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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030808029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903080802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903080802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
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Das führende preußische Zentrumsorgan, die „Kölnische Volkszeitung", glaubt auch schon zu wissen, wohin die Reise gehen würde: erstens Erneuerung des Kultur kampfes, zweitens Verbrüderung mit der Sozialdemo kratie für die preußischen Landtagswahlen. Den Kampf gegen das Zentrum würden die Nationalliberalen auf ihre Fahne schreiben, nicht um sachlicher, ernster Beweg gründe willen, sondern aus dem Gefühle ihrer Schwäche im Volke heraus, die sich noch beiden Wahlen zum Reichstage so deutlich zu erkennen ge geben habe. Man wolle dem Nationalliberalismus politisch wieder auf die Beine helfen, und so erwarte man von einem neuen Kulturkämpfe wieder eine neue Blüte zeit. Auch wir glauben, daß der Kampf gegen das Vor dringen des Zentrums auf dem Parteitage betont werden wird, aber wir meinen, daß dafür gerade genug sachliche Gründe vorhanden sind. Im Reiche ist die Position des Zentrums parlamentarisch dadurch gestärkt worden, daß es jetzt nrit den Sozialdemokraten zusammen und ohne der Hülfe der radikal-bürgerlichen Parteien zu bedürfen, eine Oppositionsmehrhcit bilden kann; im preußischen Abgeordnetenhausc hat es bekanntlich zu sammen mit den Deutsch-Konservativen die Mehrheit, und es kann deshalb jederzeit reaktionäre Gesetze durch drücken, sobald die Regierung dazu die Hand bietet. Was aber die preußische Regierung anlangt, so ist sie eifrig darauf bedacht, durch stetes Entgegen kommen die Macht des Zentrums noch zu fördern. Unter den nicht katholischen bürgerlichen Par teien endlich ist, von den Nationalliberalen abgesehen, keine einzige, die dem Klerikalismus mit aller Entschieden heit «nigegentritt. Die „Kreuzzeitung" und sie „Frei sinnige Zeitung", sonst so verschieden in ihren An schauungen, treffen sich in einer mehr als rücksichtsvollen Haltung gegenüber dem Zentrum. Wir erinnern nur an die Bemühungen der „Kreuzzeitung", zwischen Konser vativen und Zentrum ein Bündnis in Bayern herbcizu- führen, sowie an die schwächliche Erklärung der Frei sinnigen Volkspartei gelegentlich der provokatorischen Haltung des Bischofs von Trier. Wenn also die Kleri kalen die parlamentarische Macht inne haben, wenn die Regierung sich ihnen treu, hold und gewärtig zeigt, und wenn die Haltung der meisten nicht katholischen Parteien eine sehr laue ist, so ist es selbstverständlich Pflicht der nationalliberalen Partei, mit offenem Visier gegen den Klerikalismus zu kämpfen. Daß sie dies tue aus dem Gefühle ihrer Schwäche im Volke, die sich „'n o ch bet den letzten Reichstagswahlen im Volke so deutlich zu erkennen gegeben habe", ist angesichts des tatsächlichen Wahlergebnisses eine bewußt unwahre Behauptung. Die Nationalliberaleü haben trotz der Anfeindung von rechts und links einige Hunderttausend Stimmen gewonnen, und sie stehen hinsichtlich der Stimmenziffer an der zweiten Stelle der bürgerlichen Parteien. Verteilten sich die Mandate im genauen Verhältnisse zu den Stimmen, so würde die nationalltberale Partei ein günstigeres Mandatsverhältnis gegenüber dem Zentrum aufweisen, als es gegenwärtig der Fall ist, und sie würde weit mehr Mandate besitzen, als die konservative