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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020829027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902082902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902082902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-29
- Monat1902-08
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Der nächste Zweck dieses Versuches war augen scheinlich, der Obstruktionspolitik der Gegner des Zoll tarifwerkes den Nucken zu steifen; der Nebenzweck, die Negierung in den Verdacht zu bringen, sie sei cS, die durch eine verfehlte Interpretation der Verfassung eine Verlängerung der jetzigen Legislatur periode herbeizuführen gedenke, trat zu Tage, als der „Vor wärts" auf den Nachweis der Unhaltbarkeit seiner Inter pretation mit der Behauptung antwortete, „bekanntlich" habe die Negierung die Frage der Dauer der Legislatur periode aufgeworfen. Auf die Aufforderung der „Nordd. Allg. Ztg.", anzugeben, wann und wo die Negierung diese Frage aufgeworfen, schmieg der „Vorwärts". Man glaubte deshalb annkbinen zu dürfen, der Plan der Verlängerung der jetzigen Legislaturperiode sei inS Wasser gefallen. Daß diese Annahme irrig war, beweist jetzt das Organ des Bundes der Land Wirt he, indem es die Nolle des „Vorwärts" übernimmt. Welchen Zweck cs damit verfolgt, ist sein Ge heimnis;; Thalsache ist, daff eS jetzt seinerseits die Behauptung anfstellt, die gegenwärtige Legislaturperiode endige erst im November 1903. Daff dem Urheber der Behauptung daö Malheur pasfiren kann, ein unrichtiges Datum für Len Zu sammentritt des Reichstages nach Leu allgemeinen Wahlen im Zabre 1898 anzunebmen, — in Wirklichkeit erfolgte dieser Zusammentritt nämlich am 6. Lecember 1898 — stellt seine Befähigung von vornherein nicht gerade in günstiges Licht. Seine Behauptung stützt sich auf den Artikel 2t der Reichs-Verfassung, der die Dauer der Legislaturperioden auf fünf Jahre festsetzt, und — aus die Geschäftsordnung deö Reichstags, deren Z 1 mit den Worten anhebt: „Beim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des Reichstags die Mitglieder desselben unter dem Vorsitze ihres ältesten Mit gliedes zusammen." Daraus folgert die „Deutsche Tages zeitung": „Somit bedeutet der Zusammentritt Les Reichs tags den Eintritt in eine neue Legislaturperiode." Auf wie schwachen Füßen diese „Beweisführung" steht, dürfte Jedem cinleuchte». Abgesehen davon, daff die Geschäftsordnung des Reichstages keinerlei staatsrechtliche Bedeutung har, deutet die Fassung ihres ganzen 8 1 klar darauf bin, daß die Worte: „beim Eintritt in eine neue Legislaturperiode" nur bestimmt sind, den Gegensatz zu den „ferneren Sessionen" zu bezeichnen, von denen in dem zweiten Absätze des Paragraphen die Rede ist. Im Gegensätze zu der ersten Session einer neuen Legislaturperiode, die von dem sogen. Alterspräsidenten zu eröffnen ist, setzen „sür jede fernere Session derselben Legislaturperiode" die Präsidenten der voransgegaugenen Session ihre Functionen bis zur vollendeten Wahl des Präsidiums fort. Dieser Zusammenhang stört die Schlußfolgerungen der „Deutschen Tageszeitung" erheblich. Entscheidend für die gegentheilige Anschauung ist aber unseres Erachtens die unzweideutige und vom Reichstage auch nicht mit einem Worte bestrittene Darlegung, welche die Regierung des Norddeutschen Bundes in den Motiven zu dem „Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes", über die Dauer der Legislaturperioden bekannt gegeben bat. Um der „Frage" ein bestimmtes Ende zu be reiten, seien die entscheidenden Sätze aus diesen Motiven hier im Wortlaute wiedergegeben. Im allgemeinen Theile der Motive zu dem am 9. März 1869 eingebrachten Gesetz entwürfe heißt cS: „Die Wahlen sür die aus die Publikation der Verfassung folgende erste Legislaturperiode des Reichstags wurden in sämmtlichen