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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020822023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-22
- Monat1902-08
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Das Blatt schreibt: „Wie Graf Bülow darüber denkt, daS hat er seiner Zeit im Reichstage verrathcn, als er erklärte, datz er nach der Reichs verfassung die Verantwortung für die Anordnungen und Ver fügungen des Kaisers trage, nicht aber für Reden, datz er aber die volle moralische Verantwortung übernehme auch für die Reden des Kaisers, welche von der großen Mehrheit des Volkes nicht mißverstanden werden. Das war diplomatisch fein auS- gedrückt, ließ aber deutlich erkennen, daß der Reichskanzler durchaus nicht mit dem Wortlaut aller rednerischen, und man darf wohl auch sagen aller sonstigen Kundgebungen des Kaisers einverstanden ist und datz er die eine oder andere von ihnen, ebenso wie unverbürgte Mittheilungen über Meinungsäuße rungen des Kaisers durch ein kategorisches Dementi im „Reichs anzeiger" aus der Welt hätte schaffen mögen. Das geht nun freilich bei Reden, die vor einer großen Corona gehalten werden, und bei Telegrammen, die durch das osficiös.? Telegraphen bureau noch dazu erst bekannt gegeben werden, nicht an. Der Reichskanzler hat sich mit ihnen ebenso abzufinden, wie die öffentliche Meinung, und cs ist seine Sache, wie der Monarch sich wiederum mit ihm abfindet, wenn etwa durch eine redne rische Kundgebung des Kaisers, sei es mit oder ohne Wissen des Kanzlers, auch gesetzgeberische Maßnahmen oder Forderungen angekündigt werden, die an die Zustimmung der Volksvertretung gebunden sind und von ihr abgclehnt werden. Ein er wünschter Zustand ist das nicht und auf liberaler Seite hat man cs immer mit dem Fürsten Bismarck ge halten, der im Interesse des monarchischen StaatsgcdankenS nickt wünschte, das; der Kaiser und König ohne ministerielle Be kleidung vor die Ocffentlichkcit trete. Fürst Bismarck selber ist der Erste gewesen, der die Wahrnehmung gemacht hat, das; Wilhelm ll. darüber anders denkt und sein eigener Kanzler sein will. Kaiser Wilhelm nimmt für sich das Recht in Anspruch, seine Meinung jederzeit und jcdenorts frank und frei zu sagen, unbekümmert, ob er sich dadurch in Widerspruch mit der Tra dition setzt und durch seine Worte hier und da Anstoß erregt. Im Laufe seiner vierzehnjährigen Regierungszeit hat Kaiser Wilhelm oft genug Gelegenheit gehabt, zu sehen, welches Echo seine Kundgebungen in der Nation und über die Grenzen des Vaterlandes hinaus gefunden haben. D a s E ch o w a r n i ch t i m m e r e r f r c u l t ch, im Gegrnthcil, und er weiß das auch, denn nichts ist thörichter, als die Behauptung, daß die Auszüge aus dec Presse, welche dem Kaiser vorgelegt werden, aä usum ckelplnni zngeschnitten seien. Der Kaiser weiß ganz genau, was man über ibn denkt, und spcciell, welche Aufnahme seine mar kantesten Kundgebungen gefunden haben. Die Kststtik ist mit unter recht böse ausgefallen, aber sie bat den Kaiser nicht ver anlaßt, zur Tradition des von ihm so Hochverehrten Großvaters zurüctzukehrcn. Ter Kaiser bindet sich nicht an die herrschenden eonstitutionellen Begriffe und wird sich durch keinen Minister, heiße er wie er wolle, zu einer anderen Denkungsart bestimmen lassen . . . Wir bedauern cs gewiß, datzdie Zu - st ä n d c s i ch s o c n t w i ck e l t h a b e n und der Kaiser so oft in den politischen Tagesstreit gezogen wird. Das Ansehen der Krone kann zu leicht darunter leiden. Preußen-Deutschland ist ein constitutionclles Land, in dem Jeder im Rahmen der Gesetze sagen kann, was er will. Wenn der Monarch also an die Oeffcntlichkeit tritt, so weiß er auch, daß seine Worte zum Gegenstände der Kritik gemacht werden; er