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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020909011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902090901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902090901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
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Wenn da von einer „Kirchennotch ohnegleichen" gesprochen wurde, weil es in Dresden nur drei Pfarreien, von denen eine 35 000 Seelen umfasse, gtebt und weil in einem Bororte mit 500 katho- lischen Schulkindern nur ein Saal zmn Gottesdienste vorhanden ist, so mögen das an und für sich bedauerliche Zustände sein, aber ein Vergleich mit protestantischen Kirchspielen in anderen Großstädten, wie Berlin u. s. w-, beweist, daß es anderSwo noch viel schlimmer ist, als in Sachsen. Auch muß man die auffällig rasche Entwickelung und eigenartige Zusammensetzung eines solchen katho lischen Pfarrbezirks kennen. Was diese anbetrifft, so hat bekanntlich im ganzen Lande die Zahl der Katholiken besonders seit -em Jahre 1885 so sehr Angenommen, daß sie heute mit rund 200 000 Seelen 4,68 Proc. der ganzen Bevölkerung ausmacht, während 1895 nur 140 285 ge zählt wurden. Dies Wachsthum ist durchaus ungesund, weil es weniger durch Geburtenüberschuß, als durch die Einwanderung ausländischer Elemente herbeigcführt worden ist, wie Tschechen und Polen. So kamen im Jahre 1895 auf Dresden 28141 Katholiken und unter ihnen befand sich fast ein Drittel, nämlich 9299, Reichs ausländer. Wenn also heute einer einzigen Dresdener Pfarre die Seelsorge für 35 000 Katholiken obliegen sollte — was wir vorläufig stark bezweifeln müssen —, dann wäre das doch nur aus dem Frvmdenzustrom erklärlich, der keine bleibende, sondern eine vorübergehende Er scheinung ist. Das braucht auch, abgesehen von dem Charakter Dresdens als Fremdenstadt, ja nicht besonders bewiesen zu werden, weil cs allgemein bekannt ist, daß die meisten polnischen und tschechischen Arbeiter nur für Zeiten günstiger Arbeitsgelegenheit in Gachsen verweilen und dann wieder in ihre österreichische oder russische Heimath zurückkehren. Wen» cs aber einer näheren Darlegung bedürfte, «dann wollen wir an die eigenen Worte der „Germania" erinnern, die kürzlich sagte: „Wenn sich die Katholiken Sachsens auf 200 000 vermehrt haben, so liegt das einzig an dem gewaltigen ungesunden Zuzug von außen", und die daraus die Berechtigung zu der Warnung herleitete, den „Zuzug katholischer Arbeiter nach Sachsen fernzuhalten". Es mag nun auch richtig sein, daß die Zahl der Geist lichen nicht ausreicht, um die in 'der katholischen Kirche gebräuchliche Seelsorge zu üben, und daß viele Hundert Katholiken ihrem Glauben abtrünnig werden, aber die Gründe dafür sind auf -em Mannheimer Parteitage nicht erschöpfend behandelt. Der Abfall, der beispielsweise in einer Pfarre voriges Jahr 500 Opfer gefordert hat, ist doch nicht blos auf -en Mangel an Hirten, sondern auch auf andere Factorcn zurückznführen. Die „Los von Rom-Bewegung", oder, wie es wohl richtiger heißen muß, die evangelische Missionsthätigkeit in einem grötzten- theiks protestantischen Lande hat ihren reichlichen Anthcil an diesem Erfolge, ebenso jene Aufklärungsbcstrcbungcn, die Mischehen nicht zu verdammungswürdigen Ver brechen rechnen, und das weit um sich greifende Seelen- wesen. Nicht zuletzt aber hat die freireligiöse Agitation -er Socialdemokratie