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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020915028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902091502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902091502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-15
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l. MlW M ScipWer TUMt mS Aiijchcr Nr. ich, MRtGlL.ZeMel IM. (Nenil-ArsBe.) Kunst un- Wissenschaft. Musik. Neues Theater. Leipzig, 14. September. Die gestrige Aufführung der .Hugenotten" brachte zwei interessante Gastspiele. Valentine, die Heldin jener mit den Greueln einer Haupt- und Staatsactivn ohne Gleichen verquickten sonder« baren Liebesgeschichte, wurde von Fräulein Jenny Korb von der Hofoper in Wien wiedergegebcn, einer Künstlerin von nicht gewöhnlichem Schlage. Schöne, wohltimbrirte, zum Thetl blendende stimmliche Mittel von ausgezeichneter, manierenloser Bildung, überraschend leicht die Intonation in allen dynamischen Abstufungen und strahlend der Ton, namentlich in der höchsten Lage, reine Sprache lvom Gaumen-r abgesehen), warmblütiger, ab geklärter Vortrag in sauberster Phrasirung und kräftiger Steigerung — und dazu eine temperamentvolle, von einer ansehnlichen Erscheinung getragene, vornehme, nur hier und da vielleicht etwas gemachte Gestaltung: so mußte sie den Hörer packen und Stürme des Beifalls entfesseln, cyewiß würde ein jeder Kunstfreund der ausgezeichneten Sängerin gern wieder begegnen. Auch der zweite Gast des Abends, Frau Hedwig Schröder vom Stadtthcater in Basel, führte sich mit der Margaretha nicht nnglücklich ein, einer Partie, in der wir so viele Coloratursängerinnen schon schmählich scheitern sahen. Ihr umfangreiches Organ ist von reinem, klarem Timbre, wohlgeschult, wenn auch nicht in allen Lagen in Ansatz und Tongebung ganz ausgeglichen, die Tertbehand lung besonders sorgfältig und gewählt. Besonders an sprechend und kräftig sind ihre Kopftöne. Doch läßt die Technik der Künstlerin noch viel zu wünschen; der feine Zierrath der Coloratur ging zum großen Thcile verloren, wie auch ihr Vortrag der Feinheit und Pikanterie, z. B. des Fräulein Petrini oder gar einer Baumann (die wir übrigens gern wieder einmal in einer ihrer Glanz rollen, z. B. der Traviata, sähen), ermangelte. Dazu fehlte ihrem Auftreten viel von der imponirendcn Sicher heit, der Hoheit und Grazie der vergötterten Prinzessin. Immerhin fand sie sich trotz ihrer kleinen Figur im Ganzen noch leidlich mit ihr zurecht. Ist somit ihre Künstlerschaft auch erst im Werden, so verdient ihre stimm liche Beanlagung höchste Beachtung. Von den übrigen Partnern noch ein Wort. Den Raoul sang an Stelle des plötzlich erkrankten Herrn Urlus Herr Mörs, und zwar recht ansprechend. Ist doch der Raoul eine seiner besten Partien, in der er namentlich sein schönes Sierra voce mit besonderem Erfolge verwenden kann. Daß einige Kopftöne nicht recht standen, dürfte wohl auf den Mangel an Vorbereitung zurückzusührcn sein. Für den Marcel hat Herr Rapp ganz das prasselnde Stimm volumen. Und doch war diese Rolle noch ziemlich unfertig. Der bluttriefende Schlachtruf muß ganz anders dahin rollen, wenn er Eindruck erzielen soll. In den Rccitativen weiß er sein Organ gar nicht vortheilhaft zu verwenden. Den tiefen Tönen fehlt übrigens die Kraft, die hohe Lage schien gestern belegt. Die Gestaltung des fanatischen Grau kopfes war nicht ohne Energie, immerhin bei Weitem nicht kräftig genug. Ein Blick auf den wie aus Erz gemeißelten St. Bris des Herrn Schelper lehrte das zur Genüge. Leider war Herr Rapp auch musikalisch nicht sicher. Einen außerordentlich gefälligen Pagen stellte Fräulein Un- tucht in die Scene. Auch gab sic das zierliche Geschwätz des empfindsamen jugendlichen Wichtigthucrs mit zwar