Weitz andeverseits, daß der Reichskanzler eine moralische Verantworrung für kaiser liche Kundgebungen nur so weit zu übernehmen geneigt ist, als sie von der großen Mehrheit des Volkes nicht mißverstanden werden. Kann der verantwortliche RcickSbeamte nicht verhin dern, daß eine rednerische oder telegraphische Kundgebung er folgt, so sollte er aber das Eine erreichen können, daß eine Veröffentlichung nicht ohne seine Kenntniß erfolgt. Das Telegramm des Kaisers an den Prinz-Regen ten ist ohne sein Wißen veröffentlicht worden. Wer cs dem Aelegraphenbureau übergeben hat, ist nicht bekannt; man hat neuerdings nur erfahren, daß man in München die Veröffent lichung nicht gewünscht har. Das „Wolfs'scbe Telegraphen bureau" steht in enger Verbindung mit dem Auswärtigen Amte und genießt Vorrang bei der Beförderung seiner Depeschen. Sollte es sich wirklich weigern, den: Auswärtigen Amre Kennt niß von wichtigen politischen Kundgebungen des Kaisers, die ihm aus der Umgebung des Kaisers zur Veröffentlichung zu gehen, Kenntniß zu geben, wenn der Reichskanzler einen dahin gehenden Wunsch ausspricht? Die Verantwortung für die aus einer solchen Anordnung sich er gebenden Folgen trüge, wie sichs gehört, der Reichskanzle r." Alles, was hier gesagt ist, wird sich Graf Bülow ohne Zweifel schon selbst gesagt haben. Datz er gerade jetzt weder Zeit noch Stimmung finden werde, in Nor derney in einem Strandkorbe zu träumen, haben wir schon dieser Tage nachzuweisen versucht. Und vielleicht kommt ihm beim Nachsinnen über die Mittel, durch die ein nicht nur für ihn selbst peinlicher Zustand geändert werden könnte, ein Gedanke, der dem Verfasser der Zu schrift nicht gekommen ist, obgleich er nicht eben fern liegt. Datz er selbst den Kaiser nicht zn einer „an deren Denkungsart" bewegen wird, weiß der jetzige Reichskanzler gut genug. Gerade jetzt aber liegt ein Fall vor, der noch andere, einflußreichere Factoreu be wegen sollte, diesen Einflntz geltend zu machen. Der Depcschenwechsel, der den Prtnz-Regenten Luitpold doch mindestens so nahe berührt, wie den Kaiser, ist gegen den Wunsch des Ersteren veröffentlicht worden. Hiergegen vorstellig zu werden, ist also auch eher Sache des Prinz- Regenten, als des Kanzlers. Und wenn der Prinz- Regent die Anregung zu einer gemeinsamen ver traulichen Vorstellung aller deutschen B u n d e s f ü r st e n beim Kaiser gäbe, datz die Ver öffentlichung solcher, möglicher Weise in die inneren Ver hältnisse der Einzelstaatcn tief eingreifenden Privatkund- gebungen künftig nur nach getroffener Vereinbarung er folgen möchte — wenn, sagen wir, der Prinz-Regent eine solche gemeinsame vertrauliche Vorstellung an regte, so würde er schwerlich auf Abneigung stoßen. Und daß eine derartige Vorstellung nicht ohne die ge wünschten Folgen bleiben würde, ist zweifellos. Dein Kaiser liegt ja nichts ferner, als die Ab sicht, seinen hohen Verbündeten Schwierigkeiten zu bereiten, und wenn ihm von ihrer Seite ein vertraulicher Wunsch ausgesprochen wird, durch dessen Erfüllung unbeabsichtigte Schwierigkeiten ver mieden werden können, io wird es auch an der Erfüllung nicht fehlen. Und diese würde dann vielleicht eine für die Stellung des verantwortlichen Reichskanzlers nicht ungünstige weitere Folge haben. Letzterer allein ist ohnmächtig, und wenn ihm ni.ht von einer Seite, die mit ihm interessirt ist und den nöthigcn Einfluß besitzt, Unter stützung zn Theil wird, so darf man sich auch nicht darüber wundern, wenn Alles beim Alten bleibt. Wenn man wissen will, welche Melodien auf dem I Mannheimer Katholikentage erklingen werden, so braucht man nur die Eentrumspresse in diesen Tagen durch- zusehcn. Das Abendblatt der „Köln. Volksztg." vom 20. d. M. bringt unter der schneidigen Ueberschrift: „So kann es nicht