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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021001025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100102
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Schon im heutigen Morgenblatte konnten wir Mitteilen, daß die „TimeS" erklären, eS würde für sie einer besseren Autorität als derjenigen der nichtamtlichen deutschen Zeitungen bedürfen, nm sie zu überzeugen, daß der Kaiser beabsichtige, den Boerengeneralen eine Audienz zu ge währen, oder daß die Generale so unklug sein sollten, eine Audienz nachzusuchen. Der Kaiser sei ein Staatsmann von großer Erfahrung und großem Takte, eS sei also kaum glaublich, daß er einen Schritt thun würde, der, wie ihm die einfachste Vernunft sagen müsse, tiefe Entrüstung im ganzen Briten- reicke verursachen und die zornige Stimmung, die zu be schwichtigen er bestrebt gewesen sei, verschärfen würde. Sollten Vie Boerenfübrer eine Audienz nachsuchen und er lange», so dürfte England gezwungen werden, seine Ansichten über die persönliche Ficundschaft deS Kaisers für die britische Nation, wie auch deren Urteil über die Loyalität und Ehrlichkeit der Boerenführer zu ändern. Wir hoffen indes, daß diese Stimme, die sich anmaßt, dem deutschen Kaiser unter Drohungen vorzuschreiben, waS er zu tun und zu lassen habe, das Gegenteil von dem bewirken werde, WaS sie bewirken soll. So weit ist es freilich noch nicht. Die Audienz steht noch nicht fest, wie der Telegraph gleichfalls bereits gemeldet bat. Uns wird darüber von wohlunterrichteter Seite geichrieben: „Die Nachricht, daß die Audienz der Boerengenerale beim Kaiser bereits bewilligt sei, ist, wie wir an maßgebender Stelle erfahren, verfrüht. Damit soll aber nicht gesagt werden, daß die Bewilligung der Audienz an und sür sich unwahrscheinlich gewesen oder geworden sei; aber eine formelle Entscheidung konnte in dieser Angelegenheit bisher noch nicht getroffen werden. Wenn die „Times " aus die Nachricht von dem Audienzgesuche der Boerengenerale hin in ihrer Weise Verhetzungsvrrsuche machen, so verdient dieses Ver halten festgenagelt zu werden. Es ist von vornherein selbstver- stündlich gewejen, daß der Kaiser die Boerengenerale nur als britische Untertanen empfangen kann. Darüber waren sich die Boerengenerale selbst zu allerletzt im Zweifel. Tas Geifern der „Times" entbehrt demnach auch des kleinsten Vorwandes politischer Berechtigung. Was den Zeitpunkt anbelangt, zu dem die Boeren generale in Berlin weilen dürften, so kommen die Tage vom 8. bis 11. Oktober in Frage. Ter Reichskanzler ist wahrscheinlich alsdann bereits nach Berlin zurückgekehrt. Wenn in diesen Zeilen gesagt ist, eine formelle Ent scheidung habe noch nicht getroffen werden können, so erinnert dies an die bereits im beutigen Morgenblatte mitgeleilte Auslassung deS „Standard": wenn Kaiser Wilhelm die Boerengenerale zu feben wünscht, müßten diese vom britischen Botschafter in Berlin eingeführt werden. DaS würde allerdings dem Brauche entsprechen; wenigstens müßien die Generale als britische UntertanendieAudienz durch den britischen Botschafter in Berlin nachsuchen lassen, was bisher noch nicht geschehen zu sein scheint. Einigermaßen hat eS also dieser Diplomat, resp. daS englische Kabinett, in der Hand, die Audienz zu hintertreiben. Aber da der Kaiser jedenfalls von der Drohung der „Times" Kunde erhält und nicht wünschen kann, daß irgendwo die Meinung erweckt werde, er habe sich von seiner Neigung, die Boerengenerale zu empfangen, durch englische ZeitungSvrobungen «-bringen lassen, so wird dem Herrn Botschafter ohne Zweifel nabe gelegt werden, daß gerade diese Drohungen dem Kaiser den Empfang der Generale wünschenswert machen. Über dem Grabe Rudolf v. Bennigsens erbebt sich eine Art Streit über den Anteil des