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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020825027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-25
- Monat1902-08
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Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Lffertenannahmr 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbcsörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Erpedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag? ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig. W. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. August. Zwischen Haupt» und Stichwahl in Forchheim-Kulmbach schrieb die „Kreuzztg." über da« Thema nach Anderem, worauf wir noch zurückkommen werden, daö Folgende: Jedenfalls ist der Ausfall der Wahl in Forchheim-Kulmbach von entscheidender Bedeutung. Wir haben der Auffassung Aus druck gegeben, daß die Bündler dem Ccntrumscandidaten gegenüber dem Liberalen Faber zum Siege verhelfen werden. Diele Hoff- uung ist berechtigt; ihre Erfüllung ist ein Act politischer Klugheit, der noch einmal gute Früchte zeitigen kann. Die biedermännische Hoffnung ist zu Schanden geworden. Die Ceotrumspartei, die bisherige Inhaberin des Wahlkreises, die im ersten Wahlgange einen großen Borsprung vor dem nationalliberalen Bewerber hatte, ist mit einer sehr hohen Stimmenmehrheit in der Stichwahl besiegt worden, wie folgendes Telegramm ergiebt: G Nürnberg, 25. August. (Telegramm.) Das End- resultat der Reichstagsstichwahl im Wahlkreise Forchheim- Kulmbach: Faber (natlib.) erhielt 9400 Stimme» und Zöllner (Lentr.) 8498. Wie dieser glänzende Erfolg geworden ist, ist heute von hier auS noch nicht zu überblicken, aber einige Schlüsse können schon mit Sicherheit gezogen werden. Vor Allem steht fest, daß bei der Hauptwahl die nationalliberale Wählerschaft eine außer ordentliche Lässigkeit an den Tag gelegt bat, so baß die Parlei für die engere Wahl eine sehr starke Reserve heranriehen konnte, die sie auch beim ersten Aufgebot hätte einstellen sollen. Es steht ferner fest, daß trotz des von Berlin auf sie geübten Hochdruckes, von dem die vorstehend angeführte Aeußerung der „Kreuzztg." noch lange nicht das klassischste Zeugniß abtegl, die evangelischen Landwirthe, die bisher stets liberal gewählt, sich auch diesmal in ihrer großen Mehrzahl in der Stunde der Entscheidung auf sich selbst besonnen haben. Sie ballen im ersten Wahlgang über 3500 Zettel für einen Bündler zu sammengebracht und diese Stimmen muffen am Freitag zu einem sehr beträchtlichen Theil auf den Nationalliberalen übergegangen sein. Wie weil wiedergekehrle ernsthaft politische Einsicht, wie weit die Offenbarung der ultramon- tanen Herrschsucht und Bilbungsfeindlichkeit in Bayern in der jüngsten Vergangenheit zu dem Wiederanschließen an die alle Fahne mitgewirkt haben, darüber sollen hier in diesem Augen blicke keine Bermuthungen angestellt werden. Jedenfalls ist es in erster Reihe die Reichstreue dieser Bauern und Klein bürger gewesen, die sie den Sieg der stärksten und gefährlichsten reichsgegncrischen Richtung zu verhindern trieb. Diese Gewißheit ist das Erfreulichste an dem er freulichen Ergrbniß. Wer freilich in unserem Lager der Hoffnung auf Berliner Wandlung noch nicht gänzlich Valet gesagt bat, den könnte eine Neigung anwandeln, diesen Sieg der politischen Freunde in Bayern zu bedauern. Denn cs erleidet kaum einen Zweifel, daß er auf höfische Weise zu der Deutung benutzt werden wird, das Telegramm von Swine- rnünde „schmecke" dem Gaumen der reichstreuen fränkischen Liberalen „nach mehr". Die gezenlheilige Folge von geaentheiligea Wahlresultaten in Forchheim - Kulmbach wäre aber sehr zweifelhaft gewesen, das vorliegende Er- gebniß gewährt eine solid fundirte Genugthuung. Daö „Bärenglück