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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021002026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
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- Monat1902-10
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Tabellarischer und Zifsernsah entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lsfcrtenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Aunahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 2. Oktober 1902. 98. Jahrgang. dir. 592. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Oktober. Nachdem die Zolltarif-Sommisfio« des Reichstags am Dienstag die zweite Lesung des Z o l l t a r if s beendet hatte und zur zweiten Beratung des Tarifgesetzes übergegangen war, widmete ne gestern dieser Vorlage noch eine lange Sitzung, die zunächst die Entscheidung über die MindestsätzefürGetreide brachte, unter die durch vertragsmäßige Abmachungen nicht herabgegangen wer den soll. Hier machten die der Kommission angehörigen Mitglieder des Bundes der Landwirte den Versuch, ihr Verlangen nach Einstellung eines einheitlichen Minimal- Getreidezolles von 7,20 durchzusetzcn, fanden aber für dieses Verlangen kein Gehör. Es blieb bet den in erster Lesung beschlossenen Sätzen von 5,50 für Roggen, 6 für Weizen und Spelz, 5,50 für Gerste nnd 5,50 für Hafer, während bekanntlich der Regierungsentwurf 5 für Roggen, 5,50 für Weizen und Spelz, 8 für ltzcrste und 5 für Hafer vorschlägt. Auch bezüglich der Vieh- zölle wurde an dem Beschlüsse erster Lesung, sie durch Minimalsätze zu binden, festgehalten; die Sätze selbst wurden gegenüber den früheren Beschlüssen auf Antrag des Abg. vr. Spahn teilweise etwas ermäßigt. Immer hin bedeuten die Ermäßigungen noch eine Vervielfachung der bestehenden Zölle. So entspricht der Zoll des geltenden Tarifs auf Ochsen im Betrage von 30 für das Stück einer Belastung von 5 für den Doppelzentner Lebend gewicht, während der Bertragszoll von 25,50 pro Stück den Doppelzentner mit 4,20 ^t! belastet. Die Regierungs vorlage fetzte bereits auf den Doppelzentner einen Zoll von 12 .L, der jedoch bei Bcrtragsverhandlungen als Kompensationsobjekt benutzt und herabgemindert werden könnte. Dagegen nahm die Kommission in der ersten Lesung eine Erhöhung auf 18 und zwar als Minimal zoll, vor, um jetzt auf 14,40 .4! herabzugehen. An Stelle des alten Vertragszollcs von 4,20 würde also ein Mini malzoll von 14,40 treten, der durch keinen Vertrag er mäßigt werden könnte. Für Schweine berechnen sich die Zölle auf den Doppelzentner Lebendgewicht folgender maßen: Autonomer Tarif 4 ^tl, Bertragstarif 3,30 ^!, Re- gierungsentwurf 10 ohne Bindung, erster Kommissions beschluß 18 und zweiter Kommissionsbeschluß 14,40 mit Bindung als Minimalzoll. Hier verhält sich also der künftige, d. h. der von der Kommissionsmehrhcit gewollte, zum gegenwärtigen Vertragstarife wie 144 zn 33! Daß trotzdem die bündlerischen Kommissionsmitglieder mit diesen Sätzen ebensowenig zufrieden waren, wie mit denen für Getreide, ist bei der Bescheidenheit dieser Herren nicht verwunderlich. Die Regicrnngsvertreter machten keinen Versuch mehr, die Vorlage zu retten; sie ergaben sich vor läufig in ihr Schicksal, um ihre Argumente für die zweite Beratung im Plenum des Reichstags aufzusparen. Freilich scheint es nicht, als ob die Konser vativen im