Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030729027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903072902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903072902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-29
- Monat1903-07
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
119,7» 16.90 Inr t-r. t»r 8»,IS LvLodt. 2 I SS, so IlVOM so/Lnkr irdotsa.) I Lrtst 1400 21900 970 ot>« e-r 8L^5 216,— 129.10 194,10 0600 6S7S 0200 14700 1900 46SU SSO 1400 24S0 2860 972» 820 22ö 1724 1840 SO 700 S7S 10140 4160 8874 91S 17740 18600 ) > ) di- sp o» I.'. ck) it- S«. I»' .) Io äar -onckoosr ,» VLKIII >üiuix«n. oll. I»<1 oti. 91»,4» 213,70 77) dt- oo >o- Uolisr 0600- s «s- a. ät »t lL id. tr dr. 41. V. >4. IX) L, XX) 8^ Xoa- bv Udsa I« vsrtii arivli Xu)»» 179,— S1,S0 81,74 21S,10 391,40 184,40 181.24 17S,7b IS«,30 101,50 S7.S0 146,7V )jS1000 1 7840 t 472S ) 3874 >16200 >14840 > 2S7S 2274 l47»g i»8- s bol Lsr- S S., »r«- 141^0 -.li 13»,74 Ul» 20»,24 104I0 201,— 410,— 89,SS 12»,80 SS,70 14SH0 136^0 66,40 118,— 21»,— 14621» I«w.SVF0 iip. 71,24 BezugS-PreiS t» der Hauptexpeditton oder deren Ausgabe- pellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land «. Oesterreich vierteljährlich 4.KV, sür di« übrigen Länder laut ZestuagspreiSüste. Nr-akttou und Lrvedition: Johannisgaffe 8. Fernsprecher 163 und 222. FUtalerpedMorrr» r Alfred Hahn, Bachhaadlg., Ulliversitätsstr.3, L. Löschs Lathartueustr. 14, u. KöntgSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marieustraß« 34. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Lerlie: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhaudlg, Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4303 Abend-Ausgabe. WpMtrTaMalt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und -es Rolizeiarntes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen. Preis die 6gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 7b H, vor den Familienuach- richten (6 gespalten) 60 H. Labellartschrr und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Lssertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra.Beilagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—» Aunahmeschluß für Anzeige«: Abend-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Polz tu Leipzig. Nr. 381. Mittwoch den 29. Juli 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 29. Juli. Die Partei der Unzufriedenheit. „Die Sozialdemokratie ist die Partei der Unzufrieden heit", schreibt der „Vorwärts" in seiner Dienstag nummer. Er bestätigt damit nur, was die anderen Parteien gewissermaßen als Trost für das An wachsen der Sozialdemokratie psychologisch feststellen zu müssen vermeinten. Jene 3 Millionen Wähler, hieß es, sind nicht überzeugte Sozialdemokraten, sondern zum Teil „Mitläufer", die aus irgend einem Grunde mit den bestehenden Verhältnissen sich unzu frieden zeigen und keinen andern politischen Ausdruck ihrer Kritik finden, als durch ihre Stimmabgabe für einen sozialdemokratischen Kandidaten. Der großen An- zahl von Exemplaren dieser Spielart von nur „Mit läufer-Sozialdemokraten" ist sich die sozialdemokratische Parteileitung wohl bewußt und verkennt auch nicht die schlummernde Gefahr dieser im Grunde sozialdemokratisch indifferenten Massen. Deshalb soll eine tiefgreifende Reorganisation des sozialdemokratischen Hcergefolges Platz greifen — — quantitativ und qualitativ. DaS Heer der Unzufriedenen ist der Sozialdemokratie noch zu klein! Sie muß weiter und immer weiter greifen, um Rekruten der Unzufriedenheit auszuhebcn. Wie leicht rührt sich die Werbetrommel für solche Scharen und wie mühsam bringt man ein Fähnlein