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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030814025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903081402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903081402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-14
- Monat1903-08
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Jedes Bild koste un- gerahnt 50 Pfg., im Nahmen 2.65 Es l>eibt alsdann in der Bekanntmachung: „Die Subskriptionslisten sind mit einer Abschrift dieser AmtSblattverfügung bei sämt lichen Beamten und Arbeitern alsbald in Umlaufzusetzen. . . . Die Liste ist auch den Ba h n- hofswirten mit dem Anheim st ellen vorzulegcn, die KaiserbiVdnisie zur Ausschmückung der Warterüumc zu beschaffen. Die Subskriptionslisten sind, auch wenn Bildntssentchtbestelltsind, bis zum 25. August den vorgesetzten Inspektionen vorzulegen." Wir stimmen mit dem „Vorwärts" gewiß höchst selten überein, aber diesmal müssen wir ihm recht geben, wenn er meint, die Beamten und Arbeiter würden bei dieser Anerbietung der Monarchenporträts sich der Freiheit ihrer Wahl benommen und zum Ankäufe genötigt fühlen, weil sie fürchten würden, daß aus der Ablehnung ihnen Nachteile erwachsen könnten. Wir verurteilen grundsätzlich alle Subskriptionen dieser Art, mögen sie sich auf welchen Gegenstand immer beziehen. Wir haben es beispielsweise ebenfalls scharf verurteilt, als in ganz ähn licher Weise das Geld für das dem Generalfeldmarschall Moltke von der Armee zu errichtende Denkmal zusammen getrommelt wurde. Ebenso verurteilen wir cs. wenn zur Ehrung für einen lebenden oder verstorbenen hohen Vor gesetzten bei Beamten und Arbeitern einer Behörde von den vorgesetzten Stellen Beiträge eingesammelt werden. In allen diesen Fällen ist von einer freiwilligen Entschließung nicht die Rede, und die 'Folge davon ist, daß selbst solche Personen, <die freiwillig zu dem be treffenden Zwecke sehr gern beisteucrn würden, sich durch die Form der Sammlung verletzt und erbittert fühlen. Damit wird der, wenn man so sagen darf, „innere Zweck" der Sammlung in das Gegenteil verkehrt. Ein von der Armee errichtetes Moltke-Denkmal soll doch nicht den Zweck haben, daß es dafteht, sondern daß es von der Dank barkeit der Offiziere für ihren großen Führer Zeugnis ablegt) wenn aber die Beiträge für das Denkmal gewisser maßen erzwungen werden, so leidet mindestens in dem Momente, wo das Geld gegeben wird, die Dankbarkeit Schaden. Ebenso ist es in dem vorliegenden Falle mit den Bildern des Kaiserpaares. Der Zweck kann doch hier un möglich darin bestehen, daß die Beamten und Arbeiter diese Bilder besitzen, sondern daß durch den Besitz der Bilder das Gefühl der Anhänglichkeit an das Herrscher haus in ihnen gestärkt wird. Darum ist es aber nich-t gut bestellt, wenn sie in dem Augenblicke, wo sie zu den Bildern emporblicken, von der Erinnerung erfaßt werden, in welcher Weise sie in den Besitz der Bilder gelangt sind. Der vorwärts" hat ganz recht, wenn er sagt: „Gerade wenn die Beamten und Arbeiter nicht bloß verpflichtete, sondern überzeugte Monarchisten sind, werden sie diese seltsame Erziehung zum Monarchismus durch die über ihr Amt und Brot entscheidenden Vorgesetzten als unwürdige Zumutung zurückweisen." Herr Budde, der preußische Eifvnbahnminister, hat im letzten Winter erklärt, er werde Feuilleton. 