Plenum nachgeben wollten; wenigstens schreibt heute die „Kreuzztg ": „Wir müssen nochmals be tonen, daß das Interesse am Zolltarif in konservativen Kreisen immer mehr schwindet. Gelingt es nicht, die agra rischen Sätze des Tarifs angemessen zu erhöhen oder die industriellen Sätze entsprechend zu ermäßigen, so wird, wie wir bestimmt annehmen, die konservative Partei in der ent scheidenden Abstimmung die ganze Vorlage ablchnen." Ob das Zentrum dieselbe Kampfstellung einzunehmen ge denkt, muß abgewartet werden. Daraus, daß es gestern in der Zolltarifkommission seinen bekannten Antrag, betr. Verwendung der Ueberschüsse zur Witwen- und Waisen ¬ versorgung, wieder eingebracht hat, ergibt sich wenigstens, daß das Zentrum das Scheitern der Zvllvoriagen nicht als unabwendbar ansteht. Einstweilen erreicht es durch seine Wiedereinbringung, daß die Kommission ihre Arbeiten heute noch nicht beenden kann, sondern wenigstens noch am Freitag eine Sitzung abzuhalten gezwungen ist. Die „Soziale Praxis" hat mit der heutigen Nummer eine besondere Rubrik für soziale Medizi« ein gerichtet. Es geschieht das einerseits, um zu zeigen, welch bedeutsamer Faktor für die Entwicklung der sozialen Re form der Arzt geworden ist; ank enens sollen die jenigen Aerzte, welche die richtige Auffassung ihres Be rufes zu sozialen Praktikern herangebildet hat, in der „Sozialen Praxis" alles das finden, was zum Grenzgebiete der praktischen Medizin und der sozialen Praxis gehört. Falls nun die Aerzte deshalb, weil sie in dieser Wochen schrift regelmäßige Berichte, Referate, Notizen über das weite Gebiet der sozialen Medizin zu finden hoffen, sich noch häufiger als bisher in die „Soziale Praxis" vertiefen, so kann es nicht ansbleiben, daß sie anch für die Gebiete, die ihrem ärztlichen Berufe ferner liegen, die jedoch von wesentlicher Bedeutung für das soziale Reformwerk sind, innigeres Interesse erlangen. Das aber ist, wie vr. Fürst in einem die Neuerung einleitenden Artikel betont, der wichtigste Zweck der Neueinrichtung: eine möglichst große Anzahl tatkräftiger und einsichts voller Mediziner als Mitarbeiter an der Reform unserer sozialen Zustände zu ge winnen. Die neue Rubrik wird also die Aufgaben und die Ergebnisse verzeichnen, die der ärztlichen Wissenschaft und ihren Trägern bei Erforschung und Lösung sozialer Probleme, und zwar speziell auf dem Gebiete des gewerb lichen Lohnarbeiterstandes, zukommen. Es wird daher die jenige Seite der ärztlichen Tätigkeit behandelt werden, die im Gegensatz zur individuellen, die Krankheiten des ein zelnen behandelnden Medizin es sich zur Aufgabe gemacht hat, die allgemeine Wohlfahrt, die Gesundheit der breiten Masse zu heben, indem sie vorbeugend Krankheiten zu ver hüten sucht und an der Hebung des allgemeinen Kultur zustandes von Staat nnd Gesellschaft mitstrebcnd und mit wirkend teilnimmt. Das Gebiet ist ein weites, die Auf gaben ebenso mannigfaltig wie bedeutungsvoll. Woh nungsfrage, Versicherungswesen, gerichtliche Medizin, Schulhygiene, öffentliches Armenwesen, Gewerbehygiene u. s. w sind die in Frage kommenden Gegenstände. Die soziale Medizin ist eine moderne Disziplin; aber sie hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht und sich mannigfache literarische Organe geschaffen. Auch amt lich ist sie zur Anerkennung gelangt, indem an der Münchener Universität als voraussichtlicher