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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020924013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-24
- Monat1902-09
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VI 3393, führen Aufträge auf Monats- und Vierteljahres-Abynnements zu Originalpreisen aus. ^eifinnige und Socialdemokraten bei -en nächsten Neichstagswahlen. Auf dem in diesen Tagen stattfindenden Parteitage der freisinnigen Vvlkspartei in Hamburg wird sich die Partei mit der den anderen Parteien gegenüber einzu schlagenden Tacttk zu beschäftigen haben. Insbesondere wird die Stellungnahme gegenüber der Socialdemokratie präcisirt werden müssen, da einerseits in einer Reihe von Wahlkreisen, in denen die freisinnige Volkspartei mit anderen bürgerlichen Parteien in die Stichwahl kommt, die Eocialdcmokratie den Ausschlag gtebt, andererseits umge kehrt in einer Reihe von Wahlkreisen, in denen die Social demokratie mit anderen Parteien in die Stichwahl kommt, die freisinnige Vvlkspartei die Entscheidung in der Hand hat. Die socialdemokratische Presse hat in den letzten Mo naten wiederholt Zetcrmordio über „freisinnigen Vcrrath" geschrieen. Zunächst war sie darüber empört, datz die frei sinnigen Wähler nicht bei den Wahlen in Memel und Bay reuth Mann für Mann für den Svcialdemokraten einge treten sind. Und noch weit entrüsteter war die socialdemo- kratische Presse über den Entschluß der Freisinnigen im Wahlkreise Forchheim-Kulmbach, bei der im vergangenen Monat stattgehabten Neichstagsersatzwahl von vornherein kür einen nationallibcralen „Brotwucherer" einzutreten. Vergebens erklärten die „Freisinnige Zeitung" und der „Fränkische Courier", daß im Wahlkreise Forchheim ein Zollgegner doch nicht durchdringen könne, sondern daß man nur die Wahl habe zwischen einem gemäßigten Schutz zöllner und den ausgesprochen agrarischen Parteien, näm lich dem bayerischen Centrum und dem Bunde der Land- wirthe. Mit echt socialdemokratischer Höflichkeit bezeichnete der „Vorwärts" dies als „dumme Ausrede". Vom Stand punkte der Zollgegner bedeute ein Anhänger des Re- gierungSzolleS ein größeres Uebel, als wenn lauter Befür worter des 7ZH Mark-Zolles gewählt würden. Diese Auffassung stellt am Besten den Gegensatz zwischen der Socialdemokratie und jeder bürgerlichen Partei, auch dem bürgerlichen Radikalismus, fest. Die Politik der So cialdemokratie ist das „Drüber und Drunter". Sie hätte kaum etwas dagegen, wenn wieder Zustände einträten, wie sie in der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter der kläglichen Regierung Friedrich Wilhelms IV. geherrscht haben. „Der Bogen, allzu straff gespannt, zerreißt" — darauf rechnet die Socialdemokratie. Sie erwartet von einer extremen Reaktion, sei es auf wirthschaftltchem, sei es auf politischem Gebiete, eine gewaltsame Gegenreaktion. Auf diesem Standpuncte der Hoffnung auf politische Wirrnisse kann eine bürgerliche Partei sich sowohl aus politischen wie aus wivthschaftlichen Gründen niemals stellen. Aus politischen nicht, denn auch die linksliberalen Parteien wollen keine Gefährdung des monarchischen Systems und keine inneren Wirrnisse, die Deutschlands Kraft dem Auslande gegenüber lahm legen müßten; aus wirthschaftlichen Gründen nicht, denn je verworrener die innerpolittschen Zustände sind, desto mehr verschlechtern sich die Aussichten von Gewerbe und Handel, und da die letzten Jahre ohnehin eine rückläufige Bewegung auf diesem Ge biete gezeigt haben, so besteht gewiß kein