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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021008024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-08
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Tabellarischer und Ziffernsah entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). «rtra-lvetlagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesSrderung SO.—, mit PostbesSrderung ^l 7V.--. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgrn-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Di« Tipedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abeud» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Po 1z in Leipzig. Stu 513. S6. Jahrgang. Mittwoch den 8. Oktober 1902. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Oktober. Die mutigen und bedeutsamen Auslassungen des konser vativen Abg. vr. v. Krege über die Stellung der Konser vativen zum Zolltarif möchte dir „Disch. Tgsztg." mit einem ebenso billigen wie boSbaften Witze über da» Frrgesche „Testament" gern in» Lächerliche ziehen. Auf diesem Wege folgt ihr aber die „Kreuzztg." nicht, die vielmehr schreibt: Es ist bedauerlich, daß Herr v. Frege durch seine Krankheit verhindert war, seine abweichende A «sicht in der Fraktion mit dem Nachdruck gellend zu machen, den er jetzt, nach seiner Ge- nesung, seinen Darlegungen zu geben weiß, und wir zweifeln nicht daran, daß, wenn er nun al» völlig Gesundeter in dec Fraktion wiederholt, wa» er in der Leipziger ökonomischen Sozietät gesagt hat, seine Ausführungen di« gebührende Beachtung finden werden. DaS ist ohne Zweifel ernst gemeint, umsomehr, als das Blatt an anderer Stelle die Bemerkung macht, es halte die Aussicht auf eine Wendung zum Besseren für nicht völlig ausgeschlossen. Da aber die Regierung auf ihrer Vorlage beharrt, kann diese „Wendung zum Bessern" nur von den Konservativen auSgeben. Für die Festigkeit der Regierung in Bezug auf die Getreidezollhöbe werden übrigens wieder, unseres Erachtens überflüssige, Zeugnisse abgelegt von der „Natlib. Corr." und den „Bert. Pol. Nachr.", die beide mit verschiedenen Worten dasselbe versichern, daß nämlich die bekannte Stellungnahme der Regierungen „weder revisionsbedürftig noch revisionsfähig" sei. Mit dieser Tat sache werde sich auch daS Organ des Bundes der Landwirte abfinden müssen. Dann heißt e» in dem letzteren Organ werter: Ebenso wird e» wie der Bund der Landwirte selbst sich der Weiteren Tatsache nicht verschließen dürfen, daß das leitend« Portei blatt der Sozialdemokratie nicht» dringlicher wünscht, al» das Scheitern der Tartfvorlage und volle Zuversicht auf Erfüllung diese» Wunsche» kundgibt, indem r» kurzweg sagt: „Die Sozial- demokratle wird alle» in Bewegung setzen, um den Kommissions vorschlag und den Regierungsentwurf in die Grube zu senden." Wenn da» sozialdemokratische Blatt in einer so dreisten, an Über mut grenzenden Sprache sich gefällt, so liegt der Grund offenbar in der Überzeugung, daß der sozialdemokratischen Taktik eine überaus wirksame Unterstützung aus den ernsten Schwierigkeiten erwächst, welche die einseitig agrarischen Forderungen dem Zustande kommen deS Tarifs bereiten. In dieser Hinsicht begrüßen die Sozial- demokraten die extremen Agrarier von der „Deutsch. TageSztg." offenbar als höchst willkommene Bundesgenossen zur Erreichung ihrer gegen jede Verstärkung deS