Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030728018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903072801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903072801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-28
- Monat1903-07
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis der Ha»ptexprdttton oder deren Ausgabe stellen obgedolt. vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« ^l 8.7k. Durch die Post bezogen für Deutsch laub «. Oesterreich vierteljährlich 4.KO, sür bi« übrige» Länder laut Zeitung-Preisliste. Ne-aktion und Expedition: JohanntSgaffe 8. Fernsprecher 1S8 und 222. FUtalenprdttior»» r Alfred Hahn, Buchhandlg., UutversltätSstr.S, L. Lösche Kathartnenstr. I«, ». KöuigSpl. 7. Haupt.Filiale Dresden: Marieustraße SL. Fernsprecher Amt I Nr. 1710. Haupt-Filiale Serlin: Aarl Dnncker, Herzgl. Bayr. Hvsbuchhandlg« Lützowstraße 10. Fernsprecher Au^ VI Ztr. 4303. Morgen-Ausgabe. MpMer. TllMlllt Anzeiger. Ämtsölatt des ÄömgNchen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die Sgejpaltene Petüzeile rs «Sh. Reklamen unter dem RedaktiouZstrich ^«gespalten) 7S vor den Familteauach» richten (6 gespalten) SO Dabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme LS H (excl. Porto). Lrtra-Beilagen (gesalzt^ nur mit oer Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderuu, ^li SO.—, mit Postdesördenm- 70.—» Anuahmeschluß für Anzeigen: Abead-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-Au-gab«: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen find stet« au di» Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh S bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz t» Leipzig. Nr. 378. Zur Kesorm des Landtagswahlrechts. Besprechung nationalliberaler Parteigenoffen, Aenderung deS Landtagswahlrechts betr. Wir erhalten folgende Information: „Bet der Besprechung, welche am 26. Juli d. I. unter Mitgliedern des Vorstandes des nationalliberalen Landes vereins und der nationalliberalen Fraktion des Landtages stattgefunden hat, wurde das Vorgehen der Regierung in der Frage der Aenderung des Lanbtagswahlrechtes einer eingehenden Besprechung unterzogen. ES hat sich die nationalliberale Partei bereits in -er vorjährigen Generalversammlung fllr eine Aenderung des Lanbtagswahlrechtes ausgesprochen und sie steht selbstver ständlich auch jetzt noch auf diesem Standpunkte. Diese Art und Weise deS Vorgehens -er Regierung aber wurde allseitig getadelt. Insbesondere wurden gegen die geplante Einberufung einer Versammlung, die aus Mitgliedern des Landtages und aus anderen Per sonen bestehen soll, zur Beratung der Vorschläge der Re- gierung schwere Bedenken erhoben. Der Ausdruck „Ver sammlung" weist darauf hin, -atz cs sich um eine nach parlamentarischen Regeln arbeitende Vereinigung von Personen handle, also um eine Vereinignng, welche debattieren und ihre Ansichten durch Beschlüsse — natür lich nur in beratendem Sin-ne — kundgeben solle. Auf diese Weise werde in einer rein politischen Frage ein aus Männern, welche frei von jeder Verantwortlichkeit sind, bestehender Faktor zwischen Regierung und Ständeversammlung ein geschoben, welcher der Verfassung fremd und mit der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber den Ständen kaum vereinbar sei. Die Regierung gerate in eine peinliche Lage, wenn sie den Beschlüssen der von ihr eingesetzten Versammlung nicht folge: noch übler aber könne ihre Stellung sich gestalten, wenn sie diese Beschlüsse acceptiere und vor die Ständeversammlung bringe. Wie bedenklich dieses Vorgehen der Regierung sei, zeige der Umstand, dah in der Presse bereits jene Versammlung als Stütze der Regierung geaenüber dem Landtage bezeichnet worden sei! Kein Mensch könne der Regierung ver wehren, datz sie bei ihren internen Erwägungen des Rates