großen Staatsmannes und Parlamentariers an der Beseitigung des Zedlitzsche« TchnlgesctzcntwnrfS im Jabre 1892. Zn den Nachrufen, die ihm nach seinem Tode gewidmet wurden, wurde fast in der gesamten liberalen Presse das Verdienst anerkannt, das er durch eine berühmt gewordene ReichSlagsrede und persön liche Einwirkung um diese Beseitigung sich erworben. Das war aber dem „Kladderadatsch" nicht genug; er stellte in einer Brieskasten-Notir die Behauptung auf, Bennigsen habe damals zum Scheitern des Entwurfs auch da durch beigetragen, daß er eine Audienz beim Kaiser iiachgesuckl und diesem die Gefährlichkeit der Caprivi- Zevlitzschen Schulvolitik vorgestellt habe. Und als di: liberale Presse diese Behauptung ignorierte, beschuldigte der „Kladderadatsch" diese Presse der „schnöden Undankbarkeit" gegen den großen Toten. Einige Blätter siiblen sich nun gedrängt, die Meldung deS „Kladd." nachträglich abzudiucken und zu ibrer Entschuldigung beizufügen, sie bäilen eine so Wichtige Nachricht in einem Witzblattc nicht gesucht; andere stellen nicht nur diese Meldung in Zweifel, iondern be zweifeln überhaupt, daß Herr v Bennigsen seine Ansicht über den Zetzlitzsckcn Entwurf persönlich dem Kaijer vorgetragen habe. So die „Nat.-Ztg.", in der wir lesen: „WaS diese (beim Kaiser erhobenen Vorstellungen) betrifft, so können wir unserseits nur sagen, das; uns niemals etwas davon bekannt geworden, obgleich Bennigsen uns damals andere, aus die Angelegenheit bezügliche vertrauliche Mitteilungen gemacht, und obgleich wir auch durch Len Minister Miguel von den mancherlei Schritten unterrichtet waren, welche erfolgten, umdie Zurück nahme des Entwurfs zu bewirken. Natürlich kann die Mitteilung trotz dem richtig sein; es bleibt abzuwarten, wer sie vertritt. Wie wir aus der „Badischen LandeSzeitung" ersehen, hat Herr Bassermann in seiner Gedenkrede auf Bennigsen in der jüngsten Versammlung des badischen »ationalliberalen Partei-Ausschusses bemerkt: „Sehr groß waren auch die Ver dienste, die sich der Heimgegangene erworben hat, alö die Zedlitzsche Schulgesttzvorlage eingebracht worden war, die der Freiheit der Schule jo nahe trat; nach einer Unterredung, die damals Bennigsen mit dem Kaiser hatte, wurde die Vor lage zurückgezogen". Hier ist nur von einer „Unterredung' Bennigsens mit dem Kaiser die Rede, nicht davon, daß Veniiigicn durch Nachsuchung einer Audienz sie herbeigesüdrt habe, und es ist nicht ersichtlich, ob Herr Bassermann auf Grund eigener Kenntnis oder infolge der oben erwähnten Mitteilung des „Kladderadatsch" seine Bemerkung gemacht hat". Unseres Erachtens Hai Herr Bassermann nur ein besseres Gedächtnis bewiesen als die „Nal-Z g." Auch wir erinnern ! uns genau, vag Anfang Februar l892 in den meisten Blät-1 lern zu lesen war, der Kaiser habe an einem parlamen-I tarischen Diner beim Reichskanzler Grafen Eaprivi teilgenommen und bei dieser Gelegenheit eine lange Unterredung mit Herrn v. Bennigsen ge habt, die allgemein ausgefallen sei. Gegenstand der Unterredungseider Zedlitzsche Schulgesetzentwurf gewesen, und der Kaiser habe auf die Darlegungen Bennigsens erklärt, daß eS ihn schmerzlich berühren würde, wenn die politische Mißstimmung über diesen Entwurf den Rücktritt einer notablen politischen Perjöulrchkeit zur Folge haben würde. Wir braucbey wohl nicht hinzuzufügen, daß diele „notable politische Persönlichkeit" Miquel war, der des Gesetzentwurfs oder vielmebr seiner Umgestaltung im Ab geordnetenhaus« halber ein Nücktrittögesuck eingereicht hatte. Damals erregte die Meldung überall nicht nur großes Aufsehen, sondern führte auch zu langen Erörterungen mit konservativen und ultraniontanen Blättern, ob Herr v. Ben nigsen als politischer Beamter berechtigt gewejen sei, Vor stellungen gegen eine vom Ministerium im Namen deS Königs