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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020927010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-27
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Anzeiger,-Prei- die Sgespaltene Petttzeile LS Reel»««» unter d«u> Nrdactiouästrich (»gespalt«) 78 vor d« Familieunach» richt« («gespall«) SS Tabellarischer und Hiffernsap entsprechend höher. — Gebühr« für Nachweisung« und Osserteuauuahme LS H (exel. Porto). Lrlra-Veüag« (gefalzt), „r »Ni der Morg«»Au»aab«, »h»« PostbesSrderuag ^4 SS.—, mit PostbesSidernng 70.—> Iinnahmeschluß str Adrige«: Ab«»d-I»Sgab«r vormittag» IS Uhr. M„,«»-Kl»s-at«: Nech»NtNig» 4 Uhr. Anzeige« find stet» a» du Expedition g» richte» Die Expedition ist tSoch«»ta^ ««unterbrochen geöffnet von früh S bi» «b«d» 7 Uhr. Druck und Verla- von E. Pol- in Leipzig. Nu 492 Sonnabend den 27. September 1902. SS. Jahrgang. Englisch-framiUche Gegenflhe in Siam. LS Die Landung englisch-indischer Truppen in Kelantan und die Commentare der französischen Presse dazu haben die Gegensätze in den Vordergrund -deS politischen Inter- esies gerückt, die zwischen England und Frankreich in Äam trotz des Vertrages vom 13. Januar 1896 bestehen. Dieser Vertrag setzt sich aus vier Artikeln zusammen. Artikel 1 bezeichnet die Gegenden, Flußbecken und.Küsten striche, in welche keine der beiden Mächte vhne die Zu stimmung der andern bewaffnete Kräfte entsenden darf, und verpflichtet außerdem jede der zwei Mächte, die andere an den Privilegien theilnehmcn zu lassen, deren sie selbst in Liam theilhasttg wird. Artikel 2 bestimmt die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit des Königreiches Liam. Artikel 8 umschreibt die Grenze der Besitzungen oder der Interessensphären Frankreichs und Groß britanniens. Artikel 4 setzt fest, daß alle Privilegien und HaNdelsvortheile, die eine der beiden Mächte in den chine sischen Provinzen Vun-Nan nnd Lsc-Tschuen erwirbt, auch der andern zu Gute kommen sollen. ES entsprach nicht dem Geiste dieses Vertrages, wenn Frankreich es darauf anlegte, dem Königreiche Liam innere Schwierigkeiten zu bereiten. Die französischen Priester, die in Siam ansässig, spielten in dieser Richtung durch die Vertretung dreister Forderungen eine Rolle, nicht minder die französischen Pfandleihhausinhaber, deren Wirksamkeit eins,» Krebsschaden in Liam, der Spicl- hüllenwirthschaft, den Boden 'düngte. Französische Priester riefen auch den Grundstücksstreit hervor, der im Juli dieses Jahres dazu führte, daß Frankreich 206 Mann und 5 Geschütze in Chantabun landete. Es kann nicht Wunder nehmen, daß Siam den französischen Treibereien gegen über Anlehnung an England suchte. Freilich wurde die von englischer Leite gewährte Unterstützung in dem Maße matter, in dem der südafrikanische Krieg sich in die Länge zog. Jetzt aber, nach dem Friedensschlüsse, zeigt sich so gleich, daß die englische Gegenwirkung gegen die fran zösischen Umtriebe in Liam lebhafter einsctzt. Es ist be zeichnend, daß der Pariser „Tempo" darüber klagt, der siamesische Gesandte in Paris reise nach jeder Verhandlung übe'' die vorhandenen Differenzen nach London, nm sich uior. ^c.nauuugoutagregetn geoen zu lassen. Wie lebhaft in Paris trotz solcher Klagen die Neigung ist, in Siam England gegenüber einzuleukcn, verräkh ans das deut- lichste ein Artikel des „Journal deö Dsbats". Das ge nannte Pariser Blatt schlägt nämlich, wie schon gemeldet wurde, die Herbeiführung einer gemeinsamen Controls über