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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021004010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
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Im letzten Artikel wird dann von dem Ehr- und Pflichtgefühl des Soldaten er wartet, daß er alle strafbaren Handlungen vermeidet und fort und fort seine Pflichten treu und gewissenhaft erfüllt, durch Gottesfurcht und ehrenhafte Führung in und außer Dienst ein Muster ordentlichen und rechtschaffenen Lebens gibt und nach Kräften dazu beiträgt, den guten Nus des HeereS im In- nnd Auslande zu bewahren. — Für die Ableistung des Fahneneides bleiben die bisherigen Bestimmungen unverändert; auch soll für den Dienst gebrauch die Aufnahme der neuen Kricgsartikel für daS Heer in das Kompendium über Militärrecht erfolgen. Die neuen Kriegsartikel. H. Die am 22. September d. I. vom Kaiser angeordnete Einführung neuer tkriegsartikel für daS Heer muß für dieses alS eine vollständige Überraschung bezeichnet werden, da nichts auf eine so bedeutungsvoll« Veränderung hin deutete und auch nicht verlautbart hatte, daß eine Koavnisfion mit -er Umarbeitung der bestehenden Artikel beaustragt worden war, wie dies sonst bet Vorschriften fast immer der Fall ist. Mit dieser Veränderung treten die bisherigen Kriegsartikel vom 31. Oktober 1872 außer Kraft; aber wie für diese, so wurde auch für die neuen Artikel bestimmt, daß sie bei jederKompagnie, Eskadron und Batterie sogleich nach ihrer Bekanntmachung und demnächst alljährlich mehrmals, sowie auch jedem neueintretendeu Soldaten vor der Ableistung Les Fahneneides langsam und deutlich vorgelesen werden sollen; auch sind sie den der deutschen Sprache nicht kundigen Soldaten in ihrer Pktttersprache vorzulesen und zu diesem Zwecke sind die nötigen Übersetzungen alsbald anzufertigen. Diese werden bergestellt beim I. Armeekorps in litauischer Sprache, beim V. in polnischer, beim IX. in dänischer und beim XV. Armeekorps in französischer Sprache. Die alten Kriegsartikel waren wohl nicht mehr ganz zeitgemäß, und wenn sie auch nicht gerade an die alte LandSknechtSzett erinnerten, so waren sie doch mit einer drakonischen Strenge abgefaßt und bestanden in der Hauptsache aus angedrohten Strafen, vom einfachen Arrest, über Gefängnis, Festungshaft und Zuchthaus bis zur Todesstrafe, die dabei nicht zu knapp vertreten war. Auch ohne die Androhung der schweren Strafen für die einzelnen Pflichtverletzungen ist die Manneszucht im Heere auf die heutige Stufe gelangt, weil man neben dem not wendigen Drill des Soldaten seiner Erziehung mehr Auf merksamkeit als früher zugewendet hat. Auf diese Weise hat eS sich auch ermöglichen lasten, die Zahl der Artikel von 55 auf 28 herabzusetzen, wobei in sehr geschickter Weise der Wortlaut derart abgefaßt ist, daß der Soldat auch er steht, warum alles von ihm verlangt wird, was diese Artikel von ihm fordern. Dadurch erhält er bas Gefühl, nicht ein Teil einer gut arbeitenden Maschine zu sein, sondern er empfindet, daß die Artikel sich an den denken- den Menschen wenden und von diesem ein Handeln mit voller Überlegung fordern und keine maschinelle Tätigkeit. Die Kriegsartikel haben für daS ganze Heer Gültigkeit, nach ihnen haben sich die Soldaten aller einzelnen