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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.08.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190208247
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020824
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020824
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-24
- Monat1902-08
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.08.1902
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Bezuffs-Prets in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- .St S.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich jur die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Nedaction und Lrpedition: IvhanniSgaffe 8. Fernsprecher 153 und SSL. Fttialr^eeditts«»« r Alfred Hahn, Buchhandlg., Uuiversitüt-str.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. ——— Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 118. Fernsprecher Amt VI Nr. 3393. npMtr. TagMlüt Anzeiger. Nmtsklatk des königlichen Land- und Ämtsgerichtes Leipzig, des Ruthes und Vulizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redaction-strich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffern sah entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-Au-gabe, ohne Postbefürderung 80.—, mit Postbesärderung 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an tne Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 429. Sonntag den 24. August 1902. 96. Jahrgang. Aus der Woche. Mit tiefem, lange nicht beobachtetem Ernst beurtheilen die norddeutschen nationalen Preßorgane das Telegramm von Swinemünde. Die Besorguiß wegen der Wirkung auf Bayern steht dabei im Bordergrunde, sie ist es aber nicht allein, die drückt. Auf Ausdehnung und Art der Erörterung nimmt, außer einer nie seit dem Bestände deS Reiches ge hörten Sprache ihrer Regierung nahestehender, aber zugleich unverbrüchlich reichssreundlicher bayerischer Blätter, der doppelte Umstand starken Einfluß, baß die Veröffentlichung deS Tele- grammwechsels, weit entfernt, von München aus bewirkt worden zu sein, nicht nur ohne München, sondern gegen München erfolgt ist. In der Beurtheilung des Bor- kommnlsses und der wenigstens nach der negativen Seile hin klargestellten Geschichte seiner Bekanntgabe herrscht ziemliche Uebeceinstlmmung. Dies übrigens nicht nur im Norden, sondern auch in Mittel- und Sübbeulschland, und jedenfalls steht daö Blatt, das von der Beklommenheit, die die Be sprechung der Angelegenheit kennzeichnet, als von einem „Kaiser - Telegramm - Schwindel" spricht, in einer Isvlirung da, die es allein und wohl kein einziger seiner Leser als eine „glänzende" ansehen wirb. Die Wirkung deS Ereignisses ist — unverkennbar — eine starke. Aber auf die Wirkung dieser Wirkung wird man kerne starken Erwartungen fetzen dürfen. Nicht nach der einen Seite bin, die die einwandfrei nationale „Augsburger Abendzeitung" mit der Bemerkung zu beleuchten sich gedrängt fühlt, daß man kaum hvffeu dürfe, der Kaiser werde sich einer Einrede zugänglich zeigen, und nicht hinsichtlich der üblich gewordenen Kritik der allgemeinen Regierungsverhält- nlsse im Reiche und in Preußen. Nach einer kleinen Weile werden wir wieder überall an den Stellen, auf die cS ankommt. Tag für Tag zu lesen und zu hören bekommen, daß die Thatkraft, die Einsicht, das Genie Wil- helm's II. eine lückenlose Bürgschaft für die Zukunft Deutschlands böten und über einige Ungewöhnlichkeiten, die aber im Grunde nur von Leuten, di« an „greiienpaflem Pessimismus" litten, als solche empsundcn würden, leicht hinweghülfen. So wirb eS kommen und eS ist auch nicht ersichtlich, wie es anders kommen könnte. Wohl läge es den Bundesfürsten, die gar leicht auch