Bahn brecherin für die anderen Hochschulen eine Professur für soziale Medizin und Gewcrbehygiene neu geschaffen ist. Der Pariser „TempS" widmet der amerikanischen Aktion gegen Rumänien eine eingehende Erörterung, aus der Schlüsse für die diplomatische Haltung Frankreichs in dieser Angelegenheit gezogen werden können. Dabei ist be merkenswert, daß sich das Pariser Organ den amerikanischen Wünschen ungemein kühl gegenüber stellt. Der „TempS" schließt nämlich seinen Leitartikel mit folgenden Sätzen: „Tie Sache ist zweifelhaft. Der öffentliche Geist in Europa ist nicht derselbe wie 1878. Ein gewisser, vielleicht naiver Idealismus hat einer Realpolitik Platz gemacht, die ein wenig brutal ist. Gewisse Grundsätze, die vor einem VierteljohrbunLert als Dogmen ausnahmslos geglaubt wurden, haben nicht mehr Gültigkeit. Die Regierungen fürchten über alles, sich Affären zu schaffen — einer Idee zu Liebe. Die Diplomatie kann nicht auf die unbedingte Hülse der Presse und der Parlamente rechnen. Man wird sehen, ob Herr Hay einen Schlag inS Wasser gethan, oder ob es möglich ist, mit Artikel 44 Le- Berliner Vertrages Grundprinzipien unserer Civili- sation zu vertheidigen." Man irrt wohl nicht, wenn man nach dieser französischen Zugeknöpftheit gegenüber dem Vorgeben der Vereinigten Slaaten die Sielluug Rußlands zu dieser Frage beurteilt. Auch Rußland dü>fle keine Neigung verspüren, als eifriger Anwalt der rumänischen Juden aufzutreten. Das ist schon im Hinblick auf die Lage der russischen Juden überaus ein leuchtend. Aus Tanger, 23. September, schreibt man uns: Zu den sonstigen aus verschiedenen Gegenden des marokka nischen Reiches gemeldeten Ausständen kam Anfang dieses Monats die Nachricht von Unruhen, die in Mequinez aus gebrochen waren und einen bedenklichen Charakter anzu nehmen schienen. Der Sachverhalt war folgender: Die zum Markte nach der Stadt gekommenen Berber der Um gegend weigerten sich am letzten Markttage, die aus geschriebenen Steuern zu zahlen und plünderten, damit nicht zufrieden, die Läden, insbesondere die israelitischen. Der davon benachrichtigte Pascha schickte die verfügbaren Truppen zur Unterdrückung des Krawalles aus, die Re bellen wurden vertrieben, ein Teil ihrer Beute ihnen ab genommen, außerhalb der Stadt aber erhielten sie be deutende Verstärkungen, es kam zu einem heftigen Kampfe, derzahlreiche Tote und Verwundete zur Folge hatte, und dieTruppen des Paschas mußten sich in die Stadt zurückziehen, deren Tore ge schlossen wurden. Daß innerhalb derselben eine entsetzliche Panik herrschte, ist selbstverständlich. Die Aufrührer hatten außen die Oberhand, sie überfielen und beraubten beiläufig auch die gerade ankommenden Postboten, erst den französischen, und zwei Tage darauf den deutschen. Sehr schnell aber kam der vom Sultan mit 3000 Askris und 5 Kanonen zur Unterdrückung des Ausstandes gesendete General Mulcy cl Amrani in Mequinez an und stellte, in dem er nur wenig Pulver zu verschießen brauchte, die Ruhe wieder her. Am 17. -. M. konnte er v o l l st ä n d i g e n E r s o l g nach Fez an den Sultan melden. — Daraus haben auswärtige Zeitungen, die spanischen voran, eine die Ruhe Europas bedrohende Revolution gemacht mit langen Betrachtungen über die zu erwartenden Ereignisse, obgleich schon viel schlimmere Krisen in Marokko ausbrachen und überwunden wurden. Bor allem war