Kon tingente zu richten. In ihnen werden Belohnungen für gut geleistete Dienste verheißen und Strafen für begangene Pflichtverletzungen angedroht; auch wird eingehend auf die verschiedenen Pflichten hingewiesen. So gebietet die Pflicht -er Treue dem Soldaten, bei allen Vorfällen im Krieg und im Frieden mit Aufbietung aller seiner Kräfte, selbst mit Aufopferung des Lebens, jede Gefahr von dem Kaiser, -em Landesherrn nnd dem Baterlande abzuwenden. In lapidarer Kürze wird die Erfüllung der Dienstpflicht als eine Ehrenpflicht jedes deutschen Mannes bezeichnet, ein Satz, den die alten Artikel nicht enthielten. Bei dem Artikel vom Gehorsam ist auch auf die Schutztruppe hin- gewiesen, während früher nur vom Heer und von der Marine der Rede war. Für letztere wird wohl noch eine besondere Ausgabe der Kriegsartikel erfo'gen, da einige Bestimmungen sich mit den eigenartigen Verhält nissen an Bord von Kriegsfahrzeugen, wie im Auslande befassen müssen. Dabei wird auch den Schutztruppen die erforderliche Berücksichtigung zugewendet werden. Treffend und kurz ist eine Änderung gleich im ersten Artikel. Darnach ist der Dienst bet -er Fahne die Schule für den Krieg; was der Soldat während seiner Dienstzeit gelernt hat, soll er auch im Beurlaubtenstande sich erhalten. Auf diesen bezogen sich eigentlich die alten Artikel nicht im besonderen, er war nirgends erwähnt, währen- dies jetzt noch ein weitere- Mal, im vorletzten Artikel, der Fall ist. Nach diesem muh der Soldat auch im Beurlaubtenstande Deutsches Reich. di Berlin, 3. Oktober. (Christlich-soziale Wahl pläne.) Der christlich-soziale Parteitag, der soeben in Siegen abgehalten wurde, hat sich auch mit der kommenden ReichStagSwahl beschäftigt. Wenn ein rheinisches Blatt zutreffend berichtet, haben die Christlich-Sozialen für die nächste ReichStagSwahl zum Teil recht absonderliche Pläne. Dabin rechnen wir nicht die Ausstellung der Kandidatur des Herrn Stöcker im Wahlkreise Siegen-Wiltgenstein- Biedenkopf; denn cS ist natürlich, wenn bier der gegen wärtige christlich-soziale MandatSinbaber wieder in Aus sicht genommen wird. Wie wenig übrigen- die Sicher heit der christlich-sozialen Stellung in Siezen von maßgebenden christlich-sozialen Führern überschätzt wird, geht aus den Darlegungen deS Pfariers Weber und anderer, die vor allzu großer Vertrauensseligkeit warnten, deutlich hervor. Zu einer nüchternen Beurteilung der christlich-sozialen Lage in Siegen fordert freilich das Ergebnis der letzten ReichS- lagswahl dringend genug auf. Dena mit ganzen 27 Stimmen Mehrheit, mit 12 099 gegen 12 072 Summen, erlangte Herr Stocker das Mandat. Angesichts solcher Zahlen begreift man die Warnung christlich sozialer Führer vor Bertraucn-ieligkeit. Die übrigen, christlich-sozialen Wabl- pläne sind von geringer oder von gar keiner prakmchen Bedeutung. Die Wiederholung einer christlichen sozialen Kandidatur im Kreise Dillenburg, wo im Fahre 1898 rund 2000 christlich-soziale Stimmen abgegeben wurden, wird die nationalliberale Position nicht zn erschüttern vermögen. WaS endlich die geplanten christlich-sozialen Kandidaturen in Elberfeld-Barmen und Hagen anbelangt, so sind auch sie für daS praktische Ergebnis ohne Bedeutung. In Elder- jeld-Barmen, einer sozialdemokratischen Hochburg, wurden daS letzte