01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020823019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-23
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Die zarische Diplomatie spielt heute in Peking und in Söul nicht mehr die erste und ausschlaggebende Rolle und sicht sich vielfach zur Abwehr gedrängt. Die Freund schaft mit Frankreich und die Ausdehnung des Abkom mens auf die Zustände in Ostasien haben an dieser That- fache nichts ändern können. Rußland erlebt in China und Korea mancherlei Widerwärtigkeiten, die cs ohne Weiteres nicht überwinden kann und die ihm auch für die fernere Zukunft ernste Sorgen bereiten müssen. In China schwebt der Eisenbahnvertrag mit Großbritannien als drohendes Gespenst in der Luft, und in Korea sollen die Engländer und Japaner eine wichtige Vereinbarung zu Stande gebracht haben, die die ganze Lage am Gelben und Japanischen Meere verschieben könnte. Vor Kurzem brachten Söuler Blätter die auffallende Nachricht, daß England, Japan und Korea ein Vündniß geschlossen hätten, nach welchem das letztere sich ver pflichtet, den Rath der beiden Inselstaaten in allen Fragen der auswärtigen und inneren Politik zu hören. Die letzteren wieder wollen dafür die Unabhängigkeit Koreas schützen, vorausgesetzt, daß dieses seine Streitkräfte zu Wasser und zu Lande entsprechend vermehrt. Korea soll ferner Ausländer nichl in seine Dienste nehmen und, sollte cs einer Anleihe bedürfen, allein die Märkte Eng lands, Japans und Amerikas in Anspruch nehmen. So weit geht die Meldung der Zeitungen in Söul. Ob An deres noch vereinbart ist, entzieht sich vorläufig noch der Kenntniß. In London hat man sich veranlaßt gesehen» die Meldung als unwahr zu erklären und jede Verein barung im angegebenen Sinne als auf Erfindung be ruhend hinzustellen. Wir können heute nicht bestimmen, ob diese Ableugnung wirklich begründet ist,- jedenfalls aber läßt man in Peters burg den Widerruf nicht gelten und mißt der Angelegen- heit eine ernste Bedeutung zu. Das Mißtrauen und die Erregung am Gestade der Newa ist erklärlich, denn die Spitze des Abkommens richtet sich dircct gegen das Zaren reich. Bewahrheiten sich die Bestimrnungen der Ab machung, so sieht man in Petersburg seine mühevoll und emsig betriebene Arbeit. Korea in Abhängigkeit vom Zaren zu bringen, zunächst gescheitert. Alle Aufwen dungen, die man seiner Zeit gemacht, die russischen In- structcure für die koreanisch: Armee, die 12 Millionen Dollars für den koreanischen Staatsschatz, der Schutz deS Kaisers gegen fanatische Japaner und noch manches An dere hätten am Ende nichts genützt. Soll Korea in Zu kunft England und den Mikado in allen Dingen um ihren Rath fragen, so bleibt für Rußland nichts mehr übrig. Da- Nachlassen des Einflusses der zarischen Diplo- maten am Söuler Hofe trat bereits vor Monaten zu Tage, als Rußland die Anlage einer Tclegraphcnlinie von Korea nach der Mandschurei über Witsju forderte. Dieser Wunsch fand nicht das Entgegenkommen in Söul, auf welches man in Petersburg gerechnet hat, sondern be gegnete entschiedenem Widerspruch. Angeblich sollte China die Entscheidung treffen, aber letzteres verweigerte direct seine Zustimmung, weil der Vertrag über die Mandschurei nichts über derartige Anlagen enthielt. Später ist noch bekannt geworden, daß die Koreaner die von Rußland schon aufgestellten