unter den heimathloscn Arbeitern, den Polen und Tschechen, ihre Opfer gefunden. Wie viel hier durch größere Energie und Zahl katholischer Priester zu retten wäre, das kann dahingestellt bleiben. Immer hin sollten die Katholiken nicht ihre Gegner und deren Thätigkeit unterschätzen! Wenn aber die Noth an Seelsorgern wirklich so groß ist, wie sie die Herren Graf zu Droste - Vischering und Caplan Rudolph geschildert haben, würde es dann nicht richtig sein, die vorhandenen Kräfte lediglich für die „Seel- forgsthätigkeit" zu verwenden und sie von aller politischen Agttationsarbeit zurückzuhalten? Ist das aber der Fall? Im Gegentheil, die katholischen Priester Sachsens sind nicht blos zu Mahlzeiten die Führer der Centrumswählcr, nein, sie sind die ständigen Vorsitzenden der katholischen Vereine und Verbände. Kaum ein Geistlicher, der nicht auch gleichzeitig Präses irgend eines Bürger-, Gesellen-, oder Arbeitervereins wäre! Und die Zahl dieser katholischen Verbindungen ist keine geringe. Ganz abgesehen von den „Bruderschaften" und ähnlichen rein kirchlichen Organi sationen, wie der „St. Benno-Meßbund" und die Marien- vereine, gab es nach einer unö vorliegenden Statistik im Jahre 1901 nicht weniger als 170 Wohlthätigkciisverein?. Was diese wohldisciplinirte Macht für die katholische Kirche überhaupt bedeutet, das hat der Dominikanerpatcr Bonaventura in Mannheim ausgesprochen in den Sätzen: „Charitas und Kirche sind eins gewesen und sind eins". „Die Bewunderung unserer Widersacher, das G.heimntß unserer Kraft ist die Einheit und Geschlossenheit, ihre wunderbare Organisation. Wer katholische Charitas übt, übt organisirte Wohlthätigkeit." So sind denn alle Be strebungen der Vincentius-Elisabethvcrcine, und wie sie sonst alle heißen mögen, nicht blos auf einen einzigen und bestimmten Zweck gerichtet, sondern sie ziehen Alles in ihren Wirkungskreis, wodurch sie dem Organismus der katholischen Kirche dienstbar und nützlich sein können. In noch erhöhtem Grade aber gilt dies von den Ver bänden, die sich offenkundig mit socialen und politischen Aufgaben befassen, wie katholische Arbeiter-, Gesellen-, Kaufleute-, Lehrlings-, Stcrbecassenvereine u. s. w., die alle außer religiöser Fortbildung die Hebung und Be lebung des katholischen Bewußtseins in Wort uud That bezwecken. In welcher Weise dies geschieht, darüber hat neben Dr. Schädler der Arbeitersekretär Reinhardt hinlänglich in Mannheim sich verbreitet. Ausgehend von dem Hauptsätze, daß die katholische Kirche allein in jeder socialen Noth ein Heilmittel gewußt hat, habe sie sich, so sagte der Redner, in den katholischen Gcscllenvereinen und dann in den Arbeitervereinen nnd christlichen Gewerk schaften ihre Organisation geschaffen. Man muß also diese einzelnen Gebilde als eine wohlgcfügte Einheit auffassen. Diese Organisation blüht nun auch in Sachsen sehr lebhaft. Gesellenvereine gab cs im vorigen Jahre 17 und Arbeitervereine, wenn auch nicht überall dem Namen nach, in Leipzig-Plagwitz, Löbtau, Cotta, Rositz u. s. w. Ihre Leiter sind aber stets die Ortsgcistlichcn. Das ist so selbst verständlich, daß die „Germania" am 3. August d. I. dem Verlangen nach weiterer Begründung von Arbeiter vereinen in Sachsen, sür die eine Zuschrift in Nr. 28 des VerbaodsorganS „Der Arbeiter" energisch eingerreten war, lediglich aus Sorge vor ihrer weiteren Inanspruchnahme entgegengctreten ist. Wie sie das macht, ist sür die Jllustrirung