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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021003018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 H (excl. Porto). — Ertra Beilagen (gefalzt), »nr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmelchluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Str. W. Freitag den 3. Oktober 1902. 9K. Jahrgang. Vas Reichsgericht und das Zurückbehaltungsrecht der Hauswirte. kr. In der Tagespresse ist vor einiger Zeit kurz ans eine Entscheidung des Reichsgerichts hingewiesen morden, die eS den Vermietern freistellt, eine Vereinbarnng mit -em Mieter dahin zu treffen, daß ihm, 'dem Vermieter, ein Zurückbehaltungsrecht an allen eingebrachten Lachen deS Mieters zustehe. Tiefes Urteil bedeutet einen Rückschritt in dem durch das neue Bürgerliche Gesetzbuch awgestrebten Schutze des Mieters, und eS ist daher au- gebracht, dasselbe einmal näher zu betrachten. Nach dem Bürgerlichen Gesctzbuche für daS Königreich Lachsen (8 1228) hatte der Vermieter wegen der Ver- tragsverbindlichkeiten des Mieters auch das Recht, die in den ermietcten Räumen noch vorhandenen Lachen des Mieters zurückzubehalten. Er konnte dieses Recht auch gegen den Aftermieter ausüben, jedoch, soviel die diesem gehörigen Lachen betraf, nur ursoweit, als der Mieter eine Forderung aus dem Mietverträge an seinen After mieter hatte. Im weiteren bestimmte das sächsische Ge setzbuch aber ausdrücklich, daß „an Gegenständen, in welche die Hilfe nicht vollstreckt werden dürfe, dieses Recht der Zurückbehaltung nicht ausgeübt werden könne". Dieses Zurückbehaltungsrecht, das schon das römische Recht bei den pi-ueckiis urdsnis hinsichtlich der inroera und iUata des Mieters kannte, ist in fast alle Lau-rechte übergegangen, vielfach in das Privilegium eines gesetz. lichen Pfandrechtes umgemandelt, wie z. B. im preußischen Recht, und neuerdings im deutschen Bürgerlichen Gesetz- vuch. Sicherlich wird auch kein einsichtsvoller Beurteiler -er Verhältnisse des täglichen Lebens dem Vermieter diesen Schutz streitig machen, aber die Ausübung des ge währleisteten Rechtes kann zu Härten führen, denen gegen über auch „-er Lchutz des Mieters" seine Berechtigung geltend macht. Darum ließ wohl das sächsische Recht die Zurückbehaltung -er Sachen des Mieters ihrem ganzen Umfange nach zu, nn- der Vermieter war nicht ver pflichtet, die Zurückbehaltung auf -ie im Werte seinen An sprüchen gleichkommenden Objekte zu beschränken, aber es entzog -er Zurückbehaltung doch -te notwen digsten Gegenstände des Mieters, deren Vor handensein die Grundbedingung seiner weiteren wirt schaftlichen Existenz bildete. Tic Rcichöcivilprozcßvrdnnng in ihrer früheren Fassung gab in 8 715 eine Aufstellung dieser unentbehrlichen Gegenstände, die in der neuen Civtlprozestor-nung, z 811, noch eine Erweiterung erfahren hat. In Preußen herrschten in Bezug auf die Beschränkung -es Pfandrechtes dem Mieter gegenüber die wider sprechendsten Ansichten. Man war vorwiegend der Meinung, daß dem Pfandrechte des Vermieters auch die von der Pfändung ausgcnvmmencn Lachen unterworfen seien, soweit cs sich nicht nur Offiziere, Beamte, Geistliche, Lehrer, Rechtsanwälte, Arzte und Apotheker, oder um Orden und Ehrenzeichen handelte. Die Bestimmungen in 8 715, Nr. 0 bis 9, sollten in ü f f e n t l i ch e m I n t e r - esse gegeben sein, die in Nr. 1 bis 5, 10 dagegen nicht. Bei den ersteren sollte daher sogar ein Verzicht ans die Beschränkung wirkungslos sein. (Vergl. Niendorfs, Preußisches