Mal 4852 christlick-sozial-antisemitiiche Stimmen gezählt. DaS ist immerhin etwas für die Wahlstatistik, aber so gut wie nichts gegenüber den 24 000 sozialdemo kratischen Stimmen. Vollends aussichtslos ist eine christlich soziale Kandidatur in Hagen. Hier kämen neben dein Frei sinn Nationalliberale, Sozialdemokraten und Zentrum in Frage; dir Konservativen, die eS auf rund 8oo Summen nur ein einziges Mal gebracht haben, sind seit 1893 ganz auö- i gefallen. Tie antisemitischen Stimmen dieses Wahlkreises I aber — e- wurden deren bei der letzten Hauptwabl 283 gezählt — kamen Herrn Ablwardt zu gute. AuS den vor stehenden Angaben ergibt sich, daß lediglich die Kandidatur Stöcker praktische Bedeutung gewinnen kann. Der Stöcker- schen Kandidatur dürfte aber die Zersplitterung der ohnehin minimalen christlich-sozialen Kräfte Nicht zum Vorteile gereichen. Berlin, 3. Oktober. (Sänger und Polentum.) Der Danziger Regisseur und Opernsänger Herr Dalm hat der »Frankfurter Zig." sein Herz auSgejchüllet, weil er sich durch die Polizeibehörde deS OstsecbadeS Zoppot beschwert fühlt. AlS nämlich der Danziger Kapellmeister Herr Kiehaupl in Zoppot ein von Herrn Dalm beabsichtigtes Konzert an meldete, genehmigte Bürgermeister vr. von Wurmb die Ab haltung deS Konzerts nut dem Bemerken, daß er einen Schutzmann hinschicken werde, damit es nicht einem der Mil- wirlenvcn wieder einfalle, polnisch zu singen. Hierauf blieb der Zoppoter Bürgermeister bestehen, obwohl Herr K>e- Haupt versicherte, daß er als Begleiter soso» t das Klavier schließen würde, falls dies Vorkommen sollte. Ebensowenig gestattete l)r. von Wurmb, auf eine entsprechende Frage des Kapell meister-, daß Herr Dalm ein Lied in italienischer Sprache sänge, weil die Polen sonst glauben konnten, man umgehe ihnen zu Liebe die deutsche Sprache. Wenn Herr Dalm durch dieses Verhalten des Zoppoter Bürgermeister- sich in seinen künstlerischen Rechten beschränkt fühlt, so übersieht er die gegenwärtige Lage in den Oslproviozen Preußens. Der Einzelsall, den Bürgermeister Or. von Wurmb bei seinem Verfahren im Auge hatte, bestand nach den Angaben deS Säugers selbst darin, daß 14 Tage vorher eine mit Herrn Dalm zusammen konzertierende Dame „wahrscheinlich auf Bitten einiger Warichauer Familien hin" Goethes Lied „Kennst du da- Land" in polnischer Sprache gesungen hatte. Wer darüber unterrichtet ist, daß das Poleutum daS Theater und den Konzertsaal sehr gern als Schau platz polnischer Demonstrationen benutzt, und wer weiß, daß seit langem Zoppot von polnischen Badegästen bevorzugt wird, der wird sich über da» Eingreifen des Zoppoter Bürgermeisters nicht nur nicht wundern, sondern es vurchauS billigen. Wie heutzutage die Verhältnisse im Osten sich ge staltet haben, tun die Verwaltungsorgane bloß ihre Pflicht, wenn sie im großen und im kleinen mit ruhiger Entschieveu- heit und unbeirrbarer Konsequenz jede Art von polnischer Demonstration hintanhaliea. Ze schwieriger den deutschen Verwaltungsorganen unter solchen Verhältnissen die AmiS- fükrung wird und je mehr Anfeindungen sie wegen der ihnen aufge,wungenen Stellungnahme gegenüber dem Polentum auSgefttzt sind, umiomebr Anspruch haben sie auf die moralische Unterstützung durch die deutsche Presse. Bei der „Frankfurter Zeitung" freilich wird man eine derartige Unterstützung weder suchen noch finden! 