Siam durch Frankreich und England vor und sucht England für seinen Vmlchlag durch das AuSmalen der Gefahr zu bestimmen, cs könne eine dritte Macht die ausschlaggebende in Siam wenden. Merk würdiger Weise spricht das „Journal des Dsbats" iu erster Linie von einer ostasiatischcn Macht, die eine solche Rolle übernehmen könnte, und sucht die europäische Soli darität gegen die zur Zeit noch herrschenden europäischen Rivalitäten auszuspielcn. Die Herbeiführung einer englisch-französischen „Cou- trole" über Siam ist jedoch gegenwärtig ohne Zweifel eine recht schwierige Sache. Die Folge eines derartigen Schrittes würde unter allen Umständen eine Verstärkung der Position Frankreichs in Ostasien sein. Dergleichen liegt selbstverständlich nicht im englischen Interesse, und Englantd wird deshalb alles vermeiden wollen, was in der godachten Richtung den Franzosen znm Vorthcile ge reichte. England muß diesen Standpunct um so nachdrück licher wahren, seitdem der französisch-rnsstsche Zwcibund auch für Ostasien in Frage konrmt. Auch andere Mächte werden diplomatisch nicht still liegen, wenn cs gilt, den französischen Wünschen iu Siam zu begegnen. Was Deutschland anbelangt, so ist sein Einfluß in Liam weniger durch die Politik, a!s durch Eulturarbcit begründet worden. In letzterer Beziehung aber fallen die deutschen Interessen in Siam schwer genug in die Waagschale. Es sei nur daran erinnert, daß die Dampferlinic Banglok-Singaporc seit einiger Zeit in deutsche Hände übcrgegangcn ist, daß die siamesische Post nnd Telegraphie unter deutscher Leitung steht, daß an der siamesischen Eisenbahn Deutsche hervorragende Posten inne haben. Ferner sind die Vereinigten Staaten durch sehr geschäftskundige Missionare in keineswegs belanglosem Umfange in Liam bethciligt. Endlich kommt Japans Ein fluß wehr und mehr zur Geltung. Daß Rußland im Busen von Siam eine Kohlenstation erwerben möchte, ist in der Presse von verschiedenen Seiten berichtet worden. Auch im Hinblick hierauf hat England kein Interesse an einer Stärkung der Position des Verbündeten Rußlands in Siam. Deutschland, Japan und die Vereinigten Staaten aber müssen naturgemäß darauf bedacht sein, in S»am po litische Constcllationcn fcrnzuhalten, die zu einer Ver kümmerung des Grundsatzes der „offenen Thür" führen könnten. Unter dieser. Umständen dürfte der frarrzüsifchc Plan, durch Herbeiführung einer englisch-französischen Controle über Siam dieses asiatische Reich zwischen England und Frankreich gewissermaßen ausznthctlen, vor der Hand ein frommer Wunsch bleiben. Zu der Angelegenheit wird uns übrigens von anderer Seite noch geschrieben: Die imperialistische englische Presse spricht sich je länger, desto schärfer zu Ungunstcu der Forderungen aus, die Frankreich in Siam gern durch setzen möchte. So erklären „Pall Mall Gazette", „M orntngPo st" u.A. sehr energisch, daß England nicht leichten Herzens aus seine Position im Thal des Menam verzichten oder Frankreich gestatten könne, die scinige unter Ausschluß jedes Änderen dort zu befestigen. Mit diesen Verwahrungen beschäftigt sich der Pariser „ Temps " in bemerkenswcrther Weise. Das genannte französische Blatt betont einerseits, daß es sich in Siam nicht, wie das „Journal des De-bats" cs als wünschcns- wcrth hingestellt hat, um ein „effektives Kondominium" für Frankreich und England handle, daß dort indessen der Boden für eine „Entente" gegeben sei. Andererseits hebt der „Temps" nachdrücklich hervor, daß es sich in Kelantan trotz der bekannten englischen