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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030829027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903082902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903082902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-29
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Abend-Ausgabe ripMer. Tagc-laü Anzeiger Nr. M Sonnabend den 29. August 1903. Dresden: Lkrrieustraß« S< 8«lsp«cher Amt I Sir. 171«. bord >. Oeftrrretch vierteW di« übrige« Länder laut s Lrdakttou UN- Lrpe-itton: ÄohamtUgaffe 8. Fernsprecher ISS »ud SSL r Alfred Hahn, Buchhaudlg, Uutverfitütsstr.3, L. 8-schch Kathariuenstr. 1< n. König-pl. 7. Ämtsölatt -es ÄömgNchen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und des Rotizeiamtes -er Ltadt Leipzig. VezngS.Prei- M der Hauptexpedittoo »der deren ««Sgabo» ßckl« nb-«h»It: uterteliLhrltch S.—, bet zweimaliger täglicher Znpellnna in« Hau« ^tl 8.75. vnrch di« Post bezöge« sür Deutsch» land ». Oesterreich vierteljährlich ^l 4.50, für lg-preiSltste. Anzeigen-Pret- die -gespaltene Petitzelle LS LH. Reklame» unter dem Redaktion-strich 1t gespalten) 75 vor den Familiennach» richte« (S geipalteu) 50 Da bellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühre« für Nachweisungen und vffertenannahme L5 L, (rxcl. Porto). Extra-Beilage« (gesalzt), nur mit de« Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung ^l «0.—, mit Postbesörderuug ^l 70^-> Annahnnschlnß för Anzeigen: Lb«nd»Sutgab«r vormittag» 10 Uhr. Morgen-AnSgaber Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» find stet» au di« Expedition zu richt«. Di« Expedition ist Wochentag» ummterbrvcheu geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck and Verlag von E. Pol» in Leipzig. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. August. Der neue Xetchsschatzsekretär. Die Aeußerungen, die der neue Reichsschatzsekretär, Freiherr v. Stengel, dem Vertreter eines Münchner Blattes gegenüber getan hat, verdienen noch etwas ausführlicher wiederaegebeu zu werden, als es in der telegraphischen Mitteilung geschehen ist. Die von Herrn von Stengel be fürchtete Gefahr, daß man sich von seiner Amtstätigkeit den sofortigen Anbruch einer Periode glänzender Reichs finanzen versprechen und daher einer Enttäuschung ent- gegengehen könnte, scheint unS allerdings nicht sehr groß zu sein; wir sind zwar immer noch daS Volk der Dichter und Denker, aber so viel verstehen wir immerhin allmählich von ernsten Geschäften, daß wir uns auch von einem begabten Staatssekretär nicht gerade Zeichen und Wunder versprechen, zumal auf dem Gebiete der Finanzen, auf dem alles so nüchtern zuzugehen pflegt. Im übrigen hat Frhr. v. Stengel erklärt: „Die Zustimmung, die seine Ernennung in der gesamten Presse mit ganz vereinzelten Ausnahmen gesunden, habe ihn sehr gefreut. Nurmüsse er sich dagegenverwahren, daß seine von ihm alsBundes- ratSbevollmächtigter gehaltene Rede als vorläufigesProgramm für seine neue Stelle angesehen werde. Er habe sie als Vertreter Bayern- im Auftrage der bayerischen Regierung gehalten, aber nicht al» Vertreter der RrichSleitung. Allerdings habe er persön- lich von diesen Reden, die im Einvernehmen mit den übrigen BundeSratSbevollmächtigten erfolgten, auch heute nichts zurückzu- nehmen. Was dir Frage der Rei chsfinanzrrform betreffe, so habe er au» den Preßslimmen den Eindruck erhalten, daß man wenigstens für den Augenblick sich zu hohen Erwartungen hingebe. Es sei ihm nicht erwünscht, wenn die Ansicht um sich griffe, er fei gleichsam im Besitze einer Wünschelrute, mit der über Nacht glänzende Finanzen hervorgezaubert werden könnten. Man müßte die Sache möglichst nüchtern aufsassen. Er glaube, daß man sehr zufrieden sein könnte, wenn es demnächst gelänge, ein Einverständnis unter den gesetzgebenden Faktoren über die Be seitigung der schlimmsten Uebrlstände herbeizuführen, die im Laufe der Jahre allmählich hervorgetreten seien, wenn e» insbesondere gelänge, die verwickelten finanziellen Beziehungen zwischen dem Reich und den Einzelstaaten klar zu ordnen und im ReichshauShalt die sehr erwünschte größere Festigkeit herbeizuführen. Es müßte auch bald der Anfang mit einer planmäßige» Schuldentilgung gemacht werden. Zunächst bedürfe es aber einer Verbesserung des Reichs- invalidensonds, der im Augenblick sehr im Argen liege. Bon der Eröffnung neuer dauernder Steuerqurllen im Reiche — er wisse nicht, wie der Reichskanzler darüber denke — lasse sich schwer etwas sagen, bevor nicht sicher stände, welche Mehrertragnisse der neue Zolltarif bringe und mit ihm dir künftigen Handelsverträge, die die wirtschaftlichen Verhält- niste beeinflußen müßten. An der Anschauung halte er wie früher fest, daß das Reich jederzeit sür die Deckung seiner Ausgaben tunlichst aus seinen eigenen Einnahmequellen solle aufkommen können. Der Rückgriff aus die Einzelstaaten sollte jedeusallS nur eine Ausnahme bilden. Die Einzelstaaten feien infolge der außrrordentlicheu Auswrndungen für ihre Kultur- aufgabeu nicht im stand«, in dieser Richtung größere Lasten zu tragen; sie feien großen Teils jetzt schon finanziell in einer ziemlich bedrückten Lage. Befremdet habe es ihn, daß er schon im voraus als „Minister der neuen Steuern" bezeichnet und solcher Art von vornherein gleichsam diskreditiert werde. Man solle doch wenigstens mit solchen Titulaturen warten, bis er sein neues Amt angetreten habe. Er trage sich mit den besten Absichten und dem besten Willen. So lange er die Kraft dazu habe, werde er feine Pflicht auch im neuen Amte erfüllen, soviel als möglich. Finde er bei allen beteiligten Faktoren die entsprechende Unterstützung, dann hoffe er, auch über die großen Schwierigkeiten, die er nicht verkenne, Hinweg zukommen. WaS seine Aufgabe anbrlange, so sei das Reichs, schatzamt zunächst berufen, bei der Ausstellung des Etats der ein zelnen Ressorts mitzuwirken und für die erforderliche Deckung der Anforderungen Sorge zu tragen. Die Verwendung der bewilligten Mittel innerhalb der genehmigten Etats falle in die Zuständigkeit der einzelnen Ressorts. Die gegenwärtige finanzielle Lage des Reichs führe von selbst daraus, daß Liese Mittel möglichst Haus- hälterisch und wirtschaftlich verwendet würden Was ihn selbst betreffe, so sei er, soweit die Verhältnisse es erlaubten „sür größte Sparsamkeit." WaS unS in dieser Auslassung am meisten befremdet, ist die Erklärung des neuen Reichsschatzsekreiärs, er wisse nicht, wie der Reichskanzler über die Eröffnung neuer Steuerquellen im Reiche denke. Wir hatten gemeint, ein Finanzmann, dem der Posten des ReichsschatzsekretärS angetragen werde, müsse sich, bevor er den Antrag annehme, mit dem Reichskanzler gerade über diese Frage verständigen. Daraus, daß dies nicht geschehen ist, gehl hervor, daß Frhr. v. Stengel gleich dem Grafen Bülow der Ansicht huldigt: .Kommt Zeit, kommt Rat-. Es geht daraus aber auch ferner hervor, daß die Finanzminister der Einzelstaaten auf ihrer bevorstehenden Konferenz alle Ursache haben, sich nicht auf die Frage der Balanzierung deö nächsten ReichShauSbaltöetats zu beschränken. Frhr. v. Stengel wirb ja, da er nicht einzelstaatlicher Finanzminister ist, an dieser Konferenz schwerlich teilnehmen. DaS ist aber auch nicht nölig. Da die Herren Finanzminister sämtlich mit ihm der Ansicht sind, daß das Reich künftig jederzeit für die Deckung feiner Ausgaben aus seinen eigenen Einnahmequellen soll auskommen können, so können sie auch ohne ihn über die Mittel beraten, durch die das Reich seine Ein- nabmen jederzeit nach seinen Ausgaben zu regeln resp. durch stärkere Anspannung gewisser Finanzzölle zu er höhen vermag. Um zu einer Verständigung über diese Mittel zu kommen, braucht man nicht zu warten, wie die auf Grund des neuen Zolllarifes zustande kommenden künftigen Handelsverträge die wirtschaftlichen Verhältnisse beeinflussen; denn auf alle Fälle sind die infolge der Handels verträge zu erwartenden Mehreinnahmen nicht so geartet, daß man sie beliebig resp. nach Bedürfnis erhöhen könnte. Und so lange eine solche Möglichkeit jehlt, bleiben die Einzel staaten der Gefahr ausgesetzt, daß sie zur Deckung heran gezogen werden, wenn dazu v»e eigenen Einnahmen des Reiches nicht auSreichen. Die ziellosen Zielbcwutztcn. Im allgemeinen wird man den „Zielbewußten" zugestehen, daß sie diese Bezeichnung nicht mit Unrecht tragen; in der Frage der Beteiligung an den preußischen Land tagswahlen und speziell der Bedeutung dieser Beteiligung für die Sozialdemokratie macht sich aber eine große Ziellosigkeit und Unklarheit bemerkbar. Dies zeigt sich besonders gelegent lich der erbitterten Auslastungen der sozialistischen Blätter über die Ablehnung eines Wahlkompromisses durch die Freisinnigen. Man droht damit, die Freisinniaen vollständig im Stiche zu lasten und auf diese Weise zur Schaffung einer rein konser vativen Mehrheit beizutragen. Zunächst ist eS gar nicht aus gemacht, daß die „Stellung Gewehr bei Fuß" seitens der Sozialdemokratie eine Mehrheit der konservativen Parteien zur Folge haben müßte! Bei den Wahlen von 1898 hat sich die Sozialdemokratie in geringem Maße, bei denen von 1893 gar nicht beteiligt, und doch kam in beiden Fällen eine rein konservative Mehrheit nicht zustande, wenn auch freilich nicht gerade viel an einer solchen Majorität fehlte. Die Sozialdemokraten könnten die konservative Mehrheit höchstens dann erhoffen, wenn sie nicht „Gewehr bei Fuß" ständen, sondern den liberalen Parteien nach Möglichkeit Stimmen entzögen und sich darauf bei den Abgeordnetenwablen selbst neutral ver hielten, was einer direkten Unterstützung der Konservativen allerdings gleich käme. Ueber die Folgen einer solchen dummen Jungen-Politik sind sich die .Zielbewußten" sehr unklar. Die „Sächsische Arbeiterzeitung" schreibt: „Wir haben dann nicht nur eine konservativ-klerikale, sondern eine rein konservative Majorität. Das mag für den Augenblick drückend sein, sür die Zukunft liegt jedoch darin eine Garantie für die Abschaffung des miserablen Dreiklassen-Wahl- systems. Von einer junkerlichen Mehrheit kann sich auf die Dauer Las Bürgertum nicht regieren lassen." Es kommt sehr darauf an, was man unter „für den Augenblick" und „auf die Dauer" versteht. Zn der Mitte des vorigen Jahrhunderts dauerte die