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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030811013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903081101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903081101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-11
- Monat1903-08
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Während der Verbrecher in der Strafanstalt satz, stellte er einen Strafantrag gegen den Vater wegen Mißhand lung. Letztere muß wohl arg gewesen sein, denn das Schöffengericht verurteilte den Vater zu einer Geldstrafe von 8 die von der Berufungsinstanz auf 30 ^t! erhöht wurde. Damit begnügte sich der Verbrecher angeblich nicht, sondern da nun einmal feststand, daß der Vater eine unerlaubte Handlung begangen hatte, soll er diesem eine Rechnung über Schmerzensgeld, verursachte Ge richts« und Anwaltskosten und entgangenen Arbeitsver dienst im Gefängnisse an den Tagen, da er wegen der Privatklage zum Termin mußte, geschickt haben. Allgemeines Schütteln des Kopfes über die Urteile und civilrechtliche Konsequenz, ja allgemeine Ent rüstung, insbesondere bei den Frauen. Der Ge danke des Rechts der Selbsthülfe, der sich in dem Worte auSprägt: „Selbst ist der Mann", ist so mächtig, daß er in Jahrhunderten nicht unterdrückt werden konnte durch den vom modernen Staate immer nachdrücklicher an feine Stelle gesetzten Gedanken, daß es «ine der ersten Ausgaben des Staates sei, die Prtvatstrafe, die zum ausnahmslosen Rechte deS Mächtigeren führt, abzuschaffen und an ihre Stelle die ausschließliche Strafgcn»alt deS Staates zu fetzen. MerdingS hat auch die staatliche Ausübung der Strafgewalt ihre großen Mängel. Unendlich viele Schuldige erreicht sie nicht, und dies mag mit ein Grund sein, warum der Gedanke der Selbsthülfe gegenüber einem auf frischer Tat ertappten oder alsbald ergriffenen Ver brecher im deutschen Volke noch ungemein lebendig und stark ist, so stark, daß auch die Strafrechtspflege ihm hat Rechnung tragen müssen. Sie tut dies bei allen strafbaren Handlungen da durch, daß sie die berechtigte Aufregung, den sogenannten Affekt, in den der Verletzte gerät und der ihn zum Durch prügeln des Verbrechers veranlaßt, bei der Zumessung der Strafe als einen Milderungsgrund berücksichtigt. Nur bei zwei leichten Vergehen, der Beleidigung und der leichten Körperverletzung, geht unser Strafgesetzbuch weiter, indem es den Richter ermächtigt, bann, wenn die Beleidigung ober die leichte Körperver letzung auf -er Stelle vom Beleidigten oder Geschlagenen erwidert ist, Straffreiheit deS einen oder des anderen Teiles ober beider Teile etntreten zu lassen. Als Er widerung auf der Stelle kann auch eine solche nach meh- reren Tagen gelten, z. B. wenn der Beleidigte nicht eher Gelegenheit zur Erwiderung hatte. Das ist der Satz, besten Anwendung auf alle Straftaten diejenigen, die über das obige Urteil entrüstet sind, verlangen müssen. Unser Strafgesetzbuch würde nun aber, wenn in einem Falle wie dem obigen nur wechselseitige Beleidigung oder Körperverletzung vorläge, wenn also der fremde Mann die Tochter lediglich beschimpft oder geohrfeigt hätte, den noch den Vater, der dieserhalb den fremden Mann wieder geschlagen oder gescholten hätte, nicht straffrei lasten, weil nicht gegen seine Person, sondern lediglich gegen sein Kind die Beleidigung oder Körperverletzung begangen war. Ebenso ist entschieden, wenn ein Ehemann eine Beleidigung oder Mißhandlung seiner Ehefrau seiner seits vergolten hatte. Es entspricht dies dem Begriff „wechselseitige" Beleidigung oder Körperverletzung unseres Strafgesetzbuches nach Austastung unserer Ge richte. Ob eS aber dem Rechtsbewußtsein unseres Volkes entspricht, das ist eine andere Frage, und diese dürfte zu verneinen sein. Es ist dies ein bislang noch nicht yer- vorgehobener Punkt, der bei der Reform unseres Straf gesetzbuches Berücksichtigung verdiente. Aber mit dieser kleinen Ergänzung würde der, wie ich sehe, sowohl in der liberalen, als auch in der konser vativen Presse hervortretenben ungemein starken Ent rüstung nicht Genüge geschehen, keine Abhülfe gegen zu künftige gleiche Vorkommnisse geschaffen sein. Es bedarf einer weitergehenden Acnderung des geltenden Rechts. Hat es Sinn, daß ich denjenigen, der mich ohrfeigt, straf frei wieder ohrfeigen kann, aber denjenigen, der mich sticht, mich einsperrt, meine Frau oder Tochter schändet und dann ruhig davongeht, nicht straffrei schlagen darf? Was bet leichten Vergehen straffrei bleiben kann, müßte dies noch eher bet schweren Vergehen sein. Denn der Grund, welcher dort zur Straffreiheit geführt hat, trifft in erhöhtem Maße hier zu. Dieser innere Grund ist nach Ansicht des heute wohl angesehensten Erläuterers unseres Strafgesetzbuchs, des Oberreichsanwalts vr. Olshausen: das Handeln im Affekt. Auch das Reichsgericht hat sich in einer seiner ersten Entscheidungen in diesem Sinne ausgesprochen. Meine Erregung ist aber noch größer bei einem mir zugefügten schweren Verbrechen. Es ist vom Standpunkte deS bestehenden Straf rechts durchaus richtig, wenn Olshausen über die Straf freiheit wechselseitiger Beleidigungen und Körperver- letzungen sagt, es fei bei der Ausnahmenatur dieser Vorschrift unzulässig, die Straffreiheit auch bet anderen strafbaren Handlungen ohne ausdrückliche Ermächtigung durch das Gesetz zuzulaffen. Das Gericht mußte deshalb den Vater verurteilen, wenn von Not wehr gar keine Rede sein konnte, sondern der Vater ledig lich geschlagen hat, um den Verbrecher auf der Stelle zu bestrafen. Das war nicht seines Amtes, sondern war Sache des Gerichts. Folglich war er, da nur, wenn er selbst geschlagen ober beleidigt wäre, Straffreiheit möglich war, zu bestrafen, und er muß den durch seine unerlaubte Handlung dem anderen verursachten Schaden diesem er setzen, wobei er noch nicht einmal sich durch Aufrechnung des eigenen Schadens von der Barzahlung wirb befreien können. Die in -er Presse ausgesprochene Meinung, daß ein derartiges Urteil das Vertrauen in die Rechtspflege ge waltig erschüttern müsse, möchte ich nicht teilen. Das wäre nur berechtigt, wenn der gute Wille nicht vorhanden wäre, ohne Sentimentalität die berechtigte Aufwallung über eine Untat anzuerkennen, nicht nur teilweise durch Strafmilderung, sondern unter Umständen auch durch Befreiung von Strafe. Dieser Kall sei für die bevor stehende Reform unseres Strafgesetzbuchs warm der Er wägung empfohlen. Die Reform hätte meines Erachtens in der Richtung zu erfolgen, daß die Gerichte ermächtigt werden, bei allen Verbrechen und Vergehen nicht nur Strafmilderung, sondern selbst Straffreiheit für den jenigen Verletzten eintreten zu lasten, der sich gegen den auf frischer Tat betroffenen oder alsbald ergriffenen Verbrecher einer leichten Körperverletzung oder einer Beleidigung schuldig macht. Tatsächlich erhält ja schon jetzt der auf frischer Tat ertappte Verbrecher sehr häufig von dem Verletzten, z. B. dem Bestohlenen, wenn möglich, seine Prügel, die er in seinem Schuldbewußtfein auch ruhig einsteckt. Aber die Straflosigkeit darf doch nicht von der Gutmütigkeit des Verbrechers abhängen, son dern muß vom Gerichte stets zugebilligt werden können, wenn die Aufwallung Les Verletzten verzeihlich war. Dr. jur. sV. L. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 10. August. (Der sozialistische Parteitag.) Mit der Tagesordnung des sozialistischen Parteitages sind die „Genossen" recht wenig zufrieden; das ewige Einerlei mit den nichtssagenden Beschlüssen über die Maifeier kann natürlich nicht nach dem Ge- sckmacke der durch die Erfolge vom 10. Juni berauschten Wähler sein. Das Zentralorgan hat den mißmutigen Wählern schon einen Brocken hingeworfen, indem es die Ergänzung der Tagesordnung durch -en besonderen Punkt „Retchstagswahlen" vorschlug. Aber der Brocken ist zu gering; die „Genossen" wollen eine energische, praktische Förderung der letzten in den Gewerkschafts- und Volksversammlungen erhobenen Forderungen durch den Parteitag sehen, sie erwarten von ihm neuen durch, schlagenden Agitationsstoff. Als solcher gilt die Forde- rung des A ch t st u n d en t a g e s; das ist etwas für die Massen. Zweifellos werden zahlreiche dahingehende An träge bei dem Parteitage einlaufen; auch die sozialistische Presse, so die Magdeburger ,LZolksstimme", tritt sehr leb haft für die Erörterung der Frage des Achtstundentages durch den Parteitag ein. Das ist klar; die Maste der Wähler will sich nicht mehr mit theoretischen Abhand lungen und Problemen abspetsen lasten, sie verlangt praktische Sozialpolitik, sie will, wie der Berliner sagt, für ihr Geld auch etwas sehen. Es ist leider eine starke Täu schung, wenn man annimmt, der sozialistische Wahlsieg vom 16. Juni werde nur in einen allgemeinen Freuden rausch ausklingen; schärfer wie je wird die Agitation ent- brennen; mit immer neuen und undurchführ- baren Forderungen werden die Agita toren an die bürgerliche Gesellschaft her an t r e t e n. Das ist, wie uns gemeldet wird, gewiß: die 81 Mann starke sozialdemokratische Fraktion wird ein Riesenbündel sozialpolitischer Anträge dem Reichstage vorlegen; die drei Millionen Wähler wollen beschäftigt sein und erwarten viel, sehr viel von ihrer so starken Fraktion. Diese Perspektive ist noch nicht genügend be achtet worden. L. O. Berlin, 10. Au>gust. lZum Schutze der Bau arbeiter in Preußen.) Durch einen .Erlaß vom 27. Februar d. I. war von den zuständigen preußischen Feuilleton. Aschenbrödel. Skizze aus dem Badeleben von Th. B. Gall. t!... i.i «1 vien. Lotte blickte sich scheu um. Richtig, es war niemand in der Nähe, der sie beobachten könnte. Offenbar befanden sich alle im Kursaal, wo man in jedem Augenblicke mit dem Tanze beginnen mußte. Drüben in dem Strandkorbe war sie famos geborgen. Sie hatte ihn schon vorhin so zurecht gerückt, daß er das gewünschte Schlupfwinkelchen für sie abgebe. Dort konnte sie lauschen, sinnen — vielleicht sogar weinen. Die Haupt sache jedoch: sie war sicher, daz kein Mensch sie so leicht finden würde. Mit der einen Hand fest die Schüssel von geblümtem Porzellan umfassend, mit der anderen anmutig das Kleid hebend, damit