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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021004029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-04
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Und sie findet darauf nur folgende Antwort, die zugleich eine herbe Anklage gegen die Konservativen und eine eindringliche Mahnung an diese Partei ist: „Kein Mensch kann eS wissen; eS gilt für ebenso möglich, daß die zweite Lesung im Plenum nicht weit gedeiht, als daß die Ungewißheit noch eine ganze Weile weiter dauert. Wer wird den Vorteil davon haben, wenn nichts zu stände kommt, und wer, wenn die Verhandlungen in die Länge gezogen werden? Doch schwerlich andere Parteien als die Sozialdemokratie und das Zentrum. Die Geschichte der Wahlbewcgungen in Deutsch land lehrt zur Genüge, daß, wenn im Wahlkamps die Parole gegen die Verteuerung der Lebensmittel und gegen neue Steuern aus gegeben wurde, diejenigen Parteien, welche hierbei am wenigsten Rücksichten sich auferlegten, jedesmal am weitesten kamen. Wie könnte es anders sein in einer Zeit, in der die Folgen magerer Erwcrbsverhältnisse bis nahe an die söge« nannten bessersituirten Bevölkerungsschichten sich bemerkbar machen? Tie Forderung, es müsse etwas gegen da» Weiterumsich greifen der sozialdemokratischen Propaganda geschehen, ist seit Jahr und Tag von keiner Partei dringender geltend gemacht worden, als von der konservativen. Macht diese aber Miene, die sich ihr jetzt bietende Gelegenheit zu benutzen, um durch eine Verständigung m der Zolltarifirage zu verhüten, daß die wirtschaftlichen Gegensätze noch eine weitere Verschärfung in einem Wahlkampfe erfahren, der an Leidenschaftlichkeit schwer zu überbieten sein dürfte? Die Partei, welche außer der Sozialdemokratie am besten zu fahren Aussicht hat, wenn nicht verhältnismäßig rasch eine Verständigung über den Zolltarif herbeigeführt wird, ist das Zen trum. Niemand, der die Verhandlungen in der Kommission etwas genauer verfolgt hat, kann bestreiten, daß(die Vertreter der Zentrums partei ungemein vorsichtig zu Werke gegangen sind, damit man ihnen bei den Wahlen möglichst wenig, sei es von welcher Seite man es möchte, auhaben könne. Die Konservativen gefährden, je mehr und je länger sie einer Verständigung mit den verbündeten Regierungen auszuweichen scheinen, nicht nur einen Teil ihrer Mandate für den Reichstag, sondern tragen auch zur Schwächung ihrer Position im nächsten Kampfe für die Landtagswahlen erheblich insbesondere zu Gunsten deS Zentrums bei. Das zu bedenken, ist die allerhöchste Zeit. Gefahr liegt im Verzüge. Nicht auf Jahre, sondern aus Jahrzehnte hinaus berauben sich die Konservativen der Möglichkeit, auf die Entwickelung der inneren Politik und die Gestaltung der parla mentarischen Geschäfte den Einfluß nehmen zu können, den sie in be deutsamen Perioden der neueren Geschichte gemeinsam mit den national gerichteten Liberalen auSgrübt haben, wenn sie nicht bald abrücken von denen, welche sie um der Parole „Agrarisch ist Trumpf" willen ver leiten möchten, außer acht zu lasten, daß auf dir Dauer keine Partei eine fruchtbringende Tätigkeit entfalten kann, welche nicht daran sesthält, daß) über der Partei da» Vaterland steht! Zn dieser inneren Einkehr liegen aber bei den Konservativen nicht die ge ¬ ringsten Anzeichen vor; die Brücken zu ihrer politischen Ver gangenheit scheinen abgebrochen und die Führung der Partei in die Hände deS Bundes der Landwirte gelegt eS ist, wie wir schon früher ausführten, eine vollständige Liquidation der Konser vativen zu Gunsten deS Bunde» und mittelbar auch des Zentrums." Gegen die Behauptung, die Conservativen hätten die Führung ihrer Partei in die Hände des Bundes der Land wirte gelegt, wird die „Kreuzztg." entschieden protestieren, und nicht ganz mit Unrecht» denn