02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030725026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903072502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903072502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-25
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Juni nachzulcsen sind, kein volles Verständnis entgcgengcbracht hat. Die Note schildert in sehr klarer Weise die Entstehungsgeschichte des kanadischen Zollstreites, und bei aufmerksamem Lesen muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß Deutschland eben nur so gehandelt hat, wie es nach Lage seiner Gesetzgebung handeln mußte, und daß cs obendrein noch alles getan hat, um einen Konflikt nicht zu verschärfen, zu dessen Ent stehung cs nichts beigetragen hat. Wir können sowohl das deutsche als namentlich auch das britische Publikum nur nachdrücklichst auf diese Note Hinweisen, denn klarer als dort der Sachverhalt dargcstellt ist, kann es überhaupt nicht geschehen. Trotzdem scheint die Note ihren Eindruck auf Chamberlain verfehlt zu haben, und mir können das nur bedauern, sind aber in der Tat außer stände, bessere Argumente als die dort niedergelegten vorzubringeu. Wenn der englische Minister trotzdem zu einer Aendernng seines Standpunktes bei Beurteilung des deutschen Vor gehens nicht gelangt ist, so gewinnt es beinahe den An schein, als ob dies Ziel in theoretischen Auseinander setzungen überhaupt nicht erreicht werden kann, und daß es verlorene Mühe ist, auf diesem Wege weiter vorzu schreiten. Wir wollen auch nicht in eine Untersuchung darüber eintretcn, ob Herr Chamberlain bei seinen großen, die alte britische Handelspolitik in ihren Grundlagen um ändernden Plänen sich so scstgclegt hat, daß er den deut schen Standpunkt wirklich nicht mehr verstehen kann, oder ob seine Haltung von taktischen, auf die inuere Politik be- züglicheri Erwägungen beeinflußt wird. Im einzelnen wollen wir auf die Rede nur insoweit cingehcn, als wir nicht zugcben können, daß man deutscherseits mit „Drohungen" ausgetreten sei, was Chamberlain wieder holt behauptet. Bei der akademischen Erörterung der jenigen Möglichkeiten, die sich bei Fortsetzung des Zoll streites ergeben könnten, ist auch das Verhältnis zu den andern englischen Kolonien berührt worden, worin keine Drohung erblickt werden kann. Ferner ist nicht ganz er sichtlich, woraus fußend Chamberlain cs als einen Erfcjg seiner Politik ansprechen kann, „daß wir «England) jetzt zu Verhandlungen über die Angelegenheit aufgefvrdert worden sind". Tic einzige Stelle in dem amtlichen Mei nungsaustausch, auf die sich diese Behauptung zu be gründen scheint, ist diejenige in der Note vom 27. Juni, in der cs heißt: „Von diesem Gesichtspunkte geleitet, er klärt die kaiserliche Regierung sich gern bereit, in einen Meinungsaustausch über einen Weg zur Beseitigung der gegenwärtigen Differenz einzutretcn, und stellt anheim, im Falle des Einverständnisses hierüber geeignete Vorschläge zu machen." Zwischen „auffordern" und „auHeimstellen" ist ein nicht unwesentlicher Unterschied. Bestimmte Vor schläge zu machen, ist übrigens Deutschland schon aus dem Grunde gar nicht in der Lage, weil das zukünftige Verhältnis Englands zu seinen Kolonien noch gar nicht geordnet ist, und uns somit zu Vorschlägen praktische Unterlagen fehlen würden, über deren Gestaltung bekanntlich auch in England selbst noch keine Uebereinstimmung herrscht. Der stellen weise scharfe Ton in der Rede des Ministers steht in einem gewissen Widerspruche zu den freundschaftlich ge haltenen Noten des Blaubuchs, in dem die versöhnliche und sachliche Haltung der deutschen Regierung nicht ohne An- erkennnug geblieben ist. Wenn bei alledem die Rede des Ministers in der Hoffnung ausklingt, daß neue Verhand lungen wahrscheinlich zu einem befriedigender» Ergebnis