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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020828021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-28
- Monat1902-08
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Wenn aber baö socialislische Central organ am Tage der Ankunst des Königs von Italien sich, und zwar gleich an zwei Stellen, im politischen und im localen Thcile, an ausgesuchten Rohheiten ergötzt, so ist das doch etwas zu stark. Es sei hier folgende Blütbenlese aus den Artikeln deö „Vorwärts" wiedergegebcn: „Die Mitglieder der Kriegervcrcine und der Innungen haben ihre SvnntagSröcke ausgebürstet und ihre Chlinder aufbügeln lassen; die ossiciellcii Vertreter des Berliner Stadtfreisinns haben ihre werthen Rücken im Krümmen geübt und ihnen den letzten Nest etwaiger Steif heit genommen ... Aus des Kaisers Wunsch wird das liberale Berlin dem dynastischen Feste die schaulustige Menge stellen." Dann ist Weiler von dem „hohlen Gcjudcl interejsirter By zantiner" und von den „Narren, die im Schaugcpränge sich berauschen", die Rede. Und zum Schlüsse heißt es: „Unbetbeiligt am glitzernden Firlefanz, in dem würdelose Byzantiner höfische Besuchsfeiern aufputzen, wirken die Völker Italiens und Deutschlands am international gemein samen Werke wahrhaftiger Friedensschaffung." In der Schlnßbeuierkung tritt neben der Rohheit wieder einmal die echt sociaivemokratische Anmaßung in die Erscheinung. „Die Völker Italiens und Deutschlands", daS sind für den „Vorwärts" natürlich nicht die Millionen von Staats bürgern, die, einerlei ob conservativ oder fortschrittlich, diesseits und jenseits der Alpen an der Begegnung frohen Antbeil nehmen, sondern eS sind einzig und allein die Anhänger der socialdemokratischen Partei. Alle Anderen sind Menschen zweiter Classe, die vom „Volke" ausgeschlossen sind. Wie lächerlich im klebrigen der Vo Wurf Les Byzantinerthums m diesem Falle ist, geht Wohl schon daraus hervor, daß die „Freisinn. Ztg." des Herrn Eugen Richter dem König von Italien einen langen und sehr herzlich gehaltenen Leitartikel widmet. Man kann gewiß und mit gutem Recht an Herrn Richter viel auszusetzen haben, aber de» Vorwurf byzantinischer Gesinnung bat ihm sicher lich noch Niemand macken dürfen. Dieser Fall zeigt eben wiederum, welche tiefe Kluft alle bürgerlichen Parteien, auch diejenigen demokratischer Tendenz, von der jede nicht nur nationale, sondern, wie hier, auch menschlich-gastfreundliche Gesinnung rücksichtslos mit Füßen tretenden Socialdemo- iratie trennt. Dem bevorstehenden Kaiscrbcsnche in Posen hat noch etwas Störenderes als das demonstrative Fernbleiben des polnischen Adels gedroht, nämlich Fleischmangel. Dem Eintritte dieses Mangels ist nun zwar infolge einer Eonferenz, die am Montag in Berlin zwischen dem preu st i s ch e n L a n d w i r t h s ch a f t s m i n i st e r, dem Ober bürgermeister Wittig und dem Stadtverordnetenvor- steher Justizrath Lewinski ans Posen nnd einigen an deren Herren stattfand, vvrgcbengt worden, aber der Ver lauf dieser Eonferenz, über die Jnstizrath Lewinski im „Pos. Tageblatt" berichtet, ist von viel zn allgemeinem Interesse, als daß sie lediglich der Betrachtung der in Posen erscheinenden Blätter überlassen werden dürfte. Der Be richt lautet nämlich: Der Minister wandte der Angelegenheit ein sehr rcgeZ Interesse zu und erklärte von vornherein, daß er cs für eine Pflicht der Landwirthschaft erachte, die Versorgung der Bevöl kerung mit Nahrungsmitteln in die Hand zu nehmen und dafür zu sorgen, daß an keiner Stelle der Monarchie ungewöhnliche Störungen in der regelmäßigen Ernährung cinträtcu. Der Oberbürgermeister wies an der Hand genauen statistischen Materials nach, in wie besorgnißcrregendcr Weise die Flcischpreisc allmählich und ganz besonders in den letzten 6 Wochen in Posen in