keine Rede davon, daß die Aufrührer den Zweck gehabt hätten, den Prinzen Mnley Moi'imniev aus seinem Gefängnisse zu befreien und auf den Thron zu setze«. Dieser, der Binder des Sultans, war allerdings Kronprätendent und früher in Fez im Gefängnis; ieü langem aber wohnt er in Mequinez bei seiner Mutter in Freiheit, wenn auch selbstverständlich vom Pascha überwacht. Er hat aber dem Sultan einen so strikten Eid, sich ruhig verhalten zu wollen, abgelegt, daß er sich, wenn er ihn bräche, bei seinen Glaubens genossen unmöglich machen würde. Uebrigens wird der Snltan sehr bald mit seiner ganzen um ihn versammelten Hcercsmacht nach Mequinez aufbrechen und dort eine Zeit lang Hof halten, ehe er nach Marrakesch geht. Vorher ist noch ein wiederholter Aufenthalt in Rabat geplant, auf welchen sckon die dort kürzlich erfolgte Ausschiffung einer kostbaren Dampfschaluppe daselbst schließen läßt. Es ist überflüssig, alle Gegenden zu nennen, in denen Unruhen herrschen und in welche Truppen geschickt wurden, zumal da alle neueren Nachrichten der Regierung günstig lauten; insbesondere sei nur erwähnt, daß sich die Grenzkabylen bei Melilla auf einen bloßen, allerdings sehr drohend ge haltenen Brief des Sultans hin ganz ruhig verhalten. Aus Rabat hört man, daß daselbst viel Kriegsmaterial auS- geschifft wurde und allein 400 mit Patronen beladene Maul esel von dort nach Fez abgegangen sind, aber die Regierung hat noch weitere Wasfenankäufe im Auslande gemacht und in allen Städten des Reiches will sie jetzt, wie es sich in Tanger bewährt hat, Soldatenwachcn einrichten. Deutsches Reich. L. 6. Berlin, 1. Oktober. (Volkszählung 1900.) In Fortsetzung der bisherigen Veröffentlichungen des Kaiserlichen Statistischen Amts in bezug auf die BolkSiählung 1900 bringt das eben erschienene VierteljabrSheft zur Statistik deS deut schen Reichs weitere Ergebnisse dieser Zäblung. Sie betreffen Aller, Familienstand, Religion, Muttersprache der Bevölke rung, sowie die Verteilung der Bevölkerung auf Stadt und Land. WaS das Alter betrifft, so sieben von der Reichsbevölkerung 25 Millionen (44 v. H. der Gesamtheit) im Alter bis zu 20 Jahren, 17 Millionen (30 v. H.) im Alter von 20 bis 40 Jahren, 10 Millionen (18 v. H.) im Alter von 40 bis 60 Jahren und 4 Millionen (8 v. H.) im Aller von über 60 Jahren. Im Ver gleich zum Volkszählungsergebnis 1890 ist die Altersklasse von 20 bis 40 Jahren um 1,2 v. H. stärker vertreten. — Hinsicht- lich deS Familienstandes teilt sich die Bevölkerung in 33 Millionen (59 v. H.) Ledige, 20 Millionen (35 v. H.) Ver- heiratete und 3 Millionen (6 v. H.) Verwitwete und Geschiedene. In Len einzelnen Altersklassen erscheint die FamilienstandSgliederung natürlich in veränderter Gestalt. Während die Altersklasse bis zu 20 Jahren im wesentlichen nur Ledige (99,82 v. H.) aus weist, sind in den andren Altersklassen die Verheirateten zahlreicher, und zwar beträgt ihr Anteil bei den 20- bi- 40jährigen 56 V. H., bei den 40- bis 60jährigen 79 v. H., bei den über 60jährigen, unter denen sich 42 v. H. Verwitwete (und Geschiedene) befinden, 49 v. H. Seit 1890 ist die Vertretung der Veiheirateten unter der Bevölkerung von 34 auf 35 v. H. gestiegen. — Dem Religionsbekenntnis nach wurden 1900gezählt35Mill. (62 v. H.) Evangelische, 20 Millionen (36 v. H.) Katholische, 204 000 andere Christen, 586 948 (1 v. H.) Israeliten, 995 