Streiter zur Er haltung nationaler Errungenschaften auf! Aber nicht nur zu klein dünkt der Sozialdemokratie das Heer der Unzufriedenen, sondern auch nicht tüchtig unzufrieden, d. h. nicht sozialdemokratisch genug: aus den indifferenten „Mitläufern" sollen wirkliche Sozialdemokraten, wetterfeste Truppen, nach dem Herzen Bebels werden! Zur numerischen Vergrößerung der Unzufriedenen beabsichtigt die Sozialdemokratie zu nächst wiederum auf das platte Land auszuschwärmen, um die bäuerlichen Elemente, die auch den Kern unserer vaterländischen Verteidigung in Wehr und Waffen bilden, für sich zu gewinnen. Und dann die „qualitative" Reorganisation, d. h. die Erweckung zu dem Glauben, daß freiheitliche und soziale Forderungen einen Hort nur bei der Sozialdemokratie finden. Dieser Suggestion unterliegen die meisten Unzufriedenen fast ausnahmslos, wie in den letzten Tagen das typische Beispiel des Ober- Postdirektionssekretärs Richard Wagner beweist. Wenn der „Vorwärts" schließlich an die Genossen einen Appell zur Mehrung der „sozialistischen Klarheit" richtet, so findet er sich damit mit den einsichtigen Elementen der bürgerlichen Parteien auf gleichem Boden. Letztere stellen allerdings dies: Forderung aus ganz entgegen gesetzten Beweggründen: die Aneignung sozialistischer Klarheit und wahren sozialen Empfindens wirkt der doktrinären Sozialdemokratie mit ihren staatsumstllrzle- rischen Zielen und Utopien entgegen! Und deshalb richten auch wir an unsere Parteigenossen die Mahnung zur sozialen Klarheit als bestes Mittel, die Vermehrung der „Partei der Unzufriedenen" auf geistigem und sozialem Gebiete das Feld ihrer Rekruten^Werbungen einzu schränken! Immer wieder aber ist darauf hinzuweisen, was die bürgerlichen Parteien, insonderheit die National liberalen, auf sozialreformerischem Gebiete wirklich Posi ¬ tives leisteten, während die Sozialdemokratie der sozial politischen Gesetzgebung entgegen arbeitete und die für die Arbeiterklasse wohltätigsten Gesetze durch ihre negative Abstimmung zu Hintertreiben suchte. (Natlib. Kvrresp.) Revolution und Katholizismus. Das leitende rheinische Zentrumsorgan legt dem Fürsten Bismarck eine merkwürdige „Feststellung" in den Mund. ,-Fürst Bismarck", behauptet die „Köln. Volkszeitung", „hat es in der Blütezeit des Kulturkampses festgestellt, daß die katholische Kirche und die katholischen Gegenden im Jahre 1848 viel besser den Anstürmen der Revolution stand gehalten hätten, als der Protest an - tischeVolkstei l." — Auf der Suche nach einer der artigen „Feststellung" des Fürsten Bismarck haben wir nichts dergleichen, wohl aber das gerade Gegenteil hiervon gefunden. Am 20. März 1884 nämlich hat Fürst Bismarck im Reichstage gesagt: „Gehen Sie die Geschichte der Völker durch, und Sie finden die eigentümliche Er scheinung, daß gerade vorzugsweise die Katholiken sich durch ihre innere Einigkeit, durch innere Ordnung und inneren Frieden nicht ausgezeichnet haben. Nehmen Sie die Polen, nehmen Sie die Irländer, nehmen Sie die romanischen Völker, das allerchristlichste Frank reich: sie sind durch innere Streitigkeiten zerrissen wor den. . . . Die katholischen Republiken von Südamerika bieten nicht dasselbe Bild eines geordneten und regel mäßigen Friedens, wie die nordamerikanischen Frei staaten: in England sind die Verhältnisse viel günstiger als in Irland, und die bisher fast ausschließlich evange lischen Staaten, wie Holland. Dänemark und Schweden, lassen in Bezug auf ihren sozialen Frieden kaum etwas zu wünschen übrig." — Hätte Fürst Bismarck im Hinblick auf das Jahr 1848 sich anders als in der vorstehenden Aus lassung ausgesprochen — der