01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030801012
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-01
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Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter de» Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 vor den Famllieunach« richte» (S gespalten) 50 Tabellarischer »ad Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen lvld Offerteuaaaahme 25 (exrl. Porto). Lrtra-Beilage» (gefalzt^ an? mit oer Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuu, SO.-, mit Postdejörderung 70.—. Äuuahmeschluß fiir Anzeige»: Ab«»d-Ausgab«: Vormittag« 10 Uhr. Morgea-Au-gab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeige« stad stet« an di« Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh S bi« abends 7 Uhr. Druck «ad Verlag von S. Bolz in Leipzig. Nr. 386. Sonnabend dm 1. August 1903. 97. Jahrgang. Die fachmännische Schulaufsicht. s. v. Der gcschäftsführende Ausschuß des über 100 000 Mitglieder zählenden Deutschen Lehrervereins hat seinen Zweig-, Provinzial- und Landeslehrervereinen für die Geschäftsperiobe 1902/04 auch die seit Jahrzehnten lebhaft ventilierte Frage der fachmännischen Schulaufsicht zur Be ratung und Erörterung überwiesen, und die Deutsche Lehrerversammlung zu Königsberg i. Pr. zu Pfingsten kommenden Jahres wird sich gleichfalls mit der die deutsche Lehrerwelt bewegenden Frage zu beschäftigen haben. Da nun die einzelnen Provinzial- und Landeslchrervereine auf ihren Hauptversammlungen bereits in die Beratung dieser wichtigen Frage eingetreten sind, so erscheinen auch in den politischen Tagesblättern kurze Berichte über jene Verhandlungen mit Anmerkungen, die davon Zeugnis ablegen, daß man das Wesen der fachmännischen Schulaufsicht nicht immer richtig erfaßt, so daß es ange zeigt erscheint, darauf einmal näher einzugehen. Im vorigen Jahrhundert und früher waren die Geist lichen mit Schulaufsicht nebenamtlich betraut, die nicht immer und überall die nötige Einsicht in den Schulbctrieb und die notwendige Unterrichtsfertigkeit besaßen, weil ja ihre pädagogische Ausbildung für ihren Hauptberuf nicht gerade unbedingtes Erfordernis war. Man leitete viel mehr die Berechtigung zur Schulaufsicht der Geistlichen her von der Entstehung der Volksschulen, indem man be- hauptete, die Volksschule sei eine Tochter der Kirche und infolgedessen stehe auch der Mutter das Aufsichtsrccht über die Tochter <x> ipso zu ; „denn", sagt man, „die Volksschule sei erst durch die Reformation begründet worden". Wenn das in Wirklichkeit der Fall wäre, so schließt das doch nicht ein unbeschränktes Recht der Aufsicht über die Volksschule in sich) denn auch eine „Tochter" wird einmal selbständig und entwächst der Aufsicht ihrer Mutter. Allein nach Konrad Fischer: „Geschichte des deutschen Bolksschuillehrerstandes" gab es bereits vor 1500 in Deutschland Schulen, die unzweifelhaft den Volks schulen zugczählt werden müssen, und die ohne Zutun der Kirche, ja sogar gegen ihren Willen entstanden waren. „Die Volksschule ist ursprünglich weder Kirchen- noch Staatsan st alt gewesen. Wollte man sie ihrem ersten Begründer zurückgeben, so müßte sie der Gemeinde zufallen,' denn hier, aus einer größeren ober kleineren Zahl der Familien heraus, ist die allge meine BildungSanstalt erwachsen. Bon gleichmäßiger Lebensanschauung getragen, fühlten einzelne Familien das Bedürfnis, ihren Kindern eine den Forderungen des Lebens entsprechende Bildung zu geben. Sie gründeten eine Schule und stellten einen Lehrer an, den sie allein be soldeten." Und so bildeten sich nach Fischer allmählich vier Arten der niederen Schulen: die Schreibstuben in den Hansastädtcn, die deutschen Schulen, die Schulen für Mäd chen und endlich die Winkel- oder Klippschulen. „In diesen vier Arten der niederen Schulen, die insgesamt wenigstens Lesen und Schreiben lehrten, erkennen wir die Anfänge der heutigen Volksschule. Alles, was später in großem Maßstabe auf diesem Gebiete geschah, erregt unsere Be wunderung im Hinblick auf die Tatkraft und Opferwillig- keit, die dabei entwickelt wurde: aber immer baute man auf dem bescheidenen Grunde fort, der von den Familien und der Stadtgemeinde noch vor der Reformation gelegt worden war." Also daS vermeintlich geschichtlich be gründete Recht der Schulaufsicht seitens der Kirche wäre hinfällig. Und zu dieser Erkenntnis erhob sich auch die letzte „Meißner Konferenz", welche über die „Orts schulau fsicht der Geistlichen" verhan delte. Der Referent über diese Frage, Pfarrer Hincke- Kötzschenbroda, kam zu folgenden Schlußfolge rungen: „1) Die Rechte, mit denen man die Beibe haltung der geistlichen Schulaufsicht begründet, sind nicht stichhaltig; denn historische Rechte sind der Entwickelung unterworfen; das innere Recht der Kirche fordert nicht die ganze Schulaufsicht, sondern nur die Wah rung des christlichen GeisteSin berSchule) bas bestehende Gesetz und alle Opportunitätsrücksichten sind auch nur geschichtlich. 2) Wenn die Weiterentwickelung der Schulgcsetzgebung auf Aufhebung der Aufficht zu drängt, so hat dieKirche keinen Anlaß, gründ- sätzlichdemzuwider st reden; die Kirche muß nur Gewährleistung für die Erhaltung des christlichen Geistes, höchstens des konfessionellen Charakters der Volksschule fordern und dazu gewisse Teilnahme an der Schulver waltung (im Schulvorstande) und die Aufsicht über den Religionsunterricht verlangen, die ihr auch im großen und ganzen nicht versagt worden sind. BiS dahin aber sollen die Geistlichen nicht müde werben, um beS Gewissens willen das auf Grund des Gesetzes in sie gestellte Ver trauen möglichst zu rechtfertigen. So liegt die Beibe haltung der Aufficht nicht so sehr im Interesse der Kirche, die damit nur einen Dienst, keine Herrschaft auSüben will, als vielmehr im Jntereffe der Schule. Ist doch der Segen, der geistlichen Aufficht für die Schule nie geleugnet worden; wirb doch die Befähigung der Geistlichen dazu noch immer anerkannt; kann doch ihre Ausübung ohne Beeinträchtigung der Selbständigkeit LcS Lehrers und seiner Ehre geschehen, so daß sich Lehrer und Geistliche auf dem Grunde des Bestehenden zusammenschließen können in freundlichem Nebeneinander, ja in freundschaftlichem Für einander." Das Recht über die Beaufsichtigung des Reli gionsunterrichts durch die Geistlichen wird ihnen auch von der deutschen Lehrerschaft gern etngeräumt werden, ist sie sich doch der hohen Bedeutung de- Religions. Unterrichts als ihres Kleinodes immerdar bewußt gewesen und widmet sie diesem Unterrichtsgegenstanbe mit ihre beste Kraft, so daß sie mit dem von ihr erteilten Religions unterrichte die vollste Anerkennung und Wertschätzung bei den Geistlichen gefunden hat, wie das zahlreiche Beispiele und Aeußerungen von Geistlichen beweisen. ES ist daher niederschmetternd und höchst beklagenswert, wenn von gewisser Seite der deutschen Lehrerschaft „Ent- christlichungderdeutschenBolkSschule" vor- geworfenwird. Die Lehrerschaft jedenfalls denkt nichtbaran, denReligionSunterricht aus derSchule zu entfernen, wenn