die Höhe gegangen seien, auch daß man sich der Befürchtung nicht cntschlagcn könne, daß die große Menschenansammlung während der Kaisertage noch unhaltbarere Zustände Hervorrufen könne. Der Vorsitzende der Landlvirthschaftskammcr, Hern von V o r n - F a l l o i s, der vom Minister zu dieser Eonferenz zugezogcn war, zeigte durch Vorlegung der Brombcrger Markt preise, daß eine nicht unwesentliche Differenz der Preise zu Un gunsten von Posen vorlicge und daß die allseits als sehr hoch bezeichneten Posener Preise wohl hauptsächlich nur eine locale Erscheinung wären, die auf Spekulation zurückzuführen seien. Demgegenüber ergab die Berechnung der städtischen Vertreter, daß die Posener Flcisckpreise mit den Vieh preisen am Posener Vichmarktc in vcrhältnißmäßigcm Einklang ständen nnd daß der Verdienst der Fleischer, Angesichts der hohen Viehprcisc, kein abnormer sein könne. Der Minister erklärte, daß, so sehr er auch bereit sei, alles zu thun, um dem Ucbelstande abzuhelfen, er doch dem Wunsche der Stadt Posen, auf Oeffnung der Grenze behufs Einführung von russischen oder galizischen Schweinen, nicht entsprechen könne. Einmal würde dies schon aus tech nischen Gründen in der kurzen Zeit nicht ausführbar (ein, da hierzu Einrichtungen gehörten, welche nicht so schnell beschafft werden können. Tann aber legte der Minister eine Statistik der letzten Jahre vor, aus welcher sich allerdings ergab, daß seit Einführung der strengen Spcrrmaßregeln die Viehseuchen m unserer Landwirthschaft in ftaunenswerther Weise abgcnommen haben, und Ivies auf den außerordentlich großen Verlust am Nationalvermögen hin, welcher durch diese Seuchen herbcigeführt werde. Es hieße das ganze Werk gefährden, wenn das einge schlagene Priucip durchbrochen werden würde, da selbst die Uebertragung von Krankheiten durch geschlachtetes Fleisch keineswegs ausgeschlossen sei. Dagegen habe er sich bereits mit dem Leiter der Vieh centrale, Obcramtmann Ring- Düppel, in Verbindung gesetzt, welcher cs für möglich erachtet habe, das in anderen Gegenden in reichliche m Maße vorhandene Vieh nach Posen zu lenken, um die Stadt vor Ver legenheiten zu bewahren. Die Eonferenz endete damit, daß der anwesende Herr Ober amtmann Ning sich bereit erklärte, auf Erfordern des Magistrats täglich jede gewünschte Quan tität Schweine und sonstiges Vieh nach Posen zu schaffen, und zwar zu einem Preise, welcher erheblich geringer ist als der gegenwärtige Posener Marktpreis. Für den Fall, daß diese Transporte auf dem offenen Markte keine Abnahme finden sollten, würde der Magistrat für eigene Rechnung solche übernehmen, durch eigene Schlächter schlachten lassen und zum Verkauf stellen können. Dieser Ausweg wurde für den gegenwärtigen Augenblick von den städtischen Vertretern als hinreichend bezeichnet, um die Gefahr einer unzureichenden Fleischvcrsorgung für die Kaisertagezu beseitigen und einer ungesunden Tpcculation, gleichviel ob solche auf Seiten der Laudwirthe oder der Fleischer zu suchen sei, im Interesse der consuinirendcn Bevölkerung ent gegen zu treten. Es ist darnach zu hoffen, daß wir schon in den nächsten Tagen mit einem Rückgänge der Preise werden zu rechnen haben. Von Interesse dürfte auch die Thatsachc sein, daß im letzten Etarsjahre (1901/1902) auf dem Posener Schlachthofe 6211 Schweine weniger geschlachtet wurden, was einem Miuderproccntsatz von 17,35 entspricht und einem Rückgang des Gesammt- cous u in s an frischem Fleisch um 3 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung. Las ist ja wunderbar! Posen litt im ganzen letzten Etats jahr Mangel an Schweinefleisch, in den Kaisertagcn drohte dieser Mangel noch empfindlicher zu werden, und nun ist plötzlich Herr Oberamtmann Ring-Düppel, der Leiter der Vieheentrale, in der Lage, das in anderen Gegen den „in reichlichem Maße" vorhandene Vieh nach Posen zu lenken, und zwar zu einem Preise, der erheblich geringer ist, als der gegenwärtige Posener Marktpreis. Da wirft sich denn doch von selbst die Frage auf, w e r hat denn das in anderen Gegenden „reichlich vorhandene" Vieh bisher von dem Posener Markte ferngehalten? Und da überall aus Nord-, Ost-, West-, Mitte!