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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020920021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-20
- Monat1902-09
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Reclamen unter dem RedactionSstrtch (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (»gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung X »0.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedttion zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck «sd Verlag von E. Polz in Leipzig. 3!r. M. Sonnabend den 20. September 1902. 86. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 20. September. Wenn die „Elbinger Ztg." recht unterrichtet ist, so ist der Thronkrach-Artikcl des Sächsischen „Batcrland" auch zur Kenntniß des Kaisers gebracht worden und bat auf diesen denselben Eindruck gemacht, den er überall, nur nicht auf die Leiter des Bundes der Landwirthe, gemacht hat. Das Elbinger Blatt berichtet nämlich: Wie uns von durchaus vertrauenswürdiger Seite versichert wird, hat sich Kaiser Wilhelm im Manöverterrain aufs Schärsste gegen den bekannten Artikel des ossiciellen Parteiorgan- der sächsischen Conjervativen, das „Vaterland", ausgesprochen, der das Zusammenkrachen der Throne, Blutvergießen und Verwüstung in Aussicht stellte, wenn der Landwirthschaft nicht durch höhere Zölle aufgeholfen würde. Die Aus- lassungen des sächsischen Organs sind dem Monarchen von der- selben Persönlichkeit unterbreitet worden, die ihm jüngst den viel- besprochenen Demagogenartikel deS „Wehlauer Kreisblatts", der sich gegen die Agitation des Bundes der Landwirthe richtete, nach Norwegen nachsandte. Der Kaiser war sehr unangenehm davon berührt, daß jetzt auch Organe, die in erster Linie sür königs treu und staatserhaltend gelten wollen, eine Tonart anschlagen, „die in wirklich patriotischen Kreisen nicht vernommen werden sollte". Der Monarch nahm auch keine Veranlassung, sein herbes Urthetl über diese oppositionelle Richtung zu mildern, als er von der Er klärung der Parteileitung der sächsischen Conservativen Kenntniß erhielt, daß die Partei den Auslassungen des „Vaterlands" völlig fernstehe. Die Verstimmung Er. Majestät scheint demnach nach- haltig zu sein. Daß der Kaiser keine Kenntniß von dem vielbesprochenen Artikel deS „Paterland" erhalten haben sollte, ist aller dings nicht wahrscheinlich. Ganz vollständig ist aber jedenfalls die Meldung deS Elbinger Blattes deS- kalb nicht, weil sie nur sagt, der Kaiser habe keine Beranlassung genommen, sein berbes Unheil über die durch den Artikel gekennzeichnete Richtung zu mildern, als er von der Erklärung der Parteileitung der sächsischen Eonservativen Kenntniß genommen. Zu einer Milderung dieses herben Unheils bat diese Erklärung allerdings keinen Anlaß gegeben; im Gegentbeil. Der Kaiser hat eS aber auch sicher- iich nicht unterlassen, seine Befriedigung über die mit seinem eigenen Unheile übereinstimmende Erklärung zu bekunden. Die Bedeutung dieses Unheils wird den Leitern deS Bundes der Landwirthe um so weniger entgehen, je mehr sie sich bewußt sein müssen, ihre Hoffnung auf Durchsetzung ihrer Zollforderuugen ganz wesentlich auf die Person deS Kaisers oder vielmehr auf einen Gesinnungswechsel deS Reichsoberhauptes gegründet zu haben. Daß diese Hoff nung jetzt zu Wasser geworden ist, dafür mögen sich die Herren bei dem