einmal durch eine Veröffentlichung wider ihren Willen überrascht werden könnten, nahe, den Versuch zu machen, durch eine gemelniame Vorstellung beim Kaiser dieser Möglichkeit vorzubeugen. Ader werden sie, in deren Reihen natürlich der König von Preußen fehlen würde, zu einem solche» Schritte sich eni- fchließen, selbst wenn er jetzt von Bayern aus angeregt würde? Aus den Auslassungen der uichtbayerischen Re- gierungsorgane läßt sich bas nicht schließen und aus der Vergangenheit auch nicht. Und was könnte der Reichs kanzler erreichen, wenn er auf einen ivlcheu Schritt sich nicht zu berufen vermöchte? Was sich jetzt zugctragen hat, fleht auch an Außerordentlichkeit und Tragweite keineswegs ohne Gleichen da. Im Gegentheil, Deuifchlanv sieht auf Vorkommnisse zurück, die mindestens w clnichueldenv und für das Gefahrvolle des herrschenden Rezierungsiyuems, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen will und darf, noch bezeichnender waren, als die Behandlung der bayerischen Hunderttausend-Mal k-Asiäre. Um nur Neuestes zu erwähnen, also nicht aus das Jahr 1898 zurückzugreifen, ,o sei nur an den Ritt nach Wyichlyten (2. Oclbr. 190l) und an die gleichfalls veröffentlichte Kundgebung uneingeschränkter Zustimmung er innert, die an den Fieiherrn von Les erging, nachdem dieser General in einer öffentlichen Rede Kulik am inneren Zustande deS Deutschland diplomatisch am meisten intercssirenben Nachbar- reicheö geübt Halle. Wir für unseren Theil zählen zu den durch Swinemüiide nicht übertroffenen jünglien Dingen auch die Aachener Rebe mit ihren unverlennbalen talhollsilenden, um nicht zu sagen katholischen Perspectiven. Doch Andere mögen darüber anders denken; auch wir geben zu, daß dieser Vorfall nicht zwingend zu der Frage nach — dem Reichs kanzler oder Ministerpräsidenten führen mußte. Aber die beiden anderen, als kleiner Bruchlheil aus der Summe ähnlicher herausgehobenen Fälle mußten — bei aller Würdigung der bundespolitischen Bedeutung de- Reichskanzler- amls und der bundcspoliiischeu Tragweite des jüngsten Ein griffs — den Grafen Bülow noch tiefer berühren, denn sie trafen ihn an der delicatesten Stelle seines verantwortlichen LeibeS: sie trafen den Minister des Auswärtigen. Beide Male war die Kugel aus dem Laufe, ehe der oberste Beamte Kenntniß erlangte. Zur Sache war hier wie dort nichts mehr zu thun, aber die Conscguenz für die künftige Stellung oder — Nicklstellung des Reichskanzlers konnte gezogen werden. Tas geschah nicht, warum sollte cs jetzt geschehen? Es ist aber anzuerkennen, daß Graf Bülow, wenn er etwas thun wollte, nichts Andere» zu unternehme» vermöchte, als den Schritt, der bei künftigen derart zu Stande gekommenen SiaatSacten einen Anderen an der Stelle zeigen würde, die j-tzt jom die Verantwortung aufbürdet. Wir werden dem Glasen Bülow aus der Unterlassung dieses Schrittes keinen Vorwurf machen. Sie wird so wenig Ichaden, als die Begebung nützen würde. Den Versuch einer Aenderung des Systems durch den jetzigen Reichskanzler hallen wir, wie gesagt, für ausgeschlossen. Er würde dabei auch nicht auf die dauernde Unterstützung deS Reichstages und der Piesse, besonders der preußischen, rechnen dürfen. Dort würde er mindestens daö Centrum, daö über die gegenwärtige Regierungsweise nicht unglücklich zu sein braucht, nicht für sich haben, und die Presse hat ebenso, wie die Reichskanzler nach Bismarck — vor Allem Caprivi und besonders Graf Bülow — die Er fahrungen über sich ergehen lassen, ohne nachhaltige Ein drücke zu veriatben. E» scheint überhaupt, al- ob bei vielen protestantischen Blättern und ihren Lesern, selbst bei solchen, die der päpstlichen Unfehlbarkeit und Onrnipotenz den schärfsten Widerspruch