kleinem, aber reinem Tone und ziemlich sauberer Eoloratur wieder. Aus der Zahl der Edellcute sei der in jedem Be tracht noble Nevers des Herrn Groß besonders hervor gehoben. Für das Nachtwächterlied reichten Herrn Werth' s Stimmmittel recht wohl hin. Die Chöre genügten fast allenthalben. Die einge legten Tänze, in denen Herr Balletmcister Golinclli, sowie die Damen Jrmler, Schäffer und Buch- mann solistisch hervortraten, fanden viel Beifall. Herr Eapellmeister Porst konnte -war mancherlei kleine musi kalische Schwankungen des Ensembles und manche Willkür lichkeiten und Unsicherheiten einiger Solisten nicht vcr- vecken, brachte indessen die Aufführung zu einem guten Ende. Die Orchester-Solisten boten ausnahmslos Vor zügliches. Vr. Rud. Krauße. H. boncert des Römischen BoealquintettS. Leipzig, 15. September. Das Römische Vocal- quintett der Herren L. Gentili, G. Gavazz, G. Soldini, G. Turin und E. Magalotti gab gestern im Saale des Künstlerhauses sein zweites und letztes Concert. Herr Gentili, der Sopranist der Vereinigung, schien diesmal etwas indiSponirt, wenigstens war seine Führung deS Ensemble weniger sicher und gut als neulich, so mancher Ton kam nicht recht zu freier Entfaltung. In un gehinderter Verfügung über ihr ausgiebiges Material zeigten sich somit nur Herr S oldini mit seinem wohlbeanlagten Tenor und Herr Magalotti, dessen klangreicher Baß wieder einen farbensatten Untergrund bildete, während der geringe Klangreiz von Herrn Gavazzi'S Altstimme, wie auch die Mängel, die dem Organ deS Herrn Turin anhaften, sich von Neuem be merkbar machten. Die im ersten Tbeile deS Abends vor getragenen Gesänge, insonderheit Cberubini'S „Lt in- carnatus est," und Romano'S „0 salutaris dostia", wurden den akustischen Verhältnisseu deS Künstler- haussaaleS diesmal besser angepaßt als eS bei den Darbietungen am Freitag der Fall war. Daß das Zusammenwirken der Herren künstlerisch hochvollendet gewesen sei, daß sie wirkliche Muster kirchlichen Gesanges aufgestellt hätten, ließ sich aber wiederum nicht behaupten; durch keinen ihrer Vorträge fühlte man sich in eine eigentlich höhere Sphäre entrückt. Dahin die Geister zu richten scheint mir aber doch die Aufgabe religiöser Kunst zu sein. DaS Anfechtbarste boten die Sänger übrigens im späteren Verlaufe des AbendS: Stücke, wie Domzetti'S „Duda wirum" und Marchetti'- „Lrsgkiera", die ohnehin schon deutliche Spuren der Verflachung und Verweltlichung an sich tragen, wurden zwar mit Bravour, aber ohne tiefere Innigkeit aufgefaßt und erinnerten ihrer übertrieben stimmschwelgerischea Ausführung zufolge fast an die Leistungen einer italie nischen Operngesellschaft. Ohne Begleitung kam wieder nur Capocci'S „kocoräsrs", da- die einzige a cappella-Nummer der Herren zu sein scheint, zu Gehör, alles Andere begleitete Herr Pio di Pietro theils am Harmonium, tbeilS am Clavier. DaS Letztere trat etliche Male, so in der Composition von Donizetti, zu stark hervor. Gerade der Umstand, daß das Römische Vocalquintett dem Prüf stein deS a eappolla-GesangeS so gern aus dem Wege geht, ist für da- Können der Sänger kein gar zu günstiges Zeichen. Außerdem benehmen sie sich schon dadurch die Möglichkeit, von den musikalischen Thaten der Sixtinischen Capelle, auf die sie sich m ihren Concertankündigungen immer berufen, einen Begriff zu geben. Warum dann aber das Hin deuten auf die lediglich Vocalmusik pflegende Sixtina? Ob die Herren den Nachweis, daß sie dieser traditionell nur auS Priestern bestehenden HauScapelle des Papste- angehören, wirklich erbringen können? DaS zu erfahren Ware interessant genug. . , F- Wilfferodt. Leipzig, IS. September. Bei Bonorand gab am Sonntag der kgl. Musikdirektor Herr Theodor Kluß mit der von ihm geleiteten Man-selder MilitSrmusikschule zwei Concerte. Das