Telegraphenstangen ge waltsam haben entfernen lassen, wobei verschiedenes, dem Zarenreiche gehöriges Material zerstört worden s.'i. Alle Einwendungen von russischer Seite hatten nichts gefruch tet, selbst nicht die Drohung, man werde dieses Ver halten als einen Act der Feindseligkeit betrachten. Die Sorge für das Zarenreich ist in der Gegenwart um so größer, als Japan und England inzwischen auch nach anderer Seite eine rege Thätigkeit entfaltet haben. Englische Geschütze sind in Söul angekommcn, und englische Instrukteure werden in Korea erwartet, um die dortigen Artilleristen zu unterweisen. Tie Japaner wiederum wandern in ständig wachsender Anzahl ins Kaiserreich ein und bilden schon jetzt einen vemerkenswerthen Proccnt- satz der Bevölkerung in mehreren Städten. So sind sie in Fusan von 6094 im Jahre IM auf 7014 im Jahre 1901 gestiegen. In Tschcmulpo lebten im Januar 1901 nur 413 Japaner, jetzt sind es schon 4028, und sie besitzen 1004 Säufer in der Stabt. Wetter ist zu erwähnen, daß 650 Japaner Concessionen zum Fischfang in koreanischen Gc- wässern erhalten haben, die sie natürlich nach Möglichkeit ausnutzen. Besonders bedenklich erscheint es den Russen, daß die Japaner in erster Linie das südliche Korea mit ihren Actionen bedenken und -ort wirthschaftliche und topo graphische Untersuchungen anstellen; sie bereiten dort augenscheinlich Alles zu einer dauernden Festsetzung vor. Den Süden der Halbinsel hat aber Rußland ebenfalls ganz besonders im Auge, weil dort bekanntlich der Stütz- vunct liegt, -en es sich r»ir seine Kriegsflotte ausersehen hatte. Der Kriegshafen von Masampo sollte dem Zaren reiche die Möglichkeit bieten, die Herrschaft über die Straße von Korea und damit über das Gelbe und Japa nische Meer zu gewinnen. Dieser Plan wird jetzt wohl hinausgeschoben werden müssen. Man fürchtet aber weiter an der Newa, es könnren die Engländer und Ja paner ihren gegenwärtigen Einfluß anweuden, um eben falls einen Ort in Südkorea zu erwerben, der als Anker platz der beiderseitigen Flotten die Stellung der Inselstaaten im Osten Asiens aufs Nach drücklichste festigen würde. Dem steht aller dings die Verpflichtung Koreas, die Insel Kojedo oder die gegenüberliegende Küste bis Tschcmulpo fremden Staaten oder Privatpersonen nicht zu überlassen oder zu verpachten, direct entgegen. Aber Handelsniederlassungen sind nicht verboten, und haben die Engländer im Süden der Halbinsel oder auf Kojedo erst etwas Derartiges ge gründet, so wird cS ihnen kaum schwer fallen, daraus einen militärischen Stützpunkt zu schaffen, um die „Rechte der eigenen Staatsbürger" zu schützen. Wir sehen mithin, daß die Lage in Korea den russischen Staatsmännern zu denken geben muß. Auch wenn sich nur ein Theil der Meldung von der oben erwähnten Ver ständigung bestätigt, so ist cs immer noch genügend, um den Rückgang des zarischen Ansehens klar erscheinen zu lassen. Man wird aber in Petersburg die Sache dabei nicht bewenden lassen. Der Krieg freilich muß als aus geschlossen gelten, doch dürfte das Geschick der russischen Diplomatie durch friedliche Mittel ebenfalls zum Ziele kommen. Die ostasiatischen Dinge werden uns noch manche Ucbcrraschungen bringen. Deutsches Reich. H) Berlin, 22. August. (Die Zunahme der Strafsachen.) Während man in den letzten Jahren eine sehr erfreuliche Abnahme der Strafsachen consratiren konnte, hat