entgegensetzen, das Bedürfniß sich regle, eine Politisch unfehlbare und omnipotente Stelle anzuerkennrn und mit PreiSgebung nicht nur der eigenen UrtbeilS- kraft, sondern auch der angeblich hoch gehaltenen Rechte der fürstlichen Buudesglieder zu gewähren. Jedenfalls wird das Glänzende und Impulsive im Wesen des Kaisers bald wie immer in der Kritik der Nichtoppositionellen obsiegen und auch die augenblicklich vorherrschende Art zu sehen rasch wieder verschwinden machen; die Excesse der Ultramontanen, Socialdeniokraten und Demokraten werden dies« Rückkehr zum Gewohnten wahrscheinlich sehr beschleunigen. In Frankreich ist da» unter dünner Aschendecke glühende Nevanchefeuer wieder einmal emporgelodert. Bei uns hat man keine Veranlassung, aus den Scenen von Villefranche und MarS-la-tour unmittelbare KriegSbesorgnisse zu schöpfen, aber ebensowenig Grund zu forcirter Beschwichtigung, wie sie in unserer ojficchscn Presse aufgekauchl ist. Frankreich wird nicht ohne Rußland marschiren und Rußland marschirt heute und morgen nicht. Aber das Hal sich wieder ergeben: der Becher der Rache ist rin Gesäß, aus dem alle Franzo en sich zu terauschen vermögen. Und eS ist recht interessant, zu sehen, wie ein französiicher Bischof in dieser Zeit „diokletianischer Christeiivr»svtgung glühende Worte für dieRevanch« findet, die, wenn heute milGüick versucht, die Gegner deS Klerikalismus m ihrer Herrsckan auf unabsehbare Zeit befestigen würde. Immerhin, em Bischof ist politisch eine Privatperlon, kann wenigstens dafür ange sehen werden, und die Generale, die aus den erinnerungs schweren Gefilden von Metz gesprochen, babc» als Soldaten gerevct. Ader Herr Andrs ist Minister — iu Frank,eich — und al« solcher wird er nicht« gesagt haben, was der CabinetSchef und der Munster de« Aeußern nicht vorder gebilligt hatten. Herr Delcasss aber wird eben so sicher keine Aus lassung zugelassen haben, von der nicht sicher war, daß sie da« Mißfallen deS Zaren nicht erregen würde. D,es wenigsten- für Reval-Enthusiasten hcrvorzuheben, scheint nicht überflüssig. Deutsches Reich. L. Berlin, 23. August. (Die evangelische Bewegung in Oesterreich und der deutsche Klerikalismus.) Die „Köln. VolkSztg." giebt immer wieder ihrer Erbilteiung gegen die gu> katholische babsburgijche Monarchie Ausdruck, weil sie noch immer nicht die Führer der evangelischen Pro paganda in Oesterreich verbrennt. Das iheinische Blatt Uellt deshalb der Zukunft Oesterreichs die trostloseste Prognose. Oesterreich lasse sich die evangelstche Agitation gefallen, weil cS eben Oesterreich fei, d. h. ei» Staat ohne Selbstvertrauen und Energie. Das ganze Staatswesen befinde sich in einer Art Agonie; der kräftige Wille zum Leben fehle. — Zum Wesen eines schwachen Staates gehört es, immer mit der Mehrheit zu gehen. Fürst Bismarck bat einmal nachdrücklich heivvi- geboben, daß eö keine Kunst sei, den „Registrator der Mehr heit" zu machen, und daß viel mehr Energie dazu gehöre, auch einmal einer Mehrheit entgegen zu bandeln. Wäre die österreichische Regierung also wuklich >o schwach, so brauchte sie, da genau vier Fünftel ihrer Bevölkerung katholisch sind, nur mit der antideutschen Mehrheit derKlerikaleii,Cb>istl'ch-Socialen, Slawen rc. durch Dick und Dünn zu geben. Freilich bedeutet aber die katboliichc Mehrheit in Oesterreich nicht ganz dasselbe, waS sie in Preußen bedeuten würde, und gerade dies ergrimmt daS rheinische Blatt am alle,meisten. ES schreibt: „sollten die 80 protestantischen Vicare in reichsdeutsche katholische Bezirke kommen, um hier zu agitiren, so würben wir sie — natürlich nur moralisch — an die Wand drücken, daß sie quietschen. Bei unS würden sie nicht von Ebrenjuligfrauen und katholischen