Berfasser deS „Baterlanv"»Artikels und der Redaction dieses Blattes bedanken. Hieraus wird eö begreif lich, warum Herr vr. Oertel heute in seiner „Deutschen TageSztg." folgende Erklärung in fetter Schrift erläßt: „Die „Weserzeitn ng" behauptet, es sei ein Gerücht ver breitet, daß der Berfasser des vielbesprochenen Artikels des sächsischen conservativen „Vaterlands" der Abgeordnete vr. Oertel selbst oder eine ihm nahestehende Persönlichkeit sei. Auch in anderen Blättern sind wir ähnlichen Andeutungen begegnet. Dem gegenüber bemerken wir, daß Abg. vr. Oertel den fraglichen Artikel weder vserfaßt, noch veranlaßt, noch inspirirt, noch vor seiner Veröffentlichung gelesen, und daß er überhaupt für das „Vaterland" seit dem Jahre 1894 keine Zeile ge schrieben hat." Der Zweck dieser Erklärung wird aber schwerlich erreicht werden, am wenigsten in Sachsen. Or. Oertel hat den Artikel beifällig abgedruckt, hat ihn gegen die „Kreuzztg." und die „Eonservat. Corr." vertheidigt und hat in seinem Sinne in einer Parteiversammlung gesprochen. Es fällt ihm auch jetzt noch nicht ein und kann ibm nicht einfallen, den Artikel zu tadeln und in der selben Weise zu verurtheilen, wie dies die conservative Parteileitung in Sachsen gelhan hat. Er ist und bleibt derGesinnungs-undKamps- genosse deS Verfassers deS „Vaterland".Artikels und hat sich deshalb ebenso wie dieser bei der conservativen Parteileitung in Sachsen un möglich gemacht, auch wenn er bis zum Schlüsse der laufenden Legislaturperiode fortfährt, sich „vr. Oertel-Sachsen" zu nennen. Es ist eine erfreuliche Erscheinung, daß selbst in der Zeit einer ungünstigen Wirtbschastslaze die Spar- thätigkeit in Deutschland sich noch weiter entwickelt und insbesondere auch die Lebensversicherung weiteren Boden gewonnen bat. Nach der in diesen Tagen im Verlag von Gustav Fischer zu Jena erschienenen Üebersicht über „Zu- stand und Fortschritte der deutschen LebenSversicherungS- anstalten im Jahre 1901" hatten die 45 deutschen Anstalten, welche die Lebensversicherung im engeren Sinne betrieben, im letzten Jahre trotz der Ungunst der wirthschaft- lichen Lage einen neuen Bruttozugang, welcher nach der Zahl der Versicherungen hinter dem des Jahres 1900 nur wenig zurückbleibt und nach der Versicherungssumme ibn noch übertrifft. Auch die sogenannte Volks- oder Arbeiterversicherung hat weitere Fortschritte gemacht, wenn auch der Zugang früherer Jahre nicht erreicht wurde. Socialpolitisch interessant ist namentlich die Bewegung der auf eine Person treffenden Durchschnitts - Versicherungs summe. Dieselbe ist von 5600 .4^ im Jabre 1829 während der folgenden vierzig Jahre ziemlich regelmäßig mehr und mehr gesunken, bis sie im Jabre 1869 mit 2876 den niedrigsten Betrag erreichte. Von 1870 an ist sie dann ebenso regelmäßig wieder gestiegen, sodaß sie sich Ende 1892 wieder auf 4369 stellte. Auf die Police berechnet, stellte sich der Durchschnittsbetrag der Versicherung im Berichts jahre auf 4368 Ueber den Umfana, in welchem kleine, mittlere und größere Summen versichert sind, haben nur 23 Anstalten Angaben gemacht, die indessen sieben Zehntel des gcsammten Versicherungsbestandes aller deutschen Anstalten betreffen. Bei diesen 23 Anstalten entfallen auf die Versicherungen bis zu 3000 71,57 Proc. der Personen und 22,99 Proc. der Versicherungssumme, von über 3000—10000 ^ 30,89 Proc. der Personen und 41,00 