Bekenner sonstiger nicht-christlicher Religionen, 10 000 Personen anderen Be kenntnisses und 6000 Personen ohne Angabe des ReligionSbekennt- nisses. Gegenüber 1890 haben sich die Evangelischen um 4,2 Millionen oder 13,6 v. H., die Katholiken um 2,7 Millionen oder 15 v. H., di« Juden um 19 000 oder 3,4 v. H. vermehrt. — WaS die Muttersprache der Bevölkerung anlangt, so haben 52 Mil lionen deutsch als Muttersprache. Deutsch und eine fremde Sprache sprechen 253 000 Personen, darunter 170000 deutsch und polnisch, 24 000 Leu sch und wendisch, 11000 deutsch und masurisch. 4,2 Millionen haben eine fremde (nicht deutsche) Muttersprache. Von denselben sprechen 3 Millionen polnisch, 212000 französisch, 142 000 masurisch, 141000 dänisch, 106 000 litauisch, 100,000 kassu- bisch, 66 000 italienisch, 43000 tschechisch. Da früher Nachweise über »sie Muttersprache für das gesamte Reichsgebiet nicht erhoben wurden, ist ein zeitlicher Vergleich dieser Daten einstweilen nicht möglich. — Feuilleton. Compania Carador. 2f Roman von Woldemar Urban. »i-Scruck vkrtctcn. „Was ist zu tun, Herr Doktor?" kragte der Schutzmann nach einer Weile ratlos. Der Mann hatte vor solchem Landstraßerrgesindel allen Respekt. Er wußte schon ans seiner Erfahrung, daß die Leute zu nichts anderem vor handen waren, als den Beamten Arger und Schererei aller Art zu schaffen. „Wir können dte Frau hier nicht auf der Straße liegen lassen", erwiderte der Arzt. „Wie wär's denn, wenn wir sie wieder in ihren Wagen schafften und abschöben?" fragte der menschenfreundliche Schutzmann, dem natürlich darum zu tun war, sich die ganze Gesellschaft so rasch wie möglich vom Halse zu schaffen, und wenn es auch nur bis ins nächste Revier war. Dort mochte dann werden, was wollte. „Das kann ich nicht verantworten", entgegnete der Arzt rasch. „Der Zustand der Krau ist lebensgefährlich. Sie muß in eine warme Stube und in ein ordentliches Bett, und zwar so rasch wie möglich ins erste beste Haus." Er blickte einen Moment auf und sah am Gitter des Habichtschen Hauses noch den Diener stehen, der eben mit dem Schutzmann gesprochen. „Fragen Sie doch dort einmal, ob wir die Frau nicht für eine Stunde oder zwei hier unterbringen können, bis sie transportfähig ist und ich für ihre Aufnahme ins Krankenhaus gesorgt habe." Nun lief der Beamte, der sich wohl selbst auch ein Bild vom Zustand der armen Frau machte, eilig davon. Der Diener öffnete anch sofort das Gitter, um Raum für den Transport der Kranken zu schaffen, und nach wenigen hastigen Worten nahmen Monsieur August und der Direktor Frau Cazador mitsamt dem Teppich, auf dem sie noch immer bewußtlos und bleich wie eine Tote lag, auf und trugen sie in das Grundstück deS Rechtsanwalts. Als sie behutsam und vorsichtig mit ihrer Last durch den Garten schritten, kam mit raschen, elastischen Schritten Herr Rechtsanwalt Habicht I aus seinem Hause. „WaS ist denn los?" fragte er verwundert den Arzt. „Herr Rechtsanwalt, Sie werben entschuldigen, wenn wir Ihnen eine kleine Störung verursachen", antwortete Doktor Herwarth, höflich den Hut ziehend, „es ist eine arme Frau, die soeben von einem sehr gefährlichen Blut sturz befallen wurde. Es handelt sich nm eine sofortige Unterkunft, natürlich nur für so lange, bis ich weiter Rat geschafft habe. Jedenfalls also nur für Stunden." „Aber solche Leute von der Straße, Herr Doktor!" er widerte der Rechtsanwalt rasch und halblaut. „Wer weiß, was sie mir alles in mein Haus schleppen? Hier ist doch kein Hospital! Nein, nein", fuhr er dann rasch fort, als der Arzt etwas cinwerfen wollte. „Sie sind doch selbst Mediziner! Mahnen Sie uns nicht selbst bei jeder Ge legenheit zur Vorsicht gegen Mikroben, Bazillen und allerlei unsichtbaren Ansteckungsstoff " „ES handelt sich hier darum nicht." „Das wissen Sie nicht. In mein Haus kormnt die Frau nicht", sagte der Rechtsanwalt energisch, „ich habe Frau und Kinder und " Plötzlich brach er ab und sah den Direktor Cazador scharf und forschend an. „Jäger!" murmelte er dann überrascht und betroffen leise für sich. Tie beiden Männer standen sich einen Augenblick lang Auge in Auge gegenüber. Es schien, als ob der Direktor etwas sagen wolle, dann aber fuhr der Rechtsanwalt rasch fort: „Also schaffen Sic die Frau meinethalben dort hinüber, dort wird sich wohl eine Unterkunft finden, und wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, Herr Doktor, bitte ich Sie, mir zu sagen, um was cs sich handelt." Damit wies er mit der Hand nach einem Seiten gebäude, wo der Pfcrdestall und die Kntscherwohnung waren. „Selbstverständlich werde ich Ihnen sofort rapportieren, Herr Rechtsanwalt", erwiderte der junge Arzt Höf ich und fast unterwürfig, als ob es ihm darum zu tun sei, einen möglichst günstigen Eindruck bei dem Rechtsanwalt zu machen. Dann brachte er seine Kranke nach dem bezeichneten Hause. Zweites Kapitel. Rechtsanwalt Habicht I war ein Mann in den sechziger Jahren, aber man sah ihm das Alter eigentlich nicht an. Er war frisch nnd lebendig, sein Teint war fast snqendlich gerötet wie bei einem Mann von vierzig Jahren, sein Ha ir. allerdings stark ergraut, war kurz geschoren, voll und dicht rmd stand wie eine Bürste ausrecht. DaS glatte bartlose Gesicht war angenehm gerundet, und unter dem Kinn zog sich eine behäbige Fcttwulst hin, ein sogenanntes Untcrkinn Er machte den Eindruck eines wohlgenährten, völlig mit sich zufriedenen Menschen. In seinem Wesen war er kurz und bündig, stark sarkastisch, und von einer gewissen Spottsucht, die ihm vor den Durchschnittsmenschen leicht den Schein der tteberlegenheit gab. Aber diese Uebcrlegenhcit bestand eigentlich nur in einem raschen, schlagfertigen Verstand, in einem rücksichtslosen Egoismus, mit dem er in den groß.en wie in den kleinsten Dingen seinen persönlichen Vorteil verfolgte. Sein Egoismus, sein Jch-Gcsühi hatte ihm in der Welt einen großen äußerlichen Erfo'g verschafft. Er war von einem armen Advokaten zum angesehenen, in all u Kreisen eingcsührten nnd gefürchteten Rechtsanwalt und mehrfachen Millionär geworden, und au» diesen Eifolg, den so viele Hunderte und Tausende vergeblich erstreben, war er natürlich stolz. Wie viele gebrochene Existenzen, Kum mer und Leid auf seinem Lebenswege lagen, kümmerte ihn nicht. Er war der Sieger und er war froh, daß crs war. „Was führt wohl den alten Däme'fritzcn, den Jager, wieder nach so langen Jahren hierher?" dachte er, als er leicht und slott wieder nach seinem Hause zurückging. „Will er mir Ungclegcnheitcn machen?" Tie Geschichte mit der kranken Frau war er sehr geneigt für eine Komödie zu halten, um sich den Eingang in das Hans zn erzwingen. Aber was konnte denn der Mann schließlich ausrichtcn? Gegen ihn? Es war ja alles richtig hergegangcn und