Zollschutzes für die Landwirtschaft gerichteten Bestrebungen. Gelingt es den Sozialdemokraten, diese ihre Absicht dadurch zu erreichen, daß die Zolltarifvorlage unter Mitwirkung dieser Extremagrarier scheitert, so werden die deutschen Landwirte sich mithin in erster Linie bei der Leitung deS Bundes der Land wirt« dafür zu bedanken haben, daß sie in ihrer hülfsbedürstigen Notlage verbleib«! und nach wie vor de» notwendigen Zollschutzes entbehren müssen. Das ist zwar nichts Neues, aber eS ist manchmal und auch diesmal Pflicht, mehrmals dasselbe zu sagen, denn wir geben die Hoffnung nicht auf, daß der Fregesche Standpunkt über ein Kleines auch in der konservativen ReichstagSfrakiwn zur Geltung kommen wird, so bald sie zu der Erkenntnis gekommen ist, daß das Zentrum seinen Frieden mit der Negierung machen will. Wir werden über diese SinneSwandlung hoch erfreut sein, auch deshalb, wie wir eingestehen, weil eS für die nationalliberale Partei daS Anerkenntnis sein wird, ihren Stanvpunkt zum Zolltarif von vorn herein richtig gewählt zu haben. Das bat auch Herr v. Frege selbst ausgevrückl, wenn er in seiner Rede sagt: Man findet jetzt in der nationallibe ralen Partei das größte Interesse sür die Fragen der Landwirtschaft. Hoffentlich wird dies vor dem Verdacht der Parteilichkeit sichere Urteil, um mit der „Krzztg." zu reden, die gebührende Beachtung finden. Durch die Blätter ging dieser Tage eine zusammenfassende Statistik, nach der die Zabl der Deutschen in Europa 76 536 000 beträgt. Im Anschluß daran ist gewiß eine Übersicht über die Verbreitung Ver Deutschen über die ganze Erve von Interesse, die wir den Mitteilungen deSAllgem. DeutschenSchul- vereinS entnehmen. Nächst rem europäischen weist das amerikanische Deutschtum die größte Kopfzahl auf. Leben doch allein in den Vereinigten Staaten 10000000 Menschen deutscher Nationalität, Kanada zählt deren 400000, daS übrige Nordamerika 7000. In den M i t t e l a m er i ka- nischen Freistaaten wohnen 8000 Deutsche, auf den West indischen Inseln etwa 10000; Südamerika zählt 495 000 Deutsche, davon darf man allein auf Brasilien 400000 rechnen, die übrigen verteilen sich etwa wie folgt: Ko lumbien 3000, Venezuela 5000, Uruguay 5000, Argentinien 60000, Paraguay 3000, Chile 15000, Peru 2000, sonstige Gebiete Südamerikas 2000. Zu sammen also beträgt die Kopfzahl der Deutichcn in allen Gebieten Amerikas 10 920 000. Dem amerikanischen zunächst, aber in weitem Abstand von diesem folgt das Deutschtum Afrikas. Insgesamt beläuft sich dies auf 623 000 Menschen. Der geringste Teil davon sitzt in den deutschenSchutzgebieten, die nicht mehr als 3600 Deutsche zählen. Außer den 7000 Deutschen in Egypten und den etwa 10 000 im übrigen Afrika, besonders in Algier, sitzen die Afrikaner deutscher Nationalität alle im Süden in der Kapkolonie und den jetzt ebenfalls britisch gewordenen Boerenfrei st aalen. Noch viel weniger als in Afrika sind der Deutschen in Asien. In diesem ganzen gewaltigen Erdteil zählt man deren nur 88 000. Am stärksten an dieser Zabl beteiligt ist Südasien, besonders Nieder- ländisch-Indien, wo man ihre Zabl auf 50 000 schätzt; nächst- dem kommt Russisch-Asien mit Kaukasien nut 30000 Deutschen. Türkis ch-Asien mit Palästina zählt 5000, China (fast ausschließlich in seinen Vertragshäfen) 1500, Japan 1000, Deutsch-Kiautschau 800 Deutsche. Mehr Deutsche als dieser weitaus größte beherbergt der kleinste Erdteil Australien. Auf dem australischen Festlande mit Neuseeland sitzen 106 500 Deutsche, außerdem 400 in den deutschen Schutzgebieten der Südsee, 1600 auf Hawai und 1000 auf den übrigen Südseeinseln; alles in allem 109 500 Deutsche. All diese Zahlen können keinen Anspruch auf ganz unbedingte Genauigkeit machen. Sie beruhen nur auf allerdings sorgfältigen Schätzungen auf Grund der Ergebnisse der jeweils letzten Volkszählungen. Die jüngsten dieserZäblungen fanden in den Jahren 1897 und 1898 statt. Im übrigen jedoch mußte bei den Schätzungen mit dem Material der Zäblungen aus früheren Iabren, großenteils noch auS dem Jahr« 1890 gerechnet werden. Im ganzen dürften daher die Zahlen eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein. E» ist also gewiß nicht zu viel gerechnet, wenn man, alle di« aufgesÜhrten Zahlen zusammengerechnet, sür das Deutsch tum auf der ganzen Erd« eine Kopfzahl von 88 276 500 annimmt. Die Oktober-Nummer der englischen „National Review" bringt einen Aufsatz über die deutsche Politik und deren vermeintliche Versuche, „England auf die deutsche Seite zu ziehe n". Der Verfasser meint, Deutschlands Absicht sei, die englische auswärtige Politik unter seine Kontrole zu bekommen. Aus diesem Grunde habe mau so eifrig darauf hingewirkt, daß Mr. Brodrick an den deutschen Manöver« teilnehme. Der Kaiser sei der Ansicht gewesen, daß man in Europa denken werde, ein Land, dessen Kriegsminister an den Manövern einer frem den Macht teilnehme und bei dieser Gelegenheit dekoriert werde, müsse mit diesem Lande in ganz besonders nahem Einverständnis stehen. Diese Politik, England mit der deutschen Politik zu verquicken, werde der Kaiser bei seinem bevorstehenden Besuch in Sandringham fortsetzen. Der Welt werde dann noch deutlicher klar gemacht iverdcn, daß England in der Politik der deutschen Leitung folge. Der „Spectator" hält diesem Artikel einer eingehenderen Be achtung wert und kommt zu der Überzeugung, daß er im Grunde genommen die Politik des deutschen Kaisers richtig darstellc. Der Dreibund sei so zu sagen zerbrochen. Die Schale, die ihn zusammenhalte, fei dünn wie eine Eierschale. Mittlerweile versuche Italien mit Rußland und Frankreich Freundschaft zu schließen, während Österreich, alarmiert durch die Politik Preußens in Preußisch Polen und durch Deutschlands Vorgehen in Konstantinopel und in der Le vante, keine Lust verspüre, für Preußen Opfer zu bringen. Spanien, bisher ein getreuer Gefolge des Dreibundes, werbe mit großer Schnelligkeit französisch gesinnt, und Frankreich sei so gestärkt, daß es sich nicht mehr eine Be handlung von Deutschland gefallen lasse, die es noch vor 10 oder 15 Jahren geduldig hingenommen haben würde. Endlich erwecke die pangermanische Bewegung, die von hoher Seite geheime Unterstützung erhalte, großes Miß trauen. Selbst die Schweiz sei durch diesen Pangermanis- mus berührt worden, und in Osterretch-Ungarn errege der- selbe ernstlich Bedenken. Nachdem der „Spectator" sich auf diese Weise selbst eingeredet hat, daß Deutschland heute isoliert ist, stellt er Untersuchungen darüber an, ob eS für England angebracht sei, mit einem so isolierten Lande in nähere Beziehungen zu treten. — Derartige Faseleien kann man in der Tat nicht anders abtun, als mit der Schluß bemerkung des „Hamb. Eorrcsp.": Wir