Procent der Versicherungssumme, von über 10 000 —30 000.6 6,44 Proc. der Personen und 23,81 Procent der Versicherungssumme, von über 30 000 1,10 Proc. der Personen und 12,20 Proc. der Versicherungssumme. AuS diesen Zahlen ist zu ermessen, in wie weile Schichten die Lebensversicherung durchgedrungen ist. Ueber die deutsche Presse in Brasilien und ihr nationales Verdienst schreibt man uns aus Rio de Janeiro, Ende August: Es be stehen augenblicklich in Brasilien 21 deutsche Zeitungen aller Schattirungen, politische und belle tristische, sveialdemokratische und streng katholische, Fach zeitungen und neuerdings sogar eine Lehrerzeitung. Die Gesammtauflage dürfte ea. 18 000 Exemplare betragen, so daß auf ea. 17 Deutsche ein Zeitungsexemplar käme, wenn mau die deutsche und deutsch-brasilianische Bevölkerung auf rund 300 000 schätzt. Diese Berechnung ist jedoch sehr un genau. In Wirklichkeit dürfte das Berhältnitz noch viel ungünstiger sein. Die weiteste Verbreitung haben wohl die Zeitungen von Sanct Paolo, „Deutsche Zeitung" und „Germania". Bon den Blättern in Rio Grande do Lul ist das „Deutsche Bolköblatt" wohl das gelesenste. Die einzige Tageszeitung ist das „Tageblatt" in Porto Alegre. In dieser Stadt er scheinen außerdem noch die „Deutsche Zeitung" und Kose ritz' „Deutsche Zeitung", welche auch ziemlich verbreitet sind. Die meisten Zeitungen erscheinen zwei oder drei Mal wöchentlich. Die kleinste aller politische» Zeitungen sind die in Petropolis lRio de Janeiro) erscheinenden „Nach richten". Trotz ihres geringen Umfanges möchten wir sie, wenn wir die Zeitungen nach ihrer Bedeutung gruppiren, mit an erster Stelle nennen. Für wichtige politische Tagesfragcn werden die „Nachrichten" von den deutschen Zeitungen vielfach als Quelle benutzt. Der in Blumenau erscheinende „Urwaldsbote" ist durch sein Eintreten für den „Vvlksvercin", der die erste deutsche Partei in Südbrasilien darstellt, bekannt geworden. Es würde zu weit führen, wenn man alle deutsch-brasi lianischen Zeitungen namentlich anführen und ihre Ten denzen und Bestrebungen näher bezeichnen wollte. Im Allgemeinen muß man der deutschen Presse das Zcugniß ausstellen, daß sie trotz der häufigen Preßfchden einig ist in der Vertretung deutscher Interessen und in -er Vertheidigung des Deutschthums den häufigen, heftigen Angriffen des Iakobinerthums gegenüber. Nächst der Schule ist es als ein Hauplverdienst der deutsch-brasi lianischen Presse zu bezeichnen, daß sich die deutsche Sp rache und de utscheEigenartbisjetzt un verfälscht erhalten haben. Dieses Verdienst muß um so höher ungerechnet werden, als die wenigsten Zeitungen so viel abwerfen, um ihren Mann zu ernähren, vielmehr giebt es eine ganze Anzahl, welche seit ihrer Be gründung nur mit Verlust gearbeitet haben und nur aus Liebe zum Deutschthum unterhalten werden. Obgleich man die fleißige Arbeit der Presse allgemein anerkennt, und von ihrer Bedeutung für das Deutschthum allgemein überzeugt ist, finden die Zeitungen doch nur wenig Ent gegenkommen. Besonders die besser situirten Kreise, denen es doch ein Leichtes wäre, die Zeitungen tharkräftig zu unterstützen, sehen glcichgiltig über die deutschen Zeitungen hinweg, weil sie ihnen zu unbedeutend und nicht inhalts reich genug sind. Auch fehlt cs in Brasilien on einer großen Tageszeitung, welche, nach größeren Ge sichtskreisen geleitet, als Centralorgan für die