste, die schon längere Zeit im Hause wohnten und den Hotelier näher kennen gelernt, kamen herbei, ihnen stellte Ambros freudestrahlend seine Braut vor und nahm deren Glückwünsche entgegen. Auf dem Wege zum Hotel lispelte Aennchen: „So wild darfst du aber nimmer werden, Ambros! Ich müßte dich sonst fürchten! Sieh' nur, wie grausam du die armen Blumen zertreten hast!" „Alles ans Liebe zu dir!" gestand Ambros nnd drückte Acnnchcns Arm inntg an sich. Im Flur des Hauses war von weitem schon Fran El- wincns Stimme zu hören, ihre Mahnungen an Moritzerl, ja auf den Schmuckkosfer zu achten. „Komm, Geliebte, jenes Mcnschcnpaar ist kein Anblick für dich, »nd ich möchte ausnahmsweise bei dieser Abreise fehlen und unhöflich erscheinen. Auf eine Wiederkehr dieser Leute ist nicht zu rechnen, die kommen sicher njcht mehr!" sprach Tschnrtschberger, öffnete rasch die Tt'rr zu seinem Privatkomptvir und ließ Aennchen eintreten. In diesem belmglichen Raume ergänzte Ambros feine Mitteilungen über das Paar Tanschkern-Winkelhofer, über all' die Aufregungen im Hause, sofern Aennchen nickst schon ans Papas Munde informiert war. Etwas verblüffend für Ambros war Aennchens Frage: „Hast du dich aber wi. klick) nicht für diese Fran inter essiert» Die Wienerin ist eine sehr fesche Person!" „Tu auch eifersüchtig ? Das kann gut werden!^
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