Beruhigungs versuche nm eine englische Action handle. „Niemand — schreibt der „Temps" in Bezug hieraus — macht un seren Nachbarn daraus einet, Vorwurf. Aber Thatsachen sind Thatsachen. . . lind richtige Rechnungen machen gute Freunde. Wir wünschen, daß diese alte siamesische Rechnung wenigstens für eine gewisse Zeit in einer Art geregelt werde, die für beide europäische Länder zufriedenstellend ist. Asien ist groß. Es würde ein Jrrthum sein, -!vrt zum Nutzen Dritter eine fortdauernde Ursache von Verlegen heiten zu schassen oder zu erhalten. Man weiß, daß ein Japaner in Bangkok soeben zum Justitiar eruannt wurde. Das ist ein Vorgang ohne Bedeutung, so lange er vereinzelt bleibt. Aber schon zu viel Einflüsse geben sich iu Bangkok ein Rendezvous, und es ist durchaus nicht von Nutzen, die Lage noch zu compliciren; denn Frankreich könnte offenbar nicht erlanben, daß neue Mitbewerber an der Schwelle seines Besitzthums sich festsetzcn." — Bei dieser Abweisung jedes japanischen Wettbewerbes in Siam müssen die Franzosen sich darüber klar sein, das; Japan der Verbündete Englands ist. Deutsches Reich. Berlin, 26, September. (Ein national-socialer Angriff auf den Abgeordneten Bassermann.) Die national-sociale „Hilfe" richtet in ihrer letzten Nummer einen eigenartigen Angriff aus den Abgeord neten Bassermann. DaS national - sociale Organ bat nämlich Anstoß daran genommen, daß der Verband der nationalliberalen Jugendvereine vor Kurzem den Ab geordneten Bassermann „als einen Helden feierte". DaS war nach der Ansicht der „Hilfe" grundverkehrt, denn die „Jungliberalen" seien „social und antikatholisch", die ganze Agrarpolitik Bassermann's aber gebe aus Brodver- lbeuerung und Stärkung des katholischen Einflusses hinaus. „Bassermann, der Nachfolger Bennigsen's", schreibt die „Hilfe" wörtlich, „ist in Wirklichkeit zum Schleppenträger der Nach folger Windthorst's geworden. Weiß das die nationallibcrale Jugend nicht? Will sie das nicht sehen?" — Um die nationalliberale Jugend wissend und sehend zu machen, be gründet die „Hilfe" ihre Charakteristik Bassermann's als Schleppenträger des Nachfolger Windthorst's kurz und bündig mit den Worten: „DaS Cartell der Nationalliberalen und des CentruniS in der Mannheimer Stadtpolitik ist ohne Bassermann's Zustimmung unmöglich und im klebrigen ist jedes Eintreten für den Zolltarif der Regierung bei heutiger Sachlage ein Eintreten für lang, dauernde CentrumSherrschaft in Deutschland." Ob die Mannheimer Stadtpolitik von der Zustimmung deS Abgeordneten Bassermann abhänzt, ist uns nicht bekannt. Aber selbst wenn dem so wäre, würde der Abgeordnete Bassermann deshalb noch lange nicht zum Schleppenträger des Nachfolgers Windtborst'S. Denn bei der Benrtheilung der communalpolitischen Taktik darf nicht übersehen werden, welche dritte Partei in Frage kommt. Daß diese dritte Partei in Mannheim die Socialdemokratie ist, wird der „Hilfe" nicht verborgen geblieben sein. WaS aber den Hinweis auf die Zolltarifpolitik deS Ab geordneten Bassermann anbelangt, so übersieht die „Hilfe", daß die CentrumSpartei den Zolltarif der Regierung bekämpft. Wie kann da behauptet werden, daß ein Politiker, der für den Zolltarif der Regierung ein tritt, für langkauernde Centrumtherrschafl eintrete? Bei solcher Beweisführung wird sich die nationalliberale Jugend von der „Hilfe" weder wissend noch sehend machen lassen. Wohl aber wirv sich die national liberale Jugend mit erhöhtem Interesse der Frage zuwcnden, welche Stellung denn die Nationalsocialen