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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030806012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903080601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903080601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-06
- Monat1903-08
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»o. »It« «.o. »O. »O. »O. »O. .D.IS0V »n. n«n. »L »I.1./10 i7:- 1.S0L. BezugS-PreiS i» d«r Hmiptrrpedttiou oder deren Nn-gabv» stelle« abgedolt: vterteljLhrltch 8.—, bei zveümüi«, Üblicher 8»pell««« i»1 Hau« 8.7L. Durch dir Post bezogen st, Deutsch, laud ». Oesterreich vierLrljSvrnch 4.80. für di» übrigru LLuder laut ZeituoglpretSstste. Re-aktto» »n- Erpeditto»: Iy-annir-affe 8. gerusprecher ISS »ad AL FUial-vpedtti»»*», Alfred Hahn, B»chha»dlg„ Universtttt-str.L L. Lischt Katharinenstr. 1^ ». König-Hl. 7. Haupt-Filiale Dresde«: Marie»strotze 84. Ferusprrcher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Lerliu: T«rl vumker, Herzgl. Payr. Hefbuchhandlg, Lützowstratz« Ist. Ferusprecher «u^ VI Str. 4608. Morgen-Ausgabe. A'tizi.ngtr Tagclilatt Anzeiger. Ämtsölatt des Lönigtichen Land- nnd des Königkiche« Ämtsgenchles Leipzig, des Rates «nd des Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklame» unter dem RedaktiouSstrtch ^gespalten) 75 vor den yamUienuach» richten (6 gespalten) 80 Dabellarischer »nd Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen «ud Osferteuallnahm« LS (rxcl. Porto). tkrtra. Beilage» (gesalzt), nur mit per Morgeu-Au-gade, ohne Postbeförderuu, ^4 SO.—, »tt Postdejürderuug ul 70-—» Anuahmrschluß für Anzeige«: Ab,«d-A«sgab«: vormittag« 10 Uhr. Morgen»Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeige« sind stet« a» di« Expedition -» richte». Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» abeud« 7 Uh». Druck und Verlag vo« E. Pol» i» Leipzig Nr. M. Donnerstag dm 6. August 1903. 97. Jahrgang. Irland. E» gibt wenige Persönlichkeiten LeS öffentlichen Leben», -ie Herr Stiften her Witzblattzeichner so viel Anregung und -em Historiographen -er internationalen eftroniquo «oaväalsu« so viel Stoff gegeben, Mi« -er Sohn -er Königin Viktoria, -er fetzt al» Eduard VN. über seine treuen Briten in beiden Hemisphären herrscht. In Eng land hatten ihm seine tollen Streiche in der vornehmen und »halben- Welt Frankreichs nnd Englands indes nichts geschadet und sein« Vorliebe für neumodische Kravatten, gebügelte Hosen und schimmernde Colin-er fand in -en fashionablen Klubs von Pall Mall liebevolles Verständnis. Trotzdem erhöhte sich seine Volkstümlichkeit in England. Bei einem Rückblicke ans die kurze Regierungszeit Eduards wird man -»geben können, -ab diesmal die Stimme des englischen Volke» im Rechte war und -atz Eduard sich zwar niemals ans einem Prinz Heinz in einen Heinrich V. verwandeln wird, Lab er aber -och auch turmhoch über den Karikaturen steht, -ie man früher «uns vorgesetzt hat. König Eduard hat sich als menschenfreundlicher, fried liebender, durchaus konstitutioneller Fürst erwiesen, und -och auch als Mann, der seine hohe Würde nicht als willen lose Puppe in -er Hand allmächtiger Minister, sondern als eigene, volle Persönlichkeit tragen will. Sicherlich hätten wir alle -en Boeren «inen günstigeren Frieden erwünscht unü erhofft, aber wie die Dinge nun einmal lagen, ist es ein hohes Verdienst Les Königs, Latz der Krieg überhaupt beendet wurde, und -ah dies unter Bedingungen geschah, die immerhin annehmbar waren, als sie Chamberlain un feine scharfmacherischen Helfershelfer in der Regierung und im Parlament ausgedacht. König Eduard Hal Lurch seine große Reise das Basallenverhältnis Portugals zu England neu besiegelt und die armen Lusitaner durch seine persönliche Liebenswürdigkeit das Bittere ihrer Lage ver gessen machen, er hat die Verstimmungen Italiens wegen Malta und Tripolis zerstreut und hat versucht, die Fran zosen zu Freunden seiner Regierung zu machen. Und wenn er uns aus seiner FriedenSreise ,/geschnitten" hat, so nehmen wir ihm das weiter nicht Übel. Er hat unS nie leiden können und unsere Gefühle für Englands Herrscher sind über -en Gefrierpunkt auch nie hinausgekommen. Nun setzt aber Eduard in der Heimat seine Bersöhnungs- Politik fort, und er macht sich kühn daran, das Skelett im britischen Hause, LaS seit -en Tagen der Elisabeth die Nachtruhe der guten Engländer stört, zu entfernen, und will -ie irische Krage lösen. Das scheint bet einer Regierung, an deren Spitz« Chamberlain steht, der Todfeind der Iren, fast unmöglich. Es liegen aber einige Umstände vor, die -a- menschenfreundliche Beginnen d«S Königs unterstützen und -ie auch den grimmen Chamberlain zu einem Werkzeug der königlichen Politik machen. Wie furchtbar Irland -en Briten werden konnte, wenn Las Inselreich in einen ernsten Krieg verwickelt wurde, war längst bekannt: aber erst der Feldzug in Südafrika hat die ganze Gefahr eines unversöhnten Irland vor den Augen -es vereinigten Königreichs und Europas enthüllt. Nicht nur, dahEnglan- bei-em Mangel an Soldatengeist bet seinen eigenen Landeskindern auf die Truppen angewiesen mar, die von der grünen Insel kamen, es lag auch die Ge fahr vor, -aß die waffenfähige Jugend' Irlands, in fa natischem Hasse gegen die protestantischen angelsächsischen Unterdrücker erzogen, zu den Feinden übergehen konnte. Dazu kam, daß die grauenhafte Mißwirtschaft -er er barmungslosen Ausbeuter und AuSsauger -es unglück, lichen Landes -ie Insel immer mehr entvölkerte und also die Rüst- und Werbekammer -cS Reiches beraubte. Hat doch vor etwa 50 Jahren -ie heute wenig mehr als vier Millionen Menschen zählende Insel noch acht Millionen Einwohner gehabt. Eduard «und mit ihm alle einsichtigen Engländer konnten sich dem nicht verschließen, -aß ein Ausgleich notwendig sei, um das Parlament arbeits fähig und das Reich schlagfertig zu erhalten. Dem Könige selbst mag so etwas wie eine völlige Home-rule-Polittk vor schweben) für diese Rezepte aus der alten Gladstoneschen StaatSapotheke waren aber die Chamberlain» und Bal. fmrrs unter keinen Umständen zu haben: und das wohl mit Recht; denn ein autonomes Irland würde ein Spiel- ball tn der Hand -crrschsüchtiger römischer Priester wer den, die von -er neugewonnenen Freiheit und Gelb- ständigkett nur zum Schaden des rafsefremden, ketzerischen Englands Gebrauch machen würden. So versuchte man es denn zunächst mit der wirtschaftlichen Versöhnung. Die viel umstrittene neu angenommene Landbill will die heimatlosen, von den Londoner Magnaten aus- gesogenen kleinen irischen Pächter zu freien Herren auf eigenem Grund und Boden machen. Dieser edle Aweck war natürlich nur durch sehr reichliche Abfindung -er englischen feudalen Grundherren zu erreichen, und Herr Nttschie hat tief, sehr tief in -en englischen Staatssäckel greifen müssen, um die recht wenig opferfreudigen PairS zu befriedigen. Gleichzeitig vollzog sich ein« Schwenkung der Regierungspartei im Parlament: die Balfour-Salis- burysche Vorlage zur langsamen Verklerikalisierung des englischen Unterrichtsavesens, mit dem schönen Namen eines Gchulreformgesetzcs getauft, war nur durch zubringen mit Unterstützung der kirchlichen Iren. Die Gruppe Redmond wurde die feste Stütze, mit der die Regierung glücklich aus dem Irrgarten -er Schulreform verhandlungen den Weg ins Freie sand. Dieser geistigen Versöhnung in kirchlichem Gewände sollte der Besuch Eduards VN. bei Leo XIN. die letzte Weihe geben. Man kam den Iren noch weiter entgegen, da man sie auch Lei -en wirtschaftlichen handelspolitischen Kümpfen, die -er Winter bringen wird, braucht: man hob die Ausnahmegesetze und den Belagerungszustand in Ir land auf, man öffnete die Gefängnisse und entließ die Märtyrer des irischen Volkes. Und nun durfte -er König Eduard wohl den Besuch in Irland wagen: seine Reffe in ehemals feindliches Land, das auch die greise Viktoria nicht zu versöhnen vermocht hatte, sollten die Krönung der königlichen Politik bilden. Der Monarch schien denn ja auch von seiner Reise sehr zufrieden, be- zeichnete die Festtage als Beginn einer neuen Aera LeS Friedens und Les Fortschrittes für Irland, und auch die biederen Iren schienen sehr beglückt und unterließen im großen ganzen die geplanten feindseligen Kundgebungen. Ob sich aber alle optimistischen Hoffnungen, die die englische Regierung plötzlich zur Schau trägt, erfüllen werden? Daran darf man Loch wohl billig zweifeln. Eine jahrhundertelange Knechtung mit allen ihren Leiden, den rohen Mißhandlungen eines übermütigen Herrn, mit all dem Hunger und dem Elend, die das unglückliche irische Volk zu ertragen gehabt hat, sind nicht durch ein Gesetzalmosen aus der Welt geschafft, und der noch so gut gemeinte Besuch Eduards VN. kann die Iren nicht ver- gefsen lassen, daß bis zum heutigen Tage die englischen Herrscher nur als Unterdrücker ins Land gezogen sind, um mit Feuer und Schwert die liebliche Insel zu ver wüsten. Der Ire besitzt politischen Instinkt genug, um die gebotenen Geschenke anzunehmen, ohne dabei seine letzten politischen Ziele aus dem Auge zu verlieren. Er weiß sehr wohl, daß man nur zu ihm kommt, weil man ihn braucht und weil man eingefehen hat, daß das System -er brutalen Unterdrückung einmal wieder Bankerott gemacht hat. Solche Anwandlungen von Milde hat die englische Regierung schon sonst gezeigt: aber weder die Kolonisation mit englischen Bauern unter Elisabeth und den letzten Stuarts, weder Drohungen noch Bitten haben Len Groll aus dem Herzen des Volkes reißen können. Der keltische, ultramontane, ausgesogene Ire wird stets der Todfeind LeS angelsächsischen, protestan tischen, auSbeutenden Engländers bleiben. Und wenn die Anhänger Redmonds und die ganzen europäischen Iren Las Vermächtnis des Hasses, das ihnen die Jahr- Hunderte alte Leidensgeschichte ihres Volkes hinter- lassen, vergessen könnten: eS ist -afür gesorgt, daß die Iren jenseits des Ozeans an ihrem Haß nur um so glühender festhalten, In Amerika folgt eine Protestversammlung gegen die opportunistische Versöh nungspolitik -er andern, und man berauscht sich in wilden Phantasien an -em gewünschten Zusammenbruch Groß britanniens und dem Erstehen einer irischen Republik. Die Kluft -wischen Irland und England wird sich auch unter Eduard VN. nicht schließen. I'. Deutsches Reich. * Dresden, 5. August. Der Verband deutscher Gewerbegerichte hat den Verhandlungen seine» BerbandS- tages, der diesmal, wie bereit» wiederholt mitgeteilt wurde, aus Anlaß der Deutschen Städteauöstellung in Dresden am 11. und 12. September stattfindct, durch gedruckte Berichte vor- gearbeitet, die der neuesten Nummer de» Verbandsorgan» „Das Gewerbegericht* inGestalt eineraußrrordentlichen.Verbandlags- Beilage" beigegeben sind. Die Berichte gestatten zum Teil bereit» einen Einblick in die Richtung, die die Verhandlungen mutmaßlich einschlagen werden. Zu dem Punkte „Kauf mannsgerichte" wird nicht nur der bereit» bekannte Wortlaut de» dem BundeSrate vorgelegten Gesetzentwurfs, sondern auch die Begründung dazu in vollem Umfange ge geben, die bisher nur in einzelnen Bruchstücken bekannt war. Die Begründung legt den damaligen Standpunkt der Reichs regierung dar, der den Anschluß dieser Gerichte an die Ge werbegerichte vorschluH. Daß die Gewerbegerichte im all gemeinen an dieser Losung ver Frage sesthalte», auch nach dem sich der Standpunkt der Regierungen mehr dem Anschluß an die Amtsgerichte zugewandt zu haben scheint, geht aus den beigegebenen „gutachtlichen Aeußerungen deutscher Ge werbegerichte" hervor. Ferner hat die Archivverwaltuug des Verbandes aus den beiden Nachbarländern, in denen bereits eine Rechtsprechung der Gewerbegerichte in Sachen der HandlungSgebülfen besteht, aus Oesterreich und der Schweiz, Gutachten gesammelt, die sich übereinstimmend dahin auS- sprachen, daß die befürchteten Unzuträglichkeiteu nicht ein getreten seien. Feuilleton. Aus Len Heidelberger Aniverfitats- und Studentenleben. Zum Heidelberger Universitäts-Jubiläum, k.—S. August. Bon Nr. Hans Hasselkamp. »>uLvrulk verbalen. In diesen Sommertagen feiert die Heidelberger Unwersität ein schönes Jubelfest — man könnte es auch ein Namenssest, und das im wörtlichen Sinne, nennen. Denn bis vor hundert Jahren trug die »iw» wator den Namen ihres Gründers, des Pfalzgrafen Ruprechts I., und erst seit der Reorganisation durch den Kurfürsten Karl Friedrich, die nun vor einem Jahrhundert statt gefunden hat, führt sie den Namen der Ruperto-Carola, unter -cm sie heute in Deutschland und in aller Welt gefeiert ist. Ach, es war ein betrübender Zustand, in -en die berühmte alte Hochschule verfallen war, bevor Karl Friedrich sie wieder aufrichtete. Ihr Unglück begann eigentlich schon mit jener barbarischen, von den Deutschen nie zu vergessenden Einäscherung Heidelbergs durch die Franzosen im Jahre 1683. Da verödete die Hochschule, die meisten Professoren lasen in Frankfurt und später in Weinheim weiter; unL erst nach sieben Jahren sand sich die Universität wieder in Heidelberg zusammen. Alle ihre Baulichkeiten lagen in Schutt und Trümmern, und sie schätzte ihren gesamten Verlust auf 177178 Fl. 50 Kr. Seit damals siechte die Universität hin; früher ein Boll- werk des Calvinismus, geriet sie jetzt tn den Besitz der Jesuiten, und der Druck der Intoleranz lastete schwer auf der Ausübung der Lehrfreiheit. Und welch ein traurig niedriger Grad von Bildung und Gelehrsamkeit war eS, -er die damaligen Heidelberger Professoren kennzeichnete. Da war ein Dominikaner, namens Rumpel, Professor, der ein rechte» Küchenlatein schrieb und „auS Langerwetle" mit „proptvr longum guoniam" übersetzte. Da war ein anderer Professor, ein jesuitischer Theologe, der, wenn ihm die Fragen der Schüler un bequem wurden, zu antworten pflegte, ein Esel könne mehr verneinen, al» hundert Gelehrte beweisen. Das sind so kleine Proben von der Gelehrsamkeit, die dazumal an der Hochschule herrschte; und für ihren Geist ist es ganz bezeichnen-, bah Gellert für «inen Freigeist gehalten, Kant aber so verabscheut wurde, Laß sein Name den Hunden beigelegt wurde. In so betrübsamem Zustande feierte die Ruperta im Jahre 1786 ihr 400. Jubiläum. Am 18. Oktober 1386 hatte die Universität Heidelberg ihre Tätigkeit begonnen. Da la» zuerst am frühen Morgen MarsiliuS über Logik, um 8 Uhr Reginald über den Brief an TituS, bann Mag. Seylmann eine Stunde nachmittag» über die Phnsik bcS Aristoteles — und so begann die Reihe der Vorlesungen, die nun »ehr al» VOO Jahre lang fortgesetzt worben sind. In diesem Zeitraum hat freilich die Hoch schule gar manche Schwankungen und Schicksale durch gemacht. Der erste große Kampf, den sie zu Leslehen hatte, war der um -en Uebergang vom Geiste des Mittel alters zu dem der neuen Zeit, — von der Scholastik zum Humanismus. Dieser Uebergang vollzog sich nicht leicht. Freilich habilitierte sich -er erste Humanist an der Heidel- berger Universität schon im Jahre 1456; es war Peter Luder; aber das war nur ein versprengter Vorposten, und Luder war auch persönlich nicht der Mann danach, dem neuen Geiste hier eine Position zu erobern. Es dauerte noch recht lange, ehe der neue Geist Les Huma nismus an der Heidelberger Hochschule festen Fuß faßte; erst mußte die Universität, die doch gleich bei ihrer Be gründung wahre Scharen von Studenten angelockt hatte, einen bedenklichen Niedergang erleben; die scholastischen Professoren -er Arttsten-Fakultät mußten erst selbst so wett kommen, daß sie um die Errichtung einer Professur für die politiorss littvras petitionierten, ehe die entscheidende Wendung eintrat. Sie ist mit dem Namen des Pfalz- grafen Otto Heinrich, der ja auch mit der Geschichte LeS Schlosses für immer verbunden ist, eng verknüpft. Mit diesem lebendigen, energischen und geistvollen Herrn kam der Humanismus, und kam die Reformation an der Heidelberger Universität zur Herrschaft, und dann begann eine neue Blüte der Hochschule. Glänzende Namen schmückten den Lehrkörper, die Studenten strömten wieder herzu, und einen besonderen Schmuck der Universität bildete jene köstliche und einzige Büchersammlung, die unter dem Namen der Palatina einen solchen Ruf in der Gelehrtenwelt bekommen hat. Freilich ein Ruf, der nicht in jeder Hinsicht gut ist. Denn an den Namen der Palatina knüpft sich uns Deut schen die Erinnerung daran, daß diese herrliche Samm lung nach Rom verschleppt worden ist, von wo bisher nur ein kleiner Teil der Handschriften für Heidelberg wieder- zuerlangen war. Diese Entfernung der Palatina von Heidelberg ist ein» der vielen Drangsale, die der große Krieg der Universität gebracht hat. Die Bibliothek wurde weggeschleppt, die protestantischen Lehrer wurden ver trieben, der Betrieb der Hochschule stand jahrelang still; selbst nach ihrer Wiederaufrichtung findet man in ihren Matrikeln über zwanzig Jahre lang keine Rektoren und keine Studenten eingetragen. So fand Kurfürst Karl Ludwig die Universität vor. Er hat alles daran gesetzt, sie wieder aufzurichten und in Flor zu bringen; und al» ihm das gelungen war, und mit überraschendem Er- folge gelungen war, da brach schon jene lange Nacht, jene völlige Zerrüttung, jene Katholisierung und Fran- züsierung der Universität herein, von -er wir bereits ge sprochen haben. Und so hat die Universität fürwahr ein Recht, heute tn freudevoller Erinnerung die hu ndertste Wi e Ver kehr der Reorganisation durch Karl Fried rich zu begehen. Denn seit damal» ist bi« Blüte der Ruperto-Carola ununterbrochen gewesen, ja, es hat der Glan» der Hochschule 1» diesem Jahrhundert, man darf wohl sagen, alle früheren Blüteperioden der Univer sität überstrahlt. Hier hatte die deutsche Romantik ihren Hochsitz, voll von Kunst und Musik und Poesie; die Wieder erweckung des deutschen Altertums wurde hier mit dem größten Eifer betrieben; und in einer späteren Epoche wieder, um die Mitte des Jahrhunderts, wurde die Heidelberger Universität der Ditz jener nationalen Ideen, die mit Macht in unser öffentliches Leben eintraten und -er Wiederaufrichtung Deutschlands so kraftvoll die Wege gebahnt haben. Welche unvergleichliche Reihe von Namen weist der Lehrkörper der Ruperto-Carola in diesen hundert Jahren auf! Daub, de Wette, Mar. hetnecke, Rothe in -er theologischen Fakultät; unter den Juristen Thibaut, Mohl und Blunffchli, der National ökonom Rauh, Gegenbaur, der Mediziner, Bunsen und Kirchhoff, das Doppelgestirn unsterblicher Physiker; Helmholtz, der Fürst der Naturwissenschaften; von den Historikern: Schlosser, Gervinus, Häufler, Treitschke; unter den Philosophen Kuno Fischer. Diese wenigen Namen werden genügen, um unS die herrlichen Leistungen und Erfolge der Hochschule im 19. Jahrhundert ins Ge dächtnis zurückzurufen. Allein eS wäre unbillig, den Ruhm, den Heidelberg er rungen hat, die Liebe, die man ihm tn Deutschland un weit über Deutschlands Grenzen hinaus entgegcnbringt, allein auf Rechnung der Gelehrten, der Professoren zu setzen. Das entscheidende Moment in Heidelbergs Stel lung ist und bleibt doch jene herrliche und einzige Natur, die allen, die je am Neckarstrande geweilt haben, eine tiefe Liebe zu diesem Fleck Erde einflößt. Immer wieder kann man beobachten, daß, wer einmal in Heidelberg ansässig war, doch stets wieder dorthin zurückstrebt. Manch einer, wie ». B. Gottfried Keller, ist dort zum Leben genesen; und wer als Student je ein paar Semester seiner besten Iugendjahre dort vevbracht hat, der nimmt die Erinne rung daran für sein ganzes Leben mit, als ein Kapital von Schönheit, an dem er bis zu seinem Ende zehren kann. Heidelbergs Natur hat auch dem Heidelberger Studentenleben seinen Stempel aufgedrückt. Gewiß, in alten Tagen war es wohl ebenso roh und wild, wie das deutsche Studentenleben im allgemeinen damals zu sein pflegte. Es wirst kein gutes Licht auf die Heidel berger Studenten des 15. und 16. Jahrhunderts, wenn ihnen das Gebot eingeschärft werben muß, „des Tages friedlich, deS NachtS auch mit gebührlichem Licht «nd Latern, ohne Geschrei, Ungestümmigkeit, Unlust und Be- trübnu» andrer Leute ihre» Wegs zu gehen". Die Stö rungen der nächtlichen Ordnung seitens der Herren Stu denten scheinen also bamal» im großen Stil ausgeübt worden zu sein. Auch wurde den Herren StudiostS immer wieder eingeschärst, nicht in Gärten und Wein berge einzubrechcn, den Bürgern nicht die Tauben weg- zukangen, dem Kurfürsten nicht die Forellen aus seinen Fischweilern zu stehlen. Offenbar böse Buben da», die Heidelberger Studenten, von denen man fick doch so wenig Gutes versah, daß der Rektor die Scholaren »ovo «iomini 1448 zu or-nungSgemäßem Benehmen während -er Tauf feierlichkeiten des Erstgeborenen Les Kurfürsten ermahnte, zu welchen sich eine vornehme Gesellschaft zusammen gefunden hatte. Auch auuo 1560 hielt man die Studenten an, bei -er Disputation über die Aüendmahlslehre, der Kurfürst Friedrich NI. mit seinen Gästen anwohnen wollte, sich angemessen zu betragen. Und natürlich ließ die Solidität der Studenten auch so mancherlei wünschen. Es wurden freilich strenge Erlasse, um sie zu bessern, publiziert, aber die Studenten wollten sie sich nicht ge fallen lassen; 1777 beschwerten sie sich beim Senate, daß ihnen in den Wein- und Bierhäusern nach 7 Uhr alles abgeschlagen werden müsse, daß sie gleich anderen Bürgern um 9 Uhr von der Gasse gewiesen würden und so zum Hohngelächter für die Metzgersknechte hingestellt seien. Allerdings für eine echte Studentenseele ein kaum er träglicher Zustand. Kurz darauf, im Jahre 1780, lautet eine Charakteristik -es Heidelberger Studenten dahin, der Komment sei dort gar elend, Schlägereien seien gar nicht in Mode; statt dessen spielten die Studenten dort Ball, gingen auf Stelzen, suchten Vogelnester, spielten mit Weinschrötern, die sie zusammenjagtcn und an ein Wägelchen spannten. All' das gefüllt dem Beobachter nicht, aber das weiß er doch an ihnen zu rühmen, daß sie gut saufen könnten. Aus Wildheit und Zierbcngelei trat dann das Heidel berger Studentenleben allmählich doch heraus und nahm im 19. Jahrhundert jene Formen an, die — gottlob! — noch bis zum heutigen Tage im wesentlichen andaucr». Man ficht und paukt, man trinkt und bummelt in Heidel berg gewiß ebenso, wie in allen anderen lieben deutschen Mnfenstädten; aber ein Hauch von Poesie zieht sich immer und immer wieder durch das Heidelberger Studenten leben. Scheffel hat diese Poesie nicht erdichtet, er hat sie nur gestaltet. Wie in allen kleineren Universitäts städten, bildet der Student auch in Heidelberg eine Macht; und zweimal haben im 19. Jahrhundert die Studenten eine Sezession veranstaltet; zuerst im Jahre 1828 anläßlich eines Konfliktes mit der Museumögesellschaft, der zur Er stürmung Les Karzers und zur Befreiung verhafteter Studenten geführt hatte. Da zogen an die 400 Studenten nach Frankenthal auS; aber die Sache endete in einer Niederlage der Studenten, sie mußten schließlich nach, geben. Die zweite Sezession fand im Sturmjahre 1848 statt und ihr Ziel war Neustadt a. d. Hardt. Damals wurde der Grund der Unzufriedenheit durch -en Erlaß eines allgemeinen VereinSgcsctzcS beseitigt. Bunte Bilder llnd es, die die mehr als fünfhundert jährige Geschichte Aer Ruperto-Carola unS vor das Auge zaubert. Aber wie daS Sprichwort sagt, Ende gut, alle» gut. Die Universität steht beute in solchem Flor und Glanz, -aß die Strahlen ihres heutigen Glücke» auch ihre ganze Vergangenheit zu erleuchten und zu ver- schönen scheinen. Möge ihr ein so günstiges Geschick auch in allen künftigen Jahrhunderten beschiedcn sein!
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