Nachweis dafür liegt nunmehr der „Köln. Volksztg." ob — so würde er nicht im Einklänge mit den Tatsachen der Ge schichte geblieben sein. Das lehrt ein rascher Blick auf das Revolutionsjahr von 1848. In dem katholischen Frank reich ausgebrochen, arifs die Revolution vor allem in dem katholischen Italien um sich. Sizilien erklärte seinen Abfall von den Bourbons, im Kirchenstaate wurde nach der Ermordung des konstitutionellen Ministers Rossi die römische Republik ausgerufen, Toskana wurde unter Geurazzis Leitung gleichfalls Republik, die Herzöge von Modena und Parma mußten flüchten. Jenseits Ser Alpen blieb das überwiegend protestantische Preußen allerdings auch nicht von der Revolution ver schont, ebensowenig wie ein Jahr später das protestantische Sachsen. Aber in Preußen waren es vornehmlich be sonders treue Kinder der katholischen Kirche, die Pole n, die sich zu fanatischer Erhebung wider Obrigkeit nnd deutsche Landsleute hinreißcn ließen. Und wie stand es, zumal wenn man das Jahr 1849 mit heranzieht, im deut schen Süden? In Bayern mutzte Ludwig I. zurück treten, in der Pfalz nnd in Baden gcberdete sich die Revolution äußerst gewalttätig, indem sie, auf den Spuren der rebellischen Bauern des G. Jahrhunderts, im Oden wald und in den Neckaraegcndrn die Rentbeamtcn der Standesherren verjagte, di: Grund- und Zehntbücher ver nichtete, die Schlösser der GutSbesivec zerstörte, die Jagd rechte verletzte ustv. Vollends in dem katholischen O e st e r- reich-Ungarn hat die Revolution beinahe nach gallischer Art gewütet. Es sei nnr an das furchtbare Ende des Kriegsministers Latour in Wien erinnert, dessen Leichnam an einem Laterneupfahl aufgeknüpft wurde. Und was Ungarn anbelangt, so sei nur an den mit ent setzlichen Greuelseenen verknüpften Aufstand inKikin d a erinnert, dem di»Raubzüge in Neusatz Earlowitz, Weiß kirchen und so fort folgten: als Gegenstück hierzu darf der protestantischen Siebenbürger Sachsen gedacht werden, welche die mordenden und plündernden Rumänen lediglich abwehrten und die österreichische Armee zu ihrem Schutze herbeiriefen. Angesichts der im vorstehenden kurz ins Ge dächtnis zurückgerusenen Tatsachen der Geschichte muß ohne weiteres zugegeben werden, daß auch im Jahre 1848/49 der Katholizismus den Anstürmen der Revolution nicht besser stand gehalten hat, als der Protestan tismus. Chamberlains Agitationsprogramm. Ueber das Programm der C Ham berlai ri sch en Agitationsreise und ihr vorangehende ähn liche Kundgebungen zu Gunsten einer Aenderung der britischen Handelspolitik liegen nunmehr nähere Angaben vor. Herr Chamberlain beabsichtigt, nachdem er sich in Highbury eine längere Ruhe gegönnt hat, im Oktober die Tätigkeit eines Wanderredners aufzunehmen und in etwa vierzehntägigen Intervallen in den verschiedenen Pro vinzen des Vereinigten Königreiches und zwar sowohl in industriellen wie in landwirtschaftlichen Bezirken zu er scheinen. Die Zahl der Städte und Distrikte, die den Ko lonialsekretär zur persönlichen Erörterung seiner Ideen eingeladen haben, ist sehr groß: indessen sollen insgesamt nur zwölf größere Plätze, unter denen bis jetzt Lo n d o n, Glasgow, Newcastle, und Liverpool genannt werden, den Vorzug haben, die Gründe für die Politik des Kolonialsekretärs aus dessen eigenem Munde zu verneh men. Von Anfang Oktober dieses Jahres bis in den Januar des nächsten Jahres hinein werden also England, Schottland und Irland der Schauplatz einer eifrigen und ununterbrochenen Agitation für den Uebergang zum Schutzzollsystem sein, und es ist sicher nicht absichtslos, daß der Kolonialsekretär die persönlichen Bemühungen um das Gelingen seines