Gesangvereinen begrüß' werden, wie i» Graupen bei Mariaschcin." Mit dem „an d,e Wand drücken" ist daS auch noch so eine Sache, denn die Ucbertritle von Kathol kenzur cvangelischenKirche sind bei uns zahlreicher, als die von Evangelischen zur katbolstchen Kirche, ohne daß die Geistlichen, die den Uebertritt vornehmen, an die Wand ge drückt würden. Aber es sei zugegeben, raß bei uns evan gelische Geistliche nicht von katholischen Gejangvereinen be grüßt werden würden. Warum geschieht dies aber in Oesterreich? Weil die dortigen Klerikalen das Deutschthum in so schmachvoller Weite an das Slawenthum auSgeliesert haben, daß ein guter Tbell der deutschen Katholiken sich darauf besonnen bat, daß er nicht dloS katholischer Con session, sondern auch deutscher Abstammung ist. Statt sich zu brüsten, daß Vorgänge wie die in Oesterreich, bei den deutschen Katholiken unmöglich wären, sollten unsere Klerikalen lieber ein wenig in sich geben. Diese Vorgänge würden sich bei unS genau so ereignen, wenn die deutsche» Klerikalen ihren heißen Wunsch, die Ostmark den Polen auSzuliefer», in die Tbat umsetzen könnten. Zu ihrem eigenen Glücke aber sind sie in der Minderheit und müssen sich de-balb begnügen, die germanisatorische Tbätig- keit mit hämischen Glossen zu begleiten. Könnten sie aber daS Deutschthum so unter die Räder bringen, wie es mit ihrer Hilfe in Oesterreich geschehen ist, so würden wohl auch zahlreiche deutsche Katholiken nicht ander» handeln, wie ihre zum National,talsbewvßtsein zurückgekehrten Glaubensgenossen iu Oesterreich. Berlin, 23. August. (Politische Rechts pflege.) Zn jenen öffentlichen Institutionen, deren sich i>ie Svctaldemokratie lm Partetlntercssc bemächtigt hat >ezw. »u bemächtigen sucht, haben sich auch seit Längerem chon die Gerverbcgerichte gesellt. Für ihre Ein- ührung war neben dem Bestreben nach einer Bcschleu- nigung und Verbilligung der Rechtsprechung in den aus den gewerblichen Verhältnissen sich ergebenden Streitig keiten anerkanntermaßen auch der s o c t a l p o lt t is ch e Gcsichtspunct in hervorragender Weise bestimmend. Man hoffte und erwartete, baß durch diese Svndergerlchte und die ihnen gegebene Organisation Arbeitgeber und Arbeit nehmer einander näher gebracht werden, und daß auf diesem Wege die vorhandenen Gegensätze gemildert werben würden. Daß diese Hoffnung sich erfüllt habe, wird schwer, ltch von irgend einer Leite behauptet werden. Nnr in ver. schwindendem Umfange sind die in dieser Beziehung an die Gewerbegertcht« geknüpften Erwartungen in Erfüllung ge gangen. In gar vielen Fällen ist der Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die Wahlen zu den Gewerbegerichtcn eilt hervorgcrufen oder doch ver schärft worden. Die S o c i a l d e m o k r a t i e hat sehr bald erkannt, daß hier c.in Feld für sie sei, dessen Beacke- rung sich lohne, und sie hat es fertig gebracht, der Beein flussung der Rechtspflege durch die Politik weite Bahnen zu öffnen. Indem der Gesetzgeber selbst die Wahl der richterlichen Beisitzer bei den Gewerbegerichten trennte und zu gleichen Theilcn je einer der beiden socialen Klassen übertrug, gab cr selbst die Veranlassung dazu, daß die Beisitzer sich nicht nur als Richter, sondern auch zugleich als Beauftragte ihrer besonderen Klasse fühlen. Die Socialdemokratie hat nicht gezögert, sich diese Orgaui- sation zu Nutze zu machen; die Bestellung der Beisitzer bei deu Gewerbegerichten ist zu einem Kainpfvbjeete politischer Parteien geworden. Mit welchem Erfolge, darüber giebt der neue Rechenschaftsbericht der socialdemokratischcn Par teileitung Ausschluß, der unter Anderem den folgenden Passus enthält: „Bei den Gcwerbegerichtswahlen haben auch im letzten Jahre die von den