Mietrecht, L. 224.) Erst das Ersetz vom 12. Juni 1894 schaffte hierin Wandel, indem cs der soge nannten „Kahlpfändung" überhaupt vorbeugte und einer humaneren Anschauung Bahn brach. Auch verschiedentlich»: andere Staaten schlossen sich diesem Vorgehen an. Erweitert aber wurde der „Lchutz des Mieters" unter der Herrschaft des neuen Rechtes. DaS Bürgerliche Gesetzbuch für daS deutsche Reich be stimmt in 8 559, daß der Vermieter für seine Forderungen aus dem Mictverhältnis ein P fan-recht an den ein gebrachten Sachen des Mieters hat. Nnr an den Lachen des Mieters! Im Gegensätze zn dem früheren preußischen Recht, also nicht au den Lachen der Ehefrau und Kinder des Mieters, cs sei denn, daß sie bei allge meiner Gütergemeinschaft, Errungenschaftsgcmcinschast oder Fahrnisgcmeinschaft in das Gesamtgut fielen. Auch an -en Sachen -es Aftcrmieters nicht mehr, wie im früheren sächsischen Recht. Die Grenzen des Pfandrechtes sind insoweit verengert worden. Aber die Beschränkungen gehen noch weiter. Der Hauswirt kann das Pfandrecht nicht wegen aller künftigen Mietzinsfordcrungcu geltend machen. Im sächsischen Rechte konnte er es nnr wegen des im Zeitpunkte der RechtSausübung fälligen Mietzinses. Heute kann er es wegen des Mietzinses für das lanfende und das folgende Mietjahr. Läuft -er Kontrakt noch länger, so hört wegen der noch später fällig werdenden MtetzinSraten daS Vorrecht auf. In Sachsen sind da mit die Miether jetzt schlechter gestellt, als vordem, in anderen Staaten günstiger. Die wesentlichste Beschränkung aber bringt der Schlußsatz des 8 659, indem er ausspricht, baß sich bas Pfandrecht nicht ans die der Pfändung nicht unterworfenenSachcn er st reckt. Es soll damit, wie im sächsischen und späteren preußischen Rechte, der „Kahlpfändung" vorgebeugt, ver- iniodcn wer-en, daß -er Mieter vom Hauswirt ohne alle Habseligkeiten auf die Straße gesetzt wird. Welche Sachen der Pfändung nicht zu unterwerfen sind, bestimmt 8 811 der Civilprvzcßordnung. Es sind Lachen, die dem Schuldner znr Erhaltung seiner Existenz unent behrlich sind. Sie sind dem Zugriffe des Gläubigers, auch dem des Hauswirtes, entzogen. Es sind, wie wir der Vollständigkeit wegen hinzufügen wollen, folgende Sachen: 1) Kleidungsstücke, Betten, Wäsche, Haus- und Küchen gerät, soiveit sie für -en Bedarf deS Schuldners oder zur Erhaltung eines angemessenen Hausstandes unentbehrlich sind. 2) Auf 4 Wochen NahrungS-, Fcncrungö- und Bclcuch- tungsmittel oder der erforderliche Geldbetrag dafür. 8) Eine Milchkuh oder nach Wahl des Schuldners zwei Ziegen ober Schafe nebst Futter- und Lireuvor- räten auf 4 Wochen oder der Geldbetrag dafür, wenn die Tiere zur Ernährung des Schuldners und seiner Familie unentbehrlich sind. 4) Bet Personen, die Landwirtschaft treiben, daS zum «eUerSrtrieb «forderliche Giriit und Vieh nebst Dünger u. s. w., so weit sie bis zu der Zeit erforder lich sind, zu welcher gleiche oder ähnliche Erzengmsse voraussichtlich gewonnen werden. 5) Bei Künstlern, Handwerkern, gewerblichen Ar beitern und anderen Personen, welche aus Hand arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur persönlichen Fortsetzung der Erwerbstütigkeit unentbehrlichen Gegenstände. 0) Bei den Witwen und minderjährigen Erben der unter 5 genannten Personen, wenn das Geschäft durch Stellvertreter sortgcführt wird, die zur per sönlichen Fortführung durch die Stellvertreter un entbehrlichen Gegenstände. 