das Jahr 1901 in Preußen — und im Reiche wird es kaum anders sein — eine nicht unerhebliche Ver mehrung der Strafsachen gebracht, und zwar sowohl der schöffengerichtlichcn, aks auch der schwurgerichtlichcn, wie endlich der vor die Strafkammer gehörenden Dclicte. Das einzige Erfreuliche ist dabei, daß die stärkste Steigerung die vergleichsweise harmlosesten Delikte be trifft, nämlich die Uebertrctungen und die Forstdiebstahls sachen. Die Anklagesachen wegen Uebertrctungen weisen die starke Zunahme von mehr als 16 Proc. auf, die Strafbefehle in Forstdiebstahlssachen sogar eine Zunahme von über 20 Proc. Demgegenüber ist die Steigerung der von den Schöffengerichten zu behandelnden Anklage sachen wegen Vergehen eine schon erheblich geringere; sie sind nämlich von 216 500 auf 229 800 gestiegen, also um ungefähr 6 Proc. Von den Schwurgerichten wurden ver- nrthcilt 2917 Personen gegen 2826 im Vorjahre, was ein Mehr von etwas über 3 Proc. ausmacht; von den Straf kammern wurden in erster Instanz 74 113 gegen 70 506 Personen verurtheilt, was einer Zunahme von etwas über 5 Proc. entspricht. Wir sehen also, daß, je schwerer das Delict wird, desto geringer die Zunahme ist, denn der Steigerung von 16 bezw. 20 Proc. bei den Ueber- trctungen und Forstdiebstählen steht eine Steigerung von nur 5 bezw. 3 Proc. bei den landgerichtlichen Strafsachen (Strafkannncrsachen und Schwurgerichtssachen) gegenüber. /?. Berlin, 22. August. (Bc amten thum und Pole n.) DieGönncrdcrPolcn imklcrikalcnund im social demokratischen Lager suchen die gelegentlich der Erörterung des Falles Löhning wiederholte Mittheilung, daß die Beamten im Osten Extrazulagen erhalten sollen, in dem Sinne umzudcuten, daß die Beamten, je rücksichts loser und ungerechter sic gegen die Polen Vorgehen, desto mehr bevorzugt werden sollen. So spricht die „Gcrurania" — und die radicale Presse druckt dies mit Behagen ab — von Beamten, die selbst vor Gewalt maßregeln nicht zurückschrccken würden, um sich beliebt zu machen, und sie steigert sich sogar bis zu dem schönen Ausdrucke „M ordpolitik". Dazu ist zunächst zu vemeüken, daß die Frage der Extrazulagen für Beamte in der Ostmark schon längst erörtert worben ist, bevor der Fall Löhning bekannt wurde; der Reichskanzler hat im preußischen Ab geordnetenhaus«! angedeutet, daß man zu diesem Mittel, brauchbare Beamte in der Ostmark heranzuztehcn, greifen würde, und der Herzog Ernst Günther von Schleswig- Holstein, der Bruder der Kaiserin, hat dasselbe Mittel im Herrcnhause empfohlen. Man wird wohl diesen beiden Persönlichkeiten kaum zutrauen können, daß sie damit einer Politik der gewaltsamen und ungerechten Behandlung der Polen durch die Beamten das Wort reden wollten. Was man aber allerdings, und zwar gerade anläßlich des Falles Löhning, verlangen muß, ist, daß die Beamten in der Ost mark den Standpunct der Regierung in der Polenfrage einnehmen. Es ist auch ganz verkehrt, wenn die klerikale Presse darauf verweist, daß ja auch Beamte „Canalrebellen", gewesen seien. Diese Beamten sollten ja doch nicht den Canal bauen, während die Beamten in der Provinz Posen die Polenpolitik praktisch durchführen sollen. Die Rcgie- rungöräthe und Steuerdirectoren in Magdeburg, Cassel oder Codleu, können ruhig „Polenrebeüen" sein, in Posen und Marienwerder aber dürfen sie es nicht sein. Im Ucbrigcn sollen die Beamten