freien Gewerkschaften, respective den Ge- werkschafrscartellen ausgestellten Kandidatenlisten meistens den Sieg davon getragen. An vielen Orten werden gegnerische Kandidaten gar nicht mehr eingetragen." Derartige Auslassungen müssen unseres Erachtens un bedingt zur Vorsicht mahnen gegenüber den Wünschen nach weiteren Schritten auf einem Wege, der die politische Rechtspflege, d. h. Handhabung deS Rechtes nach poli tischen Rücksichten zu einer dauernden und umfangreichen Erscheinung des öffentlichen Lebens machen würde. Wir haben hierbei in erster Linie die kaufmännischen »Schiedsgerichte im Auge. Der Idee derselben wird zweifellos Jeder zustimmen, der auf eine schnelle Justiz pflege Werth legt. Unser heutiges Proceswerfahren in den dem kaufmännischen Austellungsvcrhältnisse entspringen den Streitigkeiten ist zu umständlich, zu langwierig und zn kostspielig. Der Umstand hat zur Folge, daß in solchen Streitigkeiten gegenwärtig dec Rechtsweg verhälttuß- mäßig selten beschritten wird, und daraus folgt, da das „Recht des Stärkeren" zumeist auf Seiten des Arbeitgebers liegt, eine Verbitterung zwischen Angestellten und Princi palen. Mit Rücksicht auf diese Sachlage hat der Reichstag dem Wunsche nach besonderen kaufmänniichen Schieds gerichten wiederholt Ausdruck gegeben. Man wird es dem Abgeordneten B a s s e r m a n n Dank wissen müssen, daß cr sich in dieser Richtung zum Träger von Vorschlägen ge macht hat, die sich auf einer mittleren Linie bewegen, indem sic eine Angliederung der in Aussicht genommenen Schieds gerichte im Gegensätze zn den Gewerbegerichten an die Amtsgerichte vvrschen und den Vorsitz im Gericht dem qualifieirten Amtsrichter überlassen. Immerhin macht auch der Antrag Bajiermann dem oben erwähnten sveial- politischen Gesichtspuncte eine kvncesnon, da er die Wahl der Beisitzer aus der Gewerbegerichtsorganisation über nimmt. Die Erfahrungen, die fortgesetzt mit dieser Ein richtung bei den Gewerbegerichten gemacht werden, und welche zu dem in dem Berichte des socialdemokratischcn Parteivorstandes charakterisirtcn Zustande geführt haben, lassen eine erneute Prüfung gerade dieser Seite der Angelegenheit als überaus wünschcnswerth erscheinen. Theoretisch ist cs ja durchaus berechtigt, die Wahl der Bei sitzer als eine Sicherung ersprießlicher Rechtspflege auf dem einschlägigen Gebiete zu betrachte», die Praxis aber zeigt diese Einrichtung in einem anderen Lichte. Was in der Theorie Vertrauensmann der Interessenten heißt, wird durch das Verfahren der Socialdcmokratie in sehr vielen, wenn nicht in den meisten Fällen in der Praxis Vertrauensmann einer bestimmten politischen Partei be deuten, und damit ist bereits die gerühmte Sicherung einer unparteiischen Rechtsprechung aufgehoben. Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß die Socialdcmokratie ohne Verzug sich bei den Beisitzerwahlcn zu de» kaufmännischen Schiedsgerichten versuchen würde, und es sprechen genug Anzeichen dafür, daß dies nicht ohne Erfolg geschehen würde. Daß daraus dann nicht eine Annäherung zwischen Angestellten und Principalen entspringen würde, liegt auf der Hand. Den Verfechtern der gegcntheiligen Ansicht dürfte der Umstand zn denken geben, daß eine der ange sehensten Vereinigungen kaufmännischer Angestellter, der „Verband deutscher Handlungsgehilfen", sich zwar auf den Boden des Bassermaun'schen Antrages ge stellt hat, aber unter Weglassung der direkten Wahl der Beisitzer. Der Vorschlag des Verbandes geht vielmehr dahin, die Beisitzer der kaufmännischen Schiedsgerichte durch die Justizverwaltung, also in derselben Art, wie die Schöffen und Geschworenen, ernennen zu lassen. Wir halten die Angelegenheit trotz ihrer wiederholten Erörte rung im