Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030730013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903073001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903073001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-30
- Monat1903-07
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Preis i« der Hanptrxpedstion oder deren Ausgabe stelle« obgebolt: vierteljährlich ^L3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau ell 8.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich ^l 4.50, sür di« übrigen Länder laut Zeitung-preiSlist«. Redaktion rmd Lrve-itto«: Johannt-gaffe 8. Fernsprecher 153 und SSL FUialerpeditionr« r Alfred Hahn, Buchhaudlg., UnwersitätSstr.8» 8. Lösch», Äathariuenstr. 14, u. KünigSpl. 7. Havpt-Filiale Dresden: Martenstraße 34. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlin: AaÄ Duncker, Herzgl. Bayr. Hvsbuchhandlg« Lützowstraße 10. Fernsprecher VI Nr. 4303. Morgen-Ausgabe. MpMrrTagMM Anzeiger. ÄmtovlaLt des Äömgüchen Land- und des Äöniglichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rotizeiamtes der Stadt Leipzig. Änzrigen-Pret- dte 6 gespaltene Petitzelle SS Nsklome« unter dem Redaktionsstrich sä gespalten) 78 H, vor den FamUienuach« richten (« gespalten) 30 Dabellarischer and ffisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanuahmr »3 H (rxcl. Porto). Srkra-Beilagen (gesalzt^ nur mit »er Morgeu-Ausaabe, ohne PostbefSrderung SL—> mit PostdesSrdrruug ^l 70.—. Annahmrschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geössuet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Druck und Verlag voa L. Bolz in Leipzig. Sir. 382. Donnerstag den 30. Juli 1903. 87. Jahrgang. Wirtschaftspolitik -er Sozialdemokratie. Dieser Tage ist in Ostende ein sozialistisches Hotel eröffnet worden. DaS ist nun weiter keine große Wellbegeben heit, denn in Belgien ist das Genossenschaftswesen in hoher Blüte und der Boruit, die große sozialdemokratische Einkaufs-, Verkaufs- und HerstellungSgenofsenschast, spannt seine Arme weit aus, warum sollte er nicht auch einen Gasthof im feinsten Weltbade eröffnen? DaS erscheint so selbstverständlich, daß eS diejenigen, welche sich um die wirtschaftliche Sozialdemokratie kümmern, nicht überrascht. Aber freilich sind dies nur wenige. Die große Mehrzahl der Anhänger der bürgerlichen Parteien wird mehr von den großen Worten irgend eines sozialdemo kratischen Führers angeregt und liest mit Entrüstung die Drohungen gegen den heutigen Staat und die Prophezeiungen von seinem demnächstigen Untergänge. Wenn Herr Bebel in Karlsruhe auSrief: „Die Sozialdemokratie wächst, sie wächst und wächst Ihnen allen schließlich über den Kopf. Der ZukunstSstaat ist viel näher, als Sie denken, und Ihr aller Untergang viel näher als Sie selbst ahnen I" und ferner in Anknüpfung an rin tags zuvor in einer nationalliberalen Versammlungsrede gebrauchtes Bild von der bürgerlichen Gesellschaft als Pyramide aussprach: „An dem Tage, da die breite Masse, die die Pyramide trägt, sich auflehnt, da stürzt die ganze Pyramide zusammen. Darum stützen sie sie mit Bajonetten. Aber auf Bajonette kann man sich, nach TalleyranbS Ausspruch, nicht setzen. Sie vergessen, daß die, welche zur Armee kommen, schon Sozial demokraten sind und immer mehr werden", so er weckt dies ehrlichen Zorn über die Unverfrorenheit, indessen nach diesen sozialdemokratischen Ausbrüchen