kleineren Blätter dienen könnte. Da jedoch zur Gründung einer größeren Zeitung ein größeres Capital gehört, würde dies Capital schwer zu beschaffen sein. Anders würde sich die Sache gestalten, wenn ein solches Unternehmen auf Unterstützung der deutschen Regierung zählen könnte. Das Reich giebt jährlich große Summen zur Unterstützung der Auslandsschulen aus, und auch die Schulen inBrasilien sind in den letzten Jahren sehrreich bedacht worden. Um jedoch das Deutschthum wirksam zn unterstützen und sür seine Erhaltung zu sorgen, ist dis Presse fast ebenso uüthigwie die Schule. Die Eigenart der Verhält nisse und der isolirte Stand der Deutschbrasilianer be dingen es, daß der Einfluß der Schule nicht in das spätere Leben der Schüler hineingreift, weshalb die Schalen hier nicht dieselbe Bedeutung und moralische Kraft haben, wie in Deutschland, um so mehr, als mir hier keinerlei deutsche Schulen baben, deren Schüler nach erlangter Reife sofort in die Hochschulen übertreten können. Aus diesem Grunde ist eine gute deutsche Presse für die Erhaltung des Deutschthums eine unbedingte N o t h m c n d i g k e i t. Von den Vertretern des Reiches in Brasiilien ist diese Nothwcndigkeit auch schon hervorgehoben worden. So hatten z. B. Graf Arco Valle», ein Mann, der stets ener gisch für die Interessen -es Deutschtlnnns eingetreten ist, und der vormalige Geschäftsträger, vr. von Flöckher, dessen Name besonders in Petropolis noch in gutem An denken steht, die Unterstützung der Presse stets im Auge ge ballt. Die Erhaltung des Deutschthums in Brasilien ist für das Mutterland in jeder Hinsicht von weitesttragender Be deutung. Man sollte sich deshalb nicht damit begnügen, die Schulen zu unterstützen, man sollte, dem Beispiele Italiens folgend, auch die deutsche Presse Brasiliens, als ein Culturelcmentvon größter Bedeutung, nicht unbeachtet lassen, sondern für die Erhaltung »nd Hebung derselben Sorge tragen. Wie ein Reutertelegramm gemeldet hat, ist den Mächten, die den Berliner Vertrag unterzeichneten, von den Ber einigten Staaten eine gleichlautende Note übergeben worden, in welcher die Union die Hoffnung ausdrückt, „daß sie Rumänien an seine Pflichten gegenüber der Civilisation er- inner» und es zu einer Besserung der Lage der rumänischen Juden veranlassen werden". Offenbar haben die Ver einigten Staaten Artikel 44 deS Berliner Vertrages bei ihrer diplomatischen Action im Auge gehabt. Dieser Artikel bestimmt: „In Rumänien darf der Unterschied der Religionen und Be- kenntnisse Niemandem als Grund der Ausschließung oder der Un- sähigkeit entgegen gestellt werden, insoweit er den Genuß der bürger lichen und politischen Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Armtern, Functionen und Ehrenstellen oder die Ausübung der verschiedenen Gewerbe und Industrien betrifft, an welchem Orte eS auch sei. Dir Freiheit und öffentlicheAusübung aller Cultewerden allen Einheimischen des rumänische» Staates, sowie den Fremden ge sichert, und kein Hinderniß darf ihnen weder in der hierarchischen Organisation der verschiedenen Gemeinden, noch iu deren Beziehungen zu ihren geistlichen Häuptern in den Weg gelegt werden. Die llnterthanen aller Mächte, Handeltreibende oder andere, werden in Rumänien ohne Unterschied der Religion auf dem Fuße vollständiger Gleichheit behandelt." Dieser Artikel und die in Artikel 45 ausgesprochene Ab tretung