7) Bei Offizieren, Dcckoffizieren, Beamten, Geistlichen, Lehrern an öffentlichen Untcrrichtsanstalten, Rechts anwälten, Notaren, sowie Ärzten und Hebammen die znr Verwaltung des Dienstes oder Ausübung des Berufs erforderlichen Gegenstände, sowie an ständige Kleidung. 8) Bei Offizieren, Militärärzten, Dcckoffizieren, Beamten, Geistlichen, bei Ärzten und Lehrern an öffentlichen Anstalten ein Geldbetrag, welcher dem der Pfändung nicht unterworfenen Teile des Dicnsteinkommcns oder der Pension für die Zeit von der Pfändung bis zum nächsten Termin der Ge halts- oder Pensionszahlung gleichkommt. 9) Die zum Betriebe einer Apotheke unentbehrlichen Geräte, Gefäße und Waren. 10) Die Bücher, welche zum Gebrauche des Schuldners und seiner Familie in der Kirche oder Schule oder einer sonstigen Nnterrichtsanstalt oder bei der häus lichen Andacht bestimmt sind. 11) Tie in Gebrauch genommenen Haushaltnugs- und Geschäftsbücher, die Familienbücher, sowie die Trau ringe, Orden und Ehrenzeichen. 12) Künstliche Gliedmaßen, Brillen und andere wegen körperlicher Gebrechen notwendige Hilfsmittel, so weit diese Gegenstände zum Gebrauche des Schuld ners und seiner Familie bestimmt sind. 13) Die zur unmittelbaren Verwendung für die Be stattung bestimmten Gegenstände. Die dem Zugriffe der Gläubiger und auch des Haus wirtes unter ihnen danach entzogenen Gegenstände haben gegen früher eine wesentliche Vermehrung erfahren Ein Vergleich des 8 811 mit dem früheren 8 715 (namentlich in Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 10) zeigt das Bestreben, den Schutz des Schuldners zu vermehren, dafür zu sorgen, daß er wirt schaftlich nicht zu Grunde gerichtet werden kann. Das Recht des Stärkeren soll von Gesetzes wegen eingeschränkt werden, damit der wirtschaftlich Schwächere in bedrängter Lage vom überlegenen Vcrtragsgegncr nicht erdrückt wer den kann. Und wer die Motive liest oder die Verhand lungen des Reichstages in Kommission und Plenum ver folgt, der sindet auch hier unzweideutig zum Ausdruck ge- gebracht, daß cs der Wille des Gesetzgebers war, eine bindende Bestimmung dahin zu treffen, daß dem Mieter nicht alles genommen werden kann, die sogen. „Kahlpsändung" im ganzen deutschen Reiche ausgeschlossen sein soll. Es ivar auch ein Teil der großen sozialen Frage, die damit gelöst werden sollte. Der Mieter wußte nun auch, daß ihm wenigstens in trüber Zeit, beim Herein bruch eines Unglücks über ihn und seine Famil'e. so viel erhalten blieb, um notdürftig weiter existieren zu können. Diese Aussichten sind aber durch ein neueres Urteil des Reichsgerichts zerstört worden. Das Reichsgericht hat eine Entscheid»»» dahin gefällt, daß ein Abkommen, nach welchem der Mieter dem Vermieter wegen dessen For derungen aus dem Mietverhältnissc an sämtlichen eingebrachten Sachen ein Zurückbehalt ungsrecht einräumt, rechtswirksam sei, und daß der Vermieter infolgedessen das Recht habe, bis zu seiner Befriedigung die Wcgschassuug der in die Mietswohnung cingcbrachten Sachen zu verhindern, und daß dieses Recht sich auch auf die der Pfändung nicht unter worfenen Sachen erstrecke. Der Hauswirt hat sonach an den cingcbrachten Sachen des Mieters ein gesetzliches Pfandrecht und, dafcrn er nur will, und er wird immer wollen, ein vertragsmäßiges Zurückbehaltungsrecht. An den der Pfändung unterwor fenen Sachen — Pfandrecht, an den der Pfändung nicht unterworfenen — Retentionsrecht! Der Reichstag denkt — das Reichsgericht lenkt! Wenn man geglaubt hatte, dem wirtschaftlich Schwächeren in 8 559 einen gewissen Schutz verleihen zn können, so