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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020919013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902091901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902091901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-19
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Tabellarischer und Zifserusatz entsprecheud höher. — Gebühren für Mchweisuugen uud Osfertenannahme L5 (excl. Porto). Extra»Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-AuSgabe» ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—» Ruuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Mgrgea-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au dm Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag voll <k> Polz in Leipzig. Sk. Jahrgang. Die geplante Postunion mit Holland. ck. Der in der Presse und in einer Berliner Broschüre vor zwei Jahren schon vielbesprochene und als Bedttrsniß für Handel und Verkehr empfohlene deutscy-nieder- jändische Pvstverein nach dein Muster des deutsch-öster reichischen, der als solcher selbstverständlich nichts mit hem für die meisten Holländer unsympathischen Gedanken eines Zollvereins oder Staatsanschlnsses zu thun hat, scheint nun doch dem Stadium der Verwirklichung näher zu rücken, wie wiederholte Zeitungsnachrichten ans dem Haag und Berliner Interviews an amtlichen Stellen ineldcn. Auch soll Oesterreich Ungarn, das mit uns seit oO Jahren eine Postunion unterhält, dem neuen Vereine beitreten. Schon dadurch wird eigentlich der in Holland vielfach spukenden Ansicht, als ob es nun in Gefahr ge- rathe, nölens volens von Deutschland allmählich znm Zoll verein und Staatsbündniß genöthigt zn werden, die Spitze abgebrochen. Unsere Vettern am Niedcrrheine können überzeugt sein, daß im Ernste davon gar nicht die Rede ist, ebensowenig, wie ans dem Pvstverein mir Oesterreich ein Zollverein geworden ist. Dazu wäre doch in 50 Jahren Zeit genug gewesen. Statt dessen hat ihm zum Trotz zwischen Oesterreich und Preußen 1860 ein großer Krieg stattgefundcn, und Oesterreich ist aus dem Staatsbunde, dem Deutschen Bunde, ansgeschieden. Also von einer dauernden Jnteressenbindung durch solche spectelle Verkehrsvcrträge, die doch kündbar sind, kann unmöglich gesprochen oder gar im Ernste der Verlust nationaler Selbstständigkeit durch sie befürchtet werdet». Auch Luxemburg ist ein Beweis dafür. Dieses Länd chen war 1815 dem Deutschen Bunde beigetreten und wurde 1842 Mitglied des Deutschen Zollvereins, dem es noch heute angehört, obwohl es nach 1866 aus dem Deut schen Bunde ausschied und seitdem ein neutraler souve räner Staat ist. Es trat dem 1850 gegründeten deutsch österreichischen Postveretne bei, ist aber nach dem Aus tritt aus dem Deutschen Bunde auch aus dieser Verkehrs gemeinschaft ausgeschieden, so daß es jetzt zum deutschen Reiche in dem kuriosen Berhältniß des ZollinlandcS, aber zugleich des Postauslandes steht. Nach Kamerun »ud Samoa, die Zollauslanü sind, kostet ein Brief nur 10 Pfg., nach Luxemburg aber 20. Jedenfalls zeigt sich auch hier, wie ein Postvereinsvertrag an sich nicht das Geringste mit politischen und Zollbündnissen zu thun hat. Holland hat auch mit Belgien eine Art Postunion, d. h. eine Abmachung über Portobegünstigungcn im Wechsel verkehr, vereinbart, aber ein Zollbündniß ist deshalb nicht vorhanden. Die drei skandinavischen Staaten sind ebenfalls in einem gegenseitigen Postverbande, aber trotz dem von einem Zollverbandc weit entfernt. Und eine neue Union von Calmar ist so wenig wahrscheinlich, wie eine Wiedervereinigung von Belgien und Holland. Auch Serbiens seit 34 Jahren in Kraft stehender Pvst verein init Oesterreich hat der serbischen Selbstständigkeit keinen Abbruch gethan. Montenegro geht cs ähnlich. Man muß daher jene in Holland vielfach herrschenden Befürchtungen auf Unkenntnitz der Thatsachen oder falsche Vorstellungen von dem Wesen eines Postvcrcins zurück führen. Vielleicht hat das Wort „Verein", bei dem Manche sich eine vollständige Vereinigung der Verwal tungen vorstellen mögen, Schuld daran. In Wirklichkeit fordern die großen Postvcrkehrsinteressen Deutschlands mrd Hollands, namentlich aber Hollands, in der That *) „Die Frage eine« deutsch-niederländischen Postvereins." Berlin 1900, Gose L Tetzlaff. 28 S. 60 Pfg. eine Erleichterung durch Tarifermäßigungen, ivomöglich bis ans die internen Tarsätze, wenigstens ,n den Haupt sachen. Auch der gewaltige gegenseitige Handel verlangt das, da er durch den Pvstverkehr in Bewegung gesetzt wird. Es ist darauf hiugcwiesen worden, daß etwa 50 Praeent der holländischen Ausfuhr allein nach Deuhchland gehen und von dem internationalen Briefpostverkehr etwa eben soviel. Nach Belgien sendet Holland nur gegen l-> vioccnt seiner nach auswärts gehenden Briefe, Postkarten, D.run- sachcn, Waarcuproben nnd Geschäftspaplere. lind schon diese Menge hat ihm Anlaß gegeben, mit Belgien einen Sonder-Posivertrag über Begünstigungen im ^echsel- verkehr abzuschließen. Tie Nia sie der nach Deutschland gehenden Sendungen ist aber über drei mal so grvst, obwohl die Absender das thenere Weltpvrto bezahlen müssen, und würde bei einer Tarermäßignng natürlich noch weit größer sein. Schwedens Postsendungen nach Dänemark, mit dem es in einem Postvereine steht, machen nur 13 Procettt des hinausgehendcn AuSlandsvcrkchrs aus, während Däne mark seinerseits dahin im Jahre IM etwa 22 Prvecnt, nach Norwegen aber blvs 8—10 Proccnt schickte. Auch Deutschland und Oesterreich weisen in ihrem gegenseitigen Postvcrkeyr nicht so gewaltig hohe Antheile auf, wie der nach dem deutschen gleich gehende Antheil des ii^ Aus land gerichteten holländischen Briefpostverkehrs, -rcutsch- lands Interesse an der Postunion mit Holland ist freilich nicht so groß, da von der Masse seiner ""H gehenden Sendungen nur 6 Prveent und bei Außeracht lassung von Oesterreich-Ungarn II Procent nach den Niederlanden befördert werden. Aber es sendet doch etwas mehr nach dem kleinen Holland, als nach dem zehn mal so großen Königreiche Ungarn, unserm Pvstvereins- genossen. Und während dieses uns nur 7,1 Millionen zukvmmen läßt, empfangen wir aus dem Lande am Nieder rhein über 11 Millionen Stück. Unsere Handelsausfuhr nach Holland beträgt übrigens rund 386 Millionen Mark oder 8,3 Procent der Gesammtausfnhr, während die nach Rußland nur 325 Millionen anSmacht. Rheinisch-westfälische und holländische Handelskammern haben bekanntlich am 11. Juni d. I. in einer Evnfcrenz zu Utrecht eine Resolution zu Gunsten einer deutsch-hol ländischen Postunion, nach dem Muster der mit Oester reich, angenommen, mit der unter ausdrücklicher Betonung des Wegfalls jeder politischen Bedeutung, sich endlich auch das bisher sehr rcservirte „Allgcmeen Handelsblad" zu Amsterdam einverstanden erklärte, während Rotterdam und sein einflußreiches Organ der Idee nicht geneigt waren. Daß die beiderseitigen Pvstvernmltnngeii einen Meinungsaustausch über die finanzielle Seite der Sache pflegten, wurde schon im Frühjahr vielfach gemeldet. Es scheint nun doch, wie cS heißt, sogar noch vor Neujahr ein Abschluß in Aussicht zu sein. Die Rotterdamer befürchten vielleicht, daß ihnen ein solcher Postverein in England als allzugrvße Intimität mit Deutschland, und mit einem politischen Bündnitz im Hintergründe, verübelt werden und damit Anschläge auf ihre Colonien zeitigen könnte. Aber die Thatsachen aus der Geschichte der Postverträge geben zn solchen Be fürchtungen doch wohl keinerlei Anhalt. Und der größere Vorthcil aus dem Postverein würde jedenfalls nicht Deutschland zufallen, da seine Bewohner im Durchschnitt lange nicht so viel Correspondcnzen nach Holland schicken, wie die Holländer nach Deutschland. In jedem Falle können wir das Weitere ruhig ab warten. An freundlichem Entgegenkommen bei dieser vielleicht auch in postalischen» Sinne von späteren weiteren internationalen Folgen begleiteten Idee hat es die deutsche Presse jedenfalls nicht fehlen lassen. Deutsches Reich. -t- Berlin, 18. September. Die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeilerschutz bat für den 23. und 24. September eine Sitzung ihres Comiles nach Köln einberufen. Aus diesem Anlaß beschäftigt sich Professor Dr. Francke in der „Socialen Praxis" in lehr reichen Rück- und Ausblicken mit der genannten Inter nationalen Organisation. Ende Juli 1000 in Paris ge- aründet, ein Jabr später zu Basel constituirt, auS der freien Initiative von Privatleuten, Socialxolitikcrn, Unternehmern, Arbeitern hervorgegangen, ist die Vereinigung in Wahrheit c ne internationale, weil ihr die Schweiz, Deutschland, Frankreich, Oesterreich, Ungarn, Italien, Belgien, Hol land beitratcn. Andere Länder, wie Großbritannien, Skandinavien, Rußland und die Vereinigten Staaten, stehen in engerer oder loser Verbindung mit der Inter nationalen Vereinigung, wenn eS in ihnen auch noch keine festorganisirten Sektionen giebt, die den satzungsgemaßen Anschluß ausgesprochen haben. Im Gegensätze zur trühercn Zurückhaltung gewähren die Regierungen der Schweiz, Deutschlands, Frankreichs, Oesterreichs, Ungarn«, Italien«, Belgiens und Hollands der Vereinigung ihre Unterstützung durch finanzielle Zuwendungen, Ueberlassnng amtlicher Druck sachen und eventuelle Mitarbeit ihrer Beamten. Auch haben sie staatliche Dclegirte in da« geschäslSführende CoinitS ab geordnet, die in Köln au« den meisten der genannten Staaten anwesend sein werden. Somit ist jetzt die äußerst wichtige Verbindung staatlicher und privater Kräfte in den Bestrebungen für internationalen Arbeiterschutz gesichert und die Hoffnung auf positive Erfolge eröffnet. In einer Be ziehung sind solche schon erreicht: DaS internationale Arbeitsamt ist seit dem 1. Mai 190l an der Arbeit, eine periodische Sammlung der Arbeiterschutzgesetze aller Länder zu veranstalten und ihr Studium in jeder Hinsicht zu er leichtern. Das „Bulletin" der Vereinigung wird immer mehr ein praktisches Handbuch der gesamiiitcn Arbeiterschutz- sragen. Die Hauptthäiigkeit der Kölner Delegirtenconferenz wird der Berathuug aktueller Maßnahmen gewidmet sein. Die Nachtarbeit der Frauen, die gefährlichen Betriebe und die Unfallstatistik baden in zahl reichen Referaten auS fast allen Industriestaaten eine wissenschaftliche Bearbeitung erfahren, die einen trag- sahigen Boden für das weitere Vorgehen geschaffen. Bei dem Mangel an Präcedenzfällen ist in letzterer Hinsicht große Vorsicht geboten, da kleine auf Jahre hinaus die ganzen Bestrebungen schädigen können. ES wird in Köln zu erwägen sein, wie die Ergebnisse der wissen schaftlichen Untersuchungen über die Franennachtarbeit, die Bekämpfung der Gefahren in Blei- und Phosphorbetrieben und die Aufstellung einer internationalen Unfallstatistik in die Praxis des Lebens einzusühren sind. Hiersür die richtigen Mittel zu finden, bält Francke für die wichtigste Aufgabe der Kölner Tagung. Da zugleich mit ihr die deutsche Section der Internationalen Vereinigung, die Gesellschaft für Sociale Reform, ihre erste Generalversammlung in Köln abbält, werden auch die Leistungen und die Ziele dieser Organisation von Francke eingehend besprochen. * Berlin, 18. September. Einen Beitrag zur Beur- theilnng der Wohnungsfrage in dcir verschiedenen Großstädten hat das statistische Amt der Stadt Bremen durch vergleichende Untersuchungen über die Wohn- dichtigkeit geliefert. Das genannte Amt hat für die 33 Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern, die bet der Volkszählung am l. December 1800 vorhanden waren, die durchschnittliche Bcwohnerzahl der Wohnhäuser er mittclt. Dabei hat sich nach einer Zusammenstellung, di? -er „Soc. Praxis" zu entnehmen ist, namentlich für die Städte des Ostens, außer Danzig, eine sehr starke Bc- völkerungszahl pro Wohnhaus ergeben. Charlottenburg mit 52 und Berlin mit 50 stehen an der Spiyc, dann folgen Breslau mit 40, Posen mit 30, Stettin, Magdeburg mit je 33 und Königsberg mit 32. Posen, Stettin, Magde burg nnd Königsberg sind oder waren bis vor nicht langer Zeit durch Festungswerke, die die Städte eng umschlossen, in ihrer Entwickelung gehemmt. In Berlin und Char- lottenburg ist das Niesenmicthshanö, abgesehen von anderen Momenten, durch unzweckmäßige Bebauungspläne und durch die Bauordnungen begünstigt worden. Außer den schon genannten Orten haben nur noch Chemnitz mit 30, München mit 28, Dresden mit 28, Leipzig mit 27 mehr als 25 Bewohner in einem Hause. Diese vier Städte haben in den letzten 10 bis 15 Jahren durch Etngemcin- dungeu von Nachbarorten ihr Weichbild stark vergrößert; wäre» blvs die älteren Thcile der Städte bei der Berech nung berücksichtigt worden, so würden auf ein Wohnhaus sicherlich erheblich mehr Bewohner, als angegeben, kommen. Die Orte, die Stettin und Posen in sich ausgenommen haben, waren Jndnstrievrte, die außerhalb des Festungs rayons entstanden und sehr dicht bevölkert waren. Je mehr nach Westen, desto weniger Bewohner entfallen auf ein Wohnhaus. Im Osten hat nur Danzig 20, weiterhin Hamburg, Hannover, Stuttgart, Halle, Mannheim, Kiel und Cassel zwischen 20 und 25, die großen Industriestädte deS Westens, Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Dortmund, Essen, Aachen, übrigens auch Altona, Braunschweig, Frankfurt, Straßburg, Nürnberg wiesen weniger als 20, Köln nur 16, Crefeld 14 und Bremen, wo bas Einfamilien haus eine große Nolle spielt, sogar nur 7,8 Bewohner pro Wohnhaus auf. Die Städte des Westens beweisen, daß auch eine rasche industrielle Entwickelung keineswegs zur Anlage von Miethscasernen zwingt. * Berlin, 18. September. In Sachen derObcr- lehrer erhält der „Neichsbvte" folgende, „Kein Ober lehrer" unterzeichnete Zuschrift: Ter jüngste Erlas; des Cultusministeriums, nach welchem das Verhältnis; der Hilfs- zu den fest angestcllten Oberlehrern geordnet wird, ist eine kleine Ausbesserung an der Spitze des Gebäudes, aber nicht seine Heilung und Hebung im Grunde. Tenn diese Verfügung kommt nur dem jungen Nachwuchs zn Gute. Aber der springende Punct der ganzen Sache ist die gerechte Bestimmung des Dien st alters für alle älteren Lehrer nach einer festen Norm. Denn diese Regel der Gerechtigkeit fehlt. Tas Dienstaltcr der Ober lehrer wird nicht von dem Tage ihrer völligen Amtsfühig- keit und Amtsbeschäftigung an den höheren Schulen, sondern erst von dem Tage ihrer wirklichen Anstellung gerechnet. Diese Anstellung aber richtet sich allein nach dem Grundsatz „Angebot und Nachfrage". Tas ist für die Oberlehrer so entwürdigend und Niederdrücken-. Als in den achtziger und ersten neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein großer Ueberfluß an Candidaten war, da mußten diese sich bis zu einem Jahrzehnt nach wohlbestandcner Prüfung aufs Kümmerlichste mit AuS- hilföstnnden durchschlagen, ehe sie angeslellt werden konnten. Diese ganze Zeit ihres Lebens aber wird ihn^n in ihrem Dienstaltcr nicht angerechnet, so daß diese armen Oberlehrer, die jetzt nm 40 Jahre alt sind und Heran wachsende Kinder haben, erst ein Dienstalter von acht bis Feirilletsn. Arn Schipka.*) Von Martin Vogel. Nachdruck verbeten. Bon der alten bulgarischen Königsstadt Tirnowa geht die Straße zum Balkan in südwestlicher Richtung weiter. Bei Gabrowa stößt die von Plewna hcrkommcnde westliche Straße zn ihr und vereinigt übersteigen nun diese beiden Straßen das Balkangebirge auf dem Schipka- paß. Das ist die große Bedeutung dieses Passes. Nack- Norden und nach Süden zeigt er ein anderes Gesicht. AuS -em schönen bulgarischen Hügellande steigt die Straße zuerst das romantische Thal der Jantra durch dichte Wälder, an einsamen Dörfchen und Klöstern vor über, auf, und windet sich dann, jeden Vortheil des Terrains auSspähcnd und benutzend, langsam zur Paß höhe empor. Bis zum Jahre 1877 war diese Straße in einem jammervollen Zustande und glich stellenweise einem Saumpfade; der Abstieg nach Süden zn aber ist noch heute nur für die landesüblichen Büffelgcspanne passirbar. Denn nach dieser Seite stürzt der Balkan in jähem, fast senkrechtem Abfall unmittelbar in die rumelische Ebene hinab, und so steil ist hier der Absturz des Ge birges, daß, wer von der Paßhühe nach Süden hinab blickt, das am Fuße des Gebirges liegende Dorf Schipka nicht zu sehen vermag, weil es vollkommen im todten Winkel liegt. Auf der Höhe liegt der Lweti Nikola, eine natürliche, wenn auch dem Umfange nach beschränkte Bastion. Der Swett Nikola beherrscht die Paßhöhe und die Paßstraße, aber im Osten und Westen wird er selbst von überhöhten Bergen beherrscht, und da diese Höhen im Westen durch verbindende Joche mit dem Paßgrat in un mittelbarer Verbindung stehen, so ist der Vertheidiger des *) Am 23. d. M. beginnt die große, von -er bulgarischen Negierung in« Werk gefetzte Gedenkfeier zur Erinnerung an die Kämpfe im Schipka-Passc vor 25 Jahren. Neben der politischen Bedeutung, di? diese Feste besonders durch die Thcilnahmc des russischen Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch bekommen, hat die Erinnerung an jene gewaltigen und denkwürdigen Kämpfe auch rein historisch ihr große» Interesse. Passes, auch wenn er den Swett Nikola in seiner Hand hat, von dieser Seite her stets schwer bedroht. Der Schipka hat nichts, was an die Thermopylcn erinnert; er ist kein Felsenthor, kein Deftlo, das ein paar hundert Mann sperren können, sondern er ist „eine etwa drei Meilen lange, ans schmalem Berggrat hinlaufende Ge birgsstraße, auf beiden Seiten von schroffen Schluchten begleitet, die eine directe Annäherung nur an einzelnen Punctcn erlauben." Das ist der Schauplatz der denkwürdigen Kämpfe vom Jahre 1877. Leicht nnd mit geringen Verlusten hatte General Gurkv im Juli den Schipkapaß gcuonnnen, den die Türken ohne Schwierigkeit zu einem ernsten Hindernisse für das rus sische Vorgehen hätten gestalten können. Aber dann er folgte der große Rückstoß. Die Russen hatten ihren Gegner unterschätzt; bet Plewna versetzte ihnen der alte Löwe Osman Pascha schwere Schläge, und Numelicn mußte geräumt werden. Den Lchipkapaß hielt eine wenig be deutende russische Macht besetzt. Am 10. August hielt General Radetzky zn Tirnowa einen KriegSrath ab. Es war gemeldet, daß Suleiman Pascha von Süden her gegen den Balkan vordringe. Gegen zwei Stellen konnte sich sein Angriff richten: gegen den Schipkapaß nnd gegen die linke russische Flanke nörd lich des Balkans, die auf der Linie Elena-Tirnowa stand. Radetzky entschied, daß das letztere Snletman's Absicht sei, und Ltrigirte daher bedeutende Verstärkungen nach Ostcn, aber nach dem Schipka wurde nur ein Infanterie- Regiment gesandt. Zur selben Stunde hielt in seinem Hauptquartier süd lich dcö Dorfes Schipka Suleiman Pascha Kriegsrath und entschloß sich zum Angriff auf den Schipkapaß. Lein Plan war, daß ein Frontangriff ans die mächtige russische Position des Swett Nikola nur demonstrativen Charakter tragen sollte; entscheidend sollte der Flankenangriff wer den, und zwar war zuerst die Bedrohung der linken ruf- fischen Flanke in Aussicht genommen, die von dem den Swctt Nikola überragenden Mali Berdek erfolgen sollte. Aber der Kampf am 20. durchbrach diese Voraus setzungen. Wohl wurde der Malt Berdek erobert, aber die Demonstration in der Front wurde zu einem wilden Angriff, zum Hauptkampfe deö TageS, und an der un- bezwinglichcn Felsenstirn -er russischen Bastion zerschellte ein türkisches Bataillon nach dem andern. Doch jeder Tag brachte eine Erneuerung der Angriffe, und mit jedem Tage wurde die russische Situation furchtbarer. Denn nun legten die Türken das Hauptgewicht auf die Umklamme rung der russischen Stellung. Als die heiße Angustsonne dcö 28. sich dem Untergänge zuneigtc, da war der KreiS um die Russen beinahe geschlossen. Die überragenden Höhen tm Osten und Westen waren im Besitze der Türken und ihre Stellung war dort so übermächtig, daß ihre Batterien ans diesen Höhen sogar den weiter rückwärts gelegenen Theil der Paßstraße frei bestrichen. Kein Bataillon kann dem arg bedrängten russischen Häuflein auf der Scheitelhöhe des Passes zu Hilfe eilen, ohne durch ein wüthendcs türkisches Feuer Spießruthen laufen zu müssen. Und wie bitter Noth thut den Verthcidigern Hilfe, baldigste Hilfe! Sechs russische und vier schwache bulgarische Bataillone sind dort seit 72 Stunden ununter brochen unter dem Gewehr. Mitleidlos brennt die Scnnmersonne auf sic nieder, und kein Wasser ist in den russischen Linien. Leit drei Tagen ist nicht gekocht worden. Von Linie zu Linie sind die Russen in verzweifeltem Kampfe zurückgcwichen; jetzt halten sic die letzte Position und ihre Kraft beginnt zu sinken. Bevor die Umklamme rung geschlossen ist, haben die beiden russischen Generale Stoletoff und DcroztnSkt ein Telegramm an den Zaren geschickt, worin sic ihre Lage vorstellen und bis zum letzten Blutstropfen auf dem Schipka auszuharren versprechen. Von der Höhe richten sie ihre Gläser voller Angst gegen Norden zum Thale der Jantra, tndeß das Geschütz- und Gewchrseuer der siegreich vordringenden Türken und ihre triumphircnden Schreie „Allah il Allah" die Bcrgschluchten erfüllen. Da schreit Stoletoff laut auf, faßt den Kame raden am Arm und weist bebend tn den Paß hinab. Die Spitze einer langen, schwarzen Säule wird aus dem roth- braunen Pfade deutlich sichtbar. „Gott sei gelobt!" sagt Stoletoff feierlich, und beide Generale entblößen ihr Oanpt. Ans die Füße springen die erschöpften Mannschaften und ihre wilden Jnbelschreic übertönen die türkischen Allah rufe. Aber was ist daö? Der Trupp kommt näher, nnd eS sind Reiter! Will Radetzky ihnen im Lchipkapasse mit Cavallcrie helfen? Doch jetzt sind keine Reiter auf den Pferden mehr zu sehen, sic sind abgesprungcn, eine rus sische Batterie tritt schon tn Thätigkeit, sie klimmen empor — Schützen der 4. Brigade sind eS, die, auf Kosakenpferde gesetzt, den zum Tode ermüdeten Kameraden vorangeeilt sind. Es sind nur 200 Mann, aber in der hereinbrechen den Abenddämmerung täuschen sich -i« Türken über die Stärke des eingetroffenen Ersatzes, zumal jetzt die Russen einen letzten energischen Vorstoß machen — der Angriff ist gescheitert, die Klammer schließt sich nicht, der Schipka ist gerettet. Ist gerettet, obwohl Suleiman Pascha noch Tag um Tag die russischen Positionen bestürmt. Denn jetzt hat Radetzky erkannt, worum es sich handelt, und durch die Bergwülder ergießt sich ein Strom von Truppen an die be drohte Stelle. Hätte Suleiman am 23. den Erfolg er rungen, dem er so nahe war, so wurden die russischen Streitkräfte von drei Seiten her zerdrückt und in die Donau geworfen. Noch läßt der Türke nicht nach; er stürmt, er bombardirt Tag um Tag, und als schon seine Chancen arg gemindert, als die Russen schon selbst znm Angriff übergegangen sind und sich Luft geschafft baden, da unternimmt er am 27. September noch einmal einen wüthcnden Angriff. Damals war'S, daß Türken vom Regiment der Geweihten, die auf den Koran den Ei? geschworen hatten, die russische Stellung zu erobern oder zu sterben, die nahezu senkrechte Südwestecke der beherr schenden russischen Position emporklvmmen und wirklich in die russische Batterie Nr. 2 eindrangen. Sie wurden wieder hinausgetricben, und im Dornengestrüpp des Felsens blieben die Körper dieser Tapferen zn Hunderten hängen, unter dem mitleidslosen Sonnenbrand hilflos verschmachtend und langsam verwesend . . . Das war der letzte grobe Kampf um den Paß. Aber die Gegner, die sich ineinander verbissen hatten, ließen auch jetzt nicht ab. Sie gruben sich einander gegenüber ein. Unerschütterlich blieben die Türken in der gefähr- lichen Nachbarschaft der Nikola-Position stehen; hinter ihren Batterien, in Laufgräben, Schanzen, jammervollen Erdhütten, unter Bombenregen beobachteten die Russen den .zähen Gegner. Den Herbst löste der Winter ab, eisige Winde bestrichen die Höhen, dichter Schnee hüllte die Berge ein, kein Feuer reichte mehr auS; die gänzlich un genügend bekleidete russische Besatzung, die besonders ihre Füße nicht mehr zu schützen wußte, erfror und verbnngerte langsam. Denn auch die Verpflegung war lnchst unvoll kommen. Das ist die Zeit, von der nu- ' M tter Wereschtschagin jenes furchtbare Zeugin; .unten - en hat: „Am Schipka nichts Neue»" — nichts Neue?, nur ein«
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