verfällt der Gegner zu leicht in den Glauben, daß eS mit diesem politi schen Redeströme sein Bewenden habe und daß die natür liche Folge dieser Reden in der Stimmenabgabe und in den Streiks seinen Abschluß finde. In den letzten Jahren machte der Streit innerhalb deS Verbandes deutscher Konsumvereine ein wenig Aufsehen und lenkte zeitweilig die Ausmerksamkeit auf die rein praktischen Bestrebungen der Sozialdemokratie. ES ist aber unrichtig, von diesen Bestrebungen nur so beiläufig Kenntnis zu nehmen, denn die VerkaufSgenossenschasten, die sich in sozialdemokratischen Händen befinden, nehmen immer mehr an Zahl und Ausdehnung zu und suchen deu Arbeiter stand von den Kaufleuten unabhängig zu machen und damit einen Teil des selbständigen Mittelstandes auS der Volkswirtschaft auözuschalten. Wir haben in unserer Stadt an der Tätigkeit der Konsumvereine, die ihren Umsatz nach Millionen berechnen, das beste Beispiel. Klarer wird uns die Gefahr, wenn wir einen Blick auf die Großeinkaufs genossenschaft der Konsumvereine in Hamburg werfen. Hier haben wir den Sammelpunkt aller Bestrebungen, die, mit Ausnahme der Parteipresse und der Ausstands- bewegung, wirtschaftlich die Sozialdemokraten Zusammen halten. Hier ist der bürgerliche Gedanke nach langen Kämpfen innerhalb der Sozialdemokratie zum Siege ge langt, der bürgerliche Gedanke der Genoffenschaft, der in seiner jetzigen Eigenart von Schulze-Delitzsch ausgebaut ist, von der Regierung in Bezug auf die Landwirtschaft mit Erfolg empfohlen wird. Seit auf dem Kreuznacher VerbandStage die reinliche Scheidung der Konsumvereine vor sich ging und sich die Rolangestrichenen zu einem neuen Verbände zusammentaten, der in diesem Jahre in Dresden tagte, hat sich die Groß einkaufsgenossenschaft eine feste Stellung gesichert, die sie in wenig Jahren zu einem beachtenswerten Faktor im Handel machen wird. Der Umsatz der Großeinkaufsgenossenschaft stieg wie folgt auf: 1899 6 296071 -6 1900 7 956 334 - 1901 15 137 761 - 1902 21 568 540 - Der Genossenschaft angegliedert sind 247 Konsum vereine als Genossenschafter, während die Beteiligung nicht angeschloffcner Vereine im vorigen Jahre von 484 auf 830 stieg. Freilich beziehen die Vereine noch nicht ihren ganzen Bedarf von der Großeinkaussgenossenschaft, sondern decken ihn auch noch bei Grossisten. Doch ist das Bestreben darauf gerichtet, diese Bezugsquellen nach und nach zu meiden und nur mit der Genossenschaft zu arbeiten. Da hier ein Betrag von 250 Mill. Mark in Fi age kommt, scheint die Angelegenheit auch für Grossisten wichtig. Gemäß dem passiven Charakter des Kaufmannsstandes in allen Fragen, die nicht die einzelnen Geschäfte angehen, wird er sich als „schmarotzendes" Zwischen glied bald verdrängen lassen. Es ist übrigens auch komisch, wenn man sieht, wie die Grossisten und Produzenten bemüht sind, eigen händig den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Die GroßeinkaufSgenoss-nschaft hat natürlich auch eine Presse. Die Presse ist sehr geschickt geleitet. Jede Woche erscheint 24 Seiten stark der „Wochenbericht", eine zweifellos literarisch bedeutsame Zeitung, und dann wird noch in 120 000 Exem plaren ein „Frauen-GenossenschaftSblatt" berauSgegeben, daS die Frauen zn Genossenschafterinnen und Anhängerinnen der Konsumvereine heranbilden und ihre Agitation anfeurrn soll. Im „Wochenbericht" enthält die Hälfte der Seiten Anzeigen