hat sich dies nach der Entscheidung des Reichsgerichts als illusorisch erwiesen und die ganze „wichtige sozialpolitische Errungenschaft" ist über den Haufen geworfen. Denn das ist doch klar, daß in den Mietsverträgen der Hausbesitzer nun alsbald ein Passus erscheinen wird, nach welchem der Vermieter eben an allen Sachen des Mieters ein Zurückbehaltungsrecht hat. Und was soll der Mieter machen, wenn er eine Wohnung braucht? Er mutz unterschreiben und sich auf Gnade und Ungnade dem Hauswirt ausliefern. Sollten dann unglückliche Verhältnisse, geschäft liche Verluste, Stellenlosigkeit und so weiter dazu führen, daß er die Miete nicht zahlen könnte, so hätte der Hauswirt das Recht, ihn mit seiner Familie „nackt und bloß" auf die Straße zu setzen. Die Sachen, an denen er Pfandrecht hat, kann er, unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften, verkaufen lassen, die anderen bis zur Bezahlung deS Mietzinses zurückhaltcn. Er kann also das herbeiführcn, was der Gesetzgeber ver mieden wissen wollte, den vollständigen wirtschaftlichen Ruin des Mieters. Ob derselbe kraft Gesetzes oder kraft freier Vereinbarung herbcigcflihrt wird, ist gleichgiltig. Man hat einmal in einem Blatte geschrieben, das Reichs- gcricht sei das „Gericht der vornehmen Leute". Das ist natürlich eine leere Redensart, die wir nicht gutheißen. Anch die erwähnte Entscheidung wird dazu Veranlassung geben, gegen das Reichsgericht zu polemisieren, und sie vielleicht mit größerem Rechte. Man wird im Volke nicht recht einsehen — man möge es dem Latcnvcrstand ver zeihen! —, warum die Vorschrift in 8 559 deS Bürgerlichen Gesetzbuches nicht auch im öffentlichen Interesse erlaßen sein und daher nicht durch andere Vereinbarungen um gangen werden kann. Lin unzeitgemäßer Gegensatz machte sich schon Set der Auslegung des 8 715 der Eivilprozeßordnung (jetzt 8 811) fühlbar. Man sagte, daß die dortigen Vorschriften über die Mchtpfändbarkeit gewisser Sachen bei Offizieren, Be amten u. s. w., die ohnehin wirtschaftlich sicherer gestellt sind als andere, im öffentlichen Interesse erlassen seien und nicht durch freie Vereinbarung aufgehoben werden könnten, während das bei anderen Sterblichen nicht der Fall sei. (Vergl. v. Wilmowski und Levy. E.-P.-O. S. 831.) Schon diese Unterscheidung war höchst willkürlich, denn der Staat hat die Pflicht, gleich mäßig für alle seine Unterthanen zu sorgen und nicht Rcchtswohltaten nur besonderen Gruppen seiner Bürger zukommen zu lassen. Der Staat hat also auch die Pslicht, dafür zu sorgen, daß alle seine Glieder vor dem wirtschaftlichen Ruin be» wahrt werden. Wie er darüber zu wachen hat, daß jedem sein Recht wird, muß er auch dafür Sorge tragen, daß die Ausübung dieses Rechtes nicht zur völligen Vernichtung anderer staatsbürgerlicher Existenzen führt. Er soll dem Gläubiger Waffen gegen den Schuldner geben, aber er soll ihm die Waffe ans der Hand nehmen, wenn der Schuldner ohnehin zu Boden gestreckt ist. Wenn er daher gesetzliche Bestimmungen trifft, welche den Schuldner, hier den Mieter, vor dem Äußersten bewahren sollen, so trifft er diese Bestimmungen im öffentlichen Interesse. So meinen wenigstens die Laien! Was hat eine Schutz bestimmung für Wert, wenn sie durch einen Privatakt umgangen werden kann? Man komme nicht mit dem vagen Einwand, daß der Mieter ja eine solche Bedingung nicht einzugehen brauche. Wer die Verhältnisse des prak tischen Lebens kennt und mit seinen Erfahrungen über die Grenze hinausgedrnngen ist, welche die oberen