Bundes staaten den 31. August 1867 vollzogen." Und weiterhin: „Angesichts der schon im nächsten Jahre (am 31. August 1870) bevorstehenden Endigung der Legislaturperiode und des Eintritts neuer Wahlen dürste es sich kaum empfehlen, die einheitliche Regelung der Wahlgrundsätze und des Wahlversahrens länger hinauszu schieben." Wir bemerken ausdrücklich, daß die Klammer: „am 31. August 1870" in den besagten Motiven enthalten ist. Das ist unseres Erachtens deutlich genug. Daö Wahlgesetz von 1869 ist bekanntlich auf das Reich übergegangeu und an der in seinen Motiven niedergelegten Auffassung über die Dauer der Legislaturperioden ist — im Gegensätze zu den Anschauungen über den preußischen Landtag — niemals und von keiner Seite gerüttelt oder gedeutelt worden, auch nickt, als direct eine Gelegenheit dazu geboten war, nämlich bei der Ausdehnung der Legislaturperiode von 1870 und bei der allgemeinen Verlängerung der Legislaturperioden im Jahre 1888. Wir meinen, damit sollte die „Frage" endgiltig aus der Welt geschafft sein. Die Eontinuität in der Leitung der NeichSangelegenheiten ist gottlob stark genug, um einen plötz lichen Wechsel der Anschauungen ausgeschlossen erscheinen zu lassen. Es hat damit sein Bewenden, taff die gegenwärtige Legislaturperiode mit dem 14. Juni 1903 endet. Ein recht erheblicher Tbeil der Redner des Mannheimer „Katholikentages" scheint von der Ansicht auözugehen, sür die Zuhörer sei das Schlechteste gut genug und auch der plumpste, die Wahrheit gröblichst entstellende Schlager werde die beab sichtigte Wirkung aus die Masse nicht verfehlen. Besonders der „berühmte" Herr Or. Schädler scheint dieser An sicht zu sein. Rief er doch u. A. aus: „Den Arbeitern kann nur die römische Kirche helfen; Lenkt an die Auf hebung der Sklaverei!" Der gelehrte Herr weiß wohl selber, daß die römische Kirche, wo sie geherrscht hat, höchstens mit Almosen und Klostersuppen den Bettler stand erhalten, aber nirgends die socialen Uebel an der Wurzel gefaßt hat. Auch La, wo sie das Uebel zu lindern suchte, hat sie zuerst in Betracht gezogen, daß die Gebenden aus ihren Gaben einen Gewinn sür ihre Seelen, ein Ver dienst aus ihrer Barmherzigkeit ziehen; der Erfolg für die Bedürftigen stand ern in zweiter Linie. Darum heißen z. B. die im Mittelalter für die Armen gestifteten Bäder Seelbäder, weil ihr Hauptzweck war, dem Seelenheile der Stifter zu dienen. Gesundheit und Reinlichkeit der Beschenkten waren ein zufallen des Gut. Was hat denn Rom überhaupt in der Sklaverei frage gethan? Die Kirche selbst bat bis zu der Zeit, da die Sklaverei durch die protestantische Großmacht England und seine protestantischen Menschenfreunde in Abgang zu kommen ansing, allezeit Sklaven und Leibeigene in Menge besessen. In der Zeit des Bauernkrieges war der Druck auf die Bauern in den geistlichen Herrschaften am härtesten; man denke au den Abt von Kempten, die Herren in Salz burg u. A. m. Gegen die Aushebung von Leibeigenschaft und Sklaverei bat Rom darum stets protestier, weil der Besitz der Kirche an solchem lebendigen Gut ihr erhalten bleiben müsse. Thatsache ist eö, daß Nom allezeit die Partei der Besitzenden genommen hat, am allermeisten im Kirchen staate, dem seinerzeit schlechtes! verwalteten Lande Europas. Dort wohnten die Landarbeiter meist weit entfernt von der Arbeitsstätte, dem Grund und Boden der großen Latifnndienbesitzcr. Die päpstliche Regierung duldete solche Zustände, infolge deren die armen Arbeiter in armen Land gemeinden wohnen mußten und eben dadurch die großen Herren aller Armen- und Schullasteu ledig blieben. Das ist Las „arbeitcrfreundliche" Nom. Eine Handlung selbsterhaltender Klugheit ist es gewesen, daß unter dem Einflüsse des deutschen Geistes das Eentrum sich theilweise, anfangs ungerne genug, an der socialen Gesetzgebung betheiligt hat. „Der Staat bietet