die bündleriscken Mit glieder der Tarifkommission sind von den konservativen bei mehr als einer Gelegenheit im Stiche gelassen worden, be sonders bei dem Verlangen nack Einstellung eines einheitlichen Minimal - Getreidezolles von 7,50 Gerade daraus aber sollten die Konservativen den Schluß ziehen, daß sie bei einer Wahlbewegung, in der die Zollfragen die Haupt parole bilden, sich keineswegs unbedingt auf den Bund der Landwirte verlassen dürfen. Bei dem Einfluß und der Agitalionsweise seiner Führer ist eS leicht möglich, daß in solchem Falle konservative Mandate in bündlerische Hände übergehen und dadurch die bündlerische Macht über die Konservativen noch größer und drückender wird. Noch weit gefährlicher aber müßte den Konservativen, wenn sie durch Festbalten an den Kommissionsbeschlüssen zweiter Lesung eine Auslösung deSReichSlagö erzwängen,die Gegnerschaft derRegie- rungen werden. Diese haben sich in der Frage der Gelreibe zölle gebunden; daran ändert alles Gerede von der Möglichkeit eines Nachgebens des Bundesrats nicht bas mindeste. Und wersen die deutschen Regierungen bei einer Wahlbewegung die Frage auf, ob das deutsche Volk wirklich im Reiche ein parlamentarisches Regiment wolle, das den Bundes rat zur Unterwerfung unter den Willen der jeweiligen Neichs- tagsmehrheit beuge: so dürfen die Konservativen überzeugt sein, daß die ungeheure Mehrheit diese Frage zu Ungunstcn derer verneint, die jetzt sich anstellen, als sei das parlamen tarische Regiment im Reiche schon eingefübrt und gebe den jetzt in der Getreidezollfrage ausschlaggebenden Mehrheit das Recht, die Unterwerfung der verbündeten Regierungen zu sordern. Die Franzosen sind in diesem Jahre sebr zahlreich während der Sommerferien in den RctchSlanScn gewesen und haben dort augenscheinlich sebr förderliche, viele Illu sionen zerstörende Eindrücke erhalten. Auch der Oberst leutnant Rousset scheint zu den durch eine solche Reise Belehrten zu gehören, nach seinem „Metz" be titelten Artikel im „Gaulois" zu schließen. Freilich flicht er als gesinnungstreuer Nationalist einige sehr gehässige Bemerkungen gegen Deutschland und selbstverständlich auch gegen die französische Regierung in diese interessanten Geständnisse ein. „Der Eindruck, der anfangs Alles be herrscht, ist der der Kraft und der Festigkeit", erklärt er. „Die Macht dieses Reiches, das uns ein Stück Frankreich herausgescbnitten hat, ist unbestreitbar. Sie tritt überall und stets hervor, in der Haltung der Beamten, in der Sicherheit des Auftretens der mit den öffentlichen Diensten Betrauten,in der pünktlichenNegelmäßigkeit allerTienst- zweige und auch in der behäbigen Krajt der Männer und der stattlichen Fülle der Frauen. Hier sieht man nur ruhige Leute, die ihrer sicher sind und auf die Staatsgewalt vertrauen, die sie beschützt. Diese aufVe,trauenunbErsahiungbegründeleSichci- heit erklärt die Schnelligkeit des deuischen Eindringens und weS halb fast nichts mehr von dem Lokalbandel in französischen Händen geblieben ist. Der ehedem so schwerfällige und wenig unternehmungslustige Deutsche ist infolge des Anwachsens deS Prestiges und der Macht seines Landes ein Eindringling ge worben, der sich überall einnistet, wo ein Platz frei ist, und sich selbst einen solchen zu schaffen weiß, wenn keiner da ist. DaS bat zu dem Ergebnisse geführt, daß auS Metz selbst ras fran zösische Element immer mehr verschwendet. Und was von ihm übrig geblieben ist, bat uol6N8 voleng den prächtigen Protesteifer von ehedem eingebüßt." Rousset sübrt dann aus, daß zu dieser „Entmuiigung" der deutschen Lothringer die anuklerikalePolitik der letzten französischen Kabinette sehr viel beigetragen habe, und fährt dann fort: „Man hört auf, im Namen der Prin zipien, die in Frankreich von der regierenden Partei verleugnet werden, gegen einen Stand der Tinge zu protestieren, gegen den man im Grunde nichts anderes als seinen „unmoralischen Ursprung" auszusetzcn hat. Er bringt denen, die ihn hinnehmen, eine Summe von Rübe, Sicherheit und selbst Wohlbefinden ein, die der überlegen ist, die ihnen zukäme, wenn sich die Zustände nach der Evolution ihrer freien Wahl umgestalten würden. WeSbalb sollten sie sich also noch auslehnen? ES ist besser für sie, die vollendete Tatsache hinzunebmen und den größtmöglichen Nutzen aus ihr zu ziehen . . . Die eingeborene Ratte geht also mit Riesenschritten einer Passivität entgegen, die bald endgültig werden wirb. Ueberdies wird das Land eifersüchtig von einer Armee überwacht, deren furchtbares Rüstzeug hinreicht, jeden Aufrubrvcrsuch oder jeden stürmischen Protest nieder- zubalten. Durch seine Armee besonders ist Deutschland groß und wird eS noch lange bleiben. — Ich glaube nicht, daß irgendwo anders ein ebenso prächtiges und imposantes Ojsizierkorps zu finden ist. Diese Riesen in einfachen, aber untadlig korrekten Uniformen führen durch die Straßen von Metz ihre triumphircnden Schärpen mit einem Stolze spazieren, der die Kraft und daS Ge fühl einer überlegenen sozialen Stellung erkennen läßt. Die Schlankheit und die elegante Vornehmheit des franzö- silchen Offiziers geht ihnen ab, auch seine Aufgewecktheit und sein freudiger Eifer. — Aber welch herrliche Sicherheit spricht auS ihnen und welch unerschütterliche Rude legen sie an den Tag!" Hierauf folgen einige Bemerkungen über die angeblich nack ässige Kleidung und Haltung der deuischen Soldaten, die so offensichtlich tendenziös sind, daß man den Eindruck ge winn«, als habe der Herr Oberstleutnant seinen Landsleuten auch etwas angenehmes sagen wollen. Uber den Verlauf deS Aufenthaltes, den die Boeren- generale in den Niederlanden genommen haben, dürfen wir einer uns frundlichst zur Verfügung gestellten Privatmitteilung aus dem Haag, den 30. September, folgendes entnehmen: Bei der gegenwärtigen Rundreise der Generale Botha und Delarey in den wichtigeren holländischen Provinzialstüdten — General De Wet ist im Haag geblieben — ist cs, soweit bekannt, bei aller Wärme der Empfange nirgends zn antienglischen Kundgebungen gekommen. Zum großen Teile ist das zweifellos auf das Bestreben der Generale zurückzu führen, ihrerseits alles zu tun, um solchen Kundgebungen vorzubengen. So haben sie sich ein- für allemal das Singen der Nationallieder der ehemaligen Bverenrepubliken ver beten. Auch Factelzügc und ähnliche Veranstaltungen, die an verschiedenen Orten bereits vorbereitet waren, sind auf ausdrücklichen Wunsch der Generale unterblieben. Der „Frankfurter Zeitung" wird noch aus dem Haag, 3. Oktober, gemeldet: Die Bocrengeneralc, die gegen wärtig die Provinzen Hollands bereisen, kamen gestern abend nach Haag zurück, um heute wieder abzureisen. Provinzstädte sollen weder in Frankreich, noch in Deutsch land bereist werden, doch ist eine Änderung in dieser Be ziehung möglich. Sonst ist noch vollkommen unbestimmt, welche Länder aufgesucht werden. Wahrscheinlich ist aber ein Besuch Englands, wo sich bekanntlich viele Boeren- comitcs gebildet haben. Uber eine Audienz beim deutschen Kaiser wird an -en hiesigen, allein unter richteten Stellen streng jedwede Information verweigert. Ich glaube jedoch, sagen zu können, daß den Boerengene- ralen, die ganz als Privatleute betrachtet werden müssen, der erforderliche Grund fehlt, um eine Audienz beim Kaiser nachsnchcn zu können, was natürlich nicht ausschließt, daß die Generale den Besuch machen, wenn der Kaiser sie zu sehen wünscht. DeWet ist augenblicklich unpäßlich, wird aber wahrscheinlich doch mit nach Brüssel gehen. Wie sehr die Generale mit Arbeiten überhäuft sind, erhellt aus dem Umstande, daß in -en letzten fünf Tagen allein mehr als 800 Briefe an sie eingegangen sind. Es ist mit großer Befriedigung zu verzeichnen, daß die Voraussage deS makedonischen ComitsS, wonach wäbrend der Schipkafeier ein großer Aufstand in Make donien auSbrechen würde, nicht in Erfüllung gegangen ist. Daß hierzu bei den berufsmäßigen Unruhestiftern schon Neigung vorhanden war, ist nicht in Abrede zu stellen, aber auch diese werden erkannt haben, daß einem solchen Unternehmen zur Zeit jede Aussicht auf Erfolg fehlte. Zunächst ist es, schreibt die „Köln. Zig.", eine feststehende Erscheinung, daß revolutionäre Bewegungen auf der Balkan baldinsel niemals in die späte Herdstzeit oder gar in den Winter fallen; die die große Mehrheit der Bevölkerung bilden den Bauern sind zu dieser Zeit niemals geneigt, in den unwirt lichen Bergen Revolution zu spielen, ebensowenig wie sie da zu der Zeit tun, wo sie ihre Felder bebauen oder die Früchte einheimfen muffen. Die kritische Zeit für den Balkan ist daher die von Ende Juli bis Mitte September, und diese war in diesem Jahre zum Glück schon verflossen. Sodann müssen aber auch selbst die verbissensten Verschwörer sich sagen, daß ohne Hülse von außen niemals auf einen Sieg zu rechnen ist, und von russi scher Seite war klar genug zu verstehen gegeben worden, daß Rußland keine Verwicklungen wünsche. Unter diesen Umständen konnte auch die bulgarische Regierung die Unterstützung eines Ausstandes nicht in den Bereich prak tischer Politik ziehen, und so ist eS denn geschehen, daß dieses Jahr noch die Ruhe im Orient bewahrt blieb. — Die Schipkafeier batte begreiflicherweise bei der Türkei einige Verstimmung hervorgerufeu, denn kein Staat hat es gern, wenn seine militärischen Nieder lagen gefeiert werden, während man eS anderseits dem andern Teil nicht verdenken kann, wenn er seine Siege festlich begeht. Irgendwelche Angriffstendenzen gegen die Türkei lagen aber der Schipkafeier fern, und die Reise, die jetzt ein russischer G>oßfürst unmittel bar von Schipka nach Konstantinopel unternommen hat, dürfte, soweit sie einen politischen Charakter irägt, im wesentlichen den Zweck haben, die Türkei nach dieser Seite bin zu beruhigen. Das Ausbleiben der ange kündigten makedonischen Erhebung wird dazu beitragen, daß man in Konstantinopel den in diesem Sinne abgegebenen russischenVersickerungen bereitwilligGlauben schenkt«.— WaS die Zustände in Makedonien anlangt,so scheinen die Nachrich ten über eine aufständische Bewegung sebr stark übertrieben zu sein. Die größte Bande, die sich überhaupt zusammen- F-rrilletsn. Compania Carador. 4s Roman von W o l d ema r Ur b a n. Slachrruck verboten. Was wollte denn nun schließlich sein Vater? fragte sich Habicht II. Er fühlte eS wohl, was der langen Rede Sinn war. Sein Vater war auf dem Weg, den ihm sein eigen tümliches Genie zur rücksichtslosen Bereicherung gewiesen, vereinsamt. Wenn man ihn auch nicht direkt und all gemein als gesetzmäßigen Spitzbuben bezeichnete, so fehlte es -och an jenem vertraulichen und offenen Entgegen kommen und an einem gewissen liebevollen Vertrauen seiner Umgebung, das im Leben so wohl tut und das unter Umständen so schwer vermißt wird. Ins Gesicht war man ihm und seiner Fanrilie höflich und respektvoll, wie cs reichen Leuten zukommt, aber der jnnge Habicht merkte wohl, wie -ie Leute hinter seinem Rücken sprachen. „Was? Der alte Habicht? DaS ist ein Filou! Nehmen Sic sich vor ihm in acht." So oder ähnlich lauteten die Redensarten, die ihm und seinem Vater Tür und Tor verrammelten. Sie standen allein. Nun sollte Bresche geschossen werden. Habicht II sollte den Sturmbock machen, indem er in eine Familie heiratete, die allerdings wenig bemittelt, aber doch sehr zahlreich und bis in die höchsten Kreise hinauf einflußreiche Verbindungen hatte. Wie kam denn gerade er zu dieser Ehre? Er wurde der sofortigen Beantwortung dieser Frage durch einen gellenden, durchdringenden Schrei überhoben, der aus dem Garten herauf bis in die Zimmer des jnngen Rechtsanwalts drang. Hastig, als ob fhm diese Unter brechung erwünscht käme, aber auch neugierig, denn eS ivar, wie er deutlich unterschied, der Schrei einer weib lichen Stimme, riß der junge Habicht ein Fenster auf und sah hinunter. „Was ist denn los?" fragte er. „Das kam auS der Kntscherwohnung." „Es werden die Landstreicher sein", warf sein Vater ärgerlich dazwischen, „kümmere dich nicht darum." „Richtig. Wir haben ja da eine sonderbare Ein- chuartiermrg. Ich will doch sehen, um wa» «S sich handelt." Und ehe ihn sein Vater daran hindern konnte, war er zur Tür hinaus und lief die Treppe hinunter. Im Garten sah er in einiger Entfernung den Kutscher eilig mit einem Eimer in der Hand sortlaufcn, indem er seiner Frau flüchtig zurief: „Da haben wir die Bescherung! Das kann eine schöne Schmiere werden." „Was ist denn passiert, Emil?" fragte seine Frau zurück. „Die Frau ist tot. Die konnte auch draußen sterben. Das wird eine schöne Lauferei und Fragerei geben. Ich wollte . . Das Weitere verstand der junge Herr Habicht nicht mehr, weil sich der Mann immer mehr entfernte. Daß es aber keine besonders freundliche Nachrede war, die der toten Frau gehalten wurde, das sah er an der ärgerlichen Bewegung, mit der der Kutscher seinen Eimer in eine Ecke warf. Berger war ein roher Patron, das wußte sein junger Herr schon längst, aber es war ihm bisher noch niemals so ausgefallen, wie fetzt. Unwillkürlich sah Herr Habicht, noch während er mit immer eiligeren Schritten durch den Garten ging, vor sich die großen dunklen Augen der kleinen Hexe, die ihn mit einem nie gesehenen Glanz und Feuer angestrahlt hatten, als er vor kurzer Zeit nach Hause ge kommen war. Wenn sie aber damals in zorniger Ent rüstung, in bedrohlicher Kampfbereitschaft aufgelodcrt, so sah er sie jetzt mit seinem geistigen Ang" in Tränen glänzen, mit dem Ausdruck der Angst und des Schreckens. Unmittelbar darauf sah er sie wirklich. Als er in die Kutscherstube trat, lag Isa auf den Knien vor dem Bett ihrer Mutter, hatte deren bleichen, toten Kopf in den Händen und sah sie mit entsetzten Blicken starr und unver wandt an, als ob sic noch gar nicht daran glautbcn könne, daß ihre Mutter tot sei. „Madre! Madrc!" flüsterte sie leise, als ob sie ihre Mutter aus dem Schlafe wecken wollte; im selben Augen blick brach sie auch schon wieder in ein wildes, kramp- hastcs Schluchzen und Weinen aus, warf sich in erschüttern der Leidenschaftlichkeit über den toten Körper ihrer Mutter, nahm ihn in ihre Arme und küßte ihn mit einer Glut und einem Feuer, als ob sic ihn mit ihrer eigenen Wärme wieder zu beleben hoffe. Den jungen Rechtsanwalt überlief eS kalt. Er hatte so etwas von Leben und Leidenschaft, ein so reines, inniges Gefühl, eine so wilde und doch natürliche und hinreißend schöne Schmerzäußerung nie in seinem Leben gesehen. Das ganze Wesen des jungen Mädchens erschien ihm in diesem kurzen Augenblick so scharf und klar, daß er sie sich auch in anderen Gefühlsäußerungen deutlich vorstellen konnte. Wenn dieses Mädchen — das doch kaum achtzehn Jahre alt war — eines Tages einmal mit voller Leiden schaft lieben würde, konnte es auf der Welt für einen Mann etwas Herrlicheres, etwas Überwältigenderes geben? Direktor Cazador saß am Tische, hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah starr und 'finster vor sich zu Boden, wie geistesabwesend, als ob ihn die ganze Geschichte nichts anginge, oder er im Übermaß der Verzweiflung stumm geworden wäre. „Mein Herr", sprach ihn der junge Rechtsanwalt an, „gestatten Sie, daß ich Ihnen mein Be dauern ausdrücke über das Unglück, das Ihnen in unserem Hause widerfahren ist. Es wird an uns liegen, alles zu tun, was seine Folgen lindern könnte." Beim ersten Wort fuhr Direktor Cazador wie aus einem Traume auf. Er stand sofort auf, als ob er den strengen Herrn erst jetzt bemerkt habe, und sah ihn finster von oben bis unten an. „Es ist das erste nicht", erwiderte er kurz und weg werfend. Der junge Habicht sah ihn etwas erstaunt an. Er verstand offenbar nicht, «vas der ihm wildfremde Manu damit sagen wollte. Es entstand eine kleine Pause, und erst dann fuhr Cadazor tief aufscuszcnd kort: „Das erste Unglück, mein lieber Herr, das mir in diesem Hanse widerfuhr, war, daß ich hier geboren wurde." Überrascht trat der Rechtsanwalt einen Schritt näher und sah sich den Mann genauer an. „Sie sind " begann er stockend. Der Direktor beachtete das nicht. Die Tränen traten ihm in die Augen und er fuhr mit der Hand darüber hin. ,L?erdammtc Sehnsucht", seufzte er bann milde, wie in Erinnerung versunken, auf, „die mich in all den langen Jahren, auf all den Kreuz- und Oucrzügen durch halb Europa nicht verließ, und mich wie an den Haaren wieder hierher zurückzog. Nun lebt der ganze alte Jammer wieder aus, den ich schon halb überwanden glaubte. Neuer kommt hinzu. Armes Weib, stolze Eslava! Auch du mußtest den Fluch dieses HauscS kennen lernen." „Sic beißen Cazador, Sic heißen Jäger?" fragte der junge Habicht wieder. „Ja, ja, Jäger! Fragen Sie nur Ihren Vater. Er I wird Ihnen eine lange Geschichte erzählen können, wenn er will, wie er zu diesem Hause — und zu manchem Anderen, was mir früher gehörte — kam. Ich unglück licher Narr! — Ich sehe noch, wie er zum ersten Mal vor mich hintrat, cs war dort oben im ersten Stock, in dem Balkonzimmer, schmeichelnd und dienernd, meine unglück liche, dreimal verfluchte Streitsucht aufstachelnd, mich mit meinem Bruder verhetzend! Ich höre noch seine Worte: „Ich garantiere, ich garantiere Ihnen für alles, wenn Sie mir Ihre Vertretung und volle Vollmacht geben." Der Senker hole ihn. Er mar das zweite Unglück, das mich in diesem Hause traf." Der junge Rechtsanwalt wurde betreten. So leicht er sonst den „Leidtragenden" gegenüber ein cnnischcs, weg werfendes Wort fand, hier wußte er nicht, was er sagen sollte. „Mein werter Herr Jäger", sagte er nach einer kleinen Panse verlegen, „Sie werden sich wohl auch, wenn Sie an die ehemaligen Zeiten denken, noch besinnen, daß alles nach den gesetzlichen Vorschriften geregelt und in Ordnung gebracht worden ist." „Ei, das versteht sich. Es war alles in Ordnung", er widerte der alte Mann, bitter lachend. „Ihr Vater war der kluge Mann, der Schlaukopf, der mir das Gewebe der gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen wie ein Netz über den Kopf ivarf, und ich war der Tropf, der Ein faltspinsel und Dummkopf, der sich aus seiner eigenen Leidenschaftlichkeit, aus seiner bornierten Streitsucht und Rechthaberei einen Strick drehen ließ. Ich mußte ihn da mals sogar noch brieflich auffordern, das Haus zu kaufen, damit wenigstens meine Schulden bezahlt werden konnten, und ich ging hinaus, wie mich Gott erschaffen hat, froh, wenigstens meinen ehrlichen Namen gerettet zu haben. Ihrem Vater aber kam es auf seinen ehrlichen Namen nicht an. Er ließ ihn fahren und nahm lieber das Haus -" „Mein Herr " „Oder nennen Sie es ehrlich und anständig, wenn ein Jurist sich die Unkenntnis seines Klienten zu nutze macht, ihm unter vier Augen sagt: „Ich garantiere, ich garantiere für alles" —, um ihm dann hinterher mit dem Prozeß selbst den GarauS zu machen? Er konnte doch vorher wissen, daß auch der gewonnene Prozeß mehr kosten würbe, als das Streitobjekt. Ihm unter solchen Umständen zu sagen: „Ich garantiere für alles!" Das nennen Sie ehrlich? Na- türlich ist das dann hinterher ein — Mißverständnis, und wenn ich daraufhin mein Recht verfolgen wollte, da würden
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