Planes bis zu einem Zeitpunkte aus- dehnen will, in dem die N^ucröffnung des Parlaments bereits vor der Türe steht. Man wird vielmehr annehmen dürfen, daß ein nicht geringer Teil der Bevölkerung unter den frischen Eindrücken der Chambcrlainschen Theorien sich für die Annahme seiner Zollpolitik erklären wird. Wie aber große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen, fehlt es auch nicht an Veranstaltungen, die bestimmt sind, den Merbezng des Kolonialsekretärs vorzubereiten und die Gemüter zur Aufnahme seines Programms empfänglich zu machen. So hat der rührige Leiter der neu gegründeten Tarif-Reform-Liga, der Herzog von Sutherland, bereits für den 29. d. M. weitere Verhandlungen des ge schäftsführenden Ausschusses angekündigt. Es wird sich, ebenso, wie auf der am 21. d. M. abgehaltenen Versamm lung, darum handeln, den äußeren Verlauf der Tarif kampagne festzustellen und die Ausgabe von Flugschriften, sowie von kommeriiellen und industriellen Statistiken vor zubereiten. Der Erfolg aller dieser Bemühungen, mit diesem Gedanken wird man sich vertraut machen müssen, kann kaum zweifelhaft sein. Diese Annahme wird auch durch die in den breiten Bevölkerungs- schichten herrschende Stimmung bestätigt, die ein Londoner Blatt durch die Mitteilung charakterisiert, daß ein K ohlenzieher, den ein hervorragendesParlaments- Mitglied über seine Ansicht über Vorzugszölle befragte, geantwortet habe: „Ich verstehe nichts von Vorzugszöllen, aber Joö hat die Ausländer beim Wickel, und da bin ich für Joö!" Für den „Mann von der Straße" ist also die Handelspolitik des Kolonüalsekretärs nichts mehr und nichts weniger als eine Forderung des Chauvinismus und eine Frage der Vergeltung für die empfindlichen Wunden, welche die ausländische Konkurrenz dem Wirtschaftsleben Englands geschlagen hat. Rußland und der Tnezkanal. Rußlands Anteil am Suezkanalverkehr bewegt sich in aufsteigender Linie. Die Annahme, daß Rußland nach Vollendung der transsibirischen Bahn auf die Benutzung des Suezkanals für Truppentransporte und Massengüter verzichten würde, hat sich als haltlos herausgestellt. Die russische Regierung denkt gar nicht daran, den Verkehr durch diesen Wasserweg irgendwie einzuschränken, hat vielmehr beschlossen, auf weitere zehn Jahre allen unter russischer Flagge fahrenden Schiffen, die zwischen russi schen Ostsee- und Schwarzem Meer-Häfen und dem fernen Osten verkehren, die Suezkanalabgaben aus dem russi schen Staatsschatz zu vergüten. Diese Subvention beträgt gegenwärtig 2 Millionen Mark jährlich. Der Haupt vorteil fällt der freiwilligen Flotte zu, denn 85 Prozent der russischen Tonnage entfällt auf Schiffe dieser Gesell schaft. Wie sehr der Anteil der russischen Flagge am Kanalverkehr gestiegen ist, mag daraus ersehen werden, daß im Jahre 1879 nur 7 russische Schiffe den Kanal be- nutzten, 1890 dagegen 20 und 1895 39. Eine besondere Zunahme zeigt sich in den letzten Jahren: 1896 47 Schiffe von 209 000 Br.-R.-Tons, 1898 48 Schiffe von 243 000 Br.-R.-Tons, 1900 100 Schiffe von 451 000 Br.-R.-TonS, 1902 110 Schiffe von 473 000 Br.-R.-Tons. Das Empor schnellen des Verkehrs ist zum Teil auf die Wirren in China zurückzuführen, die bekanntlich im Jahre 1900 be gannen. Aber die Zahlen deuten auch darauf hin, daß Rußland ernstlich an der Arbeit ist, seine Stellung im Osten mit großen Kosten zu befestigen. Viele Tausend Mann Truppen und stattliche Mengen Kriegsmaterial werben alle Jahre von Odessa aus nach Ostasien verschifft. Für Rußland hat der Duczkanal eine hohe militärische Be deutung, denn ohne ihn würde das Reich nicht annähernd so viel Truppen im Osten bcreitstcllen können, als es jetzt der Kall ist. Der kommerzielle Verkehr unter rufst- scher Flagge ist außerordentlich gering und fällt gegen über den anderen am Kanalverkehr beteiligten Ländern gar nicht ins Gewicht. Deutsches Reich. 