Anlaß, die Situ ation noch zu verschlechtern. Jede bürgerliche Partei trägt die Verantwortung für den Fortbestand der bestehenden Gesellschaftsordnung. Daß jede Partei an dieser Ordnung manches geändert und nach der Auffassung der Partei gebessert sehen möchte, und daß die freisinnigen Parteien—von ihrem Standpunkte aus gewiß nicht mit Unrecht — sogar recht vieles geändert sehen möchten: all' dies ändert doch daran nichts, daß alle bürger lichen Parteien die großen Grundlagen erhalten sehen wollen. Es wäre daher Selbstmord, wenn bürgerliche Parteien diejenige Partei fördern wollten, die einen „Kuddelmuddel" hcrbeiführen möchte, um bei dieser Ge legenheit den entscheidenden Stoß gegen die Gesellschafts ordnung zu führen. Die freisinnige Wählerschaft hat denn auch in sehr seltenen Fällen sich dazu verstanden, einem Socialdcmv- kraten zum Stege über einen bürgerlichen Gegner zu ver- helfen. Es wäre aber ein wünschenswerther Fortschritt, wen» auch von Partei wegen klar und bestimmt gegen die Socialdemokratie Stellung genommen würde. Der Sv- cialdemokratie selbst gegenüber kann dies den Freisinnigen in einer gewissen Weise nur nützen, weil dann die Social demokratie nicht mehr in jedem einzelnen Falle über „frei sinnigen Verrath" wettern kann, sondern ein für alle Mal weiß, daß sic von keiner bürgerlichen Partei etwas zu er warten hat. Sie behauptet ja immer, daß sie allein nach und nach das ganze Volk für sich allein erobern werde; also kann sic nur zufrieden sein, wenn ihr Gelegenheit gegeben wird, ihre Behauptung wahr zu machen. Deutsches Reich. -r- Berlin, 23. September. (Priester als Provinzial- sckulräthe.) Gon klerikaler Seite wird darüber Klage geführt, daß zur Zeit kein emsiger Priester eine Pro- vinzialsckulratdssielle bekleide, wahrend „ehemals" wenigstens einige Priester in der Stellung eine- Provinzial» sckulrathS gewesen wären. Ist diese Behauptung richtig, dann bat trotzdem die Kirche keinen Grund zu Beschwerden. Denn die priesterliche Laufbahn ist keine geeignete Vorbildung für einen Provinzialscdulralh. DaS erkennt man leicht, wenn man sich den Wirkungskreis eines Plvvinsialscbulratbs vergegenwärtigt. Ein solcher ist bekannt lich Mitglied dcS P r o v i n z r a l s ch u l c o l l e g i u m S, daS, eine selbstständige collegiale Behörde, als Organ des CultuSministerS die Verwaltung der höheren Schulen ein schließlich der Schullehrerseminare, Blinden- und Taubstummen anstalten führt. Demgemäß erstreckt sich die Wirksamkeit der Provinsialschulcollegien u. A. auf folgende Gegenstände: die Prüfung der Grundpläne oder Statuten der Schulen und Erziehungsanstalten, sofern sie deren innere Einrichtung be- rühren; die Prüfung neuer, die Revision und Berichtigung schon vorhandener Schulordnungen und Reglements, sowie der DiSciplinargesetze, ferner die Abgabe zweckmäßiger Vorschläge zur Abstellung etwaiger beim Ergebung«- und Unterrichts- wesen anzutrefsender Mißbräuche und Mängel; die Prüfung der im Gebrauch befindlichen Schulbücher und Bestimmung der abzuschuffenden und einzusübrenden; die Abfassung neuer für uölhig erachteter Schulbücher; die Abfassung und Revision der Pläne zur Gründung und inneren Einrichtung von Schullehrerseminaren, sowie der Anstalten zur weiteren Auö- bildung schon angestelller Lebrer, ferner die Aussicht und Leitung der Seminare, sowie Anstellung und Diöciplin ihrer Lehrkräfte. — Wik wenig angesichts dieser Ausgaben ein Priester als Provinzialschulratb an seinem Platze ist, leuchtet ohne Weiteres ein. Die