Zehn tausend von den mittleren und unteren Klassen des Volkes scheidet, der wird wissen, daß dem Mieter in jenen Klassen gar nichts anderes übrig bleibt, wie zu unterschreiben, wenn er nicht auf der Straße bleiben will. Er muß unter dem Zwange der Verhältnisse eine Bediügung eingehen, die, entgegen dem Willen des Gesetzgebers, ihn unter Um ständen dem wirtschaftlichen Ruin preisgibt. Der Staat will aber alle seine Glieder nach Möglichkeit erhalten wissen. Darum — so meinen die Laien — giebt er Schutz bestimmungen, wie die in 8 559, nicht nur im Interesse der Mieter, sondern auch im staatlicher», öffentlichen Interesse, darum verstoßen Vereinbarungen, welche sie umgehen, gegen Gesetz und gute Sitten, darrrm sind sie — so meinen die Laien — anch rechtlich wirkungslos! Deutsches Reich. .7 Berlin, 2. Oktober. (Die Denkschrift der Diskonts-Gesellschaft und die Kriegs anleihe von 1870.) Die „National-Ztg." beruft sich zur Ergänzung ihrer Bemerkungen über die Kriegs anleihe von 1870 auf die kürzlich erschienene Denk schrift „Die Di s k o n t o - G e se l l s ch a s t 1851 b i s 1901." In letzterer wird mitgeteilt, daß der preußischen Finanzvcrwaltnng von den Herren Hanscmann und Mendelssohn-Bartholdy bei der Erörterung des Anleihe planes erklärt wurde: auf einen sicheren Erfolg der An leihe könne nur bei einem Kurse von 85 Prozent, wie er dem damaligen Stande der in Betracht kommenden preußi schen Staatspapicre entsprach, gerechnet werden. „Aber an entscheidender Stelle", so heißt es in der Denkschrift weiter, „rechnete man allein mit der gehobenen Stimmung der Nation, ließ die tatsächlichen Verhältnisse des Geld marktes außer acht und setzte den Subskriptionspreis aus 88 Prozent fest." — Durch diese Mitteilungen der Denk schrift werden weder die Gesamtheit der vermögenden Klassen, noch die Börse als solche entlastet. In Augen blicken, wie damals, wo der Kampf «m das Dasein der deutschen Nation begann, wegen ganzer 3 Prozent den Staat finanziell im Stiche zu lassen — das ist kläglich und bleibt kläglich. Wenn aber die Herren Hanse mann und v. Mendelssohn — und mit ihnen doch wohl ohne Zweifel die ganze leitende Bankwelt — den Mißerfolg der Kriegsanleihe so sicher voranssahcn, mußten sie ihrerseits alles aufbtetcn, um jenen M iß- erfolg zu verhüten. Gerade jene Kreise mußten einen gcnancn Einblick in die Lage der preußischen Staa tSfi n a nzc n haben, welche die v o l l k o m m c n e Sicherheit der Anleihe verbürgten. Schon im Jahre 1865 betrug, wie Schm oller in seinen „Epochen der preußischen Finanzpolitik" anführt, die Rente -eS preußischen Staates von eigenem Vermögen 23,2 Millionen Taler,' das entspricht einem Vermögen von etwa 460 Millionen Talern. Daneben war im Jahre 1805 ein Staatsschatz von 20 Millionen Talern nnd ein Be triebsfonds der Gcneralstaatskasse von 7 Millionen vor handen. Es stand also ein Vermögen von nahezu 500 Millionen Talern den 290 Millionen Schulden gegenüber. Die Domänen lieferten trotz der Veräußerungen jetzt wieder dieselbe Rente wie vor 30 ober 40 Jahren,' die Forsten gaben infolge der gestiegenen Holzpreise einen drei- nnd vierfachen Ertrag; die Rente aus Bergwerken, Hütten und Salinen war von nicht einer halben Million im Iabre 1820 auf 3 Millionen im Jahre 1860 gestiegen; die Rente der Staatsbahnen betrug 1865 7,7 Millionen; das Anlagekapital der preußischen StaatSbahnen betrug im gleichen Jahre 118 Millionen Taler, der Besitz des Staates an Aktien nnd Prioritäten 10 Millionen. An Steuern aber