8. Leipzig, 29. Juli. Die „Leipziger Volkszeitung" brachte gestern in der ihr eigenen vornehmen Form die Meldung, Herr Professor vr. Hasse sei nach einem in Dessau kursierenden Gerüchte als Reichstags- k a n d i d a t für die dort notwendige Ersatzwahl in Aus sicht genommen worden. Dem „Berliner Tageblatt" hat ein Leipziger Korrespondent, dem die Nachricht in dieser Form wohl zu unverbindlich und deshalb telegramm- Feuilleton. 4, Lozena. Roman von C. Deutsch. viacvdruN verboten. „Als wir nach Haus' gingen, machte mir Suska Vor würfe, -aß ich mich so vor allen Leuten benommen hält': doch würd' sie bald wieder gut, weil sie sehr versöhnlich und sanft im Gemüte war und weil sie wußte, daß es nur ge schehen, weil ich gar so viel auf sie hielt." „Wochen vergingen, ich hörte nichts mehr von dem jungen Kreuzar und wurde ruhig. Ich sah' und hört' nichts . . . umsomehr die Suska, wie es sich später heraus, stellte. . . O, sie waren falsch und listig, wie die Hüll' selber! Janek schlich ihr nach, wo und wie er konnte. An- fangs sagte sie mir es nit, weil sie mich vielleicht nit um. sonst aufregcn wollt', dann als sie sich gern von ihm finden ließ und es sie kitzelte, daß ihr so ein reicher, schöner Bursch nachlief, hatte sie Angst, mir es zu sagen. Um diesel'be Zeit mußt ich zur Assentierung nach Preß- bürg: cs war eine Nachkommission, die dort die letzte Klasse des Distriktes ausho-b. Der Abschied würd' mir leicht: ich war schon viermal befreit worden nnd die letzte Klass' ist die leichteste, auch wollt'sich's der Vater, der mitkam, im schlimmsten Fall' ein schön Stück Geld kosten lassen und so war's sicher, daß ich durchkam. Gleich nach meiner Rückkehr sollt' meine Hoch zeit sein. Suska war noch nie gar so gut und freundlich als beim Abschied gewesen, sie weinte, als sie mir den letzten Kuß gab." Hendrik tat einen tiefen Zug aus der Pfeife und fuhr fort: „In Preßburg ging's schlimm. Wenn der Mensch Unglück haben soll, wird alles schon im vor- aus geordnet und zurecht gelegt. Mein Vater, der gleich sicher geben wollt', gab schon im voraus Geld, aber un glücklicherweise nur auf einer Seite. So hielt mich der eine Arzt für tauglich, der andere für untauglich. Da sie nit einig werden konnten, cntscksied die Kommission, ich sollt' ins Spital gehen, bis ich hergcstellt sei und dann noch, mals geprüft werden. Was für eine Krankheit mir der Arzt angedichtct hatte, weiß ich gar nit. Genug, ich mußt' ins Spital und verbrachte sechs Wochen darin, bis mich mein Arzt endlich hcrausarbeitete, ich zum fünftenmale für untauglich erklärt wurde und meinen Bcrufnngsschcin bekam. Glücklich, wie selten ein Mensch, verließ ich Preß burg und eilt' nach Haus: der Vater hatte sich einige Tage früher auf den Weg gemacht. Ich kauft' noch in Preßburg einen schönen, blauen Mantel für mein Mädel, den sie am Hochzeitstag' tragen sollt', und dann ging ich Tag und Nacht, um nur früher zu Haus zu sein." . . . Wieder hielt Hendrik inne, er nahm sogar die Pfeife aus dem Mund'. „Ich kam nach Haus . . . und fand den Ning SuskaS vor. Sie hatte ihn an meine Eltern geschickt und mir auf. sagen lassen und das war schon an die vier Wochen. Schreiben könnt' die Mutter nit und dann hätt's auch nit genützt, ich könnt' ja doch nit früher nach Haus kommen. Die Mutter erzählte, Suska hätte sich gleich nach der Zu- rttcksendung des Ringes mit Janek Kreuzar verlobt, alle drei Aufbietungen waren schon vorüber