verzichten daraus, diesem Wahnsinn, der nicht einmal mehrMcthodc hat, weiter zu folgen, und sprechen lediglich dem englischen Publikum, dem solch politischer Kohl vorgesetzt wird, unser aufrichtiges Beileid auS. Die Einwanderung der Tschechen nach Niederösterreich, besonders nach Wien und in "die Umgebung der Haupt stadt, bauert ungehindert fort, und das einst kerndeutsche >kronland wird immer mehr zu einer sprachlich gemischten Provinz. In den Bürger- und Volksschulen Wiens wur den am 15. Mai 1900 neben 167 363 rein deutschen Kindern 1148 tschechische und 15 915 mit deutscher und tschechischer Sprache, also über 17 000 Kinider tschechischer Herkunft ermittelt. In jedem der zwanzig Stadtbezirke Wiens gibt es jetzt tschechische Minderheiten. Am stärksten ist das Tschcchentum vertreten in der Lcopoldstadt, wo über 1500 Kinder tschechischer Abkunft sind, dann in den Bezirken Landstraße, Brigittens» und Ottakring, wo 1802, 1184 und 1757 Kinder deutsch und tschechisch reden, besonders aber im Bezirk Favoriten, wo gegen 4000 Schulkinder tschechische Eltern haben. Tie rein tschechische Privatschule im Be zirke Favoriten wird von etwa 800 tschechischen Kindern besucht. In den Ortschaften um Wien, besonders in den Bezirken Mödling, Floridsdorf und Brnck an der Leitha, haben sich auch starke tschechische Minderheiten eingenistet; nicht weniger als 3890 deutsch und tschechisch sprechende Schulkinder wurden in den drei Bezirken ermittelt. In vielen ursprünglichen ganz deutschen Dörfern, wie in Eber- gassing, Hennersdorf, LeopoldsSdorf, Untersiebenbrunn, Vösendorf, Wienerneudorf u. a., ist heute bereits die deutsche Bevölkerung von dem tschechischen Proletariat überwuchert. In ganz Niederösterreich wurden 1900 873 931 deutsche, 2074 tschechische UN- 24 615 deutsch tschechische Schulkinder gezählt. Deutsches Reich. Berlin, 7. Oktober. (Zum Eisenacher Dele giertentage.) Die Zahl der ange meldeten Teilnehmer an der Eisenacher Tagung hat bereits das sechste Hundert überschritten. — Neue Anträge sind ein gegangen: aus Hannover, aus dem Wahlkreise Bernkastel- Wittlich, aus Nürnberg und aus Elberfeld. Der eine hannoverische Antrag wünscht, -en für den dritten Tau iMontag) in Aussicht genommenen Gegenstand „Organi sation und Wahlvorbereitung" auf die Tagesordnung des zweiten Tages iSonntag), imd den bereits eingereichteu „Antrag Hannover", betreffend die Verteilung der Dele gierten auf die einzelnen Landesteile, auf die Tages ordnung des ersten oder zweiten BerhanblungStages zu setzen. — AuS dem Reichstagswahlkreis Bernkastel-Wittlich wird beantragt, in jedem Jahre einen allgemeinen Partei- tag für das Reich einzuberufen. Den Ort der Tagung setzt der Parteitag des vorhergehenden Jahres fest, den Zeit punkt bestimmt der Zentralvorstand. — Der Antrag Nürnberg (nationalliberale LandcSpartei Bayern r. d. Rh.) lautet: Die nationalltberale Reichstagsfraktion wird ersucht, baldmöglichst einen Antrag dahingehend zu stellen, daß die Grenze für Gewährung der Altersrente auf Grund des Invalidenversicherungs gesetzes vom 70. auf -aß 65. Lebensjahr herabgesetzt wird. — Aus Elberfeld wird beantragt: Der Zentral vorstand wolle beschließen: „In der Erwägung, daß der Delegiertentag die Stimmung und Ansicht aller Partei genossen möglichst klar zum Ausdruck bringen soll und daher den Delegierten Gelegenheit geboten sein mutz, sich