in der Ostmark sich gewiß jeder unfreundlichen Haltung gegen die Polen — wofern sie nicht durch polnische Excesse dazu gezwungen werden — enthalten, aber sie sollen sich ebenso der gesellschaft lichen Annäherung an die Polen enthalten. DaS ist bisher durchaus nicht immer der Fall gewesen, und katholische und selbstverständlich noch mehr polnische Amts richter haben beispielsweise ruhig Jagdeinladungen von Personen angenommen, die als schärfste Gegner der Ger- manisirungspolitik bekannt waren. Das finden wir aller dings für einen Beamten in der Ostmark nicht gehörig, aber man wird wohl kaum in dem Wunsche gesellschaftlicher Zurückhaltung eine „Mordpolitik" erblicken können. /X Berlin, 22. August. (Umschwung in der Be nützung von Wasserkräften.) Noch vor vierzig Jahren wurden in Deutschland Wasserkräfte auch an den Stellen gesucht und ausgenützt, die weniger gute Zufuhr wege hatten, und es kam vor, daß die rohen Wasserkräfte ohne Grund und Boden, Gebäude und Triebwerke pro Pferdekraft mit 4000 bezahlt wurden. Nach der besseren Bekanntschaft mit der Dampskraft stellte sich bald heraus, daß diese an Stellen mit Eisenbahn- und Schisi- sahrtsverbindungen viel billiger war, als die Kosten des Transports des Rohmaterials nach den Wasserkräften und der fertigen Fabrikate von den ersteren nach den Schiff fahrts- oder Bahnverbindungen. Das hatte zur natür lichen Folge, daß an guten Vcrkchrsstraßen Werke mit Dampfkraft angelegt wurden, die sich entwickelten und den Werken mit Wasserkraft an schlechten Verkehrswegen eine Concurrenz machten, welche die Besitzer der Wasserkräfte nöthigte, diese aufzugeben und ihre Scholle zu verlassen. Zum Beweise hierfür können die Verhältnisse im Bode- thalc dienen: in Treseburg waren einst Pulverfabriken, Schmelzöfen, Achsenschmicden und Hvlzstvfffabrtken, in Altenbrak und Ludwigshüttc die herzoglich braunschwci- F-iiilletsit. Falsches Tempo. Eine hygieinische Betrachtung von vr. msck. Max Tieger. Nachdruck virbotcn. Es ist weder ein Jrrthum, noch ein Druckfehler, lieber Las falsche Tempo soll im Folgenden keine musikalische, sondern eine hygieinische Betrachtung angcstcllt werden. Denn es giebt in der That eine ganze Reihe von Fällen, in denen durch ein falsches Tempo bestimmter Functionen Lein Körper Schädigungen zugcsügt werden können, resp. Fälle, in denen man durch Innehaltung eines richtigen Tempos sich vor Schaden hüten kann. Dazu kommt, daß das richtige Tempo in diesen Fällen nicht nur das ge sündere, sondern auch sonst das zweckmäßigere darstellt. Die Italiener haben ein recht bekanntes Sprichwort, das zumeist in der Form citirt wird: (Zue va piano, v» sano; eigentlich heißt cs zunächst noch tn dem Sprichwort: va lonlauo. Wer langsam geht, kommt weit und bleibt gesund. Ja, daS ist die ganze Weisheit, die man nament lich auf Bergtouren unzählige Male beobachten kann. Es war erst in diesem Sommer, daß mir bei einer heißen Ge- birgstonr ein Ortsbewohner — ich glaube, es war der Herr Cantor — auf meine Frage, wie lange ich bis zu einem bestimmten Gipfel noch zu gehen habe, antwortete: „Wenn Sie rasch gehen, etwa vier Stunden, wenn Sie langsam gehen, können Sie es in reichlich drei Stunden abmachen." — Das klingt zunächst paradox. Aber man achte nur einmal darauf, mit welch' unfehlbarer Sicher heit Leute mit einem ganz ruhigen, gleichmäßigen Schritte, wie