und Montag war Hochzeit: ich war Samstag nach Haus gekommen. Die Mutter berichtete weiter: „Das Mädel hätte vielleicht nicht nachgegeben, wenigstens nicht so über- stürzend, wenn der Bursch nicht täglich ins Haus gekom- men wäre und die Eltern nit so in sie gedrungen hätten, denn durch eine solche Verschwägerung war ihnen für immer geholfen. Die Mutter weinte und flehte sie an, der Vater drohte sie zu erschlagen und da ihr der Bursche selber besser gefallen mocht', habe sie sich gar nit so ungern zwingen lassen und eingewilligt." Gleich nach dem Verspruch hatte der junge Kreuzar die ganze Familie nach dem Gebirge genommen und ihr ein Häuschen zum Bewohnen gegeben. „Mein Vater meinte, wenn eine Dirn' zu so etwas fähg ist, so sei sie nit wert, daß man ein Wort über sie ver liere! Er, für seinen Teil, sei froh, die Bettlersippe los zu sei«: auch die Mutter sprach so und versuchte mich zu trösten, aber Tränen haben ihr dabei in den Augen ge standen und gezittert hat sie vor Weh, denn ich war ihr einziges Kind und sie mußt', was mir das Mädel war." „Und wic's mir war? Das kann ich nit sagen. — So muß einem Menschen zu Mut sein, wenn ihm «in Baum stamm über den Kopf fällt, cs braust ihm in den Ohren und er weiß nit, von sich zu sagen — tust so war's mir die ersten Stunden: ich hatt' kein Stückel Empfindung in mir, ich bin dagesesien, auf einer Stelle, nach einem Punkte stierend, ohne daß ich was gesehen oder gewußt hab', was ich denk', daß die Eltern geglaubt haben, ich werd' verrückt. Dann wurde eS mir wieder anders. Ich dacht' plötzlich, das Herz sei mir ans dem Leib' gerissen und ich hab' einen Schrei ausqestotzen: dann hab' ich geweint, daß ich glaubt', mein -verzoll« ergieße sich in die Augen. Die Eltern meinten, das täte gut, das sei besser als alles, das würd' mich be ruhigen. Sie metnten's; sie wußten nit, daß ich ein leeres unbewohntes Haus war, aus dem man alle Sachen her. ausgetrogen hatt', und als der Jammer in der Deel' so groß geworden war, wie er nicht mehr größer wachsen könnt', da ist wieder eine andere Zeit gekommen, die letzte. Eine Wildheit und ein Zorn ist in mir aufgestiegen, wie ich ihn nie gekannt halt'. Ich war immer ein ruhiger Mensch gewesen und was die Leut' Zorn nennen, davon hab' ich wenig gewußt. Ein Tier hatte mich nie aufgebracht und wenn es noch so ungebärdig war; ich streichelt's lieber und sprach ihm gut zu. Was ober dazumal in meinem Kopf aufstieg und durcheinanderging, war schrecklich: eine Flamm' hat die andere gejagt und wo eine verschwunden war, sind hundert andere aufgestiegen, die immer größer geworden sind, so daß, als der Hochzeitstag herangekom men war, ich mich nit mehr gekannt hab'. Ich war mir selber wie ein fremder Mensch, den ich bis dahin nie ge- sehen hatt', der mit einer fremden Stimme zu mir redete und mich mit sich herumschleppte. Ich weiß überhaupt nit, was an diesem Tag' mit mir vorgegangen ist. Die Glocken hab' ich läuten hören und die Leut' auf der Straß' rennen, um dem Hochzettszug zuzuschauen. — Dann haben wieder die Glocken geläutet, dann würd' in einer Schenk' am Markt getanzt, dann sind sie wieder nach dem Gebirg' zu- rückgegangen. Ich hab' dies alles wie ein Träumender gesehen und gehört wie einer, der schlafend alles mit an hört, der weiß, was um ihn vorgoht und doch nit erwachen kann und nachts hab' ich mich plötzlich vor Kreuzars Woh. nung im Gebirg' gefunden mit Werg und Feuerzeug in der Tasch'. Und da bin ich zu mir gekommen und da war es auch plötzlich so fest in mir, als hätt's mir jemand mit roter Tint' in die Seel' und vor die Augen geschrieben: „Sie sterben beide!" Und ich weiß nit, ob