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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030826015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903082601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903082601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-26
- Monat1903-08
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lVez«g-'Pret- die Hmlptexpedttton oder deren Ausgabe stellen abgebolt: vtrrtrljährlich S.—, bei zweimalig«, tLalicher Zustellung tuS Han» ^l 5.75. Durch di» Post oezogrn für Deutsch land ». Oesterreich viert,ljaarlich 4.50, für dt> übrig« Länder laut ZeitungSpreiSUste. Redaktion und Lrveditto«: Johanniögaffe 8. Fernsprecher 15S und AL Fitialevpediti-ne« r Alfred Hahn, Buchhandlg„ UnivrrsitütSstr.L tt. Lösch«, Katharinen str. Ich ». KüuigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße Sch Fernsprecher Amt 1 Nr. 171«. Haupt-Filiale Serlin: Carl Oumker, Herzgl. Bayr. Hvfbuchhandlg« Lützowstraße 10. Fernsprecher Sl»; VI Str. 4ML. Morgen-Ausgabe. MpMr.TagMall Anzeiger. ÄmtMatt des Königlichen Land- nnd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates «nd des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. A«zelge«aPrei- die 6 gespaltene Petitzeile SV Reklamen unter demRedaktivuSstrtch tL gespalten) 7S vor den Familtennach- richten (S gespalten) 5V Dabellarischer and Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren filr Nachweisungen uud Offerteuaaoahme L» (excl. Portos Srtra -Beilagen (gefalzt^ ,«r mit oe» Morgen.Ausgabe, ohne Postbefürdernn, 60.—, »tt Postdesörderung 70.—. AnuahMschlnß fiir Anzeigen: Adend-AnSgade: vormittag» 10 Uhr. Morgen'AnSgaber Nachmittag» 5 Uhr. Anzeige» find stet» «, di» Expedition zu richt«. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Nh». Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig. Nr. "132. Mittwoch den 26. August 1903. 87. Jahrgang. Das Polentum und das Veto bei der papftwahl. VS Wenn die ultramontane Presse aller Länder sich noch fortgesetzt über -en von der österreichischen Regierung ein- gelegten Einspruch gegen die etwaige Wahl Ram- polla» aufrrgt, so ist dies schließlich gan- natürlich, denn vom ultramontanen Standpunkte au» ist die völlige Freiheit der Papstwahl etwas sehr Wichtiges. Wenn aber ein an» gesehenes und verhältnismäßig maßvolles Polenblatt, der „Kuryer", vom polnischen Standpunkte aus seinen Bannstrahl gegen» Oesterreich schleudert, so ist dies in mehr als einer Hinsicht für das Polentum charakteristisch. Der „Kuryer" ist empört darüber, daß es gerade ein Kardinal polnischer Nationalität, der Fürstbischof von Krakau, war, der den Einspruch der österreichischen Regie» rung geltend machte. Er verdammt zunächst den Kardinal Puzyna, der sich zu dieser Aktion habe „mißbrauchen" lassen; Kardinal Puzyna werde nicht der kirchlichen Zensur anheimfallen, aber er sei dem Banne der polnischen Nation verfallen infolge seiner un» patriotischen Tat. Seine einzige persönliche Ent schuldigung sei sein durch schwere Krankheit hervorge» rufencr Gemütszustand. Viel schlechter aber noch als Kardinal Puzyna kommt der österreichische Minister des Aeußeren, Graf Golu» chowski, fort, weil dieser den nach dem polnischen Blatte nichts normalen Geisteszustand Puzynas schnöde ausgentttzt habe. Das Blatt erklärt, den Grafen Golu- chowSki weder für einen Katholiken noch für einen Polen, noch für einen klugen Minister halten zu können. Di« französische Presse habe sofort das Richtige geraten, indem sie Goluchowski für den „Stiefelknecht der Ber» liner Diplomatie" erklärt habe. Zum Schluffe spricht der „Kuryer" die Erwartung aus, daß die polnische Fraktion im ö st erreicht» schen Abgeordnetenhause im Namen der Kirche und der polnischen Nation Aufklärung verlangen werde. Wir können uns diesem Wunsche nur anschließcn. In Deutschland ist man sich ja schon lange klar darüber, daß das Polentum dem Staate direkt feindlich gegenübersteht, und deshalb wundert man sich gar nicht darüber, wenn beispielsweise im vorliegenden Falle der „Kuryer" die französische Presse als Eideshelfer gegen die deutsche Di plomatie anruft. In Oesterreich aber sieht man noch immer die Bolen als eine staatserhaltenbe Partei an und zieht sie, wo es nur immer möglich ist, zur Bildung einer Reigerungsmehrheit heran. Da würde eS die wahren Gesinnungen der Polen den österreichischen Staatsmännern sonnenklar machen, wenn die polnische Fraktion in dieser sehr delikaten und internationalen An gelegenheit der Negierung in den Rücken fiele. Bon unserem Standpunkte aus könnten wir es auch nur be grüßen, wenn Graf Goluchowsky sich über den Charakter seiner lieben Landsleute recht klar würde. Bon der größten Wichtigkeit aber scheint uns bei dem Artikel -eS „Kuryer" etwa- anderes zu sein. Wir haben schon gesagt, daß der Kuryer" ein ziemlich gemäßigte- polnisches Organ sei,' jedenfalls ist er ein sehr kirchliche» Blatt. Wenn ein solches Blatt einen Fürstbischof feierlich „in den Bann tut" un- dieser Beleidigung noch eine schlimmere hinzufügt, indem es die Handlungsweise des Kirchenfürsten mit geschwächten Geisteskräften entschul digt, so muß eS doch die Interessen des PolentumS durch den geistlichen Würdenträger schwer verletzt glauben. DaS Geheimnis — eigentlich ist es gar kein Geheimnis — be steht eben darin, daß unsere Polen die sicher st eStütze für ihre Ansprüche in engen Beziehungen mit Rom erblicken. Nun fürchtet das Polentum, der Vatikan könne es übel vermerken, -aß gerade ein Kar dinal polnischer Nationalität sich dazu hevgegeben hat, iy die Freiheit der Papstwahl einzugreisen. Die Beziehungen zu Nom sind es auch, die die Solidarität zwischen den Polen in den drei Kaiserreichen mit in erster Reihe auf recht erhalten, und deshalb greift auch gerade in einer den Vatikan berührenden Angelegenheit ein preußisch- polnisches Blatt in die österreichischen Interessen ein und ruft seine österreichisch-polnischen Gesinnungsgenossen im Namen der Solidarität zum Kampfe auf. Vielleicht wirb man sich früher oder später einmal in Oesterreich darüber klar werden, daß dieser Solidarität der Polen die Solida» rität der Staaten in der Behandlung der Polen gegen» übergestellt werden muß. Lange kann es ja doch nicht mehr dauern, bis eS in dem unseligen Lande zu einem Krache kommt, der eS in allen Fundamenten erschüttert. Und wenn es gilt, neu zu fundamentieren, wird kein ziel bewußter Staatsmann auf den Gedanken kommen können, in der Behandlung der Polen wesentlich von der Richt schnur abzuweichen, die man in Preußen nach langen und folgenschweren Irrungen endlich al» die allein richtige erkannt hat. Deutsches Reich. s. Berlin, 25. August. (Zur Verrohung der poli tischen Sitten oder „Vorwärts" und „Bund der Landwirte" al» GrmütSathleten.) ES sei ferne von un», daß wir dem „Vorwärts" je für eiu anständiges Blatt gehalten hätten. Zeder seiner freiwilligen oder Muß leser weiß, daß eS diesem Blatte kein» GemütSschmerzen bereitet, gegnerische oder ihm gleichgültige Personen zu denunzieren oder sonstwie zu opfern, wenn das seinen Zwecken der Ber- »etzung dienlich sein könnte. Der ZukunftSstaatS-Anzeiger >at aber jetzt einen Denunzier-Rekord aufgestellt, der seine üsherigen Leistungen auf dem Gebiete tief in den Schatten teilt: er hat in ruppiger Weise einen Mann, einen Beamten, »loßaestellt, der einem seiner Haupt-„Genossen" Freund- ichkriten weit über seine Pflicht, vielleicht sogar über eine Machtvollkommenheiten hinaus erwiesen bat. Zn dem chon früher erwähnten Bericht deS „Vorwärts" über die Verhaftung seines verantwortlichen Redakteurs Leid heißt es nämlich: „Am Sonnabend V,4 Uhr wurde unser verantwortlicher Rrdak- teur Genosse Leid In feiner Wohnung verhaftet. Der Kriminal kommissar vr. von Henninger war persönlich erschienen, um — wegen de» mit Majestät-belridtgung verbundenen groben Unfug» — «nferea Kollegen zu verhaften. Der Kommissar meinte liebenswürdig, daß er anständig ver fahre» und etne Droschke nehmen werde, statt, wie er könnte, den grünen Wagen z« benutze». Er entschul digt« sich auch, daß er Nicht» für die Verhaftung könne; er selbst hätte die Sache auch nicht für so schlimm ge halten. Der Wunsch unsere» Genossen, vor der Abführung die Redaktion zu benachrichtigen, wenn auch nur telephonisch, wurde verweigert; Herr v. Henninger versprach, selbst die Mitteilung zu übernehmen, wa» er den« auch tat." DaS ist echter „Genoffeu"-Dank! Herr v. Henninger wird ja nun wohl wissen, wie er sich ein andere- mal in solchem Falle zu benehmen hat. Die ganze Geschichte ist um so scheußlicher, als eS sachlich nicht daö geringste zu be deuten hat, wie der Krimminalkommissar über die beanstan deten Preßleistungen denkt. Der „Vorwärts" hat in diesem Falle rein auS Lust am Denunzieren einen allzu menschlich denkenden Beamten in die Patsch« gebracht. — Sinnlose Bosheit ist eS im Gegensätze hierzu nicht, wenn die Ultra» der anderen polftischea Seite sich auf Denunziantenabwrge begeben. Die agrarische „Dtsch. TageSztg." hatte kürzlich mitgeteilt, daß eia Oberamtmana seinen Austritt aus dem Bunde der Landwirte erklärt habe, „weil der Bund höheren Ort» nicht gern gesehen würde." Dafür wird dem „pflaumenweichen" Herrn Oberamtmann jetzt folgende Quittung erteilt, die daS Korrespondenzorgan „Der Bund der Landwirte" al» eine der vielen, ihm aus diesem Anlaß angeblich zugegangeueu Protestkundgebungen ver öffentlicht: „Dem Bunde kann nur gratuliert werden, wenn er solche pflaumenweichen Mitglieder lo» wird. Außerdem macht eS den Eindruck, als wenn e» dem betreffenden Herrn nicht schwer fallen würde, da» „Schuster"-and werk zn erlernen, im Falle er dermaleinst seine Domäne abgeben müßte." Die Zeitläufte müssen gewissen agrarischen Kreisen doch sehr bedenklich dünken, wenn schon solche üble terroristische Mittel benutzt werden, um persönlichen Haß zu erzeugen und BundeSfiucht zu verhindern. Diese feige Angeberei mit dem hübschen Mittelstand»»hochachtungsvollen Hinter gründe enthüllt einen sehr häßlichen Seelenzustand. — Man sieht wieder einmal: lee «rtrswes es touodsut — auch im Denunzieren. Berlin, 25. August. (Eine ReichStagöersatz- wähl in Thorn?) Der von 1398—1003 national liberal vertreten gewesene Wahlkreis THorn-Culm ist leider in der Stichwahl vom 25. J-uni d. I. mit geringer Mehrheit in polnische Hände gelangt. Es wird nun gemeldet, die Wahl werde für ungültig erklärt werden, weil eine Reihe von Ueberläufern russischer Natio nalität unbefugterweise mitgewählt habe. Im allge meinen wird man sich vor Augen halten müssen, baß die Ungültigkeitserklärung polnischer Wahlen in dem neuen Reichstage schwer halten wird, weil die unbedingt polen freundlichen Parteien, das Zentrum und die Sozialdemo kraten, zusammen mit den Polen selbst über die Mehr heit im Reichstage verfügen. Wenn freilich die Zahl der Personen, die unbefugtevweise an ber Wahl teilgenommen haben, größer wäre als die Mehrheit der polnischen Ab geordneten, so würden auch Zentrum und Sozialdemo kraten mit Rücksicht auf eine bekannte Praxis des Reichs tages trotz aller Polensreundlichkeit die Wahl des Herrn Brejski für ungültig erklären müssen. In diesem Falle wird es hoffentlich gelingen, die Schlappe vom 25. Juni wieder gut zu machen. Der Wahlkreis Thorn ist einer der umstrittensten zwischen Deutschen und Polen. Er war 1871 zunächst polnisch vertreten, von 1871 — die Wahl Les Polen wurde damals alsbald für ungültig erklärt — bis 1878 nationalliberal, von 1878—1387 pol nisch, dann bis 1890 wieder nationalliberal, von da ab bis 1898 wieder polnisch, darauf wieder nattonalliberal und nunmehr wieder polnisch. Häufiger wird wohl kaum in einem anderen Wahlkreise der Sieg zwischen Deutschen und Polen gewechselt haben. Da der Wahlkreis zu 54 Prozent katholisch ist, so hängt der Sieg der deutschen Bewerber in erster Reihe von den deutschen Katholiken ab. Und nach Maßgabe der letzten Wahlen sprechen freilich nunmehr auch die Sozialdemokraten mit, die dies mal 998 Stimmen erhalten haben gegen 485 im Jahre 1898. Troy der Unzuverlässigkeit der Sozialdemokraten aber ist der Sieg der Deutschen Lei der Ersatzwahl doch möglich, wofern nur alle Deutschen ihre Pflicht tun. -r- Berlin, 25. August. (Die Sanftmut der baye rischen Klerikalen.) Bekanntlich ist die „Jugend" wegen einer angeblich daS ungarische Nationalempfinden verletzenden Illustration von den stolzen Magyaren boykottiert worden- DaS offizielle bayerische Zentrumsorgan hält diesen Ausdruck gekränkten Ehrgefühls seinen bayerischen Gesinnungsgenossen vor, indem es erklärt: „Ist dagegen nicht die Geduld der baye rischen Katholiken (sollte richtiger heißen Klerikalen), die sich in jeder Nummer der „Jugend" ohrfeigen lassen, einzig? Die „ge duldigen" bayerischen Klerikalen geben auch ein vorzügliches Motiv zu einer Illustration ab. Man erinnere sich nur an den endlosen Tilly-Rummel, der vor einem Jahre auf Grund einer einzigen Aeußerung eines antiklerikalen Mannes insceniert wurde und der noch heule gelegentlich wieder aufgerührt wird. Man erinnere sich an die „kochende Volksseele" nach dem Swinemünder Telegramm. Man erinnere sich an die leidenschaftlichen Drohungen, die gerade dasselbe Organ, daS Feittllrtsn. Geschwänzte Menschen. Bon vr. Curt Rudolf Kreuschner. viu^orun verbolen. Bon den ältesten Zeiten bis hart an die Gegenwart wurzelt in der Menschheit zäh und hartnäckig der Glaube an die Existenz ganzer Völkerschaften, deren sämtliche Mitglieder sich des Besitzes eines Organes erfreuen, das dem langen, beweglichen und behaarten Schwänze der Tiere entspricht. Wenn man bedenkt, daß auch heute noch in den Schaubuden auf Jahrmärkten Meerjungfrauen und andere noch fabelhaftere Geschöpfe einem Publikum gezeigt werde«, von dem nicht wenige den beillosen Be trug für bare Münze nehmen, wird man sich über dte Leichtgläubigkeit des Altertums nicht zu sehr wundern dürfen. Erzählungen über geschwänzte Menschen finden wir selbst bei einem so ernsthaften Berichterstatter wie Herodot, dem Vater der Geschichte, ber übrigens um so leichter zu täuschen war, als er in fremden Ländern sich Auskunft am liebsten von Priestern holte, die den wiß begierigen Griechen oft absichtlich mit Lügennachrichten bedienten. Gan- Jnnerafrika wimmelte nach den Vor stellungen des Altertums von Schwanzmenschen; auch da» indische Volk der Kalystrier, die Brwohner der großen hintertndtschen Inseln und sogar diejenigen einer sagenhaften, angeblich westlich von Sizilien liegenden Insel sollten sich regelmäßig dieses sonderbaren An hängsels erfreuen; ja man fabelte sogar von einem asiatischen Jnselvolke, bei dem die Abstufung de» Standes und Ranges genau im Einklänge mit der Länge dieser fünften Extremität stehe. Das Mittelalter nahm alle diese Märchen mit großer Bereitwilligkeit auf. Sie wurden ohne gründliche Kritik in naturwissenschaftliche Werke übernommen, au» Respekt vor der Autorität weiter berichtet, und von Ressenden de» 19. Jahrhunderts ernst genommen, dte sich diese Schauer märchen von arabischen Händlern und Negerstämmen hatten aufbinden lassen, die ein Interesse daran hatten, die Reisenden vom wetteren Vordringen in ihrer Nach barschaft abzuhalten. So dichtete man den am Bahr-cl« Ghazal wohnenden Niam-Niam» fächerartig gestaltete Schwänze an, die sich schließlich al» harmlose, von diesem Stamme bet großen Festen al» Schmuck getragene Tier schwänze entpuppten. Bei einem Nachbarvolke der Niam- -fiam», den DorS, sollten lang«, buschige Schwänze «in natürliches Privilegium -er fetten Wriber dieses Stammes sein; aber auch hier entpuppten sie sich als ein Zierrat, nämlich als Quasten aus Bastfasern. Noch phan tastischer und di» Merkmale der freiesten Erfindung an der Stirn tragend waren die Berichte von geschwänzten Menschen, di« in Brasilien am JuruL und Trahuaca, zwei Nebenflüssen des Amazonenstromes, wohnen und ihre sonderbare Zierde dem Umstande verdanken sollten, daß sie aus einer Kreuzung von Indianerweibern und Affen entsprossen seien. An der Blanchebai in Neu pommern, also in ber Gegend, wo sich heute die bekannte Station Herbertshöhe der Neuguinea-Kompagnie be findet, sollten sogar monschenähnliche Wesen wohnen, deren harte und unbiegsam« Stummelschwänze so spröde seien, wie die Eidechsenschwänze, die bekanntlich leicht ab brechen. Damit ihnen nun diese» Unglück nicht begegne, das für sie den Verlust -es Lebens nach sich ziehe, gruben sie sich, bevor sie sich fetzen, Löcher in die Erde, in denen ihr Appendix beim Sitzen vor jeder Verletzung ge schützt sei. SS kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Ent stehung solcher Märchen darauf zurückzuführen ist, daß nicht nur der moderne Darwtnianer Häckelscher und Bogtscher Richtung, sondern auch dte auf tiefer Kultur stufe stehenden Völkerschaften der Tropenländer sich dem Eindruck ber Menschenähnlichkeit großer Affen nicht ent ziehen konnten. Als man sich aber bet Hoffnung ent- schlagen mußte, ganze Völker aufzufinden, vei denen eine Schwanzbildung zur Norm gehört, verfiel man in» Gegenteil und verwies dte ganze Angelegenheit in daS Gebiet -er Unmöglichkeit. Wie sehr man sich damit wieder von ber Wahrheit ent fernte, beweist ein Gang durch da» Museum irgend eine» unserer pathologisch-anatomischen Universität-Institute, von denen wohl jede» über mehrere Pridrarate verfügt, dir einen Menschenschwanz in leibhaftiger Wirk lichkeit barstellen. Außerdem hat die neuere geo graphische Forschung nachgewiesen, -aß gerade in jenen GegenLen Hinterasien», wohin die Erzählungen de» Altertums das Vorkommen geschwänzter Menschen ver legen, solche Anhängsel keineswegs zu -en Seltenheiten gehören und viel häufiger sind al» in unseren Vevölke- rungen. Man hat nämlich auf -en großen und kleinen Sundainseln, auf Borneo, Ceram, Flore», Java, Sun- Vabam und Timor Eingeborenenstämme gefunden, unter denen geschwänzte Individuen relativ zahlreich vor kommen. Aehnliche Fäll« finden sich aber auch bet allen anderen Menschenrassen al» Raritäten, die meisten» nur Aerzten an großen Krankenhäusern und den Kommission»« Mitgliedern bei Rekrutenafsentierungen zu Gesicht kommen und deshalb im größeren Publikum so gut wie unbekannt sind. Ist somit ein Zweifel an der Existenz geschwänzter Menschen nicht mehr möglich, so «rhebt sich die Krage, wie diese Abnormitäten im menschlichen Körperbau vom naturwissenschaftlichen Standpunkte aus zu erklären sind. Bolles Licht gewährt hierüber nur die Anatomie und die Entwickelungsgeschichte des menschlichen Embryos. Bei allen Wirbeltieren ist der Schwanz nichts anderes als das mit Fleisch und Haut bekleidete rückwärtige Ende des Rumpfes oder — korrekter ausgedrückt — -er Wirbel säule, in welches sich die im Becken ihr Ende findende LeibeShöhle nicht mehr hineinerstreckt, in dem also auch keine Eingeweide mehr liegen. Die Betrachtung eines normalen menschlichen Skeletts zeigt nun, daß die anato mische Anlage zur Schwanzbildung eigentlich bei jedem Individuum vorhanden, aber auf einer frühen Entwicke lungsstufe verkümmert und zurückgebildet ist. lieber die Wirbel des Kreuzbeines hinaus, die mit den großen Hüft knochen zum Becken verschmelzen, findet sich nämlich noch eine aus mehreren rudimentären Wirbeln bestehende Fortsetzung der Wirbelsäule, die unter dem Namen „Steißbein" bekannt ist und von deren Existenz sich schon mancher Leser in höchst unliebsamer und schmerzhafter Weise überzeugt haben wird, wenn er sich einmal uner- wartet und mit Vehemenz auf einen harten hervorragen den Gegenstand fetzte. Diese kleinen Knochen, meistens vier an der Zahl, sind normaler Weise nach dem Innern de» Körpers zu gekrümmt, verschwinden vollständig unter ber Bedeckung mit Haut und Fleisch, sind aber jederzeit deutlich zu fühlen. Erlaubt sich die Natur jedoch die Ab normität einer Krümmung nach außen, so nehmen sie mit ihrer Hautbedeckung dte Gestalt eine» Stummels an, ber eine recht beträchtliche Länge erreichen kann, wenn bei abnormem Knochenwachstum die Steißbeinwirbel auf fallend groß geworden sind. An diese Dchwanzwirbel heften sich auch bestimmte Muskeln an, wie sie die Tiere zur Bewegung de» Schwanzes in reicher Entwickelung aufweisen. Beim Menschen sind sie sehr verkümmert; eS find aber doch Fälle von Schwanzmenschen bekannt, bei denen diese Mu-keln stark genug waren, den Schwanz zu Vewegen. Die Möglichkeit -er Schwanzbildung ist hiermit noch nicht erschöpft. Betrachten wir in einem anatomischen Museum einen menschlichen Embryo au» den ersten Wochen seiner Entwickelung, so sehen wir ihn mit einem Schwänze von ganz er-lecklicher Länge behaftet, -er uns an alle» eher al» an einen entstehenden Menschen denken lassen würde, wenn die Kopfbildung nicht dafür Zeugnis ablegte. Dieser lang herabhängende Schwan- ist nun durchaus keine Abnormität. Wir alle haben ihn in den frühesten Zeiten unseres Lebens im Mutterleibe besessen. Normaler Weise unterliegt er aber schon gegen Ende des zweiten Monats der embryonalen Entwickelung einer schnellen Rückbildung, so daß bald nichts mehr von ihm übrig ist als eine später gänzlich verschwindende Hervor- ragung. Ausnahmsweise tritt nun dieser Schwund nicht in genügendem Umfange ein; der junge Weltbürger wird mit einem leibhaftigen knochenlosen Schwänzchen ge boren, und diese unerwünscht« Beigabe hat obendrein auch noch die Neigung, weiter zu wachsen, so daß sie bei einem erwachsenen Menschen zuweilen eine Länge von 15 und mehr Centimeter erreicht. Zu allem Ueberfluß behält sie meistens auch noch ebenso wie der oben be schriebene Wirbelschwanz die embryonale Behaarung. Kurzum, es ist dann ein Organ vorhanden, daß ein auch noch so euphemistisch veranlagter Höflichkeitsmensch nicht umhin kann, als veritablen Schwanz zu bezeichnen. Der Vollständigkeit halber sei hier noch hinzugefügt, daß bei manchen Menschen an der Stelle, wo sich der embryonale Schwanz befunden hat, also in der Kreuzbeingegend, oberhalb der Gcsäßfurche ein tüchtiges Haarbüschel zurückbleibt, so daß der damit Geschmückte in der Tat eine fatale Ashnlichkeit mit einem Faun oder Satyr erhält, die um so frappanter wird, wenn sich dazu noch Miß bildungen an den Ohren gesellen, die eine spitze Gestalt haben un- denen der eingerollte Rand des normalen menschlichen OhreS fehlt. Wenn die griechischen Mldhauer die Halbgötter des Waldes in dieser Weise dargestellt haben, so scheinen sie dabet nicht der freien Phantasie gefolgt zu sein; denn merkwürdigerweise finden sich, wie Ornstein berichtet, unter den heutigen griechischen Rekruten solche Haar schwänze recht häufig, und wenn auch in den Griechen der Gegenwart viel slawisches Blut pulsiert, ist es doch recht wahrscheinlich, baß diese den heutigen Hellenen an haftende Eigentümlichkeit auch bei ihren antiken Vor fahren schon vorhanden war und daß die Künstler nur die Natur zu kopieren hatten, wie sie am Körper manches Schäfers oder Jägers in den Wäldern des Olymp und TaygetoS sich manifestiert haben mag. Derartige Anhängsel spielen in physiologischer Hin sicht für das Befinden ihres Besitzers keine Rolle. Ihre operative Entfernung bildet einen der harmlosesten chirurgischen Eingriffe und ist nicht im entferntesten ge eignet, das Leben des von diesem Appendix zu Be freienden zu gefährden.
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