Partei, die an Stimmenziffer erheblich hinter ihr zurücksteht. Wie kann man da von einem durch die Wahlen bewiesenen schwachen Rückhalte im Volke sprechen? Wir kommen nun zu dem angeblichen Wahlbünd nisse mit der Sozialdemokratie. Weil in nationalliberalen Jugendvcreincn eine törichte Unter strömung derartiges nicht ungern sähe, hält die „Kölnische Volkszeitung" es schon für abgeschlossen oder tut wenigstens so, und wirft der nationallibcralen Partei vor, daß sie sich mit den Feinden der M-o narchie verbünde, und daß sie durch das Zusammengehen mir der Sozialdemokratie im Volke auf Kosten des monarchischen Gedankens Verwirrung Hervorrufe. Nun, der nationalliberale Parteitag wird es mit Sicherheit ablehnen, für sozialdemokratische Wahlmänner und Kandidaten einzutrcten. Die Vor würfe der „Kölnischen Volkszeitung" sind also zunächst voreilig, sie beweisen aber auch eine e d l e D r Listig keit, wenn man sich an die Haltung des Zentrums gegen die Sozialdemokratie gerade bei Landtags wahlen erinnert. Im Königreiche Bayern sowohl, wie im Großherzogtume Baden hat das Zentrum mit der Sozialdemokratie direkte Bündnisse geschlossen, um den gemäßigten Liberalismus parlamentarisch ohnmächtig zu machen; in beiden Ländern hat es auch den Sozialdemo kraten Mandate zugeschanzt. Auf der einen Seite also steht der durchaus noch nicht erfüllte Wunsch einer kleinen Gruppe der Jungnationalliberalen, auf der anderen eine vollzogene Handlung, für die die gesamte Zentrums partei Bayerns, bczw. Badens verantwortlich zu machen ist. Angesichts dieser Tatsache täte die „Kölnische Volkszeitung" doch wohl gut, sich hübsch still zu verhalten oder aber, wenn sie durchaus ihren Mund austun will, die Vorwürfe wegen der „Verwirrung im Volke" und der „Schädigung des monarchischen Gedankens" dycb lieber grgeü iyre Gesinnungsgenossen an der Isar und lm oberen Rheintal zu richten. Notwendige Ausgaben. Das Maß der notwendig vom Reiche zu machenden Ausgaben geht natürlich mit den Jahren der Entwicklung der Reichs-Einrichtungen nicht zurück. Wie sich die Be dürfnisse hinsichtlich der Leistungen auf sozialpoliti schem Gebiete steigern, ist ans den Erfahrungen der letz ten Jahre mit Leichtigkeit zu berechnen. Ein Gleiches gilt bezüglich des Pc ns i o n s - und des Jnvaliden- Etats. Welche Forderungen nach dem Klottenplan an die Reihe kommen, ist ebenfalls nicht unbekannt. Jedenfalls läßt sich nicht annehmen, der Ausgabe-Etat werde im nächsten Jahre geringere Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Reiches stellen, als im letzten Jahre. Ob mit Rücksicht hierauf die Heeres- nutz Marineverwaltung davon absieht, an die gesetzgebenden Körperschaften schon in dem unmittelbar bevorstehenden Arbeitsabschnitt mit Forderungen heranzutreten, welche ! im Interesse der schrittweisen Fortentwicklung unserer Wehrkraft zu Lande wie zu Wasser in absehbarer Zeit un-1 ter allen Umständen sich anmelden müssen, ist nicht be- > kannt. In einigen Richtungen aber kann, nach unserem Dafürhalten, auch die wenig günstige Gestaltung der Etatsverhältnisse im nächsten Haushaltsjahre keinen Grund abgeben, mit den anerkanntermaßen notwendigen Reformanträgen zurückzuhalten, weil ihre Uoberführung in die praktische Wirklichkeit mit ziemlich erheblick-en Kosten verknüpft ist. Wir meinen insbesondere die Reform der Militärpensionsgesetzgcbung. Der Kriegs minister hat im letzten Arbeitsabschnitt des Reichstags ganz genaue Mitteilungen darüber gemacht, wie hoch sich die Mehrkosten, die durch die Reform verursacht werden, belaufen, wenn sie nicht rückwirkende Kraft erhält, und wie hoch, wenn dies der Fall sein soll. Wir sind der Ansicht, es handelt sich in diesem Falle, wenn nicht irm Beseitigung, so doch um Herabminderung von Notständen, deren Schärfen sich unschwer dem Blicke desjenigen darbieten, der die Ent wicklung von Ursachen und Wirkungen in unserem noch verhältnismäßig jungen nationalen Leben ohne Vorein genommenheit zu beobachten sich Mühe gibt. Je mehr es darauf ankommt und ankommen mutz, Ansteckungsherde zu bekämpfen, welche dazu dienen, der sozialdemokratischen Propaganda irnmer neue Mitläufer zu züchten, um so weniger darf die minder günstige Finanzlage im Reiche einen Grund abgeben, mit Reformvvrschlägen zurückzu halten, weil sie mit 40 und mehr Millionen zu Buche schlagen. sNatlib. Korr.) Nach -er Papstwahl. Der „Figaro", der während des Konklave in dem Ber- leumdungsseldzug der französischen Presse gegen Deutschland in erster Reihe focht, tröstet sich über die Wahl des Patriarchen Sarto mit der Bemer kung, der neue P ap st sei gewiß nicht der Kandidat des Dreibundes gewesen. Das ist nur in dem Sinne richtig, daß ein Dreibuudkandidat für das Konklave überharlpt nicht ausgestellt war. Dazu hätte es einer besonderen Ver ständigung zwischen den Kabinetten von Berlin, Wien und Rom bedurft. Es ist aber nichts derartiges geschehen. Der Dreibund läßt seinen Mitgliedern volle Freiheit, ihre Beziehungen zum Vatikan nach Maßgabe der beson deren Verhältnisse jedes einzelnen Landes zu regeln; er schrieb ihnen auch für ihre Haltung gegenüber der jüng sten Papstwahl keine ins einzelne gehenden Direktiven vor. llebcrhaupt gab es im Konklave mrr einen Kardinal, der von einer weltlichen Macht als ihr Kandidat betrachtet und demgemäß durch diplomatische und sonstige Mttel unterstützt wurde. Dieser Kardinal — es ist ein offenes Geheimnis — war Rampolla und die ihn unterstützende Macht Frankreich. Heute mich Herr Delcassö sagen: oleum st operam perckicli. Nur eins hat er durch seine hypnotisierenden Hinweise auf „deutsche Ränke" erreicht. Die französischen Kardinäle stimmten nach den Intentio nen Delcassös bis zum Schwinden des letzten Hofsnuugs- schiimners geschlossen für Rampolla. Das ist nicht bloß von tagesgeschichtlichem Interesse. Es bleibt auch für die Zukunft eine denkwürdige Erscheinung, daß ungeachtet der scharfen Verfolgungsmaknabmen einer von Grund aus kirchenfcindlichen Regierung die Purpurträger des fran zösischen Episkopats bei der Papstwahl den Weisungen eben dieser Regierung einmütig Folge leisteten, weil sie patrio- I tisch genug dachten, um über eine ihnen — mala kicke — I vorgespiegelte nationale Gefahr alles andere zu ver ¬ gessen. Die weit verbreitete Ansicht, wonach der Einfluß der Republik im letzten Konklave durch die Kirchenpolitik des Ministeriums Combcs beeiitträchtigt gewesen sei, ist daher nicht ohne weiteres zutreffend. In Wirklichkeit haben die Regierung und die Kardinäle Frankreichs mit ver einten Kräften für Rampolla alles getan, was in ihrer Macht stand. Und trotzdem die schwere Niederlage, die Ausmerzung Dessen, den die Pariser Presse in allen Ton arten als „Io pape krauLais" gefeiert hat, mit 52 Stimmen gegen 10, ohne daß Deutschland auch nur den kleinen Finger gerührt hätte. Französisch-englische Schiedsgerichtsbestrebrrngen. Der französische Abgeordnete Herr d'Estournelle de Constant ist in jungen Jahren Diplomat gewesen; das hindert ihn nicht, ein Enthusiast zu sein. Er hat die be kannte Verbrüderunasreise der französi schen Parlamentarier nach London veran staltet, und da es Zweifler und Spötter gibt, die von dem Nutzen dieser Spritzfahrt noch immer nicht überzeugt zu sein scheinen, hat er ungesäumt das, was er für das prak tische Ergebnis der Reise hält, in einem Schreiben an Herrn Delcassv zusammengefaßt, dessen wesentliche Punkte bereits drahtlich mitgeteilt worden sind und deren andere die ,Lioss. Ztg." mitteilt. Herr d'Estournelle glaubt, daß man in London bereit ist, einen allgemeinen Schieds gerichtsvertrag mit Frankreich zu schließen, der alle auf tauchenden Streitfragen zwischen den beiden Ländern vor das Schiedsgericht von Haag verweist. Er ist ferner Über zeugt, daß die englische Regierung geneigt ist, sich mit Frankreich und Rußland wegen gleichzeitiger Einschrän kung der Klottenausgaben in den drei Ländern zu ver ständigen. In seinem Briefe an den Minister des Aus wärtigen sagt er es nicht ausdrücklich, aber einem AuS- frager hat er es anvertraut, daß Lord Lansdowne und Mr. Chamberlain ihm versichert haben, sie wünschten nichts Besseres, als durch ein Abkommen die zermalmende Last der Kriegsrüstung zur See zu erleichtern. Als Vor bedingung des Schiedsgerichts- und Abrüstungsvertrags bezeichnet er die Regelung aller alten Streitfragen, die sich seit zwanzig Jahren zwischen Frankreich und England hinschleppen. Herr d'Estournelle zählt sie nicht einzeln aus, man hat aber darunter die ägyptische, die neu fundländische, die siamesische, vielleicht auch noch die marokkanische Frage zu verstehen. Nach Herrn d'Estournelle könnten bei einigem guten Willen französischerseits alle diese Fragen binnen wenigen Monaten aus der Welt geschafft werden. Vielleicht hat Herr d'Estournelle von den Gesinnungen, dem Arbeits eifer und der Versöhnlichkeit der Diplomatie eine zu gün stige Meinung. Vielleicht übersieht er auch, daß, wenig stens nach französischer Auffassung, Frankreich in allen diesen Streitfragen Opfer bringen und Zugeständnisse machen müßte, um zu einer endgültigen Verständigung mit England zu gelangen. Man kann es der französischen Diplomatie nicht Übelnehmen, wenn sie es damit nicht so eilig hat, wie Herr d'Estournelle. Deutsches Reich. H Berlin, 7. August. (Zur Gestaltung des Reichshaushaltsetats 1904.) Offiziös wird ge schrieben: Wenn in der Presse aus der Entwickelung der Fenilletsn. 2s Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verboten. Dennoch kommt sic näher und steht nun vor der Türe des Pavillons. „Hm! Bleibt Ihnen ja auch nachher noch Zeit genug", murmelte er, nickt und rührt in seiner Tasse herum. ,^Zri mir ist das anders. Habe vor meiner Arbeit nur noch ein paar Minuten." Nun sieht er, während er die Taffe an den Mund hebt, über die Brillengläser hinweg ihr doch ins Gesicht. Das wirkt ungemein komisch und die Lachlust über- windet jetzt ihren Aerger. „Um Gott leben Sie denn jahraus, jahrein so ?" Er zuckte die Achseln. „Nicht immer. Aber jetzt — Streichzeit — da, hören Sie?" „Was denn? Diesen schrillen Ton einer Dampfpfeife und gleich hinterher den herzzerreißenden einer Fabriks glocke? Sie hält sich beide Ohren zu. „Hielten Sie mich für taub?" Nun fährt eS wie ein Lächeln der Befriedigung über sein Gesicht. „Sie lieben das nicht? — Bcdaure sehr, nicht zu ändern. Auch nur morgens, mittags —" „Und abends? Ich dantt! Ein ganz entsetzlicher Lärm!" „Werden sich daran gewöhnen müssen." „Oder abrcisen?" fragt sie rasch, ans der Empfindung heranS, von seiner Seite für sehr entbehrlich gehalten zu werden. Er steht auf, bückt sich noch einmal nach seiner Tasse, faltet die Zeitung auf dem Tisch zusammen und sagt, hoch rot im Gesicht: „So — hm! — so meinte ich's nicht. Ein Mißverständnis! Würden Tante Friederike kränken." Nur stückweise fallen die paar Sätze von seinen Lippen. „Doch jetzt", fährt er, sich halb zum Gehen wendend, fort, „ent schuldigen Sie mich wohl? — Streichzeit, wie gesagt." „Was ist das?" „Sensenschärfer streichen. Aber die kennen Sie wohl gar nicht?" Sie mnß in der Tat einen Augenblick nachsinnen. „Ja doch. Auf dem Gut einer Freundin, in England, habe ich sie gesehen." „In England — das ist nicht wahr — ist schwer möglich, wollte ich sagen. Man schärft dort ausschließlich mit Stein." „Dann war's in Thüringen oder so. Kleine Bretter mit einer schwärzlichen Masse darauf." Er nickt. „Ganz richtig. Eben diese Schärfmasse muß ich auf streichen." „Sie selbst?" „Mit einem Arbeiter, ja. Eigenes Patent, hinter dessen Geheimnis mir niemand kommen darf. Sehen Sic hier!" . Er zeigt an seiner Hand ein paar dunkele Flecken. „Durch einfaches Waschen geht das so leicht nicht ab. Konnte Ihnen deshalb auch vor Tisch nicht die Hand reichen." Sie starrt ans diese Hand, eine Arbeitsfaust, wie die eines Handwerkers. Und die Flecken darauf — wie Teer. „Sieht schlecht aus, he?" fragt er mit einem ironischen Lächeln. „O, es ist hier eben vieles anders, als ich's bisher ge wohnt war." „Gewiß, Menschheit zweiter Klasse!" Damit schiebt er sich an ihr vorüber, dem Hause zu. „Sie haben kein Recht, mir Hochmut vorzuwerfen!" ruft sie hinter ihm drein. Aber ein fchrillesGeräusäLausderFlabrik hafsihre Stimme übertönt, ein markdurchdringendes intermiticrendes Kreischen: Rrr—rictsch Rrr—rietsch, das war die er ¬ hoffte Ruhe der Kleinstadt? Nicht zum Aushalten! Wenn daS fortwährend so ginge, so würde sie je eher, je lieber ab reisen Doch wie das einrichten? Hatte sie sich auch nicht zu dauerndem Aufenthalt gebunden, so mußte sie doch schon anstandshalber ein paar Wochen mindestens bleiben. Und vielleicht — wenn die Tante wieder hcrgestcllt und sie nicht mehr auf die Gesellschaft des Neffen angewiesen sein würde, so ließ sich's ertragen — wenn nicht hier draußen, so im Hause. Aber einstweilen — brr! Die Hände auf den Ohren will sie ins Hans flüchten. In demselben Augenblick aber öffnet sich im Gartenhaus eine Hinterpsvrte, und durch diese Pforte tritt ciu junger Mann, der nach der zurückgclasfencn Zeitung auf dem Tische greift und nun erst, im Begriffe zu verschwinden, wie er gekommen ist, die Dame gewahrt. „Ah! Pardon! — Vermutlich Fräulein von Grieben? — Erich Buschkorn, Sorgenkind seiner Mutter, spätere Zierde der medizinischen Wissenschaft und augenblicklich höchst er freut, sich als Nachbar vorstellen zu dürfen." Anfangs erschreckt, dann belustigt, hat sie diese formlose Einführung über sich ergehen lassen und sieht nun in ein sorglos heiteres, mit einem weichen dunklen Schnurbart geziertes Gesicht. „Ich nehme an, daß Sie ein Recht auf jene Tür haben, Herr " „Buschkorn, gnädiges Fräulein. Und das Recht ja, Verzeihung! — Herr Volkhard hat Ihnen also nicht ge sagt, daß ich mir das Blatt hier abholen würde? Ich tue es täglich um diese Stunde — die Siesta, die ich meinen Studien bringe", vollendet er mit Pathos. „Sie sehen nicht abgearbeitet aus." „Danke für das Kompliment." „Ein solches lag durchaus nicht in meiner Absicht." Er streicht sein Bärtchen leicht empor — wie sic bemerkt, mit einer Hand, an deren Finger zwei wcrrvvllc Steine blitzten. „Ist auch gar nicht nötig; ich hasse Komplimente." An Selbstunterschätzung krankt auch der nicht, denkt Renate. „Meine Mutter würde sich übrigens freuen, Ihr Urteil über mein Aussehen zu hören; denn sie weigert sich leider standhaft, mich wieder nach der Universität ziehen zu lassen, ehe ich von den Nachwirkungen der Influenza, die mich in den Osterferien gepackt hatte, völlig wieder hcrgestcllt bin." Mit diesen Worten ist er zu ihr ins Freie getreten und fragt nun ohne Uebergang: „Gefällt Ihnen der Garten?" „Ohne den ohrenzerreißenden Lärm von drüben - ja." „Die Kreissäge? Nun, dann kann ich Sic trösten; sie verstummt in drei Wochen." „Woher wissen Sic das?" „Tradition! Sic arbeitet stets nur bis fünfzehnten Juni. Im Hanse Vollkard läuft alles nach Uhr und Kalender, also auch die Säge." „Auch die Streichzeit?" „Die kehrt nach je zweimonatlichen Pausen wieder." „Und Herr Vollhard?" fragt sie; denn sie hat so etwas wie eine Idee, derselbe möchte außerhalb der Streichzeit genießbarer sein als augenblicklich. Erich Buschkorn siebt sie verwundert an. „t^eorg Volll-ard bleibt stets derselbe — ein guter Kerl." Dann dreht er sich einmal langsam nm sich selbst. „Finden Sie nicht auch, daß hier etwas fehlt?" „Ich wüßte nicht." „Aber ich weiß es: eine anständige Laube. Mindestens eine Bank und ein paar Stühle, irgendwo ins Bosquet ge setzt. Aber Vollhard wollte nichts davon wissen, als ich ihm zu der Anschaffung riet. Für ihn und Tante Friede- rike hätte der alte Steinkasten da bislang gereicht, so wür den auch Sie sich hineinschicken müssen." Renate fühlte, wie der Aerger ihr das Blut in die Wangen trieb. Sie scheinen sehr fürsorglich gewesen zu sein, Herr Buschkorn." „Keine Ursache, zu danken!" versetzte er unbefangen. „Ich batte nur den braven Ritter Georg zum — nun eben ein bischen zum Ritterdienst erziehen wollen. Verlorene Mühe! Uebrigens — sehen Sie mal bier!" Er geht aus eine Baumgruppe los. „Haben Sie es schon mit einer Hänge matte versucht?" . „Der Gedanke ist nicht unpraktisch. Wenn ich eine hier hätte —" „Hab' ich!" ruft er. „Knüpfe ich Ihnen dort an." Doch so geradezu kindlich strahlend er sie bei den Worten auch ansieht, sie schüttelt doch den Kopf. Wie darf sie von einem Fremden ohne weiteres derartige Dienste an- nehmen? „Ich danke für den guten Willen, aber — ich darf Sie nicht berauben." „Berauben? Ich glaube sogar, daß zwei solche Dinger bei uns in der Rumpelkammer modern." Anderthalb Stunden später, an Tante Hengler'S Kasfee- tisch, fragte sie natürlich, wer denn dieser Herr Erich Busch, körn sei. „Ein Student, liebes Kind, als einziger Sohn einer Witwe ein bischen verwöhnt, aber, wie ich glaube, unver dorben. Ans seiner Kinderzcit, wo wir ibn den Sonnen schein nannten, hat er sich die Gabe bewahrt, allen Dingen jedesmal die glücklichste Seite abzngcwinnen. Ein wenig sorglos darf er auch schon sein; denn der Doktor hinterließ seinem Sobne ein ziemliches Vermögen. Mit uns vcr- kehrt er meist durch den Garten. Georg hält mit seiner Mutter die Zeitung gemeinsam." „Obgleich sie wohlhabend ist?" „Sie ist ein wenig genau, und Georg ist gleichfalls ge- wohnt, das Seine zusammcnzuhalten." Daran zweifelt Renate allerdings nicht; Herr Vollhard sah ja ganz danach aus.
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