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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020827020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-27
- Monat1902-08
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König Bictor Emanuel weilt nicht zum ersten Male im Königsschlosse an der Spree; im Jahre 1889 schon konnte er als Herzog von Neapel an der Seile seines VaterS, gleich diesem enthusiastisch begrüßt, seinen Einzug in Berlin halten. Er knüpst Laber nur an längst bestehende Traditionen an, wenn er jetzt als Herrscher des Deutschland befreundeten und verbündeten Italiens dem Kaiser und der Reichshauptstadt einen Besuch abstattet. Das Band dieser Traditionen schlingt sich nicht nur um die beiden Herrscherfamilien, sondern auch um die beiden Reiche und Böller, deren Werdegang so viele Ver- gleicksmomente bietet, deren Interessen sich eng berühren und die jetzt und in der Zukunft Las gleiche Ziel erstreben: eine gedeihliche wirthschastliche und Politische Entwickelung im Schutze Les Weltfriedens. Dieser Schutz des Weltfriedens ist die Basis des Bündnisses, das Deutschland mit Italien und gemeinsam mit diesem mit Oesterreich-Ungarn eint. Es bildet im Bewußtsein der Böller wie in den persönlichen Beziehungen der Monarchen zu einander die unverrückbare Grundlage, die von müßigen Eombinationen ebenso wenig berückt wird wie von böswilligen Ausstreuungen. Der Besuch König Bictor Emanuel's am deutschen Kaiserbofe und in der deutschen Neichshauptstadt wirb auch die, welche solchen Ausstreuungen und solchen Eombinationen Raum gaben, über die völlige Halt losigkeit ihrer Träume und Wünsche belehren. Wir wissen uns Eins mit der überwältigenden Mchrbeit der Nation, wenn wir König Bictor Emanuel als den Freund und Verbündeten unseres Kaisers und als den Träger und Repräsentanten der innigen Beziehungen zwischen dem italienischen und dem deutschen Volke herzlichst willkommen heißen. Von dieser überwäl tigenden Mehrheit glauben wir nicht einmal den größeren Theil der Tdcilnehmcr an dem „Deutschen Kat Koliken tage" in Mannheim ausnehmen ;u sollen, obgleich diese Tbeilnehmer wieder einmal eine Resolution zu Gunsten der Wiederausrichtung der weltlichen Herrschaft der Päpste beschlossen haben. Diese Resolution ist ein eiserner Bestandtheil der deutschen Katholikentage, der Ausdruck eines jener „srommen Wünsche", an deren Erfüllung man selbst nicht glaubt, ja deren Erfüllung man nickt einmal ernstlich ersehnt, am wenigsten auf Kosten LeS Weltfriedens. So würde denn Wohl auch die Mannheimer Versammlung, wenn sie in Potsdam oder Berlin tagte, sich ziemlich vollzählig an der Begrüßung des kaiserlichen Gastes betbeiligen, der zwar der Wwderausricktung der weltlichen Herrschaft der Päpste ani meisten im Wege steht, aber eine der Säulen dcS Welt friedens ist. Daß unter den politischen Gegnern Rudolf von Bcuuigscn's die Welfen die erbittertsten und unversöhnlichsten waren, ist ebenso bekannt, wie begreiflich. Um fo mehr ist es an- zucrkennen, daß die welsische „Deutsche BolkSztg." in ihrer Nummer vom 16. d. MlS. einen Artikel veröffentlicht, der zwar die politische Thätigkeit des großen Tobten abfällig beurtheilt, aber doch das Bestreben erkennen läßt, seiner Bedeutung und seinem