einzelner Männer sich bediene. Etwas ganz anderes sei es dagegen, wenn die Regierung ihre Vorschläge einer von ihr cinberufcnen Ver sammlung vorlege. Dieses Vorgehen könne sich zu einem in konstitutionellem Sinne höchst gefährlichen Präjudiz ausbilden. In eine sehr kritische Lage würden die Mitglieder -es Landtages, wenn sie an der Versamm lung teilnähmen, geraten können: denn eine gewisse moralische Bindung würden sie aus jener Versammlung mitbringen, würden also nicht mehr ganz frei dastehen da, wo es sich um die verantwortliche Be urteilung der Regierungsvorlage handle. Unter diesen Umständen dürfte es sich nicht empfehlen, -atz Mitglieder -er nationalliberalen Partei, vor allem solche, welche Mitglieder des Landtages seien, -er etwa an sie ergehenden Einladung zur Teilnahme an der ge planten Versammlung Folge leisteten. — Eine Gefahr, daß die Partei ihre Einwirkung auf die Gestaltung des Wahlrechts verliere, fei nicht vorhanden: sie werde sich bei ihrer nächsten Generalversammlung über die Einzel heiten der Wahlrechtsänberung auf Grund -er vom Dienstag dm Vorstande zu machenden Vorschläge schlüssig machen, sie werde, wenn die Regierung ihre Vorschläge kundgegeben haben werde, letztere der Kritik unterziehen und dann mit Len verfassungsmäßigen Mitteln durch Einver nehmen mit der Landtagsfraktion, Vorstellungen bei der Negierung, Petitionen an den Landtag ihren Einfluß in die Wagschale werfen können. Diese Erwägungen führten dazu, baß von der Be sprechung einzelner bet der Beratung der geplanten Ver sammlung möglicherweise in Betracht kommender Punkte abgesehen wurde. Nur die Ueberzeugung wurde all gemein zum Ausdruck gebracht, daß sich eine angemessene Aenderung des Wahlrechtes bet Beibehaltung der jetzigen Wahlkreiseinteilung nicht werde erreichen lassen und daß die Beseitigung der Unterscheidung zwischen städtischen und ländlichen Wahlkreisen, welche nach den sächsischen Verhältnissen eine innere Berechtigung nicht mehr hat, mit allen Kräften zu erstreben sei, wie ja auch die Land tagsfraktion schon im letzten Landtage dafür ein getreten ist." Daß wir mit dieser Auffassung der Situation nicht einverstanden sind, nicht sein können, brauchen wir nicht erst zu betonen. Wir müssen aber noch unserm Be dauern Au-druck geben über die Begründung der ab- lebnenden Haltung gegen den Vorschlag der Regierung. Die Bedenken bezüglich der vorbereitenden Versammlung sind doch am letzten Ende nur formaler Natur, uud über der Form sollte immer noch die Sache stehen. Der Reformarbeit ist mit diesen Beschlüssen ein schwerer Schlag versetzt worden, da- ist um so gewisser, als der be dauerlich kühle, reservierte Ton deS ganzen EommuniquSS bis zum Schluffe durchaus nicht geeignet ist, Stimmung für die Reform überhaupt zu machen. Die größte Freude an den Beschlüssen werden — die Konservativen haben. Die Folgen, zwar nicht dieser Versammluogsbeschlüffe, wohl aber der Stimmung, auS der sie entsprungen sind, liegen bereit- vor. Da- sächsische konservative Organ, „DaS Vaterland", schrieb noch in seiner Nummer vom 18. Juli, wie wir damals ausführlich mitteilten, die Konservativen seien „durchaus nicht grundsätzliche Gegner eiuer Aenderung des bestehenden Wahl systems", sie hätten gewisse Mängel desselben nie bestritten. „Wenn von verschiedenen Seiten der Wunsch geäußert wird, daß der Industrie diejenige Vertretunggewährtund sichergestellt werde, die ihr nach ihrer Bedeutung für unser Land zu komme, so haben wir auch dagegen nichts einzuwenden." Nur ganz beiläufig wurde die Besorgnis ausgedrückt, „daß der in der Mitteilung des Amtsblattes eingeschlagene Weg kaum der richtige zu sein scheint". In acht Tagen aber kann man sich vieles überlegen und kann eine Sache ein anderes Gesicht bekommen. In seiner letzten Wochennummer bringt da- Blatt einen Artikel „Die sächsische Regierung und ihre Politik", der jedes Entgegenkommen schroff ablehnt, überhaupt seiner ersten Stellungnahme schnurstracks widerspricht. ES heißt da: „Auch in den Kreisen der maßgebenden Konservativen und Nationalliberalen hat die Erklärung der Regierung jetzt unmittelbar nach dem ungünstigen Ausfall der Reichstagswahlen vielfach bedenkliches Kopsschütteln erregt und wird, wie wir genau wissen, namentlich bei den Beratungen der künftigen Ständeversammlung scharfe Kritik erfahren." „Es ist bereit- früher darauf hingewiesen, und wir stimmen dem bei, daß die einzige Antwort die bei Prüfung der Sachlage und bei ruhiger Ueberlegung von feiten der sächsischen Regierung 28. Juli 1903. hierauf (auf den Ausfall der Reichstagswahlen) zu geben war. sein mußte: Der Antrag im BundeSrate, in die Er wägung einzutreten, wie da- gegenwärtig geltende ReichS- tagSwahlrecht abzuändern oder mit welchen Maßregeln sonst der Kampf gegen die Sozialdemokratie von Reichs wegen zu führen sei. Für jeden, der mit den Verhältnissen bekannt ist, liegt eS auf der Hand, daß daS gegenwärtig gellende Reichstag-Wahlrecht in noch viel geringerem Grade eine wirkliche Vertretung der Interessen der sächsischen Bevölkerug und des sächsischen Landes zuläßt, alS man eS von sozialdemokratischer Seite von dem Landtag-Wahlrecht für die sächsische Zweite Kammer behauptet. Es scheint aber, als ob die sächsische Regierung bezüglich eines Vorgehens aus dem Gebiete des Reichstagswahlrecht nicht den erforderlichen Mut hat und daß man nunmehr der im Königreich Sachsen herrschenden Unzufriedenheit durch Palliativ mittel beikommrn will. Ein solches Vorgehen müssen wir als tiesbedauerlich bezeichnen. Wir sind weit entfernt, daß sächsische Landtagswahlrecht sür vollkommen zu halten, obwohl es gegen über dem preußischen die geheime Stimmenabgabe voraus und außerdem dessen plutokratische Auswüchse wesentlich einzudämmen verstanden hat. Aber wir müssen auch anderseits hervorheben, daß unserer Anschauung nach die aus dem gegenwärtigen Wahl rechte hervorgegangene Volksvertretung in vollem Sinne ihr« Schul digkeit erfüllt hat. Daß diese Volksvertretung der sächsischen Re gierung nicht in allen Angelegenheiten und nicht immer genehm und bequem gewesen sein mag, glauben wir gern. Erst nachdem die sozialdemokratischen Abgeordneten auS der sächsischen Kammer entfernt worden waren, hat sich in dieser jene freie, offene und objektive Kritik entwickelt, die allein im stände ist, schließlich und letzten Endes «ine Gesundung der sächsischen wirtschaftlichen Ver hältnisse herbeizusühren. Früher haben die antisoztaldemokratischen Parteien ihre Hauptaufgabe in der Kammer darin erblickt, gegen die Sozialdemokratie Schulter an Schulter mit der Regierung den Kampf auszunehmen. Erst nach Beseitigung der sozialdemokra tischen Abgeordneten ist man dazu gelangt, die Maßnahmen und Handlungen der Regierung deS letzten Jahrzehnts einer gewissen und eingehenden Prüfung zu unterziehen, um das Resultat zu finden: daß die finanzwirtschaftliche Behandlung der Staats angelegenheiten auf einem Punkte angelangt war, die zum Ruin des Landes führen mußte! Die Folge davon war, daß im Februar vergangenen JahreS durch ein einstimmiges Votum der Zweiten Kammer der Finanzminister zum Rücktritt gezwungen worden ist. Daß die damaligen Vorkommnisse heute noch bei Len engen persönlichen Beziehungen, die zwischen einzelnen Ministern ob walteten, von einem gewissen Einflüsse sind, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Vielleicht freut sich auch außerhalb dieses engsten Kreises noch so mancher, daß man gewissermaßen mit der sächsischen Volkskammer, die seinerzeit den Mut dazu gehabt hat, die Mißwirtschaft aus dem sächsischen Finanz gebiete al- da» zu bezeichnen, was sie war, jetzt von feiten der