und diese Anzeigen gehen von Grossisten auS, die ihre Ware den Konsumvereinen anbieten. Damit setzen sie die Schrift leitung in den Stand, den Wochenbericht und daS Frauen- genossenschastSblatt herauSzugeben und außerdem gegen 10 000 -6 Neberschuß zu machen. Haben sie genug Geld für Inserate auSgegeben, und ist der Artikel genügend eingesührt, vann nimmt ihn die Großeinkaufsgenoffenschaft selbst in die Hand (wie jetzt neuerdings gerösteten Kaffee) und die Grossisten haben daS Nachsehen. Natürlich unterstützt die Genossenschaft auch die Arbeiter - Produktivgenoffen- schäften. Sie kaufte beispielsweise im vorigen Jahre von der Tabakarbeitergenossenschaft für 148 700 -6, von den Kautabakarbeitern für 30 500 -6, und der Schlach terei deS Konsumvereins Leipzig-Connewitz für 43 000 .6, vom Plagwitzer Konsumverein für 104 000 -6 Mehl, von den Genossenschaften in der Schweiz für 27000 -6 Emmen» thaler Käse, in England für 10 000 -6 Tbee, in Dänemark für 20 000 -6 Kolonialwaren. Selbstverständlich wird dieser sozialdemokratische internationale Warenaustausch immer mehr entwickelt und immer mehr der direkte Bezug von den Produzenten angebahnt. In London soll eine ZentralemkautS- genossenschaft entstehen. Dabei darf man nicht etwa denken, baß diese ja für den Handel augenblicklich noch bescheidenen Geschäfte mit dem Gelbe der Genossenschaft gemacht werden. Nein, die GenossenschaftSgelder, die Stammanteile sind sehr schlecht eingezablt; es ist daS Großcapital, daS sich liebewarm der Genossen annimmt, eS ist die Berliner Diskontogesellschaft, die mit ihren reichen Mitteln eS z. B. der Großeinkaufs genossenschaft ermöglicht, die Hamburger Kaffeeimporteure zu umgehen und direkt zu kaufen. Tie Großeinkaufsgenossenschaft hat im letzten Jahre einen Reingewinn von 91 941 -6 erzielt, bei einem ein gezahlten Stammkapital von 270 000 -6 ein hübscher Ver dienst. Für Gehälter gab sie rund 148 801 -6, für Hand lungsunkosten (sie bat auch Geschäftsreisende) 115 39'5 -6, für Zinsen 22 703 -6(1). Ihre Bilanz ist nicht flüssig, sie muß große Läger iu Hamburg, Cbemnitz und Düsseldorf kalten und wies somit einen Lagerbestand von 606 100 -6 auf. Debitoren im Betrage von 1 404 955 .6 und Wechsel (von Konsumvereinen?) 62 165 -6 geben, wie die Summe der Kreditoren 1 263 450 und Accepte 140 400 -6 zu denken. Ihre Grundstücke stehen mit 390 000 -6 zu Buch. Unter anderen Umständen würde man eine solche Bilanz für ein wenig gefährlich ansehen können. Bei der Groß- einkaufSgeiiossenschast, die täglich ihren Umsatz erhöht, die hinter sich die „zielbrwußte" Menge der Genossen, die kräftige Unterstützung der Frauen und die diktatorische Gewalt der Partei — für die sie vielleicht einst oder jetzt schon den Bankier macht — und die Zerrissenheit der selbstständigen Kaufleute, die Uneinigkeit und gegenseitig sich fressende Konlurrenz hat, hat eS keine Gefahr. Daß sie ein rein sozialdemokratisches Unternehmen ist, will die Großeinkaufs genossenschaft nicht zugestehen. Wenn eS ihr auch noch nicht gelungen ist, die landwirtschaftlichen GenossenschastSverbände zu sich herüberzuzieben, so setzt sie doch ihre Werbearbeit fort, genau wie sie sich einen Einfluß auf die sich kräftig ent wickelnden Baugenossenschaften zu sichern sucht. Gesellen- und Meisterprüfung, n. L. ?. Welche von den geforderten Kenntnissen soll nun die Fortbildungsschule vermitteln? Es ist klar, daß