Charakter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. So heißt es in dem Artikel: „Mit dem Abjcheiden Rudolf v. Bennigsen's bat ein an Er- folgen und äußeren Ehren reiches Leben seinen Abschluß gefunden, und mit ihm ist ein großer und bedeutender Mann unseres hrimalhlichen BvlkSstammes dahingegangen. Wer wollte LaS leugnen! Wer will weiter leugnen, Laß Rudolf v. Bennigsen nach vielen Rich tungen hin eine anziehende Persönlichkeit war — er gebot über ein reiches, umfassendes Wissen, eine fesselnde Ve- redtjamkeit und besaß neben einer imponirenden Gestalt und vornehmen Erscheinung die Fornicn eines vornehme» Mannes — er verstand cS, große Versaminlnugen meisterhaft zu leiten, auch seine Partei, wenn er wollte, dahin zu bringen, wohin er sie haben wollte.... Sein vornehmer Charakter zeigte sich auch seinen politischen Gegnern gegenüber, er ist häufig ungerecht angegriffen und verunglimpft; er hat seine Beleidiger ebensowenig wie seine Gegner jemals kleinlich verfolgt, weder alS Landesdirector, noch als Lberpräsident, obschon er oft Anlaß und Gelegenheit dazu hatte .... Noch weniger kann man Rudolf v. Bennigsen nachsagen, daß er in seinen amtlichen Stellungen in unzulässiger Weise die Wahlen beeinflußt hat." Freilich sagt Las Blatt an einer anderen Stelle, es fei nicht schön gewesen, daß Bennigsen „den mit einer hohen Remnuerativn verbundenen Posten eines Vorsitzenden in der Verwaltungscommission LeS segucslrirtcn Vermögens des Königs Georg V. von Hannover annahm", und stellt raunt eine Behauptung auf, von deren Un richtigkeit gerade LaS Welfeuorgan sich leicht Halle über zeugen können. Denn ebenso wie der „Hann. Eour." hätte die „Deutsche BolkSztg." an zuständiger Stolle erfahren können, Laß der betreffende Posten mit einer Remuneration nicht verbunden ist. Jedenfalls gehl aber aus Lieser Be hauptung hervor, Laß Las Welfenblalt nichts weniger im Sinne hat, als eine Verherrlichung Bennigscu'S auf Kosten der Wahrheit. Um so höher zu bewerthen ist die Anerkennung LeS Blattes, daß Bennigsen seine eigenen pecuniä>cn Vor- ihcile im politischen Leben nicht gesucht habe und daß die ihm in Bezug auf die Altenbekener Bahn gemachten Vorwürfe unberechtigt seien. Wir hoffen, daß ein in Dresden crickeinendes antisemitisches Blatt, das kürzlich jene schon wiederholt zurückgewicfencn und als durchaus unhaltbar nach gewiesenen Vorwürfe aufgewärml bat, das Zengniß des WelfenorgancS gelten und von dem letzteren sich nicht an Gerechtigkeit gegen einen großen Todten übertreffen läßt. Ter Eulturkarnps in Frankreich treibt wunderbare Blüthen. So veröffentlicht die „Libre Parole" einen Aufruf, der zur Bildung einer Liga der Steuerverwcigerer aujsordert. Der Ausruf ist von Francois Eo ppöe, Mitglied der Akademie Fran^aise, und Eduard Drumonl, Lein Leiter des anti semitischen Blattes „Libre Parole", unterzeichnet. Es heißt in demselben: „Die Steuerveliveigerung ist weder ein Parieimanöver, noch eine revolutionäre Maßregel, noch eine kleinliche Neckerei, die wir dem Ministerium bereiten. Für uns bedeutet die Steuerverweigerung eine sehr feste, sehr überlegte und sehr männliche Berufung aus den socialen Vertrag, demzufolge durch die Zahlung dec Steuern ullen Mitgliedern der französischen Gesammtheit die Achtung ihres Eigenthums, ihrer Freiheiten