gegenüber dem Klerikalismus einnehmen. Knapp drei Tage ist cS her, daß einer der national-socialen Führer, Pastor a. D. Kötzschke, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage lieferte, indem er zu Köln in öffentlicher Versammlung laut der „Kölnischen Volkszeitung" er klärte, „baß er ein Freund des Centrnms" sei, aber noch nicht in die Lage gekommen sei, für oder gegen das Centrum seine Stimme abzugebcn. Dieselbe Freundschaft für daS Centrum bat der hervorragendste national-sociale Führer, Pfarrer Naumann,nn Jahre l897 in Nummer 85 seines Organs auf das offenherzigste bekannt. Er machte damals den „BolkSverein für das katholische Deutschland" zum Gegenstände einer eingehenden Besprechung und rückte dabei schließlich mit folgendem Vorschläge heraus: „Die katholische sociale Bewegung, insbesondere der BolkSverein, bietet auch für unS Nationalsociale manche Anknüpfungspunkte zu gemeinsamer Arbeit nnd zum Zusammengehen bet kommu nalen und politischen Wahlen . . . Solange wir National, sociale noch nicht eigene Vertreter in den Reichstag senden können, sind wir besonders bei Stichwahlen vor die Entscheidung gestellt, welche andere Partei wir unterstützen sollen . . . Wenn sie (die Eandidaten des Eentrums) auf sociale Forderungen sich verpflichten, denen auch wir zustimmen, so müssen wir mit ihnen zusammen gehen, wie wir später «in gleiches Entgegenkommen von ihnen er warten dürfen." Die Berliner „Germania" war s. Zt. von diesem Vor schläge nicht unangenehm berührt und vertraute, soweit Herr Naumann persönlich ins Spiel kam, darauf, daß er die Unterstützung ultramontaner Welfen-, Polen- und Jesuiten freunde mit seinem nationalen Programm nicht unverträg lich finden werde! — Soviel einstweilen zur Beleuchtung der grundsätzlichen Haltung der Nationalsolialen gegenüber dem Klerikalismus. Welche praktischen Folgerungen insbesondere von Herrn Naumann daraus bei Gelegenheit gezogen werden, hierüber ein anderes Mal. Berlin,26. September. (Wasserstraßen undKoblen- versorgung.) Nur durch das große nordfranzösische L-chifsfahrtSslraßennctz, an das alle Kohlengruben Nordfrank reichs, bis auf einige kleinere im äußersten Westen, direkten Anschluß haben, ist es diesen Zechen möglich geworden, der Concurrenz der englischen Kohle, die seit jeher nach Paris auf der Seine verschifft wurde, entgegenzutreten. Darin besitzt das französische Kohlengebiet einen gewaltigen Vortbeil vor unserem Nuhrbecken, wie Bergasseffor Stein-Essen in der letzten Nummer deS „Glückauf" („Notizen über Steinkohlenbergwerke in Nordfrankreich") überzeugend nach weist. Tie Canäle Frankreichs gehören dem Staate, der sie mit Unterstützung ter Gemeinden und BerzwerkSgesellschaften auSgejührt hat, während die Eisenbahnen dort im Besitze der (.'owpgFniv äes ckemius äo t'sr 6n norcl sind. Die Canäle verbinden das Industriegebiet und ihr Centrum Lille mit der Nordsee wie mit Paris und nehmen etwa V» der ge- sammten Kohlenförderung deS Landes auf. Die Verfrachtung per Schiff würde noch viel größer sein, wenn nicht die kleinen Abmessungen der Canäle die Leistungsfähigkeit der Schiff fahrt verringerten, da die Kohlenkäbne nur 300—500 Tons fassen. Man ist deshalb sehr darauf bedacht, die LeistungS- fäbigkeit ter Wasserstraßen zu erhöhen, durch Erbauung größerer Canäle, etwa von den Maßen der geplanten neuen teulschen und österreichischen Schifffahrtsstraßen. Vorläufig hilft man sich, so gut cs geht, durch Verdoppelung der Schleusen, Anlage eines zweiten Leinpfades, elektrischen