der Concurrenz", das — sehr begreiflicher Weise — vor wenigen Tagen ein bayerisches natio nales Blatt besorgte, Hal schon beim allerersten nach der Glücksspendung gegebenen Anlaß versagt. Wäh rend Biele zu glauben schienen, diese „Patrioten" hätten an EroberungSkrast gewonnen, so genießen wir jetzt den Anblick eines unter den augenblicklichen Umständen doppelt und dreifach schweren Verlustes der Parlei Daller-Heim- Orterer. Die Bäume sind nicht nur nicht in den Himmel gewachsen, einer von ihnen ist entwurzelt worden. Diese Erscheinung kann füglich größere Gewähr beanspruchen als Erwägungen anderer Art. Was der Freisinn zu dem Sieg über den Ultramontanismus ungefähr beigetragen, wird man ja wohl aus Bayern erfahren. Auf alle Fälle ist dieser Erfolg ein günstiges Vorzeichen sür daö neuerdings wieder angestrebte allgemeine Zusammengehen der Nationalliberalen und Fort schrittler in Bayern. Das Bünduiß hat früher, wenn auch nicht für alle Wahlkreise, bestanden, und das ist außerhalb Bayerns bei aller Gegnerschaft gegen den Freisinn von den Nationallibcralen und auch von Eonservativen gebilligt worden, weil man im übrigen Deutschland einsab, daß die besondere Stärke deö cultur- und reichsfeindlichen KlcrikaliSmuS in dem großen süddeutschen Bundesstaat be sondere Parteibildungen und Vorkehrungen bedinge. „Die Liberalen in Bayern", so sagte vor zwanzig Jahren der unvergeßliche nationalliberale Führer v. Schauß, „dürfen sich nicht den Luxus zweier Parteien gestatten". Dieses Wort ist heute wahrer als je. Der Ultramontanismus ist ungemein erstarkt und — die preußischen Eonservativen haben soeben die Parole ausgezeben, seine Herrschaft in Bayern zu befestigen und zu verewigen. Das ist der Sinn und die Absicht des Rathes, den die „Kreuzztg." den Agrariern in Forchheim-Kulmbach ertheilt hatte. Das führende Organ der preußischen Eonservativen wirst dabei Alles über Bord, was seinem Zwecke entgegen zu fein scheint. ES schreibt: „ES dürste sich daher mehr als je empfehlen, ernstlich ein Zu sammengehen jener Elemente ins Auge zu fasse», die wirthschasis- politisch den Schutz der nationalen Arbeit wollen. Wir wissen sehr wohl, daß man in agrarhchen Kreisen in Franken Bedenken hegt, jo ohne Weiteres mit dem Eentrum zujammenzugehen. Hier wirkt eben die jahrelang betriebene liberale Eulturkampswühlerei nach und erschwert eine Einigung, die an sich als eine glückliche Lösung zu bezeichnen wäre. Allem es kommen hier weitreichende Gesichtspunkte in Frage: es gilt eine in wirthschaslspolitische» Fragen verlässige Mehrheit zu schaffen. Das ist nur möglich, wenn das Eentrum, die Eonservativen und Agrarier in Bayern sich hinsichtlich der künftigen Reichstagswahlen schon möglichst frühzeitig verständigen, damit kein Theil der agitato rischen Arbeit verloren gehe. Es braucht nur daraus hin gewiesen zu werden, daß auf diese Weise der größte Theil der libe- ralen Abgeordneten wie mit eisernem Besen weggesegt werden könnte." Mit der eisernen Beschaffenheit oder der richtigen Hand habung des Besens Hal es, wie die letzte Wahl zeigt, noch einigermaßen gute Wege. Aber, was nicht ist, kann werden. Und da müssen wir uns doch erkundigen, wie die sächsischen Eonservativen zu der durch die „Kreuzztg." proclamirten Politik sich stellen. Wir mochten das umsomehr wissen, als die „Kreuzztg." ein förmliches Carlell mit den Ultramoutanen empfiehlt. — Die preußischen Eonser vativen geben durch ihr Organ die evangelische Sache preis. Die Abwehr des Ultramontanismus — und wie sehr ist alles Nichtklerikale in Bayern in die Defensive ge drängt! — ist reine „Eulturkampswühlerei", daö Cartell konnte nur um den Preis eines großen Machtzuwachseü des EentrumS im Reiche und in Bayern wirksam werden. Daß Sachsen unter dieser Weilerentwickelung des römischen Einflusses