nichts als Steuerzcttel und Kanonen!" Welch brausender Jubel mag auf diese durch und durch demagogische Rede wendung Les hochgestellten Priesters in den Räumen getobt haben! Also die ganze sociale Gesetzgebung des Reiches mit ihrem reichen Segen ist nichts. Die Beltelsuppen in den Klöstern sind Wohl die rechte Alters- und Jnvaliditätsversiche- rung, die reichen Stifter und Eonvente die Quelle des bäuer liche» Wohlstandes. Man sieht eS in Oesterreich, besonders in Vorarlberg und Tirol! Sowohl die dänische wie auch die schwedische Presse haben in der letzte» Zett begonnen, sich mit dem Verhältnis; zwischen Dänemark und Tcutschlaiiv zu beschäftigen, welches sie nach ihrer Art zu bessern gedenken. Vor einiger Zeit erschienen in ter Kopenhagener Zeitschrift „Tilskueren" sder Zuschauer) zwei Artikel, welche sich mit diesem Gegenstände beschäftigten. Die Verfasser waren Pastor UffeBirkedal und vr. I. Oestrup. Ihr gemeinsamer Gedanke ist, wie der „Schief. Zeitung" aus Kopenhagen geschrieben wird, der, baß Dänemark sich in offener Freundschaft an Deutschland an sch ließen, durch die Vergangen heit einen Strich macken und ausschließlich an eine pangermanischeZukunft denken müsse. Pastor Birkedal behauptet dabei allen Ernstes, daß den Dänen in Nord- schleöwig durch die preußische Regierung nur Unrecht ge schehe (über die ebenso gehässige wie unvernünftige dänische Agitation schweigt er natürlich). Er erklärt dies aber damit, daß Nordschleswig nickt „reines Land", sondern Grenzland sei, wo andere Verhältnisse herrschen. Vor dem Anschluß Dänemarks an Deutschland müsse nun das dänische Volk fick in einem offenen Brief au das deutsche wenden, um eine Aenderung Les bestehenden Zustandes zu erreichen. Or. Oestrup dagegen ist der Ansicht, daß alle dänischen Vertheidigungs- anjlalten der Bedeutung entbehren, so lange nicht Hand in Hand mit ihnen eine diplomatische Action gehe, welche das Land vor einem plötzlichen Angriff von deutscher Seite schütze. Die Selbstständigkeit Dänemarks hänge an einem Faden, so lange man nicht gegen Süden geschützt sei, und diese Sicherheit könne durch Waffengewalt nickt herbe.- gesührt werden. Dänemark müsse Len ersten Schritt thun, eine „Versöhnung" mit Deutschland anstreben und in Zukunst Deutschland gegenüber eine active auswärtige Politik treiben, und dies nicht nur aus militärischen, sondern auch aus handelspolitischen Gründen. Ein Fehler sei eS, daß man in Dänemark fortwährend den Artikel V des Prager Friedens anführe, da hierin in Deutschland eine diplomatische Jncorrectheil gesehen werden müsse. Am besten sei es, durch eine handelspolitiscke Annäherung ein besseres Ver- hältniß und das Vertrauen zu schaffen, daß Dänemark nicht unbedingt auf Seiten der Feinde Deutschlands stehe. Erst dann sei eS Zeit, an die nationale Frage zu denken. Der akademischen Welt falle die Aufgabe zu, den Blick nach Deutsck- land und England zu richten, anstatt beständig ven alten SkandinavismuS im Munde zu führen. Diesen beiden dänischen Stimmen hat sich jetzt u. A. auch ein Artikelschreiber in der schwedischen Zeitung „Sydsvenska Dagbladet" an geschlossen, ist dabei jedoch von noch größeren Jrrthümern auSgegangen, als fein Vorgänger. So wird hier be hauptet, Dänemark wäre bereits jetzt auf dem Wege, die militärische Abrüstung anzubahnen, denn eS wolle seine Militärmacht verringern, bis sie nur noch gerade aus reiche, die Neutralität zu constatiren, und es läge sogar der Gedanke nicht ganz fern, die Festung Kopenhagen zu schleifen. Ebenso gewaltsam beabsichtige man auch mit den historischen und nationalen Traditionen zu brechen. Könne man sich nicht mit Erfolg gegen den mächtigen deutschen Nachbar vertheidigen, so müsse mau sich so mit ihm stellen, daß man auf seine Freundschaft bauen könne. Voraussetzung sei natürlich dabei, Laß Deutschland „die Nationalität