Ctabliffe- ment Bonorand ist feit langen Jahren al« Stätte einer guten Unterhaltungsmusik bekannt, und auch wer diesmal gekommen war, wird nicht enttäuscht gewesen sein. Die Spielenden waren zwar sämmtlich noch junge Leute, die man nicht mit dem Maße eine« bereits völlig durchgebildrten und routinirten Musiker» messen durste, immerhin aber bekundeten sie rin schon erfreuliche» Können und folgten den Winken ihres Lehrer» und Leiters mit großer Aufmerksamkeit. So ergab sich ein frisches, fröhliche- Musiciren; sämmtliche zum Vortrag gelangende Nummern sprachen von fleißiger Vorbereitung und wurden in straffem Zusammenspiel sicher und klar ver mittelt. Dabei zeigten sich die Au-führenden in verschiedenen Sätteln girecht, gleichviel, ob r» einen schneidigen Marsch, einen schwebenden Walzer oder eine Composition ernsterer Art zu spielen galt. Daß Herr Kluß bei Ausstellung seiner Pro gramme mit weiser Vorsicht zu Werke gegangen war, die Kräfte seiner Capelle richtig obgeschätzt und danach eine passende Auswahl getroffen hatte, war nur zu billigen und gestaltete den Verlauf der Concerte um so befriedigender. Denn nicht was, sondern wie etwas zu Gehör kommt, fällt bekanntermaßen zuvörderst ins Gewicht. Um auS der Fülle des Gebotenen nur Einige» herauS- zugreisen, sei der Wiedergabe von Suppv'S Ouvertüre zur Operette „Frau Meisterin", der Ausführung eines „Spanischen Walzers" von Metra, sowie deS Vorträge» verschiedener Compositionen von Maillart, Verdi und Millöcker lobend gedacht. * Erlange«, 13. September. Gestern Abend starb hier der Stadtcantor C h r i st o p h Preis, Komponist vieler Lieder für Männerchor, langjähriger Dirigent und Ehren dirigent der Liedertafel Erlangen, Ausschußmitglied und Ehrenmitglied des fränkischen Sängerbundes, eine in allen deutschen Sängerkreiscn als eifriger Förderer deutschen Männergesanges bekannte Persönlichkeit, im Alter von 81 Jahren. * lieber Herrn Andreas MoerS, der in voriger Woche an Stelle des erkrankten Herrn AntheS die Partie deS Hoffmann in „Hofsmann'S Erzählungen" an der känigl. Hosoper in Dresden sang, schreiben die „Dresdner Nachr.": „Herc MoerS, al- Gast der königl. Hofoper keine neue Erscheinung, führte die Rolle namentlich auch in den Ensembles sehr gut und sicher durch, so daß er das festgefügte Zusammenspiel, wie es in der Darstellung dieses Werkes ganz besonders anerkannt zu werden verdient, in keiner Weise beeinflußte. Auffällig in seiner Auffassung war nur der etwas behäbige, gut bürgerliche Zug seines Hoffmann und die weiche, laue Tongebung, die zu stark sentimental färbt. Für die im Uebrigen sehr gediegene, künstlerische Leistung wurde Herr Moers nach Verdienst ausgezeichnet. Der gut besuchten Vorstellung wohnten auch etwa 200 Theilnehmer an der ärztlichen Studienreise durch die sächsischen und nordböhmischen Bäder bei. Literatur und Theater. Altes Theater. Leipzig, 14. September. In Wiesbaden ist das bürger liche Drama „Der Heerohme" von Josek Laufs bereits am königl. Theater, dessen Dramaturg der Dichter ist, mit Erfolg gegeben worden. Bei der gestrigen Auf führung hier sanden nur einige Sccnen Beifall. Die Ge- sammtmirkung war eine fragliche; cs war übrigens so wenig Publicum anwesend, daß auch ein günstiger Majo ritätsbeschluß desselben kaum ausschlaggebend gewesen wäre. Josef Laufs hat sich durch lyrisch-epische Dichtungen von einem oft glänzenden Kolorit dem Lesepublicum empfohlen; seine Hohenzollcrn-Tramen sind wohl mehr als Festspiele zu betrachten, sic gehören der Wildenbruch- schcn Schule an. Auch das neue Drama erinnert an den BerlincrHohcnzollerndichtcr. Der Kampf gegen das kölibat ist der Hauptinhalt des neuen bürgerlichen Dramas; auf historischer Grundlage hat dasselbe Thema Witoenbruch in seinem Drama „Das neue Gebot" behandel:. Der