und ihrer Rechte ge sichert werden. Wir würden uns verächtlich machen, wenn wir fortfnhren, unsere Steuern einer Negierung zu zahlen, die uns behandelt, wie fremde Sieger die Besiegten nicht behandeln wurden. Völker, wie die Eng länder und Amerikaner, bei denen die Freiheit in die Sitten über gegangen ist, betrachten dieVorgänge bei uns mit einer Art von Staunen und verächtlichem Mitleid. Wir haben geglaubt, daß es nothwendig sei, daß eine gewisse Zahl von Bürgern, und mären es auch nur zehn- oder sünfzehntausend, gegen die Attentate protestiren, die für Jene, gegen welche sie gerichtet sind, eine wahre bürgerliche Defrau dation beteilten. Wenn ihr euch unserem Proteste anschließt, setzt ihr euch zweifellos einigen leichten Vexationen, einigen Ctörnngen in eurer Existenz, einigen Kosten und einigem Aerger aus. Aber ihr werdet euch in euren eigenen Augen und in den Augen der ganzen Welt heben; ihr werdet beweisen, daß es in Frankreich noch Männer giebt, die bas Gefühl ihrer Würde als Bürger und Fran zosen haben." Diesem Aufruf ist ein Formular beizegeben, das von den Steuerverweigerern unterzeichnet und dem Bureau der „Libre Parole" eingesendet werben soll. Tie „Libre Parole" wird die Listen Lieser Dcclaranten veröffentlichen. Das Formular ist aber recht unbestimmt abgcsaßt, cs bat folgenden Wortlaut: „Um gegen die Handlungen der Regierung zu protestiren, welche die A ch l u n g vor dem Eigen- thum, die Gewissensfreiheit und das Recht der Familienväter verletzt, verpflichte ich mich, die Zahlung meiner directcn Stenern bis zu den äußersten Fristen hinaus- zusckieben." Der „Temps" macht mit Recht darauf auf merksam, Laß daS Hinausschichen der Steuerzahlung nicht gleichbedeutend mi: Steucrverweigerung ist, und daß die zwei deutige Formel, welche denjenigen, die sie unterzeichnen, niedrere Hinterpförtchen offen läßt, mit dem pathetischen Ton des Aufrufes nicht im Einklang steht. lieber die Absichten der Bocrcn-Gcnerale wird uns aus Brüssel berichtet: Personen, welche mit den Boeren- Generalen in nähere Fühlung kamen, versichern, Laß die selben den Plan ausgedehnter VortragSreisen aufgegeben haben. Mit Liesen Reisen hatten die Generale einzig den Zweck verfolgen wollen, Geldmittel sür ihre nothleidcndcn Volks genossen zu sammeln. In England wurde ihnen jedoch er klärt, die britische Negierung sei bereit, alle erforderlichen Mittel, auch über die in dem Friebensprolokoll festgesetzte Summe hinaus zu bewilligen; dir Generale möchten daher bei ihrer Rückkehr nach London der Negierung alle ihre Wünsche unter breiten und das Nähere besprechen. Hierauf seien die Letzteren auch cingegangen, weshalb sie mit der jetzigen Rundreise nur den Zweck verfolgten, mit den maßgebenden Kreisen in Holland und anderen Ländern über die Frage zu bcralhen, in welcher Weise die nationale und wirthschastliche Zukunft Les BoereuvolkcS sichergestellt werden könne. Die Generale wünschen eineiscitS daS niederländische Schulwesen in ganz Südafrika besser anSzugcstalten, wozu sie mit dem „All gemeinen Niederländischen Verband", welcher über Belgien und Holland ausgedehnt ist, Abmachungen, betreffend Entscu- rnng von Lehrkräften und Lieferung von Lehrmitteln, treffen wollen. Ebenso sei eine stärkere Einwanderung nieder deutscher, für den