des Seelsorgcrmangels in Sachsen durchaus lehrreich. Sie sagt wörtlich: „Es ist ganz unmöglich, den Geistlichen und den mit ihnen augenblicklich arbeitenden, und zwar mit großen Opfern arbeitenden wenigen Laien noch neue Geschäfte aufzubürden . . ." ,-Man stelle sich einmal einen Geistlichen vor, der 24 Stunden Unterricht wöchentlich geben muß (ganz abgesehen vom Convertitcn- unterricht!), der täglich heilige Messe und Brevier lesen soll, der täglich einige Stiurdcn durch schriftliche Arbeiten noth- wcndiger Art an seinen Schreibtisch gebunden ist (!), der obendrein l?) Krankcngängc, Nothtaufcn im weitesten Um kreis seiner Pfarrei, größer als manches Fürstenthmn (!) vornehmen muß, als Vcreiuöleitgr und Wanderredner thätig sein soll. Und solcher Art Geistliche bat es in Sachsen nicht nur einen s!)." Das ist trotz aller Uebcrtrcibungcn doch das naive Eingeständnis), daß der katholische Geistliche in Sachsen außer seiner seelsorgerischen Thätigkeit noch die Pflege des Vcrcinslcbens berufsmäßig zn erfüllen hat. Aber die „Germania" schlägt gleich die Brücke über die Kluft zwischen dem katholischen Geistlichen und Agitator, indem sie erklärt: „Die katholischen Vereine gehen zu Grunde, wenn öfterer regelmäßiger Gottesdienst fehlt." Damit wird künstlich der Zusammenhang zwischen kirch lichen und politischen Pflichten aufrecht erhalten. Die katholischen Arbeiter aber werden mit ihrer Forderung nach eigenen Organisationen, die nach den zahlreichen Mannheimer Phrasen die erste dringliche Pflicht des Cen trums und der Kirche sein sollen, als unzeitgemäß zurück gewiesen. Daraus sollte mancher Arbeiter und vor Allem jeder Protestant, der einem katholischen Gcscllcnvercine oder einer solchen Gewerkschaft ««gehört, erkennen, wie sein Jinteressc, in Sachsen wenigstens, wahrgenommen wird. Jetzt ist nur die Sannnlung der Katholiken in Sachsen durch die Ausbreitung des Volksvereins für das katholische Deutschland berechtigt: denn dieser hat ja die wichtige Aufgabe mit, den Arbeitervereinen vorzuarbcitcn. So versucht wenigstens die „Germania" sich nm die Gründung von Arbeitervereinen herumzudrückcn, die mehr Opserwilligkeit von den Geistlichen erfordern, als sie Er folge cinbringcn. In diesem Zusammenhang betrachtet, gewinnt der Mangel an Scelsorgepriestern, dem abzuhelfen die „Ger mania" noch vor Mannheims Jubeltagen als das dringendste Bedürfniß der Katholiken Sachsens hinstellte, doch ein ganz anderes Aussehen. Mancher einsichtige Katholik wird mit uns der Ansicht sein, daß der Beruf der Geistlichen in ihrer seelsorgerischen Thätigkeit aufgehen muß, wenn Hunderte von Gläubigen auf ihre Trostworte verlangend warten. Wenn sich jeder von der „Leitung und Lebendigcrhaltung" der „Vereine der Sammlung" fern halten würde, die ja in Laienhänden ebenso gut aufgehoben wären, würde eS wohl möglich sein, die Hirtcnnvth auch auf ein kleines Maß zu beschränken! Deutsches Reich. ch Leipzig, 8. September. Der Saale-El bgau-Ver- band der deutschsocialen Partei hielt gestern im „Eldorado" zu Leipzig eine Versammlung ab, in der sich der Verband constuuirle, das sür den Gau auSgearbeitete Statut durchberathen und angenommen, der Vorstand (Herr Lück- Leipzig wurde erster Vorsitzender) ernannt, Leipzig als Sitz des Gaues bestimmt und eine Anzahl Obmänner sür die Reichstag-Wahlkreise des Gaues nominirt wurden. Der ReichStagSabgeorbnete Liebermann von Sonnen berg leitete die Verhandlungen mit einer Ansprache ein. Er empfahl die Einsetzung eines Sekretärs, so wie die Entfaltung einer regen Agitation, damit es möglich sei, bei der nächsten Wahl zum Reichstage die Socialdemokratie mit Erfolg zu bekämpfen, eventuell Mandate zu erringen, zum mindestens aber in Sachsen, wo die deutschsociale Reform partei viele Anhänger habe, festen Fuß zu fasten. Der Saale- Elbgau soll sich außer über Sachsen über Ost-Thüringen, dea Regierungsbezirk Merseburg und daS Herzogthum Anhalt erstrecken. 