mich damals ein Engel davon verhindert hätt', wenn er mir in den Weg ge- treten wär'. Das Haus stand auf dem Berg' und unten an der Straß' war eine Schenk', in der getanzt würd'. Ich hörte die Fidelklänge und die Schreie und Jnchzer bis hinauf. Ich war im Hof versteckt und gegen Mitternacht legte ich Feuer an das Kreuzarsche HanS. Ich mußt' nit und dachte auch nit daran, daß der alte Krcnzar, der ge. lähmt war und sich nicht rühren könnt', anch darin war, ich dacht' nur an die beiden. Hock) auf dem Berg' unter einem Baume habe ich gestanden und hab' gesehen, wie die Flammen aus dem Dach gebrochen und immer größer ge worden sind und in die Luft htnaufgclcckt und gezischt, den Himmel gerötet und das ganze Gebirge erleuchtet habe«, daß es hell wie am Tage war. Dann hört' ich ein ent setzliches Geschrei und Hülferufe. — Was soll ich dir viel davon sagen. Das ganze Gebäude ist bis aus die Mauern niedergebrannt. Es war wenig Wasser im Gebirge. Der Kreuzar und sein junges Weib haben sich gerettet, aber in der Eil' und in der Rage, das Vieh und Geld zu retten, hatten sie den Gelähmten in der Kammer vergessen. Als sie sich an ihn erinnerten, und ihn mit knapper Not her ausbrachten, war er schon erstickt." Hendrik hielt hier wieder inne? denn auch ein Schreckensruf der Tochter hatte ihn unterbrochen. „Er war erstickt und mich, der nicht einmal daran dachte fortzugehen, mich griffen sie, banden sie und brachten mich nach Neutra ins Komitatsgefängnis." „Dort warfen sie mich in ein dunkles feuchtes Loch, wo ich mehrere Jahre blisb, ich glaüb' an fünf: dann wurden sie müd' mir zu essen zu geben, obwohl eS nur Wasser und Brot war und ließen mich frei. Ich kam heraus, wie du mich jetzt siehst, mit grauem Haar, mager und verschrumpft, daß mich fast niemand erkannte. Es war auch nit not wendig, denn Vater und Mutter waren unterdes gestorben und als ich vor ihr Haus kam, fand ich fremde Leute d'rin wohnen. Die Mutter war am selben Morgen! gestorben, als man mich gebunden durch die Straßen schleppte: der Schlag hatte sie gerührt. Der Vater nahm sich einen Ad vokaten und prozessierte mit Kreuzar, verprozefsierte HauS und Hof, wurde gepfändet, ergab sich dem Trunk und starb als Bettler, ein Jahr bevor ich auö dem Gefängnis kam. Da ich nicht mußt', was ich beginnen sollt', ging ich zu den Soldaten. Es war grab' Krieg im Land und dl» hat man nit viel gefragt, wer oder was einer war. Nach einem Jahr hab' ich einen Schnß inS Bein bekommen, bin fast ein Jahr im Spital gelegen und hab' dann den Abschied erhalten, weil ich hinkte. Ich kam wieder nach Haus. Kreuzar war längst fortgezogen. Er konnte auf der Stelle nit bleiben, wo sein Vater so schrecklich geendet, er hatte das Bauerngut im Heu gekauft und war hierher gezogen. Anch ich kam hierher und würd' Hirte im Ort; denn ich mußt' sein, wo die beiden waren. So verging Jahr auf Jahr, bis nttr das Alleinsein auf der Welt un erträglich wurde und ich beschloß, ein Weib zu nehmen." „Den Mayerbof hatte lange Zeit eine deutsche Baronin in Pacht nnd bewohnte ihn: die hatten ein Dienstmädel, die auch eine Nemctin war. Das Mädel war nit mehr jung, anch war sie ein wenig verwachsen, aber ich heiratete sic, weil sic auch allein auf der Welt stand und weil sie die Leut' auSlachten und ihr Gespött mit ihr trieben. Du kamst auf die Welt und sie starb: eS war ein gutes, stilles Frauen- zimmer gewesen und mir wie ein Hund anhänglich. Einige Jahre später kam deine Stiefmutter, wie die war, das weißt du. Dich hab' ich schon als Kind lieb gehabt, und wenn ich dich auf dem Felde Herumtrug und du deine
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite