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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020912016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902091201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902091201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-12
- Monat1902-09
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Tabellarischer und Zisfernsntz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra« Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abe«d-A»»»gabe: vormittag» IO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an dm Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag» unanterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Oie Truppenverpstegung im Manöver. II. Wenn die Truppen zu den großen Hcrbsttibungcn ausrücken, so spielt ihre Verpflegung eine noch wichtigere Nolle als in der Garnison, da es das Bestreben der Heeresverwaltung ist, zur Entlastung der quartiergeben- den Landbevölkerung diese Verpflegung möglichst aus Magazinen zu gewähren. Wo nun solche in nächster Nähe des Manövergeländcs sich nicht vorfinden, werden sie au- ge'egt, mit den erforderlichen Beständen an Lebensmitteln für Menschen und Pferde versorgt und mit dem noth- wcndigcn Beamtenpersonal ausgestattet, so daß sich Ver ausgabung und Empfang der Verpflcgsmittcl in ganz ge regelter Weise vollziehen. Mitunter werden bei großen Truppenanhäufnngen auch Feldbäckereien und Keld- schlächtcrcicn angelegt und in jeder Weise wird Vorsorge dafür getroffen, daß di^ Trnppcnverpflegung an keiner Stelle einen Mangel aufweist. Sobald nun die Truppen zu den Manövcrn ausgeriickt sind, erhalten sie in Zelt lagern und in Biwaks, sowie im Falle der Einquartierung ohne Verpflegung die große Beköstigungspvrtivn. Diese ist so reichlich bemessen, daß auch ein starker Esser selbst bei großen Anstrengungen ausreichend damit verpflegt ist, wenn er sich seine Portion für sich zubercitet. Macht er aber mit einem oder mehreren Kameraden gemein schaftliche Gliche, wie dies häufig der Fall ist, so befindet sich ein DurchschnittSesser ohne Zweifel einer „Uebcr"- porlion gegenüber, die er auch als volle Tageskost nicht immer bewältigen kann. Anders gestaltet sich die Sache, wenn der Soldat die Verpflegung durch den Qnartiergcber erhält. Eine solche Einquartierung mit Verpflegung findet in der Regel an Marschtagcn statt, wo die Entfernung von den Magazinen zu groß ist oder die Zubereitung der Kost mit Schwierigkeiten verknüpft ist. Bei dieser Verpflegung hat sich in der Regel der Einquartierte mit der Kost -cs Quarticrgebers zu begnügen, und in dieser Beziehung weih der Soldat gute und schlechte Quartier-» wohl zu unterscheiden. Wo das Quartier schlecht ist, liegt dies meist nicht an dem Quarticrgcbcr, der durchgehends den Soldaten nach besten .0rüsten aufzunchmcn und zu vcr- vflcgcn wünscht. Aber wie oft bleibt da der gute Wille hinter den zu Gebote stehenden Mitteln zurück! Wie schwer wird dann nicht die Einquartierung als eine drückende Last empfunden, wenn der kleine Handwerker »nd Gewcrbtrcibende, der niedere Beamte und der be scheidene AckerSmann zur Quartier- und VcrpflegnngS- Icistnng hcraugezogcn wird, die ihm neben der Arbeit für die Hausfrau so manches Gcldopfer auferlcgtl Der Qnarticrgcbcr weiß vielleicht auch, daß bei der Ein quartierung mit Verpflegung neben dem für einen Tag erforderlichen Brod dasjenige in gehöriger Zubereitung gewährt werden muß, was als große Beköstigungs portion aus dem Magazin zu empfangen sein würde. Aus welchen einzelnen Thcilen diese Portion sich zu- sammcnsetzt, weiß aber der Quartiergeber meist nicht, und daher pflegt er denn auch siir seine Einquartierung ge wöhnlich besser z» kochen, als er sonst für sich zu thun gewohnt ist, nur nm etwaigen Einwendungen und Be anstandungen durch die Truppe vorzubeugen. Der Sol dat weiß nun, daß der Ouartiergeber eine Entschädigung in Getd für die geleistete Verpflegung erhält; auch mag ihm bekannt sein, daß dies pro Tag und Kopf 80 Plenum beträgt, aber daß damit eine große Beköstigungsportion mit Brod, d. h. drei tägliche Mahlzeiten, als Morgen-, Mittags- und Abendkost, zu beschaffen sind, macht er sich nicht weiter klar. Diese für ihn auch ganz unnöthlgc Sorge überläßt er dem Quartterwirth; daß dieser aber der der jetzigen Theuerung aller Lebensbedürfnisse, selbst aus dem platten Lande, damit nicht auskommen kann, ist eine Klage, die nicht erst seit heute zn vernehmen ist. Dieser Satz von 80 Pfennig als Kostgeld wird jahraus, jahrein schon seit etwa dreißig Jahren festgesetzt, und man Wir ts nicht besonders zu beweisen brauchen, daß die Lebens mittel jeder Art heute theurer sind, als vor drcnzig Jahren. In dieser Beziehung wird also ein Wandel an gebahnt werden müssen, der sich ja auch für die Ent schädigung bei Quartierleistungcn hat finden lasten, wo man die fünfte Servisclasse einfach gestrichen hat, deren Sätze als Naturalscrvis in kleinen Städten und Dörfern bei der Einquartierung zur Verrechnung kam. Wenn man zudem erwägt, daß einzelne Gegenden von Truppen übungen und Manövcrn ganz verschont bleiben, weil sich das Gelände dazu nicht eignet, so wird das Verlangen kein unbilliges genannt werden können, wenn man die Be völkerung, welche die Ouartierlasten zu tragen hat, auch genügend entschädigt. Deutsches Reich. /?. Berlin, 11. September. Die Errichtung öffe n t- kicher K r a n k e n k ü ch e n befürwortet Dr. A. Fuld in der „Socialen Praxis" mit durchschlagenden Gründen. Woran cs in den unbemittelten Volksschichten zumeist gänzlich gebricht, das ist eine zweckmäßige Kranken nahrung, vielfach die erste Bedingung zur Genesung.^Jn der Regel scheitert die Sache schon am Gcldpuncte. «and aber Mittel vorhanden, so werden sie oft, ohne -aß der Arzt überhaupt gefragt wird, in Folge jenes unseligen, allverbreiteten Aberglaubens, für sogenannte Ltärtungs- mittel, für alkoholische Getränke verschleudert; vde^ cs ist Niemand vorhanden, der im Stande wäre, die «peisen richtig zuzubcreiten. Die Frauen und Töchter der Ar beiter verstehen ja in der Regel blutwenig von der Küche, geschweige denn, daß sic den besonderen Anforderungen an die Bereitung einer Krankenkost genügen könnten. Es ist oft ein Jammer, mit anzusehen, wie das theuer gekaufte Material verdorben und so schlecht oder unzweckmäßig zu- bcrcitct wird, daß cs von dem Kranken nicht vertragen oder von vornherein mit Widerwillen zurückgewiescn wird. Unter solchen Verhältnissen dürfte die vor Jahresfrist in Berlin ins Leben gerufene öffentliche Krankenküche, über deren Wirksamkeit ihre verdienstvolle Gründerin, Frau vom Rath, vor Kurzem in der „Zeitschrift für physikalische Therapie" berichtete, vorbildlich zu wirken berufen sein. Es werden in dieser Anstalt für Kranke geeignete Speisen sachgemäß zubercitet und gegen Entgelt abgegeben; ver schiedene Kostformcn sind ausgestellt, mittels deren cs dem Arzte sehr leicht gelingen muß, die für den speciellcn Kranken passende Kost anszuwählen oder zusammenzu stellen. Die Abgabe der Speisen nur gegen Entgelt mar nothwcndig, um mit den vorhandenen Mitteln überhaupt ins Leben treten zu können; private und öffentliche Wvhl- thätigkeit arbeiten übrigens im Einverständniß mit jener Anstalt, indem sie bedürftigen Kranken Speisemarlen zur Verfügung stellen. Leicht Erkrankten, Neconvalescenten, Magenleidenden u. f. w. ist Gelegenheit geboten, im Vor zimmer der Krankenküche selber zu speisen, wo Platz für 20 bis 30 Personen vorhanden ist, Andere lassen das Essen von ihren Angehörigen abholen, die Mehrzahl bekommt es in Thcrmophorgefüßen warm ins Hans geliefert; der Transport geschieht durch Drciradwagen, deren der Verein drei besitzt. Auf diese Weise wird ein Umkreis von zwei Kilometern versorgt; um aber auch entferntere Gegenden nicht unberücksichtigt zu lassen, sind in letzter Zeit noch so genannte Abhvlestellen eingerichtet worden, von wo ent fernter wohnende Kranke das Essen abholen lassen. Die kleine Portion Mittagessen kostet 25, die große 50 Pfg. Die mißbräuchliche Benutzung der Anstalt könnte sich dadurch verhüten lassen, daß die Abgabe der Speisen von der Bei bringung eines ärztlichen Zeugnisses abhängig gemacht würde. — Es wäre in hohem Grade wünschcnswcrth, wenn die Einrichtung anderwärts Nachahmung fände. Die Organisation müßte sich natürlich nach den örtlichen Verhältnissen richten; cs könnte wohl, namentlich in mitt leren und kleineren Städten, die Küche der öffentlichen Krankenanstalten diesen Zwecken dienstbar gemacht werden, wodurch sich zweifellos auch mit bescheidenen Mitteln etwas erreichen ließe. Berlin, II. September. Eist eigenartiges E u l tn r b i l d a n s d em O st e n des preußischen Staates zeichnet der R c gi ernn g s p r ä s i de n t in Gum binnen in einem Erlasse über die Verbreitung des Weichselzopfes. Verblüffend wirkt besonders ein Strich in dem Bilde: Geistliche, die, vom Aber glauben befangen, sich den elementarsten Forderungen derHygieine entgegenstellen. Es heißt in dem Erlasse: „Durch eine Zählung ist fcstgestellt worden, daß in Preußen noch über 6500 Weichselzopfträgcr existiren. Der Zahl der Weichselzopfträgcr nach steht der Regierungsbezirk Posen mit 2507 an der Spitze, es folgen Bromberg mit 1858 und Marienwerder mit 1354, Danzig mit 250 nist» Königsberg mit 156, während in den übrigen Regierungsbezirken Weichsclzopf nur sporadisch nachzuweiscn war. Wie cs in der Natur der Sache liegt, kommt der Wcichsekzops bei Weitem häufiger bei Frauen als bei Männern vor; es stehen 5779 weiblichen 734 männliche Weichselzopfträgcr gegenüber. Das lange Haar der Frauen neigt eben leichter zur Verfilzung als das meist kurz gehaltene Haar der Männer. Ucbcr die Natur des Leidens herrscht unter den Ncrzten, welche Weichsclzopf zu beobachten Gelegenheit hatten, heute mit wenigen Ausnahmen nur eine Ansicht, nämlich die, daß der Weichsclzopf keine Krankheit, sondern lediglich die Folge von Unsauberkeit und mangelnder Haarpflege ist. Die letztere Ursache hat in fast allen Fällen, in denen darüber Angaben gemacht wurden, fest gestellt werden können. Als entferntere Ursache für die Ent stehung des Wcichselzopfes haben sich, außer der bei d>cr polnischen Bevölkerung unserer östlichen Provinzen zu finden den Indolenz gegen Schmutz und Unordnung, häufig Kops ausschläge, ferner Kopfschmerzen und lange dauernde Krank heiten oder Altersschwäche, welche die betreffenden Personen Wochen- und monatelang ans Bett fesselten, ergeben, tzii.e große Rolle bei der Entstehung des Weichselzopfes spielen cwer- gläubische Vorstellungen, mögen dieselben dircct die Patienten zu einer Vernachlässigung der Haarpflege veranlassen oder erst nachträglich als Erklärung, vielleicht auch als Entschuldigung herangczogcn werden. Dieser Aberglaube ist auch vielfach tne Ursache gewesen, daß die Kranken ihr Leiden zu verheimlichen suchten und dadurch den amtlichen Nachforschungen nicht selten erhebliche Schwierigkeiten bereiteten. Außer für die Acrzte ist hier in erster Linie für Lehrer und Geistliche ein reiches Feld, auf dem sie durch Belehrung des im Aberglauben ge fangen gehaltenen Volkes Segen stiften könnten. Leider giebt es jedoch Geistliche, welche das Volk über den Weichselzopf nicht nur nicht auf klären, sondern sogar in ihrem Aber glauben noch unterstützen. Trotz dcS bestehenden Aberglaubens suchen die Zopfträger in Ostpreußen, Pommern und Schlesien, im Gegensatz zu Westpreußen und Posen, häufig ärztliche Hilfe nach. Wo diese sich aber auf einfache Verord nung beschränkt, hat sie natürlich wenig Erfolg, wo dagegen, wie dies allgemein in Krankenhäusern geschieht, der Zopf ein fach avgcschnitten und gegen cttoa vorhandene Ekzeme oder Kopfparasiten mit Seife und geeigneten Salben vorgcgangcn wird, da hat die ärztliche Hilfe auch Erfolg. Daß das Ab- schncidcn des Wcichselzopfes in dec That das einfachste und wirksamste Mittel zu seiner Beseitigung ist, bewies ein schle sischer AmtSvorstchcr bei Gelegenheit der angestellten Ermitte lungen, indem er bei 20 Schulmädchen den Zopf einfach ab schneiden ließ. Es sind in Folge davon weder Krankheiten ent standen, noch Beschwerden laut geworden. Der allgemeinen Durchführung dieses ebenso einfachen, wie rationellen Ver fahrens entstehen aber die größten Hindernisse aus dem aber gläubischen Nimbus, der dem Weichselzopf noch anhaftet. Diesen durch Belehrung des Volkes zu zerstören, ist aber nicht allein Sache der Acrzte, sondern Pflicht jedes Gebildeten, der mit dem niederen Volke in Berührung kommt, vornehmlich dec Geistlichen und Lehrer. Nur durch die Ausrottung des Aber glaubens wird es gelingen, auch den Osten Preußens von dem ebenso häßlichen, wie vermeidbaren Weichselzopf zu säubern." Nach diesen Feststellungen kann es lange währen, ehe cS in manchen Bezirken des Ostens Licht wird. — Als Delegirte zu den am 22. bis 25. September d. I. stattfindenden Verhandlungen der Delegirtenversammlung der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz werden deutscherseits der Director im Reichsamt des Innern Caspar und der Präsident des kaiserlichen statistischen Amts vr. Wilhelmi entsandt. Außerdem wird nach der „Socialen Praxis" der Geheime RegierungSrath Lohmann an den Berathungen theil- nehmen. — Bonden preußischen Ressortministern befinden sich verschiedene noch auf Urlaub. So der Ministerpräsident Feuilleton. Von giftigen Wiesen. Von C. Falkenhorst-Weimar. Ä!-a>'rua vcriolcn. Ans feuchten Wiesen schimmern jetzt die violetten Blumen der Herbstzeitlose, der letzte Blüth ngruß ver scheidenden schönen Jahreszeit. Vollendet ist nun der Farbenreigcn, mit dem die Natur im Laufe der Lenz- nnd Sommermonate den grünen Wiesenteppich geschmückt hat. Das gelbe Himmelsschlüsselchen hatte ihn eröffnet. Kaum war es verblüht, so schimmerte es weiß und röthlich über der dichter gewordenen Grasdecke von den Blüthcn des Wiesenschanmkrantcs. Zn gleicher Zeit begann der gelbe Löwenzahn kräftiger hervorzulenchten; ihm gesellten fist; nm Mitte Mai verschiedene Ranuntelarten; gelb grün leuchtete die Wiese. Die ersten Blumen welkten dahin, und bald öffneten sich, wie Myriaden kleiner weißer Schirme, die Dolden des Wiesenkerbels, und dann wieder ein neuer Farbenwechsel; roth und bunt schimmert es auf dem grünen Grunde; es nicken in Sonne und Wind die Lichtnelken, die Kukuküblumen und Knaben kräuter, unsere zierlichen, heimischen Orchideen. Wiesenblumen! Wir haben sie so gerne gehabt und zn Sträußen gewunden. Aber Alles auf dieser Welt hat > ine Schattenseite, so auch viele der herrlich blühenden Pflanzen. Von der Herbstzeitlose weiß Jedermann, wie giftig sic ist, und der Landwirt!) sucht sie auszurotten, denn sic verursacht Erkrankungen des Viehes. Doch auch von den anderen Wiesenblumen sind nicht alle harmlos, wie das Himmelsschlüsselchen, ans dem in früheren Zetten ein Wein gegen die Melancholie bereitet wurde. Entschieden giftig sind verschiedene Ranunkel, wie der scharfe, der brennende und der Gisthahnenfuß; dasselbe gilt von der Küchenschelle; auch der Sauerampfer ist nicht bekömmlich, und scharf schmecken die blaue Leberblmne und die Knaben- lräntcr. Alle solche Gewächse sind keine willkommene Beigabe ans der grünen Werde oder im Heu. Sie bekommen dem Vieh nicht und machen es vielleicht häufiger krank, als man bisher angenommen hat. Es wird wohl behauptet, daß die Tlsterc durch den „Jnstinct" vom Genuß giftiger Pflanzen abgehaltcn werden. Das ist zum Theil wahr. Die Giftstoffe sind ebenso wie die Dornen und Brenn- haare Waffen, mit denen sich die Pflanzen gegen Angriffe von Thieren zu mehren suchen. Auf oft begangenen Weideplätzen, z. B. in den Alpen, bemerkt man Stetten mit sehr üppigem Pflanzenwuchs, der aber von dem weidenden Vieh nicht berührt wird. Es hat sich hier eine widrige Gesellschaft angesiodelt, zum Theil brennend un stachlig wie die Brcnnessel und Kratzdistel, zum Theil giftig und herb wie der Eisenhut und Frauenmantel. In anderen Gegenden fallen Wolfsmilcharten, Bilsenkraut und Stechapfel auf. Das Vieh läßt sie unberührt, sie breiten sich also aus und verdrängen -chs Gras. Aber nicht überall sind die Verhältnisse so klar. Wo Giftkräuter vermengt unter dem Grase wachsen, kann das Vieh beim Ausschnappen der Nahrung unmöglich eine feinere Auslese halten, cs schluckt das Gift mit, uud das selbe ist bei der Hausfütterung der Fall. Sehr lehrreich sind in dieser Hinsicht Untersuchungen, die man neuerdings in den Vereinigten Staaten von Amerika angestellt hat. In Folge rüthselhafter Er krankungen von Thieren auf der Weide, die vielfach mit dem Tode endigten, setzte man dort eine Commission ein, die sich mit der Untersuchung dieser Vorfälle beschäftigte. Es stellte sich heraus, daß Viehvergiftungen durch Pflanzen keineswegs zu den Seltenheiten zählen. Auf den Prairien der neuen Welt wachsen Giftkräuter, die zum Theil bei uns nicht Vorkommen. Verschiedene Zwiebelgewächse und Ritterspornarten raffen alljährlich Schafe, Kühe und Pferde fort und verursachen einen Schaden, der sich auf viele Taufende Dollars beziffert. Bcrhängnißvvtt sind auch die Lupinenartcn, deren Schädlichkeit zur Zeit der Samenreife auch bei uns bekannt ist. Im Staate Mon tana haben namentlich Schafheerden gelitten, die an Stellen vorbcigetrieben wurden, auf denen Lupinen reich lich wuchsen, und von diesen fraßen. Ein wahres Unglück betraf