8. Leipzig, 8. September. lDieHirtenbriefedcr d e u t s ch e n B i s ch ü f c.) Einige Wochen vor Beginn der Fastenzeit erlasse» die römisch-katholischen Bischöfe Deutsch lands, ähnlich wie cs in anderen Ländern der Fall ist, jährlich^ nach alter Sitte die sogenannten „Hirtenbriefe". Diese Schreiben verdienen die Aufmerksamkeit eines jeden, -er sich mit dem modernen Katholicismus 'beschäftigt. Sie lassen deutlich erkennen, welche Fragen und Anschauungen gerade jetzt in dem deutschen Gebiete der rvmisch-kathv- lichcn Kirche als die wichtigsten gelten. Sie zeigen in einzigartiger Weste die religiöse Bildung der Bischöfe, ihre historischen, dogmatischen und ethischen Kenntnisse. Sic sind aber besonders deswegen von Werth, weil nach römisch-katholischer Lehre die Bischöfe „in Gemeinschaft untereinander und mit dem Papst in Untcrordmin^ unter ihn kraft göttlicher Assistenz an der kirch lichen Unfehlbarkeit p a r t i c i p i re n" ^Heinrich Huppert, Lehrbuch der katholischen Dogmatik, Mainz 1900, S. 477). Jeder giltig geweihte Bischof ist für seine Diözese Nachfolger der Apostel und Stellvertreter Jesu Christi. So kommt in dogmatischer Hinsicht den Hirtenbriefen eine Wichtigkeit zu, gegenüber der die Schriften der niederen Welt- nnd Ordcnsgcistlichkeit und gar der katholischen Laien, beispielsweise der Laicnmitglicdcr des Centrumö, erst in zweiter Linie stehen. Sv wird aber auch, kirchen politisch betrachtet, der Einfluß der Hirtenbriefe auf das katholische Volk und zwar hauptsächlich auf die Arbeiter schaft und die einfachen 'bürgerlichen und ländlichen Kreise nicht gering zu schützen sein. Nun ist man ja allerdings wohl zu der Annahme berechtigt, daß es, wie z. B. in Frankreich, so auch bei uns oft nicht die Bischöfe selbst sind, welche die Hirtenbriefe schreiben, sondern einer ihrer Untergebenen. Aber das ändert nichts an der Thatsachc, -atz die Bischöfe diese Briese als Erzeugnisse ihres eigenen Clcistes gelten lassen, daß also diesen Schriftstücken dieselbe Autorität zukommt, wie wenn sic von den Bischöfen selbst verfaßt wären. Troy dieser Wichtigkeit der Hirtenbriefe für die Kenntniß des modernen Katholicismus sind sic bisher doch nur gelegentlich beachtet worden, etwa wenn eine besonders nmrkantc Acußerung eines Bischofs die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich zog. Tie so oft nur halb richtigen, bisweilen auch geradezu falschen Be hauptungen, z. B. in geschichtlichen Dingen, überging man, wenn man sie überhaupt bemerkte, meist mit Stillschweigen. Aber warum soll man eine so ausgezeichnete Quelle sür die Erkenntniß der römischen Kirsche der Gegenwart noch länger ungenutzt fließen lasten? Aus solchen Erwägungen heraus ist kürzlich im Verlage von C)arl Braun in Leipzig eine Zusammenstellung der Hirtenbriefe des Jahres 1902 erschienen, unseres Wissens die erste systematische Zu- sammeisttellung solcher Dvcumente. Wegen der reichen Anregung, die aus der Beschäftigung nm diesen Publi- cationen des römischen Katholicismus fließt, ist die Lectüre des Büchleins sehr zu empfehlen . L. II. Berlin, 8. September. (Eine Kundgebung des socialdemokratischen ActionS-ComitsS der Ber liner Eisenbahner.) Zum ersten Mal ist vaö social demokratische ActionS-Comil« der Berliner Eisenbahner (Gruppe deS Verbandes) mit einer Kundgebung hervorgetreten, welche die große Gefahr der Bewegung sür den Staat zeigt. In Coltbus haben Nangirer gestreikt, natürlich hat die Eisen- bahndirection von den verschiedensten Berliner Bahnhöfen Rangirrr nach Cottbuö geschickt, um keine Unterbrechung in dem wichtigen Betrieb des Rangirenö eintreten zu lasten. Es bat auch keine Stockung stattgefunden. DaS Actions- Comits der Berliner Eisenbahner ist nun erbittert darüber, daß Berliner Nangirer sich gefunden haben, welche die Streikenden ersetzten und, wie es in dem Aufrufe heißt, „be wußt oder unbewußt ihren kämpfenden College» in den Rücken fielen". „DaS wäre vermieden worden, wenn wir über eine starke Organisation verfügen würden." DaS heißt mit anderen Worten: wenn der socialdemokratische Eiseubahn- arbeiterverband die Macht erlangt, so wird er den Eisen bahnbetrieb regeln resp. verhindern und nicht dulden, daß, wenn irgendwo ein Streik der Eisenbahner auSgebrochen ist, die Streikenden ersetzt werden dürfen; der Eisenbahnbetrieb muß ruhen, bis die Forderungen der Streikenden erfüllt sind. Der Staat wäre mithin vollkommen der Gnade der Leiter des Verbandes in Hamburg, Dresden, Berlin aus geliefert. Weiter heißt eS in dem Aufruf: „College»! Be denkt, daß auch wir zu Klagen und unzufrieden zu sei» großen Anlaß haben, und deswegen ist es auch nicht aus geschlossen, daß auch wir Berliner in die Lage versetzt werden, in die unsere Cottbuser College» gekommen sind. Darum, College«, tretet Mann sür Mana dem Verbände der Eisenbahner Deutschlands (Sitz Hamburg) bei." Hier wird also deutlich genug eia großer Streik der Berliner Eisenbahner als möglich oder gar wahrscheinlich hingestellt. Die maßgebenden staatlichen Factoren werden sich durch solche Kundgebungen nicht beirren lassen, aber man sieht, wohin die Leiter deS Verbandes, hinter denen jetzt die ganze socialdemokratische Gewerkschaftsbewegung stehen soll, streben. Ein Riesen streik der Eisenbahner ist das Endziel, das den Leitern des Verbandes vorschwebt. Und diesen Leuten daS CoalitionS- recht geben, hieße dem Staat die Hände binden, ibn wehrlos machen. Am Schluffe seines Aufrufes giebt daS Berliner ActionS-Comits sechs Aufnahmestellen sür den Verband (wohl Cigarrenläde» und Kneipen) an. Wenn auch diese sechs Aufnahmestellen nicht allzuviel zu thun haben werden, so zeigt doch die ganze Aufmachung, daß eine große Action in diesem für Staat und Gesellschaft so gefährliche» social demokratischem Verbände sich vorbereitet. (D Perlt», 8. September. (Telegramm.) Zur Abend tafel bei dem Kaiscrpaar am Sonnabend waren geladen der Chef des Civilcabinets v. Lucanus und Earl of Lonsdale. — Gestern Vormittag besuchten der Kaiser und die Kaiserin den Gottesdienst in den Commune. Um 12^ Uhr empfing der Kaiser den Flügeladjutanten Capitä» z. S. von Usedom. Zur FrübstückStafel waren geladen der Kronprinz, Prinz Eitel Friedrich und Capitä» z. S. v. Usedom, zur Abendtasel die großbritannischen und amerikanischen Officiere, welche den Kaisermanövern beiwohnen. — Heute Morgen unternahmen