Held desselben, Wünar, entsagt seinem Amte und flieht mit seinem Weibe. Der junge Seminarist Wilhelm in dem Lauff'schcn Stück will seine klerikale Laufbahn auf geben, um mit dem Mädchen zu fliehen, das ihn liebt und das sich ihm im Verlaufe der Handlung zu eigen giebt, ähnlich wie des Pfarrers Pflegetochter in Halbe's „Jugend" sich dem jungen Hans hingicbt. Das Drama Lauff's fpielt in der Zeit des nationalen Aufschwungs, im deutsch-französischen Kriege. Der Klerus thcilt den selben nicht, ebensowenig die „Deutsch"-Franzosen, die noch unter Napolcon's Fahne gedient haben, wie der alte Invalide, der den russischen Feldzug mitgcmacht hat; aber der junge Seminarist, welcher die Fesseln der geistlichen Zucht abgestreift hat, will hinanszichcn mit den deutschen Heeren. Da fällt er dem erzürnten, leidenschaft lichen Vater zum Opfer, welcher die verführte Tochter an ihm rächt. Die Handlung, so gelungen das dichterische Kolorit in der Darstellung der geschichtlichen Strö mungen sein mag, entbehrt doch des einheitlichen Zuges und der Schluß verstimmt. Das tragische Ende wächst nicht aus dem Hauptconflict heraus; die Verführung des Mäd chens ist ein leidenschaftlicher Scitenpas, der mit dem Kampfe gegen das Kölibat nichts zu thun hat, und daß ein Vater den Verführer seiner Tochter züchtigt, das steht gänzlich außerhalb der kirchlichen Conflictc. Hierzu kommt, daß der vierte Act, in welchem der Held gar nicht auf tritt und die Vorgänge in der Kirche nur er zählt werden, ein Hemmschuh ist für den Fort gang der Handlung und vor Allem die Stimmung nnter- bricht, indem in den breit ausgeführten Volkssccnen drollige Charaktere als Vertreter des Volkshumors eine belustigende Rolle spielen; auch das erinnert an Wilden- bruch'S Vorbild; doch wir kommen ohne die rechte Spannung im fünften Acte an und werden da durch eine gewaltsame Tragik überrascht, deren Grausamkeit uns überdies un- motivirt erscheint; denn der Vater, der einen jungen Mann, aus dcmWcge räumt, welcher per svbsegnens rnntnmonium einen jugendlichen Fehltritt verbessern und die Tochter wieder zu Ehren bringen könnte, erscheint uns doch nicht recht znrechnungSfähig. Der letzte tragische Seitensprung verdirbt nach unserer Ansicht dem Dichter das Concept, während die Liebeslyrik in den ersten Acten und die genre bildliche Charakterzcichnung viel Ansprechendes bieten. Die Aufführung ging güt zusammen, die Volkssccnen waren lebendig arrangirt; es stand keine müßige Statisterie auf der Bühne, der patriotische Aufschwung, der in keinem Lauff'schcn Drama fehlen darf, kam zu seinem vollen Recht. Der Held Wilhelm Verhage fand in Herrn Hahn einen Darsteller, der seinen inneren Kampf und seinen begeisterten Aufschwung nicht ohne Feuer wiedergab; namentlich gelang ihm die verhängnisvolle Liebesscene. Als durchlauchtigster Fuchs in Alt-Heidel- berg hatte Herr Hahn wenig Gelegenheit, uns zu zeigen, daß er über ein sehr wohllautendes Organ gebietet — das kam gestern mehrfach zu wirksamer Geltung. Frl. Richter als Hanneckc zeigte sich wiederum als eine ge wandte Darstellerin von gefühlvoller Innerlichkeit, welche auch den Aufschrei des Affectes beherrscht. Herr Stiehl suchte den alten Holzschuhmacher Mesdag allmählich zum tragischen Helden hcrauszuarbeiten. Herr Walter (Dechant van Bebber) war ein gestrenger und beredter Anwalt der Kirche; Herr Volkner als vr. Hahn gab den Konflikt zwischen warmem Freundschaftsgefühl und kirchlichen Ucberzeugungen und Pflichten gut wieder, ebenso Herr Nöbbcling (Jacob Verhage) die fran zösischen Gesinnungen des Napoleonischen Invaliden. Er götzlich waren der Barbier Pittjcwitt des Herrn Dämme und die Moses Meyer-Scene deS Herrn Suth. Herr Brunow (Terwclp) stattete seine minimale Rolle mit kleinen wirksamen Pointen aus. Frl. Schippang (Lena) war eine stille Dulderin; sie hat schon mehrfach solche wenig glänzende Aufgaben durchfühlen müssen. Rudolf von Gottschall. Leipziger Schauspielhaus. * Leipzig, 15. September. DaS satirische Lustspiel „Liselott" von Heinrich Stobitzer fand gestern leb- basten Beifall. Das Stück ist ein Charaktergemälde; ohne ein bestimmtes Ziel und ohne eine darauf hinstrebende Ent wicklung; eS ist ein dramatisches Bündel von Anekdoten, zusamniengehalten durch den Charakter der Heldin, die aller dings eine sehr wirksame Bühnensizur ist, und dabei brauchte der Dichter nicht einmal die geschichtliche Ueberlieferung zu verfälschen oder zu retouchiren. Diese Pfälzer Prinzessin, die den Bruder deS Sonnenkönigs, den Herzog von Orleans, geheiratbet batte und mit ihrer deutschen Derbheit in das Treiben der Versailler Höflinge hiueinfuhr, bat ja auch in ihren Briefen ihr Bild für die geschichtliche Forschung so deutlich abgezeichnet, daß der Dramatiker eS nur zu copiren brauchte. Wahrheitsliebend, freimüthig, unerbittlich in ihren Urtheilen, voll gesunden Hu mors und deutscher Tüchtigkeit hat sie die Sittenlosigkeit deS Hofe- von Versailles mit juvenalischer Satyre geschildert. In dem Lustspiel selbst sehen wir, wie sie unter dem Ge lächter der Hofstaaten in einer halbbarbarischen Neisetoilette ihren Einzug in die Residenz hält, wie sie bald die Hofberren und Hofdamen die Ueberlcgcnheit ihres Geistes empfinden läßt, wie sie Ordnung in ihr Hauswesen bringt und ein betrügerisches Dienstpersonal bändigt und zu seiner Pflicht zurückführt, wie sie durch ihr offenes Wesen selbst die Gunst deS Königs gewinnt, wie sie mir der Mai tresse ihres Galten, der böswilligen Marschallin v. Grancai, kurzen Proceß macht, und sich dann darin gefällt, den Gatten eifersüchtig zu machen, bis sie ihn dadurch bekehrt, daß sie ihm den deutschen Grafen Harling, auf den er eifersüchtig ist, in zärtlichem Verkehr mit ihrem Hoffräulein zeigt. Dadurch wird die Ehe wieder nothdürftig zusammengeleimt. Ein Abschluß ist es aber nicht; man hat immer das Gefühl, daß die Herzogin sich zu dieser diplomatischen Ehe mit einem nichtssagenden und ausschweifenden Prinzen nicht hätte her geben sollen, und daß darin nichts zu ändern und zu bessern ist. Auch werden wir mit einem Eindruck entlassen, den man nur als unhistorisch bezeichnen kann, mit dem Eindruck, daß die Herzogin über die Maintenon, die sie allerdings in ihren brieflichen Aufzeichnungen mit dem bittersten Hasse verfolgt, einen entscheidenden Sieg davon getragen habe, während die neue HerzenSdame deS Königs und später seine Gattin doch noch länger als ein Jahrzehnt die unumschränkte Gebieterin Frankreichs war. Der dritte Act, die Volksscene in der Schenke, welche die Liselott und ibr Gemahl besuchen, indem sie ihn dadurch von der Volksstimmung unterrichten will, ist eine breit sich einschiebende Episode und wohl ziem lich überflüssig. Daß sie bei ihrem Gatten damit nichts er reichen würde, konnte sie sich Wohl sagen. Schließlich wird er zur Thüre binauSgeworfen und das ist wenigstens ein kleiner Tbeatereffect. UebrigenS erscheint Liselott in dem Stobitzer'schen Lustspiel nicht zum ersten Male auf der deutschen Bühne. Im Jabre 1860 ist ein Drama „Elisabeth Charlotte" in Wien und München zur Aufführung gekommen und der Verfasser desselben war kein geringerer als Paul Heyse. Es war ein Jntriguensiück im Stil der Degen- und und Mantelcomödie; der Cbarakler der deutschen Prinzessin trat nicht in seiner ganzen Naturwüchsigkeit hervor und wegen seiner kühlen Haltung fand daö Schauspiel keine Dauer. Die gestrige Aufführung verdankte den guten Erfolg auch einer sorgfältig vorbereiteten Darstellung und dem trefflichen Spiel, das den Vertretern der Hauptrollen nachzurühmen ist. Dor allem war Frl. Frey