eine Heerde, die von Aragon importirt wurde und ihren Weg durch ein an reifenden Lupinen reiches Ge lände nahm. Die Thiere erkrankten plötzlich, und während drei Tagen gingen von der 3000 Stück starken Heerde 1900 zu Grunde. Höchst eigenthümlich sind die Vergiftungen durch den Genuß der Aragallus- und Astragaluspflanzen, Ver wandter des in nnseren Laubwäldern heimischen süß blättrigen Tragants, der auch deutsches Süßholz genannt wird. In der Regel meiden die Thiere die AragallnS; einzelne Schafe naschen aber von den Büsck-en. Anfang werden sie in Folge dessen munterer, bald aber zeigt sich bei ihnen eine Abgestumpftheit; sie taumeln wie trunken umher und wollen nichts Anderes als AragalluS fressen, bi» sie zu Grunde gehen. Sie scheinen demselben Schick sale zu verfallen wie Morphinisten und Opinmesser. Böse Beispiele verderben auch die Thiergesellschaft. Andere Thiere der Heerde werden zum Aragallu-srcssen verleitet, und so entstehen Epidemien, denen manchmal Hunderte von Schafen zum Opser fallen. In Amerika nennt man diese Epidemie Locokrankheit und sucht ihr dadurch zu be gegnen, daß man jede« locokranke Thier von -er Heerde absondert. In Deutschland hat man den Gistkräutern auf der Weide au» einem andere« Grund« besondere Aufmrrk- samkeit geschenkt. Man ging hier von der Annahme aus, daß die giftigen und scharfen Stoffe des Futters in die Milch übergehen können. Schon in der älteren Literatur finden sich solche Beobachtungen. So traten z. B. in einem Stadttheile Roms, wie vr. Schünemann in seinem Buche „Die Pflanzenvergiftungcn" berichtet, längere Zeit hin durch häufig Magen- und Darmkatarrhe auf, mit Er brechen, hestigen Schmerzen im Leibe, Störungen der Athmung und in dem Blutumlaufe, niedriger Tem peratur und schnellem, kleinem Pulse. Es wurde fest gestellt, daß alle erkrankten Personen Ziegenmilch aus derselben Bezugsquelle genossen hatten, nach Aufgabe dieser Milch indetz sich besserten und in Genesung ein traten. Nach thierärztlichcm Gutachten waren die Ziegen ganz gesund; man untersuchte nun -en Weideplatz der Ziegen und fand auf ihm mehrere Giftpflanzen, darunter auch die Herbstzeitlose. In der Milch der Ziegen konnte der giftige Bcstandthcil der Herbstzeitlose, das Cvlchicin, nachgewicsen werden, und dadurch ließ sich die Ursache der Epideinie erklären. Daß die Ziegen gesund geblieben sind, ist nicht verwunderlich, da sie gegen Pflanzengifte in hohem Maße immun sind. In neuerer Zeit glaubte Professor Braungart in München Nachweisen zu können, daß die große Kinder sterblichkeit in Bayern in vieler Hinsicht durch die Ver giftung der Kuhmilch mit dem Eolchicin verursacht werde, das überhaupt und namentlich für die Säuglinge schon in den kleinsten Mengen ein äußerst gefährliches Gift ist. Die Herbstzeitlose gedeiht am besten auf kalkreichem Boden, und in den kalkreichcn Bezirken Bayerns findet sich auch die größte Kindersterblichkeit. Obermcüicinal- rath Hauser lnrt hierauf diese Behauptung Braungart's für Baden nachgeprüft. Das Ergebniß der Untersuchung war derart, daß Hauser Braungart nicht beistimincu konnte. Immerhin fand auch er, daß viele Ortschaften, die auf Kalkboden liegen, eine auffallend hohe Kinder- sterbltchkeit aufwcisen. Er hat fcstgestellt, daß im Amts bezirk Vtllingen in der zweiten Hälfte eines Jahres in den auf Kalkboden liegenden Gemeinden mit 1565 Ein wohnern 25 Kinder an Verdauungsstörungen starben, während in den auf Buntsandsteinformationen gelegenen