seiner dänischen Untcrthanen respectire." Vor Allem, was der Verfasser über die dänische Abrüstung sagt, weiß man in Dänemark nur, daß der Ministerpräsident kürz lich einer Deputation ter Friedens- und Abrüstungsfreunde gegenüber geäußert hat, er stehe ihren Bestrebungen sympathisch gegenüber. Bei der Durchführung jener Bestrebungen dürfte er aber schwerlich die Mehrheit im Lande für sich haben. Der Artikel im „Sydsvenska Dagbladet" wird in der übrigen schwedischen Presse auch ziemlich absprechend beurtheilt, besonders von dem Stockholmer „Aftonbladet", welches Labei, vielleicht zum ersten Mal, auch für Sckweden einen An schluß an Deutschland empfiehlt, für das Verhältniß Deutsch lands zu Dänemark aber auch seinerseits Gesichtspunkte aufstellt, die sür die deutsche Politik einfach undiscutirbar sein dürften. Der Besuch des kanadischen Ministerpräsidenten Wil fried Lauricr in Paris und dessen Zusammenkunft mit Delcassö ist ein für den britischen NeichSgedanken äußerst wichtiges, vielleicht sogar verhängnißvolles Ereigniß. Bei dieser Besuchsreise tritt Laurier völlig aus der Rolle eines britischen Colonialministers heraus und nimmt die Stellung des Leiters eines selbstständigen Staates ein. Auf einem der letzten Festessen, die ihm zu Ehren in London gegeben wurden, hatte Laurier das stolze Worr ge sprochen: „Eanada fühlt sich als Verbündeter Eng lands, nicht als ein von England abhängiger Staat." In diesem Sinne hat auch Eanada schlankweg abgelehnt, irgend ciwaö zur Unterhaltung der Reichs-Kriegsflotte Feuilleton. Das Fräulein von Laint-äauveur. 23s Noman von Gröville. l'liachtruck verbolen.) „Base", hob cr nach einer Weile an; „Sie wollen nach dem Lüden gehen?" „Ja!" erklärte sie ein wenig herausfordernd. „ES gefällt Ihnen also nicht mehr bei uns?" „Man kann eine kleine Veränderung herbeiwünschen, ohne das; Einem die Leute, die man kennt, mißfallen müssen. Ist das etwa ein Verbrechen?" Wenn sich Antoinette verletzt fühlte, so schlng sie einen so kriegerischen Ton an. Landru wußte cs; allein, wie hätte er ihr begreiflich machen sollen, daß er sein Leben hingcgebcn hätte, nm ihr die geringste der Verletzungen zu ersparen? „Dies ist im Gcgcntheil vollkommen gerechtfertigt", gab cr zur Antwort. „Wenigste»? werden Ihnen Alle und Jeder, dem Sie jetzt de» Rücken kehren, bei Ihrer Wieder kunft doppelt werthvvll und reizvoll erscheinen." Langsam neben einander schreitend, hatten sich die Pferde wieder in Bewegung gesetzt; Antoinette fühlte, daß dcr junge Mann an ihrer Leite jetzt ein entscheidendes Wort sprechen werde, und sic ward von Furcht erfaßt. Noch immer fühlte sie ihre Seele nicht genügend geläutert, um ihm so zu antworten, wie sie cS gewollt hätte, und leider würde — das fühlte sic — die Stimme der Liebe, deren Erwachen sie in sich erwartete, sie eher erbittern als erleuchten. „Lassen Sic nns noch über diese Hecke setzen", sagte sic und berührte mit ihrer Gerte die Stute, die sich sofort in gestreckten Galopp setzte. „Ueber diese Hecke nicht!" rief Landry, der ihr nach sprengte. „Sic ist zu hoch!" Antoinette konnte keinen Widerspruch dulden, und der grausame Zwang, den sie seit einigen Monaten ihren Nerven auscrlcgt hatte, machte sic noch reizbarer. Sie trieb daher „Eorisande" noch mehr an. „Zu hoch?" fragte sie mit gcröthetcn Wangen und blitzenden Augen. „Für mich gewiß nickt!" „Hinter der Hecke befindet sich ein tiefer Wassergraben, Antoinette. Setzen Sic nickt hinüber!" „Doch!" erklärte sic trotzig. „Vorwärts!" „Nun, wir wollen sehen!" sprach Landry und gab seinem Pferde die Sporen, nm ihr den Weg zu versperren. Dcr gebieterische Eharakter der jungen Dame erblickte in jedem Widerstande eine persönliche Beleidigung. Sie faßte die Zügel fester und schwang die Reitgerte, um ihr Thier zum Sprung über das Hinderniß anzutreiben. Doch „Lueifer" verdiente