als Lifelott von einer Natürlich keit und Ungezwungenheit deS Spiels, daß sie alle Sympathien für sich gewann. Sieghaft den Hofdamen gegenüber und gegenüber dem König von maßvollem und taktvollem Frei- mulh, energisch, wo sie ihren Haushalt in Ordnung bringt und ihre Nebenbuhlerin aus dem Wege räumt, ein wenig kokelt im nachzeahmten Styl der Pariserinnen, wo sie die Eifersucht ihres Gatten zu ertragen sucht, deckte sie die Rolle nach allen Seilen hin. Der Beifall, den sie fand, war wohl verdient. Herr Mehnert spielte den Herzog von Orleans als einen nicht gerade unliebenswürdigen Schwächling, der gelegentlich sich auch zu cholerisckien Ausbrüchen aufrasfle — vieleNuancen waren mit feinem Humor auSgeiührl. Herr Bornstedt als König Ludwig XIV. repräsenlirle den stolzen, gelegentlich leutseligen Herrscher in glaubwürdiger Weise. Tie Marschallin von Grancai deö Frl. Anders balle einen leidenschaftlichen Zug, der in der Liebeescene mit dem Herzog und in cer letzten Scene mit der Herzogin wirksam bervorlrat. Die immer lachende Marquise von Monlespan res Frl. Fernoff räumte der Maintenon mit einer sehr bezeichnenden Geberde das Feld. Die Maintenon selbst erscheint nur als eine schein heilige Interpretin. Der Dichter bat sic etwas verzeichnet; von ihren großen Eigenickaften findet sich keine Spur. Sie läß> sich nur als ein weiblicher Tartuffe spielen und so spielte sie auch Frl. Winkler. Ein episodisches, aber sympathisches Liebespaar waren Graf Harling (Herr Brückner) und Lenor von Rathsambausen (Frl. Siegert). Die Hoscavalicre bildeten lebhafte Gruppen, die Dienerschaft des Herzogs protestirle energisch gegen die neue Disciplin der Herzogin; in der Wirtdshausscene gab Herr Wrrlh als MaraiS eine sehr er götzliche Charge, auch Herr Forsch als Temple war ein Strolch commc il kaut. Die kleineren Nollen in diesen Scenen wie in den Hojscenen verursachten nirgends eine Störung, was der Regie des Herrn Eggelina zum Lobe gereicht. Die Ausstattung in Dccorationen und Coilümcn war schmuck und geschmackvoll. Rudolf von Gottschall. Königreich Sachsen. * Leipzig, 15. September. Se. Excellenz der comman- dirende General des XIX. (2. königlich sächsilchcn) Armee corps von Treitschke und Se. Excellenz Generalleutnant von Rabenhorst treffen kommenden Mittwoch, den 17. September, Nachmittags auS dem Manövergelände wieder bier ein. Ferner langen am Nachmittag und Abend desselben Tages mittelst Sonberzügen da- 106., 107. und 134. In fanterie-Regiment hier an. Donnerstag, den 18. September, treffen daS 18. Ulanen-Regiment und 77. Artillerie-Regiment hier ein. * Leipzig, 15. September. Von feiner Urlaubsreise zurückgekehrt, wird Herr LandgerichtSpräsident vr.zur. Hagen von morgen an die Leitung der Geschäfte deim Königlichen Landgericht wieder übernehmen. * Leipzig, 15. September. Den Stadtverordneten ist der Entwurf eines Nachtrage- zu den ort-statutarischen Bau vorschriften vom 13. Juli 1889, betreffend daS Areal im Süden der Stadt, zugezrngen. Darnach soll auf den Bau flächen läng- der Kaiser Wilhelm-Straße und zwar auf der Strecke von der Hardenbergstraße bis zur Kaiserin Augusta-Straße die Bauflucht auf beiden Seiten um 5,6 m gegen die Straßenflucht zurücktreten. In den zwischen Straßen- und Bauflucht entstehenden Räumen sind Vor gärten anzulegen und als solche zu unterhalten. Die gleiche Vorschrift gilt bereit-, wie bemerkt sei, für den bebauten Theil der Kaiser Wilhelm-Straße, die somit in ihrer ganzen Ausdehnung von der Mahlmannstraße bi- zur Hardenberg straße rin einheitliches Bild erhalten wird. -r. Leipzig, 15. September. Der gestern anläßlich der Michaelismesse Vormittag» 8 Uhr 35 Minuten auf hiesigem Bayerischen Bahnhof« von Chemnitz und Limbach eingetroffene ISonderzugzu ermäßigten Preisen war sehr gut