Rechte der Kirche aber sind ge- wahrt, auch wenn kein Priester eine ProvinzialschulratbSltellr bekleidet. Stellt doch bezüglich der Seminare der Erlaß deS CultuSministerS über die Lehrpläne für Präpa. randenanstatten und Lehrerseminare vom l. Juli l90l fest: „Die Lehrpläne für den Religionsunterricht sind im Einvernehmen mit den kirchlichen Behörden ausgestellt." — Und was die höheren Schulen angeht, so schreibt der Erlaß des CultuSministerS über die neuen Lehrpläne für die höheren Schulen vom 29. Mai 190l der katholischen Religiouslehre folgendes „allgemeine Lehr- ziel" vor: „Der katholische Religionsunterricht an- böheren Schulen bat, al« wesentlicher Bestandthril deS GesammtorganiSmuS der Schule nicht in abgesonderter und vereinzelter Stellung, sondern mit allen Zweigen der bildenden und erziehenden Thäligkeit der Schule in reger Wechsel- beziehung eng verbunden, die besondere fachunterrickrtliche Auf gabe, die katholische Jugend nach Maßgabe ihrer geistigen Ent wickelung mit den Lehren und Vorschriften, wie mit dem inneren und äußeren Leben und Wirken der katholischen Kirche bekannt zu macken, sie in der Ueberzeugung von der Wahrheit und dem göttlichen Ursprünge des Christentbnms und der Kirche zu befestigen und sie anzuleiten, diese Ueberzeugung durch das Leben in und mit Christus und seiner Kirche treu zu be wahren, sorgfältig zu pflegen und stets unverbrüchlich zu be kennen." — Daß nur priesterliche Provinzialscbulräkhe die Contiole über die Durchführung dieser Grundsätze auszuüben vermöchten, läßt sich schon im Hinblick auf die katholischen ReligionSlehrer nicht behaupten. F. Berlin, 23. September. (Die Alkohol frage und die Socialvemokratie.) Die Anträge mehrerer social demokratischer Organisationen, der Parteitag möge der social demokratischen Presse empfehlen, der Alkoholfrage größere Aufmerksamkeit zu schenken und vor den Gefahren deS übermäßigen Alkoholgenusses zu warnen, haben das vorauS- gesehene Schicksal gehabt: sie wurden vom Parteitage für erledigt erklärt. So verhält sich eine Partei, die sich als die alleinige Arbeiterpartei geberoet, in einer Angelegenheit, deren praktische und thatkiäftige Be handlung sür die Arbeiterklasse von dem giößken realen Nutzen sein würde. Kläglich genug sind die Vorwände, unter denen man die fraglichen Anträge zu den Acten legte. Nichts als ein leerer Borwand ist eS, wenn der Anwalt deS Alkohols, „Genosse" Blos-Leipzig, für die wahre Absicht jener Antragsteller das Streben ausgab, die Arbeiter auf die voll kommene Enthaltung vom Alkobolgenuß zu verpflichten. Ein zweiter Vorwand war die Behauptung, daß Trinksitlen und Trinkzwang nur bei den Studenten mit ihrem Bier- comment bestünden. AlS ob Trinksitlen von studentischem Comment unzertrennlich wären! Ein dritter Vorwand war die ungeheuerliche Vorspiegelung, daß die Arbeiter für den Alkohol „verdammt wenig" übrig haben. Ein Blick ins Leben genügt zur Kritik dieser Behauptung. Das Geständnis): „Es kann unS ganz gleichgiltig sein, ob ein Parteigenosse dem Alkohol ergeben ist oder nicht" — beweist auf Las Schlagendste, daß die Socialdemokratie im Pa>teiinteresse auf daS Wohl der Arbeiter und ihrer Familien pfeift. * Berlin, 23. September. (Die Kosten der preu- ßischen Volksschulen.) Die durch das preußische stati stische Bureau vorgenommene Erhebung der Volkssckulstatistik vom 27. Juni l90l hat ergeben, daß die gesammten laufenden Sch ulunterbaltung-kosten für die öffent lichen Volksschulen in Preußen 190l 269 942 375 betragen haben; 1896 