Regierung etwas wie Abrechnung halten will — Beweis sür die Kurzsichtigkeit, die in gewissen zwar kleinen, aber immerhin mäch- tigen Kreisen zu herrschen scheint! Schon im Frühjahr dieses Jahres hat eine Denkschrift dem sächsischen König in Gardone vorgelegen. Wenn die Vorschläge dieser Denkschrift Gesetz werden sollten, waS wir nach Lage der Verhältnisse sür unmöglich halten, so würde namentlich die Industrie mit ihren Wünschen um Vermehrung ihre- Ein flusses in der sächsischen Zweiten Kammer schlecht abschneiden. An Stelle der Industriellen, die jetzt in der sächsischen Kammer sitzen oder bei Neuwahlen als geeignete Vertreter des sächsischen Wirtschasts- und Erwerbsleben» erkoren werden könnten, würden dann in der Hauptlache sozialdemokratische Abgeordnete in den Landtag einziehen. Nicht minder aber dürsten gerade auch die Kreise der Gewerbetreibenden, Handwerker und Kleinbauern in ihren Hoffnungen wesentlich getäuscht werden, da auch sie dem sozial- demokratischen Ansturm unterliegen müßten. Für die Regierung würde es zweifellos bequemer sein, wiederum eine Anzahl Sozialdemokraten im Landtage zu haben, die in ihrer Bewilligungslust ost gewissen Fällen gegen« 97. Jahrgang. über keine Grenzen kennen; es sei hier nur nebenbei eingeschaltet, daß gerade die viel angefochtenen Ausgaben für Eisenbahn-Neu- und Umbauten bei der Sozialdemokratie fast niemals Wider- spruch erfahren haben. — Für Las Land aber und seine Zukunst ist eine Arbeit von weit höherem Wert, wir st« die Kammer nach Eliminierung der sozialdemokratischen Abgeordneten geleistet hat. Die ausgezeichnete Tätigkeit, die — vielleicht abgesehen von geringen Fehlern in einzelnen Kleinigkeiten — der neue sächsische Finanzminister im Lause von 1'/, Jahren entwickelte, kann nur Früchte tragen, wenn eine Kammer, wie die vorig«, ihm treu zur Seite steht. Die Gesundung der sächsischen Finanzen ist nur mög lich, wenn dieselbe objektive und scharfe Kritik an den Regierungs handlungen auch künftig geübt wird, wie sie der vorige Landtag — ohne Sozialdemokraten! — gezeitigt hatte. Die sächsische Regie rung hat jetzt unseres Erachtens keine dringendere Pflicht, alS der Sozialdemokratie tatkräftig und zielbewußt entgegen zu treten. Im gegenwärtigen Falle hat die Kraft hierzu — oder vielleicht auch der Wille — leider völlig versagt!" Zuerst können wir uns eine Feststellung nicht versagen: Das konservative Wochenblatt wandelt hier auf Lorenzschen Spuren, dessen „Antisozial demokratische Korrespondenz" schon vor mehreren Tagen mit wenig anderen Worten genau dasselbe sagte; sogar die Verdächtigung von der Abrechnung der Regierung mit der sächsischen Volkskammer (lieS: mit den Konservativen) fand sich schon dort vor, so daß geradezu Mut dazu gehört hat, in so warm nachempfundener Weise sich auszudrücken, resp. sich seine Haltung von dieser Ber liner Korrespondenz in einer politischen Lebensfrage vor schreiben zu lassen und damit da- über den Haufen zu werfen, was erst eine Woche vorher offenbar parteiosfiziöS aufgestellt war. Over sollte vielleicht gar ein innerer Zusammenhang zwischen der Berliner mit geheimnisvoll wichtiger Miene ein geführten Korrespondenzautlaffung und dem „BaterlandS"- Arlikel bestehen? DaS wissen wir nicht, ade» üv:r eines, daS überdies weit wichtiger ist, glauben wir Auskunft geben zu können — über den Grund der auffälligen Sinnes- änderung. Nach sorgfältiger Orientierung im Lande, besonder- in den benachbarten politischen Lagern, haben die Konser vativen frischen Mut gefaßt; sie glaubten, die Politik der Connivenz aufgeben und selbst zum Angriff über gehen zu können. Die Regierung werde, so spekulierten sie, bei denjenigen, zu deren Gunsten die Reform unter nommen werden soll, nicht die wuchtige Unterstützung finden, die zum Beweis der Dringlichkeit der Reform und zu deren Durchführung bis zum guten Ende notwendig ist. Und diese Spekulation hat sich bis jetzt als richtig er wiesen. Noch einmal: wir bedauern die Beschlüsse der Leipziger nationalliberalen Versammlung, werden aber ruhig weiterarbeiten an der Mobilisierung der vaterländischen Kräfte zum Zwecke einer gründ lichen Aenderung deS sächsischen Wahlrechts im nationalen und liberalen Sinne. 