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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021009012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-09
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Vielfach indes stieß dies auf Wider spruch, und in der Tat sind die Einzelheiten, die im Grunde nichts weniger als Vcrzichtleistiing Chinas auf Tibet bc- deuten, in mancher Hinsicht nicht recht glaubhaft. Soeben noch hat die Pekinger-Regierung den Russen bei der Rege- lung -es Streites um die Mandschurei erfolgreich wider standen, und nun sollte sie bei Tibet eine Nachgiebigkeit und Willfährigkeit bekundet haben, die zu ihrer früheren Takiik in grellem Widerspruche steht? Man darf deshalb voraus setzen, daß die gemeldeten Festsetzungen in manchem der Wahrheit nicht entsprechen, ungenau sind oder die Sach lage unrichtig darstcllcn. Ebenso ist es undenkbar, daß China sich berechtigt hält, einen Vertrag mit dem Zaren reiche über Tibet zu schließen, welches seinem Staatswesen nur ganz lose anhaftet und über welches eS eigentlich gar nicht zu verfügen imstande ist. Aber ungeachtet dessen kann als gewiß angenommen werden, daß eine Verständigung über das Gebiet zwischen dem Himalaya und Küenllien er folgt ist, welche den Russen eine neue bedeutsame Ein flußsphäre sichert. Nur wären in diesem Falle nicht China und der Zar, sondern der Zar und der Dalai Lama die ver tragschließenden Teile, denen China allein als nomineller Oberherr Tibets bcigetretcn ist. Das Streben der Russen, sich in Tibet festzusetzen, ist schon mehrere Jahrzehnte alt. Ihre wissenschaftlichen Forschungen begannen schon bald nach den ersten Erfolgen der deutschen Reisenden, der drei Brüder Schlagintwcit, welche um die Mitte des vorigen Jahrhunderts als erste Europäer in die verbotene Heimat des Buddhismus ein drangen. Anfangs konnten sie nicht viel ausrichtcn. Sie stießen auf bedeutende Hindernisse, wurden ebenso wie andere Fremde von der einheimischen Bevölkerung mit Mißtrauen empfangen und kamen nur langsam und unter großen Mühsalcn vorwärts. Und dabei hatten sie nicht nur den Widerstand des Lama zu besiegen, sondern fanden auch die Engländer als Gegner, die jede Errungen schaft zu Nichte zu machen suchten. Anfangs waren demnach die Erfolge des Zarenreiches recht gering. Aber plötzlich änderte sich das Bild. Dem Petersburger Professor Badmajeff, der als Mon gole die Zustände in Asien kannte, war cs gelungen, bis nach Lhasa vorzudringen und eine Audienz beim Dalai Lama zu erlangen. In dieser Besprechung hat er die Wünsche des Zarenreiches und die Gemeinsamkeit der Interessen zwischen beiden Staaten mit solchem Nachdruck dargetan, daß der Herrscher sich zu einem die Annäherung vorbereitenden Schritte entschloß. Es ging eine Gesandt, schäft nach Livadia, um den Kaiser Nikolaus zu begrüßen und die politischen Beziehungen zwischen Rußland und Tibet klar zu stellen. Dieser ersten Gesandtschaft, die sich nur kurze Zeit auf russischem Boden aufgehalten hat, folgte im Sommer des vorigen Jahres eine zweite Mission, die an der Newa mit Auszeichnung empfangen wurde und häufige Beratungen mit dem Minister des Auswärtigen, Grafen Lambsdorff, abgehalten hat. Es wurde an der Newa für unnötig erachtet, das Er gebnis dieser Konferenzen zu veröffentlichen, und das öffentliche Interesse für die russisch-tibetanischen Be- ziehungen begann infolgedessen nachzulassen. Ja, man neigte im allgemeinen der Annahme, zu, daß die Ver trauensmänner des Dalai Lama und die russische Regie- rung zu einem wirklichen Einverständnis nicht gelangt seien. Diese Voraussetzung ist jedoch irrig gewesen. Was letzthin in der Presse über den neuen russisch-chinesischen Vertrag verbreitet wurde, war nichts anderes, als das Re sultat der vorjährigen Verhandlungen der tibetanischen und der russischen Regierung. Es bedarf keiner näheren Ausführung, um erkennen zii lassen, daß Rußland jetzt einen weiteren Stützpunkt gegen die Engländer in Asien gewonnen hat. Der Dalai Lama ist schon lange ein ausgesprochener Gegner Groß- britanniens und er hat seine besonderen Gründe dazu. Die Engländer rücken langsam aber sicher von Indien auS gegen Tibet vor. Sie haben bereits die Fürstentümer Nepal und Butan in ihre Einflußsphäre hineingezogen und Sikkim als Vasallenstaat dem indischen Reiche einver- leibt. In der Mitte der VOer Jahre trafen sic unzwei deutige Vorbereitungen, um einen Überfall auf Tibet zn wagen, und nur der Ausbruch des Boercnkrieges hat sie von der Ausführung dieses Planes abgehalten. Das ganze Verhalten Lord Curzons und seiner Regierung trug ein so auffällig aggressives Gepräge, daß der Dalai Lama politisch klug und überlegt gehandelt hat, wenn er bei den Gegnern Großbritanniens Anschluß suchte. Dieser Zweck ist durch die erwähnte, bereits vollzogene Annäherung an Rußland erreicht worden. Sollte der Vizekönig von! Indien jetzt einen Vorstoß nach Norden beabsichtigen, so wird er den Ruffen jenseits des Himalaya begegnen. Er wird sie sowohl als politische wie als wirtschaftliche Gegner vorfiuben. Beides ist Eng land im hohen Maße unwillkommen. Schon gegenwärtig ist infolge der Spannung mit dem Dalai Lama der britische Grenzhandel stark zurückgegangen, und die Aus sicht schwindet immer mehr, daß die unausgebeuteten Naturschätze Tibets englischen Unternjehmern ,zu gute kommen. Haben aber die Ruffen wirklich das Recht zur Anlage von Bergwerken in diesem Lande erhalten, so ist cs den Engländern vorläufig ganz unmöglich gemacht, in wirtschaftlicher Hinsicht irgend etwas zu leisten. Und was es militärisch für Indien bedeutet, wenn das Zarenreich seine Truppen in Tibet konzentrieren darf oder doch Festungen mit eigener Besatzung errichtet, ergibt sich aus einem flüchtigen Blick auf die Karte Asiens. ES bildet sich nach allem neben der chinesischen und koreanischen Frage auch eine tibetanische Frage heraus. Die Entwickelung derselben wird jetzt von den Gcgenzügen abhängen. Daß diese aber nach dem Vor gehen Rußlands erfolgen werden, wird niemand bestreiten. Deutsches Reich. L. Berlin, 8. Oktober. (Über Marxisten und Dernsteinianer schreibt man uns:) Es war vorauszuseben, daß nach der Beendigung der Verhandlungen des sozial demokratischen Parteitages die Bernsteinianer in ibrem Organ, den „Sozialistischen Monatsheften", auf den Münchener Kampf zwischen Marxisten und Bernsteinianern zurückkommen würden. Da in München der Versuch, der marxistischen „Neuen Zeit" ein geistiges Monopol zu über- tragen, gescheitert ist, erörtert vr. David in den „Sozialistischen Monatsheften" den Münchener Streit mit begreiflicher Genugtuung. Aber zugleich tritt der „Ge nosse" vr. David sehr lebhaft für die Freiheit der Meinungs äußerung innerhalb der Sozialdemokratie ein und warnt nach drücklich vor jedem geistigen Stillstände. In Anbetracht der scharfen Angriffe, die in München gegen den Herausgeber der „Sozialistischen Monatshefte", Bloch, gerichtet wurden, ist eS natürlich, wenn auch dieser zur Abwehr das Wort er greift. Von Blochs Erklärung richtet sich die bemerkens- werteste Stelle gegen den Herausgeber der „Neuen Zeit", den „Genoffen" Kautsky. Ihm widmet Bloch folgende Sätze: „Der verantwortlich zeichnende Redakteur der „Neuen Zeit" (d. i. Kautsky) hat es für passend gehalten, selbst in den Ton der persönlichen Beleidigung gegen mich zu verfallen, aber er bat in seinem aufgeregten Bestreben, die Praxis einer Redaktion anzuzreifen, die sich bemüht, gute Mitarbeiter beranzuziehcn, übersehen, daß gerade das von ihm beliebte Herunterreißen der „Kon