6. n. Berlin, 3. Oktober. Die A r b ei t s Verhält nisse in Berlin sind zur Zeit sehr gedrückt. Das ist bekannt, aber ans den 99 Berichten, welche die an den Eentralaröeitsnachweis «»geschlossenen Arbeitsnachweise soeben für Angnsr erstattet haben, wird eine Tatsache er sichtlich, die bisher wenig bekannt war und doch in weite ren Kreisen Beachtung verdien!. In zahlreichen Betrieben werden nämlich die alten Kräfte abgelohnt oder die Arbeit wird ihnen mehr und mehr verschwssen; mau will jüngere Kräfte, weil sic billiger sind. In dem vom Bureau des Eentralvereius erstatteten Berichte über die Lage des Arbeitomarttes im August beißt es: „Bemerkenswert ist der Bedarf nach jugendlichen Arbeitskräften, der auch das Fallen der Wochenlühne erklärt." Weiter heißt es in den verschiedenen Berichten der organisierten Arbeiter, der Arbeitgebernachweise nnd der christlichen Herbergen: „In Bäckereibetrieben werden stets nur jüngere Kräfte ver langt, in Schmieden werden nur jüngere Arbeiter einge stellt"; und so geht es weiter. Verwandt mit diesen Mel dungen ist die weitere, daß die Nachfrage nach männlichen Arbeitskräften im Gastwirtsgewerbe nachlätzt, die nach weiblichen aber steigt. Überall in der Reichshauptstadt die selbe Wahrnehmung, daß die billigeren Arbeitskräfte den teureren vorgezogen werden, auch wenn sie weniger geübt sind, und daß mithin die Not unter -en älteren Arbeitern am größten ist. Ausfallen mutz, daß aus anderen In dustriezentren gleiches nicht berichtet wird. Im übrigen geht aus den 99 Berichten der Arbeitsnachweise für August hervor, daß die wirtschaftliche Krisis unvermindert an dauert; das gewerbsmäßige Stellenvermittlerwesen steht nach wie vor in Flor und trägt wesentlich dazu bei, die Lage einzelner Arbeiterklassen noch trostloser zu gestalten. So berichten di? zahlreichen Vereine der Kellner. Gast- wirtSgehilfen und HrüelhauSdiener übereinstimmend: „Die Arbeitsgelegenheit ist im allgemeinen flau, eS wird leb haft über das ungünstige Wetter, den frühzeitigen Schluß der Lommersaison nnd den ausfallenden Verdienst geling!, ferner über die gewerbsmäßigen Stellenoermittler, die von dem sehr geringen Verdienst ihre Gebühren ver langen." In den Branchen, die mehr für den Luxus tätig sind, macht sich die schlechte wirtschaftliche Lage nm meisten fühlbar, nur iu der Damenkonfektion nicht. Für die in Berlin so wichtige Metall- und Maschinenbranche lautete das Urteil der verschiedenen Organisationen übereinslim mend: „Still, Geschäftslage schlecht, nur Vnuklempner hatten flotte Arbeit". Allerdings fehlt es auch in Berlin nicht an einzelnen Vorzeichen einer Besserung der Ge schäftslage, im allgemeinen aber ist das Bild noch ein reck» unerfreuliches, besonders bezüglich der älteren Arbeiter, deren Lage hoffentlich von selbst den Zuzug von Alters genossen aus andern Teilen Preußens und des Reiches fernhült. (-) Berlin, 3. Oktober. (Telegramm.) Zn der heu tigen Sitzung deS LundeSraleS wurden die Anträge Badens, betreffend vie Errichtung gemischter Privat- trausitläger ohne amtlichen Mitverschluß für Bau- und Nutz bolz in Mannheim und Kebl, den zuständigen Ausschüssen überwiesen: ebenso der Antrag Badens, betreffend die Einlaß- und Untersuchungsstellen für in das Zoll inland eingehendes Fleisch, sowie die Vorlaae, bet, essend daS Abkommen mit Frankieich über die gegenseitige Beband- lnng von Handlung-reisenden vom 2. Zuli 1902. Dem Aus- schußanirage über den Antrag Bayerns, betreffend die Einführung von Mehrleistungen nach tz 45 des Znvaliben- versicherungsgesetzeS, wurde d» Zustimmung erteilt. — Der Dreherstreik bei Borsig ist der „Nat.