Bessarabiens an Rußland umschreiben die Be dingungen, au welche laut Artikel 43 die contrabirenden Mächte die Anerkennung der Unabhängigkeit Rumäniens ge knüpft haben. Wenn eS beanstandet wurde, daß die Vereinigten Staaten als eine Macht, die am Berliner Congreß nicht theilnahm — Theilnehmer an ihm waren: Deutschland, Oesterreich, Frankreich, England, Italien, Ruß land und die Türkei —, den fraglichen Schritt gegen Ru mänien unter Berufung auf den Berliner Vertrag gethan haben, so beruht das auf einem Jrrthum. Diplomatisch war eS vielmehr correct, daß die Union sich nicht direct an Rumänien wandte, sondern an die Signatarmächte deS Berliner Vertrages. Ueber den Erfolg deS amerikanischen Vorgehens läßt sich in diesem Augenblicke naturgemäß nichts Feuilleton. A Das Testament. C'ne Öberösterreichische Erzählung v. Fanny Kaktenhauser. (Nachtruck ohne Honorirung auch iu Amerika verboten.) Es tropfte von den Bünmen; am Nachmittag hatte es längere Zeit geregnet und das Laub war noch naß. Bei dem glucksenden Geräusch und in seinem Sinnen über hörte es der Bursche, daß Eines mit leisen Tritten nahte. Er fuhr jäh von seinem Sitz auf, als sich ihm eine Hand ans die Schulter legte. „Jesus na!" sagte er völlig er schrocken. Aber gleich darauf legte er die Arme um den schlanken, schönen Leib des Dirndls, das da vor ihm stund, und er neigte seinen Kopf, um seine Lippen auf den weichen, rvthen Mädchenmund zu drücken. Aber ehe cs dazu kam, trat die ganze Schwere seines Geschickes in seine Gedanken. „Franzi! Mei Franzi!" entfuhr cs in heißem Schmcrzcnstvn seinen Lippen und die Arme sanken von -em blühenden Müdchenlcib. Die da sollte er lassen, die ihm jahrelang sein Bestes und Schönstes, sein Liebstes ge wesen ? Die sollte nicht für ihn auf der Welt sein? Das ungemein liebliche, schöne Gesicht des Dirndls war vvn weichem, tiefem Empfinden bewegt. Mit beiden Händen umschloß die Franzi einen Arm des Burschen und sah aus traurigen Augen zu ihm ans. „Gelt, ja, Dein Vater? Ich Hab s schon vernommen. Am Mittag schon. Und eS hat mich hart trvffen, daß er so früh, so jäh har gehen müssen. Ich hab' ihm ein lang's Leben g'wünscht, er war ja Tein Vater!" Er hatte sich wieder auf die Bank gesetzt. Auf ihre Worte erwiderte er nichts. Einmal, als sic schon eine Weile neben ihm saß, den Kopf an seine Schulter gc- schmiegt, hob er den Arm, umschlang sic und drückte sie sv an sich. Und blieb stumm dazu. Wenn er geredet hätte — er fühlte cs: nur ein einziges Wort — er hätte schreien müssen, aufschrcien in der Qual, von der sein Herz voll war. Als er aber plötzlich ein leise- Schluchzen vernahm, riß er sich aus seinem Schweigen. „Wegen was weinst ?" fragte er rauh, ohne sic anzusehen; er hätte ihr Gesicht ohnedies nicht mehr sehen können, es war dunkel geworden. „Weil Dich der Tod von Deinem Vater so arg 'troffen bat!" war ihre Antwort. „I hab'S früher schon g'wußt, daß Du ihn gern hast, und jetzt merk' ichs noch mehr. Bist ja so still heut', wie verstorben. Trägst schwer dran — ich kenn's!" »Ja, ja, ja! 