ihn etwa Gebirgsbriefträgcr oder andere Leute, die sehr ost den gleichen Weg gehen, am Leibe haben, alle an deren Parteien, die desselben Weges ziehen, überholen. Denn fast alle ungeübten Touristen verfallen in denselben Fehler. Ich will hier gar nicht von den zahlreichen Thoren reden, die durch die Natur hindurch rasen und den Gipfel des Vergnügens erst dann erklommen haben, wenn sie laut rühmend verkünden können, daß sic einen Weg ein oder zwei Stunden rascher znrückgelcgt haben, als das Reisehandbuch angiebt. Ich habe dabei Diejenigen im Auge, die in ganz ehrlicher Naturbegeisterung nur mög lichst viel sehen und nur möglichst schnell das Ziel, das ja meistens nicht nur räumlich den Höhepunkt darstcllt, er reichen wollen. Sehen wir uns einmal den Verlauf einer solchen Tour an; natürlich ist nur von einigermaßen anstrengenden die Rede, denn den Kreuzberg in Berlin kann man auch im falschen Tempo beruhigt erklimmen. Aber Touren, wie sic, von den Alpen ganz abgesehen, fast jede Wan derung im Schwarzwald, Harz, Riescngebirge n. s. >v. mit sich bringt. So lange der Weg in der Ebene geht, wird dahingestürmt, der Kilometer tn zehn Minuten, denn man glaubt zu wissen, -aß man dieses Tempo sonst rech: lange ziemlich mühelos verträgt. Man übersieht nur, daß es gilt, Kräfte für größere Anstrengungen zu sparen, daß es wünschenSwerth ist, völlig, nicht blos leidlich frisch zu sein, wenn die eigentlichen Anstrengungen beginnen. Dazu kommt, daß ein langsames, ruhiges und gleichmäßiges Gehen immer wieder eine Art Trainirung für die spätere Anstrengung darstellen würde. Beginnt dann der Weg steiler zu werden, so versucht man thürichter Weise, zunächst noch möglichst dasselbe schnelle Tempo inne zu halten. Ja, wenn man schon zu merken anfängt, daß das Herz allzu heftig klopft, der Athem mühsam wird und der Schweiß in kleinen Bächen zu rinnen beginnt, tröstet man sich mit der Erwägung, daß man -och immerhin einen schönen Vorsprung und eine Menge Zeit gewonnen hat und nach einer kleinen Erholungspause ja getrost entweder lang samer, oder, wenn cs geht, wieder rasch weiter gehen kann. Man unterschützt dabei aber nnr zu leicht den Grad der Anstrengung, resp. Ueberanstrengung, die man spccicll der Herzmuskulatur zugemuthet hat. Der normale Puls hat etwa 72 Schläge in der Minute; und nun zähle man einmal seinen Pulsschlag, wenn man auch nur 10 oder 15 Minuten in schnellem Tempo bergan gegangen ist, man wird 120, ja vielleicht 150 Schläge zählen. Und wenn sich das Herz nach einigen Minuten völliger Ruhe wieder an nähernd der normalen Zahl nähert, so wirkt die Ueber anstrengung doch noch eine ganze Zeit lang nach, und selbst unbedeutende Anstrengungen, wie sie selbst das langsamste Bergsteigen mit sich bringt, lassen die Zahl bald wieder in die Höhe schwellen, so daß die Ruhepausen immer häufiger nöthig werden. Ist man daun endlich mit Weh und Ach auf dem Gipfel angekommen, so ist man natürlich viel zu ermattet und abgespannt, als daß man das Vergnügen, auf das man sich vielleicht schon monatelang gefreut, voll auskostcn könnte. Je nach dem Grade der Unvernunft, den man bet der Wahl deS Tempos bewiesen, wird sich dieses Bild verändern; sind -och, von tüütltchen Herz schlägen ganz abgesehen, bleibende schwere Hcrzaffcctionen die Folgen zu schnellen Tempos gewesen. Alles dies kann man vermeiden, wenn man