7j Kennte von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verboten. Er zieht sie sanft zu sich empor und läßt sie sich aus weinen. Dann fragt sie leis', mit stummer Bitte: „Und er?" „Wer? Ich habe wenig Talent zum Gedankenlesen." „Erich Buschkorn. Ich meine, du tust ihm nichts zu leide, auch wenn er, was ich fast fürchte, dir nochmals mit einem raschen Wort zu nahe träte. Er ist ein guter Mensch, und ich verdanke ihm vieles." Wieder sein kurzes Lachen. „Ich doch nicht weniger? Zum Beispiel diesen herr lichen Nachmittag. Gott behüte, liebes Kind! Daß er dich mir zu eigen machte, soll ihm unvergessen bleiben. Zudem gefällt er mir — ein Dandu mit ein bißchen Charakter, das findet man nicht alle Tage, 's wär' ja schade um den Jungen —" „Du redest so leichthin." „Tragisch kann ich's doch nicht nehmen, daß mich irgend ein Student mit einem Pfui und seiner ausgesprochensten Nichtachtung regaliert. Jetzt aber müßen wir wieder zu unseren Wirten." Er wendet sich dem Festplatz zu. Sic zögert. „Am liebsten führe ich heim." „Meinst, ich nicht? Aber Bauernempfindlichkeit — vor dem Artikel habe ich Respekt. Ohne mit Linchen und Sophie getanzt zu haben, darf ich nicht fort, oder ich hätte ein halbes Dutzend Feinde mehr aus der Welt." Das sieht sie ein und harrt geduldig aus, als er Fräu lein Sophie zum Tanze führt. Mit brennenden Wangen kehrt sie an seinem Arm zurück. So schön hat sie im Leben noch nicht getanzt. Und dann alle die Artigkeiten, die der Herr zu sagen wußte. — Linchen Schwenker will dennoch lieber nicht. Ihr Gott- lieb hat sie durch ein riesiges Pfefferkuchenherz versöhnt, nun hält sie neben ihm aus und über ihn Wacht. Als KillmannS Reitknecht endlich meldet, der Wagen stehe be reit, ladet sein Herr die Müllersfamilie iu oorporo zu einem Beamte und Arbeiter, deren sozialdemokratische 'Gesinnung bekannt würde, nicht dulden. Wir stimmen dieser Auf fassung völlig bei. 'Das Corr e lat zu diesem Rechte, Sozialdemokraten fortzujagen, ist aber >die Pflicht, die Sozialdemokratie nicht groß zu ziehen. Wir wünschen und Höffen, daß Herr Büd'de der Eisenbahndirektion Berlin über diese Pflicht eine Belehrung zu teil werden läßt. Ein fragwürdiger Gewinn. Es stellt sich immer mehr heraus, daß die geplante Verschmelzung zwischen den Nationalsozialen und der freisinnigen Vereinigung für die letztere ein fragwürdiger Gewinn ist — auch vom rechnungsmäßigen Standpunkte aus. Die Nationalsozialen haben bei den letzten all gemeinen Wahlen 30 000 Stimmen aufgebracht. Ist schon diese Ltimmenziffer nicht gerade imponierend, so wird sic noch dadurch wesentlich herabgemindert, daß eine ganze Anzahl von Nationalsozialen erklärt, von einer Vereini gung mit der „weiblichen" freisinnigen Partei nichts wissen zu wollen. Noch viel bedenklicher aber als diese „intransigenten" Mitglieder der nationalsvzialen Partei sind vom Standpunkte der freisinnigen Vereinigung die jenigen Nationalsozialen, die, wie z. B. die Breslauer Parteigenossen, zwar mit der Vereinigung sich ver schmelzen wollen, aber unter der Bedingung, daß diese ihren Namen in „Sozialliberale Partei" umwandele und ein den Nationalsozialen genehmes Programm aufstelle. Zu diesem Programm würde sicherlich in erster Reihe ge hören, die Sozialdemokraten unter keinen Umständen zu bekämpfen. Danach wenigstens sind die Nationalsozialen stets verfahren, und danach will ja auch Herr Barth ver fahren, der eben wieder den Kampf des freisinnigen Bürgertums gegen die Sozialdemokratie eine „Kraft vergeudung" genannt hat. Mit dieser Politik des „Gewehr bei Fuß" gegen die Sozialdemokraten ist aber ein Teil der freisinnigen Vereinigung gar nicht einver standen. Die „Weserzcitung" kündigt ziemlich deutlich den Erodus an für den Fall, daß das Aufgeben des Kampfes gegen die Sozialdemokratie zum Programm er hoben wird. Sie teilt Herrn Barth „warnend" mit, daß, soweit ihre Fühlung reiche, niemand auf seinen Ruf eingehen wolle: mit dem Barthschen Pro gramm würde man auf der Linken der Partei nicht eine Stimme gewinnen, auf der Rechten aber einen schweren Verlust erleiden. Die „Fühlung" der „Weserzcitung" er streckt sich ja doch zum allrrinindesten auf Bremen. Hier aber hat die freisinnig^ Vereinigung bei den letzten Wahlen 24 000 Stimmen aufgebracht, mithin nahezu so viel, wie die Nationalsozialen im ganzen Reiche. Wenn also die Bremenser versagen, ist das durch den Zutritt der Nationalsozialen erzielte Plus bereits auf den Nullpunkt gebracht, geschweige denn, wenn, wie es sicher ist, auch anderwärts Anhänger der freisinnigen Vereinigung sich zurückziehen: die Einen, weil sie ebenso wie die Bremenser das „Kneifen" vor der Sozialdemokratie nicht mitmachen wollen, die anderen, weil sie in sozialer Hinsicht nicht' so weit gehen wollen, wie es die neuen Parteigenossen von ihnen verlangen, wieder andere endlich, weil ihnen die völlige Freiheit der Nationalsozialen von antisemitischen Regungen doch nicht als ganz verbürgt erscheint. Ein fragwürdigerer „Gewinn" ist also wohl noch selten erzielt worden, wie durch die neueste Fusion, die der Kladderadatsch nicht un zutreffend als Konfusion bezeichnet. Besuch auf Haus Sölde ein. Er müsse sich für genoffene Gastfreundschaft doch revanchieren können. Sophiechens blaue Augen blitzen und ihre Wangen glühen noch immer vom Tanzen, ihre Mutter strahlt vor Stolz, und ihr Vater hebt das letzte Glas der Buschkornschen Flasche und ver spricht baldiges Erscheinen. Er tut das mit einem ganz bestimmten Selbstgefühl: denn ihm imponiert man nicht so leicht, wie den Frauensleuten. — Endlich — endlich sitzt Renate im Wagen. Endlich — allein, neben ihm. Es ist derselbe kleine Jagdwageu, in dem er neulich sic und Alma Hollig nach Winnenberg hinaufgefahren hat. Alma! Indem die ihr einfällt, kommt sie sich der warm blütigen Freundin gegenüber recht kläglich vor; wie eine Diebin. Wenn Alma sie jetzt an der Seite ihres Ideals in Riedstädt einfahren sähe, am achten Tage — Sie würde außer sich geraten. Und aus der Angst vor so etwas wie einer Katastrophe heraus fragt Renate ihren Kavalier: „Wohin werden mir fahren?" Er sieht sie von der Seite an. „Du wünschest nicht, daß ich dich vor der Haustür deines Herrn — wie heißt er doch? — Vollhard, sagtest du neulich, nicht wahr? Oder erwähnte Fräulein Hollig den Namen? Ein Sonderling! Ich erinnere mich so halb, daß deine Freundin ihre Gloffen über ihn machte." „Auf die ich aber nicht eiuging." ,Zn Anbetracht seiner Gastfreundschaft. Korrekt und edel gedacht, du kleine Heilige! Ja, liebes Herz, du wirst zu schaffen haben, mich allmählich zu dir emporzuziehen: denn ich war ein arger Sünder, dies kann ich dir ver sichern. Nun ist der Löwe besiegt — Herakles und Omphale —" „Nein", protestierte sie, „so will ich dich nicht. Du sollst selbst bleiben, mit deiner Kraft, deinem stolzen Mannes bewußtsein, deiner rücksichtslosen Energie." „Hm! Auch mit meinen Fehlern?" „Deren hat jeder Mensch. Und wer, wie du, die seinen «inzugestehen bereit ist, der hat von selbst —" „Absolutton?" „Won mir gänzlich", versichert sic eifrig: und als er dankbar lächelnd ihr die Fingerspitzen küßt, fährt sie noch lebhafter fort: „Glaubst du, ich gebe mich dir zu eigen, wenn du auch nur einen Strich gesellschaftlichen 6onuns-il kaut- Tuns an dir trügest? Mag andere abstoßen, was ich in Nr liebe, ich bewundere cs jetzt wie —" „Wie wer?" „Wie Alma Hollig, die Arme! Nur ihr schien anfangs dein Interesse zu gelten" entgegnet sie und staunt bei sich, Gegen die Judeueiuwanderung in England. Die Königliche Kommission, die eine ganze Weile mit Erhebungen über die Eurwanderung von Ausländern, ihre Folgen und Uebel und über die Abhülfsmittel be schäftigt war, mit denen diesen Uebeln zu steuern wäre, hat noch gerade vor Torschluß ihren Bericht erstattet, der, wie bekannt, zur Kenntnis des Parlaments gebracht wurde. Obschon in den Erhebungen und im Bericht von Ausländern im allgemeinen gesprochen wird, so ist es doch bekannt und in der Tat auch allenthalben in den Verhand lungen der Kommission wie im Berichte in und zwischen den Zeilen zu lesen, daß es sich in erster Linie und vor allem um die massenhafte Einwande rungrussischer, polnischer und rumänischer Juden handelte, die in den letzten Jahren allerdings einen beunruhigenden Umfang angenommen hatte. Wenn man bedenkt, schreibt die „Köln. Ztg.", daß ein paar Jahre nacheinander diese Einwanderung sich auf 25 000 bis 30 000 Seelen belief, daß sie in London und in der einen oder andern Provinzstadt aus ganzen Stadt teilen die übrige Bevölkerung verdrängt, ganze Ver schiebungen in gewissen Industriezweigen, unter anderm nicht nur in der Massenanfcrtigung fertiger Kleider, son dern auch in der höhern Schneiderei verursacht und ein auffallend starkes Kontingent zu der Berbrecherzunft ge stellt hat, so erscheint das Auöhülfsmittel von Kommissi onserhebungen in diesem Falle sehr gerechtfertigt. Die Regierung macht durch solche Erhebungen dem Andringen der beunruhigten öffentlichen Meinung ein Zugeständnis, erhebt die ganze Frage über den Wasserspiegel der Partei fragen und gewinnt eine Grundlage zur Gesetzgebung, während die Tatsache der Ermittlungen allein schon als eine Warnung gegen die Zunahme der Einströmung wirkt. Znächst ist die Kommission in der Hauptfrage einig, daß es im Interesse des Staates und gewisser' Orte als nötig erscheint, das Einströmen gewisser Klaffen von Ein wanderern, besonders aus dem Osten Europas, und das Recht des Aufenthaltes dieser Ausländer in England durch Bedingungen und Verordnungen einzuschränken, die in den Bereich des Rechtes fallen, das jeder Staat be sitzt, den Eintritt von Ausländern zu beaufsichtigen. Diese Verordnungen sollen in gomisscn Fällen die Abschiebung von Ausländern in ihre Heimat und die Säuberung des Landes von fremden Verbrechern und sonstigen verwerf, lichcn Persönlichkeiten, sowie die Eintragung der zuströ- inenden Einwanderer anstreben. Zu diesem Zwecke wird die Einrichtung einer Regierungsabtellnng für Ein wanderung empfohlen, sowie die Erllangung gesetzlicher Vollmachten, um gewisse Klassen von Einwanderern im Wege summarischer Gerichtsbarkeit auswcise» zu lassen und die Besitzer der Schiffe, von denen sie gelandet wer den, anzuhalten, die Ansgewiesenen wieder nach dem Ein schiffungshasen zurückznbcfördern. Diese Kategorien waren: Verbrecher, Prostituierte, Zuhälter und Kuppler, sonstige Personen von notorisch schlechtem Lebenswandel und endlich alle diejenigen Einwanderer, die innerhalb zweier Jahre nach ihrem Eintreffen der öffentlichen Armenpflege zu Last fallen — immer vom Krankheitsfalle abgesehen — oder keinen sichtbaren und nachweisbaren Broterwerb haben. Es soll nach den ferneren Em- pfehlngen für ärztliche Untersuchung am Eingangshafen gesorgt und imFallc derFeststellung ansteckender oder ekel hafter Krankheiten oder geistiger Unzurechnungsfähigkeit der ärztliche Beamte bevollmächtigt werden, solchen Nn- wanderern die Landung zu untersagen und den Schiffs- eigner anzuhalten, den Zurückgewiesenen zum Ein- von der Freundin schon so leicht, wie von etwas Ab getanen reden zu können. „Glaubst du das wirklich?" fragt er. „Dies rundliche Wesen mit dem Kopfe voll Romanideen hätte mich eine Sekunde fesseln sollen?" Die Lippen halb geöffnet, sieht sie ihn eiw paar Se kunden wortlos an. „Du hast mit ihr gespielt", flüsterte sie bann. Er lächelt, wie man auf ein Kind herablächelt. „Höchstens sie als Mittel zum Zweck benutzt. — tzue voux-tu? L la guorro eomms L la gusrro! Uebrigens", fährt er, da sie schweigt, fort, „sprachest du mich eben erst aller Sünden ledig." Wieder schweigt sie, aber er fühlt einen leisen Druck ihrer Kinger, und nach einer Weile entringt es sich ihr wie ein Seufzer: „Ach du!" „Aber", hebt sie nach abermattger Panse ernsthaft an, um vernünftig zu reden: „Wir dürfen tatsächlich nicht in die Stadt hincinfahren —" „Wie eine Bombe zwischen den Landsturm von Kräh winkel? Hast recht. Vorwärts!" Der Anruf galt den Pferden. Ihr aber ist, als gelte er der treibenden Lebenskraft, die heute über ihr Schicksal entschieden hat. Während die Grauschimmel im Trabe den leidlich guten Feldweg, der in einem flachen Bogen um die Stadt führt, dahintrottcn, erzählt er aus seinem Leben was er will. In goldigem Abcndfrieden glüht die Landschaft. Die Häuser von Riedstädt senden weißliche Rauchwolken kerzengerade in die stille Luft und hier und da flammen der sinkenden Sonne Tcheidestrahlen in einer Fensterscheibe. Ein glückseliges Gefühl des Geborgenseins überkonnnt sie, während sie ihm zuhürt. Nicht so sehr, was er sagt, als vielmehr, wie er spricht, das nimmt sie in sich auf, saugt es in sich hinein: den tiefen Wohllaut feiner gedämpften Stimme, den ruhigen Ernst, mit dem er von der Ver gangenheit redet und Lirftschlöffer in die himmelblaue Herrlichkeit der Zukunft baut. „Schau, Renate", spricht er jetzt, „dir das alles zu sagen, dir einen Blick in mein eigenstes Selbst zu ermöglichen, wählte ich den kleinen Ummea um die Stadt. Ich hätte dich sorrst schon vor zehn Minuten am jenseitigen Tore absetzen können." Daran hatte die Glückstraumbefangene gar nicht gedacht. sch ffnngsbafeii zurückzubefördern. Sollte es sich Heraus stellen, daß die Einwanderung von Ausländern in einem bestimmten Bezirk wesentlich zur Uebekvölkerung beigetragen hat, und daß es ersprießlich wird, keine weiteren Ankömmlinge in diesem Bezirke sich ansiedeln zu lassen, so kann dieser Bezirk als geschlossen erklärt werden. Sonst empfiehlt der Bericht noch, daß bei Ver urteilung von Ausländern wegen Verbrechen es dem Richter anheimgestellt werden soll, in das Urteil die Be stimmung aufzunehmcn, daß der Verurteilte nach Ver büßung der Strafe das Land zu verlassen hat und daß, falls er doch im Lande betroffen wird, er als Vagabund und Landstreicher zu bestrafen ist. Krisis i« Australien. Jeder Tag bringt neue Verwickelungen und Schwie rigkeiten, welche den innerpolitischcn Zustand des neuen auuralischen Koloniebundes fast unhaltbar machen. Der Ministerpräsident des Bundes, Str Edmund Barton, ist ein Mann der „Mittellinie", welcher die widerstreiten den Parteien und Interessen zu versöhnen sucht. Er war wohl bei der Begründung des Bundes und der Schaffung einer kautschukartigen Bundesverfassung der geeignete Mann; aber heute, wo die Gegensätze wieder schroff an einanderstoßen wird er unmöglich. Das Kabinett hatte daher vereinbart, daß Barton nach der Einsetzung des neuen Bundesgerichts zurücktreten und die unpolitische Stellung des obersten Bundesrichters übernehmen solle. Jetzt aber weigert sich Barton znrückzutreten, zumal auch von London ans sein Verbleiben gewünscht wird. Es ist sicher, daß ein neues Kabinett aus „Schutzzöllnern und Arbeiterfreunden" bestehen würde. Diese Richtung war bisher in der Negierung durch den Finanz- und Zoll minister Kingston vertreten, welcher die Vorschläge Chamberlains verwarf und für ganz Australien hohe in dustrielle Schutzzölle verlangte, um den Arbeitern hohe Löhne zu sichern. Kingston ist also Schutzzöllner und Sozialist zugleich: er verlangte einerseits ein entschiedenes tteberschwertten zum Schutzzoll und anderseits einen amt- lichen obligatorischen Streikgerichtshof, dem sämtliche Streikfragen zwischen Arbeitfjebern und Arbeitnehmern zwangsmäßig zur Entscheidung vorzulegcn seien. Die letztere Frage ist deshalb so wichtig, weil der Reederverband für den 1. September eine allge meine Lohnkürzung für alle Schiffsarbeiter, Seeleute und Lct-iffahrtsbeamte nm 20 bis 33 Prozent angekündigt hat, worauf der Scemannsbund mit einem „Generalstreik" antworten will. Dieser Lohnkampf betrifft den gesamten australischen Küsten-Seevcrkchr mit Dampfschiffen und Segelschiffen, was eine schwere wirtschaftliche Krisis her- aufbcschwören dürfte. Kingston wollte derselben vor beugen: er blieb jedoch im Kabinett allein und trat deshalb zurück. Er wird nunmehr die schutzzöllnerischen Parteien aller Kolonien ans ein Programm zu vereinigen suchen, und anderseits ist ihm die Anhängerschaft der Arbeiter sicher. Kommt es demnach znm angedrohten „General streik", der nicht nur die Schiffahrt, sondern auch andere Industriezweige zeitweise lahmlegen würde, so könnte ganz Australien in schwere Wirren gestürzt werden, oeren Ausgang niemand voraussagen kann. „Nun sind wir aber am Ziel", hört sie ihn weiter sprechen und antwortet, aus ihren Himmeln gerissen: „Schon?" „Schon", wiederholt er, die Zügel anziehend. „Dort" — er deutet den Weg entlang — ,^eht es in meine Wald- einsamkeit, du aber hast nur ein paar hundert Schritte bis zur Chaussee." Wirklich, vor ihnen aualmen hinter einer Erdwelle die ersten Häuser von Riedstädt. Wie ein Kind hebt er sie im Schwünge aus dem Wagen und wirft Franz Peters die Zügel zu. „Warten! — Und jetzt, meine Herrin, wann und wo?" fragt er, mit ihr ein paar Schritte vorwärts gehend. „Uns Wiedersehen? Morgen, täglich, zu jeder Stunde, die du befiehlst. Ich dachte —" ,)Was?" fragt er, die mächtigen Augen auf ihrem Antlitz. „Ach, ich so kleinlich dir auch manches bei Fräulein Hengler erscheinen möchte — es mutz ja sein, der Form halber", flüstert sie. „Daß ich dort vorspräche? Hm!" Er fährt mit der Hand seinen Bart entlang. ,/Der Wahrheit die Ehre — viel Anziehendes hätte bas für mich nicht. Und dann das unvermeidliche Besuchlaufen bei den Honoratioren dieses Nestes — sag' mal, wäre das eigentlich ein Genuß?" „Ach!" seufzt sie nur, in peinlicher Ratlosigkeit: denn Almas Bild steht ihr wieder vor Augen. Nein, so stolz sie ihres Sieges ist, sie könnte es ittcht über's Herz bringen, ihr jetzt an seiner Seite zu begegnen. „Du hast nur zu recht, Walter. Nur, daß ich glaube, Tante Hengler denkt in Formsachen sehr genau, und —" „Muß denn überhaupt schon jetzt jemand von unserm Verlöbnis wissen? Bist du an dieses Schöppenstädt dort gebunden, nicht frei, zu reffen, wohin es dir beliebt? Nach Berlin zum Beispiel, von wo aus wir den paar Menschen, die es angeht, die nötige Anzeige machen können." Sie überlegt einen Auaenblick sie muß ihm zu stimmen. Und das Geheimnis ein Reiz mehr Es fehlt ihr ja nickst an befreundeten Familien, die sie für einige Zeit bei sich aiffnebmen werden. „Laß mir Zett, darüber nachzudenken. — O, du Guter, Großer, du weißt für alles Rat! Doch da kommt ein Fuhrwerk adieu!" Noch ein Händedruck, dann trennten sie sich. Wie im Traum, die Brust voll süßer Hoffnungen, schreitet Renate über den schmalen Pfad, der sich zwischen den ausgefahrenen Wagengeleisen und wogenden Korn»
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