der Kaiser und der Kronprinz einen Ausritt in der Umgebung deS Neuen Palais. Von 9 Uhr ab hörte der Kaiser die Vorträge des Chefs des Civilcabinets v. Lucanus, des Generalleutnants Graf v. Hülsen - Haeseler und des Stellvertreters deS Chefs des MarinecabinelS Capiläns z. S. v. Müller. — Heute Abend um 7 Uhr findet bei dem Kaiserpaar ein Diner in der JaSpiSgaleric deS Neuen Palais statt, zu welchem die an den Manöver» theilnehmendea Fürstlichkeiten und fremden Officiere geladen Feuilleton. Sechs Monate unter Räubern. Miß Ellen Stone war in ihren vor einem Monate ver öffentlichten Aufzeichnungen über ihre Gefangenschaft bei den Räubern bis zu dem Zeitpunkte gelangt, als acht Tage nach der Geburt der kleinen Elenka der zur Ver handlung über das Lösegeld abgesendcte Räuber aus Sofia zurückkehrte. Zur unaussprechlichen Freude der Gefangenen brachte er ihnen mehrere Briefe von Freun den und Verwandten und die ersten entscheidenden Nach richten über das Lüsegeld und besten Ausbezahlung. Es war dies Anfangs Januar, um die Zeit, als sich das Ge rücht verbreitet hatte, Frau Zilka sei bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Die Räuber händigten Miß Stone auch einen ausführlichen Brief des Vertreters des amerikanischen Konsuls Dickt nson an das Haupt der Mission in Saloniki, vr. Hause, ein, aus welchem sie erfuhr, daß nach langen Verhandlungen die Räuber sich entschlossen hatten, das angebotcne Lösegeld von 14 500 türkischen Pfund anzunehmen. Ursprünglich batten sie 25 000 Pfund verlangt. Dieser Brief war ihnen geschickt worden, damit sic auf der Rückseite desselben verschiedene Angaben machen, welche geeignet wären, den Beweis zu liefern, daß die Frauen wirklich noch am Leben seien. Der amerikanische Konsul war eben damals überaus vor sichtig mit dem in Amerika gesammelten Lösegeld, und sein Vermittler machte die größten Anstrengungen, um die Gefangenen auSgcliefcrt zu bekommen, bevor das Löse geld bezahlt war, weil er befürchtete, daß die Räuber, wenn sie das Geld in Händen hätten, die Gefangenen nicht frei geben, sondern noch einmal Lösegeld verlangen würden. Ganz Europa war damals darüber erstaunt, daß sich die Verhandlungen so sehr in die Länge zogen, und diese Ursache der Verzögerung wird eigentlich erst jetzt durch die Veröffentlichung der Aufzeichnungen der Miß Stone klar. Am Abend jenes Tages, an dem die Gefangenen die Briefe erhielten, sagte ihnen der Räuber, auf den sie sich während der ganzen Gefangenschaft am meisten ver losten konnten, der Bote werde am folgenden Tage nach Sofia zurückkchren, und er selbst werde ihn begleiten. Die Frauen waren über diese Nachricht sehr bestürzt, denn sie fürchteten sich vor allen Räubern, mit Ausnahme dieses einen, der sich schon einmal vor die drohenden Revolver der Gefährten gestellt hatte, nm die Gefangenen zu schützen. Beide Frauen beschworen ihn, sein AcußersteS zu thun, damit die Befreiung auch nur einen Tag früher ßnttfinde. Der Räuber beklagte sich, daß die unterhandelnden Ameri kaner so wenig Vertrauen zu ihnen hätten und ihre Ehr- lichkeit anzwcifelten. Er meinte, die Amerikaner hätten ja nur ihr Geld zu verlieren, während bet den Räubern Freiheit und Leben auf dem Spiele stünden. Die Frauen beeilten sich, den Räuber zu versichern, daß sie ihm voll vertrauten und entschloßen seien, cs darauf ankommcn zu lasten, daß das Geld zuerst ausbezahlt werde. Der Räuber fragte schnell, ob ihm