Herrschaft der Reaktion in der preußischen Kammer eiwa ein Jahrzehnt an. Zn diesem doch recht ausgiebigen Zeiträume könnte eine Menge geschehen, was für die Sozialdemokratie vielleicht fataler wäre als für daS Bürgertum. Und wenn eS dann schließlich gelänge, die reaktionäre Mehrheit wieder zu beseitigen, so würde doch damit noch lange nicht das Drei- klassen-Wahlsystem beseitigt. Zm Gegenteil: «S ist als Folge des mächtigen AnschwellenS der sozialistischen Mandate im Reichstage und des Benehmens der Sozialdemokratie in der letzten Reichstagssession, sowie ihres schon jetzt vorauszusehenden Benehmens im neuen Reichstage zu betrachten, daß die Gegnerschaft gegen das Dreiklassen-Wahlsystem in den bürgerlichen Kreisen Preußens eher ab- als zunimmt. Dies dürfte selbst dann der Fall sein, wenn das von der sozialistischen Presse an die Wand gemalte reaktionäre Regi ment in Preußen für die nächsten Zahre zur Durchführung gelangte. Mißbraucht ein solches Regiment seine Macht ähnlich wie in den 50er Zähren des vorigen Jahrhunderts und kommt dann, ähnlich wie damals, infolge der Gegenreaktion in der Be völkerung eine liberale Mehrheit zustande, so wird diese wohl zu einer weniger plutokratischen Form des Wahlsystems geneigt sein, aber sicherlich niemals zu einer solchen, die der Sozial demokratie ähnliche Erfolge ermöglicht, wie bei den ReichS- tagSwahlen. Gerade weil die außerordentlichen Erfolge der Sozialdemokraten bei den Wahlen vom 16. Juni das Bürger tum bis in die Reihen des Freisinns hinein nachdenklich und bedenklich gestimmt haben, ist es ganz natürlich, daß jetzt, so kurze Zeit nach diesen Wahlen, der sozialdemokratische Kom promiß-Vorschlag von den Freisinnigen abzelehnt wird. Serbien und die Balkanwtrren. Auf seiner Reise durch daS Land ist König Peter von Serbien gestern »n Begleitung der Prinzen in Krazujevatz angekomme». Beim Empfange der Offiziere, deren Sprecher erklärte, daß die Offiziere sich dem Könige znr Verfügung stellen, erwiderte der König: „Wir leben tatsächlich in schicksalsschwer«« Tagen, es be darf großer Klugheit, Arbeit und Energie, um da» serbisch« Staats- schiff gut und glücklich zu steuern. Unser Vaterland wird vielleicht bald unsere Dienste brauchen; ich hoffe, daß sie alle sich stets das Interesse der Nation al» Erste» vor Augen halten werden." Abends wurde zu Ehren des König» ein Fackelzug ver anstaltet. Professor Marjanowitsch hielt eine Ansprache an den König, in welcher er ausführte, der König müsse der Träger der Idee des glorreichen Karageorg sein, er müsse die Fahne der Befreiung auf dem Balkan ent falten, weil nur auf diese Weise dem Serbentum eine Zu kunft blühen könne. Der König antwortete: Alle müßten an dem Wohle der Nation Mitarbeiten, alle Bürger seien seine lieben Freunde, er mache darin keinen Unterschied. Jeder müsse nach seiner Erkenntnis handeln, denn er wünscht und liebe freie Bürger. Wenn der König und daS Volk einig seien» daun seien alle Bedingungen sür eine große und glücklich« Znkuust vorhanden. Man beachte, wie König Peter auf die Anzapfung Mar- janowitschs ausweichend antwortet. Der heißblütige Professor batte offenbar tue Befreiung der Balkanvölker von der türkischen Herrschaft gemeint, der König erging sich aber über den Schutz der Freiheit jedes Bürgers innerhalb Serbiens. Er hält es also für sehr möglich, daß Serbien ehebaldigst zum Schutze seiner Grenzen mobil machen muß, lehnt aber die Führung der revolutionären Bewegung gegen die Pforte still schweigend ab. Schein «nb Wirklichkeit im Trausvaal. Aus Johannesburg schreibt man uns Anfgmg August: Die geschäftliche Lage in Johannesburg hat sich bisher noch in keiner Weise gebessert; alles klagt über schlechte- Geschäft, Not und Entbehrung. Auf den andern Seite muß man sich wundern, wieviel Geld an Vergnügungen ausgegeben wird. Zn einem Preisfechten zweier Boxer versammeln sich gegen Eintrittsgeld von 10 und 20 pro Person soviel Tansende von Personen, daß die Fest halle zu klein wird; zu einem Futzballturnier bringen Extrazüge von allen Seiten viele Tausende schaulustiger Personen neben den vielen Tausenden, welche zu Fuß oder mittels Rad und Wagen dem Keskplatz erreichen; wie ein Donner dröhnt dann, wenn der Abend naht, der viel- tausendfache Applaus, den Gewinnenden gewidmet, über die verödete Stadt. Beim Pferderennen wetten dichtge- drängte Scharen um das gewinnende Pferd und dessen Reiter; am Abend sind die Theater gefüllt, und wer alles dies sieht, der kann wirklich daran zweifeln und fragen: ist die Not in Johannesburg in der Tat so groß, wie es dargestellt wird ? Schon manchem ist es ausgefallen, wie sich solche Tatsachen erklären lassen; was tun die Hunderte von Leuten, die, anständig gekleidet, vom frühen Morgen bis zum späten Abend an den Straßen stehen? Sie alle scheinen wohlsituiert zu sein! WaS dem Fremden und Neuankömmling ein Rätsel und unlösbares Geheimnis ist, läßt sich leicht erklären: der Verdienst ist hoch im Lande, man kann bei einiger Sparsamkeit große Summen zurück legen für Tage der Not in kurzer Zeit. Das bezieht sich aber in der Hauptsache nur aus das ledige Volk, und die Bevölkerung Johannesburgs besteht zu einem großen Fpttilletsn. Mj Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verbolen. Auf eine Antwort dieser Zeilen hat Renate einen vollen Monat zu warten, bis endlich Fräulein Hcngler schreibt, Georg habe sich entschlossen,^sein Geschäft in der alten Weise weiterzuführen. Er habe ja für niemanden zu sorgen, und verdiene genug, selbst dann, wenn etwa ein Konkurrent die Nohlsche Besitzung kaufen sollte. In Renate bäumte sich der alte Griebensche Stolz, ein gutgemeintes Anerbieten, bei dem ihr wahrlich nichts ferner lag als Wohltätigkeit, zurückgewiesen zu sehen. Doch wie er wollte — auf jeden Fall waren sie quitt. Die stille Kümmernis, welche sich dann noch aus der kurzen Bemerkung Tante Henglers, Georg werde von Tag zu Tag einseitiger, herauslesen ließ, hatte für sie höchstens in Beziehung auf die alte Dame in Riedstädt Interesse. Was ging er sie noch an! Uebrigens erkannte sie immer klarer die Wahrheit dessen, was sie selbst vor Wochen an Tante Friederike ge schrieben; ihr Wirken auf Zirpshagen befriedigte sie nicht ober vielmehr, sie war dem, was sie hätte leisten mögen, nicht gewachsen. Wenn sie sich mit Fräulein Martens -wischen dem Dutzend Heranwachsender Mädchen bewegte, die in den Feierabenbstunden allerhand wirtschaftliche Be lehrung erhielten, dann hatte sie gemeinhin das Em pfinden, mehr Schülerin denn Lehrerin zu sein, und den gaffenden Kindern mehr durch Alter, Geburt und Reich tum als durch praktische Ueberlegenhcit zu imponieren. In höherem Maße als das gewohnte Tagewerk er regten später die Vorbereitungen zum Weihnachtsfest ihre Teilnahme. Hier konnte ihre Börse helfen, seltener ihr Rat, bisweilen aber auch ihre Hand, die sich dann mit Eifer einem SchaffenStriebc hingab, der nur den Zweck hatte, zu erfreuen, zu beglücken. Vertrat Grete mehr das praktische Departement, so hatte sie ihr lachend daS der Aesthetik überlassen, mußte aber mehr als einmal ihr Veto einlegen, wenn Renate in ihrem lledereifcr, das Schöne vor dem Nützlichen zu bevorzugen, zu weit ging. Immerhin war man eifrig bet der Arbeit, und Grete »on Horsten hatte Sorgen genug. Auch ernstere al- die Bescherung der Gutsleute. Einmal, kurz nach Tisch — es waren nur noch wenige Tage bis zum Feste — war die sonst unverwüstlich Heitere fast bis zum Weinen überreizt. „Es wird wohl alles so ganz anders, als ich es ge träumt hatte, aber — du lieber Gott, zuim Träumen ist man ja nicht auf der Welt", seufzte sie. „Nimmst du auch nichts zu schwer, Grete?" „Eher zu leicht. Da hat nun -er Kreistag, die Kleinbahn von der Stadt über Zirpshagen nach Jarmin beschlossen, und ich, die ich an dem Bau eigentlich nur ein negatives Interesse habe, soll erheblich zusteuern. Die Kosten kämen mit Wucherzinsen wieder heraus, wenn wir Rüben bauten, schreibt der Landrat, schwatzt von Kontingent, von Ausfuhrprämien auf Zucker und allerhand technischen Dingen, die ich mir erst ins Alltagsdeutsch übersetzen muh. Inspektor Klösters dagegen rät dringend ab; Kartoffeln und Körner, gnädiges Fräulein, und dann getrost selbst, ständig 'ne Brennerei angelegt — und zum Schnaps brennen hab' ich noch weniger Lust, als zum Rübenbau; in den sauren Kleiubahnavsel aber werde ich so oder so wohl beißen müssen. Dabet ewige Vorstellungen: die Leute würden auf Zirpshagen verwöhnt, auf die Dauer der Jahre könne das Gut meine Art zu wirtschaften nicht tragen und dergleichen schöne Dinge mehr, die jeder Be rufene und Unberufene zu sagen sich für berechtigt hält. Uüd dann daS Höhnen hinter meinem Rücken! Auf einer Herrengesellschaft bei einem Brünzower soll der Landrat neulich geäußert haben, es sei hohe Zeit, daß ich Seiner Majestät zu Fräulein Amtsrat vorgeschlagen würde. Es ist zum Verzweifeln! Klösters ist ja ein Praktikus, aber einer aus der alten Schule, und daß sein Blick besonders weit reichte, hat noch keiner behauptet. Ach, so gar keinen Menschen zu haben, aus den man sich verlassen, an dem man blindlings emporsehen möchte!" Den Kopf in die Hand gestützt, siebt Grete mit trostlosen Augen in die auf dem Schnee des Hofes flimmernde Wintersonne. Nach ein vaar Sekunden aber 'eb sn >-<>« Kinn und lauscht. Draußen klingelt ein Schlitten, und nun — nun löst er sich aus dem Dunkel der zivanzig Edel tannen, «die das Gehöft auf der Wetterseite schirmen, und ein paar Augenblicke später ist er mit einer scharfen Wen dung in das Hoftor einaesckwenkt. Gesuch?" , Die beiden Mädchen eilen ans «Fenster. ,^)as Fuhrwerk kenne ich nicht", sagt Renate, „und der Herr im Pelz — Gretens Augen starren noch auf den leeren Schlitten sitz, als dieser Herr längst auf dem Hausflur herumstampft. „Um Vergebung, Fräulein Gutsherrin! Ein armer Reisender bittet vor seiner Weiterfahrt nach Mannsöorf für ein Stündchen um Obdach." Grete sieht den großen Mann jetzt ebenso unbeweglich an, wie zuvor seinen Schlitten, bleich wie ein Marmorbild. ,^Vetter Werner!" ruft Renate, und nun endlich fragt Grete von Horsten beklommen: „Nach Mannsdorf?" Sie muß doch etwas sagen. Er schält sich mit Hülfe des Hausmädchens aus seinem Wolfspelz. „So!" spricht er dann, Befriedigung in Ton und Miene, mit dem Aufstampfen eines Menschen, der lange steif in einem Fuhrwerke gesessen hat, und reicht Grete die Hand, zugleich mit der Linken die von Cousine Renate schüttelnd. ,-So ungebeten ist noch selten jemand bei Ihnen ins Haus geschneit, werden Sie denken. Ich wollte aber doch nicht ohne ein Begrüßungswort an Zirpshagen vorbei fahren." ,-Si« sind auf Urlaub?" Er lackt. ,-Losgereist, auf kümmerliche zehn Lage, die ich bei Freund Schliebrück auf Mannsdorf und Umgegend jagend verbringen will. Aber Scherz bei Seite — passe ich Ihnen nicht, so werfen Sie mich nur gleich wieder aus die Land straße." Fräulein von Horsten hat ihm noch keinen Stuhl an geboten. Nun rückt sic einen Sessel an den Kamin. „Den Vorwurf der Ungastlichkeit soll man Zirpshagen nicht machen", svrickt sie dabei. „Um so weniger, als dessen Herrin noch vor fünf Minuten fehnlichft jemanden herbeiwüttschte, dem sie blind lings -" „Renate!" ruft Fräulein von Horsten, jäh die Farbe wechselnd. „Ja, was ist's denn so Schlimmes? Vertrauen ver dient unser Vetter doch", erwidert Renate lächelnd. Der Rittmeister lackt. „Jedenfalls nicht reichlicher, als augenblicklich eine Tafle Kaffee." „Wie töricht, nicht gleich daran gedacht zu haben!" ruft Renate und will hinaus. ,-Bitte, bleib!" Es klingt fast wie ein Befehl Gretes, die nun durch einen Druck auf die Klingel das Stubenmädchen herbei- ruft. Sie mag nickt mit Grieben allein fein „In Berlin erzählt man sich von Ihrem Wirken ja Wunderdinge, so daß auch ich weiß, Sie haben mehr zu tun, als sich bloß zu sehnen", sagt er, ihr gegenüber Platz nehmend. ,Ha." Etwas vornüber geneigt, sieht er ihr von unten herauf mit einem langen Blick in die Augen. Sie senkt die Lider nicht. Aber auch kein Lebenszeichen, nichts verrät, was, ja, ob überhaupt etwas in ihr oorgeht. „Das war scharf", seufzt er endlich. Sie zuckt nur die Achseln. Eine ganze Weile svrickt ketns ein Wort. Da — Renate ist eben mit dem Kaffeegeschirr beschäftigt — da beugt er sich wieder zu Grete von Horsten hin, dies mal so nahe, daß sein Atem fast ihre Wang« streift, als er flüstert: ,/Aber dennoch — ich glaub's Ihnen nicht, Grete Horsten." Um ein Haar hätte Grete die Taffe auS Renates Hand gestoßen, so rasch hat sie sich erhoben. „Sie treten hier auf wie ein Freier —" Das ist kein Flüsterton mehr — eS klingt wie eine offene Kriegserklärung. Nur mit einer Kopfbewegung dankt er Renate für den Kaffee, den sie für ihn auf «in Tischchen setzt, und spricht mit Innigkeit: „Und wenn ick «s täte? Wenn ich Sie hier, unter Renatens Augen, bäte, mich dafür gelten zu lassen, mir zu erlauben —" GretenS Gesicht durchhuscht ein gleichsam vibrierendes Zucken, das ihr für einen Augenblick einen ganz fremden Ausdruck verleiht. Heftig arbeitet ihre Brust, während sie hochaufgerichtet vor ihm steht, fast so groß, wie «r selbst. „Ich hatte geglaubt, in meinem eigenen Hause vor Ihnen Ruhe zu finden, Herr Rittmeister. Die Sühne, die ich mir vor Jahren selbst auserlcgte, Wichte ich bisher zu tragen imh werde anck ferner —" Weiter kommt sic nickt. DaS Zucken ln ihrer Miene wird zum Krampf. Aufschluchzcnd sinkt sie auf ihren Sitz zurück. „Aber Grete?" Renaten selbst scheint Hülfe hier machtlos. Zaghaft, zitternd beinahe, steht sie abseits, während der Rittmeister, die Arme über seine Jagdfoppe gekreuzt, in die knisternde Glut des Kamins schaut. Eine Weile hört man nichts als Gretens Weinen und
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