Parlamente und trotz ihrer lebhaften Discutirung in der Presse noch nicht für ausgctragcn. * Berlin, 23. August. (Der Gesetzentwurf über die Kinderarbeit.) Der Reichstag wird sich im bevorstehenden letzten Abschnitt seiner gegenwärtigen Tagung noch in zweiter und dritter Lesung mit dem Gesetz entwurf, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Be trieben, zu beschäftigen haben, der zunächst an eine Kom mission verwiesen worden ist. Dieser in alle gewerblichen Verhältnisse tief eingreifende Entwurf beschäftigt weite Kreise lebhaft, und der Deutsche Hanüelstag hat sich schon vor längerer Zeit veranlaßt gesehen, die ihm angehörcu- den Körperschaften um ihre Meinung hierüber zu befragen. Bisher haben sechs deutsche Handelskammern auf diese Umfrage geantwortet. Ihr allgemeines Einvcrständniß mit der Tendenz des Entwurfs spricht die Handelskammer zu Heilbronn aus, in deren Bezirk indessen Kinderarbeit im Sinne des Gesetzes nicht vorkvmmt. Die anderen Kammern haben zwar auch gegen den Entwurf im All gemeinen keinen grundsätzlichen Einwand zu erheben, wünschen aber einzelne Abänderungen. So findet die Handels- und Gcwerbekammer zu Augsburg, daß 8 8, wonach die Beschäftigung von fremden Kindern über zehn Jahre beim Auotragen von Waarcn nnr von 8 Uhr Morgens an und nickt vor dem Vormittagsunterricht statthaft sein soll, das Bäckereigewerbe schwer betreffe, und will, daß die Beschäftigung solcher Kinder in der Zeit vom 1. April bis 30. Sevtember von ösH Uhr Morgens, vom I. Oktober bis 31. März von 6^ Uhr Morgens und vor dem Vormittagsunterricht stattfinden und auch außer? halb der Schulferien bis zu vier Stunden täglich, vor dem Vormittagsunterricht jedoch nicht länger als eine Stunde dauern darf. Die Handelskammer zu Hannover befür wortet, daß der Bundesrath nur ermächtigt sein soll, Be triebe aus dem Verzeichnis; derjenigen zu streichen, in denen gewerbliche Kinderarbeit ganz verboten ist, jedoch nicht neue Betriebe in dieses Verzcichniß aufnehmcn dürfe. Sie will ferner das Verbot der Kinderarbeit auf Kinder unter 11 Jahren snach dem Entwurf 12) erstreckt haben, den Satz „vor dem Vormittagsunterricht" streichen, statt 8 Uhr Morgens setzen: „7 Uhr im Sommer, 8 Uhr im Winter", und die Bestimmung beseitigt haben, nach der durch Polizeiverordnungen die Beschäftigung von eigenen Kindern beim Austragen von Waaren und bei sonstigen Botengängen beschränkt werden kann. * Berlin, 23. August. Ueber die Sonntagsruhe der Apotheker wird berichtet: Tie Frage der Einführung einer beschränkten Sonntagsruhe, die seit einer Reihe von Jahren von den Besitzern kleinerer Apotheken angeregt mar, hat für Preußen und Württemberg ihre Lösung gefunden. Die im Laufe deS Berichtsjahre- erschienene preußische Apothekenbetrieb-ordnung, welche im Vereinsorgane zum Abdruck gelangte und ebendaselbst eingehend erörtert wurde, enthält die Bestimmung, daß „Apothekern, welche ihre Apotheke ohne Gehilfen betreiben, auf ihren Antrag durch den Regierungs präsidenten widerruflich gestattet werden kann, während bestimmter Stunden sich aus der Apotheke zu entfernen, wenn Fürsorge ge troffen ist, daß im Bedarfsfälle der Apotheker innerhalb einer Stunde zurückgerufen werden kann", und daß „in Orten mit zwei oder mehreren Apotheken nach Vereinbarung unter den Apo thekenvorständen mit Zustimmung de» Regierungspräsidenten an den Sonntagen und Feiertagen abwechselnd ein Theil der Apotheken geschloffen werden kann". Erstere Bestimmung bedeutet dadurch, daß ein bestimmter Tag nicht genannt worden, ein über den Rahmen des Erbetenen hinausgehendes Entgegenkommen der Regierung, welches um so mehr auzuerkennen ist, als in manchen kleinen Land geschäften gerade am Sonntag sich am wenigsten Zeit zum Aus gehen bietet, weil der Sonntag von der Landbevölkerung vielfach mit Vorliebe zu Besorgungen verwendet wird. In ähnlicher Weise, jedoch mit der Beschränkung des für einige Stunden zu gestattenden Schlusses der kleinen Apotheken auf die Sonn- und Feiertage, ist die Angelegenheit iu Württemberg geregelt worden, während aus anderen Bundesstaaten hierüber noch nichts bekannt geworden ist. D Berlin, 23. August. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" meldet: Dem Unterstaatösekreiär Rothe ist der Kronenordeu 1. Cl. verliehen worden. 1). Berlin, 23. August. (Privattelegramm.) Eine Mittheilung hiesiger Blätter, der deutsche Botschafter in Wien, Graf Eulenburg, beabsichtige, seines Gesundheits zustandes wegen im Herbst von seinem Posten zurückzurreten, wird der „Nat.-Ztg." „von zuverlässiger Seile" als un begründet bezeichnet. — Die „Corr. d. Bundes d. Landw." geht dem Grafen Schwerin-Löwitz zu Leibe. Sie schreibt: Mau ist geradezu versucht, von einem wirthschastSpolitischen „Llmütz" zu sprechen. Die ganze Lage der Dinge aber erinnert iu mehr als einer Beziehung an gewisse Vorgänge, die der Verabschiedung des Reichsfleischbejchaugejetzes vorhergingen. Graf Schwerin dürste schwerlich überrascht sein, wenn man in seiner heutigen Haltung eine gewisse Aehnlichkeit mit der Taktik entdecken wollte, die damals Graf Kl in ck ow stro em verfolgte, und zwar wie heute allgemein zugegeben wird, nicht zum Beste» der deutschen LanLwirthjchast. — Eine Erklärung des Herrn Stern, der bei dem Uebergang des westpreußischen Gutes Groß-Taulh in polnische Hände die Nolle als Bermittler gespielt hat, hat die Runde durch die Presse gemacht. Merkwürdig verspätet behauptet nun Herr Stern, baß diese Erklärung gefälscht gewesen sei und nicht von ihm hcrgerührt habe. Gleichzeitig führt er aus, er habe den Erwerb und Weiterverkauf dieser Be sitzung als gewinnversprechend betrachtet, was kein ver nünftiger Geschäftsmann übel beurtheilen könne. WaS die in Frage stehende Anzahlung anbctrifft, so solle eS doch wohl Jedermann gleichgiltig sein, ob er sie ganz mit eigenen oder Familiengeldern oder schließlich mit Hilfe anderer ihm zur Disposition gestellter Mittel bestritten habe. Zn der Sache ändert diese neuerliche Erklärung nichts an der Beurtheilung des LersahrenS Leö Herrn Stern. .4. Posen, 23. August. (Privattelegramm.) Der Redacteur Cbojnacki vom „Dzicnnik PoznanSki" wurde beute wegen MajestätSbeleidigung, begangen in eincr Krüik der Marrenburger Kaiserrede, zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. — Eine geplante polnische Feier für die Polendichterin Kanopnicka wurde polizeilich ver« bsoten, weil die Dichterin ein aufreizendes Gericht ver öffentlicht hat. * Köln, 22. August. Mit dem 24. August erlischt das Recht deS Kölner DomcapitelS zur Wahl eine- neuen Bischofs, denn nach der Bulle vo saluto »niiiiarum muß rie Wahl innerhalb dreier Monate nach der Erledigung des erzbischöflichen Stuhle« gethätigt worden sein. ErIischof Srmar ist aber am 24. Mai gestorben. Die „Köln. VolkS- rettung" erklärt, daß daS Domkapitel, noch ebe ein Monat ver flossen war, dem Oberpräsieeiiten cincCantidatenlisle emgereickt habe, auf der sich folgende Namen befunden hätten: Bischof Bcß- OSnabrück, Weihdischos Fischer-Köln, Eapitularvicar I>r. Kreutz- walb'Köln, Domcapitular Müller-Köln, Prof. Esser-Bonn, Psr. Krichel M.-Gladbach. Die Negierung sei aber in zwei Monaten noch nicht zu einem Resultat gekommen. UebrigenS wurde auch bei der Wahl Simar's die dreimonatige Wahl srist überschritten (bi- fast zur Halbjahre-frist), die dann von Rom verlängert wurde. Sonst steht dem Papst das
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