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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030825027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903082502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903082502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-25
- Monat1903-08
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Anzeigen Preis die ögespaltene Petilzeiie LS Reklamen unter dem Rebaktion-strich (4gespalten) 78 vor den Familieuaach- richte« (ügeipalten) 80 Tabellarischer und Kiffernjah entspreche»» höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offerteuanuahme 25 (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de. Morgen-Ausgabe, - ohne Postbesörderuug ^4 «0.—, mit Postbesörderuug 70.—» Annahmeschluß fiir Auzeigvn Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen stad stet- an die Expedition zu richte». Die Expedition ist wochentags unnnterbroche» geöffnet von srüh 8 bis abeadS 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leidig. Nr. i3l. Dienstag den 22. August 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. August. Kaiser, Kanzler und Jefuttengesetz. Die „Nordd. Allgem. Ztg." hat bekanntlich dieser Tage erklärt: „Nach dem „Reichsboten" vom 20. d. M. soll rS auf Grund einer Vorstellung, die der Evangelische Oberkirchenrat in der Jesuitenfrage au Allerhöchster Stelle erhoben habe» zu einer Auseinandersetzung zwischen Sr. Majestät dem Kaiser und Könige und dem Reichskanzler Grafen von Bülow gekommen sein. Hierbei habe sich Se. Majestät darüber beklagt, daß er über die wahre Stimmung des Landes falsch unterrichtet gewesen sei, und besohlen, die preußischen Stimmen im Bundesrate nicht für Aufhebung des 8 2 deS Jesuitengesetzes geltend zu machen. Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß die Mitteilung des „Reichsboten" auf Erfindung beruht." Hierauf antwortet jetzt der „Reichsbote*: „Wir haben gar nicht behauptet, daß es lediglich auf Grund einer Vorstellung des Oberkirchenrates zu der Auseinandersetzung gekommen sei, sondern nur, daß die warnende Stimme des Ober- kirchenrates nur ein Teil der Kundgebungen gegen die Aufhebung des 8 2 war und daß es dann, nachdem die Kundgebungen in der Presse und auch die des Oberkirchenrates vor- ausgegangeu waren, zu der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Kanzler gekommen sei. Wir haben auch nicht gesagt, daß der Kaiser befohlen habe, die preußischen Stimmen überhaupt nicht für Aushebung des 8 2 geltend zu machen, sondern daß das „nicht mehr" geschehen solle. Aber woraus auch die „Nordd. Allg. Ztg." bei ihrem Dementi den Nachdruck legen möge, lassen wir dahingestellt. Daraus kommt es schließlich nicht an, woraus die Nachricht beruht, „sondern ob sie wahr ist oder nicht". Daß sie aber wahr sei, das bezeugt nicht bloß unser Gewährsmann, bei dem eine tendenziöse Erfindung ausgeschlossen ist, sondern das hat schon vor einiger Zeit der Ev.-Kirchl. Anz." und auch die „Hallesche Ztg." mitgeteilt. Die „N. A. Z," sollte sich deshalb nicht darauf beschränken, zu dementieren, daß die Aus einandersetzung ans Grund einer Vorstellung des evangelischen Ober- kirchenrates geschehen sei, sondern sollte schlicht und einfach sagen, ob es wahr oder unwahr ist, daß die Auseinander setzung überhaupt stattgesundeu hat." Wir müssen gestehen, daß uns diese Antwort von der Wahrheit der Behauptung des „Reichsboten" nickt zu über zeugen vermag. Von vornherein durfte man annehmen, daß Graf Bülow in einer so wichtigen Angelegenheit über die Stellungnahme der preußischen Regierung sich nicht in so bestimmter Weise geäußert hätte, wenn er sich nicht der Zu stimmung seines Königs, dem ja die. Jnstruierung der preußischen Stimmen im Bundesrate zukommt, ver gewissert hätte. Sicherlich wäre cö zwischen dem Träger der preußischen Krone und seinem Ministerpräsidenten sofort nach dieser Erklärung zu einer Auseinander setzung gekommen, wenn Graf Bülow diese Er klärung auf eigene Faust abgegeben hätte. Und von einer solchen Auseinandersetzung hätte man sicherlich etwas gehört. An der Uebereinstimmung zwischen Kaiser Wilhelm und dem Grafen Bülow bei der Abgabe jener Er klärung ist also nicht zu zweifeln. Und diese Uebereinstimmung schließt eine spätere Klage des Kaisers über mangelhafte Informierung über die Stimmung deS Landes so ziemlich aus, da Graf Bülow über diese Stimmung nickt viel mehr erfährt, als der Kaiser. Wenn eine spätere Auseinander setzung wirklich staltgefunden hat, so hat sie sich wahrschein lich um die Frage gedreht, ob es zweckmäßig sei, von preu ßischer Seite im Bundesrate die Jesuitenfrage demnächst anzuschneiden. Wie die Entscheidung ausgefallen ist, können wir natürlich nicht wissen, daraus aber, daß die „Nordd. Allgem. Ztg." unmittelbar vor dem Zusammen tritte des Kölner Katholikentages veranlaßt worden ist, der Bebauptung des „Reichsboten" entgegeuzutreten, darf man wohl annehmen, daß weder Kaiser noch Kanzler bei den Jesuitenfreunden die Besorgnis aufkommen lassen wollen, Preußen gedenke in die früher in der Jesuitenfrage verfolgten Wege wieder einzulenken. Und so wird denn aller Voraus sicht nach die „Nordd. Allgem. Ztg.", wenn sie überhaupt noch einmal dem „Reicksboten" zu antworten veranlaßt wird, so antworten, daß nicht dieses Blatt und die übrigen Jesuitengegner, sondern die in Köln Versammelten ihre Freude daran haben. Einfachheit im Heere. Ein großes Unrecht hat der Druckfehlerteufel, von dem so viel Unheil auSgeht, dem neuen preußischen Kriegsminister, Herrn v. Einem, zugesügt. Bekanntlich Hal Herr v. Einem dem sozialdemokratischen Abg. Zubeil gegenüber den bekannten Satz aus dem „Wallenstein" „Mars regiert die Stunde" citiert, und nun verwandelt jener Teufel in einem Begrüßungs artikel, den ein Berliner Lokalblatt dem neuen Kriegsminister widmet und in demnatürlick auch jenes Citat nickt fehlt, in diesem das Wort „MarS" in „MooS". Es ist, wie gesagt, ein bitteres Unrecht, daS Herrn v. Einem durch diese Verwandlung zuzefügt wird, denn gerade ihm wird von allen, die ihn kennen, nachgerühmt, daß ihm plutokratische Weltanschauung vollständig fern liege, und gerade von ihm wird erhofft und erwartet, daß er, wo solche Anschauung im Heere sich ein nisten und überwuchern sollte, ihr energisch entgegenwirken werde. Der sich immer vernehmlicher machende Ruf nach größerer Einfachheit im Leben des deutschen Heeres recht fertigt sich durch geschichtliche Erfahrungen, er ist aber auch geboten gerade durch die Anforderungen der Gegenwart. Der Schlacht von Jena ging voraus eine Zeit des Einschlafens der Armee auf den Lorberu Friedrichs des Großen. Die Bezugnahme hieraus trifft für unsere Zeit nicht zu. Es wird in der deutschen Armee gearbeitet und fortgearbeitet in einem Maße, das aller Ehren und Achtung wert ist. Das Unglück von Jena ist weiterhin zurückgcführt worden darauf, daß die Offiziere in den leitenden Stellungen zu alt geworden waren. Auch daS trifft auf die heutige Zeit nicht zu. Im Gegen teil. Das Tempo des ununterbrochen fortschreitenden Ver jüngungsprozesses der Armee wird von ernsten und sach kundigen Kennern deS Heeres oft als ein zu schnelles be zeichnet. Der Punkt, in dem die heutige Zeit aber mit der vor der Schlacht bei Jena unzweifelhaft eine Aebnlichkeit aufweist, ist der, der in der Ueberschätzung vonAeußer- lichkeiten und des materiellen Lebensgenusses liegt. In diesen Beziehungen sollte dieArmee und sollte insbesondere der Osfizierstand ein Gegengewicht zu bieten vermögen gegen den verhängnisvollen Zug der Zeit und der sogenannten Gesell schaft nach Entfaltung äußerlichen Glanzes und übertriebener Wertschätzung deS materiellen Lebens. Das Beispiel der oberen Zebntausend wirkt auf die minder wohl habenden Schichten der Bevölkerung ansteckend. Die Sucht, sich so modern wie möglich zu kleiden und alle gesellschaftlich für „kair" geltenden Modetorheiten mit zu machen, ist längst nicht mehr auf die wirklick wohlhabenden Kreise der Bevölkerung beschränkt, sie gehört zu den „be rechtigten" Eigentümlichkeiten auch von Berufsschichten, von denen man sagen muß, sie wissen nicht, was sie tun und wieviel sie dazu beitragen, um die sich als „arbeitende Klassen" betrachtenden Erwerbsschichten immer begehrlicher zu machen und den Standpunkt einnehmen zu lassen, daß es gar nichts Verwerflicheres in dieser Welt gebe, als der „verfluchten Bedürfnislosigkeit" zu fröhnen. Sowohl nach der Seite der oberen Zebntausend, wie nach ter der drei Millionen sozialdemokratischer Wähler kann von der Armee aus eine ebenso erwünschte, wie dringend notwendige Wirkung im Sinne besserer UrtcilSbildung und Sitte ausgeben, wenn man sich an leitenden und nicht leitenden Stellen immer wieder die schlichte Einfachheit unseres alten Kaisers Wilhelm vergegenwärtig«. Der erziehliche Einfluß des Dienstes im Heere ist in seiner Nach wirkung gar nicht hoch genug zu schätzen. Wenn der Soldat in seiner Dienstzeit sieht, wie wenig Wert der Offizier auf Aeußerlichkeiten legt, die wirklich bloße Aeußerlichkeiten sind und nichts mit der Erziehung zur Disziplin, zur Ordnung und zur Schlagfertigkeit z» tun haben; wenn er Gelegenheit zur Beobachtung hat, daß gerade diejenigen Offiziere, die sich der Einfachheit in ihrer ganzen Lebenshaltung und im kameradschaftlichen Verkehr befleißigen, durchgängig sich der größten Sympathien ihrer Untergebenen erfreuen: so kommt ihm in späteren Jahren doch wohl leichter, als eS sonst der Fall ist, zum Bewußt sein, wie gering glänzende Außenseiten ins Gewicht fallen gegenüber einer treu und schlicht geübten Pflichterfüllung. Den Ansporn für letztere dürften aber weniger äußerliche, zur Schau zu tragende Abzeichen, als daS Wohlwollen und die Anerkennung, sowie eine gerechte und humane, daS Ge fühl der Soldatenehre hebende Behandlung von seilen der Vorgesetzten bilden. Eine Kriegserklärung Bebels an die „Revisionisten". Der „Vorwärts" enthält eine von Bebel unterzeichnete Erklärung, die formell an die „Genossen" in Fürstenwalde gerichtet ist, tatsächlich aber eine Kriegserklärung gegen die Herren Bernstein, v. Bollmar, Heyne usw. bedeutet. Die Fürstenwalder „Genossen" hatten bekanntlich eine Resolu tion angenommen, die verlangte, daß der bevorstehende sozialdemokratische Parteitag in Dresden sich mit der Frage einer neuen Parteitaktik und der neuen, der Partei aus dem Ausfälle der Wablen erwachsenen Auf gaben beschäftigen sollte. Wenn Bebel diese Resolution zum Anlasse einer längeren Erörterung und einer leiden schaftlichen Erklärung nimmt, so ist es ganz klar, daß es ihm um die Belehrung der Fürstenwalder wenig zu tun ist, denn einmal ist Fürstenwalde ein unbedeuten der Ort mit einer schon um deswillen begrenzten Zahl von „Genossen", und zweitens werden in den Wochen vor einem sozialistischen Parteitage in den ver schiedenen Orten des Reichs Hunderte von sozialdemokratischen Resolutionen gefaßt, so daß ein Mann wie Bebel viel zu thun hätte, wenn er sich mit allen solchen Resolutionen be schäftigen wollte. Hier aber ist ibm die passende Gelegen heit geboten, seinen streng konservativen Standpunkt in Parteiangelcgenheiten zu betonen, jeden Gedanken an Neue rungen abzulehueu und die Neuerer vor die Pistole zu fordern. Er sagt: „Ich bin überhaupt der Ansicht, daß die Zeit deS Ver tuschens und des gegenseitigen KomödieospielS in der Partei vorbei ist und wir uns klar darüber werden müssen, wie wir zu einander stehen." Bebel kündigt zugleich an, daß er einige Artikel, die dem nächst in der „Neuen Zeit" erscheinen würden, über die „Vizepräsiventenfrage und Verwandtes" geschrieben habe, um auf dem Parteitage die Debatte über diese Frage dadurch nach Möglichkeit adzukürzen und Klarheit über die innere Situation der Partei zu schaffen. Aus diesen letzteren Auslastungen geht hervor, mit welchem Selbst bewußtsein Bebel sich seinen Gegnern in der Partei überlegen fühlt. Wenn er in einigen Artikeln etwas sagt, so wird seiner Meinung nach damit die Stellung der Partei zu einer Frage entschieden und weiteres Reden überflüssig. Dieses Diktatorgefühl, das immer bei Bebel vorhanden war, ist durch den Ausfall der Wahlen noch gesteigert worden. Ge rade aus diesem Ausfälle schließt er, daß alle Neuerun gen überflüssig seien. Er erblickt in den drei Mil lionen Stimmen die „dankbare und zustimmende An erkennung" der Wähler zu der bisherigen Taktik im Reichstage und zu der Tätigkeit, die die sozialdemokratische Partei dort entfaltete. Nach seiner Meinung grenze eS hart an Naivetät, sich den Kopf über eine neue Taktik zu zer brechen. Es ergibt sich hieraus, daß Bebel bei dem von ihm selbst ja «»gekündigten Kampfe zwischen den Alten und den Jungen in Dresden den Wahlausfall gehörig gegen die Bernstein, Vollmar und Genossen auSspielen wird. Ob er damit viel Glück haben wird, ist eine andere Frage, denn die Jungen werden ihm entgegenhalten können, baß, je mehr von Wahl zu Wahl die Sozialdemokraten an Mandaten gewonnen haben, .desto stärker auch der revisionistische Flügel der Partei geworden ist. Die Vollmar, Heyne, Bernstein usw. haben ebenso wenig wie Herr Bebel aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht, und ihren Wählern ist eS ganz klar geworden, daß sie sich in einem Gegensätze zu Bebel, Singer usw. befinden. Wenn diese Männer trotzdem immer wieder in ihren Wahlkreisen gewählt werden, so ergibt sich doch daraus, daß durchaus nicht alle drei Millionen sozialistischer Wähler die bisherigen Einrichtungen und Auffassungen der Partei als ein voll ms taußsrs ansehen. Wie die Wähler tatsächlich zu den beiden Flügeln stehen, das würde sich erst dann zur Evidenz ergeben, wenn die Gegensätze sich derart zuspitzten, baß einmal bei Wahlen Anhänger beider Richtungen einander cnlgegengestellt würden. Davor aber wird sich selbst Herr Bebel hüten und deshalb wird es wohl auch trotz seiner Kriegserklärung mit dem „Vertuschen und Komödienspielen" in der Partei fortgehen. Man wird sich auf dem Parteitage gehörige Grobheiten sagen — waS aber kein Novum ist —, im übrigen aber wird man trotzdem neben einander wohnen bleiben. Tas Urteil tm Humbert Prozeh. Welche Enttäuschung für ganz Paris! Nicht in dem Urteilsfpruche liegt diese Enttäuschung — der übertrifft an Strenge vielmehr die allgemeine Erwartung —, sondern in der kläglichen Enthüllung TheresenS über ihr Ge heimnis, von dem sie vorher so viel Wesens gemacht hatte. An Stelle der gelrönten Häupter, Milliardäre und Marschälle, denen man die Vaterschaft TheresenS zu schreiben wollte, tritt eia dunkler Ehrenmann dritten Feuilleton. iss Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verboten. Vollharb schweigt und stampft über der Majorin Brüsseler, als gehöre er ihm zu eigen. Alle Rücksicht, aber auch alle Befangenheit ist bei ihm geschwunden. Wenn ihm nur nicht trotzdem die Worte sehlten! „Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll", stößt er endlich heraus, „das aber weiß ich, daß Sie es mit Ihrer Rolle als Verlobter vereinbar fanden, gleichzeitig das erste beste hübsche Bauernmädchen in Ahndors zu um schmeicheln, das habe ich hier schwarz auf weiß." Er zieht Gottlieb Schwenkers Brief aus der Tasche Und hält ihn Killmann vor die Augen. „Eine Illustration zu Ihrem Ehrbegriff! Nein, nein, Fräulein von Grieben steht so himmelhoch über Ihnen, daß -" „Sie kennen meine Tochter? Waren Sie denn auch im Seebad?" will die Majorin sragen, bringt es aber nur zu einem atemlosen Mundöffnen, weil gerade die Tür aufgeht. „Marie fagte mir, Herr Volkhard sei drinnen und — Ah!" Ja, Herrn Rittmeister von Grieben hatte Grete Horsten hier nicht erwartet. Er ist ein wenig blaß geworden; sie aber, mit einer Hand das pochende Herz beschwichtigend, fährt mit einer plötzlichen Wendung zu Herrn Killmann fort: „Schade, baß ich auf meinem Ausgang mit Fräulein von Grieben so lange verweilen mußte, sonst hätte ich der Frau Majorin diese Begegnung ersparen können, indem ich Ihnen namens meiner Freundin schon an der Tür be fahl, ihr« Wege nicht mehr zu kreuzen!" Killmann wühlt nervös in seinem Barte, der Ritt- meister sieht starr auf die Sprecherin, die Majorin seufzt bloß wieder, und Herthas Augen schimmern mit einem Gemisch von Grauen und Bewunderung nach Walter Killmann hin, als Grete weiter spricht: „Wir sind ja alte Bekannte, Herr Killmann. Wie lange ist cs doch her, vier Jahre etwa, nicht wahr? Tic hatten damals, nach Verschwendung Ihres väterlichen Erbes, den Plan, ein neues Bankhaus zu gründen, und sanden mein Vermögen sehr geeignet, sich zu rangieren. Nur den Warnungen meines Vormundes, des Geheim rates von Grieben, verdankte ich, daß mir die Augen auf gingen. Jetzt begehren Sie das Kapital meiner Cousine." Hier horcht die Majorin auf. Kapital? Du lieber Gott, Lonny bekam ja höchstens eine halbwegs anständige Aussteuer. „Meiner Cousine, die, wie einst ich, in Ihrem Banne stak, bis gestern abend, wo sie durch mich und noch jemand Ihren wahren Charakter erfuhr." Fräulein von Horsten muß einmal innehalten, um Atem zu schöpfen. „Sie wäre Ihnen jetzt selbst gegen übergetreten, nur daß ich es nicht litt", spricht sie dann. „Sic hat genug an dem, ivas wir zwei heute morgen an ordnen mußten: ein anständiges Begräbnis für ihren Bruder, der Ihnen — Ihnen, Herr Killmann, sein trauriges Geschick verdankte. Und nun —" Sie zeigt nach der Tür. „Nehmen Sie das Bewußtsein mit, daß Sie ihr ebenso verächtlich geworden sind, wie mir selbst." Es ist nicht ganz leicht, die Scene zu schildern, die sich entwickelt, nachdem Walter Killmann, der Unbesiegliche, wirklich ihrem Winke gefolgt ist. Die erst« Person, die, ein schreckensbleiches Antlitz zu Fräulein von Horsten erhebend, ein paar Worte findet, ist die Majorin. „Grete! Mit dem Menschen hast du früher — — Und Sie, Herr — Herr Vollmar —" „Um Vergebung — Vvllhard! Georg Volkhard." „Ach ja, natürlich, Herr Vollhard! Es wird einem ja ganz wirr vor so viel Schlechtigkeit. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz, Herr Vollhard, bitte sehr. Und ich darf Sie auch wohl mit meinem Neffen bekannt machen — Herr Rittmeister von Grieben —" „Wir hatten das schon erledigt, Frau Tante", lächelt dieser, Vollhard einen Stuhl hinschiebcnd. „Ach ja, natürlich!" seufzt die Majorin nochmals und faßt sich mit beiden Händen nach der Stirn. „Aber daß auch Sie den — den Menschen kannten, Herr Vollhard, diesen Freier meiner Tochter — und Sic erst, Werner!" klagt die dürre kleine Krau, mit hülflosem Blick von einem znm andern fahrend. Volllmrd sieht sic verblüfft an. „Deiner Tochter, Tante Hilde?" ruft Grete Horsten erschreckt. „Welcher, Lonnys oder —" „Aber Grete, ich bitte doch sehr!" ruft Hertha pikiert; „ich werfe mich nicht an den ersten besten Hoch stapler weg." ,Ha — hm!" macht Vollhard. „Hm! — Frau Majorin, auch ich mochte fragen, was Ihr Fräulein Tochter —" „Lonny natürlich —" „Natürlich Lonny", kreischt Hertha förmlich. »Meine jüngste Tochter!" jammert die Majorin. Dann springt sie auf, wieder im Zimmer umher wie ein Federball. „Du wirst meinen Koffer packen müssen, Hertha; ich reise zu ihr. Jener Lietl-eim oder Killmann wäre ja im stände, eine Entführung —" Von diesem Gedanken überwältigt, sinkt sie wieder auf einen Stuhl. „Lietheim?" rufen Vvllhard und der Rittmeister gleichzeitig, während Grete fragt: ,Mie kommst du auf den Namen, Tante?" „Unter dem Namen hat er sich ja bei meiner unglück lichen Tochter eingeführt", schreit die Majorin. Vollhard knirscht mit den Zähnen. Ja, aber —" Während der Majorin Augen an seinen Lippen hängen, als sei er ein Orakel, fragt er: „Also auch Ihrer Fräulein Tochter soll er — ahcm! — lästig geworden sein?" „Lästig?" Die kleine Frau lächelt bitter. „Berlobt, ohne mzinc Einwilligung!" Und sie ringt die Hände. Nun erhebt sich Vollhard. „Dies verstehe ich wirklich nicht. Erst Renate — ahem! — Fräulein von Grieben, zu deren Schutze ich ja, ich weiß doch nicht, ob hier kein Irrtum vor ¬ liegt." Er hat die Brille abgenommcn und putzt eifrig an den Gläsern. „Kurt von Lietheim nannte er sich", antwortet Hertha statt ihrer Mutter. „Lonny — meine Schwester — schrieb heute morgen von ihrer Verlobung mit ihm, und Mama war natürlich allster sich." Der Rittmeister lutt während dessen stumm dagescffen, nur ab und M unter l>alb geöffneten Lidern einen raschen Blick nach Grete Horsten hinüberscndend. Nun reibt er sich die Stirn. „Kurt von Lietheim — Verzeihung, gnädigste Tante!" Mit einem raschen Schritt ist er an der Tür und drückt auf den Lchcllcnknopf. „Wer war der Herr, der zuletzt hier eintrat?" fragt er das Dienstmädchen. Marie sieht den Herrn offenen Mundes an. „Ich meine, welchen Namen gab er an?" erklärt der Rittmeister. „Ja, soviel ich verstand, nannte er sich Killmann. Er ist doch nicht er hat so was im Blick —" „Es ist gut", sagt Grieben. „Sie, beste Tante, wer den einsehen, daß ein Herr, der unter dem Namen von Liethejm mit Fräulein Lonny verkehrt, sich nicht als Herr Killmann bei Ihnen einführen wird, um Lonnys Hand zu erbitten. Dagegen schien es sich, wenn ich Herrn Boll- Hards Aeußerungen recht verstand, um Renale zu handeln." „Ich hatte von vornherein an keine andere Dame ge dacht", ruft Vollhard eifrig, die Brille wieder vor den Augen. »Monn ich nach der Ankunft jenes Herrn Kill mann auf dem Lehrter Bahnhof — Buschkorn und ich hatten ihn nämlich richtig aussteigen sehen, Fräulein von Horsten — wenn ich — der sofort hierher eilte, da nur gleich hätte offen reden dürfen! Aber ich hatte Ihnen ja gestern mein Wort gegeben, zunächst Ihnen allein Mit teilung zu machen." „Aha!" ruft Hertha; „Gretens geheimnisvoller Stadt- gang!" Grete hört es gar nicht. „Ihr Wort haben Sie gehalten, Herr Vollhard, und sich innigen Dank verdient, nicht nur von Renale —" „O bitte!" macht Vollhard, krebsrot tm Gesicht, und schluckt, als habe er etwas in der Kehle, das ihn am Sprechen hindert. „Nein, unser aller Dank! Ach ja, natürlich! Wenn ich nur wüßte, wo mir jetzt der Kopf steht", ächzt die Majorin, greift aber dennoch unwillkürlich mtt beiden Händen nach demselben. „Also dieser Mensch — das galt Renate? Dann wäre der ganze Lärm ja gar nicht nötig gewesen und ich — ich habe hier vor Fremden über die intimsten Angelegenheiten meines Hauses geschwatzt —" „Ohne Sorge, Tante Hilde! Herr Vollhard ist ein Ehrenmann!" sagt Grete. „Ach ja doch, natürlich! Aber nun — nun hätte ich den Besuch — des — andern zu empfangen, des Schiffers.. „Wessen?" fragt Herr von Grieben. Die Majorin fährt mit dem Tuche über die Augen und fragt dann, einer plötzlichen Eingebung folgend, den Rittmeister: „Werner! Ach ja, natürlich, Sie stehen so mitten tm Leben drin, Sie müßten nns Auskunft geben können. Kennen Sie denn — einen Kurt von Lietheim?" „Einen des Namens freilich, und ich zweifle, daß eS einen zweiten gibt. Seine Jacht gewann in der Kieler Woche den Preis von Eckernförde." „Leine Jacht? Leine, sagten Sie? Das scheint er zu
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