mittelbar und selbst unmittelbar leiten würde, wird kein sächsischer Eon- servativcr zu bestreiten wagen. Und die Eonservativen Sachsens werden sich wohl auch nicht eiubilden, daß die Nationalliberalen dieses Landes Lust verspüren, in direkt Eartellgsnossen der bayerischen Ultramontanen zu werden. Der Berliner Plan fordert also eine unzweideutige Stellungnahme der sächsischen Eonservativen heraus und dicie kann nicht deshalb ausbleiben, weil die „entscheidende Bedeutung", die die „Kreuzztg." der Forch heimer Wahl beigemessen hat, gegen den ultramontan-conser- valiven Eartellgebanken zu verwerthen ist. Denn, was in Forchheim nicht gelang, kann dennoch bei den allgemeinen Wahlen versucht werden. Und dann wären eben im Eartell- verhältnisse zu Eonservativen stehende Nationalliberale Bundesgenossen und Todfeinde des Reiches und der GewisseuSfccihcit. Der „Fall Vetter" findet jetzt seinen Epilog in einer Broschüre, welche der eigentliche Hauptbetheiligle an dem „Fall", Professor Vetter in Bern, iclbst soeben unter dem Titel „Die Schweiz — eine deutsche Provinz?"*) hat er scheinen lassen. Professor Vetter nennt seine Schrift, die er „dem versrändnißvollen Beurtheiler jüngster unverständlicher und unverständiger Aeußeruugen schweizerischen Bolksgefühls", Theodor Momnnen, gewidmet Hal, „ein Bekenntniß und eine Abrechnung". Er bemerkt in der Einleitung: „Nachdem in der Angelegenheit meiner Nürnberger Rede Un verstand und Leidenschaft lange Zeit das große Wort geführt haben und auch wohlmeinende Bertheidigung von Seiten ausländischer Zeitungen ost hitziger als nöthig geworden ist, möchte auch ich endlich meine Meinung sagen. Es handelt sich für mich nicht darum, das „letzte Wort" zu haben, sonder» überhaupt mein erstes Wort nach so vielen und lauten Worten der Andern zu fugen, — viel leicht sogar das erste zugleich vernünftige und durchaus sachkundige und sachliche Wort." Zur Sache selbst macht Prof. Vetter folgende Aus führungen: „„Eine deutsche Provinz in geistiger Beziehung wollen wir in der deutschen Schweiz sein und bleiben, aber allerdings mit sehr bestimmten Reservatrechlen!"" Diese Worte, in weihevoller Stunde, bei einem Feste deutschen Geistes gesprochen, haben einen Wider hall gesunden, den sich der Redner nicht träumen ließ und der dem Angehörigen und dem Freunde der beiden betheiligten Länder zu Lenken geben muß . . . Jene Worte waren so wenig wie die ganze Rede ein Erzeugnis) des Augenblicks: der viel angegriffene Satz steht sogar schon in einem allen Collegienheft, das ich vor vier Jahren zu einer Vorlesung über JeremiaS Gotthelf zufammen- jchrieb, und ich habe ihn zu Anfang dieses Semesters in der Ein leitung zu derselben Vorlesung wiederholt, ohne daß meines Wissens *) Verlag von Herrn. Walther-Derlin. Jemand von meinen zahlreichen schweizerischen und reich-deutschen Zuhörern und Zuhörerinnen daran Anstoß nahm. Er schien mir so passend sür ein Fest des deutschen Geistes, und für ein in Bauern gefeiertes Fest, und so entsprechend dem Auftrage, den ich als Ver treter der deutsch-schweizerischen Hochschulen und des Berliner Histo rischen Museums hatte, daß ich kein Bedenken trug, mich selbst zu wiederholen. Also ich lasse von den angefochtenen Wollen nichts abmarkten als Schaumblasen gährender und übersprudelnder Fest oder Alkoholbegeisterung; sie hätten Zeit gehabt, sich abzuklären, ehe ich sie wohlerwogen einer auserlesenen Festtafel kredenzte. Wenn sie gleichwohl aus einen Theil meiner Landsleute wie ein Taumel kelch gewirkt haben, so ist daran künstliche Erhitzung der Gemüther, ja eigentliche Giftmischerei schuld; man hat meine Worte mißverstanden, weil man sie mißverstehen wollte, oder weil mau in einen Schwindel versetzt war, worin man sie miß verstehen mußte." Der Sturm gegen diese Darlegungen ging