Landbau geeigneter Elemente nach Südafrika erforderlich, wofür die in Holland bestehende südafrikanische Elnwanderungsgesellschaft die nöthizen Organisationsarbeiten übernehmen soll. Außerdem beabsichtigen die Generale, darüber Erhebungen anzustellen, in welcher Weise die Handels beziehungen zwischen Südafrika und Europa, bezm. Ameiita unter engerer Bethciligung der Boeren gefördert und neue Gesellschaften zur Ausnutzung der noch uugehobenen Minen schätze Transvaals gebildet werden könnten. Deutsches Reich. tt Berlin, 26. August. (Der Wechsel im Reichs- amt des Innern.) Mit dem Ausscheiden des Unter staalssekretärs Rothe aus dem Reichsamt des Innern wird auch die Leitung einer der Abtbeilungen des Amtes frei. Anfang der neunziger Jahre gab es solcher Abtheilnngen zwei, die Eentralabtbcilung und die für wirthschastliche Angelegen heiten. Die letztere stand unter der unmittelbaren Leitung des Unterstaatösekrelärs — der spätere EultuSminister Bosse hat beispielsweise diese Abtheilung geleitet —, die erstere halte einen besonderen Dircctor, der zu der angegebenen Zeit der jetzige Staatssekretär des NeichSjustizamtS Nieberding war. Mitte der neunziger Jahre waren auS den zwei drei Abtbci- luugen geworden, nachdem die Fürsorge für die arbeitenden . Elassen die Bearbeitung in einer besonderen Abtheilung noth wendig gemacht hatte. Dieser Abtheilung stand damals der Unter- staatsjekretär Rotten bürg vor, während der jetzt aus dem Amte geschiedene Unterstaatssekretär Rothe zu gleicher Zeit Director der Abtheilung für Handelsangelegenkeilen, gewerb liches Eigenthumsrechl u. s. w. war. Leiter dieser Abtheilung blieb Excellcnz Notbe auch, als er nach dem Abgänge Notten- burg'ü int Jahre 1896 Unterstaatssekretär wurde. Später bat der Umfang dieser Abtheilung insofern eine Einschränkung erfahren, als die Handelspolitik von ihr getrennt und für diese eine besondere, die vierte Abtheilung, gebildet wurde, die unter die Leitung des DirectorS Wermuth gestellt wurde. Zuletzt umfaßte die Abtheilung, deren Leitung in den Händen des Unterstaalssekretärs Rothe lag, bas Bank- und Börsenwesen, die Angelegenheiten Les geistigen Eigen- tbumS, der Patente, Les Modell-, Muster und Markenschutzes, Lie See- und Binnenschifffahrt einschließlich der Perwallung des Kaiser Wilhelm-Cauals und der Postdampferverbindungen, die See- und Binnenfischerei, sowie die Ausslclluugs- und AuöwanderungSsachen. Um die Ersetzung der leitenden Person in Lieser Abtheilung wird es sich also neben der Wieder besetzung des Unterstaatssekretariats im Reichsamt deS Innern handeln. EI Berlin, 26. August. (Neuer Lehrplan für den Zeichenunterricht in der preußischen Volksschule.) Die preußische UnterrichtSverwaltung Hal in Aussicht ge nommen, einen neuen Lehrplan für den Zeichenunterricht in der Volksschule in den Uebungsschulen einiger Lehrerseminare versuchsweise durchzusühren. Der nach diesem Plane zu er- theilende Unterricht scheidet sich in Freihandzeichenunterricht und Lincarzeichennnterricht. Im Freikandzeickeiiunlerrickt soll die naive Auffassungs- und Darstellungsweise des Kindes allmählich zu einem bewußten Beobachten und Wiedergeben der Dinge seiner Umgebung entwickelt und seinem natürlichen Gestaltungstriebe Gelegenheit zur Bethätigung gegeben werden. Die Schüler sollen die Feuilleton. Oas Fräulein von Aainl-Sauveur. 