cingebrachte Vorlage beim Kaiser zu erheben. Dessen Hal sich Herr Bassermann zweifellos erinnert. Er wird vermut lich auch wie wir der Unterredung halber, die zwischen dem Kaiser und dem damaligen Oberpräsidenten v. Bennigsen in den Räumen des RcichSkanzlerpalaiS stattfand, an die Mel dung deS „Kladderadatsch" von einer besonderen Audienz nicht glauben, die durch jene Unterredung überflüssig gemacht worden wäre. Eben deshalb ist es auch ohne Belang, ob die Meldung des „Kladderadatsch" richtig ist. Wer die Geschichte jener Zeit in treuem Gedächtnis Hai, weiß auch ohne die Be lehrung dieses für nationalliberale Verdienste sonst wenig empfänglichen BlaiteS, wie viel Dank das liberale deutsche Bürgertum Rudolf von Bennigsen sür seine erfolgreichen Bemühungen um die Zurückziehung der Zedlitzsche» Schul vorlage schuldet. Man schreibt uns aus Rom: Ter Kardinalvikar von Rom hat im „Osfervatore Romano" ein Evmmuniquö ver öffentlichen lassen, in welchem eine Rede, ole Abb 6 Mnrri, der hervorragendste Führer der christlichen Temokratcu Italiens, vor einem Monate in San Marino gehalten hat, als „tadelnswert und strafwürdig" erklärt wird. Diese Verurteilung ist eine neue Episode in dem Kampfe, der sich zwischen den christlichen Demokraten und der altklcrikalen Partei abspielt. Infolge der Weisungen, welche im Laufe des letzten Winters von dem päpstlichen Staatssekretariatc an die italienischen Bischöfe bezüglich der Organisation der christlichen Demokratie erlassen wurden, halte Abbo Murri seine Demission als Chefredak teur des „Dvmani d'Jtalia", des Organs der römischen christlichen Demokraten, gegeben. In einer Rede, welche Abb«' Muni am 24. August in San Marino über die christ liche Demolratie gehalten, liest er sich gewisse Erklärungen entschlüpfen, die sofort in den intransigenten Organen heftig angegriffen wurden, besonders in der „Unitü catto- lica" in Florenz, welche in einigen Artikeln die Ideen des Abbe Murri bekämpfte. Derselbe hatte in seiner Rede von San Marino behauptet, daß unter dem gegen wärtigen Regime in Italien der Katholi zismus sich ebenso frei bewegen und eben so gedeihen könne, wie anderswo, voraus gesetzt, daß er in der gleichen Weise vorgehe, wie andere Parteien, daß er seine Forderungen unter den Schutz der öffentlichen Freiheiten stelle. Er gab ferner eine gewisse Neigung kund, von diesen Freiheiten Gebrauch zu machen, um in das öffentliche Leben zu treten, und entwickelte schließlich, allerdings in sehr vager Form, ein politisches und soziales Aktionsprogramm, das sich i» entschiedenem Widerspruch mit den erwähnten, aus die christliche Demokratie bezüglichen Instruktionen dqs heiligen Stuhles befand. Ter Ungehorsam gegen diese Weisungen, welche das „non vxpeckit" entschieden aufrecht halten und den Katholiken j e d e^ An näherung an den italienischen Staat untersagen, ist die Ursache der öffentlichen Zurecht weisung des Abbö Murri. Seine Verurteilung ist als ein Sieg des intransigenten „Tcmporalismuö" und der alten Elemente der klerikalen Partei zu deuten. Sie ist haupt sächlich den Einflüssen des Kardinals Respighi, Vikars von Rom, zuzuschreiben, der ein erklärter Widersacher der christlichen Demokratie im allgemeinen und des Abo5 Murri im besonderen ist. — Es ist von Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, daß das Programm der italienischen christ lichen Demokraten in zwei voneinander verschiedene Teile zerfällt, von welchen der eine sich auf die soziale, der andere auf die politische und religiöse Tätigkeit bezieht. Was die soziale Tätigkeit anbelangt, muß es allgemein Zu stimmung finden, daß der Vatikan die christliche Demo kratie vor jeder Gemeinschaft mit dem revolutionären Sozialismus warnt. Aber auf dem rein politischen und religiösen Gebiete vertreten die christlichen