kurrenz" das böseste „Anreißertum" ist." — Der große „Parteitheoretiker" Kautsky solchergestalt als Anreißer ge kennzeichnet, das ist zum mindesten recht respektlos gebandelt! Bon auffallender Schärfe ist die Kritik, die „Genosse" von Elm in dem Zentralorgan der sozialdemo kratischen Gewerkschaften an dem Münchener Streit zwischen Marxisten und Revisionisten übt. von Elm ist durchaus nicht der Meinung, daß die Erörterung theo retischer Fragen in Arbeiterkreisen überflüssig sei. Aber er weist doch tadelnd aus die „persönlich gehässigen Zänkereien und talmudistischen Wortklaubereien hin, die in die Meinungsverschiedenheiten der Marxisten und der Revisionisten gegenwärtig hineinspielen. von Elm be streitet überhaupt, daß wichtige theoretische Fragen in München oder in Lübeck verbandelt seien und erklärt bedauernd, „daß weder die Debatten selbst, noch die Art, wie von Seiten dcS BureauS dieselben geleitet worden sind, auf derjenigen Höhe gestanden haben, welche der Würde und der Bedeutung des Parteitages der Sozialdemokratie ent- prochen Kälten". Von diesem schroffen Urteile müssen die Marxisten und die Bernsteinianer gleichwenig erbaut sein. Und gerade die Stelle, an der es veröffentlicht Wird, ist zuletzt geeignet, ihnen die bittere Pille des „Ge nossen" von Elm zu versüßen. Denn nachdem das Organ der Generalkommission der sozialdemokratischen Gewerkschaften dem scharfen Urteile von Elms an leitender Stelle und ohne Vorbebalt Raum gegeben hat, kann eS nicht ausbleiben, daß die Massen der Handarbeiter mit großer Geringschätzung von der geistigen Arbeit der Theoretiker und Akademiker erfüllt werden. * Berlin, 8. Oktober. Prof. Oskar Jäger, der Geschichlslehrer des deutschen Kronprinzen, hat auf der dies jährigen Generalversammlung des Gymnasialvereins erklärt: Bon Stellung und Bedeutung Les Gymnasiallehrers in Staat und Gesellschaft kann erst die Rede sein, seitdem eS einen eigenen Gymnasiallehrerstand in Deutschland gibt, der Lehrerstand sich von dem geistlichen emanzipiert hat. Schon in der Mitte LeS 17. Jahr- Hunderts sprach Balthasar Schuppius es auS: „So lange die Ein bildung währet, daß der status scbolnsticus notwendig verbunden sei mit dem «tLtus ecelesiasticus, so lange werden keine guten Schulen in Deutschland sein". Jetzt nach drittehalb Jahrhunderten ist diese Emanzipation vollständig im Prinzip und fast ganz auch in der Praxis vollzogen. Wo Geistliche an einer Gymnasialanstalt lehren, sind sie eben Lehrer wie andere, und wir haben — daS ist eine erste Pflicht des Gymnasiallehrer» in Staat und Gesellschaft — dafür zu sorgen, daß dies, die Selbständigkeit des Standes, so bleibt, daß kein fremdes Interesse, und trüge es die blendendsten nnd selbst die reinsten Farben, in unser Geschäft eindringe, das durch jene Emanzipation zugleich vielseitiger, freier und auch verantwortungs voller geworden ist.... Ich möchte unserer Schulregierung die Hände stärken gegen den da und dort immer wieder ausrauchenden Unfug einer geistlichen Spionage und usurpierten geist lichen Kontrolle LeS Gymnasialunterrichts, des Ge schichtsunterrichts z. B.; wir dürfen uns dies ebensowenig ge fallen lassen, als sich der Religionslehrer eine Kontrolle durch den Geschichtslehrer und etwaige Denunziationen wegen geschichtswidriger Behauptungen bei irgend einer wissenschaftlichen Instanz gefallen ließe. Gegen solche mit der Ehre, ja mit dem Wesen unseres Standes nicht vereinbare Usurpationen giebt es nur ein Mittel, und mit größerem Nachdruck muß man eS betonen. Bon wem hat der Gymnasiallehrer sein Mandat? Gewiß zu allererst und zu allerletzt daher, woher schon Sokrates sein Lehr amt zu haben bekannte: „Denn also befiehlt mir der Gott, wisset wohl!" Und der Christ empfindet dies in vertiefter Weife. Sein irdischer Auftraggeber ist aber nicht die Familie, noch dir Kirche, »och eine Körperschaft oder Partei, sondern der Staat: sür ihn und durch ihn erzieht er dessen Jugend sür Las Gottesreich unter den Menschen, dessen Diener und Glieder wir alle sein sollen, und wir Feuilleton. Aus den Erinnerungen -es Locren-Obersten Schiel.