2lj Roman von Grü v i l l e. c-iachdruck verboten.) „Vorerst gehen wir ins Hans", sagte Frau Regnier. Die Fenster im Erdgeschosse standen offen. Man kann sich nichts Nackteres, nichts Melancholischeres vorsteUcn, als diese geräumigen Zimmer, in welchen bisher Behag lichkeit und anspruchsloser Lurus geherrscht hatten, und in welchen sich jetzt kaum die nvthwendigsten Möbelstücke befanden, die man zurücklaiscn mußte, nm den Eigcn- thümer zn verhindern, von dem Hanse widerrechtlich Be sitz zu ergreifen. Die Stelle, an welcher die Bücherschränke in der Bibliothek gestanden hatten, hob sich ein wenig Heller von dem gebohnerten Fußboden ab. Ueberall herrschte die peinlichste Sauberkeit, allein jene strenge, kalte Reinlichkeit, die verräth, daß man auf Alles verzichtet habe, was nicht absolut unentbehrlich ist. „Die oberen Räume willst Du gewiß nicht besichtigen", meinte Landru wie beiläufig, nachdem Fran Rögnier das Erdgeschoß besichtigt hatte. „Es wäre auch entschieden an- znrathcn . . . ." „Nnn gut", erwiderte die Wittwc mit einem Seufzer. „Gehen wir lieber in den Garten." Damit verlieben sie das Hans. Es war ein unfreund licher Nvvcmbernachmittag, und der Nebel versperrte schon aus einige Schritte hin jede Aussicht. Die seltenen Gewächse und edlen Bäume, die bisher hier geblüht hatten, schmückten fortan das neue Heim, und dort, wo man sic früher zu sehen gewohnt war, gähnten nur noch dunkle Lücken inmitten des Buschwerks. In wenigen Augenblicken ward cs Landru klar, was dieser Garten für seine Pathin gewesen; da er ihn wachsen und gedeihen gesehen, hatte er sich niemals über die Summe von Arbeit klar werden kbnncn, welche derselbe erforderte. Die Luft war vollkommen ruhig, kein Zwctglcin regte sich, kein Vogel flog durch die dürren Baumüste. „Meine Amseln haben sic auch ausgervttet", bemerkte Frau Nc-gnicr leise. „Und doch wimmelte es vordem von diesen lieblichen Vögeln bei mir." Langsam schritt sic auf dem sorgfältig geglätteten Kies- wcge weiter. Die Blumenbeete waren verschwunden, von Rasenstücken nnd Rascncinfassnngcn war nichts mehr zu sehen. Die früher von einer dichten Masse grüner Schling- pflanzen bedeckte Maner deS Hauses stand kahl und leer da; nur vereinzelte Drähte und Bindfabenenden waren noch zu sehen, an denen sich die Ranken cmporgewundcn hatten. „Hier waren meine schönsten Fuchsien", sagte die Wittwc noch leiser. „Ferner eine ganze Einfassung von prächtigen Nelken . . . ." „Die hast Tu ja alle in Deinem neuen Heim!" tröstete Lanüry. Sie blieb inmitten des leeren Raumes stehen, der früher ein Garten gewesen, und betrachtete das Hans, welches für sie ein Heim bedeutet hatte. Nein, diese kahle Erde batte ihr nichts zu sagen, diese ihrer grünen Umrahmung be raubten geschlossenen Fenster waren nicht mehr ihre Fenster, diese verstümmelten Bäume nicht mehr ihre Bäume. Der Garten, den sie zu einer lebenden, athmen- den, fast seelisch begabten Sache gemacht, dieser Garten, nm den man sie beneidete, den Niemand copircu tonnte, wie er die ureigenste Schöpfung ihres Gatten und ihres eigenen Geistes gewesen, dieser Garten war tvdt. Todt und leblos lag er in der kalten, stummen Atmosphäre des Winters da, nnd der kommende Frühling würde