von den Welschschweizern auS. Das Hauptmißverständniß, und, wie Prof. Vetter meint, ein von den Hetzern muthwilliz verschuldetes Mißverstänvniß war es, daß die „deutsche Pro vinz" auf die ganze Schweiz, statt nur auf die deutsche Schweiz, bezogen ward. Er beruft sich auf Ohrenzeugen und deren Berichte, daß er in Nürnberg nur von der deutschen Schweiz gefprochen habe. Die nationale, die seelische Ver wandtschaft der deutschen Schweiz mit Deutfchland stehl Prof. Vetter über jedem Zweifel, und er rühmt sich ihrer als guter Schweizer unverblümt. Als die Schweiz vor Kundert Jahren ein einheitliches Staatswesen von gemischtem sprachlichen Charakter ward, indem sie die bisherigen welschen Unterthanen und Verbündeten als gleichberechtigte Eidgenossen annahm, sei für den weit überwiegenden deutschen Antheil die geistige Verbindung mit Deutschland bestehen geblieben. Ein SaliS, ein Johannes Müller, ein Pestalozzi, ein Zschokke seien ebenso gute Schweizer als gute Deutsche und in ganz Deutschland gefeierte deutsche Schriftsteller ge wesen, und JeremiaS Gotthelf sei in der Schweiz erst be kannt geworden, nachdem ihn Deutschland entdeckt hatte. Was sodann in unfern Tagen Gottfried Keller und Konrad Ferdinand Meyer der deutschen Literatur gewesen seien und was ibnen Deutschland war, das sei in den letzten Wochen den Schwärmern für eine schweizerische Nationalcultur und Nationalliteratur nachdrücklich genug ins GedäLtniß gerufen worden. Professor Vetter stellt dann geschichtliche Unter suchungen über das Zusammengehen der Schweiz mit Deutschland an und kommt zu dem Schluffe, daß Alles die Schweiz auf ein solches Zusammengehen Hinweise, un beschadet ihrer nationalen Selbstständigkeit. Profeffor Vetter schließt: „Tie Wahrheit aber in unserer Frage: Ist die Schweiz eine „deutsche Provinz"? ist: Ja und nein, je nachdem man cS von der geistigen Zugehörigkeit der deutschen, französischen und italienischen Schweizer zum stammverwandten Ausland, oder aber ob man es von Len Schweizern überhaupt im Verhältnis zum deutschen Reiche versieht, was ja doch Niemanden Unfällen kann, der uus verstehen will. Und jede dieser Provinzen der drei großen Sprach, und Culturgemeinschaften hat und wahrt ihre Reservatrechte, inS- besondere dasjenige, zusammen mit den ander-sprechenden Eid genossen eine geistige Macht zu bilden, die ein Hort der freiheit- Feuilletsn. Das Fräulein von Saint-Lauveur. 19f Roman von Gröville. Flachdruck verboten.) Das „Telephon" zwischen dem Hause und dem „Schlosse" functionirte noch immer, jedoch fortan in umgekehrtem Sinne. Matthäus, der die halben Tage in der früheren Behausung verbrachte, um das Ausheben und Fortschaffen der Bäume und sonstigen Pflanzen zu beaufsichtigen, er fuhr jetzt Alles, was sich in -em Schlosse ereignete, und zwar durch die Dienstleute, die schlecht bezahlt, schlecht ge nährt und schlecht behandelt wurden, und denen das immer häufiger werdende Erscheinen -er Gerichtsvollzieher im Hause jedwede Achtung vor ihren Brodherren gewahrt hatte. Wäre Villorö neugierig gewesen, so hätte er gar Vieles, wenn nicht Alles erfahren können, was sich auf das intime Leben des liebenswürdigen Ehepaares bezog; aber ganz abgesehen davon, daß er keinerlei Neigung für diese Erweiterung seiner Kenntnisse in sich verspürte, verfolgte er ja einen ganz anderen Zweck. An dem Tage, da Frau Nsgnier das Bett verlassen durfte, um sich auf ihre Chaiselongue zu legen, bat er sie um die Erlaubniß, sie dahin zu führen. Wie er es voraus gesehen, wollte sich die Genesende dem Fenster nähern, um den Himmel zu besehen, wie sie das immer gethan hatte. Er rückte die Chaiselongue so dicht als möglich ans Fenster, dessen Vorhänge zur Seite gezogen waren, und dann trat er auf die Sette, um der theuren Frau den Aus. blick freizngeben. Sie