ihre Hauptaufgabe zunächst in der Vermittelung der theoreti schen Kenntnisse, wie gewerblichen Aufsatz, Buch- und Rech nungsführung, Gesetzeskunde usw. besteht; denn mit Recht fragt der bereits erwähnte Bericht der Saarbrückener Handwerkskammer: „Wie soll sich der Lehrling die für Herstellung eines gewerblichen Aufsatzes, von Geschäfts empfehlungen, von Arbeits- und Preisangeboten, Quit tungen und Arbeitsbescheinigungen, wie soll er sich das Wissenswerte aus der Arbeiter-Versicherung usw. ohne den Besuch einer Fortbildungsschule ungeeignet haben?" Des halb muß sich die Fortbildungsschule zunächst mit der Ab fassung von Geschäftsaufsätzen befassen, die natürlich den Berufszweig des Lehrlings behandeln müssen. Schon hierbei können gesetzeskundliche Besprechungen eingefloch ten werden, so bei Schreiben an Behörden usw. Dann aber muß sie dem Lehrling die Grundlagen zu einer ein- fachen, geordneten Buchführung geben, die dem Hand- werker jederzeit Ausschluß über den Stand feines Ge schäfts ermöglicht, die Kalkulation erleichtert und ihn vor zu hoher Besteuerung schützt. In Verbindung damit muß sie weiter den Lehrling in die Elemente des Wechselrechts einfllhren, wobei besonders Form und Verwendung des gezogenen Wechsels zu betonen ist. In der Rechnungs führung soll der Lehrling zunächst die Selbstkosten be rechnen lernen, um dann nach Zuschlag eines angemesse- Uv« Gewinnes den Verkausspreis festfetzen zu können. Diese Kostenberechnung ist für den Handwerker von größ ter Bedeutung, kann er sich doch nur nach sorgfältiger Preisberechnung ohne Schaden bei Submissionen be teiligen. Aus diesem Grunde bezeichnet auch der Handels- Minister Möller die Kalkulation als eine Hauptsache und sagte bei Eröffnung der Kölner Meisterkurse: „Eins mutz in diesen Meisterkursen gründlich gelehrt werden, nämlich rechnen und kalkulieren, das verstehen viele Meister nicht, sonst würden sic bei Submissionen nicht so unsinnige Preise stellen, die nicht einmal die Kosten decken." Ganz besonders muß das Hauptgewicht aus die Berechnung der Geschäfts u n k o st c n gelegt werden, denn, so schreibt die „Niederschlesische Handwerkerzeitung", „fragt man bei den Prüfungen, wie die Preisberechnung eines Möbel- stückes usw. zu geschehen habe, so erhält man meist die Antwort, daß sich der Preis aus den Selbstkosten des Materials und dem verausgabten oder dem eigenen Lohne des Meisters zusammensctzt. Daß jeder noch so kleine Be trieb im Jahre mindestens einige hundert Mark Geschäfts unkosten für Mete, Abnutzung des Werkzeuges, Ver- zinsung des Anlagekapitals, Steuern, Versicherungsbei- Feuilleton. Das päpstliche Nom. Bon vr. S. Habermann. Naclwrack verboten. Rom ist nicht eine einzelne Stadt, sondern es ist ein Konglomerat von Städten. Und drei Städte-Typen sind es vor allein, die dem Wanderer in dem Gewirre der römischen Straßen und Plätze vors Ange treten: das antike Rom, das päpstliche Rom und das moderne Rom. Das antike Rom: eine Welt von Trümmern, aber in Trümmern noch ehrwürdig und noch einen wohltuenden Abglanz längst verblichener Schönheit ausstrahlend. Sein Gegenpart ist das moderne Rom, einförmig, häß lich, beklemmend, gefräßig um sich greifend, neu und doch hier und da bereits wieder verfallend. Zwischen beiden, als der eigentliche Kern der ewigen Stadt, steht das päpst liche Rom. Ucber ein Jahrtausend haben die Päpste diese Stadt beherrscht