waren es nur >85 617 495 Von den Kosten des Jahres 1901 lassen sich über 8V4 Mill. Mark aus Staatsmitteln fließende Ausgaben sür daS VolkSlchul- wesen nur schätzungsweise auf die Schulen der Städte und die deS platten Landes vertheilen. Gescoieht dies, so fallen 128 415 818 ^6 SckulunterbaltungSkosten auf die Städte und 141 526 557 -Xk auf da« Platte Land. Die Aufbringung der gesammten SchulunterhaltungSkoiien erfolgte 1896 1901 aus Staatsmitteln mit 63 41S 932 — L8,„ <>/'<> 73 487 388 durch die Sckul- 27,« unterhaltungs pflichtigen . . » davon Schulbau- Anleihen . .. » durch Erträge des SchulvermögenS, etnlckllkßiick de« Werthe» v. freien Dienstwohnungen - au« sonstigen Quellen einschl. 116 858 310 - — 62„« - 859/140 - - - Io O06 903 - --- - 177 842 574 s- 65,..°/<» 19 549 448 14 98S365 .St Les Schulgeldes » Die Erhebung 582 341 - 0., 3 623 048 l-- 1 » , c ,, von 1901 ist in manchen Puncien, namentlich wegen weiter gehender Unterscheidungen etwas genauer als alle vorhergehenden; deswegen namentlich die Verschiebung von 1896 auf 1901 in dem letzten Posten. DaS ist indessen nicht von großem Belang. Der im vorletzten Posten enthaltene Werth der freien Dienstwohnungen betrug 1896 7 365 555 und 1901 7 551 765.6; er ist nur zu einem Theile Ertrag des SckulveimögenS und wird zu einem anderen Theile als Belastung der SchulunterbaltungSpflicktigen anzuseben sein. Aus Staatsmitteln wurden 1896 1,68 und 1901 2,13 -L auf den Kopf der Bevölkerung für die öffent lichen Volksschulen verwendet. Die Schulunterhaltungskosten werden zum größten Tbeil durch die Schulunterbaltungs- pflichtigen getragen, obschon die Leistungen deS Staates sehr erheblich sind. Die Pflichtigen werden mit solchen Kosten unmittelbar belastet; sie hallen für die laufenden Volksschul» kosten auf den Kopf der Bevölkerung aufzubnngen 1896 1901 in den Städten . . . Ü.07 7,10 auf dem Lande . . . 2,66 - 3,69 - im Wanzen 3.67 - 5,l6 - Die Belastung ist in den Städten aus naheliegenden Gründen höher als auf dem Lande; die Steigerung der Be lastung ist aber dort und hier seit süns Jahren nahezu in gleichem Verhältnisse erfolgt. So einickncidende Wirkungen daS LebrerbesoldungS-Gesetz auch gehabt bat, eine Verschiebung in dem früheren Verhältnisse zwischen Stadt und Land hat es nicht heibeigesührt, wie eS ja auch nicht beabsichtigt, zeit weise aber befürchtet worden war. (D Berlin, 23. September. (Telegramm.) Die „Nord deutsche Allgemeine Zeitung" erklärt, kein wahres Wort sei an der Erzählung der „Birmingham Post", daß Kaiser Wilhelm Lord Roberts und den amerikanischen General Leirrlletsn. Unter hoher Protection. Eine Erinnerung an Kaiser Wilhelm I. Bon tzedor von Köppen. Naurus v rdcikn. Durch -le Ltcktenthaler Allee in Baden-Baden wandelte im Hochsommer 1877 in den Morgenstunden, noch ehe dieselbe von Curgüsten und Spaziergängern aller Art gefüllt war, ein stattlicher alter Herr im grauen Havelock, den Cyltn-erhut aus dem Kopfe, in der Hand einen Spazierstock, auf den er sich jedoch nur leicht stützte; denn obgleich sein Haar und Bart weiß waren und sein Antlitz nranche Furche zeigte, ging er doch nrilttärisch ge rade und aufrecht, die ehrfurchtsvollen Grüße der ihm begegnenden Personen nach beiden Seiten freundlich er widernd. Als der alte Herr an einer Stelle angelangt war, wo die Allee vor einer Brücke über die Oos eine kleine Biegung nrachte, rollte plötzlich ein bunter Gummi ball dicht vor seine Füße, und sogleich darauf sprang aus einem Ahorngebüsch seitwärts der Allee ein liebliches