besetzt. Er traf in zwei Tbeilen hier ein und führte nahezu 1000 Personen unserer Stadt zu. * Leipzig, 15. September. Im Alten Theater wurde 1 gestern Nachmittag als Sondervorstellung für den Leipziger Arbeiterverein Otto Ludwig'» Trauerspiel „Der Erb- förster" gegeben. DaS Stück ist erst kürzlich in diesem Blatte besprochen worden, so daß wir auf Einzelheiten an dieser Stelle nicht cinzugehen brauchen. DaS Zusammenspiel war ein reckt flottes unv namentlich wurde die Titelrolle in glaubhafter Weife wiedergegeben. Die Mitglieder deS Arbeiter- Vereins, welche LaS Theater auf allen Plätzen füllten, folgten dem Gange der spannenden Handlung mit sichtlichem Interesse und zeichneten die Darsteller bei den Actschlüssen mit leb haftem Beifall aus. * Leipzig, 15. September. Die Hauptversammlung deS etwa 420 Mitglieder zählenden Vereins Sächsischer Realschullebrcr findet vom 26.-28. September in Aue statt. Nach einer Geschäftsversammlung und AbtheilungS- sitzungen für Religion, Sprachen, Mathematik und beschreibende Naturwissenschaften wird in der im Stadthaus« stattfindenden öffentlichen Festversammlung Herr Oberlehrer I)r. MarcuS- Auerbach die Frage beantworten: Wie lebt daS classische Alter- thum in der modernen Cultur fort und welche Folgerungen ergeben sich daraus für den Rcalschulunterricht? * Leipzig, 15. September. Bei der gestern vorgenommenen Ziehung der Sächsischen Fechtschul-Lotterie fielen die ersten 6 Hauptgewinne auf folgende Nummern: Nr. 1927 I. Gewinn: eine Garnitur, bestehend aus Sopha, Tisch und 2 Stühlen, Nr. 3518 II. Gewinn: zwei französische Bett stellen, Nr. 1904 III. Gewinn: ein Verticow, Nr. 1112 IV. Gewinn: eine Nähmaschine, Nr. 250 V. Gewinn: eine goldene Hcrrenuhr, Nr. 5091 VI. Gewinn: eine goldene Damenuhr. — Ehemalige Schülerinnen der RatbSfreischule werden sich noch in Dankbarkeit ihres Oberclassen-LehrerS, deS Herrn Ebermann, erinnern, welcher namentlich durch vortreffliche Rathschläge und Ermahnungen einen großen Einfluß auf daS Gemüthsleben seiner Schülerinnen ausübte. Dessen Wittwe, Enkelin deS verdienstvollen Prof. Plato, feiert heute in aller Stille ihren 7 0. Geburtstag und zwar noch in demselben freundlichen 4. Stock deS HauseS Salzgäßchen Nr. 1, vis-L-vis vom RathhauS, wo sie einst in Gemeinschaft mit ihrem Gatten und mit ihrem früh verstorbenen hoffnungsvollen Sohne glückliche, aber auch tiestraurige Tage verlebt hat. Möge der bescheidenen, selbstlosen Wittwe noch ein glücklicher, freudvoller Lebensabend beschieden sein! — Freiübungen für Herren in gereiftcren Jahren bietet der L e i p z i g e r T u r n v e r e i n in seiner großen Turnhalle am Frankfurter Thor in verschiedenen Ab- theilungen. Für ältere Männer, die in Folge geringer turnerischer Hebung Bedenken tragen, in die Reihen der geübteren Abcnd-Geräthturner einzutreten und die wohl auch die Berührung mit jüngeren Turnern vermeiden wollen, für alle diese sind Sonüerclassen geschaffen, und zivar eine Mittagsclasse Dienstags und Freitags 12 bis 1 Uhr Mittags, sowie eine Abend-Extraclasse Mittwochs und Sonnabends 1/28 bis V29 Uhr Abends. Es werden hier unter fachmännischer Leitung nur Hebungen geturnt, die dem reiferen Alter besonders angepasst sind. —ab. Eine der eitrigsten Riegen deS „Allgemeinen Turn verein» in Lindenau", die unter der bewahrten Leitung de» Herrn Vorturners Bernh. Kölzner stehende „Riege Freiheit" hatte am Sonnabend aus Anlaß ihres zwanzigjährigen Be stehens in den „Drei Linden" in Lindenau eine zahlreich besuchte Stiftungsfeier veranstaltet, die unter Mitwirkung des seit einer Reihe von Jahren bestrhendrn eigenen Gesangs-Quartetts und LeS beliebten GesangShumoristen Herrn Fr. Lindner aufs Best« verlies. Nach einigen einleitenden gefälligen Musikviecen brachte das „GesangS-Quartett" das stimmungsvolle Schleidl'jche „Be- grüßungSlied" sormgerecht zu Gehör. Im Anschluß hieran hielt Herr Fritz Kröpsch die Festansprache, in der er einen kurzen Rückblick über die Entwickelung der Riege gab, deren Mitglieder sich schon auf verschiedenen Turnfesten wohlverdiente Preise errungen haben. Das Gesangs-Quartett sang im Lause deS Abends unter Andcrm Fansi's „Die goldne schöne Jugendzeit" und „Nur nicht ängstlich" von Kuntze. Herr Lindner bot eine Anzahl humoristischer Eouvlcts. DaS humoristische Terzett „Bruder Lustig auf Reisen" leitete zu den Ballfreuden über. Leipzig, 15. September. (Arbeiterbewegung.) Das Leipziger Gewerkschaftscartell hatte zu gestern Vor mittag eine Volksversammlung nach dem „Pan theon" einbcrufcn, um gegen das Verhalten der Kulmbacher Braucreibesitzer gegenüber ihren Arbeitern Stellung zu nehmen. Es hatten sich etwa 300 Personen hierzu eingcfundcn. Der Brauer Herr Stöcklein wies in seinem Referat darauf hin, daß die Kulmbacher Braucreibesitzer die Organisirung ihrer Arbeiter mit allen Mitteln zu verhindern suchten, damit dieselben nicht in die Lage kämen, ihre äußerst mißlichen Lohn- und Arbeits verhältnisse aufzubessern. Nach längerer Debatte hierzu, wobei bemerkt wurde, daß dem Genossenschaftswesen mehr Aufmerksamkeit in den Arbcitcrkrcisen geschenkt werden möchte, da durch Errichtung von Genossenschafts brauereien die gerügten Mängel beseitigt werden könnten, stimmten die Anwesenden folgender Resolution zu: „Die Versammelten nehmen Kenntniß von dem Vorgehen der Braucreibesitzer in Kulmbach gegen ihre Arbeiter, und sic ziehen daraus die Folgerung, das Kulmbacher Bier die Brauereibesitzer selbst trinken zu lassen." Es kam mit zur Sprache, daß in zwei hiesigen Brauereien ein ähnliches Verfahren beobachtet werde. Eine hierzu eingegangeve Resolution, in der gesagt wird, die Arbeiter würden diesen beiden Brauereien besondere Aufmerksamkeit zuwenden, wurde dem Gewerkschaftscartell, ohne daß über sic ab gestimmt worden war, zur Beachtung überwiesen. — In einer Drechslerei in Leipzig-Gohlis haben heute Vormittag von 14 dort beschäftigten Gehilfen 9 wegen Differenzen über die Arbeitszeit die Arbeit ein gestellt. tj: Leipzig, 15. September. Vermißt wird seit dem 8. September der Arbeiter Curt Fritz Seifartb, geb. am 4. Februar 1884 in Leipzig, auS seiner in L.-Reudnitz, Kuchengartenstraße Nr. 1 gelegenen Wohnung. Derselbe ist von übermiltlerer schlanker Gestalt, hat rütbliches Haar und geht auf dem linken Beine lahm. Bekleidet war er bei seinem Weggange u. A. mit schwarzem Jacket, brauner Hole, schwarzer Unterjacke und schwarzem welchen Filzbut. Seifartb ist geistesschwach und cs wird vermuthet, daß ihm ein Unfall zu gestoßen ist. 2 Leipzig, 15. September. In der Reitzenhainer Straße versuchte sich gestern Abend ein 63 jähriger Laternenwärter mit einem Rasir messer die PulSadernaufzuschneiden, brachte sich aber nur eine unerhebliche Verletzung am Arme bei. DaS Motiv der That ist unbekannt. -ff- Von Krämpfen befallen wurde beute Morgen in der 7. Stunde in der Reichsstraße ein 17 Jahre alter HauS- bursche auS Dux in Böhmen. Durch Vermittelung der ersten Sanität-wache erfolgte dessen Ueberführung in» Krankenhaus. —* Zur Verantwortung gezogen wurden ein 16 Jahre alter Schreiber und ein gleichalteriger Schlosserlehr ling. Dieselben hatten Einpfennigstücke mittel- einer Flüssigkeit vernickelt und dann in einem Restaurant al- Fünspfennigstücke in Zahlung gegeben. — Eine An zahl Flaschen Roth- und Weißwerne sind auS einer Kcllerabtheilung in der Pfaffendorser Straße gestohlen worden und auS einem Restaurant in den Garteuabtheilungen an der verlängerten Gartenstraße zu Anger-Crottendorf eine größere Partie Cigarren, Wurstwaare» und zwei
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