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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030815026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903081502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903081502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-15
- Monat1903-08
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Sei tatsäch lich, wie cs heißt, am Donnerstag im Zuge nach Potsdam ein besonderer Wagen für die Minister eingestellt gewesen, so möge das daher gerührt haben, daß man für alle Fälle habe gerüstet sein wollen, falls der Kaiser im letzten Augenblick nach dem Bortrag des Ministerpräsidenten eine sofortige Besprechung mit den Ministern verlangt haben würde. Am Freitag waren die Minister um llst/2 Uhr versammelt. Außer dem Ministerpräsidenten nahmen alle in Berlin anwesenden Mitglieder des preußischen Staatsministeriums an der Sitzung teil: der Finanzminister Freiherr v. N h e i n b a b e n, der Minister des Innern Freiherr v. Hammer st ein, Iustizminister Schönstedt, Kultusminister I)r. Studt, Landmirt- schastsnttnister v. Podbielski und Eisenbahnminister Budde. Die Staatssekretäre Gras Posadowsky und v.Tir p i y, welche gleichfalls dem preutzischenMinisterium angehören, sind beurlaubt und von Berlin abwesend. Der neue Kriegsminister, Generalleutnant v. Einem, nahm an dem Ärourate gleichfalls teil. Die Sitzung Säuerte bis 11 Uhr. — Das Orakeln über die Verhandlungen ist schon im vollen Gange. Die einen bleiben dabei, daß lediglich technische Fragen, wie den Ueberschwcmmungen in Schlesien, Posen und der Mark in Zukunft am besten vor gebeugt werden könne, zur Beratung gestanden hätten, obwohl kein einziger Techniker zugegen gewesen ist. Antdere schreiben geheimnisvoll, daß die technischen Fragen nicht den einzigen Gegenstand der Beratungen gebildet hätten. Vielleicht würde der „Staatsanzeiger" bald Aufklärung darüber geben. Alle derart „Infor mierten" aber betonen mit verdächtiger Aufdringlichkeit, eine M i n i st e r k r i s e bestehe nicht, auch keine par tielle. Nur an einer Stelle wird angedeutct, Herr von Hammerstein sitze zwar wieder fest, aber Herr v. Podbiclski habe in der Tat Aussicht auf ein Obcrpräsidium. Von Herrn Schönstedt verlautet gar nichts. Nochmals die Eisenbahndirektion Berlin «nd die Kaiser bildnisse. Man schreibt nns: Wir würden auf die gestern von uns behandelte Angelegenheit des Vertriebes der Kaiser bildnisse durch die Eisenbahndirektion Berlins nicht noch mals zurückkommen, wenn sich nicht wider Erwarten ein großes Blatt fände, das das Vorgehen der Verwaltung für „dankenswert" erklärt. Die „Kreuzzeitung" geht davon aus, daß die hier in Frage stehenden Bilder, wenn auch nicht gerade auf Veranlassung, so doch mit Genehmigung des Kaisers im Buchhandel erschienen seien. Dadurch wird unserer Meinung nach das Vorgehen der Eisenbahndirektion in keiner Weise gerechtfertigt. Es ist natürlich nicht das mindeste dagegen einzuwonden, daß der Kaiser die Genehmigung erteilt, daß gute und billige Bilder von ihm in den Handel kommen, es will uns aber höchst fragwürdig erscheinen, ob der Kaiser die Genehmigung auch dazu erteilen würde, daß diese Bilder gewissermaßen zwangsweise vertrieben werden. Wir meinen vielleicht, daß der Monarch es eben nicht als schmeichelhaft für sich betrachten würde, daß seine Bilder auf solche Weise Absatz finden. Die „Kreuz zeitung" bestreitet freilich jeden Zwang, und sie meint, Kaiserbildnisse jemand aufdrängen zu wollen, könne einer preußischen Behörde nicht in den Sinn kommen. Das ist nur eine Phrase und ein Streit um Worte. Wenn eine Behörde bei den ihr unterstellten Persönlichkeiten Subskriptionslisten herumgehcn läßt und wenn sie an. ordnet, daß diese Listen, nachdem sie circuliert haben, den vorgesetzten Inspektionen vorzulegen seien, so muß jeder, der in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Behörde steht, dies als einen Druck empfinden. Nichts liegt uns natürlich ferner, als die Annahme, daß etwa die Be hörde solchen Beamten oder Arbeitern, die das Bild nicht bestellen, irgend eine Beschädigung zusügen würde. Auf der andern Seite aber ist es psychologisch ganz selbstver ständlich, daß die Furcht vor der Möglichkeit einer solchen Schädigung bei den Beamten und Arbeitern die freie Entschließung beeinträchtigt; das ist ein einfaches Naisonnement des gesunden Menschenverstandes, das auch von der bewährten Dialektik der „Kreuzzeitung" nicht wird hinwcgdisputiert werden können. Es liegt also, wenn man so sagen darf, ein ckoins evontuaiis vor, d. h.: die vorgesetzte Behörde mar selbstverständlich von vorn herein von der Absicht durchdrungen, sich in ihren Ge sinnungen gegen die ihr unterstellten Beamten und Arbeiter in keiner Weise durch das Kausen bezw. Nicht kaufen der Bilder günstig bezw. ungünstig beeinflussen zu lassen, aber sie mußte sich sagen, daß die Beamten und Arbeiter subjektiv unter dem Gefühle des Druckes stehen würden. Deshalb mußte sie, wenn sie überhaupt die Bilder ihren Arbeitern zugänglich machen wollte, in irgend einer Weise verfahren, die die Möglichkeit oder zum mindesten die Wahrscheinlichkeit einer etwaigen Kon- trvllierung ausschloß. Die geschriebene Subskriptions liste ist aber das denkbar ungeeignetste Mittel, um den Eindruck der freien Entschließung zu erwecken. Im übrigen erzielt der preußische Eisenbahnfiskus solche Uebcrschüsie, daß vielleicht die Möglichkeit vorhanden ge wesen wäre, tüchtigen Arbeitern und Unterbeamten bei passcndenGelegenheiten dieBilder zu schenken. Den höheren Beamten kann es ohnehin nicht darauf ankommen, ob sie durch Vermittelung ihrer vorgesetzten Behörde die Bilder um ein paar Pfennige billiger bekommen, sondern man konnte es ihnen rnhig überlassen, sich die Bilder zum normalen Preise zu kaufen. Wenn schließlich die „Kreuz zeitung" sagt, die vom „Vorwärts" geäußerte Besorgnis, unter dem Vorgehen der Eisenbahnbehörde könnte die monarchische Gesinnung leiden, sei erheuchelt, so ist dies bei der Tendenz des „Vorwärts" selbstverständlich, es kommt äber gar nicht auf die Glossen an, die der „Vor wärts" zu dem Vorgänge macht, sondern darauf, daß ihm nicht hätte Gelegenheit geboten werden dürfen, einen der artigen Vorgang mitzuteilcn. Die Konservativen und die Ersatzwahl in Dessau. Wir haben, noch bevor der Kandidat der Freisinnigen Vereinigung für die Ersatzwahl in Dessau kombiniert war, hervorgehoben, daß er eine viel schwierigere Position haben werde, als der verstorbene Abgeordnete Nvesicke. Denn auch abgesehen von seiner Befähigung, war Roesick« persönlich besonders geeignet, diesen von der Sozialdemo ¬ kratie schwer bedrängten Kreis zu behaupten, weil er das Dessauer Mandat ununterbrochen seit 1890 inne gehabt hatte und weil er als in Dessau angesessener Leiter der großen Schultheibbrauerei einen bedeutenden Einfluß be saß. Je schmieriger es aber den Freisinnigen sein wivd, Herrn Schrader «durchzubringen, desto mehr ist es die Pflicht der andern Parteien, ihn jedenfalls in der Stich - wähl nachdrücklich zu unterstützen. Dies gilt be sonders von den Konservativen, die bei den Hauptwahlen immer wieder den Grundsatz hervorgehoben haben: „Unter allen Umständen gegen die Sozialdemo kratie!" Jetzt aber erklärt der „Reichsbote", die Konser vativen täten am besten daran, die feindlichen liberal sozialdemokratischen Brüder sich selbst zu überlassen, und die „Kreuzztg." spricht zwar die Hoffnung aus, daß die Dessauer Konservativen Herrn Schrader in «den Reichstag wählen würden, aber sie fügt hinzu: „.Aber kein Tadel kann sie treffen, wenn sie die von der Freisinnigen Ber einigung selbst verwischten Grenzen zwischen ihr und der Sozialdemokratie nicht mehr erkennen können und sich also der Wahl enthalten." Dies Verhalten ist ganz das selbe, das «die konservative Presse einschlug, als die Wahl des bei den allgemeinen Wahlen von 1898 in Berlin II gewählten freisinnigen Abgeordneten Kreitling für un gültig erklärt wurde: bei der dadurch notwendig ge wordenen Ersatzwahl enthielten sich so viele Konser vative der Stimmabgabe, daß der sozialdemokratische Kan didat gleich im ersten Wahlgange siegte. Es ist zuzugeben, daß die selbst der Freisinnigen Volkspartei, ja sogar An hänger der Freisinnigen Vereinigung unerträgliche An gliederung des Herrn Barth, des Führers der Frei sinnigen Vereinigung, an die Sozialdemokratie die Kon servativen außerordentlich erbittern muß; aber eininal ist Herr Schrader doch nicht Herr Barth und zweitens be deutet in der deutschen Sprache „unter allen Umständen" eben „unter allen Umständen"; wenn man eine derartige Parole ausgibt, muß man auch danach handeln. Wir wollen hoffen, daß <die Dessauer Konservativen sich nicht die dunkle und geheime Sprache der reichshauptstädtisch konservativen Blätter zur Richtschnur nehmen werden, sondern den klaren Wortlaut der konservativen Partei parole. Der „Pester Lloyd" über den Allgemeine« Dentschen Schnloerein. Aus Anlaß der Potsdamer Hauptversammlung des All gemeinen Dentschen Schülvereins hat der „Pester Lloyd", das ungarisch-offiziöse, deutschgcschriebene Magyarenblatt diesem Verein einen Artikel gewidmet, der dem deutschen Publikum nicht unbekannt bleiben darf. Gibt er doch ein klassisches Beispiel dafür, daß nicht etwa nur die magyarisch chauvinistischen Winkelblätter in ihrem Deutschenhasse keine Uebertreibung, keine Entstellung und keine noch so niedrige Beschimpfung scheuen. In Dutzenden von Blättern des In- und Auslandes ist über jene Haupt versammlung berichtet, ist vor allem der Jahresbericht des ersten Vorsitzenden im Wortlaute wiedergegeben worden, und zwar als Beweis für die rein abwehrende und er haltende nationale Kulturarbeit des Vereins. So weit der Bericht Ungarn betraf, beschränkte er sich auf eine kurze Aufzählung dessen, was dem dortigen Deutschtum im Be richtsjahre widerfuhr, worüber in der gesamten Presse seinerzeit berichtet worden war, ohne daß etwas davon hätte abgeleugnet werden können. Man höre, wie nun der „Pester Lloyd" sich ausläbt: „Wären die nachäffenden Kletterbewegungen der Vorturner des Deutschen Schulvereins nur einigermaßen possierlicher, man könnte sie sich schon des Spaßes wegen vielleicht eher zeitweilig gefallen lassen. Aber da wird nichts als aufdringliche Plumpheit geboten. Da kann man es sich doch nicht ersparen, die derb Verwegenen mittels der Empfindlichkeit ihrer Gliedmaßen zu etwas Raison zu bringen, nachdem sachliche Darlegungen bei ihnen den Hang zum politischen Einbrecher- t u m nicht zu tilgen vermögen." — Und nun folgen „sach liche Darlegungen", in denen ,/diesen Individuen" klar ge macht wird, „wie es um das Deutschtum und die deutsche Bevölkerung in Ungarn bestellt sei, daß diese keinerlei un gebührliche Forderungen von Seite des Staates, keiner Verleugnung ihrer geistigen Individualität ausgesetzt seien. Man habe, um ihnen die nachdrückliche Ent schlossenheit zu zeigen, mit der „wir" jeden Versuch eines Eingriffs in unser nationales Selbstbestimmungsrecht -u- rückweisen, die von ihnen entsendeten und be soldeten Agenten gesetzlich abgeurteilt; und überdies haben sie im preußischen Land tage und im deutschen Reichstage von den obersten Behörden des eigenen Landes sich gebührende Zurechtweisungen zugezogen." — Das also ist die Wirkung davon, daß Graf Bülow den Schatten Bis marcks citierte, um ein paar auf ungenügender und un richtiger Information beruhende Aeußerungen des Alt reichskanzlers über den Schulverein sich zu eigen zu machen. Den tieferen der Bismarck-Bülowschen Aus führungen, die entschieden verurteilende Kritik an der un garischen Nationalitätenpolitik hat man in Ofen-Pest nicht verstanden oder wollte man nicht verstehen. Man klammert sich an das seinerzeit bündig als irrtümlichErwiesene dieser Ausführungen, um die alte, hundertmal widerlegte Ver- lerrmdung von den vom Schulverein „entsendeten und besoldeten Agenten" zu wiederholen. Die sachliche Aus einandersetzung mit solcher, um jede Wahrheit un bekümmert^ Polemik wird zur Unmöglichkeit. Wir be schränken uns auf eine ftrrze Auswahl von Anwürfen, wie sie das ungarisch-offiziöse Blatt in diesem einzigen Artikel noch weiter gegen den Schulverein schleudert. Bon dem „Potsdamer Unfinnsbacchanal" wird ge schmackvoll gefragt, ob da ,/Einfalt oder Heuchelei als Feigenblatt" benützt fei. Dann heißt »er de« Schu.oc--.lUv „in Turbulenz n..o Unz.emnchlett der italie nischen Schuljugend nacheifern, die sie wohl an Alter, aber nicht an geistiger Reife übertreffen." Das kulturelle Pro- gramm des Schulvereins wird einfach als „ein Bor- wand, wie er nur aus «Feigheit und Tücke hervorgeht", bezeichnet. „Solchen Leuten gegen übe r", heißt es dann klug und vorsichtig, „sind Argumente verschwendet. Man wendet sich vergebens an ihre Einsicht und ihr Gewissen." Dann ist vom Verfasser einer anonymen Broschüre die Rede, den man kurz abtut, indem man seine Verworfenheit einfach damit erklärt, daß er „wahrscheinlich ein Mitglied des Deutschen Schul vereins" sei. Es ist weiter die Rode von „der chauvi- nistischen Stimmung, die in gewissen, so gar ziemlich gebildeten Schichten Deutsch, lands brüte" und die bei „Kandidaten des Wahnsinns" nicht völlig gefahrlos sei, wie „dievon Lombroso fest gestellte Beziehung zum Verbrechen" zeige. So geht es weiter. Wir dürfen ruhig auf eine Kritik an dieser Polemik verzichten. Sie richtet sich selbst. Und sie stammt nicht — wir betonen es noch einmal — aus einem chauvinistischen Winkelblatt, sondern aus dem Organ der ungarischen Regierung. Fririlletsn. 8s Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verboten. „Sie sehen ja aber mordsgrimmig aus. Verzeihung! Ich hatte mich eben erkundigen wollen, wie Ihnen der gestrige Nachmittag bekommen ist, fürchte nun aber, nicht viel besser, als mir selbst." „Hat er Ihnen so sehr geschadet?" ^Der Nachmittag? Hm! Das gerade nicht! Aber was folgte — der Abend", antwortet Erich Büschkorn, den Hut in der Hand, und weht sich mit seinem Battisttuch Kühlung zu. „Wenn es Ihnen nur halb so schlecht geht, wie mir, so sind Sie zu bedauern." Sie sieht sich den Störenfried ihrer Gedanken halb miß trauisch, halb belustigt an. Doch die Lust überwiegt. Eigentlich gram kann sie ihm nicht sein. „Katzenjammer?" fragte sie mit einem zuckenden Lächeln um die gespitzten Livven. „Oha! Und wissen Sie — das Scheußlichste dabei, daß kein Mensch diese Krankheit bedauert. Außer allenfalls meine Krau Mutter, die mir mit kalten Umschlägen und Pfefferminztee nahte, während ich im Punkte Jammer des seligen Samuel Hahnemann 8imilia siwilibus curaa- tur erfahrungsmäßig als das Wahre anerkenne." „Warum gehen Sie kneipen?" „Uff!" stöhnt Buschkorn. „Ich sagt's ja: mitleidlose Welt! Und eine hübsche Dankbarkeit der Natur dafür, daß sie ein Vierteljahr lang keinen spirituösen Ruck mehr bekommen hat. So'n ganz gemeiner, schnöder Jammer steht eigentlich in gar keinem Verhältnis zum Genuß des gestrigen Abends." „Also nicht einmal gut unterhalten haben Sie sich?" „Geärgert hab' ich mich. Erst über Sie —" „Das hätten Sie sich sparen können." „So?" fragt er, die Augen aufreibend. „Dann will ich Ihnen nur gestehen, daß, wenn Sie mir gestern erlaubt hätten, tm Almdorfer Wirtshaus aus Ihre werte Person zu warten, daß ich dann hernach nicht Konrad Frydag in die Fänge geraten wäre, mich nicht darüber ennuyiert hätte, daß der nun den Referendar gebaut hat und ich noch nicht 'mal durch's Physikum bin und so weiter. Er ist zwar 'ne gute Haut, aber ein heilloser Streber. Im siebenten Semester Referendar! Sehen Sie, da stellt man unwill kürlich Vergleiche an; ich nicht allein, sondern sämtliche Basen- und Geoatterkreise in Riedstädt tun's, und das Ergebnis ist für mich dann wenig schmeichelhaft. Weiß nicht recht, ob Sie das verstehen —" „O — ja der langen Rede kurzer Sinn ist, daß Sie noch ein Stündchen in unserer Gesellschaft hätten bleiben sollen", antwortet sie, übrigens doch ein wenig zaghast. Wenn er nun fragt, wie sie hcimgekommen, muß sie dann wieder lügen? Nein, Gott sei Dank nicht. Denn im nächsten Augen blick hört sie seinen Fuß in dem spritzenden Kies stampfen. „Danke ergebcnst für die Gesellschaft! Ein Mann, der sich für gemeines Geld das Recht anmaßt, mit dem Leben eines noch dazu unglücklichen Mitmenschen zu spielen — ein schlechter Umgang für meiner Mutter Sohn. Aber — was schauen Sie mich denn so zorngemut an, Fräulein Renate? Sie sind — Sie müssen ja schließlich wohl ähn licher Ansicht über den Wert jenes Herrn gewesen sein, da Sic zur Heimfahrt Herrn Volkhards Rumpelkasten kem frcihcrrlichen Dogcart vorzogen, und Sie dürfen glauben, daß jeder Stoß, den die alte Kalesche Ihnen versetzte, einen Grad bedeutet, den Sie an meinem Hochachtungs-Thermo meter emporsttegen. Georg Volkhard, der mir die Ge schichte erzählte, schien sie noch ernster zu nehmen und legte mir eine Art Freimaurergelübde auf — grabartiges Schweigen, auch Tante Hcngler gegenüber. Sic möchte sich aufregen, meinte sie, obwohl ich nicht müßte, worüber. Aber gleichviel — das Eine ist gewiß: durch mich kommen Sie nicht an die Niedstädtcr Stadtglocke." Nun hat es gerade genügt. Jetzt bohrt sie den Absatz in den Boden. „Sie sind sehr fürsorglich, Herr Buschkorn. Aber ganz im Vertrauen: sollte das wirklich nur Katzenjammer sein, was aus Ihnen spricht, oder ist noch ein kleiner Nebelrest von gestern abend da oben" — sie tippt sich an die Stirn — „bei Ihnen stecken geblieben?" Ihr Kleid mit einer zornigen Bewegung zusammen fassend, schreitet sie an ibm vorüber. „Donnerwetter, die Grandezza!" murmelt er hinterher. „Hast du wirklich solch enorme Eselei vollführt, Erich Buschkorn? Was hast du denn noch geschwatzt? — Hm! — O mein armer Schädel!" Noch eine Weile steht er da mit einem Gesicht wie ein Kind, das den Geburtstagskuchen der Mama umgeworfen hat, dann sinkt er mit einem dumpfen Klagelaut in dieselbe Matte, aus deren Rand sie gesessen. Sie aber weint sich derweilen auf ihrem Zimmer aus, worauf sie einen langen Brief nach Berlin und einen knapperen — im Lapidarstil — an Walter Killmann schreibt. Zu Tisch ruft Lina sie vergebens. Sie sei unpäßlich. Walter Killmann geht in seinem Turmzimmer auf und ab. „Ich glaubte, wir hätten über ernstere Dinge zu reden, Herr von Grieben." „Gersbach, wenn's beliebt. Kurt von Gersbach, wie ich schon zweimal bemerkte. Mein vom 6« xuorro", krächzt der Mund der dürren Gestalt, die in einem einstmals mode braunen, jetzt in ganz unbestimmte gelbgraue Nuancen verschossenen Sommervaletot in Killmanns Sofaccke lehnt und ein paar rotumrandete graue Augen fahren aus asch grauem, nur auf der Höbe der Backenknochen verdächtig gerötetem Gesicht nervös im Zimmer umher. Dann streicht der Träger des eben beschriebenen Kleidungsstückes, dessen schlotternde Weite nebenbei der Vermutung Raum gibt, gar keinen Rock darunter zu bergen, mit nicht unschön ge formten langen Fingern sich den rötlichen Schnurrbart glatt und fährt fort: „Du hast ja völlig recht, lieber Schwager, indessen — ein Tropfen um diese Tageszeit ist mir, wenn ich's davon haben kann, Bedürfnis, und eine Cigarre — du erlaubst wobl?" Ohne eine Entgegnung abzuwarten, greift er in die auf dem Tische stehende Kiste. „Bock und Kompagnie. Sich' da, 'S ist 'ne Weile her, seit ich das Kraut zuletzt verpaffte." Er steckt eine der Havannas in Brand und ein halb Dutzend andere in seine Rocktasche. „Es war, wenn ich nicht irre, in Düsseldorf. Hm — die Cigarre hat Gehalt. Aber reichlich Lager gehabt. Ja, in Düsseldorf, Balken- straße achtundzwanzig, zwei Treppen, bei der dicken Frau Baders, wohin ich dir die Gimpel auf die Leimrute locken mußte, 's Geschäft war nicht übel, wenigstens deines nicht; denn wenn ich an jenen ersten November denke, wo du den kleinen Husaren um bare fünfundzwanzig Tausend kränktest — 's war eben ein Geschäft. Bloß ich als Schlepper hatte blutwenig davon. Hohe Unkosten und nachher noch polizeiliche Schererei. — Nun? Noch kein Sekt? Ich tue es wirklich nicht unter dem. Muß doch in anständigem Stoff auf meiner Schwester Verlobung mit dir anstoßen." Killmann lehnt mit verschränkten Armen am Fenster, den düsteren Blick auf seinen Gast geheftet. „Laß die Narrheiten, Lothar!" Der Mann im Sofa hebt den Kopf. „Sekt!" Acrgerlich reißt Killmann an der Klingel. „Eine Flasche Pommery!" „Endlich ein vernünftig Wort, wie ein Lied auS alten Tagen! Pommery und Bock und Compagnie Du, hör' mal, Schwager, meine Schwester ist doch ein ver teufelt hübsches Mädel geworden, wie? Du machst da eigentlich ein besseres Geschäft, als seinerzeit ich — nicht nur materiell; denn da ist sie völlig dors cks oonvonrs, während Johanna, meine liebe Frau — — na, die hatte bekanntlich, Tank dem Edelsinn ihres Stiefbruders, sehr bald keinen Deut mehr. Nein, der ist meine Schwester auch so — so recht menschlich über, physisch, ästhetisch, ethisch. Denn ich glaube nicht, daß eine von Grieben dir durchginge, wie mir mein Ehegespons, noch dazu mit so 'nem Schubjack von Buchdrucker. Aber halt, da kommt der Tropfen!" Franz Peters, Killmanns Faktotum für die Dauer feines Aufenthaltes auf Sölde, bringt in einem Eiskübel die bestellte Flasche, späht, während er den Pfropfen löst, aus zusammengekniffenen Augen nach dem abgerissenen Gesellen im Sofa und schenkt ein, um dann so geräuschlos, wie er gekommen, das Zimmer zu verlassen. Der Mann im Graugelben streift mit einer müden Handbewegung das glanzlose Haar zurück. „Auf glückliches Gedeihen, Schwager Walter! Ich gönne — nein, alles, was wahr ist — ich gönne sie dir nicht, aber — kurz: Prosit!" Gierig schlürft er den prickelnden Trank. Killmanns Arme lösen sich mit rascher Bewegung aus einander. „Würdest du jetzt endlich zum Thema kommen?" Der ftn Sofa nickt. „In meckiam rom. Aber zuvor noch ein Glas; denn das Zeug ist anständig frappiert. Sag', du hast es von Rechts- ober vielmehr Unrechtswegen doch sehr gut —" „Schwatz nicht!" „Denke nicht dran. Begreife nur nicht, warum du durchaus heiraten willst." „Geht'S dich an?" „Meine eigene Schwester? Oho!" ruft Lothar von Grieben nlia« Gersbach. „Du bist tot. Für sic tot. Sie hat mtr'S vorgestern selbst gesagt." „Hoffentlich unter Tränen. Aber — das wußte ich längst; denn ich habe nicht umsonst meinen Freund Roth-
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