Demokraten Tendenzen, welche von einer großen Anzahl von Katho liken gebilligt werden. So verlangen sie, daß die Katho liken nicht unversöhnliche Feindseligkeit gegen das der zeitige Regime und gegen die modernen Ideen zeigen, und daß sie von den öffentlichen Freiheiten ausgiebigen Ge brauch machen sollen. Endlich befördern sie mit aller Kraft die Ernenerung des Katholizismus im amerikanistischen Sinne. Nun ist es unbestreitbar, daß der Vatikan solche Tendenzen in anderen Ländern nicht mißbilligt, z. B. in Frankreich, wo die christlichen Demokraten vom heiligen Stuhle öffentlich ermutigt werden. In Italien dagegen, wo diese Tendenzen naturgemäß das Ende der „tempora- listischcn" Forderungen und eine Annäherung an den italienischen Staat in sich schließen, werden sie vom Vatikan, der an seinem intransigenten Standpunkte feslhült, ver dammt. Jeder, der die Verhältnisse innerhalb der kleri- kalen Partei Italiens kennt, weiß jedoch, -aß die Be strebungen des Abbö Murri sehr zahlreiche Anhänger, namentlich unter den jüngeren Elementen der Partei, be sitzen. Die Rede, in der sich K önig Eduard deut „HermS- worth Loudon Magazine" zufolge über den Rückgang des britischen Handels äußerte, führte besonders darüber Klage, daß in allen Zentren der Industrie des kontinen talen Europas und Amerikas techtrische Hochschulen theo retischer Statur entstanden seien, in denen die Angehörigen aller Industriezweige die bei der wachsenden Ver drängung der Handarbeit 'durch Maschinen durchaus er forderliche systematische technische Ausbildung finden könnte», wührenld in England auf diesem Gebiete verhält nismäßig wenig geschehen sei. Außer -em technischen Wissen und Können hat aber auch die wissenschaft liche Vorbildung des englischen Kauf manns und Industriellen mit dem Stande -er Ausbildung in anderen Ländern nicht gleichen Schritt ge halten. Diesen Verhältnissen Rechnung tragend, hat die Londoner Handelskammer Einrichtungen geschaffen, die es den Beamten und Angestellten industrieller und kom merzieller Betriebe ermöglicht, eine umfassendere rmd mit Feiiilletsn. Compania Clyador. 1j Roman von Wolde mar Urban. rnachcrcick vrrbcten. Erstes Kapitel. „Recht muß Recht bleiben!" sagte der alte Voggenhubcr aufgebracht und erregt zu dem jungen Arzt und blieb vor dem Hause stehen. „Lehen Sie dieses Hans. Es ist eines der schönsten im ganzen Westend und der Garten hat nicht seines gleichen. Es ist kein Haus wie ein anderes und ist ein Palast, ein Paradies. Ich kenne es nun schon dreißig Jahre " „Ich habe keine Zeit, mein werter Herr Voggenhnber", unterbrach ihn der junge Arzt pressiert. „Ich muß fort." Was gehen mich die alte»« Geschichten an? mochte er denken. Er war erst seit drei Wochen im Ort und mußte an seine Praxis denken. „Man hat immer Zeit, etwas zu lerne»", erwiderte Voggenvuber hartnäckig und hielt ihn am Ärmel fest. „Hören Sie nur zu. Die Geschichte ist rascher aus, als Sie denken. Damals, als ich hierher kam, gehörte das Haus samt Gar ten der alten 'Amtsrätin Jäger — sie ist, Gott hab sie selig, schon lange tot — sie hinterließ cs ihren zwei Söhnen ge meinsam. Die alte Dame meinte cs damit gewiß herzens gut, denn das Haus war groß genug und hatte sür ein halbes Dutzend Söhne Platz. Aber gerade für diese beiden war cs zu klein. Jeder wollte cs allein für sich haben und den andern hinanswerken. Dabei stützte sich der Altere auf eine Testamcntsvorjchrift des Vaters, der Jüngere auf die Verfügungen und mündlichen Anord nungen der letzten Besitzerin, nämlich der Mutter. So ging denn der Prozeß los. Es kamen die Schriftsätze und Termine, die Repliken und Duplikcn, die Protokolle und vorläufig vollstreckbaren Urteile, die Berufungen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die Appellationen, die Rückverweisungen — eS war eine herrliche Sache und dauerte jahrelang * „Ja, so lange habe ich aber doch nicht Zett, Herr Voggenhuber. Welchem von den beiden Brüdern gehört cs denn nun?" fragte der Arzt, um die Sache kurz abzu- fchneiden. „Keinem von beiden.