-Zkg." zufolge beendet, die Streikenden haben iu allen Punkten nach gegeben: sie haben zunächst die Forderung eines Mindest lohnes fallen lassen; die Firma halte bekanntlich mit vollem Recht erklärt, daß diese Forderung schon deshalb ganz un- erbört sei, weil die Dreher in Accord arbeiteten; einen Mindestlohu Accordarbeitern zu gewähren, heiße eine Prämie aus die Faulheit setzen. Die wieder in Aibeit tretenden Dreher haben sich verpflichtet, keinen der ArbeitSwrlligen durch Worte oder Taten zu behelligen. Es werden am 6. Oktober nur 23 Dreher wieder eiugesbllt, die übrigen müssen warten, bis ein Platz frei wird. Zwei der Streiken den, welche sich durch Hetzereien hervorgetan, werden über haupt nicht wieder eingeuellt. r. Hannover, 2. Oktober. Der 7. national- svzia le Ve rtretertag wurde heute Abend in Form einer Begrüßung-Versammlung eröffnet unter Vorsitz des Lithographen T i s ch e n d ö r s e r - Berlin. Besondere Beachtung fand das hier zum ersten Male aus Anordnung der Polizei zur Anwendung kommende „Segment" der Frauen, die, allerdings nur vier, von den Männern durch eine Barttere getrennt, an der Längsseite des Saales Platz nehmen mußten, worüber viel gespöttelt und ge witzelt wurde. Pfarrer Naumann hielt die Er öffnungsrede, in der er besonders gegen die politische Interesselosigkeit der Gebildeten eiferte, die „den Staats karren laufen ließen, wie er wolle", un- die dem Kampfe der Gegenwart in geistiger, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung kühl bis ans Herz gegenüberstänöen. Neben her gehe ein weiter Pessimismus hinsichtlich der zu künftigen Entwickelung des deutschen Reiches und Volkes, sowie ein parteipolitischer Pessimismus. Tie National sozialen dagegen glaubten an die Zukunft deS deutschen Volkes in der Erkenntnis seiner reichen Kräfte in der Tiefe. Der Sozialismus sei der Glaube daran, daß auch in dem Teile unseres Volkes politisches Leben pulsiere, der von seiner Hände Arbeit lebe und der darum Liebe und Achtung verdiene. Die nationalsoziale Bewegung sei im Wachsen begriffen; der diesmalige Parteitag werde der bestbesuchte von allen werden. Unter andauernder großer Heiterkeit der Bersammluuu kritisiert Naumann schließlich noch das „Segment" der Mauen. Lus uuein Fereilletvn In Letzter Stunde. Rvvelette von Ralph von Rawitz. Nachdruck verboten. Stundenlang war er in -em engen Stübchen hin und her geschritten, vom Fenster zum Ofen, von dem Ofen zum Fenster. Kurz vor fünf hatte sein Batteriekameraü Höger an da» Fenster geklopft un- ihn ins Kasino zmn Esten mit nehmen wollen. „Ich bedaure, ich kann heute nicht!" „Sehen wir un» abends im Hirsch?" ,Meüeicht — ich weiß es noch nicht." „Atteu Astorp!" — „Adieu Höger!" Nun trat der junge Offizier an den Schreibtisch, um uoch einmal den Vries zu lesen, -en die NachmittagSpoft aus Berlin gebracht hatte. „Mein lieber Herr von Astorp, meine Bemühungen sind leider