ihm keine Auf erstehung bringen. Mit einem Blick umfaßte Fran Nögnicr das Ganze, nnd cS wurde ihr klar, daß auch ein Garten sterben kann, wenn die Seele, die ihn geschaffen, von ihm weicht. Der Frühling wird zwar kommen, aber die Rosen nickt mehr zum Blühen bringen; blvs Unkraut wird gedeihen und nach dem Reckte des Stärkeren die wenigen edlen Keime ersticken, welche möglicherweise bei der allgemeinen großen Umwälzung zurückgeblieben waren. „Sic werden diese Bäume füllen lassen", sagte l^ic Wittwc zu Matthäus, und bezeichnete die Stämme, deren Angstschrei sie am letzten Tage ihres Aufenthaltes an diesem Orte so gewaltig erschüttert hatte. „Sie sollen nicht länger leben, als alles Andere. Keine Spur soll davon Zurückbleiben, daß wir jemals an diesem Orte geweilt haben. Morgen lassen Sic die Holzfäller kommen. Tie Obstbäinnc sollen stehen bleiben, doch Früchte sollen sie nicht mehr tragen; verstehen Tic, Matthäus? Sobald sic zu keimen beginnen, müssen Sie jede Aussicht auf ein Er- trägniß vereiteln." „Ja, gnädige Frau", erwiderte der Gärtner. „Ich habe selbst schon daran gedacht." „Und hier", sie deutete auf die Stelle, wo sich früher ihr herrliches Blumenbeet befunden hatte, „hier werden Sie wilden Hafer säen. Der Garten ist todt, und so lange er mir gehört, soll er zn keinem neuen Leben erstehen!" Damit kehrte sie zn dem Landauer zurück un5 stieg langsam ein, ohne einer Hilfe zu bedürfen. Als der Wagen durch das Gitterthor rollte, neigte sie sich zum Fenster hinaus und blickte noch einmal auf bas Bild trost loser Verwahrlosung zurück, welche» Ne hinter sich ließ. „Gott befohlen!" sprach sic. Landru zog das Fenster in die Höhe nnd blickle seine Pathin aufmerksam an, indem er seine Hand auf die ihrige legte. „Ich weine nicht", sprach sie, gleichsam als Antwort auf seinen fragenden Blick. „Ick Hütte gar nicht gedacht, daß ick so stark sein würde. „Ich habe daraus eine heil same Lehre gezogen, mein Kind: unser Glück, unsere Er innerungen bestehen nicht außerhalb unseres Selbst, sondern wir tragen sie mit uns. Erblassen sie, so hat unsere Seele an Wärme emgebüßt; doch die Dinge tragen keine Schuld daran . . . Meine Seele genügt meinem Gedächt nisse. Du warst mir behilflich, zu dieser Erkenntnis; zu gelange«, und für dies, sowie für Alles, was Du für mich gethau, Landri), segne ich Dich und danke Dir aus vollem Herzen." Z w a n z i g st e s E a p i t e l. Am nächsten Tage entführte Villvrö seine Pathin nach Saint-Sauvenr, und Matthäus, der eine Anzahl tüchtiger Arbeiter gemicthet hatte, verfügte sich mit diesen um die Mittagszeit nach der früheren Stätte seiner Wirksamkeit. Die ersten Axthicbe, die gegen die Baumstämme gc- tsührt wurden, setzten das unsichtbare Telephon in Be wegung, und alsbald erschien die Gestalt EhanteflcurS. der vor allen Dingen eine Reihe verschiedener Flüche ausstieß. „Was geschieht hier?" schrie er. „Wer wagt, meine Bäume auzurührcn?" Der erhaltenen Weisung getreu, ließen die Arbeiter keinen Laut vernehmen, sondern fuhren in ihrer Beschäfti gung fort. Nnn tauchte der Oberkörper Chanteflenrö oberhalb der Mauer auf. „Ich erlaube nicht, daß man an meine Bäume rührt!" sprudelte er hervor und'suchte sein ziemlich fragliches Gleichgewicht zu sichern, indem er sich mit beiden Händen an die Mauer