*) i. De« Todcsritt von Elandslaagte. Die Schlacht von Elandslaagte war in vollem Gange. Da erhielt Oberst Schiel eine Ordonnanz vom General mit dem Befehle, sofort mit seinem Korps auf die Haupt stellung zurückzufallen, da der General diese sonst nicht halten könne. Es galt Eile, -die Hilfe wurde mit Sorge erwartet, jede Minute >var kostbar. Es wurde ein Todesritt, Schiel schildert ihn folgendermaßen: Bald kamen wir an die Bahnlinie, an der auf beiden Seiten ein Stacheldrahtzaun entlang läuft. Dsir waren jetzt nordwestlich im Rücken der Unscrn, etwa 1500 Meter von dem Hügel der Hauptstellung entfernt, und mußten über eine Flüche, die von der linken Flügelbatteric des FeinWes bestrichen wurde. Wählend der Draht ab geschnitten wurde, nm uns einen Durchgang zu öffnen, konnten die Pferde zum letzten Ansturm verschnaufen. Ich wußte, cs mußte in Carricre gehen, um vor der Batterie vorbeizukommen, ehe sie Zeit hatte, sich auf uns ein- zuschicßerr. Da ich nicht wußte, ob der General unfern Ritt be obachtet hatte, befahl ich Kapitän Robertson, mit drei Mann in Carriere zum General zu reiten und unser Kommen im Rücken zu melden. Er sollte zugleich die Leute als Aufklärer benutzen und eventuell Meldung zu- rückfchicken. *) Der Name des Bocrcn-Obersten Adolf Schiel ist in Deutschland als der eines tapferen Mitkämpfers der Bocrcn, sowie als des Organisators des deutschen Korps im Bocren- heerc allgemein bekannt, nnd was dieser Mann uns vom süd afrikanischen Kriege zu erzählen hat, darf auf das größte Interesse rechnen. Hat die Ankündigung seiner Erinnerungen in weiten Kreisen Spannung erregt, so wird das Werk selbst, das in diesen Tagen im Verlage von F. A. Brockhaus m Leipzig zu erscheinen beginnt, die Erwartungen nicht ent täuschen. „23 Jahre Sturm und Sonnenschein in Südafrika" ist es betitelt und schildert die Abenteuer und Erlebnisse des unternehmenden Mannes in Südafrika, Erlebnisse, die den bunten Charakter eines Romancs tragen und dabei den Vor zug haben, der Wirklichkeit anzuaehörcn. Den Höhepunkt er reicht dann die Darstellung in der Schilderung der Anfänge des Krieges und der Schicksale des Erzählers während seiner (Gefangenschaft. Schiel erzählt schlicht, aber lebhaft und an schaulich, so daß sei» Buch auch in dieser Hinsicht seinen Reiz besitzt. Es ist uns eine besondere Freude, daß wir, dank dem freundlichen Entgegenkommen des Verlages F. A. BrockhauS, unseren Lesern bereits zwei der interessantesten Abschnitte aus dem Werk vorlegen können, au« denen sie sich selbst ein Urteil über Mrt und Jtücresse des Buches zu bilden vermögen. Während -er Draht durchgeschnittcn wurde, rief ich die Offiziere noch schnell zusammen, um ihnen Detail instruktionen zu geben. Ich hatte in der Feldflasche noch einen alten Kognak; wer weiß, ob wir noch je wieder zu sammen trinken würden. „Meine Herren", sagte ich, „ehe wir anreitcn, wollen wir noch einmal als gute Deutsche die Gesundheit unsers allergnädigsten Kaisers trinken!" Ich trank und gab die Flasche Hauptmann Weitz. „Seine Majestät!" sagte er, die Flasche erhebend. Dann kam von Albodyll, er tat dasselbe. Auch Zeppelin nahm einen Schluck, und frisch kam sein: „Seine Majestät!" heraus. Dann nahm er noch einen, Hielt die Flasche hoch und nickte mir zu. Ich wußte, was cs bedeuten sollte. „Die Herren auf ihr« Plätze! Schritt anreiten lassen!" kam das Komlnando. Im Schritt ging cs über den Bahndamm, dann Galopp, und sobaöd wir in Sicht der Batterie kamen, ging cs in Carriere über die Fläche. Ssst, Ssst, kam auch schon das erste Schrapnell über uns vorbei und platzte über uns in der Luft, aber zu hoch. Ssst . . . kam das zweite, genau über uns zerspringend. Ich wandte mich im Sattel nm; Gottlob! keiner war gefallen. Mit einem Krach zerplatzte das -ritte. Diesmal war es gut tempicrt, es saß; mehrere vom letzten Ziog waren getroffen. Ehe das vierte kam, waren wir außer Schußlinie hinter einem Hügel. Nun waren wir nur noch 200 Meter vom Fuß des steil abfallenden Hügels unserer Hauptposition entfernt. Da kam quer vor uns ein Wasserlauf. Wie ein Pfeil flog mein Fuchs hinüber, ebenso glücklich »rahm Zeppelin, dem man das Vergnügen »nd den Reitermut am Gesicht ab- lesen konnte, den Graben. ,^Herr Oberstleutnant", rief er in seinem schwäbischen Dialekt, „aber schön ist's halt doch!" Ich drehte mich im Sattel um nach der Abteilung zu. Etwa dreißig Mann waren hinüber; den andern Pferden nmßte der Sprung über den Morast zu weit gewesen sein, einige Mannschaften rvarcn eingesunken, uNd die andern ritten teils langsam hindurch, teils suchten sie etwas nach links nach einer festeren Stelle. Alle Pfeöde, die gesprungen waren, waren mit mir am Hügel angelangt. Die feindlichen Granaten schlugen rechts uni- links um uns ein, und schon wollte ich Uber einen Einschnitt, um nach unserer Stelluntz vom Morgen zu gelangen, wo Leutnant Badicke mit dem Rest geblieben war, da mit einem Male bekamen wir heftiges Gewehr feuer von halblinks hinten. Leutnant von Aibedylls Pferd stürzte getroffen unter Ihm zusammen, ebenso das von Kapitän Weiß, und ich sah zu meinem Schrecken, daß wir vom rechten Flügel deS Feindes umgangen waren. Ich hatte ihn bei unserm tollen Ritte nicht bemerken können, da die kleinen Hügel ihn verdeckten, nnd ich dachte auch an keine Umgeheung, da der General keine Frontverändcrung vorgenommen hatte, obwohl man vom großen Hügel au- die Umgehung hätte bemerken können und auch bemerke» Müffen. Ich riß mein Pferd herum, rief von Albedyll das Kommando zu: „Kehrt, halbrechts marsch!" und wie der Wind ging es wieder den Hügel hinunter, dem Feinde ent gegen, gegen dessen Feuer wir nun in der Bodenhöhlung gedeckt waren. Unten am Fuße des Hügels in der Terrainvertiefung lag eine kleine Farm; ich ließ absitzcn, um zum Aus- schwärmen vorzugehen. Kapitän Weiß bat ich, mit allen unfern Mannschaften, die in einer kleinen Entfernung an kamen, sofort nachzukommen, da alles daran gelegen war, vor dem Feinde einen kleinen, felsigen Rand zu erreichen, der uns von ihm trennte. Wir hatten nur fünfzig Schritte vorzulaufen. Bei den Farmhänsern waren mehrere Boeren, die Verwundete dorthin gebracht hatten. „Vorwärts, Jungens!" rief ich ihnen zu, und ein ge wisser Schenk vom Johannesburger Detektivkorps schloß sich mit noch einem Dutzend anderer uns an. Ehe der Feind den Rand erreicht hatte, lvaren mir droben. Graf Zeppelin war gefallen. Ein Granatsplitter hatte ihn tötlich am Kopf getroffen, auch mehrere der braven Jungens lagen schon am Boden. Die Tiraillcnrlinie des Feindes war höchstens 100 Schritt von uns entfernt. An den Röcken sahen wir, daß cs Schotten waren. Von beiden Seiten begann ein mörderisches Feuer. „Wenn doch nur Verstärkung käme und der General eine teilweise Frontveränderung machte, um uns vom Hügel herab zu helfen!" war mein Stoßseufzer. Ein neues Unglück trat ein. Eine Abteilung Imperial Light Horse tauchte am äußersten rechten Flügel des Feindes auf nnd bestrich mit heftigem Feuer die kleine Niederung, durch die Weiß und von Albedyll kommen mußten, nm zu uns zu gelangen. Dreimal stürmten sie an, und dreinml wurden sie zurückgeschossen. Wir feuerten so schnell wir konnten. Fehlen war fast unmöglich, denn schon konnten mir die