zahlte man in Preußen im Jahre 1865 „nach einem halben Jahrhundert des größten volkswirtschaftlichen Auf schwunges, den die Welt je erlebt" (Schmoller), ganz die selbe Summe, wie 1820 bis 1830, nicht ganz 4 Reichs taler auf den Kopf; auch die Berechnungen der 70cr Jahre ergeben für Preußen ein ähnliches Resultat, nämlich eine Steucrbelastung für den Kopf von 17 während sic für Frankreich 49, für Großbritannien 41,6, für Österreich 29,2, für Rußland 14,7 beträgt. Angesichts dieser Zahlen muß jeder Unbefangene gestehen, daß eS nicht „aller Ehren wert", sondern recht jämmerlich war, wenn in Preußen auf die Kriegsanleihe von 1870 nicht die geforderten 100, sondern bloß rund SO Millionen Taler bar gezeichnet wurden. --- Berlin, 2. Oktober. (Deutschtum und Opfer willigkeit.) In der Presse wird mit Bebauern die Nach richt verzeichnet, daß in der Posenschen Stadt Wollst ein daS SchützenbauS in polnischen Besitz übergegangen ist und baß dadurch daS Polentuin rn Wolltlein ein eigenes VeremS- bauS und ein ständiges Tbeater erlangt hat. Tas Bedauern hierüber wird auf deutscher Seite allgemein geteilt werden. Aber mit dem Bedauern allein ist für das Deutschtum gar nichts gewonnen. Soll letzteres bei der öffentlichen Erörterung solcher beklagenswerter Vorgänge wenigstens mittelbar einen Nutzen haben, so muß mit voller Sckär se dem Erstaunen und dem Unwillen darüber Ausdruck gegeben werden, daß die Opferwilligkeit der Deutschen den Eintritt jener Vorkommnisse nicht zu verhüten vermocht hat. Das Schützenbaus ist vor mehreren Jabren von der Schützengilde an einen deutschen Fleischermeister ver kauft worden, nachdem es „seit undenkbarer Zeil" im Besitze der Schützengilde gewesen. Konnte die.Sckützengilde wirklich nicht vorausiehen, baß der Verkauf den Übergang ihres alten Besitztums in polnische Hände anbabntc? Und konnte wirtlich nichts geschehen, um schon die Veräußerung des Schützen hauses durch die Gilde zu verhüien? Sobald aber einmal der leidige Verkauf bewerkstelligt war, hatte eS doch gelingen müssen, beim Auflauchen deS polnischen Käufers daS SchützenhauS in deutscher Hand zu erhalten. In erster Reihe war es die Sache der deutschen Bewohner WollsleinS, sich von den Polen an Opferwilligkeit nicht über treffen zu lassen und die nötigen Geldmittel — der polnische Käufer hat 24 000 bezahlt — auszubringen. Es ist kaum glaublich, daß dieser Betrag die Leistungsfähigkeit der Deutschen Wollsteins übersteige. Wahrscheinlich wäre das Polentum nicht in den Besitz eines eigenen VereiuShauseS und eines ständigen Theaters gelangt, wenn die ver schiedenen Verwaltungsorgane in der Sache den nötigen „Dampf" gemacht hätten. Jetzt ist das Polen tum in Wollstein Herr über neue wirksame Mittel der großpolnischen Propaganda unter Umständen geworden, die den Deutschen ganz und gar nicht zur Ehre gereichen. * Berlin, 2. Oktober. (Anzeigepflicht und Porto- freibeit.) Durch daS Reichsseuchengesetz wird bestimmt, raß jeder Fall einer gemeingesährlichen Krankheit und jede Erkrankung, die als gemeingefährlich verdächtig ist, angezeigt werden muß. Gemeingefährliche Krankheiten im Sinne des SeuchengeietzeS sind: Aussatz, asiatische Cholera, Fleck sieber, Gelbsieber, Pest und Pocken. Bei der Schaffung deS Reichsieuchen-Gesetzes war in Aussicht genommen für die Meldung, wenn sie mittels der Post erfolgt, eine Form zu wahren, die den Absender der Notwendigkeit überhebt, das Porto zu verauslagen. Darauf bin bat die Reichö-Postverwaltung die folgende Verfügung