cs sie nicht bei dem schnellen Eilschritt be- hindere — husch, husch, war sie an dem ersehnten Plätzchen. „Mein gnädiges Fräulein!" Lotte fuhr zusammen, als sie plötzlich, wie aus -cm Erdboden gezaubert, den jungen Offizier vor sich erblickte. „Habe ich Sie erschreckt ?" fragte er, und in dem Tone war angcdeutet, daß er gleichzeitig um Verzeihung bitte. „Nun ein wenig allerdings! . . . Wenn man so allein ist und niemanden vermutet! . . . Aber wie in aller Welt haben Sie sich denn hergefunden?" »Ich — ganz einfach, ich sah, wie Sie hierher schlüpften, und so bin ich Ihnen nachgcgangen." „Das ist aber gar nicht hübsch von Ihnen, Herr von RolliuS! . . . Ucbrigens enthält Ihre Beichte wohl nur die halbe Wahrheit. Jedenfalls verwechselten Tie mich mit meiner Kusine Hermine. Aber die ist ja drin im Kursaal. Ich rate Ihnen also, daß Sie sich schleunig'' dorthin bemühen. Sie können versichert sein, daß Sie schon mit größter Sehnsucht von ihr erwartet werden." Lottes Stimme klang schnippisch, herb. Zugleich vi brierte sie in leisen Schwingungen, ein deutlicher Wider hall der so mühsam niedergekämpften Erregung, die da drinnen in dem jungen Mädchenherzen ihren Tummelplatz hatte. „Wie hart Sie daS alle- sagen! . . . NichtSdesto- weniger kann ich nicht umhin bet der Wahrheit zu bleiben. Nicht Ihre Kusine suchte ich, sondern Sie, mein gnädiges Fräulein!" Sie sah ihn verwundert an auS den braunen, tief gründigen Märchenaugen. „ES ist aber wirklich unrecht, daß Sie mir hierher ge folgt sind! Der Abend dämmert bereits, und wie leicht kann uns jemand überraschen. Einem jungen Mädchen gegenüber ist man mit übler Nachrede sofort bet der Hand, und wenn die Tante davon erführe —" „Jawohl, ich weiß", fiel er bitteren Tones ein, „sie be- fleißigt sich Ihnen gegenüber einer geradezu spartanischen Streng«. Um so nachsichtiger behandelt st« ihre eigenen Töchter. Ich habe mich oft gefragt: wie können Sie das nur aushalten, Fräulein Lotte?" „Lieber Himmel, wenn man im Leben so einsam da steht — ohne Eltern, ohne Geschwister! . . . Mußte ich nicht froh sein, daß mich die Tante zu sich nahm und mir ein Heim gewährte? . . . Uebrigens ganz leicht habe ich^s wohl freilich nicht, aber anderswo ginge es mir vielleicht noch schlimmer. Arbeiten müßte ich eben überall, doch Arbeit schändet ja nicht." Beide schwiegen. Tiefe Stille herrschte. Nur aus dem nahen Kurhausc ertönten die graziösen Rhythmen eines Menuetts von Mozart, und dazu sang das Meer seine ewig schöne, unendliche Melodie. „Ich wüßte wohl einen Ausweg", hob der junge Offi zier leise an. „Das wäre?" hauchte sie, wie aus einem Traume er wachend. „Wenn Sic ein wenig Vertrauen zu mir haben könnten, wenn Sie —" Er suchte die Hand Lottes zu erhaschen, doch diese weigerte sich entschieden, sie ihm zu überlasten. „Bitte, gehen Sie", versetzte sie fliegenden Atems. „Alles, was Sie hier sagen und tun, ziemt sich schlecht für Sie und mich. Im übrigen habe ich auch wirklich keine Zeit mehr für solchen Tand. Sie sehen ja, ich will ar beiten!" „Was machen Sie denn eigentlich da mit Ihren kleinen Fingern?" „Ich pahle grüne Schoten auS." „Wie soll ich das verstehen: Schoten auspahlen?" „Nein, sind die Männer doch dumm!" entgegnete daS junge Mädchen unter leisem Gekicher . . . „Geben Sie Acht: in jeder dieser grünen Hülsen befindet sich eine Reihe zartester Körner, die leicht mit der Spitze des einen' Fingers abgestreift und so gesammelt werden. Morgen stelle ich dann daraus ein gar schmackhaftes Gemüse her." „Und das alles wüsten Sie tun?" „Ja, wer denn sonst? . . . Hermine ist nervös; die be- kommt Kopfschmerz, sobald sie in die Küche tritt, und Adel heid, meine andere Kusine, die wiederum so vollblütig ist, leidet an Kongestionen, wenn sie dem Herdfeuer nur zu nahe kommt. Als es hieß, wir reisen an die See, da sagte die Tante zu mir: Gut, du kannst mit! Allein das Esten im Restaurant ist so teuer, daß mir uns notgedrungen selber beköstigen wüsten. So hab' ich mich denn ver pflichtet, für die Küche zu sorgen." „Eine angenehme Mission das", brauste er auf, ,-mit der Sie von Ihren wirklich ungemein zärtlichen Ver wandten für die Zeit der Sommerfrische betraut worden sind! Und während dessen flirten Ihre Kusinen auf den Tennisplätzen oder schlagen den Tag mit anderen Vergnügungen tot. VH, man müßte ja kein Herz im Leibe haben, wenn man noch länger stummer Zeuge einer solchen himmelschreienden Ungerechtigkeit bliebe!" Lotte traute ihren Ohren nicht. „Ich — ich — wir glauben doch alle", stammelte sie, das Antlitz von tiefem Rot überflutet, „daß Sie und Her- min« —" „Nun denn ja", erwiderte Gerd von Rollius, „ich ge steh« Ihnen offen, daß ich selber eine Zeitlang glaubte. Ihre Kusine zu lieben. Es war ein Wahn, ein Tairmel, der mich jäh erfaßte, aber glücklicherweise wieder von mir gewichen ist. Jetzt, Fräulein Lotte —" Schritte kamen näher und Stimmen ertönten. „Um des Hirmnels willen seien Sie still", bat das junge Mädchen. „Es ist die Tante und ihr Bruder, der Le gationsrat." Er erwiderte im Flüsterton: „Wenn sie hierher kommen, erkennen sie mich sofort — schon an der Uniform... Es gibt nur ein Mittel da gegen: Sie gestatten mir, Fräulein Lotte, daß ich mich zu Ihnen in den Strandkorb setze." Sie schwieg. Allein trotz des Dunkels, das seine Fäden von Minute zu Minute dichter ineinander verwob, sah Gerd mit seinem scharfen Auge ganz deutlich, wie sich die schlanke Gestalt seitwärts schob, um ihm Platz zu ge währen. Er hatte knapp noch soviel Zeit, in diesen Schlupf winkel sich zu bergen, als bereits, von hoher, fistelnder Männerstimme gesprochen, folgende Worbe lstut wur den: „Deine Methode ist großartig und die Art und Weise, wie du das Dingsda, diese Lotte, im Haushalte zu ver werten verstehst, fordert mein entschiedenes Lob heraus. Aber, aber — Vorsicht kann nicht schaden! ... Ich sage dir, die Kleine ist verteufelt hübsch geworden seit der Zeit, da ich sie znm letzten Male gesehen. Wir Männer haben dafür ein schärferes Auge als Ihr Krauen. Und ich bin sicher nicht der einzige, der das wahrgenommen hat! So kommt mir vor, als ob der Rollius —" „Pah", versetzte die Tante gcringschätzend, „den hat Hermine am Gängclbande! . . . Sic braucht ihm nur einen Wink zu geben, so hält er um ihre Hand an . . . Er wird sich doch nicht in das Aschenbrödel vergaffen!" Worte und Schritte verhallten. Das würdige Paar war weiter gegangen. „Hatte ich nun Unrecht in meinem Urteil", rief Gerd entrüstet. „O, ich ahnte noch rechtzeitig genug die sauberen Pläne, so geschickt sie auch eingefädelt waren! Doch was mich betrifft, so schiert mich die ganze Ange legenheit herzlich wenig. Im Gegenteil — sie fängt an, mir Spaß zu machen! . . . Allein Sie, mein gnädiges Fräulein — wenn ich denke, daß Sie und Ihr Geschick in die Hand solcher Leute gegeben worden!" Lotte schluchzte leise. „Weinen Sie nicht", bat er. — „Nein, du darfst nicht weinen, meine liebe, süße, teure Lotte! . . . Was gehen dich jene Menschen an! Hast du mich denn nicht? . . . . Und nun mag'ß heraus, was mir schon eine ganze Weile auf der Seele brennt: werde mein— mein liebes, kleines, herziges Weib!" Er schlang den Arm um ihren Nacken und zog ihr Haupt an seine Brust. * „DaS ist doch unmöglich", stammelte sic unter Tränen — „ich — ich bin — ein armes, unbedeutendes Mädchen, ein — Aschenbrödel." Die Schritte näherten sich von neuem, und mit ihnen die Worte derer, die hier ihre intimsten Gedanken aus tauschten. „Mein wohl erwogener Vorschlag geht dahin. . . . Hermine muß unter allen Umständen sehen, daß sie mit dem Leutnant ins Reine kommt. Heute noch oder mor gen — jedenfalls aber in den nächsten Tagen. Wir feiern hier im engsten Kreise die Verlobung. Das kostet in. viel. Lotte kocht natürlich —" „Ganz meine Ansicht", fiel der Lcgationsrat ein . . . „Ist Hermine erst an den Mann gebracht, so wird es auch nicht schwer fallen, für Adelheid einen Freier zu finden . . Hauptsache bleibt nur, daß alles möglichst schnell geschieht und keine Zeit unnötig vergeudet wird. Du darfst nicht vergessen: so lange ich Lottes Vormund bin und ihr Ver mögen verwalte, kann ich auch dafür Torge tragen, daß dir die sehr bedeutenden Zinsen zufließcn. Man muß eben den Rahm abschöpsen, so gut es geht. Allein die Herrlichkeit wird ja bedauerlicherweise einmal ein Ende finden. Denn wenn sie erst einmal dahinter kommt, daß sie bei erlangter Volljährigkeit gut und gern über ein halbes Milliönchen zu verfügen lxtt —" „Lottes wegen mach' dir keine Sorge. Die nclui! ick auf mich. Ich werde schon darauf sehen, daß sie auch künftig in der bisherigen Dummheit erhalten bleibt. Dn bist ja Zeuge, wie vorzüglich meine Methode sich bewährt. Mit dem Mädchen habe ich ohnehin meinen bestimmten Plan. Die bleibt bei mir, auch wenn Hermine und Adelheid verheiratet sind. Sic kocht wirklich gar zu gut!" Famos — hihihi! . . . Ich verstehe: Du streichst die Zinsen ein — und sie ist — Aschenbrödel!" Fort waren sie. — Im Strandkorbe war eS still — still wie in dem mäch tigen, majestätischen All, das sich, eine glitzernde Smaragd maste, vor den Blicken der beiden Menschenkinder hin breitete. Gerd stand auf. „Leben Sie wohl, mein gnädiges Fräulein", sagte er mit flackernder Stimme. „Dn — Du gehst", flüsterte sie erstaunt. „Ich muß wohl", kam es aus beklommener Brust. . . . „Weiß ich denn, ob meine Liebe der so reichen Erbin noch etwas wert ist!" Lotte hatte sich gleichfalls erhoben — langsam, wie wenn sie sich aus einem Traume, der sie umfangen, erst in die Wirklichkeit zurückfindcn müsse. Das braune Ringelhaar aus der Stirn streichend, erwiderte sie festen Tones: „Ja, geh jetzt, Gerd! . . . Ick selber kehre ins HauS zurück . . . Dort in dem kleinen Manfardenstübchen, das mir die Tante angewiesen, hängt im Schrank das weiße Mullklcid, das ick insgeheim für den heutigen Abend hergerichtet hatte. Ick hoffte, sic würde mich auffordcrn, der Reunion im Kursaal bcizuwohnen .... Nun komme ich ungeheißen! .... Ein Viertelstündchen — und ich bin bovtl . . . Dann mag alle Welt erfahren, baß ich dein bin, Gerd, für » Lkben — Dein Aschenbrödel!"
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