führen werden als die frühern, so können wir uns diesem Wunsche nur auschließen." — Uebrigcns werden die Ver handlungen über die Neuregelung der deutsch - englischen Handelsbeziehungen, wie wir an bestuntcrrichteter Stelle erfahren, durch Noten austausch zwischen den Kabinetten von London und Berlin geführt,' besondere Bevollmächtigte sind dafür nicht bestellt. Aus der Kriminalstatistik des Dentschcn Reichs bringt ein Artikel über das Verbrechen und seine Be kämpfung im letzten Hefte der „Grenzbvten" interessante Einzelheiten. Es heißt dort: Im Durchschnitt der Jahre 1882 bis 1891 — es wird seitdem nicht wesentlich anders geworden sein — wurden von je 10000 Personen der Civil- bevölkerung derselben Konfession verurteilt 963 Evan gelische, 1l53 Katholiken, 325 sonstige Christen, 784 Juden. Die Ursachen der geringen Kriminalität der Juden sind bekannt: sie sind wirtschaftlich wohlsituierte und in Gemeinden stramm organisierte Minderheiten; bei den christlichen Sekten, denn das sind die sonstigen Christen, erzielt das Zusammenwirken der beiden Umstände noch er freulichere Ergebnisse. In Halbaffen, wo arme Juden in Massen beisammen wohnen, verhalten sic sich ganz anders. Der Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken rührt von dem ersten der beiden genannten Umstände her. Für Baden hat die Statistik nachzewiesen, „daß mit ge ringen Ausnahmen die Protestanten in allen Berufs arten die lohnenderen Stellungen innehaben; die Kapital rentensteuer betrug 1895 auf 1000 Katholiken 589 800 .L., auf 1000 Evangelische 954 MO Die Wirkungen des Alkohols sind so bekannt, daß wir dabei nicht zu verweilen brauchen. Nur die eine Tatsache wollen wir anführen, daß von den in der Zeit von 1872 bis 1895 zum Tode Ver urteilten — cs waren ihrer 202 — 59,9 Prozent Gewohn heitstrinker und 43,1 Prozent im Augenblicke der Tat be rauscht waren. Von den Körperverletzungen werden 35,1 Prozent am Sonntage begangen. Ein Gefängnisgeist licher hat sich dadurch zu dem Ausspruche verleiten lassen: „Das Gesetz über die Sonntagsruhe ist in der vorliegen den Gestalt ein sehr zweifelhaftes Geschenk". Ein recht törichtes Urteil! Der Segen der Sonntagsruhe wiegt die paar blutigen Köpfe tausendmal auf, und eine Bevölkerung, der Kraftüberschuß und Wein- oder Bierrausch das Raufen zum Bedürfnis machen, ist uns entschieden lieber als ein höchst ehrbares Volk halbverhungerter Weber, dem das Raufen seit hundert Jahren vergangen ist. Die Krimi nalität der Studenten kommt, abgesehen vom Jugend übermut und der bei den Kommilitonen Ehre cintragen- dcn „Schneidigkeit", auf die Rechnung der studentischen Trinksitten. Im Jahre 1899 sind von 54 000 Studenten 435 verurteilt worden. Für etwaige kriminalistische Fol gen eines Alkoholrausches kommt auch sehr viel darauf an, ob man sich ihn in einem von der Polizei beobachteten Lokale anschafst oder in Räumen, in die das Auge des Ge setzes nicht eindringt, und ob der Bekneipte zu Fuß nach Hause torkeln muß oder in eine Droschke verladen wird. — Auf IM männliche Verurteilte kamen im Jahre 1899 nicht mehr als 19,3 weibliche. Der niedrige Prozentsatz der Frauen erklärt sich aus der weiblichen Natur und aus dem Umstande, daß sie sich weniger in der Oeffentlichkcit bewegen und weniger Anlaß zu Konflikten, überhaupt weniger Versuchungen haben als die Männer. Das nordamcrikanische Transvaal in Kanada. Die politischen Schwierigkeiten, welche für die britische Herrschaft in Kanada aus der starken Einwanderung von Bürgern aus den Vereinigten Staaten vorauszuschen waren, treten bereits in bedenklichem Maße hervor. Die Nordwesttcrritorien, welche in ihrer Verwaltung der Provinz Manitoba unterstellt sind, haben bereits eine so starke Bevölkerung erhalten, daß daraus drei selbst- ständige Provinzen gebildet werden müßten. Die kanadischen Provinzen