sie die Forderung fachmännischer Schulaufsicht erhebt. „Unter fachmännischer Schulaufsicht ver- stehtdiedeutscheLehrerfchaftdieBesetzung sämtlicher Schulaufstchts Instanzen mit Männern, die aus ihren Reihen hervorge gangen und durch theoretische Durchbil dung und langjährige praktische Tätigkeit im Schulamte bewährtsind, dieferner eine gereifte Lebenserfahrung, einen weiten Blick und ein warmes Herz fürSchule und Lehrer besitzen." (Wagner.) Weitere Auskunft über diese Materie bieten die grundlegenden Werke von Dörpfeld, Karl Frey und Leonhard Göckel. Und was erwartet die deutsche Lehrer schaft von der Durchführung der fachmän nischen Schulaufsicht? Wir antworten mit Hauptlehrer Wagner-Zimmerbude: „1) Die Befriedigung einer gerechten Forderung, 2) die zweckmäßigste Organi sation der Schulleitung und Schulaufsicht, 8) eine bedeu tende Förderung des Lehrerstandes hinsichtlich seiner Bil dung, Besoldung, sozialen Stellung und Beförderungs möglichkeit, 4) eine kräftige Hebung des Bolksschulwesens und damit 5) eine Hebung der gesamten Bolkskultur." Daß die Erfüllung des Wunsches der deutschen Lehrer schaft nach fachmännischer Schulaufsicht nahe bevorstehe, glaubt wohl kein Lehrer; denn in Preußen ist in letzter Zeit ein bemerkenswerter Stillstand in der Ernennung welt licher Schulinfpektoren eingetreten, und in Sachsen hat die Ministerielle bei Einweihung des Stollbergcr Lehrer seminars gezeigt, baß in nächster Zeit auf keine Erfüllung des Wunsches zu rechnen sei; die Lokalschulaufsicht ist in den Orten mit einem Schuldirektor diesem bereits durch das Schulgesetz übertragen; aber in Orten ohne Schul direktor ruht die Lokalschulinfpektion noch in den Händen des OrtSgetstlichen. Wohltuend aber berührten die „Worte des Friedens" des Herrn Minister in jener Rede: „Die Kirche soll nach wie vor warmen, lebendigen Anteil an der Entwickelung der Volksschule nehmen; die Schule soll nach wie vor von der Kirche be fruchtende Kraft erhalten;KircheundSchulesollen nach wtevoreinanderunter stützen, helfen, fördern undeineihrerschön st en und höchsten Aufgaben darin finden, daß sie harmonisch zusammenwirken wollen zum Wohle, zum Segen unserer Heranwachsenden Jugend." Deutsches Reich. Berlin, 30. Juli. (VomGesetzentwurfüber den Versicherungsvertrag.) Vor kurzem er wähnten wir, daß an den verschiedensten Stellen der Ent wurf eines Gesetzes über den Versiche rungsvertrag einer Begutachtung unterzogen werde. Neben den wirtschaftlichen Korporationen sind es nament lich die Juristen, die sich mit der Materie beschäftigen. In der letzten Nummer der „Deutschen Juristenzeituug" findet sich eine Besprechung des Entwurfs vom Oberlandesge- richtsrat K. Schneider in Stettin. Er erörtert die ver schiedensten Einzelheiten und kommt u. a. auf die Auf- nähme zu sprechen, die der Entwurf selbst hier und da bei den Versicherten erfährt. In dieser Beziehung führt er aus: Dabei mag noch einem Mißverständnisse entgegen getreten sein, das auch schon den Wert des Neichsgesetzes von 1901 herabzusetzcn bemüht gewesen ist, als ob der hier oder dort zum Ausdruck kommende staatliche Zwang eine schimpfliche Fesselung des Versicherers bedeute. To wenig es aber den wohlgesinnten Staatsbürger entehrt, daß — ein Strafgesetzbuch vorhanden ist, so wenig fühlbar kann sich jenes Eingriffsrecht gegenüber gewissenhaften Versicherungsanstalten erweisen. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken! Je wirksamer aber das Aufsichtsrccht gehandhabt, je schärfer die Verwirk lichung des zwingenden Rechts durch die Gerichte ange strebt wir-, umso größer ist der Schutz gerade auch de» Versicherurigsanstalten gegen den in unserem Verkehrs leben leider so häufigen unlauteren Wettbewerb, gegen die sog. Schmutzkonkurrenz. Und wenn in Versichererkreisen die Klage laut wird, es wolle auch keine vertragliche Bin dung mehr stichhalten, und die Rechtsprechung werde von einem starken Vorurteile zu Gunsten der Besicherten be einflußt, so ist dagegen folgendes zu sagen. Die Gerichte verkennen gewiß nicht, daß viel Bosheit und sträfliche Gleichgültigkeit der Versicherten die Versicherungsanstalten gefährdet; aber gerade sie haben auch anderseits Gelegen heit genug, bei ihrer täglichen Beschäftigung mit den pa thologischen Erscheinungen des Nechtslebens eine Art von Geschäftsgebahren mancher Versicherer zu beobachten und akten mäßig festzustellen, von dem man in dem Kreise anständiger Versicherungsanstalten kaum etwas weiß. Welch unerträgliche Zustände wies z. B. bis vor wenigen Jahren die Viehversicherung auf, wo sich eine deutsche Regierung seinerzeit sogar entschloß, ihre Unter tanen von einer ewig liquidierenden Gesellschaft durch eine Abfindungssumme ab- und loszukanfen! Daneben scheint auch die Verantwortlichkeit der Anstaltsleiter ihren Generalversammlungen oder der Rückversicherung gegen über zum Anlasse zu werden, daß die Rechtsstreitigkeiten über Entschädigung bisweilen bis aufs Messer durchge fochten werben. * Berlin, 31. Juli. (Die freie Arztwabl.) Be- sonder« den sozialdemokratisch gesinnten Führern der Krankenkassen ist die Forderung der freien Arzt wahl wie inSgemein zumeist jegliche Bestrebung der Aerzte zur Besserung ihrer Lage unbequem. Da erleben sie e« nun, daß sie aus den Reiben ihrer Partei angegriffen werden. In einer Sckrift: „Die Lage der Aerzte und ihr Verhältnis zu den Krankenkassen" (Verlag von E. Grosser in Berlin) sagt ihnen vr. meä. G. Zepler, der sich zur Sozialdemokratie bekennt: WaS die Aerzte erstreben, da- ist nur die wenigsten« teilweise und allmählich sich ergebende Besserung der Bezahlung durch die Krankenkaffen und eine größere Unabhängigkeit denselben gegen über, also genau das, was die Arbeiter für sich durch ihre gewerk schaftlichen Organisationen, durch Ausstände, durch Forderung der gewerkschaftlichen Arbeitsnachweise ic. zu erreichen suchen. Diese Förderung ihrer Interessen und die Abstellung der schlimmsten Miß stände suchen sie auf dem Wege der freien Arztwahl, die rin Teil der Aerzte allerdings gesetzlich sestgelegt sehen will, WaS jedoch von anderen Aerzten selbst energisch bekämpft wird. Sachlich gegen diese Forderungen aufzutreten, kann selbstverständlich auch den Kaffen vertretern nicht verwehrt sein, aber der voller Unmanier und Un- gerechtigkeit geführte Kampf vieler derselben ist der schärfsten Miß- btlligung wert und muß von den Arbeitern ebenso getadelt werden wie von den Aerzten selbst. Richtig betrachtet, ist die freie Arztwahl die einzig würdige Form der Versorgung mit ärztlicher Hülfe für die Versicherten selbst, und die Arbeiter müßten auS eigenem Antrieb und in ihrem Jntereffe die freie Arztwahl fordern und in den Generalversammlungen der Kaffen Feuilleton. Eine Wasserkur. Humoreske von A. TriniuS. Nachdruck verboten. „Ach!" „Na, was denn, Herr Horstmann?" „Nun muß ich wieder spazieren gehen! Gestern fpa- zieren . . . morgen wieder ... alle Tage spazieren. . . 