kein einziger Gesetzesparagraph verletzt worden. Um das Ucbrige brauchte sich Habicht I nichr zu kümmern und wollte es auch nicht, denn er sah ja alle Tage, daß die Leute davon nur verdreht und unpraktisch wurden. Gleichwohl war dem Rechtsanwalt immer etwas unbehaglich, wenn er einen seiner „Leidtragenden" — so nannte er die Verlierer seiner Prozesse — wicdersah. Er fühlte sehr wohl, daß ihm die Leute nichts Gutes wünschten, nnd der Trost, daß „Alles in Ordnung" mar, wollte nicht immer verfangen. Oder batte er sich geirrt? War es gar nicht Jäger, sein Vorgänger im Besitz des Hauses, den er dort in dem lächcrl chen Aufzug mit dem ver schlissenen roten Frack und den Zigcuncr-Alluren gesehen ? Dumm genug war er allerdings schock immer zu solchen Verrücktheiten gewesen. Auf der Steintrcppe, die zu dem Hause cmporsührte, blieb der Rechtsanwalt noch einmal stehen und sah sich um. Er bemerkte den Wohnwagen mit der bunten Aufschrift: „Cornpaüia Cazador". Cazador? fragte sich der Rechts anwalt. Ganz richtig, das hieß auf Deutsch Jäger. Er hatte sich also nicht geirrt, das war wirklich sein alter Leid tragender Jäger, der nur seinen Namen inS Spanische übersetzt hatte; wollte er damit jemand täuschen? Dann hätte er schlauer sein müssen. Soviel Spanisch verstand man in Deutschland auch. Als er in das Haus trat, kam ihm seine älteste Tochter Luise entgegen. „Was ist geschehen, Papa?" fragte sie erregt und ängst lich. „Ich weiß nicht", antwortete er kurz und wollte vor über. „Muß ich hinüber gehen und fragen, ob ich mit irgend etwas behilflich sein kann?" fragte Fräulein Luise weiter. „Nein, das mußt du nicht", sagte er zurcchiweisend. „Im Gcgentheil mußt du die Kutscherwohnung meiden, wenigstens so lange, bis wir sicher sind, daß keine An steckungsgefahr vorltegt. Das Landstraßcngesindel " fuhr er dann ärgerlich fort, brach aber wieder ab und ging weiter. Der jungen Dame war das Verbot offenbar nicht recht. Sie trat nnter die Tür und schaute gespannt nach dem Pfcrdestall hinüber, ob sic vielleicht von weitem etwas er lauschen könne. Das mar aber nicht der Fall, und weiter zu gehen wagte Fräulein Luise nicht. Lie hatte schon von oben mit dem Operngucker zwischen den Bäumen hindurch zugesehcn, wie Mademoiselle Fifine in langsamem Schritt nnd feierlichem Ernst auf- und abmarschicrt war, den langen Hals so steif, als ob sie ein Lineal verschluckt habe. Sie hatte niemals in ihrem Leben etwas Drolligeres und Spaßhafteres gesehen, und plötzlich war über die ganze bunte Flittcrwclt ein Schatten, ein TodcSschattcn gefallen; ein Unglück war geschehen. Sie hatte gehört, wie das stolze schöne Mädchen auf der Treppe des Wohnwagens in ihrem lcichfertigcn Flitterstaat einen herzzerreißenden Schrei auS- gcstoßen nnd dann sah sic dasselbe in ihrem kurzen bunten Röckchen bei der Mutter uicderknieen. Dieser grelle Gegen satz zwischen dem heiteren, tändelnden Spiel des Lebens und dem finsteren Ernst des Todes war der jungen Dame tief ins Herz gedrungen und hatte sie ernst und mitleidig gestimmt. Nun durfte sic nicht einmal Hilfe leisten? Und cs waren doch auch Menschen, obwohl — Landstraßen« gcsindel. Ihr Gefühl war in dieser Hinsicht wesentlich ander- al* das ihres Vaters. Sie war mehr nach ihrer Mutter ge. raten, die eine sanfte, stille Frau war. Der wilde Kampf
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