- und Süddeutschland gemeldet wird, daß die Fleischer wegen Mangels an Schweinen die Preise für Schweinefleisch und für Fabrikate aus solchem zu erhöhen gezwungen seien, so schließt sich der ersten die zweite Frage au, w o steckt denn eigentlich das „in anderen Gegenden reichlich vorhandene" Vieh und auswelchc n G r ünde n wird cs vom Markt ferngehalten Das ist denn doch wohl eine Frage, die den preußischen Landwirth- schaftsminister ebenso interessiren müßte, wie die Frage der Flcischversvrguug Posens während der Kaisertage. Und nicht den preußischen Landwirthschaftsminister und seine preußischen Evllegen allein, sondern alle Regierungen im Reiche, das immer höhere Ansprüche au die Einzel staaten und an ihre Steuerzahler stellt und dessen Lenker also doch auch die Pflicht haben, den Gründen, die diesen Steuerzahlern den Fleischkonsum erschweren und verthcuern, uachzuforschen und auf Mittel zu ihrer Beseitigung zu denken. Eine Meldung des Bnrcan „Laffan" auS dem Haag wollte wissen, der holländische Ministerpräsident Klipper habe mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Freiherrn von Richthvfcn nnd dem österreichischen Minister des Aus wärtigen Grafen Goluchowski über einen Vertrag zwischen Holland nnd dem Dreibünde verhandelt. In einer seltsam sprunghaften Jdeenverbindung hieß es dann weiter, es handele sich nm die Erwerbung einer Kohlen station durch Deutschland auf der Singapur gegen überliegenden holländischen Insel Rivuw und die Her stellung eines Hafens mit deutschem Gelde. Holland habe aber den Vorschlag abgclehnt, die genannte Insel zu befestigen. Wir können diese Meldung als v o l l k o m m e n unbegründet bezeichnen. Schon der in ihr nieder gelegte Gedankenqang mußte jeden halbwegs aufmerk samen Leser auf ihre innere Unwahrscheinlichkeit Hin weisen. Interesse kann die Nachricht nur erregen wegen der in ihr sich verlachenden Tendenz. Wenn in Holland irgendwo und irgendwelcheWünsche betreffs eines näheren Anschlusses an Deutschland vorhanden sind, be wegen sich dieselben lediglich auf vvlkswirthschaftlichem oder handelspolitischem Gebiete und haben vielleicht den Postverkchr zwischen den beiden Ländern oder die Hanäels- bezichuugcn zwischen ihnen zum Gegenstände, aber nimmermehr politische Fragen, wie etwa den Anschluß Hollands an den Dreibund. Das Gegentheil glaubhaft er scheinen zn lassen, haben nur die Kreise ein Interesse, welche auf dieser Grundlage etwaige Wünsche in jener Richtung vereiteln möchten. In dieser Beziehung ist eS nicht ohne Bedeutung, daß von London aus die falsche Haager Meldung bestätigt wird mit dem Bemerken, daß der geplante neue Hafen auf der Insel Rivuw in Wettbewerb mit Singapur treten solle. Gleichzeitig dürste die Laffan-Mcldung dazu bestimmt sein, in Holland die Be fürchtung neu zu beleben oder zu nähren, Deutschland be absichtige über kurz oder lang Holland einfach „überzu schlucken". In einsichtigen holländischen Kreisen weiß man zwar längst, wie absolut grundlos eine solche Befürchtung ist, doch patzt die Aufrechterhaltung der Mär gewissen Leuten in ihren gewissen Kram. Dem gegenüber betonen wir nochmals, daß die Eingangs ermähnte Meldung jeder Grundlage entbehrt. Dem auS seinem Amte scheidenden russischen Bot schafter in London, Baron de Staal, der, wie der „Telegraph" meldet, durch Len jetzigen Botschafter in Kopen hagen, Graf Benckendarf, ersetzt werden soll, widmet daö genannte Blatt folgende Würdigung seiner amtlichen Thätigkeit: „Durch den bevorstehenden Rücktritt des Barons de Staal wird das Londoner diplomatische Corps seinen Doyen und eines seiner liebenswürdigsten Mitglieder verlieren. Jm Jahrc 1884, nachdem er in den Jahren 1871—1884 nacheinander in Stuttgart, München und Darm- stadt Gesandter gewesen war, als Vertreter des Zaren an den Hof von St. James berufen, kam er zu einer Zeit nach England, als die Beziehungen zwischen diesem Lande und dem Staate, de» er ver trat, auss Aeußerste gespannt waren. Als ini folgenden Jahre seine Ernennung zum russischen Botschafter in London erfolgte, drohte der Penjdeh-Zwischenfall kriegerische Verwickelungen zwischen Groß britannien und Rußland hcrbeizufiihren. Doch wurde die Gefahr glücklich abgewcndet, und während der 18 Jahre seiner amtlichen Thätigkeit war Baron de Staal fortgesetzt und sichtlich erfolgreich beniüht, die herzlichen Beziehungen zwischen dem angelsächsischen und dem slawischen Reiche wiederherzustellen und zu befestigen. Er hatte sich so in englische Verhältnisse und in die Werthjchähung Eng lands und der englischen Nation eingelebt, daß er, als einige Jahre später seine Versetzung auf einen anderen Botschafterposlen in Frage kam, bat, in London bleiben zu dürfen. Seine eifrigen Bemühungen, die srcundschastlichen Beziehungen Rußlands zu Eng- land sichcrzustellen und zu pflegen, gewannen ihm die Werthschätzung Lord Granville's und Lord Salisbury's. Sein Rücktritt wird daher nicht nur von den Mitgliedern des Londoner diplomatischen Corps, Feuilleton. Das Fräulein von Saint-Sauveur. 22s Roman von Gräville. C-Iackidruck verboten.) Antoinette erinnerte sich an das bei der Dreschmaschine verunglückte Kind und die Bemühungen, denen sich Landry unterzogen, um es zu retten. Thränen schossen ihr in die Augen. „Ehedem war der Geist der Frauen leer und beschränkt, oder nicht viel besser. Kleider, Klatschereien oder Liebes bändel nahmen den Theil der Zeit in Anspruch, den sie nicht dem Haushalt zu widmen hatten. Heutzutage lesen die jungen Mädchen; sie lesen sogar viel, wenn auch viel leicht nicht immer mit der erforderlichen Auswahl. Ich habe schon von vielen Müttern dieses übermäßige Lesen vcrnrtbcilcn gehört, welches, wie sie sagen, die Phantasie entblättert und verwüstet . . . Doch die Phantasie hat Schmetterlingsflügcl; sie flattert überall hin und läßt sich nirgends dauernd nieder. Und was wäre so Schreckliches dabei, wenn die Phantasie der jungen Mädchen ein wenig nmberslattern würde, bevor sie eine cndgiltige Wahl trisft? So lange das Herz frei bleibt und keine äußer lichen Einwirkungen die Reinheit des Mädchenhcrzcns berührt hat, kann die Pbantasie keinerlei Unheil stiften. Ja, wenn sie von einem etwas romantischen Ausflüge ein wenig zerknittert zurnckkcbrt, wenn sic das Leben von einer häßlichen Seite kennen gelernt hat, so wird diese Erfahrung, vorausgesetzt natürlich, daß die moralische und materielle Reinheit völlig unangetastet blieben, sogar heil sam wirken, wenn sic auch der Eigenliebe eine schmerzliche Wunde schlug. Wird sich später das Herz geltend machen, so wird auch das Urthcil geschärfter und so mancher lieber- raschnng vorgcbcngt sein." Den Kopf auf die Lehne gestützt, weinte Antoinette so leise vor sich hin, daß Frau Rögnicr es vielleicht nicht ein mal merkte. „Daö Gcbcimniß deS häuslichen Glücks ist in wenige Worte zn fassen", fuhr Frau Nögnier mit ihrer sanften, eindringlichen Stimme zu sprechen fort; „man darf nicht zu jung bcirathen und nur denjenigen zum Gatten er wählen, den man als den besten erkannt hat. Dann ist man gegen den Kampf mit dem Leben gewappnet. Freilich erfordert es Vergleiche, nm den Besten zu erkennen. Doch wie Vergleiche anstelle», wenn man noch keine Gelegenheit hatte, ein selbstständiges Urthcil zu fällen?" Im Salon war eS inzwischen vollkommen finster ge worden. Ein Diener trat mit einer brennenden Lamvc ein, die er auf einen etwas entfernten Tisch stellte. An toinette hatte sich auf ihrem niedrigen Sitz emporgerichter und verharrte in kerzengerader Haltung. „Glücklich wirst Du erst sein, mein Kind", schloß Frau N<-gnicr, „wenn Du das Geheimuiß des eigenen Herzens kennen wirst. Nicht jeder Frau ist cs vergönnt, diese Er- kenntniß frühzeitig zu haben. Danke Deinem Vater, der Dich weder zwingen, noch überreden wollte; wenn Dein Tag gekommen sein wird, wirst Tu die Sonne der Liebe aufgchcn sehen, und Dein Leben wird für alle Zeit erhellt bleiben. Ich habe Vertrauen in Deine Rechtschaffenheit und Deine Vernunft; ich weiß, daß Du glücklich sein wirst." Das junge Mädchen drückte einen Kuß auf die Wange der alten Dame und blieb aufrecht vor ihr stehen. „Tic haben mir da Dinge gesagt, die ich niemals ver gessen werde", Hub Antoinette nach einer Weile bewegten Tones an. „Doch wie weiß man, daß man sich nicht täuscht?" „Du willst das große Gcbcimniß des Lebens der Frau kennen?" fragte Frau Rögnicr lächelnd. „Die Sache iit recht einfach. Man liebt den Mann, der unser Herr und Meister ist und sein wird, den Mann, vor dessen Tadel wir uns fürchten, und dem wir keinen Augenblick des Zweifels nnd des Kummers bereiten möchten." „Des Zweifels!" begann Antoinette stolz. „Das will ich schon glauben! Und dennoch . . ." Sie näherte sich in vertraulicher Haltung der Wittwc und fügte hinzu: „Wenn ein junges Mädchen beispielsweise daran gedacht hat, aus rein . . . aus rein eingebildeten Gründen einen Mann heirathen zu können, was sich hernach als Unmöglichkeit erwies, dürfte nun dieses Mädchen einen anderen Mann heirathen, ohne ihn von den ersten flüchtigen Eindrücken in Kenntnis; zu setzen?" Frau Rögnier strich mit der Hand wieder beruhigend ihr über das schöne, gewellte Haar und sprach: „Wenn der glückliche AuSerwählte würdig ist, geliebt zn werden, so muß er wissen, woran er sich zu halten habe. Man sagt, daß die Liebe blind sei; ich sage aber, daß sic sehr scharfblickend ist, namentlich bevor sie erwidert wird. Ucbrigcns glaube ich, daß eine Frau sich vor dem Manne, den sie liebt, nicht unnütz demüthigcn soll, außer sie habe sich eines wirklichen Fehlers schuldig gemacht. So lange wie möglich muß man sich davor hüten, mein Kind, das Leben zu erschweren; es erschwert sich ohnehin genügend auS freien StückenI Und wozu schließlich einem recht schaffenen Manne, der nichts weiter verlangt, als glücklich -u sein, einen Floh ins Ohr seyen? Wozu? Wie wenn er sich eines Tages einbilden sollte, daß die . . . eingebildete Flamme eine echte gewesen?" „Sv käme das einer schweren Beleidigung gleich!" er klärte Antoinette sehr ernst. „Nun siehst Du selbst! Später freilich, wenn man einander genauer kennt, kann man eher au die Lache gehen. . ." Tie Thür wurde geöfnet, und Herr von Taint-Sauveur trat mit dem alten Baron Moll» ein. „Ich bitte tausendmal um Verzeihung, meine Damen", sprach er mit den Augen zwinkernd; denn nach der auf der Straße herrschenden Dunkelheit war er von der Helligkeit im Salon geblendet; „ich wollte durchaus nicht kommen, allein mein trefflicher Freund hat mich getroffen, mich so zusagen beim Rockkragen genommen und hierher be fördert, ungeachtet meiner Bemühungen . . ." „Sie sind immer willkommen", erwiderte Antoinette, dem Gaste cntgcgcngchend. Sie hatte ihre Herrschaft über sich vollkommen znrückgewonncn, wenigstens äußerlich. „Saint-Sanvcur will mich sogar zum Diner zurück halten; allein in meiner Toilette darf ich mir diese Freiheit schon gar nicht erlauben . . . Ich sehe ja wie ein richtiger Hcrnmstreichcr aus." „Wir nehmen Sie, wie Sic sind", versicherte das junge Mädchen. „Die Kutte macht nicht den Mönch, und für einen Hcrnmstreichcr sind Sie schließlich zu gut gekleidet." Sie lachte bei den letzten Worten, nnd beim Anblick der leichten Röthc, die