weitergchen" 2^ Spalten über den Fall Löhning, ^4 Spalten über das Kaisertele gram m und etwa eine halbe Spalte über den Triumph zug des Leutnants Hildebrandt; zu gleicher Zeit bringt datz bayerische führende Eentrnmsvrgan in ein und derselben Nummer einen Leitartikel über das Kaiser telegramm, ein Entrefilet über dasselbe Thema und je ein Entrefilet über den Fall Löhning und den Fall Hilde brandt. Das geht nun schon seit Tagen und Wochen so und wird bis zum Beginne des Katholikentages so fort gehen. Auf diesem wird dann die Druckerschwärze auf Papier durch das lebendige Wort ersetzt werden. In der Thal, so gut ist es dem Katholikentage noch nie geworden, wie diesmal. Ter Fall Löhning wird als Beweis des Ruins der vom Centrum stets bekämpften Polenpolitik angeführt werden, das Kaiscrtelegramm verschafft dem bayerischen Centrum die angenehme Nolle des Märtyrers und der Fall Hildebrandt bietet willkommenen Anlaß, die Ducllfragc anzuschneiden. Alle drei Fülle aber haben noch das für das Ecntrum hochwillkommene Moment ge meinsam, datz die Partei sich als Verfechterin de m o- kratischer Grundsätze aufspielen kann. Fall Löhning: Kampf gegen den Kastengeist; Kaisertelegramm: Wahrung der verfassungsmützigen Rechte der Volksver tretungen; Fall Hildebrandt: Kampf gegen mittelalterliche Gepflogenheiten und gegen die Verletzung der bürger lichen Empfindungen durch Osficicrc. In der That, auch der Gegner muß zugeben, daß dem Ccntrum aus gezeichnete Trümpfe in die Hand gefallen sind, nnd die Partei wird nicht verfehlen, sie auszuspielcn. Und mit dem Katholikentage ist es noch nicht einmal abgethan; dann kommen der Reichstag nnd der preußische Landtag dran. Die „Köln. Volksztg." bemerkt denn auch bereits zu der neulich gemeldeten Gegendemon stration einiger Bürger von Gumbinnen gegen den Triumphzug des Oberleutnants Hildebrandt: „Das war ein sehr harmloser Protest. Der Reichstag wird wohl die sehr ernste Sache etwas anders anfasse n." Datz natürlich auch die Telegramm- Affäre und der Fall Löhning, obwohl dieser eine rein preußische Angelegenheit ist, im Reichstage werden breit getreten werden, versteht sich ganz von selbst. Auch hier werden die Herren vom Ccntrum das demokratische Mäntelchen umnehmen und durch recht kräftige Rede wendungen den Beifall der äußersten Linken finden. So wird die durch die lex Heinze und die noch über die Regierungsvorlage hinausgehcnden Forderungen des Ecntrurns in der Zollfrage verloren gegangene Fühlung mit der Demokratie wieder hergcstellt, was insbesondere mit Rücksicht auf den nicht m ehr fernen Termi n der Neichstagswahlen eine sehr günstige Con- stellation für das Eentrum bedeutet. Die Herren haben also allen Grund, auf dem Katholikentage „alleweil fidel" zu sein. Für die nationalen Parteien aber er wächst aus all' diesen Geschehnissen die doppelte Pflicht, rechtzeitig nnd mit aller Kraft zu rüsten, nm das Eentrum nicht noch stärker werden zu lassen, als es schon i st. Es ist ein Jrrthum, die gegenwärtig in Tüdchina ihr Wesen treibenden Räuberbanden mit den im Stillen arbeitenden, aber viel gefährlicheren geheimen Ge sellschaften in Zusammenhang zu bringen. Die ersteren verfolgen keinerlei politische Ziele — die durch die Räuberbanden veranlaßten Unruhen sind also auch nicht, wie ost angenommen wird, antidynastischer Natur —, sondern sie wollen lediglich plündern. Anders die ge heimen Gesellschaften. Sie bilden zwei verschiedene Bünde: das „San-tien-hui", die sogenannte Triangelgesellschast, und das „Pai-Hai-Hui", die sogenannte Gesellschaft der Tischanbeter. Die Namen stehen mit den Bräuchen bei der Aufnahme neuer Mitglieder in Zusammenhang und haben an sich nichts zu bedeuten. Die Gesellschaften haben es thatsächlich auf eine Beseitigung derMandschn- dynastie