klammerte; feine Füße standen nämlich auf einer Lciterstuse. Ein Kaftanieubaum fiel krachend zu Boden. Dies war die Antwort auf sein zorniges Geschrei. „Matthäus, hör-st Du denn nicht?" schrie Ehanteflcur, der heute mehr denn je betrunken sein mochte. „Sie sprechen zu mir, gnädiger Herr?" fragte der Gärtner höflich, ihn auS den treuherzigen Augen recht spöttisch anblickcnd. „Freilich zu Dir, Du Hallunke! Laß meine Bäume in Ruhe nnd schere Dich zum Teufel. Was sich innerhalb dieser Mauer befindet, gehört mir." „Da hat man den gnädigen Herrn schlecht bevathen", erwiderte Matthäus. „Sie sollten sich doch erst belehren lasten." „Schweige, Du Dieb!" „Schweige Du selbst!" entgegnete Matthäus, sich bock cmporrichtcud. „Und wenn Du tausendmal der Eigen- thümer bist. Auch bin ich "Niemandem einen rothen Heller schuldig, während bei Dir der Gerichtsvollzieher stündiges Ouarticr genommen hat!" Die kleine Schaar der Arbeiter lackte, daß es schallte. Die vielen Schulden, in welchen das Ehepaar Ehanteflcur stak, lieferten den Leuten ringsumher ohnehin reichen Gesprächsstoff. Die würdigen 0)alten hatten den vor nehmen Anstrich, den sie in der ersten Zeit ihrem Haus halt zu geben gcsuchi, bcdentend vermindern müssen. Mehrere Pferde waren verkauft worden, die Dienerschaft war auf ein Minimum redueirt, und dessen ungeachtet wollten die Rechnungen nnd Schuldscheine, die hageldicht ins HauS kamen, kein Ende nehmen. „Na warte, das werde ich Dir eintränken!" schrie Ehanteflcur, indem er sich mit Hilfe der Hände auf die Mauer emporschwingen wollte. Doch seine ohnehin nicki sehr sicheren Beine versagten ihm; er versank mit einem Male, gleich einer Marionette, nnd fiel auf der andere:! Seite der Maner schwer auf die Erde nieder. Der Wnick anfall hatte seiner durch den Trunk geschwächten Ernst, tutivn den Rest gegeben, und seine Gattin, die von dem Lärm herbcigezogen worden war, mußte zwei Männe e (suchen gehen, um ihn ins Haus tragen zu lassen. E - währte eine ziemliche Weile, bis sic sic aufgetrieben batte; denn seitdem man in diesem Hause nicht mehr bezahlt wurde, fanden fick auch keine Arbeiter daselbst ein. Endlich hatte sic den Kutscher nnd einen Hilfsgärtncr — der eigent liche Gärtner war schon längst gegangen — ansgetricben, die den zitternden und bebenden Schloßherrn mit Mühe und Noth ins „Schloß" schafften. Der Dämon, dem Ehantcfleur Zeit seines Lebens glaubte trotzen zu können, hatte ihn endlich überwältigt; eine Rettung war ausge schlossen. Zur selben Zeit hielt Frau Rc-gnier ihren Einzug in Saint-Sauvenr, wo sie mit Liebe nnd Zärtlichkeit errvartet wurde, die den einer wahren Liebe fähigen Menschen die Ucbcrzcugnng beizubringcn vermag, daß es auch auf Erden ein Paradies giebt. Zwei oder drei Tage waren verstricken, während welcher der Margniv nnd Villorö überaus in Anspruch genommen waren, während welcher Fran Regnier da gegen die heiterste nnd ungetrübteste Ruhe genießen konnte. Um wenigstens zwanzig Jahre verjüngt durch die Gegenwart dieser alten, geliebten Freundin, hatte Tante Laurence ihre gewohnte Schlafsucht fast ganz von sich ge schüttelt. Antoinette schien auch sehr beschäftigt zn sein. Sie kam «nd ging mit ihrem weichen, elastischen Schritt unablässig
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