er lassen: „Nach dem Neichsgesetze, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900 ist jede Erkrankung und jeder Todesfall an Aussatz (Lepra), Cholera (asiatischer), Flecksieber (Flecktyphus), Gelb fieber, Pest (orientalischer Beulenpest), Pocken (Blattern) sowie jeder Fall, welcher den Verdacht einer dieser Krankheiten erweckt, ter zuständigen Polizeibehörde mündlich oder schriftlich anzuzeigen. Zur Anzeige sind insbesondere verpflichtet der zugezogene Arzt, der Haushaltungs vorstand, der Krankenpfleger, der Leichenschauer. Die Polizeibehörden haben diesen aus Verlangen Melde karten sür schriftliche Anzeigen unentgeltlich zu verabfolgen. Werden zu den Meldungen von den Anzeigepflichtige» un frankierte Postkarten benutzt, die im voraus von der Polizei bchörde niit dem Abdruck ihres Dienstsiegels oder -stempels mit dem Vermerke „Portopflichtige Dienstsache" versehen sind, so ist das für unfrankierte Sendungen vorgcschiiebene Zuschlagporto nicht zu erbeben. Diese Vergünstigung bezieht (ich nur auf Anzeigen über die oben aufgesübrien Krank heiten." Für die Meldung von Peslsällen ist ein Formular sestgcslellt worden. Beabsichtigt ist die Herstellung einer einheitlichen, bei sämtlichen gemeingefährlichen Krankheiten verwendbaren Postnieldckarle. In der Verfügung der Reichöposlverwaltung wird ausdrücklich gesagt, daß unsiankiertc Postkarten ohne Portoausschlag nur dann befördert werden, wenn eö sich um die Meldung gemeingefährlicher Krankheiten im Sinne deS ReicksseuchenzesetzeS handelt. Viel wichngcr wäre es, wenn in der gleichen Weise die Meldung aller an steckenden Krankheiten geordnet würde. Im Reichsseuchen- gejetz sind nur die schweren, bei unS aber seltenen ansteckenden Krankheiten berücksichtigt, nicht aber die einheimischen, wie z. B. die Diphtherie. Diese aber gerade hat der Arzt mehr oder minder oft zu melden. (-) Berlin, 2. Oktober. (Telegramm.) Der Stadlrat Kauffmann, der erst kürzlich auf seine Wahl zum zweiten Bürgermeister von Berlin verzichtete, ist heute vo, mittag elf Uhr gestorben. C) Berlin, 2. Oktober. (Teleqramm.) Der..Lokalaiizeigel" meldet: Der RtichStagrabgeorLiieir Rintcleu erlitt heute auf einem Spaziergang im Tiergarten einen Schlaganfall und wurde bewußt los in jruie Wohnung gebracht. D Berlin, 2. Oktober. lTtlegramm.) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Der Reichskanzler Graf v. Bülow beanitragte den Lhes der Reichskanzlei, tLeheimiaih Konrad, mit seiner Bei- tretung bei den .leierlichkeiten anlaßiich der Beisetzung des Ober- Präsidenten t>. Gastier in Danzig. G Berlin, 2. Oktober. (Telegramm.) Der „RtichSanzelgcr" veröffentlicht die Verleihung deS Schwarzen Sldlerordens an den deutschen Botichafter in Rom, Äras v. Wedel, und den italieni schen Ministerpräsidenten Zanarbtlll. — Ueber die Zahl nnd Verbreitung der Deutschen in Europa wird berichtet: Im deutschen Reiche selber beträgt die Zahl der Deutschen nach der jüngsten Zahlung vom 1. Dezember 1900 im ganzen 52 113 159. Etwas älter sind meist die Zählungen, deren Ergebnis die folgenden Daten sind. Nach der Häblung von 1890 batte Oesterreich damals 8662000 Deutsche; für Ungarn liegt jetzt daS endgültige Ergebnis der Zahlung vom 3l. Dezember 1900 vor, wonach die Zahl der dortige» Deutschen 2 >33 181 beträgt, eine Zahl, die dinier der Wuklichkeit aber sicher erheblich zurückblridt. Alle folgenden Z.ffern sind da« Ergebnis von mögltchst genauen Schätzungen auf Grund d«<
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