Treidelbelrieb (seit 1898), Vergrößerung der Häfen und Ladevorrichtungen u. A. m. Unter den letzteren rst besonders die Canalhalde der Gesellschaft LenS bei Pont ä Vendin vorbildlich. An einem 300 m langen Ouai sind 18 Koblentafchen bergestellt, mittels deren im Tage 5000 Tons Kehlen verladen werden können. Der elektrische Schleppbetrieb, der in Deutschland am Teltowcanal zum ersten Male bauernd und in größerem Maßstabe eingeführt wird, hat sich in Frankreich recht gut bewährt. Die Franzosen sehen besser ein als wir Deutschen — oder doch ein großer ausschlaggebender Theil der Deutschen —, wie großen Bor- Feuilleton. Die jüngste deutsche Universitätsstadt. Bon ReinholdTimm. Nachtruck rrrtttrr. Dir Deutschen reisen in ferne Länder, um ihre Schön heiten zu bewundern, aber die Schönheiten unserer Hei- math übersehen oder vernachlässigen wir ost. Läge Münster in Italien, so würden alle Fremden diese Stadt mit ihren merkwürdigen geschichtlichen Erinnerungen auf suchen und das charakteristische und malerische Städtebild bewundern; wie viele von den Lesern aber haben wostl einmal die interessante Hauptstadt Westfalens zum Ziele ihrer Wanderungen gemacht'? Vielleicht, daß sich dies Ver- hältniß jetzt ändert, daß ein neuer Lebcnsstrom in das alte Münster fluthct und die Stadt mehr als bisher in den Vordergrund des Interesses rückt, da sic jetzt als die jüngste Schwester in den Kreis der deutschen Universitätsstädte ein tritt. Es ist nicht das erste Mal, daß Münster eine Voll- Universität erhält. Die alte Gelchrtcnschnle, die sich in der Bischofsstadt befand, die zahlreiche Geistliche ausgebildet hatte und im 16. Jahrhundert unter die Leitung der Jesuiten gekommen war, wurde von dein trefflichen Minister von Fürstcnberg, dessen Name und Wirken un- aus allen Gebieten des Münsterischen Bildungswcseus leuchtend entgcgentritt, in eine Universität verwandelt. Erst 1818 verlor diese Universität die juristische und die medicinische Kacultät nnd wurde ein Torso, zumal da die philosophische Facultät lange Zeit recht mangelhaft ans- gestattet war. Nun feiert die Schöpfung des von Goethe so hochgeschätzten Fürstcnberg wieder in vollem Umfange ihre Auferstehung; nnd wie die nene Zeit in manche düstere und muffige Winkel der Stadt Breschen geschlagen nnd Lust nnd Licht ihnen gebracht hat, so steht zu hoffen, daß Münster jetzt als eine Hochstätte der deutschen Bildung sich wieder zu einer Vertreterin jenes retncn nnd freien Geistes entwickeln werde, durch den es in der Zeit Goethe s ausgezeichnet war. In der Physiognomie der Stadt spiegelt sich ihre inter essante nnd merkwürdige Geschichte deutlich wider. Münster ist erwachsen als eine geistliche, als eine Bischofs stadt, wovon ja auch sein Name Zeugnis; ablegt. An nähernd im Mittelpuncte der heutigen Ltadt bildete sich ein eigenes geistliches Stadtviertel: die Domfreihcit, auf der neben dem mächtigen, im Stile des Uebcrganges von der romanischen znr gothischen Bauweise aufgesührtcn Dome der geräumige Hof des Bischofs mit Palast und Ca pelle, mit Küche und Stallungen lag. Dann hatten hier auch die Domherren und die bischöflichen Dienstmannen ihre Häuser; und dieser ganze Complep war von der übrigen Stadt durch starke Mauern abgeschlossen und stand mit ihr nur durch vier Thore in Verbindung. An Kloster und Kirche hatten sich von Anfang an die Ansiedelungen der Bürger angclchnt: aber allgemach war die Stadt mäch tiger und mächtiger geworden, hatte sich vom Bischof nahezu unabhängig gemacht und zwischen