8. Deutsches Reich. G Berlin, 27. Juli. (Vom Polentum in Schle sien.) Welche Bedeutung von polnischer Seite dem Wahlsiege -es radikal-polnischen Kandi daten für den Kreis Kattowitz-Zabrze, Korfanty beigelegt wird, der gegen den Zentrums kandidaten Letocha mit einer Mehrheit von 675 Stimmen gewählt wurde, zeigt folgende Kundgebung, die vom Vor stand des polnischen Wahlvereins für Schlesien erlassen und außer in Gornvslazak (Kattowitz) noch in drei anderen Organen der in polnischer Sprache erscheinenden Presse Feuilleton. Aus -er Welt -es Unendlich-Kleinen. Von vr. Curt Rudolf Kreuschner. Nachdruct verboten. Auf die unmeßbar scharfe Schneide zwischen Ver gangenheit und Zukunft gestellt und, so weit der materielle Teil seines Daseins in Betracht kommt, in Wirklichkeit nur im gerade gegenwärtigen Augenblicke lebend, trachtet der Mensch, sich selbst ein ungelöstes Rätsel, dank seinem Erinnerungsvermögen und der Fähigkeit, aus feinen Beobachtungen lange Ketten logischer Schluß- folgerungcn zu ziehen, mit unentwegtem Eifer danach, die ebenso rätselhafte Welt, in der er lebt, stets weiter zu ergründen. Nur zu oft stößt er hierbei auf jene an- scheinend unübersteigbaren Grenzen, von denen Faust zu Wagner mit den Versen redet: Geheimnisvoll am lichten Tag Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben. Und wa» sie deinem Geist nicht offenbaren mag, Da» -Wingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben. Nur wenige Jahrtausende in die Vergangenheit zu- rück reichen seine geschichtlichen Kenntnisse, und noch viel schlimmer ist eS für ihn mit dem bestellt, was die nächste Zukunft bringen wirb. Während ihm hier ein uner- bittliches und dräuende« «Ismvrakirm»" entgegenstarrt, über da» nur Wahrsagerinnen und Kartenschlägerinnen mit ihren schwindelhaften Künsten erhaben zu sein be- haupten, sieht e« erheblich besser mit seiner Erkenntnis der Dinge im Raume aus. Eine mit seinen Sinnes» Werkzeugen faßliche Welt baut sich hier, zu Riesen dimensionen ansteigend und zum Mikrokosmos ver kleinert, vor seinen Augen auf, und wenn es ihm auch auf immer versagt bleiben muß, als der Vergänglichkeit unterworfenes Wesen die Unendlichkeit zu begreifen, so gelingt es ihm doch, mit Hülfe seiner Instrumente und physikalischen Untersuchungsmethoden die Grenzen der Erkenntnis so weit hinaus zu schieben, -atz das grötzte und kleinste, was er beobachtet, von praktischen Gesichts punkten aus fast als „unendlich grotz" und „unendlich klein" bezeichnet werden kann. Während die in ersterer Richtung sich bewegenden Forschungsergebnisse der Astronomie stet- eine ziemlich weitgehende Popularisierung erfahren, ist die ,K>elt des Unendlich-Kleinen" in weiteren Kreisen fast unbekannt, obwohl sich gerade bet ihr ungerufen Fragen, wie die nach der Beschaffenheit der Materie, aufdrängen, die auf dem umstrittenen Grenzgebiete zwischen nüchtern messender und wägender Naturwissenschaft und der heute an scheinend wieder in Mode kommenden philosophierenden Metaphysik liegen. ES wird im nächsten Jahre gerade rin Säkulum ab- gelaufen sein, datz der berühmte Naturforscher und Che- miker Dalton zur besseren Erklärung der chemischen und physikalischen Vorgänge die nach ihm benannte Atom- theorte aufstellte, der zufolge alle diejenigen Stoffe, die wir al» Elemente bezeichnen, aus kleinen, nicht weiter zerlegbaren Teilchen, den Atomen, beständen, die, wenn sie mit den Atomen anderer