vollauf die ihm gespendeten Lob sprüche. Dem Kniedruck seines Reiters gehorchend, der ihm die Zügel über den Hals geworfen, stand er mit einem Satze quer vor „Eorisande", und während Landry mit einer Hand das Gebiß der Stute erfaßte, daß sie auf die Hinterbeine zu sitzen kam, entriß er seiner Base mit dcr anderen Hand die Reitgerte, die in der nächsten Secunde gleich einem silbernen Pfeile durch die Lust sauste und zu Boden fiel. Schweißbedeckt, an allen Gliedern zitternd, standen nun die beiden Thiere neben einander. „Sie haben sich nicht beschädigt?" fragte Landry dcmüthigen Tones. Antoinette schüttelte mit hochmüthigcr Bewegung den Kopf und lenkte ihre Stnte nach der breiten Oeffnung, die sich inmitten der Hecke befand. Landry, der neben ihr verblieb, bot ihr stillschweigend seinen Reitstock an, den sie aber mit einer Handbeivcgnng zurückmies. In dcr That dehnte sich jenseits der Hecke ein breiter Graben aus, deu die Regengüsse des Herbstes mit einer trüben, schmutzigen Fluth angefüllt hatten. Antoinette warf schweigend einen Blick auf dieselbe, worauf sie mit Landry in das Schloß zurückkehrtc. Er war ihr hier beim Absteigen behilflich, sie dankte ihm mit einem kurzen Nicken deö Kopfes und stieg die Freitreppe empor, ohne sich »mzuwendcn. Er blickte ihr nach, bis sic im Schatten dcr Vorhalle verschwirnden war. „Nun habe ich mir mein Glück endgiltig verscherzt", sagte er sich. „Hätte ich aber anders gehandelt, so wäre ich ein Schurke gewesen!" Er schwang sich wieder in den Sattel und kehrte an den Ort zurück, wo sich die aufregende Scene abgespielt hatte. Antoinette hatte sich in ihr Zimmer begeben, nm sich umzuklciben. Alle schlechten Geisler, die ihre Seele be völkerten, waren erwacht in ihr; sie hätte gerne nm sich geschlagen, gestoßen und etwas zertrümmert, und dessen ungeachtet fühlte sie gleichzeitig, daß eine kräftige Hand ans sic niedcrgcfahren war und sic niemals wieder daö launenhafte, halsstarrige Geschöpf sein werde, dessen Eigenwille und Ungestüm mehr denn einmal die sie liebenden Personen in Augst und Sorge versetzt hatten. Ein auS Furcht und Achtung zusammengesetztes Gefühl bemächtigte sich ihres unreifen Willens; noch widerstand sie zwar, aber nur der Form halber; denn eS war ihr endlich klar geworden, daß sic gerne und willjg das Joch dcS Mannes ertragen werde, der allein ihr zu trotzen ge wagt hatte. Eine Stunde später fand sich Landrn im Schlöffe ein. Tier Marquis, der auch zurückgekehrt war, stand am Kamin und wärmte sich. Tante Laurence strickte an einem endlos langen, weichen Strickstrumpf. Krau Rögnier lag auf der Chaiselongue und las. Antoinette saß vor dem kleinen Schreibtische und war mit dem Ausschneiden einer Monatsschrift beschäftigt; doch verriethen die hastigen, un gleichmäßigen Bewegungen, die sie machte, daß sie inner lich sehr erregt sei. Das einfache graue Kleid, welches sie angelegt halte, verlieh ihrem Gesicht, von dem der Aus druck des Zornes noch nicht geschwunden war, einen perl- muttcrartig schimmernden Glanz. Beim Anblick des jungen Mannes stand sie aus und warf das Papiermcsscr achtlos zur Seite. Landry hielt einen länglichen Gegenstand in der Hand, den er jetzt auf den Tisch legte. „Ich bringe Ihnen die Reitgerte zurück, Base, die Sie verloren haben", sagte er dabei. „Ich danke Ihnen", erwiderte das junge Mädchen kurz. „Doch ist das ganz nnnvthig; denn ich werde sie nicht mehr benutzen." Und während sie diese Worte sprach, wäre sie am liebsten ans ihn zugeeilt, Hütte die Arme um seinen Hals geschlungen und ihn um Verzeihung gebeten. Doch der Stolz überwog wieder einmal die Regung der Zärtlich keit. Landry ließ den Kopf sinken und schritt zur Thür. „Nun haben sie schon wieder gezankt!" sagte sich der treffliche Vater. „Man kann die Beiden also absolut nicht dazn bringen, sich einmal mit einander gründlich aus