stcts des Spruches gedenkt, daß man beim Langsamgehen weit kommt und gesund bleibt. — Ucbrigens sei ermähnt, daß auch ein zu lang sames Tempo, namentlich auch ein Tempo, bei dem immer nach ein paar Tactcn eine große Pause kommt, irratioucll sein kann, wenn es auch freilich nie gesundheitsgcführlich werden kann. Aber Leute, die immer nur ein paar Schritte gehen und dann sich womöglich zur Erholung hin setzen, pflegen die Anstrengungen eines Marsches auch nicht gut zu überwind»«, da sie leicht, wie man cs vulgär ausdrückt, steif tn den Gelenken werden. Wer ganz ruhig, wie die Gebirgsbewohner selbst, fortgeht, wird zuerst auf dem Gipfel ankommen, denn er wird die allzu Stürmischen, wie die allzu Phlegmatischen überholen. Schließlich gehört ja die ganze Touristik nur zu den Ausnahmezuständen. Aber es giebt Zustände, in denen das falsche Tempo, dauernd angewandt, zu Unzu träglichkeiten führt. Man kann den Großstädter von dem Kleinstädter sofort überall dadurch unterscheiden, daß der Großstädter ein ganz anderes Tempo beim Gehen hat. In den kleinen Städten spielen die Entfernungen keine Rolle; in den großen aber, wo in viel höherem Maße Zeit Geld ist, lernt man von früh auf durch schnelles Gehen, wo man nicht fahren kann, möglichst rasch ans Ziel zu kommen. Dieses schnelle Gehen auf den menschen überfüllten und wagendurchsausten Straßen, dieses fort währende Ausweichen, Ucberholen, dieses Aufmerken müssen auf die rastlose Umgebung ist aber nicht zum ge ringsten Thcilc, vielleicht ebensoviel wie das Grvßstadt- geräusch, Schuld au der zunehmenden Nervosität dec Groß städter. Das ist ein Uebelstanü, den man freilich schwer beseitigen kann; denn weil eben Zeit fast für Jeden Geld ist, so ist nicht zu verlangen, daß Jemand auf Umwegen durch menschenleere Seitenstraßen seinem Ziele zustrebt; und selbst Derjenige, dessen Zeit nicht kostbar ist, wird einfach von dem Galopptcmpv dcr klebrigen immer wieder mit fortgerissen. Zu den am Weitesten verbreiteten hygieinischcn Tempo sünden gehört auch das allzu hastige Essen. Man er zählt von Gladstone, daß er jeden Bissen zweiunddrcißig Mal gekaut habe; offenbar ging er dabei von dem Ge danken aus, daß auf jeden Zahn im Munde eine Kau bewegung kommen müsse. Obwohl dabei berücksichtigt werden müßte, daß gerade Diejenigen, die sich noch eines tadellosen, Alles zermalmenden Gebisses von 32 Zähnen erfreuen, weniger oft zu kauen brauchen, als Leute mit Zahnstummeln und Lücken. Das hastige Herunter schlingen kaum gekauter Bissen sieht aber nicht nur un appetitlich aus, es ist auch hygicinisch durchaus zu ver werfen. Für unsere Verdauung ist eine rein mechanische, gründliche Zerkleinerung der Nahrungsmittel, besonders von Fleisch n. s. w., absolut nothwendig. Erfolgt diese Zerkleinerung nicht oder nur ungenügend, so bleiben die Speisen nicht nur länger als wünschenswerth im Magen und führen dort zu allerhand Unzutrüglichkciten, von dem nur lästigen Gefühl der Magenüberfüllung bis zu den schon nicht mehr harmlosen chronischen Mageukatarrhcn und Magencrweitcruugen, sondern es findet auch ganz naturgemäß keine genügende Ausnützung der in den Speisen vorhandenen Nährstosse durch die Nerüauungs- säste im Magen und Darm statt. Bei den Amerikanern, bei denen die Zeit so sehr Geld ist, daß sie nicht nur beim Gehen, sondern auch beim Essen sparen, hat dieses irraiivucllc