Elemente unter geeigneten Umständen zusammen kämen, sämtlich uns bekannten ober, richtiger auSgedrllckt, »sämtliche Überhaupt mög lichen zusammengesetzten Körper bildeten, die die Wissen schaft deswegen als Verbindungen bezeichnet. Ursprüng lich nur als Hypothese gedacht, die das Eindringen in die Gesetze der Chemie und in die Maß- und Gewichts verhältnisse der Verbindungen erleichtern sollte. Konnte man sie damals mit Recht als eine Krücke des naturwisscn- fchaftlichen Denkens bezeichnen, so gleicht die Atom theorie heute einem starken Stabe oder einem zuver lässigen Führer, den der Forscher auf seinen Entdeckungs reisen in unbekannte Länder auf keinen Fall entbehren möchte. Noch hat zwar kein Menschenauge ein einzelnes Atom oder Molekül gesehen, und es kann mit großer Wahrscheinlichkeit behauptet werden, daß dies nicht nur wegen der winzigen Dimensionen dieser kleinsten Stofs, teilchen, sondern auch aus anderen Gründen hinsichtlich einfacher Moleküle nie der Fall sein wird; trotzdem zweifelt aber heute kein Chemiker und Physiker mehr an ihrer Existenz; er rechnet mit der Geschwindigkeit, mit -er sie sich im Raume fortbcwcgcn, und wenn er ihre absolute Grütze auch noch nicht zu bestimmen wagt, weil sie von Actherhüllen von variabler Dicke umgeben sind, so vcr- mag er doch mit Hülfe der kinetischen GaStheorte ihr Gewicht zu bestimmen, daS fllr das Wasserstoff- atom, das leichteste unter dieser luftigen Gesellschaft, 0,000 000 000 000 006 006 000 002 Gramm, d. h. also zwei Ouadrilliontel Gramm beträgt, so baß wir in einem Liter Wasserstoff, der nahezu das Gewicht von ein Zehntel Gramm (genauer 0,08» Gramm) hat, nicht weniger al so 000 Trillionen Wasscrstoffatome als vorhanden an- nehmen müssen. Das Studium der Röntgen, und Kathodenstrahlen hat aber zur Annahme von noch viel winzigeren Körperchen, den sogenannten Elektronen geführt, von denen man mutmaßt, daß sie noch etwa 2000 mal kleiner sind, als ein Atom. Die Gründ«, weshalb di« Wissenschaft ihre Existenz annehmen muß, entziehen sich hier der Dar legung, weil sie nicht unbeträchtliche Fachkenntnisse voraussetzen. Die Wissenschaft ist aber auch mit ihnen noch nicht bei den kleinsten Teilchen der Materie an gelangt; sie glaubt vielmehr aus den Beobachtungen, die man an dem vor wenigen Jahren entdeckten, geheimnis voll leuchtenden Stofs, Radium, gemacht hat, auf das Vorhandensein von noch viel kleineren Körpern schließen zu müssen, die den Namen,Honen" erhalten haben und sich nach einem von dem Physiker vr. Kaufmann ge- brauchten Vergleiche hinsichtlich ihrer Grüße zu einem Bakterium verhalten wie dieses zur Erdkugel. Da diese unfaßbar kleinen Partikclckien nach allem, was wir bis heute von ihnen wissen, keine Unterschiede im Gewicht und in der Größe zeigen, wie man sic den Atomen bei legen muß, ist man mit ihnen vielleicht bei dem hypo thetischen Urstoff angelangt, bei der ,Hyle" der alt- griechischen Philosophen, die eigentlich ein aprioristisches Postulat des Verstandes ist, weil letzterer sich gegen die Vorstellung sträubt, daß das Weltall von Uranbcginn an aus den etlichen achtzig oder mehr Elementen aufgebant sein soll, die wir nur deswegen als Grundstoffe be zeichnen, weil uns die HülfSmittel zu einer weiteren Zer» legung fehlen. Mag eS sich nun damit auch verhalten, wie eS will, so erhebt sich Loch die unabwciSliche Frage, wie weit unser mit den schärfsten Instrumenten bewaffnetes Auge in diese Welt deS Unendlich-Kleinen vorzudringen vermag. Mit Projektionsapparaten, wie man sie zum Entwerfen von Lichtbildern benutzt, kann man allerdings eine er staunliche Vergröberung erzielen, die schlietzlich ein Bak- terium, wenn man eS aenüaend stark zu färben im stände wär«, auf dem da- Bild auftan-rnben weitzen Schirme ft»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite