Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.07.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190307261
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030726
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030726
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-26
- Monat1903-07
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.07.1903
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Reklame» »nter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familtennach» richten (5 gespalten) 5V Tabellarischer und Zisfrrnsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offertenannahme L5 (excl. Porto). Ertra»Beilagen (gesalzt), «ar mit der Morgen-Au-gab«, ohne Postbrsärdernng -N> SO.—, mit Postbesörderuag 70.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abeud-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vou srüb 8 bi» abeud» 7 Uhr. Druck and Verlag von «.Pol» i» Leipzig. Nr. 375. Sonntag dm 26. Juli 1903. 97. Jahrgang. Aus -er Woche. Fllr de» raschen Flug unserer Zeit war der Tod de» Papstes zu lang« vorau»grs«hen worden, al» daß daS Ereignis, als e» nun wirklich eintrat, die Gemüter besonders hätte bewegen können. Selbst die Organe de» Ultramonlanis» mu» zeigte», daß zwei Wochen vollständig dinreichen, um sich auf ein Ereignis vorzubereiten, daS an manchen Stellen erschreck» haben würde,wäre eS plötzlich eingetrelerr. Auch für das Konklave ist kein lebhaftes Interesse vorhanden. Diese Teilnahmlosigkeit zu beleben, hat Kardinal-Erzbischof Fischer von Köln in recht geschickter Weise versucht. Er hat seiner Herde zunächst ein glänzendes Bild von der Persönlichkeit Leo» XIII. entworfen, der „als der geborene König mit den Königen, den Fürsten und Großen der Erde verkehrte, von Allen hoch geschätzt, geachtet und bewundert." Aber er giebt dem Lejer auch zu denken. Bielleicht da» größte Dilemma der hierar chischen Lehre sucht er der Lösung nahe zu bringen, indem er mit aller Offenheit darlegt, wie der unfehlbare Papst dennoch ein sündiger Mensch ist, für dessen Seelenheil gebetet werden muß! Er ist ,,al» Mensch dem Irren und Fehlen ausgesetzt gleich jedem anderen Sterblichen", aber er ist unfehlbar, „weil die Reinheit des Worte« Gottes auf Erden nimmer getrübt werden darf". Auf den ersten Blick möchten wir diesen Satz vielleicht als klingende Phrase verwerfen. Mit schärferem Auge aber erkennen wir den Unterschied zwischen beiden Eigenschaften treffend bezeichnet. Die Sünbigkeit des Papstes beruht auf dem Naturgesetz, daS keinen fehlerlosen Menschen kennt. Seine hierarchische Un» fehlbarkeit dagegen ist künstlich geschaffen, um einem konfessionellen Bedürfnis abzuhelfeu. Wie könnte auch die Unfehlbarkeit natürlich sein, da doch Gunst und Meinung der Kardinält, zu Zeiten gar die politischen Wünsche mächtiger Fürsten, über Petri-Stuhl ver fügt, nicht aber der Seelenzustand drS Gewählten. Darum läßt folgerichtig Kardinal Fischer für eine gute Papstwahl beten, obgleich er, milde lächelnd über die Verständnislosigkeit der .Weltkroder", weit abweisen möchte, daß Einwirkung weltlicher Wünsche und Erwägungen auf di« Ent schließungen der Kardinäle jemals stattfinden könnte. Nicht nur unsere höchsten Beamten, die ja über haupt niemals Erregung zeigen, sondirn auch ave anderen, dem Zentrum fernstehenden Politiker sehen diesem Konklave nun wirklich mit allergrößter Gelassenheit entgegen. Der Depeschenwechsel zwischen Kaiser und Kardinal-Kämmer ling hat keinen pointierenden Wortlaut. Eö läßt sich aus ihm nicht recht viel mehr heranSlesen, als daß beide Teile auf korrekte uud freundlich« Beziehungen Wert legen. Ein in dieser Allgemeinheit so selbstverständlicher