der Domfreihcit und dem Rathhausc gab cs mehr als einmal heftige Reibung. Die Ltadt abe.r blühte munter auf und ihr Handel gewann eine große Aus dehnung. Nach Westen ging er über Köln und Flandern nach England; näch Osten und Norden über Lübeck znr Ost see, nach Livland und Nowgorod. Die heute verschwundene Nikolaicapelle am Tomhos war dem heiligen Nikolaus als dem Patrone der Seefahrer geweiht, und ein Olaus-Altar darin erinnerte an die Verbindung mit dem hohen Norden. In der Stadt selbst aber entstanden allmählich die be kannten Zwistigkeiten zwischen den Gilden und dem städti schen Patrtciatc. Man kann zwei noch heute stehende Ge bäudc gewissermaßen als die Monumente des Kampfes be zeichnen: das eine ist das Schuhhans und das andere das Rathhaus. DaS „Lchochns" war die Bcrsammlungshalle der Alterleute und Meistcrlcute der städtischen Gilde». Ihr Wort galt etwas, da sic eine Macht hinter sich hatten; stellten doch die Gilden im Jahre 1588 750 wehrhafte Männer zur Bemachnng der Stadt. Was aber die Alter leute nnd Meistcrlcute in der würdigen hohen Halle des Schnhhauscs berathschlagtcn, das bedeutete für die Herren Rathmanncn oft nichts Gnies, und der Magister Kerssen- brock nannte darum in seiner Wic-ertänfcrgcschichtc das Schuhhaus eine Synagoge des Satans, wo man Knoten schnüre, die der Rath nicht zu lösen vermöge. Eine einzige große Halle, von einem Holzpsriler gestützt, war auch vor seiner modernen Umgestaltung das Ratsthans, das an Merkwürdigkeiten noch heute reich genug ist. Die größte ist und bleibt doch wohl der FriedenSsaal, der 1577 ein gerichtet wurde und 1048 die Unterzeichnung des west fälischen Friedens durch die Katholiken sah. Es ist «in düsteres, aber ehrwürdige- Zimmer, von dessen Wänden die Porträts der betheiligten Gesandten und Fürsten ernst herabblicken; wer könnte dies Zimmer wohl betreten, ohne jener für unser Vaterland so fürchterlichen Zeit zu ge denken, und sich daran zu erinnern, welch' ein schwerer Seufzer durch aas ganze deutsche Volk ging, als die Frie- denskundc aus Münster und Osnabrück durch s Land eilte. Heitere Erinnerungen sind cs eigentlich nicht, die das schöne Rathhaus der alten Ltadt Münster weckt. Denn beiter kann man auch die Empfindungen kaum nennen, die der Anblick des Thronbcttcs Johann s von Leyden weckt oder die Marterwerkzeuge, die bei der Hinrichtung der Häupter der Wiedertäufer verwandt wurden, oder der gestickte Pan toffel der Elisabeth Wandschcrer, die eine der Frauen des Propheten war. Dieser Pantoffel wirkt, möchte man sagen, geradezu wie blutiger Hohn. Kann sein, daß sic ibn im Leben ab und zu einmal geschwungen bat, aber ihr Ende war, daß sic ihres schändlichen Daseins überdrüssig wurde, dem Wiedertäufer-Könige alle Kostbarkeiten zurück gab und ihn bat, die Stadt verlassen zu dürfen. Darauf enthauptete sie der Prophet mit eigener Hand und dazu stimmte das versannnelte Volk einen Choral an. Das war auf dem Domhof, und der Domhof ist überhaupt voll von Erinnerungen an diese schrecklich groteske Wiedertäufer- Episode. Den Domhof hatte der Prophet Burg Zion ge nannt; hier wohnte er in der schönsten Curie, und in einer anderen befand sich sein Serail, gebildet ans 17 der schönsten Münstcrinncn, die er zu Königinnen erhoben hatte. Hier, auf der Burg Zion, fand auch am 12. Oktober 1534 jenes gemeinsame Riesenmahl der Wicdcrtäuser-t^e- meindc statt, an dem 2100 wehrhafte Männer, 100 Kinder und Greise und 500 Frauen thcilnahmcn. Das war einer der Höhepunkte der Wiedertäufer-Herrschaft; nicht