Gemeinden desselben Bezirkes mit 1095 Einwohnern nur ein Kind an Verdauungsstörungen starb. Auch im darauf folgenden Jahre war daS Vcrhältntß ähnlich ge blieben. Hauser hält aber 'die Herbstzeitlose allein nicht für die schädigende Ursache; auf Kalkwiesen gedeihen üppig auch andere giftige Kräuter, wie Hahnenfuß, Dotterblume n. s. w. Professor Locsflcr berührte diese Frage in einem Vor trage in der Versammlung deS Deutschen Vereins für öffentliche M'sundheitspflcge. Seiner Ansicht nach müssen noch weitere Untersuchungen angestellt werden, die vielleicht zu bedeutungsvollen Ergebnissen führen werden. Auch Chemiker sollten sich mit dem Nachweise giftiger Pflauzenstosfe in der Milch von Thieren beschäftigen, die mit derartigen verdächtigen Futterpflanzen gefüttert sind. „Erst wenn der Uebergang der Giftstoffe in die Milch nach gewiesen ist, und wenn weiter nachgewicsen ist, daß der artige Milch bei Kindern Krankheitserscheinungcn, namentlich Darmkatarrhc, erzeugt, dann erst werden wir berechtigt sein, aus den Untersuchungen weitere prak tische Conscqucnzen zu ziehen." Die Wissenschaft beschäftigt sich aber nicht nur mit der Wirkung der von Pflanzen erzeugten Gifte auf Menschen und Thiere, sondern sucht auch die Beeinflussung -er Pflanzen durch verschiedene Gifte zu erforschen. Auch diese Fragen sind von hohem, praktischem Interesse, da man in der Neuzeit eiue große Anzahl chemischer Prä parate anwendet, um thierische und Pilzparasitcn auf den Nutzpflanzen abzutödten. In der Bckämpfimll der Pflanzcnkrankheiten spielt u. A. das Kupfer eine wichtige Rolle. Die Erklärung seiner Wirkung bereitet aber viele Schwierigkeiten. Für verschiedene Pilze und nieder- Pflanzen ist es ein überaus heftiges Gift. Dagegen hat man vielfach angenommen, daß das .Kupfer höheren Pflanzen in ihrer vollen Entwickelung nicht schade, sie vielmehr durch den Reiz, den cs ausübt, zu kräftlg^.er Lcbensbethätigung veranlasse. So hat Professor Frank nachgewicsen, daß Kartoffeln kräftiger wurden und auch besseren Ertrag lieferten, als man sie mit Kupfer bespritzt hatte. Andererseits war es auch bekannt, daß die Alge Spirogyra in Gläsern mit Wasser abstarb, in dem eine Zeit lang eine Kupfermünze gelegen hatte. In neuester Zeit Kat man Versuche angcstellt, welche Wirkung das Kupfer auf das Keimen und die erste Wurzelbildnng der Pflanzen ansübe. Es hat sich in dieser Hinsicht als das heftigste Gift erwiesen. Tic Keimung von Getreide- und Lupiwenkörucrn unterblieb schon, wenn im Wasser nur ein Zehnmilliontcl Kupfer gelöst war. Der Franzose Conpie suchte zu bestimmen, welche Mengen verschiedener Gifte nöthig sind, um das Wurzelwachsthum zu schädigen. Wurzeln keimender Wcizenkvrncr zeigten schon ein ver kümmertes und verkrüppeltes Wachstkum, wenn in 1000 000 Thcilen Wasser ein Theil Höllenstein gelöst war; das Sublimat wirkte schon in cinc'r Verdünnung zu 30 Millionen und da» Kupsersnlfat sogar in einer solchen zn 700 Millionen. Im Bosen liegen die Verhältnisse für die Pflanze augenscheinlich günstiger als im Versuchs glase. Man beizt ja die Wcizenkörner, um Brandpilz- sporcn zu tvdten, und das Verfahren erweist sich als un schädlich wenn man die Kupferbeize auf trockene, nicht ge quellte Wcizenkörner einwirken läßt. Wunderbar erscheint aber die große Empfindlichkeit der Pflanzen gegen ihnen giftige Stoffe, und sie zeigt uns, wie sein und complictrt die LebenSvorgüng« sind.
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