^ „Wem denn?" „Dem Advokaten, der die Prozesse geführt." ll)r. Hcrwarth sah sich -en alten bissigen Mann näher an. Es lag eine gewisse ironische Energie in seinem Wesen. Der Arzt hatte schon gehört, daß er früher einmal einen langen Prozeß um einen geringfügigen Gegenstand — um das Recht, an der Grenze seines Grnndstückes eine Maner aufzurichten — geführt und ihn verloren hatte. Er mußte die Mauer wieder wcgrcißen. Das wurmte den alten Mann jetzt noch, und er gab die Schuld daran sonderbarer weise nicht der Rechtslage, sondern dem Advokaten seines Gegners, dem Rechtsanwalt Or. Habicht. „Das ist das Haus des Rechtsanwalts Habicht?" fragte der Arzt rasch. Voggenhuber nickte. Dann fuhr er fest und kernig fort: „Rechtsanwalt Lorenz Habicht I und seit kurzem auch des Rechtsanwalts Lorenz Habicht II. Sv unterscheiden sich nämlich Vater und Sohn. Ob cs sonst noch einen Unter schied gibt, weiß ich nicht. Ich glaube es aber nicht. Kmz, Habicht Numero I kaufte das Haus aus der Pleite der Brüder heraus und seitdem gehört es ihm. Recht muß Recht bleiben. Er hat gewiß seine liebe Mühe mit den beiden Streithammeln gehabt , also gebührt ihm auch der Lohn." Verbissen und wütend senkte der alte Mann den Blick zu Boden und ballte die Faust in der Tasche. „Und was wurde aus den beiden Brüdern?" fragte der Arzt weiter. Der alte Voggenhuber zuckte die Schultern und zog die buschigen Augenbrauen hoch. „Was wird aus solchen Leuten? Der eine war ein Landwirt und nahm später eine Stellung als Guts inspektor — ich glaube in Pommern oder in Ostpreußen an. Ter Mann eignete sich aber wohl zu nichts. Ich weiß nur, daß dann einmal beim Stadtrat ein Bericht einlicf. Man wollte Unterstützung für ihn. Er hatte sich daS Trinken angewöhnt — ans Arger vermutlich — und lag im Spital. Wir konnten ihm nichts geben, denn sein Armcnrccht war erloschen. Ich glaube, er ist tot." „Und der andere?" „DaS weiß ich nicht. Er war ein Künstler, ein Musikus, natürlich ein verrückter Kerl. Er lief fort und stromerte in aller Herren Ländern herum. Man hat nichts mehr von ihm gehört. Wer weiß, an welchem Straßengraben er liegt." „Adieu, mein lieber Herr Voggenhuber", sagte der Arzt und reichte dem Alten die Hand. ,-Di« Welt geht, wie sie nun einmal geht. Es muß jeder selber zusehen, daß er nicht unter die Räder kommt." „Schon recht, Herr ouc>>. Es giebt aber auch Leute, von denen man sagt: Wenn den der Teufel nicht holt, dann giebt es keinen." Der alte Voggenhuber war doch ein recht verbissener Knasterbart, dachte 1)r. Herwanh im Wcitcrgehen. Natürlich spielte er mit seiner letzteren Äußerung auf den Rechtsanwalt Habicht an, aus den er nun einmal einen Zahn hatte. Wahrscheinlich gab cs in diesen Ansichten auch noch manchen Gesinnungsgenossen, denn solch ein Rechtsanwalt kommt in seiner Praxis mit einer Menge Leute zusammen, die doch nicht alle ihre Prozesse gewinnen können. Da giebt cs leicht eine Menge mehr oder minder offener Feinde, die nur auf eine Gelegenheit warten, um ihrerseits dem Rechtsanwalt einen Denkzettel zu geben. Selbstverständlich konnte sich aber der Arzt als junger, Praxis suchender Anfänger nicht in solche Geschichten mischen. Er mußte sich mit allen gnt zu stehen suchen, ihr Vertrauen erwerben, damit er zu Praxis kam und damit er selbst leben konnte. Besonders war es für ihn nicht ratsam, sich gegen so reiche und einflußreiche Leute wie Rechtsanwalt Habicht aufzulehncn. Habicht war mehr facher Millionär, hatte seine Hände in allen möglichen Ge schichten, war als Syndikus oder Aufsichtsrat bei ver schiedenen