faltete die Hände, neigte sich ein wenig vornüber und blickte in den Garten hinunter. „Aber, Landry, was ist denn das?" fragte sie mit einem Male. „Da sehe ich ja meinen Cederbauml Und dort sogar meinen Goldregenstrauch . . . und da mein Kreuz- gehölz. . . Landry!" „Nur sachte, Pathin, nur sachte und sich nicht aufregen!" erwiderte der junge Mann, die beiden Hände erfassend, die sie ihm entgegenstreckte. „Ja, das ist Dein Cederbaum, Dein Kreuzgehvlz und alles Uebrige!" „Alles Uevrige? Ich will aufstehen, will sehen . . ." „Du sollst Alle» sehen, ohne aufzustehen", sagte Landry nnd gab Luise ein Zeichen, woraus diese ihre Gebieterin in ein großes Tuch hüllte. „Wir werden die Chaiselongue auf den Balcon rollen — denn ein Balcon ist auch vorhanden — und dann sollst Tn Alles sehen." Schweigend betrachtete Frau Regnier den Garten, der fast eine getreue Copie jenes anderen war, aus welchem sie die Bosheit zweier Menschen verdrängt hatte. Landry hatte seine Zeit gut ausgcnützt. Da standen dieselben Rasenstücke, dieselben Zwergapfelbüume wie dort, selbst die Anordnung derselben war die gleiche geblieben, und mau mutzte schon sehr genau Hinblicken, um stellenweise geringe Abweichungen zu entdecken, die schließlich nicht zu um gehen waren, da man ja mit einer anderen Boden beschaffenheit und anderen WitterungSverhültnissen zu rechnen hatte. „Oh, Landry, welch' ein guter Mensch bist Du doch!" jprach die Genesende, während ihr Thränen vor Freude über die abgemagerten Wangen rollten. „Ich hätte nie mals gedacht. . . niemals geglaubt, baß dergleichen müg- lich wäre!" „Du sollst erst staunen, wenn Du Alles sehen wirst, Pathin! Doch jetzt mußt Du ins Zimmer zurückkehrcu; denn dieser Altweibersommer ist nicht für kranke Leute ge schaffen, wenngleich er uns die Möglichkeit gegeben hat, Deine geliebten Pflanzen hierherzuschaffen." Das Fenster wurde geschloffen, die Chaiselongue wieder vor das Feuer geschoben, von wo man immerhin einen Kreien Ausblick auf die Landschaft genoß, und hier ver harrte Frau Regnier eine Weile nachdenklich. „Um dies zu Wege zu bringen, muß man von inniger Liebe geleitet werden", nahm sie das Gespräch nach einer Pause wieder auf. „Ich hätte gedacht, daß derlei nur eine Frau zu entwerfen und auSzufllhren vermag. Und wie steht es mit der Bibliothek, Landry? Die hast Du doch nicht dort zurückgelaflen?" „Auch sie wirst Du sehen, Pathin, so bald Dir der Arzt gestatten wird, hinuuterzugehen", gab Landry mit einem geheimnißvollen Lächeln zur Antwort. „Wenn Du recht vernünftig bist, so wird es vielleicht schon morgen ge stattet sein." Frau Rögnicr warf mit einer ganz jugendlichen Be wegung das sie einhüllende Tuch von sich und sagte: „Noch heute Abend, Landry, wenn er es gestattet. Du hast mein Herz und meine Seele von einer schweren Last befreit, die mich niederdrückte. Dort, in jenem anderen Hause, hatte ich gedacht, ich sei mit dem Boden selbst ver wachsen; doch daö war ein Jrrthnm. Nicht der Boden war es, an dem ich voll Liebe hing, sondern an den Früchten unserer Arbeit, an den Bäumen nnd Blumen, die wir unter unserer Pflege heranblühen sahen. Da ich nun die Versicherung habe, daß sie unter der Versetzung in ein anderes Erdreich nicht leiden werden, so werde ich mich glücklich schützen, sie vor barbarischen Menschen geschützt zu wissen. . .." „Pathin, Du darfst nicht so viel sprechen", fiel ihr Landry ins Wort, „da bringt man Dein Frühstück; laß es Dir recht gut munden." Erst am übernächsten Tage stieg Fran Rögnier am Arme ihres Pathensohnes und in Begleitung des treff lichen Doctors die Treppe hinab und begab sich in ihre neue Bibliothek. Hier war die Copie noch getreuer, als im Garten unten gelungen. Jedes Möbelstück stand an seinem früheren Platz, die Bücher nahmen dieselbe Stelle auf den Regalen ein, die