abgesehen; es fehlt ihnen sogar nicht einmal an der Person eines Gegen kaisers, den sie im ge gebenen Augenblick auf den Schild heben werden. Wie groß die Zahl ihrer Anhänger ist, läßt sich schwer fest stellen; indessen unterliegt es keinem Zweifel, daß diese Bewegung im Wachsen begriffen ist. Andererseits aber läßt sich kein Schritt der geheimen Gesellschaften nach weisen, der einem offenen Aufruhr gleichkäme; noch viel weniger natürlich besteht zwischen ihnen und den Räuber banden irgend eilt Zusammenhang. Die Führer der ge heimen Gesellschaften sind fast ausschließlich Leute aus Canton. Sie ziehen im Lande umher und werben Mit glieder. Ihre Erfolge sind verhältnitzmätzig groß, weil die Bevölkerung einerseits unter den Räuberbanden viel zu leiden hat, andererseits von Seiten der Beamten, die ihnen außerordentlich schwer auf der Tasche liegen, keinen Schutz gegen jene erwarten kann. Unter diesen Umständen ver fehlt das Losungswort der geheimen Gesellschaften „Fort mit der Dynastie", seine Wirkung nicht. Daß den Beamten bekannt ist, daß ihnen von diesen geheimen Gesellschaften eines Tages große Gefahren drohen, unterliegt keinem Zweifel; ebenso wenig, daß sie dem Treiben dieser ihrer Widersacher sehr energisch zu Leibe gehen würden, wenn sie cs könnten. Das aber vermögen sie nicht, und zwar ausschließlich, weil ihnen die Hände durch die Räuber banden vollständig gebunden sind. Das erklärt ferner auch, datz die Mandarinen das Vorhandensein einer politischen Verschwörung den Centralbehörden in Peking gegenüber kurzweg in Abrede stellen und daß diese demgemäß anch ihrerseits wieder den Ernst der Lage leugnen. Deutsches Reich. Berlin, 21. August. (Der Reichszuschuß zur Invaliditäts- und Altersversiche- r u n g.) Wie aus dem letzten Kinalabschlusse der Reichö- hauptcassc hervorgeht, hat sich für das Etatsjahr 1901 bei den Ausgaben des Neichsamtes des Innern auf Grund des Jnvalidenvcrsichcrnngsgesetzcs eine Ersparnitz von 214 000 .// feststcllen lassen. Da bei dem Neichsamte des Innern solche Invalidcnvcrsicherungsausgaben, welche das Reich als Arbeitgeber zu bestreiten hat, nicht oder doch nur in ganz beschränktem Umfange vorkommen, so handelt cs sich hier nm eine Ersparnitz, die bei dem Reichszuschutz zur Invaliditäts- und Altersversicherung gemacht ist. In dem Etat für 1901 war dafür die Summe von 34 086 000 eingestellt. Die wirkliche Belastung des Reiches aus den Feuilleton. Das Fräulein von Laint-Sauveur. I7j Roman von Gröville. tü!a<btruck verboten). „Papa", erwiderte sie sanft und fast dcmüthig und in einem Tone, den der Marquis noch niemals von ihr ver nommen, „ich glaube, -atz ich Luftveränderung nöthig habe/' „Das ist möglich", meinte er ein wenig erstaunt. „Wohin willst Du gehen- Nach Nizza vielleicht?" „Nein, nein, nicht nach Nizza", versetzte Antoinette instinktiv znrückwcichend. „Weder nach Nizza, noch nach Monte Carlo, noch nach Cannes. Ich will nirgends sein, wo man Menschen vor sich sieht. Du wirft schon einen kleinen, sonnigen Winkel am Meeresstrande ausfindig machen, mit Blumen und schattigen Bäumen, wo wir zu Dreien friedlich und ungestört leben können." Ihr Blick richtete sich dabei auf das friedliche Angesicht der schlummernden StiftSdamc. „Wenn Du willst, gerne", sagte ihr Vater unschlüssig. „Alles soll geschehen, was Du willst, wenn Du nur zu- frieden bist. Ich hatte indessen gedacht, daß einige Zer. streuung —" „Nein, nein, Papa, nur keine Zerstreuungen, ich bitte Dich darum. Ich will Sonne, Blumen und das Meer haben — wenn es Dir keine besonderen Umstände ver ursacht." Sie sprach langsam und zögernd, als hätte sie ge fürchtet, Jemandes Unmut!) zu erregen. Dies war nicht mehr die Antoinette von früher, die ihrer selbst so sicher und gewohnt war, zu