weit ist es vom Domhose zur Lamberti-Kirche, und da hängen oben am Thurme die eisernen Käsige, in denen die Leich name des Königs-Propheten und die seiner Gefolgsmänner Knipperdollinck nnd Krachtinck zum warnenden Andenken aufgehängt wurde». Die städtische Blütbe Münsters hat ihre Mvniiinciile noä, in zahlreichen öffentlichen nnd Privatbantcn von seltenem Reize hinterlassen. Ein Straßenbild, wie der Principalmarkt in Münster, findet sich selbst in alten Städten selten. Die Kirchen von Münster, meist von strengem »nd erhabenem Charakter, werde» von Kennern als Perlen kirchlicher Baukunst angesehen, und i» den Privatgebändcn spiegelt sich die bauliche Entwickelung vofi beiläufig sieben Jahrhunderten. Charakteristisch für ganze Theile der Ltadt sind die Arkaden, die auch bei, Principal markt begleiten. Ans der gothischen Zeit sind reizende Hänser erhalten, unter Anderem eines am Markte, in dem vcrmnthlich Knipperdollinck gewohnt hat. Nach der Wieder- täufcrzcit hielt die Renaissance in Münster ihren Einzug, und anä> das Rvcvco hat anziehende Monumente hinter lassen. Unter diesen Privathänsern sind besonders die ehr würdigen Stadtböfc des westfälischen Adels bemerkens- wcrth, „stumme Zeugen der Macht und Herrlichkeit ver gangener Jahrhunderte, bei denen das Gras auf den Vor plätzen, der Rost an den ehemals vergoldeten Spitzen der Eiscnslangcn der Einsricdignngsmauern lauter und bc rcdtcr zu uns sprechen, als der gelehrteste Ausleger und Deuter alter Chroniken und vergilbter Pergamente". Klingen uns doch allein schon die Namen dieser alten west fälischen Geschlechter wie ein Stück Geschichte; ihre Höst haben da die Droste nnd Kettcler, die Landsberg und die Fürstcnberg, die Merveldt und die Nesselrode. Heiterer als der Eindruck dieser ernsten alten Höfe ist der des Schlosses, dessen rothc Ziegelsteine lustig genug ans dem Grün der Bäume und des Rasens hcrausgnckcn. Damit werden wir in die Zeit jenes bereits erwähnten Ministers von Fürstcnberg geführt, der eine neue Periode für die Stadt einleitcte. Das Schloß entstand, aus der Citadellc wurde ein freundlicher Park, die beengenden Wälle der alten Ltadt fielen, die inneren Gruben füllten sich und statt der Bastionen schlang sich jetzt ein Gürtel reizender, dichtbelaubter Promenaden durch die alte, jetzt zu ncncin Leben erwachende Stadt. Tenn nm Fürsten- berg und nm die sein empfindende, tief sittliche Fürstin Galliyin, eine geborene Komtesse Schmettau, sammelte sich ein Kreis vorzüglicher, reiner und von lebhaften geistigen Interessen erfüllter Menschen. In diesen Kreis gestörten Hcinstcrhltis und Jacobi; stier sand Hamann, der Magus des Nordens, einen sicheren Hafen und seine letzte Ruhe statte: stier machte Goethe Besuch, der die Fürstin und ihren Kreis aufrichtig schätzte nnd sich mit ihm, da er die Gegen- säye llng zn vermeiden wußte, ans trefflichen Fuß zu stellen vermochte. Damals war Münster in deutschen Landen weit bekannt und geehrt als ein Mittelpunkt der geistigen Kul tur; Henle ist es eine rührige Stadl, die Pietät gegen die Erinnerungen und Denkmäler der Vergangenheit mit fester Initiative zu vereinigen weiß. Neue Stadttbeile sind ent- standcn, das Stadtgebiet hat sich vergrößert, rege Kräfte inachcn sich überall geltend, lind nnn wird frisches junges Blut in die alte, schöne Bischossstadt cinziestcn, und wieder mag dann, wie im 1^. Jahrhundert, Münster ein Mittel punkt feiner und edler Geistesbildung werden.
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