kleines Mädchen hervor, haschte den Ball und rief, indem es die langen blonden Flechten aus -em erhitzten Ge sichtchen schüttelte und den Ball wie zum Wurfe hoch emporschleuderte: „So, Phili, nun kann eS wieder losgehen!" In demselben Augenblicke trat aus dem Gebüsch ein bildschönes, blühendes junges Mädchen hervor, stutzte ein wenig, als es den alten Herrn erblickte und verbeugte sich nrit einem tiefen, förmlichen Knix. * „Phili ist wohl Deine Schwester?" fragte der Herr das nahe vor ihm spielende Kind, dem er mit wohlgefälligen Mienen zuschcmte. „Oui, ^lonsisur, o'est m» sosur", antwortete die Kleine unbefangen. „WeShalb antwortest Du mir französisch?" fragte darauf Jener, „da ich Dich doch deutsch fragte und Du doch selbst vorbin deutsch sprachst." Mama ha« mir gesagK", anwartet« da» Kind jetzt deutsch, „ich sollte Fremden immer französisch antworten, und da Sic doch ein fremder Monsieur sind" „Mach' einen Knix, Minka", fiel jetzt plötzlich Phili, er- röthesid, halblaut ein, „der Herr ist der Kaiser!" „Wie, der Kaiser, ist das auch wirklich wahr?" fragte Minka, die Augen groß zu dem hohen Herrn aufschlagend, gleichsam als wunderte sie sich, daß er als Kaiser nicht Scepter und Krone trage. „Du mußt es schon glauben", sagte dieser lächelnd, „cs ist in der Thal so." „Der deutsche Kaiser!" rief Minka entzückt; „et, da wird sich Großpapa freuen, wenn er hören wird, daß ich mit Ihnen gesprochen habe." „Aber wer bist Du, Kind, und wie heißt Dein Groß papa ?" „Mein Großpapa ist der kaiserlich russische General Graf K., und wenn Die der deutsche Kaiser sind, so müßten Die ihn eigentlich kennen, Sie haben ja doch mit ihm einen und denselben Geburtstag." Der Kaiser sah verwundert erst daS Kind, dann dessen ältere Schwester an, als wollte er diese fragen, wie er die Worte zu verstehen habe. „Verzeihung, Ew. Majestät!" sagte diese, „meine kleine Schwester hat wohl oft gehört, wie sich der Großvater rühmte, mit Ew. Majestät an demselben Tage und in der selben Stunde geboren zu fein, ja, daß Ew. Majestät Herr Vater die Gnade gehabt, bet ihm eine Pakhenstclle zu übernehmen." Der Kaiser besann sich eine kurze Weile; dann fuhr er zu der älteren der beiden Schwestern fort: „Aber wie kommt eS, daß Ihr Großvater, wenn er hier am Orte weilt, sich noch niemals bei mir hat sehen lassen, obgleich er doch manche persönlichen Beziehungen zu mir hat?" „Ew Majestät", antwortete Phili, „Großvater hat das Unglück, auf beiden Füßen gelckhmt zu sein und weilt hier zur Cur. Meine Mutter und wir Beide haben ihn be- gleitet." „So", nickte der Kaiser, „nun, dann grüßen Sie Ihren Großvater, sagen Sic ihm, daß ich mich freuen würde, ihn zu sehe«." Darauf setzte der Kaiser, freundlich grüßend, seinen Weg fort. Am anderen Tage, schon vor der gewohnten Promc- nadenstunde des Kaisers, saß an demselben Flecke, wo die obige Begegnung stattgefunden hatte, an der Lichtenthaler Allee der kaiserlich russische General Graf K. in seinem Rollstuhl; rechts und links desselben standen seine beiden Enkeltöchter. Minka hielt ein frisches Vlumensträußchen in der kleinen Hand, Phili hatte ihr ein Berschen gemacht und eingelernt, mit welchem Jene ihr Sträußchen dem Kaiser überreichen sollte, wenn dieser sich etwa an sie wenden würde. Der General strich seinen langen, weißen Schnurrbart in die Höhe und reckte sich so gerade, als eS ging, in seinem Rollstuhl. Von seiner Wohnung in der Villa Meßmer her kam der Kaiser geschritten, dieses Mal in Begleitung eines seiner Flllgelcrdjutanten. Er