ohne Erfolg geblieben. An Stiktsstellcn für Ihre Fräulein Schwestern ist nicht zu denken, da die Damen in zu jugendlichem Alter stehen. Auch eine feste Pension kann nicht auSgeworfen werden; im Krieg-Ministerium existieren keine Fonds für diese Zwecke. ES bleibt mithin nur der Weg des Immediat gesuche». Allein auch hier sind die Aussichten nicht zum besten, weil die Schatulle durch viele Patente in Anspruch genommen sein dürfte und ohnehin die Mittel nicht reich lich bem^sen sind. Ich bedaure unendlich, Ihnen diesen ve- scheid geben zu müssen, und bin mit vorzüglicher Achtung Ihr geneigter . Seysried, RegterungSrat." Astorp saltete das Schreiben und verschloß e» in einem Fache de» Schreibtische». Dann ries er ben «urschen: Zimmermann i" »Harr S-Mnimik* „Alten Paletot, Mütze, Säbel. Und um Vs7 Uhr liegt der Ordonnanzanzug bereit: Hohe Stiefel, Feldbinde, Helm. Verstanden?" „Zu Befehl, Herr Leutnant!" „Zimmermann, Sie sollen jeden Befehl wiederholen, das ist Vorschrift. Warum?" „Damit kein Irrtum entsteht, Herr Leutnant!" „Richtig! Also?" „Um 7 Uhr hohe Stiefel, Feldbinde, Helm!" „Stimmt!" Der Offizier drückte die Mütze, die ihm der Bursche reichte, tief ins Gesicht und schritt hinaus, die kurze Straße entlang, die auf einen Feldweg mündete. Es hatte den ganzen Tag geregnet, nun brach ein Gruß der scheidenden Lonne durch das abziehende Gewölk und der Zenit leuchtete in reinem Blau. Zahllose kleine Wasserläufe rieselten über die primitive Straße und an jedem Grashalm hing ein blinkender Tropfen. Astorp atmete den frischen Erdgeruch tief ein und schritt rüstig eine Anhöhe empor, die eine Windmühle trug. Dort setzte er sich auf die steile Treppe und blickie weit hinaus ins Land. Zu seinen Füßen zog sich der Feldweg zurück zur Siadt, eine braune Schlange zwischen grünschimmernden Wiesen. Dahinier das alle liebe Nest mit seinem roten Backsteinkirchturm, dem spitzen Dachreiter des Rathauses, den verschnörkelten Giebeln am Markt; dann jenseits die Ehauflee, die gerade und hell leuchtend mit ihren weißen Steinen hinaufziehi zum Forst: rechis führt ein Seitenweg hinter die Höhe weg. Da gehi es nach dem Exerzierplatz; links der Fußweg zwischen Tannen und Fichten leitet zur Diepower Kurt hinüber. — Tausend Gedanken durchziehen -en Kopf des jungen Offiziers, der das alles noch einmal mustert, was ihm lieb und teuer war: „Dort drüben das graue Haus mit den grünen Läden, da hab' ich ben Rock zum ersten Mal an gehabt! Das war auch so ein Regentag, aber für mich doch genug Sonnenschein l Da» Abitur hinter mir, da» Leben vor mir! Soldat, wie der selige Vater und Großvater! Ich seh« ihn deutlich vor mir, — «» ist, al» ob e» gestern Vormittag war, — den dicken Vizewachtmeister, der mir brummend die dritte Garnitur heraussuchte. „Avan- tascheur, Sie ersaufen ja in den Hosen!" — Die lange weiße Linie — das sind die Ställe! Mit welchem Eifer habe ich da meine zwölf Striche 'runtergepuyt und meine „Thetis" gesattelt. — An der Stallecke stand der Posten, der zum ersten Mai vor mir präsentierte, als ich in Bandolier und Schärpe zur Meldung ging: «Durch Allerhöchste KabinelS- ordre vom so und sovielten zumSekondeleulnant befördert." — Der wir- auch zum letzten Mal vor mir präsentieren, wenn ich vom Abschiedsmahl komme ! Und — nein — kein