Ge danke eignet sich nicht zur Ausbeulung im Sinne eines Drucke» auf die Papstwäbler. Wir Deutsche sind unS wohl bewußt, daß wir nichts auSrichten könnten, selbst weon wir e» wollten. Da» jetzt mehrfach erwähnt, Wort Bismarck« von der Notwendigkeit, auf di« Papflwahl «in- zuwirke», hat keine Geltung. Cs kann unS fast einerlei sein. Wer Papst wiid, da wir ja doch wissen, daß niemals ein Kleriler aus Petri Stuhl wird erhoben werden, dem die Interessen des Staate», und gar eine» Deutschen Reiche», mehr am Herzen lägen, al» Rom» ewiger Herrschaft», Anspruch, Ei» kämpfender Papst würde zwar die Erscheinung Hervorrufen können, daß sich alle freiheitlich empfindenden Element« zum Kampf» gegen den UltramontaniSmu» einten, er würde aber zugleich diesen selbst i» hohem Maß« stärken, Ein diplomatischer Papst, selbst wenn er Deutschland liebte, wäre noch die größte Gefahr für uns, wie sich daS in dem letzten jBierteljahrbvndNt nur zu »ft gezeigt hat. Ueberlassen wir es daher den Franzosen, sich darüber zu erregen, jn Westen Hände der Fischerring gelangen wird. Dir klerikalen Blätter malen dem Pariser Publikum in drastischen Farben vor Augen, welche» Unheil der Republik drohe, wenn sie nicht alsbald mit Rom ihre» Frieden mache, .Kaiser Wilhelm will di, moralische Führung der gesitteten Welt an sich bringen. Dir römische Kirche verteilt nicht mehr wie ehemals Kronen, aber Rom ist noch immer Sitz der Regierung über die Seelen. D«r Papst ist eia, der Hälften Gotte« und Kaiser Wilhelm wird die andere werden, wenn di« Beschlüste de» heilie geu Kollegium» im Tina« seiner geheimen Wünsche «»»falle«.* Wir kenn«» de» Kaiser» geheim« Wünsch« nicht Daß er ah«r «in« Hälfte Gotte» zu werden trachtet, dieser Gedanke konnte nur in einem gallischen Kopse «ntstehen. Da» Deutsche Reich hat wirklich bester«» zu tun, al» sich um di« Papstwahl zu kümmern, Und wen sollt» e» al» seinen Kandidaten bezeichnen, wenn es dazu dir Möglichkeit hätte? Wa» wissen wir den» überhaupt darüber, wie der einzeln» Kardinal al» Papst ouftreten würde? Di, sind wie di« Kronprinzen, die meist ein« so ganz ander» Sinnesart zeigen, sobald sie da» verantwortlich» Regiment übernommen habe» Wer hat 1818 voraus gewußt, daß Kardinal Pecci al» P->Vst für christliche Demokratie und französisch« Republik sich er» klären würde? Nein, wir werden nicht einmal dann ver zweifeln, wenn der von Frankreich, Spanien und Rußland protegierte Rampolla Herr de» Vatikan» werden sollte. Wie unsere Wünsche, so liegen auch unsere Be- sürchtungen nicht jenseits der Berge. Unser« kirchenpolitischen und Kulturverhältniste werden nicht bestimmt durch die Sinnes art d»S Papste», sondern weit mehr durch Willen und Kraft der einheimischen Regierung, durch daS Maß ihres Wider stände» gegen den unabänderlich sich wiederholenden An sturm de« Klerikalismu«. Zensur zu Gunsten kirchlicher Aspirationen, Feindschaft gegen modern« Richtung der Künste, Erniedrigung der Wissenschaft zur Helfershelferin deS KlrrikaliSmuS, — von solchen Feinden ist viel mehr zu fürchten, al« vom Vatikan direkt. Die königliche IahrrSgabe für den durch und durch modernen Dichter 8 iliencro » wäre «in wahrhaft erfreuliche« Ereigni«, böbe sie sich nicht ab von jenem Hintergründe, besten Umriste gezeichnet würde» mit der Entwertung des Schillerpreise», der Begünstigung von Laufsiaden aller Art, mit der amtlichen Aesthenk, die ihren Ausdruck fand i» dem großen Worte „die janze Richtung paßt un« nicht*. Wer wollte den bis zum Perversen sich verirrenden Extravaganzen einzelner im Felke der modernen Kuast wuchernder Unkraut- Elemente Vorschub leisten? Wer denkt daran, Könige» oder Ministern die Richtung