blieb stehen und erwiderte den ehrerbietigen Gruß des alten Generals, indem er ihn nöthigte, sich wieder bequem in seinen Rollstuhl zurück zulehnen: „Ich grüße Sie, lieber General! Dir Kleine hat mir bereits erzählt, daß Die hier sind, und hat mir zugleich Ihr Alter verratheu, welches genau dem meinigen gleich kommt. Ich erinnere mich Ihres NamenS wohl. Sie standen früher in der preußischen Armee. WeShalb haben Sie den preußischen Dienst verlassen?" „Darf ich offen sprechen?" fragte der General. „Wie e's einem alten Soldaten geziemt", antwortete der Kaiser. „Nun denn, aus Furcht vor der Protection, die mir als dem Pathenklnde Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm s des Dritten in Preußen zu Theil ward. Man schrieb alle Anerkennung, die ich tm Dienste fand, nicht meinem Verdienste, sondern der Protection Seiner Maje stät zu. Aus einer solchen Veranlassung kam es zum Zweikampfe zwischen mir und einem Kameraden, den ich gefordert hatte. Ich ward vor ein Kriegsgericht gestellt und als der Schuldige verurtheilt, aber — zu drei Tagen FestungSarrcst begnadigt. In dieser Begnadigung er- kannte man abermals die Allerhöchste Protection — da erbat ich aus Furcht vor der Protection meinen Abschied auS dem preußischen Dienste und trat in die russische Armee ein, in der ich auch ohne Protection zum General «xuretrt«. Aber mein Herz ist in Preußen geblieben und hat für Preußen stolz und hoch geschlagen in der großen Zeit, die es unter Ew. Majestät durchlebt." „Sie sind leidend, wie ich sehe, und befinden sich gegen wärtig im Ruhestände!" „Seit acht Jahren, Ew. Majestät!" „Wer besorgt Ihre Pflege?" „Meine einzige Tochter, die Mutter dieser beiden Mädchen." „Und wo befindet sich der Vater?" fragte der Kaiser; er bemerkte, wie bei der Frage eine düstere Wolke die Stirne des Generals beschattete. „Der Graf Wladimir St.", antwortete er, „ist — in — Rußland. — Ew. Majestät", fuhr er mit gedämpfier Stimme fort, „in Rußland werden Vergehungen, wie seiner Zeit das meinige, nicht mit drei Tagen Fesiungs arrest gesühnt." Der Kaiser sprach einige leise Worte mit seinen, Flügeladjutanten. „Nun, lieber General", wandte er sich darauf wieder zu diesem, „ich hoffe, daß Sie jetzt die Protection des Königs von Preußen nicht mehr zu fürchten brauchen. Wenn Sie ihrer noch einmal bedürfen sollten, wenden Sic sich vertrauensvoll an mich. Leben Sie wohl!" Er reichte dem alten Soldaten die Hand zmn Abschiede und streichelte darauf sanft das blonde Haupt seiner kleinen Freundin, die schon sehnsüchtig auf die Gelegen- hett wartete, dem Kaiser ihr Sträußchen überreichen und dazu ihr Berschen sprechen zu dürfen. Zwei Mo,rate waren seitdem vergangen, La erhielt das alte Pathenkind König Friedrich Wilhelm s des Dritten einen Brief seines Schwiegersohnes aus einem russischen Gouvernement in Sibirien, in welchem derselbe ihm froh bewegt anzetgte, daß er durch einen Ukas des Zaren Alexander II. aus der Verbannung, zn der er wegen eines militärischen Vergehens verurtheilt gewesen, ent lassen worden sei und die Erlaubniß erhallen habe, für einige Zeit zn seiner Gattin und seinen Kindern zurück» zukchren. Das Pathenkind König Friedrich Wilhelm s deS Dritten wußte wohl, wessen Protection er, sowie sein Schwiegersohn diese Wohlthat zn danken hatten. Jetzt sind Beide, der Schützling sowohl, als auch der Sohn seines königlichen Beschützers, in den Schutz eine» Höheren etn-egan-en, auf -en rptr All, aagrwieses siyd.
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