'leicht trag' i schwerer dran, als wie Dir denkst!" schrie er jäh hinaus, daß es ihr in den Ohren gellte. Sinnlvser Schmerz hatte ihn einen Augenblick überwältigt. Er hatte sic aus den Armen gelassen. Nun suchte er nach ihren Händen. Als er diese fand, preßte er sie stürmisch. „Du, Du — sv schwer! Dentst's nicht! Aber wirst'ü erfahren — und wirst's begreifen! Heut' net — heut' —", er sprach plötzlich mit erstickter Stimme mühsam weiter — „heut' wollt' i Dich nur bitten, geh' net ansi zu uns ins Nachtwachen, geh' net! — I halt' es net aus. Dich dort zn sehen! I würd' ein Narr!" Sie blieb einen Augenblick still, halb verwundert, und sein Begehren erwägend. „Geh, 's schaut ja so unfreund lich aus!" sagte sie dann halblaut. „Sv nahe Nachbarn und nie in der Feindschaft g'wcsen, und da blieb' i ans? D' Leut' werden mir Nachreden, wie unchristlich i bin!" Tein Athem flog heiß an ihre Stirne. „Geh' net!" stieß er hervor, bittend — und dann fordernd in unge stümer Weise. „Geh' net! I crtrag's net. Versprichs! Wenn mich in Deinem Herzen trägst, so Ihn mir das net an! I bitt' Dich!" Die letzten Worte klangen wieder in leiser, schmerz licher Bitte, und sie bezwangen der Franzt letztes Wider streben. „Ist schon gut", sagte sie. „I Ihn', wie Du's haben willst." Da stand er und riß sic an sich und küßte sie, wild, leidenschaftlich, wie er cs nie gethan — daß ihr das Herz schlug wie ein Mühlhammer uud ihr die Sinne schier ver gingen —, dann stieß er sic jäh, heftig von sich und ging. Und in die dunkle Nacht hinein, in die er vorwärts schritt, klang ihm ein inniger Ruf nach, der ihm galt: „Vinzenz!" Seine Füße wurzelten am Boden, es riß ihn herum — hin, hin zu ihr, die er nimmer lassen konnte! Aber er ging wieder weiter, heimwärts. Von den Fenstern der Wohnstube im Hochgstettnerhofe schimmerte cs matt heraus; eine Kerze brannte dort drinnen auf dem Tische, wo der Vorbeter saß, das Gebet- buch aufgeschlagen vor sich liegend. Das langsame Summen vieler Stimmen tönte heraus — sie beteten schon dort drinnen. Nur hier draußen stand einer, sah gegen das Fenster — und betete nicht. Er, der einzige Sohn des Tobten dort innen hatte stumme Lippen. Ah, wenn cs ihm auch wehe that, daß die starren Lippen des Vaters kein gutes Wort mehr sprachen — härteren Schmerz hatte er erlitten, da sie noch Worte fanden. Drittes Capitel. Eine große Anzahl Menschen geleitete den todten Hoch- gstettner zu Grabe. 9tur wenige Verwandte waren dabei; der Hvchgstcttner hatte keine nähere, sondern nur „weit schichtige Freundschaft" gehabt. Dafür gingen um sv mehr Nachbarn und Bekannte mit, solche sogar einige Stunden Weges her. Heute war Sonntag, da versäumte man nichts, und man mußte ohnedies zur Kirche. Ganz allein hinter der Leiche schritt der einzige Sohn, der jetzige Bauer. — „Den müsse der jähe Todesfall arg mitgenommen baben, weil er gar so übel aussähc", schwätzten die Leute. Und er sah auch sv aus, der Vinzenz, als könnte man ihn bald zn dem Todten ins Grab betten. Vvn den starren Zügen schien das Leben entwichen. In dem fahlen Gesicht zeigten sich um die Mundwinkel tiefe Schmerzenslinicn, wie eingegraben. Den Blick hob er nicht; der bastele unentwegt am Boden. Die Augen lagen tief in den Höhlen, als hätte er viele Nächte nicht ge schlafen oder als zerstöre ihn innerlich ein großer Kummer. Er hatte auch nicht geschlafen in den letzten Nächten. Erst saß er bis über Mitternacht bei dem Todten, während die Lente in der Wohnstube beteten; und als dann die Dienst leute abwechselnd, immer eines, weitere Nachtwache hielten, und er in seiner Kammer sich befand, da war er am Fenster stehen geblieben und hatte schweigend, nncnt. wegt in die Nacht und in den dämmernden Morgen hin ausgestarrt. Er