über die zur Beschlußfassung kommenden Anträge mit anderen Vertrauensmännern ihre» Wahlkreise- zu be sprechen, beschlicht der Zentralvorstand: 1) den Referenten in Zukunft es zur Pflicht zu machen, ihre Resoluttonen spätestens 14 Tage vor dem Delegiertentag dem Geschäfts führenden Ausschuß ernzureichen; 2) diese Resoluttonen und die anderen bis dahin eingogangenen Anträge un verzüglich allen angemeldeten Teilnehmern des Dele- giertcntagcS zuzustellen, mit der Aufforderung, etwa be absichtigte Gegenanträge so zeitig mitzuteilcn, daß sie noch in der vor dem Delegiertentag stattfindenden Sitzrrng des Zentralvorstandes zur Besprechung gelangen können." * Berlin, 7. Oktober. (Streik- und AuS« sperrungSstat 1 sttk.) Die im neuesten „Vierteljahrs heft zur Statistik des Deutschen Reichs" enthaltene Statistik der AuSstände und Aussperrungen im zweiten Vierteljahr Feuilleton. Comparria Cazador. 7j Noman von Woldemar Urban. r>iaL,ruck verboten. Es war in der Dämmerung, als Isa mit ihrem Vater die Wohnung des Herrn Professor Hennig wieder verließ. Kaum drei Häuser davon entfernt, begegnete ihnen auf der Straße der Rechtsanwalt Habicht II. Wie ging das zu ? fragte sich Isa ganz erschrocken. Er mußte in der Straße auf sie gewartet, oder ihnen vielleicht schon vorher gefolgt sein. Sie mußten ganz dicht an ihm vorüber. Er grüßte sehr verbindlich und freundlich, aber Isa sah aus die andere Seite der Straße. Ihr Vater dankte flüchtig, sie merkte eS, weil sie hart neben ihm herging, aber ihr wäre es für alle Schätze der Welt nicht möglich gewesen, dem Manne ins Gesicht zu sehen. Die Aufregung überwältigte sie, schon wenn sie ihn sah. Unwille, Zorn, Haß stieg in ihr auf, wenn sic an ihn dachte. Immer noch klang ihr seine spöttisch ironische, verächtliche Stimme im Ohr, mit der er sagte: Was zum Teufel ist denn das? Hollah, mein schönes Kind, das geht nicht so rasch. Sie hätte ihn prügeln mögen für die Mißachtung, für den wegwerfenden Übermut, mit dem er ihr in ihrer Not, in ihrem Elend gegenüber ge treten war. „Was hast du denn, Isa?" fragte ihr Vater. „Du zitterst." „Es ist nichts, eS wird vorübergehen", antnwrMe sie. Es wurde wieder still zwischen ihnen. Erst nach einer langen Weile fuhr ihr Vater fort: „Und wenn alle Hindernisse überwunden sind, Isa, wenn alles klappt, was jetzt noch unsicher ist, so wirst du trotzdem einen sehr schweren, mühevollen nnd gefährlichen Weg vor dir haben. Eine Künstlerin muß viel entbehren, muß entsagen, entsagen und immer wieder entsagen. Ver stehst du, was ich meine, Isa?" „Nein, Vater." „Du darfst dich nicht irre machen lasten, weder durch Haß noch durch Liebe. Wer in der Kunst, die du dir er wählt. etwas leisten will, mutz frei und unabhängig sein. Verstehst du? Laß dich nicht mit ihm ein." „Mit wem? Mit dem jungen Herrn Habicht?" Ihr Vater nickte. „Er ist der Sohn seines Vaters. Die Leute haben kein Herz. Sie glauben an nichts, sic lieben auch nichts, nichts als sich selbst. Nimm dich vor ihm in acht, sonst wird er dich sehr unglücklich machen." „Set ohne Sorge, Vater." Unwillkürlich hörte Isa wieder die Stimme ihrer Mntter, mit der sie ihr geheimnisvoll und märchenduftig die Geschichte von Don Juan de Maüara erzählte, der auf sein Schwert schrieb: Ich glaube nichts, ich liebe nichts, ich hoffe nichts und im Palacio della vanidad seinen Degen verlor. „Sei ohne