Wände trugen die gleichen Ta peten, und auch die Bilder hingen in derselben Anordnung wie im alten Hause. Landry's Fürsorge hatte sich auf Lilles erstreckt, hatte nichts versäumt. Einen Augenblick stand die Wittwe sprachlos da; sic graute den eigenen Augen nicht. Dann aber reichte sie jedem der beiden Männer, die ihr in dieser gefährlichen Heimsuchung ihres Lebens so treu und wacker zur Seite gestanden hatten, eine Hand und lieb sich von ihnen zu ihrem Liebltngssessel führen. Vor dem von der Decke bis zur Erde reichenden Fenster erblickte sie Matthäus, der herrliche Chrysantheme« mit Stützpfählcn versah; man hätte meinen sollen, daß er niemals anderwärts thätig gewesen sei. „Ruft ihn herein", bat Frau Nögnier. Mit einem tiefen Bückling trat der Wackere herein; ein Bund weichen Seegrases, welches er zum Befestigen der Stützpfähle benutzte, hing ihm aus -er Tasche seiner ArbcitsschUrze heraus. „Matthäus, ich danke Ihnen herzlichst", sprach die Wittwe und reichte ihm die feine abgcmagcrte Hand. Ohne zn antworten, drückte der treue Diener die zar ten Finger in seiner großen, schwieligen Hand und schritt mit sehr geschäftiger Miene hinaus; der schlichte Mann war zu bewegt, als daß er eine Antwort zu geben vermocht hätte. „Landry", nahm die Genesende nach einer Weile von Neuem auf; „ich glaube, daß ich hier glücklich sein werde. Ich kann Dir keinen besseren Dank sagen." „Da hast Du vollkommen Recht, Pathin. Und heute Abend wirst Du bereits in Deinem früheren Bett schlafen, gleichwie Dein Schlafzimmer dieselben Möbel erhalten soll, die früher darin gestanden haben. Zu diesem Behufe mußt Du es freilich für ein paar Stunden verlassen. Leider wirst Du Dich aber nicht lange daran ergötzen können; denn nun reisen wir nach Bourges ab . . .". Sagen Sie nur, Doctor, wann das geschehen kann." „Ende der nächsten Woche", gab der in so vielen schmerzlichen Stunden erprobte treue Freund zur Antwort. Achtzehntes Capitel. Es war heute durchaus kein heiterer Tag in der guten alten Stadt Bourges; eine durchdringende Feuchtigkeit hatte sich auf den Treppen und in den Corridoren der Häuser eingenisret, ganz abgesehen davon, was sich auf dem Straßenpflaster anhäufte. Trotzdem verließ Jehan von Olivettes hoch erhobenen Hauptes sein Heim; selbstbewußt schritt er einher; denn dieser heutige Tag gehörte ihm, er fühlte sich als Herr und Meister seines Schicksals. Jeder von uns hat in seinem Leben mehr oder weniger einen Tag, eine Stunde gehabt, da man Meister seines Smicksais, oder wenigstens eines Theiles dessen, was man Schicksal nennt, zu sein wähnt. Jehan halte diesen Augenblick seil langer Zeit erwartet, und endlich schien er gekommen zu sein. Seine langen Beine trugen ihn schnell und sicher nach der Wohnung der Frau von TournelleS, die an diesem nebclschweren Tage so düster und geheimnißvvll war, wie sie ein mittelalterlich veranlagter Poet nur irgend wünschen konnte. Die rauchgeschwärzten Tapeten und im Lause der Jahr hunderte stark nachgedunkclten Möbel der Vorhalle waren durchaus nicht danach angethan, Heiterkeit zu erregen oder zu ermuthigen; trotzdem betrachtete Olivettes dieselben lächelnden Blickes, während ein Diener hineinging, um ihn anzumeldcn. Mit herausfordernder Miene musterte er eine angeblich flandrische Wirktapcte, als hätte er sic für sehr geringwerthig angesehen, waS sie thaisächlich auch war. Er wurde alsbald in -en Salon geleitet, wo in un mittelbarer Nähe der kleinen, niedrigen Fenster, bet deren Anblick man sofort eine unbezwingliche Sehnsucht nach freien Terrassen und grünen Laubgängcn empfand, zu mal sie sich auf eine enge, finster« Gaffe öffneten, zwei Frauen in eifriger Betrachtung eines schweren Stückes Leibe versunken standen, da», recht schmutzig und ab-
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