konnte nicht schlafen — mit dem Stein auf seinem Herzen. Von den Verwandten und den Lcnten, die heute schon vom Hause ans mit dem Todten gingen, hatte ihn manch' einer mit tröstendem Wort angcsprochcn, er hatte dazu nur genickt oder „Ja, ja!" erwidert und Keines dabei an- gesehen. Er mochte sie nicht ansehen; sie waren ihm alle nichts. Die aber, die seine Augen allein zu sehen ver langten, deren Anblick ihn zugleich mit unsäglicher Freude und heftiger Qual erfüllt hätte, die durste er nicht an sehen. Er mußte stark bleiben. Stark? Ein Hohn lächeln vcrzvg plötzlich seinen Mund. Wie stark er war, das fühlte er — ein einziger Blick in ihre Augen, und er wußte nichts mehr von dieser seiner Stärke — nur mehr von seiner Lieb' und wie heiß die war! Ach nein, nur hart wollte er bleiben, hart — gegen sein eigenes Herz! DaS unterdrücken wollte er, was da innen so mächtig aufgnoll und ihm schier seine Sinne nahm — unterdrücken, nieder zwingen, wenn er es schon nicht aus der Welt schaffen konnte. Geläute schreckte Vinzenz aus seinem Brüten auf. Man war bet der Kirche «»gelangt. Die Träger stellten den Sarg hin, den der Priester segnen sollte. Vinzenz vernahm nichts von den Worten, die der alte Pfarrer sprach; wie ein undeutliches Gemurmel drangen sie an sein Ohr; er war mit seinem Geiste schon wieder wo anders. Und als er wieder dem Sarg folgen mußte, auf den Friedhof hinaus, da wars ihm auf einmal, als wäre der, den man eben binaustrug, gar nicht sein Vater, sondern ein wildfremder Mann, der in der letzten Stunde seines Lebens ibm noch begegnet war, und ihm ein häß liches Geheimniß enthüllt hatte, das ihn mitbetraf. Man bettete den Hvchgstcttner an der Seite seines zweiten Weibes — Vinzenz' Stiefmutter —, wo der Platz vor Kurzem freigewvrdcn war. Vinzenz rvarf die drei Schollen dem Sarg nach; dumpf polterten sic unten aus, ihn erschreckend. Er steckte die Schaufel in die Erde, trat ein wenig bei Seite und starrte düster aufs Grab bin. Nun war das Leyte von seinem Vater da unten verschwunden. Es krampfte ihm doch eine Weile daS Herz zusammen, überwiegend trat der Schmerz um den Verlorenen vor, alle andere Qnal zurückdrängend. „Ruh' in Frieden!" sagte da halblaut eine Stimme neben ihm, mährend gleichzeitig eine Erdscholle unten auf fiel, nur mehr mir schwachem Geräusch, da der Sarg schon dicht mit Erde bedeckt war. Vinzenz fuhr zusammen. Der Franzi Stimme. Ibrc weiche, tiefe Stimme, die jetzt so traurig und bewegt klang. Den Frieden wünschte sie seinem Vater, der ihr uns ihm, dem Sohne, Alles geraubt batte, alle Frend' nnd alles Glück! Mußte der, -er nun todt da unten lag, so thun? Gab cs dem da drunten Ruhe, «daß er, der Sohn, keine mehr finden sollte — daß er die Last nun weiter trug, die jener getragen? Er trug sie schwerer, weil unver schuldet. Sein Dirndl! Seine Franzi! Da stand sic neben ihm und er durfte sie nicht anschen, ihr die Hand nicht reichen! Er biß die Zähne übereinander nnd sah nicht auf. Und nach einer kleinen Weile, die er verstreichen ließ, wandte er sich nm und ging hinweg vom Grabe. Das Leichenmahl, welches hierauf stattsand, ver sammelte nicht allzn viele Leute; die Verwandten und einige der besten Bekannten, sowie die nächsten Nachbarn saßen beisammen. Die Franzi war hetmgegangen zu ihrer sott Langem kränkelnden Mutter, aber ihr Vater war auch
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