Sorge, Vater", sagte sie nochmals, aber fester und zuversichtlicher als das erste Mal. Sechstes Kapitel. Monsieur August hieb eigentlich Heinrich Altmüller und stammte aus einem kleinen Städtchen im Oberelsaß, wo seine Mutter einen Gasthof besah. Sein Vater war früh gestorben und seine Mutter, die zu dieser Zett noch eine junge Frau gewesen, hatte ein zweites Mal geheiratet. Da waren denn für den guten Heinrich oder Heini oder Henri schlechte Zeiten gekommen. Lein Stiefvater machte mit dem wtderhaarigen, trotzigen und leicht aufsässigen Burschen wenig Federlesens. Es war zu schlimmen Szenen gekommen und wäre wohl noch zu schlimmeren gekommen, wenn Heinrich nicht zur rechten Zeit die Sache satt be kommen und seiner Wege gegangen wäre. Das kleine, halb in den Bergen versteckte Nest, „wo der Teufel seine Jungen nicht sucht", paßte dem aufgeweckten, lebhaften Burschen schon lange nicht mehr. Er wollte die Welt sehen und sein Glück machen. So war er ausgerückt und — Monsieur August geworden. Das war natürlich nur sein nom cis pmsi-ro. Er liebte es nicht, von seinen Verhältnissen zu sprechen, gab sich gern für einen Pariser auö und tat, als verstände er keine drei Worte Deutsch, was doch seine Muttersprache war- DaS gehörte zum Teil zu seinem Geschäft und war in dem sonderlichen Geschmack des Jahrmarktspublikums be gründet, daS daS Fremde, weit Hergekommene viel inter essanter findet, als das Einheimische. Monsieur August hätte mit seiner Fifine bei weitem nicht den Effekt erreicht, wenn er im elsäfser Dialekt oder im guten Deutsch ge sprochen, den er erzielte, wenn er das Deutsch verball hornte und radebrechte, datz einem Hören und Sehen verging. Wenn man seinem Eigensinn und seinen kleinen Eigen heiten nachgav, war Monsieur August brr gutmütigste, liebenswürdigste Mensch, den man finden konnte, leicht lenkbar, aufrichtig, ja sogar aufopfernd und von un wandelbarer Treue und Anhänglichkeit. Wie alle Menschen, die sich allein und einsam in der Welt sehen, schloß sich Monsieur August gern und fest an Leute an, die ihm gefielen. Seine Freundschaft hielt Stich unter allen Umständen. Nun saß Monsieur August auf der kleinen Holztreppc, die zu dem Wohnwagen der Compana Cazador hinauf führte und zählte sein Geld, daS er in emem Lcderbeutel um den Hals gehängt trug. Er war noch in seinem Clownkostüm, mit brandroter, hoch aufgcpuyter Werg perücke, das Gesicht mit Kleide eingcricben und roten Tupfen aus Boltsfarbe verziert, wie sich das für einen richtigen Clown gehört. Lein Kostüm bestand aus einer unendlich weiten und faltigen Kinderkutte, die vom Hals bis zu den Füßen reichte, grell gelb und weiß gestreift, auf dem — verlängerten Rücken zwei schöne rote Rosen aus Taffet aufgenüht. Das Weinen war ihm offenbar näher als daß Lachen, nnd manchmal lag sein Blick wehmütig und tränenfeucht auf dem Mozzo, der eine Stufe tiefer auf derselben Treppe saß. Was sollte nun werden? Die Auflösung der Compana Cazador ging ihm zu Herzen. Adieu, du schöner Traum vou Renz, Souliv und Sanger, dachte er, denn das mar doch nun alles vorbei. Seit er wußte, daß Isa dem Neiselebcn Balet sagen wollte, war alles vorbei. Er konnte sich seine Zukunft, wie überhaupt das Leben nur an der Seite Isas vorstcllen. Nun verschwand diese von seiner Seite, und sofort wurde alles dunkel, verworren und un klar. Was sollte nun werden? Er wußte ja wohl, daß Isa zu fein und zu gut für daS Wanderleben der Reise war. Da gehörten solche Burschen hin, wie er einer war, stumpf gegen bas Schicksal, empfindungslos nnd gleichgültig für das Hoch und Nieder des Lebens. Ein Orden auf der Brust oder eine rote Taffctrose an einem anderen Ort — was lag ihm daran? Aber bei Isa war das anders. Kurz, es mußte Geld her geschafft werden, damit Isa keinen Mangel litt und nicht vielleicht in der Not irgend einem Troddel zufiel. Es half alles nichts, Mademoiselle Fiftne mußte svringen. Denn die paar Taler, die er hatte, reichten nicht wett. „Machen Sie keine Dummheiten, Monsieur August, hatte Direktor Cazador zu ihm gesagt, und verkaufen Sie Fifinc nicht. Tic geben Ihre Selbständigkeit damit auf, und Fifine ist doch unter allen Umständen ein gute», sichere» Einkommen kür Vie." „Sie mutz springen", murmelte Monsieur August fast ingrimmig vor sich hin, „Fifinc mutz springen und wenn sie meine Schwester wäre." Dabei fiel sein Blick aber doch etwas wehmütig durch die halboffene Tür des Wohnwagens, wo das arme, be dauernswerte Geschöpf, zu dessen schnöden Verkauf sich der Clown soeben fest entschlossen, hinter einem Verschlage stand und ahnungslos an einigen Kohlblättcrn schnatterte. Fifine war die schönste, reinlichste Gans ihres Geschlechts. Sie war uneigennüvig, aufopferungSfühtg, geduldig, in telligent und lernbegierig. Sie hatte die ganze Compana Cazador in Angoulöme durch ihre hervorragenden Kunst leistungen vom sicheren Untergang gerettet und begnügte sich nach wie vor mit einigen Kohlblüttern. Wo fand man eine größere oder auch nur ähnliche Uneigennützigkeit? War sic nicht ein leuchtendes Vorbild für die Menschen, die in dem wüsten Kampfe nm das Mein und Dein zu Ver brechern, zu Spitzbuben und Mördern, zu Bestien werden ? Mademoiselle Fifine hätte sicher einen Orden bekommen oder wäre in den Adclstand erhoben worden, wenn sie ein Mensch gewesen wäre. Aber sie war nur eine Gans. Monsieur August wurde immer weichmütiger, je länger er sie ansah. War er nicht der hartherzigste, hinterlistigste Schurke der Welt, der ein so gutes, vortreffliches Tier um sämödes Geld weggeben wollte? Fifine war besser als die Menschen, das war klar. Und doch wollte er sie verkaufen! Wie tadellos rein und weiß ihr Gefieder war! Sie hatte nicht einen einzigen Floh. Wie schön goldgelb war ihr Schnabel, mit der runden, weißen Kuppe darauf, wie solid und breit waren die hübschen Patschen! Welch Bild der Ruhe und Gemächlichkeit, wenn sic auf einem Bein stand — stundenlang! Wie zierlich war ihr Schwanenhals, wie treu und herzig ihre Blauaugen — und er, Monsieur August, wollte sic verkaufen! War er nicht ein Barbar, den Gott für seine Untat strafen würde? Die Tränen traten ihm in die «naen. Er konnte da- nicht mehr länger mit anschen und stand auf, murmelte aber doch hartnäckig noch einmal vor sich hin: „Es gebt nicht anders. Isa mutz Geld haben, also muß Fifine springen. Sie mutz. Und wenn sie meine Schwester wäre." DaS war vormittags. Die Schaubuden waren noch ge schloffen und die dazu gehörigen Leute schliefen zum Tei' noch in ihren Wohnwagen oder besorgten ihre Wirtschaft, ober standen auf dem weiten Platz herum in kleinen Gruppen, oder saßen in den benachbarten Kneipen und schwatzten. Monsieur Ausust schlendert« tiver »en
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