befehlen, damit ihr gehorcht werde. Was hatte sich in der Seele dieses jungen Wesens ereignet, das einst so glücklich war, daß es leben und in seinem kleinen Königreich schalten und walten konnte? „Wir werden Alles thun, was Du willst", erklärte der Vater, der viel ergriffener war, als es scheinen wollte. „Sobald Landry znrückgckchrt ist —" „Können wir vor seiner Rückkehr nicht abreisen?" be harrte Antoinette, unverwandt in den Kamin starrend, in welchem mächtige Holzscheite brannten. Der Gedanke, Landry so kurz nach ihrer Demüthigung wiedcrznschen, erfüllte sic mit einem gewissen Schrecken. Er, der so gut in ihr zu lesen verstand! Er würde sicher lich Alles errathen! Welche Schmach! Sie würde ihn ja gar nicht mehr anzublicken wagen! „Er hat mir seine Besitzungen anvcrtraut", fuhr der Marquis nachdenklich fort, „und ich kann dieselben nicht im Stiche lassen, bevor er seine Einwilligung dazu giebt. — Hast Du es denn so eilig?" „Ach ja, ich fühle mich hier so traurig!" seufzte daS junge Mädchen. Die Hand des Vaters ruhte jetzt auf ihrer Schulter; sie zog dieselben an ihre Lippen und brach in Thränen aus. „Mein süßes, thenres Kind!" sprach der Edelmann tief erschüttert. „Alles soll geschehen, was Du willst. Wir reisen ab, sobald Tu es wünschest. Morgen schreibe ich an Landry." „Ich danke Dir", sagte Antoinette, indem sie sich die Augen trocknete. Sic erhob sich, küßte ihren Vater und klingelte, damit man den Thee bringe. „Junge Mädchen sind zuweilen recht unbegreiflich", sagte sich der Vater, während er ihr beim Aufgietzen des würzigen Trankes zuschaute. Mit einem Male kam eS wie eine Erleuchtung über ihn. „Sie haben sich entzweit, haben mit einander gestritten!" sagte er sich. „Na, das Unglück ist nicht groß, und Landry wird schon missen, wie er uns nachreisen soll!" Dieser Gedanke gab ihm seine Ruhe und Kaltblütig keit wieder, deren er gleicher Weise bedurfte, um die er forderlichen Vorbereitungen für eine mehrwöchige Ab wesenheit zu treffen. Sechzehntes Capitel. Wie er eS voranSgcsehen, konnte sich Landry deS Nacht- zugcS bedienen, so datz er noch vor Tagesanbruch in Blois anlangte. Er ließ sich in einem Gasthof ein Zimmer geben, und nachdem er zwei oder drei Stunden geschlafen hatte, begab er sich zu dem Notar seiner Pathin. Der würdige Mann saß noch beim Frühstück. So wenig willkommen ihm sonst auch der Besuch eines Clienten zu so früher Stunde sein mochte, empfing er BillorL ausnehmend zuvorkommend und theilte ihm mit, daß die ganze Stadt für Fran Nögnier Partei ergriffen habe, daß Jedermann ihre schamlosen Peiniger verachte, daß man aber nichts gegen dieselben ausrichten könne, da die Gerechtigkeitspflcgc ein wenig hinke und nicht immer dahin gelange, wo ihre Gegenwart erforderlich sei. „Sie verstehen gewiß, verehrter Herr", schloß er seinen kleinen Vortrag. „Frau Nognier hat alle Rechte und jedes Recht für sich; allein sie hat es auch mit durch triebenen, schlechten Menschen zu thun, und dieser Fall wurde vom Gesetz nicht vorausgcsehen. Das bürger liche Gesetzbuch wendet sich an den Durchschnitt der Menschheit -" „Ich verstehe", erwiderte Viktor«?. „Wenn diese Bar baren also meiner Pathin Arsenik in den Kaffee gethan hätten, und diese daran gestorben wäre, so würde man ihnen vielleicht den Kopf abschncidcn." „Sehr richtig, Herr von Villorö, sehr richtig!" „Da sie sich aber damit begnügen, sie am langsamen Feuer zu rösten und dabei den Kriegstanz um ihr Bett herum aufzusühren — Sic haben doch den „Letzten der Mohikaner" gelesen? — so kann man nichts Anderes thun, als meine Pathin hübsch begraben, wenn sie todt sein wird, nnd die Micthe an ihre Mörder so lange weiter bezahlen, wie der Vertrag läuft, wie?" „Ich sehe, datz Sie die Sachlage vollkommen richtig auf fassen", sprach der