ihre zarten Wangen bedeckte, hätte Niemand vermnthen sollen, daß sie einige Minuten früher über die wichtigste Frage des Lebens verhandelt und strenge Einkehr in sich selbst gehalten hatte. Sehr befriedigt ließ sich der Baron in der Nähe deS Kamins in einen weichen Fauteuil nieder, und während er sich die mageren Waden wärmte, hielt er einen aus führlichen Vortrag über die Jagd, welchem der Marquis mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte. Um siebe« Uhr fand sich Landrn ein. Seitdem seine Pathin in Saint- Sauvenr weilte, speiste er allabendlich dort. Kaum hatte der Baron ihn erblickt, als er sagte: „Sie sind cs, Villorö? Ich bin wirklich erfreut, Sie zu sehen! Wissen Sic schon? Landois ist seit heute Morgen Vater eines prächtigen Jungen . . . Und wie steht es mit Lncifcr? Ein herrliches Thier, was?" „Da muß ich ja unserem Freunde Landois unsere Glückwünsche übermitteln", bemerkte der MarqutS. „Ich habe Lncifcr in der letzten Zeit nur wenig ge ritten", gab der junge Mann zur Antwort. „ES hat mir an der nötlsigcn Muße gefehlt; doch habe ich mich schon überzeugt, daß er all die Lobsprüchc verdient, die Sie ihm gespendet haben. Mein Onkel weiß es gleichfalls " „Ich bin ein wenig zu schwer für ihn und habe ihn daher geschont", sagte der Marquis. „Allein er ist fromm und fügsam wie ein Lamm und überraschend klug." „Wenn meine Base wollte, so würde ich ihn für sie abrichtcn", meinte Landry. „Ich bin im Stande, mich dem Spott meiner Leute auszusetzen nnd Lncifcr so lange her- umzufüyren, bis er gelernt hat, eine Dame auf seinem Rücken zu tragen. Dazu müßte ich selbst nach Damenart im Sattel sitzen und beide Füße in eine Decke eingehüllt tragen." „Sie sind zu gütig, lieber Vetter, und ich danke Ihnen", erwiderte Antoinette, ihn mit einem ungewohnt milden Ausdrucke der schönen Augen anblickend, der ihm nicht entging. „Wenn Sic ihn vorher näher kennen lernen wollen, so können wir morgen früh mit meinem Onkel einen gemein- iamcn Spazierritt unternehmen", wagte Landry vorzu schlagen, den diese Freundlichkeit fast eingcschüchtcrt hatte. „Sehr gern", erwiderte der Marquis. „Ich muß ohnehin einige Füllen auf einem Pachthvfe besichtigen, und da wer den wir die günstige Gelegenheit benützen, um das An genehme mit dem Nützlichen zu verbinden." „Sie werden sehen", versicherte der Baron, „wie prächtig Lucifcr sich benehmen wird . . ." Ein Diener meldete, daß aufgetragcn sei. Zwischen dem ersten nnd zweiten (Hange schlug sich der unverbesserliche Schwätzer, der seinen ersten Hunger gestillt hatte, vor die Stirne und Hub mit erneuter Lebhaftigkeit zn sprechen an: „Ich wußte ja, daß ich Ihnen eine Neuigkeit zu ver melden Hütte, und die habe ich bisher ganz vergessen! Eine große, unverhoffte Neuigkeit! Ans der Heirat!, deS Fräuleins Bolandc von Tvurnclles ist nichts geworden." Die Tischgäste blickten einander erstaunt an. „Nichts, absolut nichts!" fuhr der Baron fort. „Der junge Akann hat es mir heute morgen selbst gesagt. Ich traf ihn vor dem Thore des Notars der Frau von Tour- nellcS an, und dort erzählte er mir Alles. Wie Sie alle wiffen dürften, meine Herrschaften, hatte ibn Fräulein Bvlande nach allen Regeln der Kunst gekapert und am Seile geführt, als wäre er ein Hampelmann gewesen; sie war entschlossen, ihn mit all ihren — sclbverständlich mate riellen — Vorzügen zu heirathen, was sic ihm aber natür- lich nicht sagte. Nun wurde Herr Jehan von Olivettes zu dem Notar berufen, um daselbst den Heirathscontract zu unterschreiben. Beim Notar wurde der glückliche Bräuti gam über seine Vcrmögensverhältnisse befragt, die recht bescheidene genannt werden müssen, und dort erfuhr er auch, von welch edlen Absichten seine Verlobte beseelt sei. Da that er nun etwas, womit er sich meine Achtung wtsdrr
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