und in allen ihren Teilen verkündet sie diese Tatsache und spricht sie von der Geschichte der Päpste. Die Via Sistina hat Äxtus IV. angelegt, die Via Giulia erinnert an den gewaltigen Julius II. und die feine kleine Bia Gregoriana an Gregor XHI. Paul V. hat den Römern Hie rauschende Acqua Paola auf der Höhe des Janiculums geschenkt, und die gefeierte Fontana Trevi verdankt die Stadt der Initiative Benedicts XIV. Die Paläste Roms erinnern an die großen Papstfamilien, an die Barberini und Borghese, an die Farnese und Rovere. Vollends die Kirchen der ewigen Stadt kann man eine ungeheure steinerne Chronik der päpstlichen Geschichte nennen. Mit jeder sind die Namen und Er innerungen mehr oder minder bedeutender Päpste ver bunden; in vielen haben die Nachfolger Petri ihre letzte Ruhestätte gefunden, erinnern Bildwerke oder Inschriften oder Gemälde an ihre Taten. Dies päpstliche Rom umfaßt beinahe die ganze Stabt, und es ist noch bevölkert und belebt. In den Kirchen er klingen die Litaneien, werden die Weihrauchfäfler ge schwenkt und sammeln sich die Andächtigen; in den Palästen wohnen die Abkömmlinge ober Nachfolger der alten Geschlechter, und um die Brunnen und Quellen sammelt sich das römische Volk. Und dennoch ist dies päpstliche Rom verödet, verwaist, seitdem der Papst-König die Herrschaft darüber verloren hat. In den Straßen ist seine Sänfte nicht mehr zu sehen, wenn er sich zum Feste cincS Heiligen nach dessen Kirche begibt; vom Pa lazzo Venezia sieht er nicht dem Wettrennen der Barbcri -u, und im Lateran findet keine Krönungsfeier mehr statt, Seit dem Jahre 1871 ist der Herrschaftsbereich der Päpste, die einst nicht so weit davon entfernt waren, Italiens größten Teil unter ihrem Scepter zu vereinigen, gar zu sammengeschmolzen, und ein engeres päpstlistes Rom ist entstanden. Wenn man dies engere, dies moderne päpst liche Rom auf einer Karte der Stadt graphisch darstellen würde, so würde es sich in der Gestalt dreier Inseln mitten in der Flut der Stadt präsentieren. Die beiden größeren dieser Inseln liegen einander entgegengesetzt im äußersten Nordwestcn und Südosten der Stadt; dte kleine Insel in ihrer Mitte aber — das ist die Cancelleria, das päpstliche Kanzleigebäude, das noch heute von dem päpst lichen Verwaltungsapparate benutzt wird und das mit seiner ernsten und majestätischen Ruhe so seltsam gegen den Lärm des modernen Corso Vittorio Emmanuele kon trastiert, an dem es gelegen ist. Dies ist das berühmte Meisterwerk Bramantes, unübertroffen in der edlen Ein fachheit und Größe seiner Architektur und berühmt durch jenen herrlichen Arkadenhof, der in der Leichtigkeit und Freiheit seiner Formen nicht gebaut, sondern gewachsen zu sein scheint. In diesem Hose herrscht heute die Stille der geistlichen Welt und des Beamtenlebens vereinigt; seine Schicksale hat aber das große, ernste Haus auch gehabt; wurde es doch ursprünglich für einen Nepoten Sixtus IV. gebaut, jenen Kardinal Riario, der tief in politische Händel verstrickt war und in jener Verschwörung der Pazzi gegen die Medici eine bedenkliche Rolle gespielt hat, die Lorenzos Bruder, dem jugendschönen Giulano, das junge Leben kostete. Die beiden großen päpstlichen Inseln im Nordwesten und Sttdosten aber sind die Komplexe der Petersktrch« mit dem Vatikan und des Laterans. Heute sammelt sich alle Macht und aller Glan- des Papsttums im Vatikan und in der