Notar, dessen strenges Gesicht eine ge wisse verlegene Röthe angenommen hatte. „Ich hoffe in dessen, datz Fran R/gnier genesen wird." „Das werde ich gleich von ihrem Arzte erfahren", sagte Landry und empfahl sich. Der Dvctor stieg gerade in seinen Wagen, um die ge wohnte Rundfahrt bei seinen Kranken anzutreten, als Landry vor ihm erschien. Er machte dem jungen Manne kein Gehcimnitz daraus, datz ihm der Zustand seiner Patientin sehr bedenklich erscheine. „Man mühte sie von hier fortbringcn, nicht wahr, Toctvr?" „Gewiß, um jeden Preis", gab der treffliche Mann zur Antwort. „Allein, sic könnte eine Eisenbahnfahrt nicht ertragen, wenigstens für den Augenblick nicht." „Sprechen Sic am Nachmittage bei meiner Pathin vor, lieber Doctvr, ich werde bis dahin etwas ausfindig ge macht haben, oder ich will nicht länger Villorö heißen." Statt sich nun selbst zu seiner Pathin zu verfügen, kaufte der junge Mann in einem Tabakladen die monat lich erscheinenden Blätter, in welchen die An- nnd Ver käufe der im Orte und dessen Umgebung befindlichen Häuser, Wohnungen und Landgüter bekannt gemacht wurden. s Nachdem er eine strenge Sichtung vorgenoimnen, fiel seine vorläufige Entscheidung tauf zwei Häuser, deren Lage ihm bekannt war, die zufällig zu verkaufen oder zu vermiethen waren, und die sich unweit der Wohnung seiner Pathin, aber auch näher bei der Stadt befanden. Vor allen Dingen besichtigte er diese zwei Häuser. Das eine derselben befand sich in einem ganz erbärm lichen Zustande, nnd es wäre thöricht gewesen, daran zu denken, eine kranke Person hierher zu bringen. Das andere, kleinere, war dagegen schön, rein nnd hell, nnd ans den Fenstern genoß man eine Aussicht, die ungefähr an jene erinnerte, welche die Leidende von ihren Fenstern aus gehabt hatte, bevor das Ehepaar Chantefleur seinem Vandalismus freien Lauf gelassen. Ten Eigenthümer aufsuchen, für ein Jahr mit ihm abschlietzen, ihm das Versprechen eines etwaigen Ankaufes geben war für Landry das Werk einer Stunde. Der junge Mann ging mit großer Energie zu Werke und hatte es zufälliger Weise mit einem rechtschaffenen Manne zu thun, der selbst über die Rücksichtslosigkeit aufgebracht war, welche das Ehepaar der Wittwe Regnier bekundete. Der Eigenthümer, der sich geschmeichelt fühlte, daß er eine so angesehene Mietherin bekam, versprach, auf der Stelle zu einem Tapezierer zu gehen und zwei Schlafzimmer noch bis zur Mittagsstunde in Stand setzen zu lassen. Landry bestieg wieder seinen Wagen. Unweit von dem Hause seiner Pathin verließ er denselben aber, stellte ihn bei einem Gastwirth ein und legte den Rest des Weges zu Fuß zurück, nm unbemerkt anlangen zu können. Das Gitterthor war nur angclehnt. Matthäus säuberte den Rasenplatz vor der Freitreppe und unterdrückte mit Noth einen AuSrnf der Freude, als er Villorö erblickte. „Endlich sind Sie da, gnädiger Herr", sprach er mit gedämpfter Stimme. „Vielleicht wird jetzt Alles anders werden." „Wie geht cs meiner Pathin?" fragte der junge Mann. „Sie verbrachte die Nacht ruhiger, vielleicht, weil das Bewußtsein, daß Sic kommen, sie beruhigte. Außerdem ist diese ver Windmühle verdorben, so daß man wenigstens ein paar Stunden schlafen konnte. Und der Schlaf thut einem Jeden noth, daS kann ich Sie ver sichern, gnädiger Herr!" DaS Geräusch streitender Stimmen unterbrach die herrschende Stille, und der Gärtner sprach gedämpft: „Das ist der Wüthcrich mit seinem Bauunternehmer. Das währt heute seit früh Morgens ohne Unterlaß." Landru hörte zu; unerlaubt war das nicht, da der Streit im Freien stattfand und ein Jeder seinen Verlauf vernehmen konnte. „Aber wollen Sie denn durchaus nicht begreifen", rief Chantefleur au-, „bah Sie mich mit Ihrer Halsstarrigkeit
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