industriellen Unternehmungen beteiligt, und dann — ein junger Arzt .ne» in seinem Bezirk ans alles acht — hatte Habicht eine heiratsfähige, leider etwas kränk liche Tochter, vr. Herwarth hätte sich also eine schöne Suppe einbrvckcn können, wenn er in das Horn des alten Voggenhuber stieb. Außerdem lag ja dazu auch gar keine Veranlassung vor. Wenn Rechtsanwalt Habicht von ge wissen Vorteilen, die ihm seine Gcsctzcskennlnis, seine Kenntnis -er intimsten Verhältnisse, die er infolge seiner Praxis erhielt, Gebrauch machte, wer wollte ihm das ver denken? Wer hätte es an seiner Stelle nicht ebenso ge macht? Es ging nun einmal ein egoistischer Zug durch die Welt. Nahm nicht jeder, was er mit Fug und Recht cribischcn konnte? Manche gingen sogar noch weiter. Der Kampf ums Dasein ist keine leere Redensart, und De. Her warth, der seine Studien mit Not und Mühe und unter allerhand harten Entbehrungen vollendet, war nicht der Mann, der den Ernst und die drohende Wucht dieser Worte verkannte. So jung er auch »och war, so hatte er dabei doch schon manchen zu Grunde gehen sehen. Es -ab dabei mehr Verwundete und Tote wie in mancher Schlacht; denn es geht aus diesem Kampf eben niemand ganz heil hervor. Etwa zwei Stunden später kam er von seiner Runde zurück, und als er sich wieder dem Marienplatz, an dem das Haus des Rechtsanwalts Habicht lag, näherte, hörte er schon von weitem sonderbare dumpfe und dröhnende Schläge. Was konnte das sein? fragte er sich überrascht. Es klang wie eine große Pankc. Aber woher konnte in dieser stillen, vornehmen Gegend solche Musik kommen? Als er näher kam, sah er, um was es sich handelte. Hcrumzichcnde Gaukler, Jahrmarktsleutc, Zigeuner oder irgend welches armselige Gelichter, das das Schicksal auch „unter die Räder" geworfen, hatten ihren Tummelplatz auf dem Marienplatz und direkt vor dem Hause des Rechts anwalts Habicht aufgeschlagen. Ein hübscher schwarz haariger, ungemein spaßhaft aussehender Mann von etwa sechs- oder achtundzwanzig Jahren laran^ieir,' das „hoch verehrte Publikum", das iu Gestalt einiger Gassenjungen, Dienstmädchen und Laufburschen hcnunstand, um sich die Wunder der Truppe anzuseyen. Es waren interessante nnd jedenfalls höchst sonderbare Leute, die dem sogenannten Wohnwagen -er Truppe ent stiegen waren und der nnn, schreiend bunt bemalt mit der Aufschrift „Eompaüia Eazador" etwas abseits von der Arena, wo die Vorstellung stattfand, stand. Da war zu nächst der Direktor Rodvlfv Eazador, ein schon älterer Herr', der im roten Frack mit blanken Knöpfen, weißer Weste, weißen, eng anliegenden Lcdcrbvsen und hohen geld ledernen Stulpenstiefeln herumstolzicrtc. Leider machten aber diese Herrlichkeiten, wie auch der ganze Mann, und man konnte eigentlich sagen, die ganze illnstre Compania mitsamt dem herrlichen Wohnwagen einen recht verwcttcrten und verwitterten Eindruck. Des halb — und vielleicht auch wegen der etwas rauhen Witte rung — hatte der Direktor Eazador über seinen pomp haften Anzug einen dunklen Kaiscnnantcl, -en er lässig über die Schultern gehängt, geworfen. In seinem Gesicht war Runzel an Runzel, sein Teint ein kräftiges, gesundes Braun. Man sah diesen» Gesicht die heiße Sonne, den Sturm und Regen der Landstraße, daö ruhelose, leiden schaftliche Hin und Her des Wanderlebens an. Die Haare, die schon -erb ergraut waren, trug er lang und sehr stark eingefcttet, wie die andalusischen Zigeuner, und nur die etwas tief unter der Stirn liegenden Augen flimmerten nnd leuchteten manchmal in einer wehmütigen, träume rischen Weichheit auf, die wie ein Wetterleuchten aus fer ner, glücklicherer Zeit deS Mannes von dessen zarterem nnd traulichem Innenleben Kunde gab. Die Härte des Leben» und die Schwere de» Schicksals waren dem Manne
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