sind in Steuerfragen, Schulwesen und den meisten inneren Verwaltungsangelegenheiten völlig selbständig, wie sie auch eigene Ministerien lmben. Das Gesamtparlament in Ottawa hat nur über die Fragen der Landesverteidigung, der Zollpolitik und der Rechtspflege zu entscheiden. Ebenso untersteht der gemein samen Regierung das gesamte Verkehrswesen, Post, Tele graphen, Eisenbahnen, Schiffahrt usw. Die Einwanderer aus -en Bereinigten Staaten haben nun in den Nord- wcstterritoricn eine starke Agitation entfaltet, um den Territorien die Rechte selbständiger Provinzen zu er ringen, in denen sehr bald das Pankeetum die tatsächliche Macht und Staatsgewalt an sich bringen würde. In dem Provinzparlament von Manitoba haben die Vankees eine Anzahl Abgeordneter für sich gewonnen, welche bereits durch Mittel der Obstruktion die Erledigung der Geschäfte zn verhindern suchen. Ebenso werden die Regierung und oas Parlament in Ottawa mit Bittschriften aus den Terri torien überschüttet, worin sich die Absender auf den Wort laut der Britischen Nordamerika-Akte berufen, und darauf Hinweisen, daß Prinz Eduards Land, Britisch-Kolumbia und Manitoba das Provinzrecht erhielten, als sie noch be deutend weniger Einwohner zählten, als heute die Terri torien. Die Regierung setzt jedoch diesen Bestrebungen einen offenkundigen Widerstand entgegen, der hauptsäch lich von der französischen und katholischen Be völkerung unterstützt wird. Die englisch-loyale Bevölke rung würde ja im allgemeinen gern sehen, wenn im Nord westen neue Provinzen mit starken, englischredcnden und protestantischen Mehrheiten entständen; aber die Erkennt nis, daß diese Provinzen sehr schnell von dem Nankeetnm überflutet und der Hauptstützpunkt für die „Angliede- cungspolitik" der Vereinigten Staaten werden müßten, macht auch die englische Partei zurückhaltend. Da in dessen nach dem Wortlaute der Verfassung die Erteilung des Prvvinzrcchtcs nicht verweigert werden kann, so M als Hinderungsgrund die Frage der konfessio nellen Schule vorgeschoben worden. In Manitoba ist im Jahre 1897 der konfessionelle Schulstreit, welcher jahrelang ganz Kanada in äußerste Erregung gebracht hatte, durch ein Kompromiß beigelcgt worden. Die katho lische Minderheit verzichtete auf eigene konfessionelle Schulen, wogegen für die staatliche Volksschule die Zwei sprachigkeit (Englisch und Französisch) und getrennte Schulbücher für die katholischen Schüler eingeführt wur den. Auf Grund dessen haben nun die katholischen Ab geordneten des Parlaments den Antrag gestellt, es dürfe den Territorien das Provinzrecht nur unter der Be dingung verliehen werden, daß die neuen Provinzen von vornherein das Schulgesetz von Manitoba auch für sie als Verfassungsgrundgesetz annehmen würden. Dies lehnen jedoch die Territorien in nachdrücklicher Form ab, und so ist bereits ein schwerer Verfassungsstreitfall^e- schasfen, welcher für Kanada unabsehbare Folgen nach sich ziehen kann. Die Reibereien i« Südamerika. Die Lage im Acregebiete hat eine weitere Zu spitzung erfahren, indem einmal die Peruaner ihren Er oberungszug fortsetzen, dann aber der brasilische Frei scharenführer Placido de Castro seinen Kleinkrieg gegen die Bolivier wieder ausgenommen hat. Die Peruaner dringen, nach einer Mitteilung der ,^köln. Ztg." vom 17. Juni, immer weiter im Acre vor. An der Mündung des Flusses Amonöa in den Tejo erschien eine peruanische Truppe von 130 Mann und bemächtigte sich der Be sitzungen -er Brasilianer, sowie der großen dortigen Gumminiederlage. Die Beraubten wurden in Ketten gelegt. Der peruanische Dampfer „Fritz" brachte Waffen und Munition für die „Eroberer". Auch an anderen Orten sind schon die Brasilianer vertrieben worden, was natürlich nicht immer ohne heftigen Widerstand geschehen ist. Unter diesen Umständen kann man es dem bolivischen Präsidenten Pando nicht verdenken, daß er den Kriegsschauplatz noch nicht verlassen hat? zumal da er selbst große Gummiwäldcr im Lande besitzt. Einzel heiten von der neuen Tätigkeit Placidos liegen noch nicht vor. Dagegen meldet die in Porte Alegre erscheinende „Deutsche Zeitung" unter dem 23. Juni, daß der bolivische Sondergesandte Guachalla und sein bra silischer Kollege Assis Brasil endlich in Rio an gekommen seien. Da der gegenwärtige Zustand von den Ministern des Auswärtigen von Brasilien und Bolivien vorläufig bis zum 21. Oktober verlängert worden ist, haben die beiden Gesandten hinreichend Zeit für ihre Be ratungen, falls nicht die künftigen Ereignisse im Acre selbst die ganze Zusammenkunft überflüssig machen sollten. Deutsches Reich. /X Berlin, 24. Juli. (Pocken-Bekämpfung.) Bei einem oberschlesischen Grubcnhäuer sind echte schwarze Pocken festgestcllt worden. Alle Maßregeln zur Ver hinderung der Ausbreitung der Seuche sind getroffen. Für Preußisch-Oberschlesicn ist die Gefahr der Ein schleppung der Pocken aus Rußland und Oesterreich- Ungarn besonders groß. Da die standesamtlichen Mel dungen über Todesfälle an Pocken, welche hier wie im ganzen Staate auf ihre Richtigkeit unter Mitwirkung der Medizinalbeamten geprüft werden, an Zuverlässigkeit zu wünschen übrig ließen, wurden die Standesbeamten wiederholt darauf hingewiesen, bei der Eintragung von Pocken als Todesursache mit besonderer Sorgfalt vor zugehen und in jedem derartigen Falle festzustellen, in wieweit die Angaben der Angehörigen begründet und insbesondere ärztlich bestätigt erscheinen. Auch wurden diese Beamten verpflichtet, bei den Todesfällen aus ge nannter Ursache binnen zwei Tagen nach Anmeldung des Sterbefalles eine Abschrift der Zählkarte der Orts polizeibehörde bezw. den Physikern zuzustellen. Das Reichsseuchengesetz sieht selbstverständlich auch die Maß- Feuilleton. n Lorena. Roman von C. Deutsch. ^taivdruck verboten. Erstes Kapitel. Am westlichen Punkte Ungarns, etwa eine Stunde von der mährischen Grenze entfernt, liegt das Städtchen W. Dasselbe soll schon im neunten Jahrhundert gebaut worden sein. Einst bedrängten es die Tabvriten aufs härteste, und Prokop der Große erbaute zur Sühne für viele verübten Greuel jene katholische Kirche, die noch heute ihr altersgraues, bemoostes Haupt in die Wolken hebt. Im Jahre 1495 soll das Städtchen gar durch die Türken arg verwüstet worden sein, weläx auf diesem Punkte lange Wälle anlegten. Der grüne Rasen überwuchert dieselben heute, allein die slawische Bevölkerung nennt sie nicht anders als ,/Türkenwälle". Der Marktplatz, in welchen im Norden zwei Haupt straßen münden, ist durch einen Bach in zwei Teile geteilt, im Süden, gerade der Kirche gegenüber, macht der Bach eine Biegung, eine Brücke führt hinüber, beide Marktteile verbindend, deren zwei schmale Enden sich zu einer Straße verlängern, die, den weidcnbesetzten Bach an ihrer Seite, in den malerischsten Windungen aus dem Orte führt. Es ist früh am Morgen. Das blitzende Sonnenlicht bricht durch das Laub der sanft bewegten Bäume, da ertönt ein langgezogenes Hornsignal über den Marktplatz hin. Hendrik Josefa! ruft seine Schutzbefohlenen, und von allen Höfen wird das Blöken der Kühe, das Meckern der Ziegen und das behagliche Schnauben der Stuten und Füllen laut. Hendrik Josefak .... wer kannte nicht den Mann? Sah man ihn doch seit Jahr und Tag, mochte cs regnen, stürmen oder hageln, von dem ersten Schmelzen des Schnees bis zu den ersten Winterstürmen jeden Morgen um dieselbe Stunde auf dem Marktplatze stehen. Tie schien unbeweglich, die magere, hochgcstrecktc Gestalt, mit Peitsche und Hirtenhorn: in dem wettergebrüunten, perga mentharten Gesicht erschien alles wie versteinert, nur die Augen nicht, die wie Irrlichter tief hinter der hervor springenden Stirn lagen. Der Mann schien mit dem er grauten Haupte geboren zu sein, wie mit der Guba, die er immer trug, und der Pfeife, die er immer rauchte; denn Kinder hatten diese Guba gekannt, diese magere Gestalt, < dies braune, erzgegossene Gesicht, durch das keine Be wegung hervorzubrechen schien, dies ergraute Haupt — und aus den Kindern waren Leute geworden, und noch immer rauchte er aus derselben Pfeife, die braun und verhärtet wie sein Gesicht war, auch sein Haupthaar war nicht weißer geworden, und noch immer hinkte er joden Morgen um fünf Uhr nach dem Markte und ließ seine Peitsche knallen und sein Horn ertönen, und es lag eine Art darin, wie er jene schwang und wie er dieses an den Mund setzte und drei langgezogene schrille Töne hervorbrachte, daß wie auf einen Zauberschlag Ziegen in allen Farben und Größen aus allen Höfen und Ställen stürzten und sich um ihn scharten. Langsam zog er mit der stets wachsenden Herde von Tor zu Tor, bis er dahin kam. wo die Landstraße an der Südwestseite des Ortes nach dem Heu htnauslief. Das Heu war ein Gebirgszug, -der sich anfangs wie eine schräge Hochebene streckte, dann aber zu einem riesenhaften Kegel heranwuchs, der von einem hochstämmigen Eichenwalde bedeckt war. Hier lag der Hof Jancck Kreuzars, des reichsten Bauern im Orte. Sobald Josefak dieses stattlichen Hofes ansichtig wurde, wandte er das ernste Gesicht zur Seite, als erspähe er die Windströmung oder den Flug der Vögel, und sein gemessener Schritt wurde hastig; in schnellem Tempo ging er an dieser Stelle vorüber. Josefak war kein Ein geborener; er war vor etwa fünfundzwanzig Jahren aus einer fremden Stadt nach dem Orte gekommen und versah seit dieser Zeit den Dienst eines Hirten. Sein Haus war das letzte der „oberen Ecke" — so nannte man nämlich die obersten Punkte der zwei östlichen Hauptstraßen. Es lag an der rechten Seite und schien nicht einmal mehr zur Straße gehörig; denn diese war von einer weiten Wiese begrenzt, und die Hirtenhütte stand in der Mitte derselben. In diesem Hanse wohnte Hendrik Josefak mit seinem zweiten Weibe; das erste war ihm vor vielen Jahren, und zwar bei der Geburt der Tochter gestorben. Von dieser zweiten Ebe wußten die Leute, daß sich Hendrik meistens durch Drohungen und Püffe seinem Weibe verständlich machte, und daß dieses trotz jener eindring lichen Sprache stets unverändert in Trägheit, Unreinlich, kett und Liederlichkeit blieb. Beta, so hieß das Weib, hatte eine besondere Vorliebe für ivirituöse Getränke, und trieb sich gern in den Schänken umher. Da sic zu diesem Zwecke immer viel Geld brauchte un-d nie welches hatte, so bestahl sie ihren Mann aus jede mögliche Weise; der Arme mochte noch so geschickt seine kleinen Ersparnisse verbergen. Hen drik ließ es zwar regelmäßig nach einem solchen Diebstahl an ernsten Vermahnungen nicht fehlen, aber Beta machte sich so wenig daraus, wie ein Elefant, dem eine Fliege über den Schweif geht. Der Hirte hatte von -der ersten Frau eine Tochter; sie hieß Bvzena (die Gottgesegnete). Kaum einen Tag alt, als die Mutter starb, mar sie ganz der Fürsorge des Vaters überlassen, der sie auch mit seltener Liebe und Zärtlichkeit aufzog. Selbst als er einige Jahre später zum zweiten Male heiratete, überließ er das Kind nicht der Stiefmutter, sondern behielt es stets an seiner Seite, nahm es im Sommer aufs Feld hinaus, wo es ihm die Ziegen hüten half, und im Winter stand es ihm bei der Beschäftigung -es Korbflechtens bei. So wuchs Bozena heran und wurde ein hübsches und heiteres Kind, das jeder gern sehen mochte, weil cs freundlich und gefällig war, stets sang und lachte. Aus dem Orte gingen Jahr für Jahr sehr viele Mädchen, selbst Töchter reicher Hauswirte, nach den nahe und entfernt liegenden Städten auf einige Jahre in Dienst, um „Bildung zu lernen", wie sich die Bauern ausdrücken. Auch Hendrik