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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020916029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902091602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902091602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-16
- Monat1902-09
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Dena sie soll in »er Hauptsache darin bestehen, Unebenheiten in den Beschlüssen der erste« Lesung zu beseitigen ua» eia« Verständigung darüber »orzubetiitt», welch« Fragen au» der Di«cussion der zweiten Lesung »»«geschieden werden können und welche nicht. Darüber, welche Abgeordneten in die Untrrcomnttssion delegirt werden, läßt sich augenblicklich etwa« Bestimmte« noch nicht durchweg sagen. Di« Zu sammensetzung der Untercommission hängt zum Theile noch von Verhandlungen innerhalb der Fractioaeu ab, welche erst unmittelbar vor dem Zusammentritte der Untercommission zum Abschluß kommen dürften. Die Berathungrn der Zolltarif commission selbst beginnen am 22. dS. MtS. Bi» zu diesem Termine wird auch der Staatssekretär de» ReichSamtS de« Innern au« seinem Urlaub zurückerwartet. Wenn wir auch die Aufgabe der Untercommission al« eine vorwiegend for mal« bezeichneten, so wird sim doch schon au« dem Tone, in dem diese Verhandlungen gesübrt werde«, mit einiger Zuver lässigkeit ein Schluß ziehen lasten auf di« zollpolitische Musik, welche weiterhin gespielt werden wird. Uebngen« liegen einige Thatsachen vor, die schon jetzt einen Schluß auf diese Musik gestalten. So ist der „Vorwärts* in der Lage, eine recht interessante Einladung de« EentrumSvereinS im Wahlkreis« München-Gladbach zu einer Versammlung über die Zoll vorlage zu veröffentlichen. Man muß gestehen, daß der Unter schied zwischen dieser Einladung eine« CentrumSvereiuS und der Einladung irgend eine« socialisiischen WahlvereinS zu einer ähnlichen Versammlung verschwindend gering ist. Dean wenn gesagt wird: „Wie da» Volk sich «tüährt, ist den Großgrund besitzern gleichgiltia:* oder an aadeter Stelle: „Da die Groß grundbesitzer am Ramschen sind u. f. tv."; „sollen wir ruhig zusehen und un- diesen Raubzug auf die Taschen de» Volke« gefallen lasten?", so wird Zeder zugeben, daß der „Vorwärts" oder die „Sächs. Arbeittrztg." da« kaum „besser" machen konnten. Der „Vorwärts" thrilt mit, daß die ofstcielle CentrumSleitung dieses Wahlkreises die Versamm lung zu hintertreiben suche. Ob dieser Versuch glückt oder nicht, ist aber herzlich gleichgiltig, denn die Hauptsache ist doch, daß in einem CentrumSvereine eine Stimmung vor handen ist, die eine solche Einladung überhaupt möglich macht. Der Wahlkreis M.-Gladbach gehört zu den sichersten Burgen des CentrumS, da er zu 80 Proc. katho lisch ist. Um so charätletistischer ist eS, daß in einem solchen Kreise eine derartig heftige Opposition gegen die Haltung der'CeNtrumSstaction de« Reichstage« sich geltend machen kann. Auch in anderen tbeinischen Wahlkreisen, bei spielsweise in Düsseldorf, haben die bisher auf da- Ceutrum einaeschworeneu Arbeiter zu erkennen gegeben, daß sie die Politik der CentrumSfraction in der Zollfrage nicht gut heißen. Angesicht« dieser Thatsächen ist r« jedenfalls sehr unwahrscheinlich, daß da« CentruM sich gleich «wem Thtile der Eonservativen für die Fordertrage» de« Landes dtr Land- wirthe gewinnen lasten werde; vielmehr ist aazuaehmen, daß e« zwischen de» klerikalen Mitgliedern der Commission einerseits und den büadlerischen und den konservativen andererseits zu scharfen Zusammenstößen kommt. Dem Zusammruschlutz der deutschc» evangelischen Landeskirche« entstehen Hemmnisse au« sächsischen kon servativ-orthodoxen Kreisen herau». So heißt eS in rinem „Auf die Wälle!* überschriebenen Artikel de- „Vaterlaod* u. A.: „Am bedenklichsten Macht un» daS Commissionsprösidium (ge meint ist da» Präsidium des bekanntlich von der Eisenacher Kon ferenz gewählte« Ausschüsse» zur Borberathung der Angelegenheit). ES hat uns immer alS erfreuliche Bekundung der Unabhängigkeit der Eisenacher Eonferenz gegolten, daß sie nie ein preußische« Mitglied zum Vorsitzenden berief. Wir sahen darin ein Zetigaiß, daß die Loufereuz mit politischen Factoren un- verworren bleiben, daß sie eine UntonSrichtung nicht ver folgen, die Eonfessioden nicht gefährden wolle. Laß sie daS durch die Größe deS KirchengebietrS dem preußischen Kicchenregimeute uud seinen Vertretern an sich schon eigene Uebergewicht nicht noch ztl steigern beabsichtige. Wenn aber jetzt der Präsident der preußische« obersten Airchenbehörde zum Vorsitzenden der Eommtssion, welch« der Eonferenz Vorschläge über den Zu- faatmeufchluß der deutschen evangelischen Landeskirchen machen soll, bestellt wurde, ist da nicht die Besorgniß begründet, daß di« politischen Grsicht-puncte der mit ihm Hau- an HauS wohnenden Eeutralgewalt de» Reiche- sich auch bei den Einigung-Versuchen der Landeskirchen geltend machen und daß der der Union ihrer Natur »och iaarwohoend«, also dem preußischen OberkirchenrathS- präsidium von AmtSwegrn obliegende propagandistische Sinn in der gestellten Ausgabe «in willkommene» Feld zur Bethätigung findet?" Diese Besorgniß der lutherischen Orthodoxie Sachsen«, so »eit diese im „Vaterland" zum Worte kommt, vor einem Uebergrrisen der nach ihrer Ansicht in ConfessionSsachen allzu laxen preußische« Union uud deren Spitze im preußischen Oberkircheurathe auf uichtprrußischeS Gebiet entbehrt jeglichen thatsächlichen Anhalt». AlS fundamentale Voraussetzung für de» Zusammenschluß der evangelischen Landeskirchen ist von vornherein und fortgesetzt auf da« Allernachdrücklichste betont worden, daß dabei lediglich staatsrechtliche Gesicht«, puacte in Betracht zu kommen haben, daß Lehre, Cultu« und Berwaltteng der Einzelkirchen aber unter keinen Umständen angetastet werden sollen. Ein Versuch von dieser, auch die gefürchtete „Reichskirche" gründ- sätzlich auSschlirßenden Directive abzuweichen, ist denn auch bisher noch nirgends gemacht worden. Aber da» „Vaterland" sieht ja jetzt überall Gespenster! Sein auch politisch an gehauchter konfessioneller ParticulariSmuS, noch krankhaft er regt durch die Vision von den „krachenden Thronen", malt sich in seiner heiligen Angst vor dem Krachen der Altäre da« greuliche Bild einer Ueberfluthung der Landeskirche» mit dem alles nivellirenden Heidenthum de« preußische« Oberkirchenraths au«, der, wenn er auch selbst »och nicht ZU den Götzen des Materialismus betet, doch zum Kummer de« sächsischen „Vaterland" seinen „schützenden WSSSWWl Schild" über die Vertreter der „radikalen Theologie" und die „Freiheit der Wissenschaft", obenan einen Harnack, hält, ^vutbewu i>it! Unsere Klerikale« gefallen sich in Quertreibereien, die unserer auswärtigen Politik durchaus nicht dienlich sein können. Ihre Abneigung gegen Italien ist ja alt bekannt, und deswegen braucht man sich um die Unkenrufe, die alle Augenblicke über die angebliche Verschlechterung unseres Verhältnisses zu diesem Lande erschallen, nicht weiter zu kümmern. Neuerdings aber gefällt sich die kleri kale Presse auch darin, bei unserem Verhältnisse 5« Ruß land aus dem dünnsten Zwirnsfaden einen dicken Strick zu machen, an dem die Freundschaft zu diesem Lande auf gehängt wird. Das Motiv zu dieser Schwarzfärberei lieget nicht ganz so nahe, wie in dem Falle mit dem wegen der Zerstörung der weltlichen Macht des Papsuhums best gehaßten Königreiche Italien. In dem russischen Falle ist der Geüankengang etwas indirecter, nämlich: wir sind der Freundschaft Rußlands durchaus nicht sicher — wir müssen besorgen, daß im Falle eines Conslictcs mit Rußland unsere Polen in Hellen Schaarcn zu dem stammver wandten östlichen Nachbar übergehen — also müssen wir nnsere Polen so nett wie möglich behandeln. Um der heiß geliebten Polen willen also sieht die ,Köln. Vvlksztg." den Hinnpel voller Wolken. Der Umstand, daß die Nachricht von der angeblich kühlen Erwiderung des Flaggen- gruß es des deutschen Kaisers beim Abschiede in Reval noch nicht -ementirt ist, daß also diese kühle Erwiderung möglicher Weise wahr ist, verursacht -em Blatte Beklem mungen. Dazu kommt noch eine zweite furchtbare Affäre: die ,.Birshewija Wjed 0 m 0 sti" sind nicht recht zu frieden'damit, daß der deutsche Kaiser in Anwesenheit der russischen Officiere in Posen gerade am 2. September von deutsch-russischer Waffenbrüderschaft gesprochen hat. Es ist traurig, wenn ein angesehenes Blatt aus derartigen „Kinkerlitzchen" auf das Berhältniß zwischen zwei großen Staaten schließen will. Gesetzt, die Flaggengeschichte wäre wahr, was wiirde denn damit bewiesen? Wir haben seiner Zeit nicht verhehlt und verhehlen es auch heute nicht, daß wir der Meinung sind, -er Kaiser sei, wenn er wirklich -en berichteten Flaggengruß gewählt („der Admiral des Atlantischen Oceans grüßt den Admiral des Stillen Occans"), einem Impulse gefolgt, dem er nach einer Be sprechung mit -em verantwortlichen Reichskanzler nicht ge folgt sein würde. Denn weder Deutschland, noch Rußland sind so große Seemächte, daß sie über die beiden wichtigsten Oecane verfügen könnten, un- deshalb kann eine solche Redewendung bei Nationen, die einstweilen auf dem Atlan tischen und dem Stillen Oceane noch eine beherrschendere Rolle spielen, als Deutschland und Rußland, leicht Kopf- schütteln und Mißstimmung Hervorrufen. Wenn also Kaiser Nicolaus aus diesen Gruß nicht in gleicher Tonart ein gehen mochte, so handelte er, wie wir ehrlicher Weise zu gestehen müssen, politisch correct. Damit ist doch aber nicht im Mindesten gesagt, daß er ein herzliches und freund schaftliches Berhältniß zu Deutschland ablehne. Wenn Präsident Lvubct ihm einen solchen Flaggengruß gespendet hätte, so würde er trotz des Bündnisses mit Frankreich wohl ebenso um die Beantwortung hermngegangen sein. Damit aber hätte er nicht das Bündniß abgeschwächt, sondern nur seiner berechtigten Meinung Ausdruck ver liehen, daß auch Rußlaud und Frankreich nicht in der Lage seien, die Occane zwischen sich zu vertheilcn. Noch weniger gefährlich liegt die Sache bei der Auslassung der „Bir- shewija Wjedvmosti". Zunächst ist dieses Blatt doch nur ein einzelnes Zcitungsorgan, und wenn auch hinter ihm -er russische Finanzministcr steckt, so wird doch einer Aus lassung dieses Blattes nie die Bedeutung beizulegen sein, die einer Kundgebung des Zaren zukäme. Zum Zweiten aber hat gerade dieses Blatt als Organ des Herrn Witte naturgemäß Veranlassung, gegen Deutschland so lauge flau zu machen uud die rauhe Seite des Felles hervorzukehrcu, bis ein für Rußland aeecptablcr Handelsvertrag zu Staude gekommen ist. Zum Dritten aber kann man es einem russischen Blatte nicht verübeln, wenn es aus die Empfind lichkeit des französischen Bundesgenossen Rücksicht nimmt — und dem Organe des Herrn Witte, der mit solcher Ge schicklichkeit die Milliarden der französischen Rentiers locker gemacht hat, liegt schon im Hinblick auf künftige An leihen diese Rücksicht besonders nahe — und deshalb Aus drücke, die den Franzosen verdrießlich sein und ihr Ver trauen zu dem russischen Bündnisse erschüttern könnten, ab- znschwächcn sucht. Wir meinen also, daß die beiden Vor gänge nicht den leisesten Beweis für eine Abschwächung des deutsch-russischen Freundschaftsverhältnisses darstellen. Dieses Berhältniß ist für Rußland zum Mindesten ebenso eine Lcbensnothmendigkeit, wie für uns, und wer solche Vorkommnisse als Minengänge zur Zerstörung des Baues der Freundschaft verwenden will, ähnelt dem Manne, der mit einem Streichholze einen Eisberg anzu- zünden versucht. Die japanische Regierung mag, und mehr als man ge meinhin glaubt, ihre zielbewußte, wenn auch kluger Weise nicht offen ausgesprochene Politik haben. Die Masse deS impulsiven japanischen Volkes hat eine solche offenbar nicht. Geibel könnte auch hier klagen: „O Fluch, dem diese Zeit verfallen, daß sie kein großer Puls durchbebt, kein Sehnen, daS getheilt von Allen.. .* Schien e- eine Zeit lang, atS wollte da- Volk in der Engländersreundschaft aufgeheu, so lassen sich, besonders seit die Londoner In diskretion über die Genesis der japanisch-englischen Allianz Wasser in den Freudenwein gegossen, allgemach immer mehr Stimmen vernehmen: timoo Oaosos vt llona 1eronte8; und fast täglich stößt man in der Presse auf Aeußerungen, die freundschaftlichem Zusammengehen mit Rußland daS Wort reden. Die russisch-japanische Ver einigung, die sich vor etlichen Monaten in Tokio gebildet hat und schon darum Beachtung verdient, weil ihr Männer wie Ito, Inruye, Okoma, Kaneko, Tsuruki u. a. angeboren, erklärte allerdings in diesen Tagen, daß sie keinerlei politische Motive habe und nichlS Anderes anstrebe, als 1) die Völker beider Länder miteinander bekannt zu machen, 2) das Studium der japanischen und russischen Sprache zu fördern, 3) die beiderseitigen Handels- und Industrieverhältuiffe zu erforschen und 4) den wechselseitigen Handelsverkehr so viel wie möglich zu fördern. Durch all' diese Bestrebungen aber soll doch natürlich die politische Annäherung bewirkt werden. Schüchterner wagen sich die Andern hervor, die ein Zu sammengehen mit China als daS für Japan Natürliche ansehen. Sie sehen eS mit schwer verhaltenem Aerger, daß eS China auch seinen Freunden schwer macht, ihm zu helfen. immer vorbei. Unbedeutend ist im gesellschaftlichen Leben auch eine Kleirtigkett nicht. Un- diese Einladung des Herrn Regierungspräsidenten von Eckardt ist keine Kleinigkeit. Sie ist geradezu eine Beleidigung! Ich Weitz, Dein Gefühl ist für solche Fragen noch zu unerzogen. Aber versuche einmal, die Sache mit meinen Augen und vom Standpurtct der unerläßlichen Sekbstachtung aus anzusehen. Dann wird Dir vielleicht klar werden, welch ein Schimpf-ckrtn liegt, zu einer festlichen Veranstaltung allerersten Ranges mich selbst einzuladen und meine Krau nicht! Damit sagt mir der Herr nichts andres, als „Du hast eine Frau geheirathet, mit der vornehme Leute nicht verkehren können. Wir wollen Dtr Deine Dummheit verzeihen und Dich nicht ganz auSftoßen; aber Du mutzt ohne diese Frau zu uns kommen!" AlS ob das überhaupt anginge! Als ob ich damit nicht das mitleids lose Borurtheil noch selbst unterschriebe und endgiltig bestätigte! Wenn ich dieser Einladung folgte, gestände ich eS ja rückhaltlos ein: Jawohl, ich habe eine Frau, die ich vor anständigen Leuten verstecken muß! Und waS hülfe eS mir, wenn ich Dich preisgeben und mich als schlechter Eavaliet mit der halben und schiefen Stellung begnügen wollte, die man mir jetzt «bietet? Ich hätte mich durch Liese Gelvstbemüthtgung überhaupt jeden Anspruches für immer begeben. Wer eine Frau hat, die nicht als gesell schaftsfähig gilt, ist auch selbst gesellschaftlich unmöglich!" Käthe war tobtenblaß geworden. Er legte tröstend seine Hand auf die ihrige und sagte in etwas güunerhaf- tem, aber ungewohnt freundlichem Tone: „Ra, beruhige Dich nur. So weit «erde ich eS nicht kömnien lassen. Du brauchst nicht zu fürchten, -atz Du bei allen Bällen dieses Winters freudlos zu Hause sitzen nNtßt. Du sollst tanzen nach Herzenslust und ebenso viel uitd bessere Triumphe feiern, als früher auf der Bühne. Ich will nicht über die Achsel angesehen werden um Deinetwillen. Ich will stolz ans Dich sein und mich Deiner nicht schämen müssen. Ich habe Dich aus einer Schauspielert« zu meiner Gattin gemacht. Ich werde Dich auch zu einer Dame der Gesellschaft erheben. Ist eS mir gelungen, den Eigensinn meines grilligen, starr- köpsigen Bruder» zu brechen, so wird eS mir auch ge- lrngen, den mächtigen, aber unentschlossenen Widerstand der Gesellschaft zu überwinden. Sie wechselt ihre Meinung rasch. So streng und unbarmherzig sie an ihren Borurtheilen hängt, so leicht solgt sie einem mäch tigen Beispiel und ist in der Gefolgschaft eine» Führer» gedankenlos z« jedem Zugestäiidntß bereit." Ernst hatte schönrednerisch und mit dem Pathos eines gerichtlichen vertheibtgerS gesprochen, daß Käthen wohl etwas Bewunderung, aber keine Ueberzeugung etnflößte. iss Der Liebeshünde!. Roman von Rudolf Hirschberg-Jura. Vt-llddrua »rrvote«. Zehntes Tapste l. Ernst war nicht der Mann, -en Aerger über einen Mißerfolg in -er Stille der Häuslichkeit zu überwinden. Seine Frau war ja die Ursache seiner Schande. Ihre Gesellschaft, ihr Anblick hätten die frische Wunde seiner Eitelkeit nur noch mehr gereizt. Ihr Vorwürfe deshalb zu machen, wäre ihm natürlich unanständig erschienen. Schon den Faustschlag auf deN Tisch bereute er als unfein. Aber in seiner enttäuschten, mitzmuthigen Stimmung, bei ihr zu Hause zu bleiben, war ihm unmöglich. „Ich gehe aus, Käthe", sagte er müde. „Ich will ir gendwo ein vernünftiges Glas Bier trinken. Du brauchst mit -em Abendessen nicht auf mich zu warten. Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Ich mutz mal anoere Ge sichter um mich sehen." Käthe batte schweigend zum Abschied genickt. Sie hatte nur die letzten Worte mit vollem Bewußtsein auf gefaßt und einen bitteren Vorwurf darin gehört, alS wenn ihr zehn deutliche Anklagen entgegen gehalten wor den wären. Ihr Mann sehnte sich nach anderen Gesich tern, als nach dem seiner lästigen, unbequemen Frau! DaS war ihm nicht zu verdenken, und sie blieb allein mit ihren selbstquälerischen Gedanken. Nicht der Schmerz verschmähter Liebe legte sich aus ihr verschüchtertes Ge- müth, aber das niederdrückende Gefühl etneS unklaren SchuldbewußtseinS. AlS er spät heimkehrte, stellte sie sich schlafen-, UM nicht etwa über die demüthigende Wahrheit mit ihm sprechen zn müssen. Laß sie selbst das störende Hindern« war, welche» ihn von seinem gebührenden gesellschaftlichen Ehrenplatz auSschlotz. Am Morgen besann sie sich auf ihre Pflicht, ihn zu trösten und ihm über seine mürrische Stitmnung hinweg« znhelsen. Unter gequälten Scherzen ntar sie bemüht, die Angelegenheit al» möglichst unbedeutend binzuftellen. „Wenn wir auch an diesem Herbstsest nicht theil nehmen", sagte sie, „so «erden wir doch im Winter noch ost Gelegenheit haben, andere Gesellschaften zusammen zu „Rein, das «erden wir nicht", sagte er sehr ruhig. „Wenn wir uns nicht gleich anfangs zur Wehr setzen und burchzudrücken verstehe«, ist «S mit alle« Aussichten für „Und wer soll dieses mächtige Beispiel geben?" fragte sie zaghaft. „Wer anders als -er Regierungspräsident? Er mutz auch Dich einladen. Er mutz diesen Schimpf zurück nehmen!" „Du willst ihn doch nicht etwa zur Rechenschaft ziehen?" „Erschrick nur nicht gleich!" entgegnete er selbstgefällig. „Ich würde natürlich gegebenen Falles vor keinem Schritte zurückschrecken, den ich zur Wahrung Deiner und somit auch meiner Ehre für meine Pflicht hielte. Aber wer in der Gesellschaft etwas gelten will, mutz ein kluger Politiker sein, und jeder Diplomat läßt erst seine feineren Künste spielen, ehe er die blanke Klinge sprechen läßt. Ich denke, wir erleichtern dun Regierungspräsidenten den Widerruf seiner Ungeschicklichkeit sehr, wen» wir Deine Uebergehung nur als ein Versehen auffasscn, das er wieder gut machen kann, ohne wankelmüthig zu scheinen und sich etwas zu vergeben. Thatsächlich liegt natürlich Larin eine ganz bedeutende Sinnesänderung für ihn, und ihn zu dieser zu bewegen, ist unsere schwierige Aufgabe. Aber wozu haben wir denn unsere liebens würdigen und einflußreichen Freunde? Ich denke vor Allem an unsere mächtige Bundesgenossin, Frau Dtrksen." „Frau Dtrksen?" „Gewiß! Sie ist, da sie bei ihrem Onkel die Stelle einer Dame Les Hauses vertritt, offenbar ausschlaggebend für alle seine gesellschaftlichen Entschließungen, und sie ist uns sehr freundlich gesinnt. Sie hat mir, und vor Allem Dir, wiederholt deutliche Proben ihres Wohlwollens ge geben, obwohl Du ihren Liebenswürdigkeiten oft recht undankbar begegnet bist. DaS darfst Du nie wieder thun." „Du verlangst Loch nicht, Latz ich diese Dame um ihre gnädige Vermittelung anbetteln soll?" „Vom Betteln kann keine Rede sein. Ich selbst werbe der Dame heute Mittag einen Besuch machen und sie da bei, al» wäre eS etwa» Selbstverständliches, um Richtig stellung -eS versehens ersuchen, das bet unserer Ein- ladung zum Herbstfest untergelaufeit ist. Ich schmeichele mir, gewandt genug mit ihr umgehen zu können, um sie meinem Wunsche gefstgig zu machen. Set versichert, sie wird sich schltetzltch ein Vergnügen daraus machen, Dich einzuladen." . ... „Ernst Ernst, ich möchte dieser Dame nicht gern etwas zu verdanken haben. Sie flößt mir eine Ab- "*^Dte sehr ungerechtfertigt und kindisch ist. Du mußt Dich nicht solch thörichter Empfindlichkeit überlassen. Sie ist hier wahrhaftig nicht am Platz. Denn hier handelt e» sich um mehr; um Detz« Ehr«! Dies« erfordert, -atz Du in der Oeffentlichkeit Dich an meiner Seit« zeigen darfst. Wenn Du selbst dafür noch kein Verständniß hast, so muß ich es für Dich haben und mutz auch für Dich handeln. Leb' wohl! Heute Mittag bringe ich Dir Deine Genug- thuung!" Seit Langem war Ernst nicht so wortreich gewesen. Käthe war zn harmlos, um hinter seiner geläufigen Be- rcdtsamkeit etwa ein böses Gewissen zu argwöhnen: aber es hatte sie doch selbst aus der scheinbaren Fürsorge und Freundlichkeit seiner Worte ein noch kälterer Geist an geweht, als in den letzten Wochen aus all feiner gleich- giltigen Schweigsamkeit. Mit seltsamer Unruhe behielt sie den ganzen Vor mittag über die THUre des gegenüberliegenden Hauses im Auge und wartete unbehaglich auf den Augenblick, in dem ihr Gatte dort eintretcn würde. Kurz vor Zwölf sah sie ihn die Straße herabkommen. Aber er ging nicht zu Frau Dtrksen, sondern kam nach Hause. „Hast Du Deine Absicht ausgegcben?" fragte sie nicht ohne Frohlocken. Nein. Er hatte auf dem Hemdkragen ein Blutflcckchcn entdeckt, das beim Nasiren entstanden sein mochte; auch seine Schuhe waren nicht tadellos sauber, und er war nur gekommen, um sich für den Besuch bei der schönen Wittwe sorgfältiger zu kleiden. Wenige Minuten später eilte er in correctester Toilette und mit sicgcsgcwissem Lächeln über die Straße in Frau Dirksen's Haus. Käthe sah ihm nach, wie er leichten und doch hastigen Ganges dem nah-^i Ziele zustrcbtc, und plötzlich meinte sie die Begehrlichkeit in seinen eiligen Schritten zittern zu sehen. Augenblicklich fühlte sic sich von einer rasenden Eifersucht überwältigt. Aber eS war eine eisigkaltc Eifer- sucht. Gewissermaßen eine Eifersucht des Verstandes, die sich weniger um den schmerzlichen Verlust des Geliebten ängstigt, aber nm so schamhafter zittert vor der schändlichen Beleidigung, die in feder Untreue liegt. Sie ertrug eS nicht länger, unthätig am Fenster zu stehen und wie gebannt nach dem eleganten Hause hin übemustarren. Rasch nahm sie Umhang und Hut und lief tnS Freie. Dem Gatten zn folgen, wäre zwecklos gewesen. Sie hätte sich vor den Augen der spöttischen Weltdame nur lächerlich gemacht. Zumal in ihrem einfachen Alltagskleid. Ziellos ließ sie sich in dem Strom der Straßengänger treiben, bis ihr »mveriehens Herr Homänn in den Weg kam, der, mit vielen Vackcten beladen, hastig aus einem Fleischerladen trat. Troy seiner augenscheinlichen Eile grüßte er sehr freundlich, und Käthe fühlte sich veranlaßt, nach Frau Lotte zu fragen, die sie so lange nickt gesehen hatte, obwohl e» doch ihre Pflicht gewesen wäre, nach ihrer Rückkehr von Sylt di« alte Freundin einmal ans- zusnchea. (Fortsetzung folgt.)
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