Abschiedsdiner! Wer kann das aushalien?! Die lieben alten Gesichter, jedes hinter seinem GlaS, die Musik oben von der Galerie, die Reden und dann der schreckliche letzte Parademarsch! Dann treten sie alle an, die guten Kerls, und marschieren vorbei und ich — ich nehme die Parade ab, um nie wieder dabei zu sein — nie wieder —!" Zwei Tränen wollten dem jungen Manne in die Augen cmporsteigen, aber er stützte das Kinn auf den Läbelknauf, biß die Zähne zusammen und zwang die weichere Stim mung nieder. „Es ist ja bitter, aber es geht doch nicht anders. Wenn die gute Mama noch ein Jahrzehnt gelebt hätte! Ja dann! Dann wäre ich Hauptmann gewesen und hätte Grete und Hede zu mir nehmen können; mit dem Kapitänsgehalt wäre es allenfalls gegangen. Aber jetzt — weiß Gott — eS ist nicht zu machen. Und daß die beiden Mädels als Laden mamsells ihr elendes Brot verdienen, ausgesetzt allen mög lichen Fährlichkeiten der Großstadt — nein, das kann ich nicht zugeben. — Das zu verhüten, bin ich unserem Namen schuldig! Aber was werde ich nur dem Kommandeur sagen? Diese ganze Familien-MisSre enthüllen? Nie und nimmer! Er ist zwar ein guter, wohlwollender Mensch, aber er ist reich — und darum! Er würde sich das gar nicht vorstellen können, baß man rein nichts be sitzt, keinen gebogenen Groschen. — Und dann, wenn s i e das von ihrem Vater erführe! Wenn s i e gar annehmen könnte, ich hätte ibr vielleicht um der bekannten Taler willen den Hof gemachtl Var sie mir eigentlich zu« gethan? Ich glaube nicht, und doch, wenn ich an den Iuliabend denke, als wir unser Sommerfest feierten, und als wir beide unten im Garten am Fluß promenierten — vielleicht bin ich da zu kühl gewesen, zu ablehnend gegen die gefeierte, vielumschwärmre Schönheit. — Aber es ist bester so — und wenn ich erst sechs oder acht Wochen fort bin, dann werde ich auch das verwinden." Ein Trompetensignai klang hell von dem Städtchen herauf. „Futtern!" „Wahrhaftig, schon sechs Uhr — muß machen, -aß ich wieder hinunterkomme. Altes, lieöeS Signal! Wenn dich der unmusikalischste unserer Blech puster bläst, du klingst mir süßer als eine Opernwcise von Rossini!" * * * Eine halbe Stunde später schritt Leutnant von Astorp durch die stillen Straßen der Kleinstadt zur Wohnung seines Kommandeurs; er hatte den Mantel über dem Ordonnanzanzug angelegt, um unliebsamen Fragen etwa begegnender Kameraden zu entgehen. Sein Weg führie ihn am Kasino vorbei; die Fenster waren hell erleuchtet, lachende Stimmen und die lustigen Weisen eines Marsches, den ein Offizier auf dem Piano trommelte, klangen über den Vorgarten weg bis zur Straße. Er blieb am Gitter tore stehen: Wie gern wäre er jetzt da drinnen gewesen, wie gern hätte er mit den anderen an das Glas geklingt, wenn der Refrain wiederkehrte: „Denn die Artillerie — die Artillerie — Ist aller Waffen Krone!" — Astorp riß sich los und schritt weiter: „„Tempi passatl". Vor der Haustbür des Kommandeurs traf er den Bur schen, den er hinaufschickte, um ihn anzumelden. Gleich darauf standen sich Astorp und Oberst Freiherr von Markenstein aegenüber. „Guten Abend, mein lieber Astorp! Was bringen Sie mir?" „Herr Oberst, ich komme, um — — meinen Abschied zu erbitten!" Der vorgesetzt» trat einen Schritt »urltck.
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