Schncllcsscn wohl die höchste Stufe erreicht. Man kann aber auch sehen, das« der Durchschnitts amerikaner zumeist alles Andere eher als wohlgenährt aussicht; und die Zahl dcr durch das hastige Esten er zeugten Krankheiten ist auch keineswegs gering. Auch die Erscheinung, daß die Amerikaner sehr starke Ester sind, erklärt sich daraus, daß sie eben ihrem Körper mehr Nahrungsmittel zuführen, als ein normaler Esser, dcr jeden Bissen in der Verdauung voll ausnützt. Natürlich giebt es eine ganze Menge Leute, die mit so vorzüglicher Verdauung gesegnet sind, daß sic dieses schnelle Essen jahr zehntelang, ja vielleicht bis ans Lebensettde ungestraft und ohne irgend welche Beschwerden fortführen können. Aber im Allgemeinen dürfte sich das falsche Tempo im Essen früher oder später rächen. Was dem Essen recht ist, ist dem Trinken billig; auch hier wird nicht nur in dcr Quantität, sondern im Tempo gesündigt. Tab das Trinken den Zweck hat, den Durst zu lösche«, ist zwar eine unbestreitbare Thatsache, aber dieser höchst simple Zweck wird nur zu häufig als völlige Nebensache behandelt. Man wird den Durst viel sicherer löschen, wenn man langsam in kleinen Zügen und womöglich in mehreren kleinen Absätzen trinkt, als wenn man plötzlich eine Magcnüberschwemmung vor nimmt. Wenn dem Magen, wie man dies beispielsweise in München unablässig, in studentischen Corporation«:», zum Mindesten an den Hauptkncipabendcn, häufig genug beobachten kann, zugemuthet wird, in einer stunde zwei, drei Liter Bier und mehr aufzunchmcn, so kann selbst dcr Laie ermessen, daß dies kein Magen auf die Dauer aus hält, von der Schädigung durch den Alkohol ganz zu schweigen. Eine besondere Gefahr, den Körper durch ein zu hastiges Tempo im Trinken zu gefährden, liegt dann vor, wenn dcr Körper stark erhitzt ist. Diese Vor bedingung tritt selbstverständlich ziemlich oft ein, da ja gerade der stark erhitzte Mensch am leichtesten geneigt sein wird, sich schnell durch einen Trunk die nöthige Abkühlung zu verschaffen und zugleich den Dur-st zu löschen. Da man nun für diesen Doppclzweck im Allgemeinen die sehr kühlen Getränke bevorzugt, so liegt die Gefahr vor, daß die plötzliche innerliche Abkühlung des erhitzten Orga nismus ebenso schädlich wirkt, wir die plötzliche äußere Abkühlung, wenn ein sehr erhitzter Mensch unvorsichtisscr Weise ins kalte Bad springt. Hundert Mal wird dieicS Erperiment ohne Wirkung vorübergehen, das hundert und erste Mal wird cs zur Katastrophe führen. Die Beispiele für Gcsundheitsschädigungen durch falsches Tempo ließen sich erheblich vermehren; so sei nur daran erinnert, wie sehr Luftröhre und Lunge durch hastiges Rauchen angegriffen werden. Das größte Capitcl aber würden die Gefahren einnehmen, die durch über triebene sportliche Hebungen und Ausbildung herbei geführt werden. Es giebt ja merkwürdiger Weise noch immer Leute, die den Sport für gleichwerthig mit Turnen und ähnlichen Leibesübungen balten. Aber während das Turnen eine Kräftigung des Organismus mit sich bringt, birgt jede sportliche Bethätigiinq durch das Bestreben zur denkbar höchsten Leistung, zur Ucberlegenhcit über Gegner zu kommen, die Gefahr der ttebcranckrengnng in sich. Doch dieses Capitel ist zu umfangreich, als daß es noch in den Bereich dieser Betrachtung gezogen werden könnte.
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