drS Geschmackes vorschreiben zu wollen? Auf dem verhängnisvollen Irrtum aber, al» könne nach ältestpreußtschem Rezept von Laadrälen und Polizeidirektoren der Geschmack de» Publikum« reguliert werden, beruhen di« zahlreichen Mißgriffe, die den „SimplizissimuS*-Gtist und dir der Sozialdemokratie zustrrbeude Negations-Anschauung fördern. Wer da« Anwachsen der Sozialdemokratie bisher im Allgemeine» auf Unzufriedenheit mit unseren Zuständen zurückführte, der wird in dem mit dem 16. Juni jetzt begonnenen neuen Lustrum deutscher Geschichte gut tun, mit chronistischer Genauigkeit Tag für Tag, Woche für Wocke die amtlichen Fehlgriff« zu verzeichnen, um nicht über rascht zu werden von dem Ausgang her nächsten Reichs tagswahlen. Leider sind in diese Ehronik schon jetzt min desten» zwei Eiuträge zu machen, und zwar aus jenem Gebiete, das mit den Stimmungen d,S Volkes so eng zusam menhängen: Justiz und Verwaltung, Die Versumpfung br« Pommernbank-Prozesses ist s,h, wohl geeignet, Mißstimmung zu erregen. Der Beschluß de» Ge richte», nach jahrelanger Untersuchung zur Herbeischaffung besseren Klag«»Materials Vertagung einzutrrten lasten, ist bitter für die Anklagebebürd«. Enthüllungen über MenuS von Aussichtsrat» - Mählern und übe» Tunk« gelber für skrupellose Journalisten waren nicht geeignet, dir Strafbarkeit dir Angeklagten zu rrweisen. Der klägliche Auögang de» Prozestes aber läßt in der Stimmung der weniger unterrichlelen BolkSkreise di« unklare Vorstellung, daß Bankerotteure, die ein schmähliche- KorruplionSsystem «ingerichtet hatten, nicht ins Gefängnis geschickt wurden. Au»g«beutet von der sozialdemokratischen Presse, find solch» Eindrücke ganz besonders geeignet, „Genosten* zu züchten. Derartigen Effekt erwarten wir aber auch von der Saum seligkeit der preußischen Behörden nach de, schlesisch«» Wasser»»»». Daß in» Notstandsgebiet ei« leibhaftige, Minister reist, davon hahen dir Unglücklichen gar nichts, wenn der erst« Eindruck so schwach ist, wie di, halbamtliche» Erklärungen annehmen lasten. Warum hat man ge rade in diesem Falle nicht di« sonst so zärtlich ge liebten Akten zu Hüls« genommen? Vom Hauptorgan der schlesischen Konservativen muß sich jetzt der Herold des korp«studentisch,n Beamtengeist,«, de, Schutzgeist fromme, Zensoren Freiherr y. Hammerflei» erzählen lasten, wie zu anderen Zeiten dem Notstand gesteuert worden ist. Reizend haben «n» erst dieser Tag, Berliner Blätter geschildert, wie der elektrische Apparat sü, d»n no,d» landretsenden Kaiser klappern muß. Bon de, schlesische» Waffe,»not ist nach Digermulen und Norderney wohl nur sehr wenig geklappert worden. Sonst wär, vermutlich di« Sri»n«rung daran, daß 1888 sechs Tag, nach der Kata strophe vooaoo^ au« der königlichen Schattnlle. später drei M'll'vnen au« Staatsmitteln vom Ministerium bereit gestellt worden sind, zu etwa« kräftigerem Niederschlag gelangt, als in dem halbamtlichen Appell an di, Wohltätigteit de, Privatleute und der Auszählung aller Hindernisse, di« schleunigem Eingreifen h«, Behörden >m Weg« stehen. Solches verfag»« d» StaatSmaschin, im Augenblick de, ersten Bestürzung wird nicht allzu schnell v,r» gesten, und auch di, «»scheinend jetzt «iageleitet, energischer, Tätigkeit der Behörden wird, da al» unfreiwillig angesehen, nicht da« Versäumnis wieder ganz gut mache» könne«. Der Chronist wird auf dies, Auszeichnung »urückkommen, wenn in jenen Testen Schlesien» Wiede, politische Wahle» statt gefunden Haden werden. 