Peterskirche; allein erst seit der Rückkehr aus Avignon ist der Vatikan die ständige Residenz der Päpste geworden; vorher residierten sie im Lateranpalaste. Und wie der Palast des Lateran tnit dem des Vatikans an Ehrwürdig keit wohl wetteifern darf, so auch die Basilika des Laterans mit S. Pietro. Denn sie ist die eigentliche Bischofskirche von Rom; als die Mutterkirche der Welt nimmt sie den ersten Rang in Anspruch; ein -weites Zion nennt sie sich, und sie bildet das eigentliche Nationalheiligtum der Römer. Jahrhunderte lang sahen die Päpste ihre Aufgabe und ihren Stolz darin, alle Kostbarkeiten hier im Lateran anzuhäufen; und mit Jndulgenzen wurde sie so reichlich ausgestattet, daß Bonifaz VIII. einmal sagte: „Wenn die Menschen wüßten, welchen Schatz von Jndulgenzen «Ablaß) die Laterankirche besitzt, wahrlich, es täte nicht not, nach Jerusalem und San Jago in Galizien zu pilgern." Hier stand vordem die Statue Marc Aurels, die jetzt den Ka- vttolSplatz -tert; und al» Rienzt sich im Lateran -um Ritter lchlagen ließ und darauf ein großes Volksfest hie, per- anstaltete, da floh aus den Nasenlöchern des Pferdes aus dem einen Wein, aus dem andern Wasser. Derselbe Rienzi hat das Gesetz, das die souveränen Befugnisse des römi schen Volkes bestätigte, an der Tribüne des Laterans auf gehängt. Die Geschichte des Laterans läßt sich bis tief in die Rümerzeit hinein verfolgen. Hier stand der Palast des vornehmen Geschlechts der Lateraner, der später in den Besitz der Kaiser überging. Konstantin der Große, durch den das Christentum aus einer verfolgten Sekte zur herrschenden Religion erhoben wurde, schenkte dies statt- liche Terrain mit seinen Bauten dem Papste Sylvester, und es entstand hier eine ganze kleine Stadt von Kirchen, Ora torien, Baptisterien, Kapellen, Palästen und Spitälern. War aer neue Papst gewählt, so mußre er alsbald Besitz von Lateran ergreifen, womit erst die bischöfliche Würde von Rom auf ihn überging; und starb er, so fand er lange Zeit im Lateran seine letzte Ruhestatt. So knüpfen sich großartige historische Erinnerungen an den Lateran. Frei lich sind ihm auch ernste Schicksale nicht erspart geblieben; öfter als irgend eine andere unter den großen Basiliken Roms ist der Lateran durch Erdbeben und Feuersbrünste heimgesucht und zerstört worden. Am schlimmsten stand es, während die Päpste in Avignon waren. Im Jahre 1361 besserte ein Dachdecker an dem Dache des 'Hauptschiffes aus; eine brennende Kohle fiel aus seiner Pfanne und ent zündete einen Balken — bald stand das ganze Gebäude in Klammen und nichts blieb stehen, als die nackten Mauern. Damals schrieb der alternde Petrarca an den Kranzosenpapst Urban V.: „Mit welchen Empfindungen schlummerst Du an den Ufern der Rhone unter den ver goldeten Decken der Gemächer, mährend der Lateran zu Boden gestürzt liegt, die Mutter aller Kirchen ohne Dach ist und den Winden offen steht und dem Regen?" Ueberans verschieden ist der Eindruck, den man em pfängt, wenn man sich St. Peter und wenn mau sich dem Lateran nähert; und diese Verschiedenheit ist charakte ristisch. Enge Gassen führen vom Tiber in den Borgo hin ein, voll lebhaften Bolksgewimmels, von Devotionalien händlern bewohnt, immer steht man hier fromme Pilger, Priester, Mönche und Nonnen; und dazwischen ein schweigsamer Adelspalast, wie der des Fürsten Torlonia. Neunmalweise moderne Menschen machen dte Bemerkung, daß zu St. Peter und dem Vatikan doch breite „Pracht straßen" fuhren müßten: allein die ungebildeten Alten mutzten den Wert und die Kraft des Gegensatzes zu win digen: wenn man aus diesen engen Gassen auf den Peters- Platz htnauStritt, dann wirkt die Majestät seiner Dimen sionen mit voller Macht aus uns, dann ist es, wie wenn sich vor dem Schisser auf dem Strome das ganze weite Meer eröffnet. Von dem offenen Platze zu dem durch Berninis gewaltige Lüulenkolonnaden abgeschlossenen, Hann dte mächtige Freitreppe empor und in die gewaltige Vorhalle der Basilika hinein — das ist eine einzige un vergleichliche Steigung. Die Arme der Kolonnaden scheint der Riesenbau auszustreckcn, um die zuströmenden Mcnschcnmassen zu empfangen; die gigantische Platzanlage, die sich nach der Stadt zu öffnet, scheint die Menschheit aus zusaugen — und wirklich strömt sic unausgesetzt heran: Pilger, Fremde, Prozessionen, Neugierige, Andächtige — es wird nie leer auf dem Platze und auf der Treppe vor St. Peter. Allein der Platz vor dem Lateran'. Laß uns von den köstlichen Einsamkeiten des Cälius zu ihm hinabwandcrn: da liegt er vor uns — frei, still, weit und geräumig, und über ihn hinweg fliegt das Auge zur massigen alten soge nannten aurelianischen Stadtmauer und über die braune Fläche der Campagna hin bis zu den köstlichen Linien der fernen Albancrberge. Herrlich ist es, im Sämtten auf den mächtigen Quadern dieser alten Mauer zu träumen; vor uns streckt sich die neue Appische Straße durch die Cam pagna, ein Weg, der immer belebt ist, von Bauern, von Reisenden, von den breithörnigen Stieren oder den alten Wagen der Canrpagna. Und blicken wir nun von lncr aus zurück, so bietet ein jedes Gebäude, das diesen weiten Platz umrahmt, seine Erinnerungen. Da ist die stolze und inrposante Fassade der Bifilika; daneben die vornehme, jedoch etwas eintönige des Palastes, der heute das Museum birg». Dann das urehvwürdige, wenn auch modernisierte achteckige Battistero. Drüben auf der anderen Seite die kleine Kapelle Sancta Sanctoruin, deren Treppe — die berühmte Scala Santa — die Gläubigen nur knieend er steigen dürfen, weil ihre Stufen aus dem Amtshause des Pilatus in Jerusalem stammen sollen; und daneben das Tricilinium Leos III. <795—816), daS den Rest seines Dpeisesaales bildet. Seine Geschichte hat auch der Obelisk, der den Platz ziert. Kaffer Constantins brachte ihn auS dem Sonnentempel in Heliopolis nach Rom und stellte ihn im Zirkus Marimus auf; der große Sixtus V. verbrachte ihn dann auf den Platz vor dem Lateran. So gewaltig aber Basilika und Palast sind — auf diesem großen Platze bil- den sie nur Kulissen; und selbst eine gewaltige Menschen, mässe verläuft sich auf ibm. Auf dem PeterSplatze ver- körpert sich die gewaltige Anziehungskraft deS Papsttums; da ist Kommen und Geben. Vor dem Lateran aber ist ein Platz zum Träumen, und Vergangenheit und Gegenwart verweben sich hier leicht zu einem märchenhaften Ganzen. Von der Peripherie ans hat das Papsttum, wie Grogo« rovius geistvoll bemerkt, zuerst die ewige Stadt nmklaim wert. Auf die Peripherie ist es beute wieder beschränk^, Wird der Tag wieder kommen, wo cs von dielen äußersten Punkten aus noch einmal Rom erobert? Werden die päpst- lichen Inseln in Rom neues Land aiffetzen? Werben sie von der Flut der Geschichte ganz hinweggespttlt werdenk
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite