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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021007023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-07
- Monat1902-10
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Die Frage ist deshalb von Wichtig keit, weil nur im Zollgesetze Minimalsütze aufgestellt sind und also die für das Schicksal beider Vorlagen ent scheidenden Abstimmungen sehr bald erfolgen wurden, wenn das Zollgesetz zuerst beraten würde. Aus der Dis kussion darf man wohl schließen, daß zuerst über den die Minimalsätze enthaltenden 8 1 des Zollgesetzes, dann über den gesamten Tarif und zuletzt über den Rest des Zoll gesetzes beraten werden wird; wenigstens machte diesen Vorschlag der Vorsitzende der Kommission, -er jedenfalls mit den Mehrheitsparteien sich verständigt hat. Der Seniorenkonvent und 'die einzelnen Fraktionen werden indes die Frage noch eingehend prüfen und sich schwerlich bereitis am 14. Oktober darüber schlüssig machen. An Be- ratungtsstoff fehlt es auch dein Plenum während der ersten Tage nicht; denn die 40 Petitionsberichte, welche zu nächst auf der Tagesordnung stehen, erfordern zur gründ lichen Erörterung einige Zeit. Dadurch erhalten, auch wenn alsbald der 8 1 deö Zollgesetzes zur Beratung kommt, die Fraktionen noch eine kurze Frist zur Stellung nahme. Glaubt man freilich der „Kreuzztg.", so haben die Konservativen gar keine Neigung, ihre Haltung nochmals in Erwägung zu ziehen. Denn nach diesem Blatte legt man in konservativen und besonders in land wirtschaftlichen Kreisen nach dem Verlaufe der Kvmmis- sronsberatung dem Zustandekommen der Zolltarifreform kaum irgendwelchen Wert mehr bei. ES will dement sprechende Zuschriften täglich in wachsender Fülle erhalten. Wie man aber aus der eigenen Darstellung der „Kreuzztg." ersieht, gehen diese Zuschriften von der Annahme aus, -aß im Falle des Scheiterns der Regie rungsvorlagen künftig -er Fünfmark-Getrcide- zoll unseres alten autonomen Tarifs in Kraft treten würde. Ist das wirklich die Meimnrg, dann hätte, wie der „Schwab. Merk." nachwcist, die „Kreuz zeitung" die Pflicht, ihre Freunde im Lande schleunigst darüber anfzuklüren, daß sie sich in einem großen Irr tum befinden. Würden die bestehendcn,Handelsvcrtrügc am 31. Dezember 1803 außer Kraft treten, ohne daß neue Verträge vereinbart wären, dann träte allerdings der alte autonome Tarif in vollem Umfange in Wirksamkeit. Aber wer wird denn die Verträge kündi gen? Man hat vor kurzem den russischen Finanz minister als den 6ou8 ex maostina am Horizont erscheinen lassen. Aber will im Ernste jemand glauben, daß Herr v. Witte den deutsch-russischen Handelsvertrag aus eigener Initiative anfgeben werde? Der erbitterte Zollkrieg, der diesem Vertrage voranging, ist bei unseren östlichen Nach barn noch in einer solchen Erinnerung, daß es schwerlich einen russischen Staatsmann nach einer Wiederholung ge lüsten wird. Daß wir unseren Bedarf an fremdem Roggen auch anderswo decken können, hat sich in jener Kricgszcit gezeigt; wo aber Rußland für seinen Roggen die Abnehmer finden will, wenn ihm der deutsche Markt verschlossen ist. das ist und bleibt eine ungelöste Frage. Nein, Rußland so wenig wie Oesterreich-Ungarn oder Italien haben ein Interesse daran, die bestehenden Verträge mit uns zu kündigen; denn angesichts der Lage, die gerade durch unsere parlamentarischen Verhandlungen aller Welt offenbar ge worden ist, müssen sie sich sagen, daß sie so günstige Be dingungen bei uns schwerlich wieder erlangen werden. Eine Kündigung der Verträge von deutscher Seite aber ist, so lange die Errichtung eines für die Verhandlung über neue Vertrüge geeigneten reformierten Zolltarifs nicht gelingt, einfach ausgeschlossen. Somit sicht die Sache lediglich so: Kommt der neue Tarif zu stände, so erhöht