3«r Reform des sächsischen LlmdtagswMrechts. Ein Freund unseres Blattes macht folgenden Vor schlag, der schon wegen seiner Einfachheit und leichten Ausführbarkeit Beachtung verdient: Bereits Ende August oder anfangs September gedenkt die Staatsregierung einer von ihr einzuberufenden freien Versammlung das fllr eine Wahlrechtsände rung gesammelte Material und zugleich auch schon for mulierte Vorschläge für die Aenderung selbst zu unter breiten. Jn den weitesten Kreisen der bürgerlichen Wähler schaft Sachsens wird diese» entschiedene Vorgehen der Re gierung mit größter Genugtuung begrüßt werden, denn die Unzufriedenheit mit dem 1896 geschaffenen Wahlgesetze beschränkt sich wahrlich nicht nnr auf den sogenannten vierten Stand. Der nahe Zeitpunkt, den sich die Regie rung gestellt hat, zwingt auch die Parteien, der wichtigen Frage sofort nahe zu treten. Mein, die Führer bedürfen hierbei der Unterstützung der Parteimitglieder, und namentlich wird der Anteil, den diese Mitglieder zeigen, fördernd auf das Handeln der Führer etnwirken. Im vorliegenden Falle werden namentlich Vorschläge jeglicher Art erwünscht sein, und selbst die Staatsrcgierung liest in der Kammer durch den Mund des Ministers erklären: ,-sie empfehle jedermann, der daran Interesse habe, mitzuwirken, mitzu- arbeiten, mitzudenken, damit sie seinerzeit in der Lage sei, die nötigen Unterstützungen und Ratschläge zu finden". AuS diesem Gesichtspunkte heraus seien gerade jetzt, unmittelbar vor dem Zusammentritt der natto- nalltberalen Führer im Lande, die folgenden Betrach tungen gestattet. Die erste Frage ist nun: wird man innerhalb des jetzigen Wahlrechts, d. h. bei einer Unterscheidung in Stadt und Land usw., zu einem brauchbaren Wahlrechte gelangen können? Diese Frage möchten wir ver neinen. Die einzige Möglichkeit hierfür bliebe doch die, daß die Zahl der Wahlmänner in der dritten Abteilung vermehrt würbe. Aber die sich sofort ergebende Frage, bis zu welchem A n t ei l e da» geschehen solle, wird niemand beantworten können, denn ein Anteil von unter 50 Pro zent hilft der dritten Abteilung nichts, und ein solcher von üHer 50 Prozent macht sie zum Herrscher. Es bleibt also nichts anderes übrig, als ein neue» Wahlsystem und damit die Gesamt-Erneue rung der Zweiten Kammer. Bor dieser Integral-Erneuerung hatte die Zweite Kammer im Jahre 1895, als die Resolution Mehnert und Genossen wegen der Wahlrechtsänderung angenommen wurde, eine merkwürdige Besorgnis. Die Kammer stellte sogar die Bedingung, daß die Wahlrechtsänderung keine Inte- gral-Erneuerung zur Folge haben dürfe. Wir meinen nun, daß eine solche Erneuerung nicht abschrecken dürfe, Im Gegenteil: es tut sogar not, daß einmal ein frischer, belebender Hauch durch unser Haus zieht. Das wird allen Parteien gut tun, selbst der konservativen. Wenn wir aber ein neues Wahlrecht an Stelle des alten setzen, so darf es nicht kompliziert, nicht gesucht sein in seinen Formalitäten. Jeder must auf den ersten Blick wissen, wohin er gehört, lind da gestattet sich der Verfasser folgenden Vorschlag: Nehmen mir einfach die 23 Reich s- tagswahlkreise, eine Einteilung, die seit mehr als 35 Jahren in Fleisch und Blut unseres Volkes über gegangen ist (besser tatsächlich, als die Landtagsmahlkreis einteilung), und überweisen wir auf jeden Wahl kreis vier Abgeordnete, das macht in Summa 92 Abgeordnete. Diese Abgeordneten sind von vier Abteilungen in direkter Wahl zu wählen. Die Abteilungen könnten folgende sein: IV. Abteilung: Alle Wähler bis 2500 ut! Ein- kommen. HI. Abteilung: Die Wähler von 2500 bis 4800 Einkommen. H. Abteilung: Die an gesessenen Wähler, welche 20—80 ^t! Staatsgrund- steuer entrichten- I. Abteilung: Die Wähler mit über »800 F Einkommen. Zu diesem Vorschlag» sei folgendes bemerkt: 1) Indem schon di« Wahlberechtigten mit über 4800 zur I. Ab teilung gehören, ist jedem plutokratischen Charakter dieser Abteilung die Spitze abgebrochen. S) Die Sinschiobung -es angesessenen Elements scheint angeraten, nicht etwa wegen der Vertretung des städtischen Hausbesitzes, sondern wegen der des mittleren ländlichen Grundbesitze- (etwa 8—82 Hektar oder 18 hfg 60 Acker). Diejenigen Angesessenen, die weniger Stcmtsgrundsteuer entrichten, würden in die III, oder IV. Abteilung, dis Großgrundbesitzer dagegen in die I. Abteilung gehören. 8) Endlich ist -i« Grenze für die IV. Abteilung des halb bi» auf L500 ^tl vorgesehen, damit auch in dieser Ab- teilung der kleine Handwerker, der Beamte usw. sein« Stimme -en reinen Arbciterinteressen gegenüber in die Wagschale werfen kann. Jn den ntchtgrotzstädtischen Wahlkreisen wird das von wesentlicher Bedeutung sein. Der Herrschaft der Sozialdemokratie wäre bet diesem Wahlrechte ein Damm entgegengesetzt, ohne darum aber di« groß« Menge von der Vertretung auSzuschließen. Ni« nun die Erneuerung der Kammer statt- fin-«n würbe, ob aller vier Jahre tm ganzen oder aller zwei Jahre zur Hälfte, das würbe sich ziemlich gleich bleiben, denn vor allem würde, und daraus ist großer Wert zu legen, an den Wahlen stets das ganze Land, also all, 23 Kreise, beteiligt sein. Und leben, bewegen mutz fick das Volk, wenn ein gesunder Fortschritt vorhanden sein soll. Jn Sachen der Wahlrechtsreform hat ein Bor. standSmttglted des Dresdener National, liberalen Beretn» unterm 24. Juli an den Lande-veretn -er Nattonalliberalen Partei für das Königreich Sachsen, Sitz Leipzig, ein Schreiben gerichtet, in dem eS heißt: „Die heutige Nummer deS Leipziger Tageblattes" enthält einen E. H. gezeichneten Aufsatz zur Wahlrechts reform. Jn diesem Aufsätze wird etn Wahlrecht nach Beruf» ständen gefordert und unter Gruppe II werden die Selbständigen in Berg- und Hüttenbau, Bau wesen, Industrie und Handel zusammengesastt. Aus dem Aufsatz geht hervor, daß Herr E. H. auch die «Hand werker" zu dieser Gruppe rechnet, obwohl dieselben weder zum Handel, noch zur Industrie gehören. Herr S. H. will die Möglichkeit geben, daß in dieser Gruppe sowohl Anhänger der Mittclstandspolittk, wie auch Anhänger der liberalen Wirtschaftsanschauung gewählt werden können. Da jedoch die Handwerker und die mit ihnen stets verbündeten Kleinhändler an Kopfzahl weit stärker sind, als die Industriellen und Grobkaufleute, so Ist es für die letzteren unmöglich, in dieser Klasse durch zukommen. Es ist überhaupt kein glücklicher Ge danke, Handwerker und Industrielle in eine Klasse zusammenznbringen, da dieselben viel- fach gegensätzliche Interessen haben (vergl. Kämpfe zwischen Handels- und Gewerbekammern). Der Bor schlag von E. H. würbe bewirken, dah in Gruppe II nur zünstlerische Handiverker und Kleinhändler, welche für die Besteuerung aller Grobunternehmungen schwär men, gewählt werden würden, während Industrie und Großhandel twvrunter ich die handelsgerichtlich einge tragenen Firmen verstehe) voraussichtlich leer ausgehen würden. Gerade die beiden letzteren Gruppen sind aber die besten Stützen gerade der nattonalliberalen Partei, während die Zünftler und Kleinhändler der glück- lich abgewirtschafteten Reformpartei zu neuem Leben verhelfen würden. Da der Vorlchlag von E. H. bei der am Sonntag stattfindenden Besprechung deS Landesver bandes voraussichtlich zur Besprechung kommen wird, io wollte ich nicht verfehlen, auf diese Bedenken ergebenst hinzuweisen, wie ich überhaupt nach der Stimmung der mir bekannten nationalliberalen Kreise glaube sagen zu dürfen, daß die Forderung eine» solchen Berufs parlamente S eine sehr wenig populäre Wahlparole bilden würde und vor allem aus dem Grunde schweren Bedenken begegnet, weil