Gesichter der Schotten erkennen. Ich winkte Weiß nochmals zu, aber er hatte wohl schon zu große Verluste gehabt. Wie sehr war mein kleines Häuflein schon zusammcngeschmolzen! Neben mir kniete ein Herr Ludwig von Borries; ich bewunderte seine Rühe, mit der er feuerte, jeder seiner Schüffe saß. Er sprang auf, um einige Schritte vor- zulaufcn, da fiel er zurück, mir gerade vor die Füße, mit einem Schuß mitten durch die Stirn. Feldkornct Pot- gietcr kniete zwei Schritte halbrechts vor mir, er hatte einen großen Stein zur Deckung. Eben hob er sein Ge wehr wieder hoch, da sah ich ihn blitzschnell den Kopf nach rechts rücken, auch er sank um. Rechts nnd links lagen die armen Jungens, nnd keine Hülfe kam. Ich hatte Kapitän Weiß beim Vorstürmen zugerufeu, zum General zu schicken und ihm die Umgehung mit- zuteiicn, auch zn meiden, daß wir, wenn er keine Front veränderung mehr machen könne, versuchen wür-cu, den Feind aufzuhalten, um den Rückzug zn decken. Mein Gewehr ivar so beiß, -aß ich cs kaum halten konnte. Auf einmal fühlte ich einen Stich unten an der Hacke des Fußes, gerade als ob mir jemand ein glühendes Eisen hinein stäche, und ich glaubte fest, daß ich einen Schuß in dieselbe bekommen hätte. Mein Magazin war wieder leer; ich nahm eine neue Kapsel mit Patronen aus -cm Bandolier und feuerte noch drei Schüsse auf den Feind, der schon so nahe war, daß wir das Weiße in den Augen sehen konnten. In der Luft pfiff cs von Kugeln. Ich wollte einen Schritt vor, da war cs mir, als ob ich überhaupt kein linkes Bein mehr hätte; ich fiel, und cs wurde mir schwarz vor den Augen. Ich kann mich aber noch erinnern, daß ich im letzten Augenblick noch meinen Adolf und mein Töchterchen vor mir sah; dann verlor ich die Besinnung. Wie lange ich so gelegen habe, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, wußte ich im ersten Augenblick gar nicht, wo ich war. Ich richtete mich auf, mich aus den rechten Arm stützend, fühlte aber einen so heftigen Schmerz im linken Oberschenkel, daß ich wieder umfiel. Die Schützenlinie des Feindes war bei uns vorbei schon den Berg hinauf, wo noch, obwohl bedeutend schwächer, gefeuert wurde. Ich sah »ach meinem Bein; die ganze Reithose war voll Btttt und die Schmerzen bei der geringsten Bewegung unerträglich. An verschiedenen Stellen lasen feindliche Mannschaften Waffen auf und trugen sie zusammen. Wie schrecklich sab es aber um mich herum auf dem Boden aNs! Rings herum lagen meine braven Jungens, wenige ivarcn durchgekvmmen. Schotten und die Unseren, alle lagen durcheinander. Links vor mir lag Herr von Borries tot. Einen Schritt vor mir Feldkornct Pot- gicter auf dem Rücken; das bleiche Gesicht mit dem schwarzen Bart und den großen, offenen Angcn bot einen furchtbaren Anblick. Die Augen sahen unch an, gerade als ob er noch sprechen wollte. Drei Schritte hinter mir saft der jüngste SH-udcr von Potgietcr, mit einem Schuß durch beide Schultern. Ganz in meiner Nähe, zwei Schritte rechts, lag ein Afrikaner. Mit Stöhnen drehte er sich nach mir herum, sah mich halb aufgerichtct an un sagte: „Js Kommandant nie dood? (Kommandant, sind Sie tot?»" Ich mußte trotz meiner Schmerzen über diese naive Frage lächeln. Der Ärmste hatte einen Schuß durch die Brust und einen zerschossenen Arm. Etwas weiter davon Schmidt, ein früherer preußischer Artillcricunterosfizier, anscheinend tot. Da trat einer der Light Horse, der Gewehre auflas, auf mich zu: „Alte Wetter", sagte er, „da ist Koloncl Schiel!" Cs war ein Bekannter aus Johannesburg. „Wer hat gewonnen?" fragte ich, als wir uns die Hände reichten. „Wir . . . wir", kam cs zögernd heraus, „haben ge wonnen, aber eine gnte Anzahl von Euch sind ent kommen!" Also doch, dachte ich, Gottlob!
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