's ist 'n Elend!" „Versündigen Sie sich doch nicht, Herr Horstmann!" „Ja, aber früher war's doch anders. Da ging's mit Frau und Hund in den Wald. Jetzt hab' ich nur noch den Köter. Gelt, Schnupper!?" und Herr Horstmann streichelte wehmütig den an ihm emporspringcnden Hund. „Wer hätte das gedacht, Fräulein Florentine? Sie war immer so tapfer aus den Beinen ... jetzt fehlt sie mir doch überall." „Und dabei wollen die Männer nie an den Frauen etwas ganz lassen! Die Einsicht kommt immer dann zu spät." „Bei mir nicht, Fräulein Florentine! Wir hatten un ¬ lieb!" „Weib ich ja alles! AuSnahmcfall! Na, nun gehen Sie aber, Schnupper! würgt sich sonst an der Leine." „Adjes!" „AdjeS, Herr Horstmann. Wenn Sie 'n Steinpilz finden, denken Sie an mich. So 'ne alte Jungfer hat auch ihre Schwächen. Ich bin nun vernarrt in Schwämme." Herr Horstmann liest die Gartentür ins Schloß fallen und schritt die Straße hinab. Das alte Fräulein sah ihm mit freundlichen Augen nach. „Wie straff er noch geht! Dem sieht keiner die achtund- scchszig an! Keiner!" murmelte sie. „Aber das einsame Leben in der alte» Wohnung .... niemand um sich . . . das macht den Mann schließlich noch krank. Wer ihm da helfen könnte!" Sie seufzte leicht und senkte dann den Kopf auf die Handarbeit nieder. „'S muß schrecklich fein, wenn man jemand so recht geliebt hat, und der geht dann vor der Zeit aus der Welt!" Herrn Horstmann bewegten ähnliche Gedanken. „Wirklich ein nettes, liebes Fräulein! Immer frisch, immer in Tätigkeit! Und ein Herz, so jung wie eine Sieb zehnjährige! Da stand neulich auf ihrer Geburtstagstorte in der Mitte eine 50. Lächerlich! Sie sagte zwar, es stimmte, aber ich denke, da hat sich einer einen Scherz ge. macht. Die und fünfzig! Kaum aus dem Schneider!" Er seufzte. Statt den geraden Weg zum Walde zu nehmen, schritt er über den Marktplatz, hinter der Kirche entlang, um dann in eine schattige Kastanien-Allee einzu biegen, die zum Friedhöfe führte. Herr und Hund hätten diesen Weg wohl mit verbun denen Augen fast gefunden. War eS doch der tägliche Gang deS Herrn Horstmann seit einem Jahre, seit dem Htwscheiden seiner teuren Frau. Ja, bas war sie ihm gewesen, und das hatte er auch auf ihren Grabstein schreiben lassen. An die vierzig Jahre hatte sie zu ihm ge halten, erst im Geschäft, das beide begründeten, bis e- hoch und vovwärtS ging. Kinder waren ihnen nicht geschenkt worden. Doch in frischer Tätigkeit war ihnen da- Leben heiter dahingeflossen, bis sich beide zur Ruhe setzten. DaS war dann wieder ein ganz neues, wohlverdientes Leben gewesen! Nun war der Wald ihnen alles geworden. Jeder Tag, den Gott hell werben liest, sah sie beide draußen in den Bergen, sie und da- lustige Schnupper! den drolligen Pinscher, der darüber nun ein alter Herr ge- worden war. „Bitter ist -er Tob!" dachte wehmütig Herr Horstmann, al- er durch die Pforte zur stillen Gräberwelt eintrat. Und bann stand er sinnend vor dem Hügel, der sv viel Liebe- ihm verschloß, und da« Dchnupperle saß friedlich neben ihm und schaute bald zum Herrn empor, Kalb zum Grabstein, al- verstände e-, was dieser kündete, daß hier Herrn Horstmanns Lebensgenossin ihre letzte Ruhestatt fand. So waren beide wieder der treuen Frau nah, ihr Erinnern ehrend. Nach einer Weile strich Herr Horstmann sacht dem alten Tier über den Kopf. „Komm, Schnupper!! Wir müssen schon allein weiter gehen!" Und er fuhr sich leicht über die Augen. Fräulein Florentine Schnellers Wohnung lag in dem selben Stockwerk gegenüber der des Herrn Horstmann. Sie hatte die kleinere, er die größere, die er bereits mit seiner Frau innegehabt hatte. DaS Fräulein hantierte in der Küche. Es dämmerte bereits. Da klopfte cs kräftig an die Tür. Ein bescheidenes Wauwau gesellte sich dazu. DaS Fräulein lächelte. Dann öffnete sie. Herr Horstmann stand vor ihr und hielt mit gestrecktem Arm ihr einen vollen, grauen Beutel hin. „Ach, Gott! Haben Sie mich aber erschreckt!" Dabei sah sie ihn herzlich an. „Da, hier. Der Wald läßt grüßen!" „Was bringen Sie mir denn da ?" „Steinpilze! Damit Sie nicht verhungern!" „Und diese alle wollen Sie mir. . .? Nein, ist das aber nett von Ihnen! Schön Dank, Herr Horstmann, herzlichsten Dank! Diese Mühe ... um meinetwillen . .. wie soll ich da- denn ...?" Sie reichte ihm die Hand hin. „Wenn'- zuviel sind, Fräulein Florentine, dann laden Sie mich dazu ein. Möcht' auch 'mal wieder zu Zweit essen." „Mit Vergnügen!" Sie lachte ihn an. „Also morgen mittag habe ich die Ehre, nicht wahr?" Ein kleine- Stündchen später saß Fräulein Schneller im Vorgärtchen deS Hause-, der zur allgemeinen Be nutzung der Mieter von dem im Erdgeschoß wohnenden Hau-wtrt bestimmt worben war. Auf dem Tisch« neben ihr stand eine Schüssel mit den bereits abgeputzten Stein pilzen. Messer und Beutel lagen daneben. Das Fräulein hielt beide Hände über dem einen hochgeschlagenen Knie gefaltet und schaute in den Abenbhimmel hinauf. ES war ihr eine liebe Beschäftigung, so die Augen über bas Gternenmeer hinwandern zu lassen. Sie meinte bann, «S grüßten sie all' die Gesichter der Treuen, die vor ihr dort hinauf ihren Weg genommen hatten. Jeder Stern ein liebe« Menschenkind. Da« hatte Ne tn ihrer Kindheit einmal gehört, und hatte trotz allen Wettern und Leben». erfahrungen so gern daran festgehalten. Warum daran rütteln? Da störte sie das Klingeln der Haustür auf. Herr Horstmann war's, der im bequemen Hausrock und einer frisch entzündeten langen Pfeife aus dem Hause trat. „Ei, sieh dal Fräulein Florentine!" „Der Abend ist so schön. Da hält's schwer, hineinzu gehen." „Darf ich?" Er hatte die Hand auf die Lehne eines Stuhles neben ihr gelegt und sah sic fragend an. „Aber, Herr Horstmann! So förmlich! Ich dächte, so alte Bekannte, wie wir sind?" „Nu ja! 's ist ja schon so! Aber der gute Ton ..." „Der beste Ton ist, Sie sitzen hier nieder und erzählen mir, wie es im Wald war, was Sie gesehen, was der Schnupper! wieder angestellt hat und warum Sie sich meinetwegen so oft nach Pilzen bücken mußten." Sie lachte ihn so frei und herzlich offen an, daß cs ihm ganz wohlig umS Gemüt ward. Und dann saßen sie einträchtig beieinander und plau derten, und merkten nicht, wie droben am Firmament die Sterne langsamen weiterrückten, wie draußen an der Gartenhecke eine Frauensperson stand und mit verhal tenem Atem und spöttischen Blicken der schlichten Unter haltung beider lauschte. . Endlich klirrte die Oiartentür und sie trat ein. Tine scharfe Stimme ließ die beiden NachbarSleute cmporfahren. „Na, guten Abend, Onkel! Komme eben vorbei . . . wir hatten unser Kaffeekränzchen in der Waldmühle. . . traue meinen Obren nicht, da ich dich noch so spät höre . .. Aber ich störe wohl?" Sic maß urit unangenehmem Blick das alte Fräulein. „Bitte sehr, Malwine! Durchaus nicht! Meine Nichte, Fran Kalkulator Hardtmuth — Fräulein Schneller. Komm, setz' dich." „Ich muß nach Hause. Aber ein Augenblickchen, wenn'S erlaubt ist. Was haben Sie da fiir schöne Pilze? Ich habe nie Glück beim Suchen. Weiß der Kuckuck." ,^»err Horstmann war so gütig, für mich diefe heute einzusammeln!" „Du, Onkel?" Sie lacht« laut auf. „Du? HahahaN
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