damit ein Parlament von „Jnteressenvertretern" an Stelle eines solchen von Vertretern des ganzen Volkes gewählt werden würde." Deutsches Reich. /-.Berlin, 25. Juli. (Zur Kritik der Ent artungstheorie.) Im neuesten Hefte der „Zeit schrift für Sozialwissenschaft" beendet der Bonner Hygieniker Professor vr. Kruse seine Untersuchung über die E n ta r tu n g s t h e o r i e. Hat Kruse bisher gezeigt, daß die Lterblichfeitsstatistik gegen eine angeblich be stehende Entartung spricht, so zieht er jetzt die Er krank n n g s st a t i st c k zum Nachweise des Gegenteils heran. Und zwar fußt er auf der Erkrankungsstatistik des preußisch - deutsches Heeres in der Zeit von 1868 bis 1898. Bekanntlich sind in diesem Zeiträume die Anforderungen an die körperliche Vollkommenheit der Rekruten, zum mindesten was die Kürvergröße anlangt, herabgesetzt worden, da man jetzt 50—55 Prozent der Stellungspflichtiaen in das Heer einreiht gegen 40—44 Prozent der früheren Zeit. Di« Ansprüche im Dienst sind dabei nicht geringer als früher, konnten es auch durch die Einführung der zweijährigen Dienstzeit nicht werden. Letztere wiederum erhöht den Prozentsatz der im ersten Dienstjahre stehenden Soldaten, vermehrt also das Risiko des Erkrankens. Endlich ist die ärztliche Untersuchung der Soldaten sorgfältiger geworden. Das alles sind Momente, welche die Krankheitsstatistik ungünstig hätten betnslussen sollen. Das Gegenteil aber ist «ingetreten: für weitaus die meisten Krankheiten ist eine Verminderung festzu stellen. Kruse schließt hieraus, daß nicht nur die hygieni schen Einrichtungen des Heeres große Fortschritte gemacht haben, sondern daß auch das Menschenmatcrial wider standsfähiger, d. h. freier von Kehlern, geworben ist. Hand in Hand mit der Senkung der Krankenziffcrn geht allerdings eine Zunahme der Entlassungen wegen Dienst unbrauchbarkeit und Invalidität um etwa 10 pro Mille. Das bedeutet, daß man im letzten Jahrzehnt dazu über gegangen ist, eine Reihe von Leuten, die man früher noch bei der Fahne gehalten hätte, die aber damals meist den Lazaretten zur Last gefallen wären, vor der Zeit zu ent lassen. Wenn da- nicht geschehen wäre, würden die Krankenziffern allerdings etwas höher ausgefallen sein. Bringt man dafür auch einen noch so hohen Zuschlag in Rechnung, so bleibt der Geivinn an gesunden Soldaten, den das Heer gegen früher gemacht hat, nach Kruses An sicht immer „ganz gewaltig". Bet dieser Gelegenheit sei kurz deS Selbstmorde» in der Armee gedacht. Es kamen 1868/69 auf 1000 Mann 0,65 Selbstmorde, in den Jahren 188t—8k 0,64, in den Jahren 1886—90 0,53,' in den Jahren 1891—95 0,49, in den Jahren 1896— 98 0,39. Die Sclbstmordziffcr im Heere hat also regelmäßig ab genommen: das ist um so bemerkenswerter, als die Selbstmordziffer in der Gciamtbcvölkerung nicht gesunken, sondern, abgesehen von leichten Schwankungen, gleich hoch geblieben ist. — Der Eckstein der ganzen Entartungs theorie ist für viele, wie man weiß, die Annahme einer starken Ltcigernna der Nerven- und Geistes- krankheiten. Gewöhnlich beruft nran sich dabei auf das schnelle Wachstum der Anzahl von Irren, die in An stalten Aufnahme gefunden lmben. Diese Erscheinung be ruht aber auf der zunehmenden Ueberzeugung von der Notwendigkeit und Nützlichkeit der Anstaltspslege. So kam es, daß in der Zeit von 1871 bis 18Sö die Zahl der in den Irrenanstalten Verwahrten um 150 Prozent stieg, während die Zahl aller Geisteskranken in Preußen in -em genannten Zeiträume nur um 16 Prozent zmvahm. Die „Nervosität" als Zettkrankbeit betrachtet Kruse nur al» «ine „KinderkrankheiN unserer Kultur. Der Kulturmensch
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