sich der Getreidezoll in absehbarer Zeit, vielleicht vom 1. Ja nuar 1905 ab, ans 5 bezw. SsH kommt er nicht zu stände, so verbleibt es bei dem gegenwärtigen Zollsätze von Wenn die „Kreuzztg." diese Sachlage ihren Lesern recht klar macht, so kann sie sicher sein, von Zuschriften, als ob die Landwirtschaft an dem Zustandekommen des Tarifs kein Interesse mehr habe, aus ihrem Partcilager verschont zn bleiben. Der angebliche deutsch-englische Gehcimvcrtrag, in dem auch die Frage des Schicksals der portugiesischen Besitzungen in Afrika eine Rolle spielt, wird wieder in den Bereich der öffentlichen Erörterung gezogen durch den bevorstehenden Besuch des Königs von Portugal in London. Der Monarch soll angeblich seinen Besuch am englischen Königshof so lange ausdehnen, bis Kaiser Wil helm dort eintrifft. Dazu wird der „Voss. Ztg." aus Lissabon n. a. geschrieben: „Es ist hier kein Zweifel daran, daß dieser Köuigsreise eine große politische Bedeutung bcizumessen ist, da, wie hiesige Zeitungen melden, auch ein Zusammentreffen mit Kaiser Wil helm in London geplant ist. König Dom Carlos ist am eng lischen Hofe nicht nur eine sehr gern gesehene Persönlichkeit, auch sein politischer Einfluß ist dort groß; wenn die Diplo matie in ihren Plänen Schiffbruch gelitten haben sollte, so kann cs ihm nicht schwer fallen, wieder cinzulcnken und für sein Reich die größtmöglichsten Vorteile zu erzielen. Sein Gesandter in London, der Marquis v. Lovcral, ist plötzlich, ohne daß die Presse davon unterrichtet worden wäre, in Lissabon cingctroffen nnd hat als Gast des Königs im Palast von Eascacs Wohnung genommen, so daß über alle Verhandlungen und Unterhandlungen das tiefste Geheimnis bewahrt werden kann. In erster Linie wird die Königsreise mit portugiesischen kolo nialen Angelegenheiten in Verbindung gebracht, denn trotz aller offiziellen Dementis steht cs doch außer Zweifel, daß wichtige diplomatische Verhandlungen nm die Dela- goa-Bai und die umliegenden Häfen und Besitzungen an geknüpft sind. Es ist allerdings nicht anzunchmen, daß sich Portugal zu Gunsten Englands seiner Oberhoheit in den süd afrikanischen Besitzungen entäußern würde, Wohl aber ist cs wahrscheinlich, daß England derartige Vorrechte eingeräumt er hält, vielleicht auch den naheliegenden Hafen von Matola in Pachtvertrag bekommt, daß Portugal nichts weiter als der Schein der Souveränität verbleibt, mit dem sich dann der lär mende, gedankenlose Patriotismus der Portugiesen zufrieden geben mag. Von großer internationaler Bedeutung dürfte aber die Königsreise insofern sein, als die Stellung Portugals zum englisch-deutschen Geheimvertrage festgestellt werden soll. Die offiziösen Auslassungen über diesen Punkt lauten: Allianz, und durch dick nnd dünn mit England, mit Deutschland eine „kar diale Entente" in allen internationalen Dingen I Im Einver ständnis mit dem König Dom Carlos sollen nun die Grenzen und einzelnen Punkte dieses „herrlichen Uebereinkommcnö" mit Deutschland in London fcstgestcllt werden. Man dürfte wohl auch nicht fchlgehen, wenn diese Königsreise als ein Schachzug gegen den geplanten Zutritt Spaniens zum Zweibundc auf gefaßt wird." Ein rheinisches Blatt bemerkt zu -er möglichen Entrevue zwischen Kaiser Wilhelm und König Carlos, ob ein solches Zusammentreffen stattfinden könne, scheine nach -en bisherigen Zeitdispositionen nicht sicher, wenn aber die beiden Monarchen sich persönlich sehen und auösprechen sollten, so würde das sicher dazu beitragen, ein gewisses Mißtrauen, das manchmal von portugiesischer Seite gegen Deutschland geäußert wird, zu zerstreuen. Für hoch wichtige Verhandlungen und Abmachungen zwischen Deutschland und Portugal fehle aber eine Unterlage. „Wir wüßten nicht, über welche Materien zur Zeit zwischen den beiden Staaten politische Abmachungen getroffen wer den könnten." Wir auch nicht. AlS in -er ReichStagssitzung vom 10. Dezember vorigen Jahres die polnische Willkürherrschaft in Galizien durch den Abgeordneten vr. Sattler so überaus wirksam beleuchtet worden war, hat man gegen diese vollkommen zutreffende Schilderung von polnischer Seite leidenschaft lichen Widerspruch erhoben. Insbesondere ließen cs sich die Abgeordneten Fürst Radziwill, von Dziembowski- Pomian und von Komicrowski bei verschiedenen Anlässen angelegen sein, den Abgeordneten vr. Sattler wegen seiner Ausführungen über die Zustände in Galizien an zugreifen. Mit großer Betrübnis werden daher gerade diese polnischen Herren Kenntnis davon nehmen, daß ein deutsches, ihnen ganz nahestehendes Blatt, die „Köln. V o l k s z t g. ", in ihrer Nummer 885 vom 5. Oktober d. I. einen Leitartikel unter der Überschrift „Galizische Partei verhältnisse" veröffentlicht, der die Sattlersche Schilderung kurz, aber schlagend, bestätigt. Denn der Lemberger Ge währsmann der „Köln. Volksztg." sagt von der ausschlag gebenden volnisch - konservativen Partei Galiziens: „Diese Partei verteilt die Amterund läßt die Wahlen im Lande nach ihrem Willen mache n. " — Es entspricht den intimen Beziehungen der „Köln. Volöszlg." z»m Pvlcntmne, wenn der Lemberger Gewährsmann des führenden ZentrumSorgans nur ganz dezent die Tatsache der polnischen Willkürherrschaft in Galizien feststellt und über die Art ihrer Durchführung kein Wort verliert. Da von deutscher klerikaler Seite die Loyalität der galizischen Polen gegenüber dem öster reichischen Staate nicht selten damit erklärt wird, daß die galizischen Polen nicht gleich den preußischen bedrückt würden, so verlohnt es sich, auch in Bezug auf den be legten Punkt dem Lemberger tskwährsmannc der „Köln. Volksztg." duS Wort zu erteilen. Er schreibt wörtlich: „Tie herrschende Schlachta will Ruhe in ihrem Sinne, keine Konflikte und Verwickelungen . . . Ein selbständiges Polenreich wünscht die österreichische Schlachta nicht, da dieselbe in Galizien sich wirtschaftlich weit besser steht als in einem selbständigen Polenreiche." Hätte dergleichen ein Hakatist ausgesprochen, so würden die Herren von Dziembowski-Pomian und Genossen natürlich auf das lauteste über verunglimpfende Hetze rc. geklagt haben. Dem ungarischen König Matthias Corvin ns (regierte von 1458 bis 1480) ist in Klausenburg (Sieben bürgen) ein Denkmal gesetzt worden, das am 12. Oktober dieses Jahres feierlich enthüllt werden soll. An der in großem Stile geplanten Feierlichkeit wird sich auch der ungarische Reichstag korporativ beteiligen, Erz herzog Josef wird in Vertretung des Königs an wesend sein. Dem Umstand, daß auch die fiebenbür- gi sch-sächsischen Neichstagsabgeordneten nahezu vollzählig der Einladung zu der Feier Folge leisten werden, ist insofern auch von politischer Bedeutung, als dieselben offenbar hierdurch dem Gedanken Ausdruck geben wollen, daß sie, unbeschadet ihrer unerschütterlichen Treue zn ihrem angestammten deutschen Volkstum, mit ihrem ganzen historischen Empfinden im ungarischen Staatswesen wurzeln und diesem als Deutsche immerfort in der gleichen Treue anzugehören willens sind. Währen der Regierungszeit Matthias fand die fürchterliche Türken schlacht auf dem Vrvtscld (13. Oktober 1479) statt, in der die Sachsen unter Führung des Hermannstädtcr Bürger meisters Georg Hecht Stellung im Vordertreffen gefordert hatten, und in der die Türken der vereinigten Macht der Magyaren und Sachsen weichen mußten, nachdem in der höchsten Not der riesenhafte Magyare Paul Kinizsi mit seinen Hülfstruppen herbeigeeilt war. Ebenfalls in dieser Zeit (1459) schlossen „die drei ständischen Nationen", Magyaren, Szeklcr und Sachsen, in Mediasch einen heiligen Bund zur Beschirmung ihrer Rechte und Frei heiten. — Die geschichtlichen Reminiszenzen wären gewiß geeignet, in Magyaren und Sachsen das Gefühl wieder zu erwecken und zu stärken, daß die beiden aufeinander ange wiesen sind. An den Magyaren, als den weitaus stärkeren, läge es, den Deutschen die Freundeshand zu reichen, offen und ehrlich, ohne Hintergedanken, — ritterlicher könnten sie das Fest gewiß nicht feiern! Deutsches Reich. Berlin, 6. Oktober. (Anrechnung der.Krieg s- dienste für unsere Schutztruppen.) Kür unsere Schutztruppen in Südwestafrika, Ostafrika und Kamerun, sowie für die Angehörigen des noch in China verbliebenen verminderten Besatzungskorps sind drei kaiserliche Ver ordnungen wichtig, welche die Anrechnung der Kriegs dienste dieser Truppen regeln. Kür die Schntztruppen in Afrika gilt als Feldzug bezw. kommt als Kriegsjahr in Anrechnung: bei den Schutztruppen in Südwestafrika: das Patrouillengefccht bei Usib am 6. Februar 1901, Pa- trvuillengefecht bei Gorab am 8. Februar 1901 und Ge fecht bei Wilmannshoar 12. Februar 1901; bei den Schutz truppen für Ostafrika: Strafexpedition Jffansu-Jramba im April und Mai 1901, Ttraszng nach Uffaya vom 20. Juni bis 1. Juli 1901, Ueberfall durch die Massai bei Jkoma am 12. September 1901; für unsere Schutztruppc für Kamerun: Unternehmungen gegen die Ekois vom 5. Juni bis 23. Juli 1900, Unternehmungen gegen die Ost-Bulis vom 20. No vember 1900 bis 29. Januar 1901, Expedition gegen die Weyjembafse vom 1. bis 20. Dezember 1900, Expedition Jaunde-Ngtttte-Jabassi vom 21. Januar bis 10. Juni 1901, Bambuko-Expedition vom 8. Mai bis 31. Juli 1901, Ex pedition gegen den Häuptling Wocke vom 17. Februar bis 2. März 1901, Expedition gegen Manga vom 12. März bis 1. Mai 1901, Expedition gegen den Häuptling Tschimene vom 15. Juni bis 3. Juli 1901, Expedition gegen Ngoe im Bunde mit Njenjvk, Jemoe, Jemissem vom 11. Juni bis 25. September 1901, Expedition gegen Ngaundere vom 20. bis 23. August 1901, Expedition gegen Ngolos, Batangas, Bakundus und Balnes vom 21. Februar bis 31. Oktober 1901, Kümpfe gegen den Emir Zubern von Aola und seine Feuilleton. Compauia Cazador. sj Roman von Woldemar Urban. Ma<l>rr»<k vcrdoten. Fünftes Kapitel. Eine wahre Wunderwclt hatte man, wie alljährlich im Frühjahr, in den Schaubuden auf dem großen Pferde markt aufgebaut; da waren die Schlachtenpanoramen aus den Boeren- und Chincsenkricgcn, der größte und kleinste Mann der Welt, die Riesendamen, die Kasperletheater, die Würstchenbuden mit der unwiderstehlich duftenden Brühe in den Wurstkesseln, die Karussells, die Tierbude, die Menschenfresser, das Kalb mit sechs Beinen, die schlafende Griechin, das Affentheater und wer weiß, was noch für Wunder und Wunderlichkeiten, vor denen die kleinen und großen Kinder, wie man sagt, Maul und Nase aufspcrrten, wogegen die Großen, besonders die Polizisten und die Anwohner des Platzes selbst, die den ganzen Spektakel von früh bis Abends aus erster Hand genossen, von der Sache weniger erbaut waren. ES waren nämlich nicht nur die große Pauke des schrecklichen Mozzo, sondern noch andere nicht weniger aufregende Geräusche vor handen, die von den Hervorbringcrn freilich Musik oder gar „Parade" genannt wurden, in ihrer Gesamtheit aber doch einen sogenannten Mvrdspektakcl darstellten. Dazu kam, daß auch die „Fahrenden" selbst nicht durchweg Gold söhne waren. Kurz, eine solche Messe hat ihre zwei Seiten, wie jedes Ding auf der Welt, aber die Anschauungen der kleinen Welt, die das alles prächtig fand, siegten auch hier über die der großen, und so wiederholte sich jedes Früh jahr dieselbe Sache. Eine ganz besondere Attraktion bildete diesmal auf -er Messe die Mademoiselle Fifine des Monsieur August und sobald er sich nur in seinem bunten Clownkostüm, seine GanS untcrm Arm, sehen ließ und sein gebrochenes Deutsch iiber den Platz schallte, schoben und drängten sich die leuchtenden und sbaunendcn Ktndergestchtcr an ihn heran. Eine dressierte Gans! Die Gans ist in Deutsch land überall ein sehr populärer Vogel. Er schmeckt gut, wenn er hübsch gebraten ist, und in seinen Federn schläft man warm und schön. Und nun war eine Gans da, die exerzierte wie der gelehrigste Rekrut. „Komme Sie 'er, Mademoiselle Fifine", klang das wunderliche Kauderwelsch des Monsieur August iiber den ganzen Platz, „wie macht der Err Unteroffizier? Eins, zwei! Eins, zwei! Eins, zwei!" Die Kleinen schrien laut auf vor Vergnügen, wenn die Gans steif nnd ernst wie ein Pastor über den Teppich stolzierte und die Großen schmunzelten überlegen, alle aber sahen sich die Lache mit großem Behagen an un legten auch gern ihren Nickel auf den Teller, wenn die Reihe an sie kam. Es war garnicht mehr daran zu zweifeln, Mademoiselle FifiNe war ein Schlager und Monsieur August der Stern der Compakua Cazador. Man hatte in drei Tagen schon über hundert Mark kassiert, und der Besitzer des Affentheaters, ein kundiger Mann in seinem Fach, bot Monsieur August tausend Mark für seine Gans und fünf Mark für jeden Spieltag. Die Ver lockung für den jungen, ehrgeizigen Geschäftsmann war groß, aber ein Blick auf Isa hatte entschieden — er blieb der Compaüia Cazador treu. Trotz aller dieser Triumphe war der alte Direktor Cazador gerade in diesen Tagen niedergeschlagener, ernster, trüber gestimmt wie je. In den ersten Tagen war er gar nicht von der Leiche seiner Frau, die er im Wohn wagen aufgebayrt, fortgekommen, und wenn draußen vor dem Wagen Monsieur August seine Stimme erschallen ließ, der Mozzo „Parade" machte, Isa im kurzen Kleidchen einsammelte, das fröhliche Kindcrlachcn der Zuschauer zu ihm hereinschalltc, saß er stumm und traurig, den Kopf in die Hand gestützt, die Tränen im Auge, vor seiner toten Fran, seiner Eslava, der treuen Genossin seines ruhe- losen, unglücklichen Wanderelcnds. Was war nun sein ganzes Leben? fragte er sich, müde und alt. Eine fortgesetzte Kette leerer Hoffnungen und Enttäuschungen, in denen sich die kärglich zugcmcssenen glücklichen Stunden, die er in der Liebe zu seiner Frau und zu seinem Kinde fand, ansnahmen, wie die Oasen in der Wüste. Was mit zwanzig, dreißig Jahren noch nie- mand fühlt, das Unstü'tc des Wanderlebens, das Aermliche und Jämmerliche der Wind und Wetter ausgesetzten Existenz, den Fluch der Lächerlichkeit und der Verachtung, der auf dem ganzen Stand seiner Leidensgefährten ruhte, das fühlte er nun mit seinen fast sechzig Jahren mit voller Wucht und Schwere. Dazu kam bei ihm noch die zu späte Einsicht, daß er selbst in seiner maßlosen Leidenschaftlichkeit den Grund zum Niedergang seiner Existenz gegeben, di« Neue, die ihm die Heimkehr in die Heimat um so fühl barer machte. Seit er wieder das HauS gesehen, in dem er geboren, sah er Mit greifbarer Deutlichkeit vor sich, wie alles hätte sein können und sollen, und wie es war. Er konnte auch sein, was der alte Rechtsanwalt Habicht heute war, und statt dessen war er ein elender Schmieren direktor, ja, weniger als das, ein hcrumzichendcr alter Gaukler, den jeder Schutzmann ungestraft anranzen konnte, wie den ersten besten Tagedieb und Bettler. Diese Stimmung hielt in ihm auch an, nachdem Eslava schon begraben war. Es schien, als ob er sich von diesem Schlag nicht wieder zu erholen vermochte. ES war gegen Abend. Direktor Cazador saß stumm in seiner Versunkenheit in seinem Wohnwagen und starrte durch das kleine Wagenfensterchen hinaus über den Meßplatz und seinen Trubel, ohne etwas wahrzunehmcn, ganz in seine Gedanken vertieft. Isa trat ein. Die Vorstellung war eben zu Ende und sie schüttete aus dem Tambourin, das sie in der Hand trug, die eben ein gesammelten Nickelmünzen in eine lederne Umhänge tasche, die an der Wand hing. Ihr Vater bemerkte sic nicht gleich. Einen Moment stand sie still und beobachtete ihn von weitem, dann aber trat sie rasch mit der ganzen südlichen Leidenschaftlichkeit, die ihr eigen war, näher, schlug ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn erregt und heftig mehrere Male auf den Mund. „Vater!" bat sie leise und innig. Er sah sie einen Augenblick stumm an, dann erhob er sich seufzend und sagte: „Ja, du hast recht, mein Kind. Ich darf mich nicht niederwerfen lassen. Ich habe die Pflicht, das Meine zu tun, damit cs dir nicht im Leben ebenso geht wie mir. Du bist mein stolzes, schönes Kind. Du sollst nicht durch all den Schmutz und daS Elend gehen, das meinen Weg besudelt. So lange ich atme, will ich tun, was in meinen Kräften steht, um dich davor zu bewahren." „Ich verstehe nicht, was du meinst, Vater", sagte sie einfach und naiv. „Seid ihr fertig, -a draußen?" fragte er statt aller Antwort. Ja." ',«o ziehe dich um, Isa, du sollst mit mir einen Besuch machen." „Einen Besuch?" fragte sie erstaunt. „Ja, einen wichtigen svtxar. Mache dich hübsch. Heute soll sich dein Schicksal entscheiden. Du fühlst dich doch wohl?" „Vollständig, was soll mir denn fehlen? Aber willst du mir nicht sagen, was du vorhast?" „Du wirst es ja gleich sehen. Ich bin denselben Weg gegangen, damals noch an der Hand meiner Mutter. Ich war kaum zwölf Jahre, aber was für himmelstürmende Hoffnungen belebten mich! Sic haben mich alle betrogen. Aber dich werden sie nicht betrügen, du hast, was mir fehlt.' Jetzt wußte Isa schon, nm was es sich handelte. So lange sie denken konnte, hatte ihr Vater sich mit ihrer musi kalischen Ausbildung beschäftigt. Schon als Kind hatte sie Geige spielen lernen müssen und es darin zu einer gewissen Ausdrucksfäliigkeit ihres Gefühles gebracht. Ihr Vater selbst warMusiker und auf dem sehr renvurmierteu Konser vatorium seiner Vaterstadt ausgeb.ilLLt worden. Aber der Sturm des Lebens hatte auch diese Blüten entblättert. Die eigene Unruhe hatte ihn an der Entwickelung seiner An lagen verhindert. Ein einziges Mal hatte er cs zu einem selbständigen Konzert in Paris gebracht, aber das Resultat war der Verlust des Wenigen, was ihm noch von seinem Vermögen geblieben war. Am nächsten Tage stand er bettelarm ans der Straße und mußte, um zu leben, in den Kneipen der äußeren Boulevards geigen. Diese Jammer existenz verleidete ihm bald die ganze Kunst. Es hatten ihm eben Ausdauer und Energie gefehlt, sich durchzuringen, und so war er mit seiner Kunst, nicht aus Mangel an Be gabung, sondern aus Mangel an gewissen günstigen Um ständen, ohne die sich ein armer, unbekannter Künstler nun einmal nicht zur Geltung bringen kann, gescheitert. Nur manchmal, wenn sie an stillen Sommcrabenden in einer hübschen Gegend Rast machten, griff er nach der Geige und gab seinem Innern damit Ausdruck. Isa kannte das wohl. ES hörte sich immer so weich und wehmütig an, wie ein Echo längst vergangener Zeiten. Dann war Isa herangewachsen und der alternde Mann hatte sich des Kindes bemächtigt, bas er immer mehr und mehr wie eine Verkörperung seiner eigenen künstlerischen Träumereien anzusehen sich gewöhnte. Er lehrte sic alles, was er selbst konnte, aber allmählich fühlte er wohl, daß das nicht ansreichte. Es hatte ja auch für ihn nicht aus gereicht und sein Kind sollte nicht in den Pariser Boule vard-Kneipen zu Grunde gehen, sondern eine große, gottbe. gnadete Künstlerin werden. Das war eigentlich die Haupt triebfeder seiner deutschen Reise. Er hatte vor den deutschen Musikschulen einen hohen Respekt und wollte alles drauf setzen — bis aufs Hemd — um Isa eine solche Ausbildung geben zu können. Seit Jahren hatte er davon gepredigt und erzählt, daß Isa nach Deutschland müsse, um ihre Stimme auSStlden zu lassen, denn nur in Deutschland
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