schickte seine Tochter fort, als sie fünfzehn Jahre alt war. Es war gewiß ein großes Opfer, welches er dem Wohle der Tochter brachte, aber die Beschäftigung des Ziegcnhütcrs paßte nicht mehr für sic und unter der Anleitung der Stiefmutter konnte sie gewiß keine Tüchtig keit in der Hausführung und Wirtschaft erwerben. Hendrik brachte das Mädchen nach Tyrnau, wo sie einen guten Dienst bekam und einige Jahre verblieb. Während ihrer Dienstzeit war sie nur ein einziges Mal zu Hause auf Besuch gewesen, denn sie war ihrer Herrschaft unent behrlich geworden. Schon damals wollte sie Hendrik nicht mehr fortlassen, denn Beta war unterdessen ein Opfer ihrer Ausschweifungen geworden und eine» Tages fand man sie tot in der Gosse. ES kamen aber so viele Briefe von der Frau und den Kin dern aus Tornau, die der lieben Bozena alle so gut waren und die sie nicht missen konnten, daß er nachgab, jedoch nur für ein Jahr; länger konnte und wollte er die Tochter nicht entbehren. Die kurze Zeit des Wieder zusammenseins mit ihr hatte ' ihm sein bischen einsames Leben so recht fühlbar gemacht; ihr munteres Geplauder, ihre Sorglosigkeit, ihre ewig gute Laune hatten warme, belebende Strahlen in sein verdüstertes Herz gesendet. Es war wie die Krühlingssonne auf einer cisbedeckten Fläche, die langsam schmilzt, und auf deren auSgcsogenen, er wärmten Stellen junges, lebendiges Grün sich regt. — Und ein Menschenherz geht noch leichter auf, als «ine eis erstarrte Bodenfläche, denn von zwei Seiten strömte das warme, lebenerweckende Licht, von außen sendet es das geliebte Auge und im Innern arbeitet die warme Em pfindung. Hendrik hatte dies nicht so gefühlt, so lange sie als Kind um ihn war. Er hatte Freude, aber auch Last und Mühe, und die Freude war doch nur mit und an dem Kinde, jetzt freute er sich ihrer Eigenschaften, ihres ver ständigen Wesens, ihrer schön entwickelten Natur, all der Annehmlichkeiten und Erleichterungen, die ihm ihre Nähe gab. Doch auch das Jahr ging vorüber und Bozena kam nach Haus, und jetzt sangen nicht nur der Bach und das Brünnlein, sondern auch eine Helle, freundliche Mädchen stimme, daß es laut über die grüne Wiese, die Landstraße hinauf und die Ortsstraße hinunter schallte. „Das Singen versteht sie aus dem Grund", sagten die Nachbarn gleich am ersten Abend. Daß sie aber nicht nur singen, daß sie auch arbeiten konnte, davon überzeugten sich die Leute sehr bald, denn wie auf einen Zauberschlag hatte sich die abgerissene, schmutzige Hütte in eine saubere, traulich wohnliche umge wandelt. Tie Wände schimmerten, die Fenster blinkten, der Lehmboden war geebnet und mit weißem Sande be streut. Tisch und Bänke mären gescheuert, sogar der niedergetretcne Gartcnzaun am Hause war ausgebefsert worden. „Das Mädel kann mehr als singen, sie ist flink und hat Geschick und ihre runden Arme können schaffen", dachten di« Nachbarn. Das dachte auch Hendrik, als er am ersten Abend nach Hause kam, die weißschimmerude Hütte sah und in die saubere wohnlich« Stube trat. Er nahm sogar die Pfeife aus dem Munde, während sich der Ausdruck innigsten Bc- Hagens auf seinem gelben, mageren Gesichte zeigte. „Ist das unser altes Schinutznest?" schienen seine Mienen zu fragen. Bozena nickte ihm lachend zu; denn sic hatte die stumm« Frage verstanden. Noch andere Annehmlichkeiten erwuchsen Hendrik durch die Anwesenheit der Tochter. Gleich am ersten Tage hatte sie ihn gefragt, welches fein Lieblingsgericht sei. LieblingSgericht! - guter Gott — wenn er je eines gehabt, hätte er es auch längst vergessen haben müssen. Was ihm Beta je gekocht, war so unschmackhaft und so unsauber gc- wesen, daß ein anderer mit einer schmäctzeren Konstitutton als er längst zu Grunde gegangen wäre. Früher mußte Hendrik mit dem Mittagsbrot bi»
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