die Frauen diese Versicherung schrift- lich geben würden. Miß Stone antwortete, ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, daß sie dicS gerne thun wolle, und Frau Zilka stimmte freudig zu. Miß Stone setzte sich nun aus den Fußboden zur rauchenden Lampe, welche in -em finsteren, vernagelten Gefängnisse der letzten Tage bei Nacht und bei Tag brannte, und schrieb an vr. House von der Mission in Saloniki einen Brief, von dem die zwei Frauen hofften, daß er die Frcnndc bewegen würde, rascher zu handeln und sie endlich aus ihrer unerträglichen Lage zu befreien. Miß Stone konnte Mr. House den Vorwurf nicht ersparen, daß er durch die Hinauszichung der Verhandlungen den Gefangenen unnöthigc Pein verursacht und die Geduld der Räuber gleichzeitig auf eine gefährliche Probe gestellt hatte. „Nun flehen wir Sie aus der Tiefe unserer Herzen an", so schrieb Miß Stone, „daß Sie Alles thun, was in Ihrer Macht steht, nm das Befreiungswerk ohne weitere Verzögerung zu vollenden. Hundcrtzweiund- dreißig Tage befinden wir uns nun in der Gefangen schaft. Ist dies noch nicht genug? Wir empfehlen Ihnen den Ucberbringer dieses Briefes als einen Mann, dem wir mehr schulden, als wir sagen können, denn ihm danken wir eS, daß wir noch heute am Leben und gesund sind. Wir ersuchen Sic, ihm die ganzen 14 500 Pfund Löscgeld zu übergeben. Wir nehmen alle Gefahr auf uns und stehen dafür ein» daß er und seine Kameraden, die uns so lange vor Gefahr bewahrt haben. Alles getreulich erfüllen wer den, was Sie ihnen bezüglich des Ortes und der Zett unserer Befreiung versprechen. Man sagt uns, daß es Ihr Wnnsch sei, daß die Gefangenen zuerst auSgelicfert werben und das Lösegeld dann erst bezahlt werde; aber ein solches Begehren ist doch in keinem ähnlichen Falle an Männer gestellt worden, welche Gefangene in ihrer Ge walt haben. Wir bitten Sie dringend, nicht mehr zn zögern und die hcrabgemindcrte Summe unseren Wächtern auszubczahlcn und so unsere Leiden abzukürzcn. Es werde sich dann leicht die Verabredung über den Ort und die Zeit unserer Befreiung treffen lassen. Vor acht Tagen hat Gott der Frau Zilka ein kleines Töchterchen geschenkt. Trotz aller Leiden und Entbehrungen befinden sicü Mutter uud Kind wohl, aber cs läßt sich denken, daß jeder Tag ein Gewinn ist, an dem wir früher ans unserer bitteren Lage befreit werden. Ich schreibe diesen Brief aus eige nem Antrieb, ohne Einflüsterung, von wem cs anch sei. Wir grüßen alle Drei und hoffen auf Ihre Hilfe." Auch der Vertreter des Consuls, Mr. Dickinsvn, drängte auf ein beschleunigtes Tempo in den Verhandlungen, nnd eine Abschrift seines Briefes an -en Chef der Mission, der ziemlich peremptorisch lautete, wurde Miß Stone vorgclegt. Auf der Rückseite des Briefes standen folgende Worte an Miß Stone: „Schreiben Sic einige Zeilen über Tinge, Vorfälle und Namen ans, die Ihnen und Mr. House ver traut sind." Miß Stone schrieb: „Geehrter Bruder im evangelischen Werk in Makedonien! In der vergangenen Nacht träumte ich von Ihrer Frau und fragte sie, ob sie sich erinnere, daß gerade acht Monate vergangen sind, seit ich Ihrer Familie ein kleines Abschiedoscst bei de' Abreise nach Frankreich gab. Heute, Sonntag, erhielt ich diesen Brief von unseren Wächtern. Ist Mr. Holway mit seiner Frau schon cingetroffen? Wir haben vcrnoimncn, daß Rante Gheorghtcva schwer leiden muß, und bedauern sie
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