einander zu setzen?" Mit einer bewunderungswürdigen Geistesgegenwart erfaßte dcr Marquis das sich ihm zunächst darbietende Thema, um ein Gespräch anzuknüpfcn. „Ihr werdet Euch während unserer Abwesenheit von Bourges nicht wenig langweilen", sagte cr, „dcr Reim schmied, ich wollte sagen: Herr von Olivettes, ist fort, und die Damen werden nicht wissen, womit sie ihre Nach mittage ausfüllcn sollen, so daß man wohl oder übel zur Jagd, zum Klatsch und zur Totlettcnfragc wird zurück kehren müssen. Sag' 'mal, Landrn, könntest Du nicht bis zu unserer Rückkehr etwas Vernünftiges ersinnen? Etwa ein Theaterstück, gleichviel ob in Versen oder in Prosa? Jedenfalls aber verständliche Verse. Oder aber . . ." „Mein Vetter kann daS Theater nicht leiden", unter- brach Antoinette ihren Vater schroff. „Sie wollen sagen, Baie, daß ich die Darsteller nicht leiden kann . . .", suchte Landrn cinznlcnken. „Und da hat er vollkommen Recht", stimmte der Mar quis bei. der nicht mehr wußte, waS cr sagen sollte. „Mein Vetter kann aber auch Gedichte nicht leiden", fuhr das junge Mädchen schneidenden ToneS fort. „Glauben Tie, Base? Und doch habe ich deren genug in dieses Buch eingeschrieben", sprach Villorö, auf das noch immer offen auf dem Schreibtische liegende Buch deutend. „Und ist mir das als noch größeres Verdienst anzurechnen, falls ich Gedichte wirklich nicht leiden konnte, was ich aber entschieden in Abrede stelle." Das junge Mädchen hatte einen flüchtigen Blick auf das leere Blatt geworfen; abgesehen davon, daß das Papier ein wenig zerknittert war, verrieth keine Spnr, was früher dort zu lesen stand. „Abgeschricben haben Sie welche, das ist wahr; aber selbst welche zu verfertigen, wären Sie natürlich nicht im Stande; und darum hassen Sie diejenigen, die mehr Talent haben als Sie!" Der Marquis, Krau Rögnicr und Tante Laurence wohnten voll Entsetzen diesem Streite bei, der ihnen ganz unverständlich war. Dcr durch den Streit und den Widerspruch aufs Höchste gereizte böse Geist, der sich in der jungen Dame geltend machte, machte sic jetzt sogar boshaft und undankbar; gleichzeitig aber hätte sic anck gewünscht, daß ihr dcr junge Mann wohlverdiente, sckarse Vorwürfe mache, damit sie, zu seinen Küßen liegend, seine Verzeihung anflehcn könne. Und er, der sie so innig liebte, ließ den Blick seiner Augen, die unverkennbar für sein Leid und seinen Kummer sprachen, tief in die ihrigen dringen, die der Zorn ganz verdunkelt hatte. Dann sprach er: „Glauben Sie wirklich, Base? Wenn Sie dieser Meinung sind, so bleibt mir freilich nichts Anderes übrig, als für immer ein Haus zu verlasse», in welchem ich einen Platz zu erringen und zum Glücke Aller, selbst zu dem Ihrigen, beizutragen hoffte. Bevor ich aber gehe, will ich Ihnen den Beweis liefern, daß ick weit weniger un- cmpsäuglick sür das Vergnügen bin, welches man em pfindet, wenn man fick in gereimten Zeilen ansdrückcn kann, als Sie zu meinen scheinen." Und ohne Weiteres schritt cr auf den kleinen Schreib tisch zu, ließ sich vor demselben nieder, und obgleich er innerlich vor unterdrückter Aufregung zitterte, schrieb cr mit schönen, gleichmäßigen Zügen auf das leere Blatt, auf welchem früher die Endzeile anS dem Gedichte Jchan's gestanden, ein improvisirteS Sonett nieder, in welchem cr seinen gewaltsam beherrschten Empsindnngcn für seine schöne und so grausame Base beredten Ausdruck verlieh. Die Endzeilen besagten in leise verhallender Wcbmuth, daß cr dcr heimathlichcn Scholle wohl für immer den Rücken wenden werde, wenn er den Starrsinn dcr An- gebeteten nickt brechen könne. Während Landry schrieb, hatte sich Antoinette ibm ge nähert. Sie gehorchte dabei weniger dcr Neugier, als dem grausamen Drange, zn erfahren, was ihr dieser ge quälte Mann wohl sagen werde. Vielleicht schrieb cr da
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